Anregungen aus der französischen Wissenschafts-Blogosphäre

Zum einjährigen Geburtstag von de.hypotheses.org

Heute genau vor einem Jahr ist das deutschsprachige Blogportal de.hypotheses mit einer Tagung in München offiziell an den Start gegangen. Damals gehörten neun Blogs zum Portal. Ein Jahr später sind es 49 aktive Blogs, 25 weitere sind angemeldet und in den Startlöchern. Unsere Bloggenden haben im vergangenen Jahr 941 Beiträge publiziert und 975 Kommentare freigeschaltet. Damit liegt die Kommentarfrequenz mit durchschnittlich einem Kommentar pro Beitrag höher als bei den französischen Kollegen, bei denen rund jeder dritte Beitrag kommentiert wird((1)). Auch die Leserschaft des neu gestarteten Portals ist beachtlich: Insgesamt 157.630 unique user hatten die deutschsprachige Plattform und ihre Blogs im vergangenen Jahr. Dass nicht nur quantitative Ergebnisse vorzuweisen sind, zeigt ein Blick auf die Startseite von de.hypotheses mit ausgewählten Beiträgen sowie auf die frisch gekürten Top-5 der Blogs und Top-5 der Artikel des vergangenen Jahres. Insgesamt ein schöner Erfolg, über den sich Team, Redaktion und Beirat von de.hypotheses.org sehr freuen und für den wir uns bei allen Beteiligten und Bloggenden ganz herzlich bedanken.

Die Anregung für das deutschsprachige Portal stammt bekanntermaßen aus der Beobachtung der französischen Wissenschaftsblogosphäre. Grund und Anlass genug, zum einjährigen Geburtstag von de.hypotheses.org den Blick erneut auf den Nachbarn am Rhein zu richten und zu sehen, was wir dort Weiteres lernen können. Dieser Artikel ist gleichzeitig die schriftliche, leicht erweiterte Fassung meines Impulsvortrags für das diesjährige Scilogs-Bloggertreffen in Deidesheim, das – wie es der Zufall so will – am Geburtstag von de.hypotheses stattfindet.

 

Tour de France der geistes- und naturwissenschaftlichen Blogosphäre

In der französischen Kultur haben Experten einen hohen Stellenwert: Kaum eine Radio- oder Fernsehsendung vergeht, in der nicht ein Wissenschaftler oder eine Forscherin zu einem aktuellen Thema befragt wird. Kaum eine Ausgabe einer Tageszeitung ohne einen Kommentar, ein Interview oder ein Statement einer Spezialistin oder eines Intellektuellen, die ja bekanntlich ohnehin eine französische Erfindung sind. Und das Interesse an Wissenschaft ist groß! Zumindest entsteht dieser Eindruck, wenn man bei einer Metrofahrt die Personen zählt, die ein wissenschaftliches Buch lesen. Popularisierung von wissenschaftlichen Ergebnissen durch public intellectuals und die Kommunikation der Wissenschaft mit der breiten Öffentlichkeit haben in dieser Hinsicht in Frankreich Tradition. Darin könnte ein Grund liegen, warum es in Frankreich mehr bloggende Wissenschaftler/innen und mehr Wissenschaftsblogs gibt als in Deutschland.

Nun soll hier nicht das hohe Lied auf ein vermeintliches Blog-Eldorado Frankreich gesungen werden. Denn auch dort ist wissenschaftliches Bloggen eine marginale Tätigkeit, auch wenn sie verbreiteter ist als in Deutschland. Und so mancher bloggt nur anonym, um sich die Karriereaussichten nicht zu verbauen. In vielerlei Hinsicht gleichen sich hier wie dort die Diskussionen über den Einsatz von Blogs in der Wissenschaft: Die Befürworter befürworten, die Gegner sind dagegen und die Ignoranten ignorieren, und das aus den oftmals gleichen Gründen und in gleichen Proportionen. Doch gibt es einige besondere Merkmale der wissenschaftlichen Blogosphäre in Frankreich, um die es in dieser subjektiven, selektiven und keineswegs vollständigen Tour de France (die ja auch nicht überall vorbei kommt) der geistes- und naturwissenschaftlichen Blogs im Folgenden gehen soll.

 

Erste Anregung: Blogportale

aspDas auffallendste Merkmal an der französischen Wissenschaftsblogosphäre ist das Vorhandensein von Blogportalen. Die Szene hat sich hier früher und stärker organisiert. Warum? Vielleicht, weil in Frankreich Zentralisierung an vielen Stellen vorgelebt wird, so auch im Dokumentations-, Bibliotheks- und Archivwesen (wenn auch nicht immer zur Freude aller). Außerdem wollte sich das kleine gallische Dorf gegen die anglo-amerikanische Blog-Hegemonie zur Wehr setzen und für mehr Sichtbarkeit der französischsprachigen Blogs sorgen, so erzählte mir der naturwissenschaftliche Blogger Antoine Blanchard (Blog La science, la cité, Twitter: @enroweb).

So kam es im Oktober 2005, als man in Deutschland Wissenschaftsblogs noch an einer Tastatur abzählen konnte, in der französischsprachigen Blogosphäre zur Gründung des ersten Bloportals, „Science! On blogue!“, also „Wissenschaft! Wir bloggen!“, wobei das Science! mit Ausrufezeichen vermutlich an Silence! – Ruhe bitte! – erinnern soll. Der Betreiber war die Agence Science-Presse, eine kanadische wissenschaftliche Presseagentur mit Sitz in Quebec, die das Aufkommen der Wissenschaftsblogs in den USA aus der Nähe mitverfolgte und die Idee in den französischsprachigen Raum übertrug. Größere Sichtbarkeit für die Blogs, mehr Austausch und Diskussion, Community-Bildung waren die Ziele dahinter((2)). In den Vordergrund wurden dabei Themenblogs gerückt mit wechselnden Autoren und nicht etwa einzelne Bloggerpersönlichkeiten. Heute teilen sich die Bloggenden mit den Journalisten die Website der Presseagentur, wobei deutlich zwischen beiden unterschieden wird, wie ein Klick auf die Seite „Communauté“ zeigt . Alle wissenschaftlichen Disziplinen sind vertreten, mit einem Übergewicht an Naturwissenschaften. Die gesammelten Blogbeiträge findet man hier.

Naturwissenschaftliches Portal: C@fé des sciences

cafesciencesNur ein Jahr später wurde 2006 mit C@fe des sciences das erste naturwissenschaftliche Blogportal in Frankreich gegründet. Die Initiative ging von sechs jungen Wissenschaftlern aus, die für ihre bereits bestehenden Blogs mehr Sichtbarkeit wollten und begannen, ihre Beiträge auf einer gemeinsamen Aggregator-Plattform anzuzeigen((3)). Gegenseitige Kommentare und enge Verflechtung waren weitere Ziele. Zu diesem nicht-kommerziellen Portal gehören mittlerweile 40 von der Plattform gehostete Blogs sowie 42 Mitgliedsblogs, die von den Autorinnen und Autoren selbst betrieben werden. Nur eine Minderheit von ihnen arbeitet als Wissenschaftler, die meisten sind Journalistinnen, Lehrer, Studierende oder interessierte Laien. Angesprochen wird neben dem Fachpublikum ganz explizit die breite Öffentlichkeit.

Im oberen Bereich der Startseite werden die aktuellen Beiträge der Blogs angezeigt. Ein „Best of“ führt zu ausgewählten Artikeln. Darunter stehen thematisch geordnet die Blogs, die zur Plattform gehören. Folgende Disziplinen sind vertreten: Physik, Chemie, Mathematik, Biologie, Gesundheit, Umwelt, Technologie und Politik. Klickt man auf einen Artikel, gelangt man auf das jeweilige Blog, das individuell und mehr oder weniger professionell gestaltet ist.

Geisteswissenschaftliches Portal: Hypotheses.org

hypoIm Jahr 2008 ging Hypotheses.org als französischsprachiges Blogportal für die Geistes- und Sozialwissenschaften an den Start((4)). Die Blogs wurden und werden hier „carnets de recherche“ genannt, also Forschungsjournale, um potentielle Interessenten nicht abzuschrecken. Stattdessen wird damit das für jeden wissenschaftlich Arbeitenden Selbstverständliche – nämlich das Führen eines Notizbuchs – betont, ähnlich wie bei den SciLogs mit dem Untertitel “Tagebücher der Wissenschaft”.

Hypotheses unterscheidet sich von den bisher vorgestellten Portalen darin, dass die Bloggenden dort ausschließlich aus der wissenschaftlichen Community stammen. Folglich kommen die Blogs überwiegend als Mittel der fachinternen Kommunikation und Publikation zum Einsatz und weniger für die Popularisierung von Forschung, was nicht heißt, dass sie nicht parallel die interessierte Öffentlichkeit ansprechen und von dieser wahrgenommen werden. Auch hier steht die Idee im Mittelpunkt, den wissenschaftlichen Blogs mehr Sichtbarkeit zu verleihen und eine Community aufzubauen. Gleichzeitig wird das Eröffnen und Führen eines Blogs erleichtert, indem den Wissenschaftler/innen die technische Seite eines solchen Unterfangens abgenommen wird. Die Plattform bietet das kostenlose Aufsetzen (oder Migrieren), Hosten, und Archivieren eines Blogs an, führt Schulungen durch und steht den Bloggenden mit Rat und Tat zur Seite((5)). Die Blogs können individuell gestaltet werden. Eine wissenschaftliche Redaktion wählt aus den aktuell publizierten Beiträgen die besten für die Startseite aus.

Mittlerweile sind über 600 Blogs aus allen Bereichen der Geistes- und Sozialwissenschaften bei Hypotheses.org vereint und das Portal ist international aufgestellt. Neben der französisch- und deutschsprachigen gibt es auch eine spanischsprachige Einstiegsseite. Eine Stärke der Plattform ist neben der internationalen Ausrichtung der inhaltliche Zugang zu den Blogs über einen Blogkatalog und ein Kategoriensystem. So kann man sich beispielsweise zum Thema Sprache und Linguistik alle Blogs der Plattform sprachübergreifend anzeigen lassen.

Thematisches Portal: Culture visuelle

culturevisuelleEine Besonderheit der französischen Blogosphäre ist die Existenz einer thematischen wissenschaftlichen Blogplattform: Culture visuelle. Das an einer Pariser Universität((6))  angesiedelte Portal hat als Einzelblog angefangen und versteht sich mittlerweile als „Blogfarm“ von Wissenschaftler/innen, Lehrenden, Studierenden, die kollaboratives Schreiben unter Aufsicht eines Editionsteams erproben wollen. Rund 50 Blogs zu allen Themen der visuellen Kultur sind dort versammelt: Bild und Bildlichkeit, Fotos, Film, Kino, Ikonen, Verwendung von Bildern, Anthropologie von Fotos etc. Einige der Blogs sind seminarbegleitend. Die Startseite ist ein „Best of“ von Beiträgen, die aus den aktuellen Blogartikeln ausgewählt wurden. Die zur Plattform gehörenden Blogs sind graphisch einheitlich gestaltet. Die inhaltliche Erschließung der Beiträge erfolgt über 50 festgelegte gemeinsame Tags. Einen weiteren Zugang zu den Blogartikeln gibt es über ein Auswahlmenü nach Textgenres, das mit der Aufteilung nach Rezensionen, Gastbeiträge, Bibliothek jedoch wenig hilfreich ist, wenn man sich das erste Mal auf das Portal verirrt. Da die thematische Kohärenz der Blogs durch das übergeordnete Thema gegeben ist, fällt das nur geringfügig ins Gewicht. Culture visuelle hat bei Facebook über 2.940 Fans, so dass das Publikum über den engeren Kreis der Wissenschaft hinausgehen dürfte.

Exkurs: Wir machen was Eigenes

Auf der Startseite von C@fe des sciences fällt unter der Auswahl der sozialen Medien ein Kürzel auf, das Nicht-Franzosen unbekannt sein dürfte: Knowtex. Dahinter verbirgt sich ein soziales Netz, das von den Betreibern des C@fe des sciences aufgebaut wurde. Das übergeordnete Thema des Netzes sind die Veränderungen, die das 21. Jahrhundert gegenwärtig durch Wissenschaft, Industriedesign und Technologie erfährt. Knowtex funktioniert wie ein Linkshare-Dienst, ähnlich wie früher delicious. Man kreiert ein eigenes Profil und sammelt, speichert und annotiert Webressourcen. Derzeit sind es über 2.600 Mitglieder mit mehr als 39.000 Links, Texten, Videos, Fotos, Terminen etc., die auf der gemeinsamen Startseite von Knowtex angezeigt werden. Die Community ist bunt gemischt und besteht aus Journalisten, Künstlerinnen, Wissenschaftlern, Designerinnen und Bloggenden. Ein permanentes Team ist verantwortlich für die editorische Leitlinie der Plattform. Zu Knowtex gehört auch ein eigenes Blog .

 

Zweite Anregung: Vielfalt an Blogtypen

Bei den wissenschaftlichen Blogs des Portals hypotheses.org gibt es eine Reihe von Blogtypen, über die schon verschiedentlich berichtet wurde((7)). Im Unterschied zu den Portalen, die vorwiegend auf die Popularisierung von Inhalten ausgelegt sind, zeigt sich anhand dieser Typen die Nutzung des Mediums Blogs im wissenschaftlichen Alltag. Einige dieser Blogtypen gibt es auch auf der deutschsprachigen Seite des Portas, so dass im Folgenden aus beiden Ländern Beispiele vorgestellt werden.

Blogs von Forschergruppen

Ein Team von Forschenden bloggt über das Thema (Vorstellung der Forschenden und ihrer Themen, Rezensionen, Artikel, Quellen, Hinweise auf Websites, Konferenzen – vor- und nachbereitend, Interviews…) und gibt damit bereits während des Forschungsprozesses Einblick in die laufende Arbeit. Das Blog dient gleichzeitig als Dokumentation für das Forschungsprojekt. Beispiele sind das Blog des Arbeitskreises Popgeschichte Pophistory, das Blog über Design und Wissenschaft Paris Design Lab sowie das gerade frisch gestartete Blog Urbane Gewalt der gleichnamigen Forschergruppe des Projekts „Europa als Herausforderung“.

Thematisch enggeführte Dissertations- und Forscherblogs

enklaskDiese Blogart hat bei de.hypotheses.org im ersten Jahr den meisten Zulauf erhalten. Es zeigt sich, dass gerade Doktoranden mit einem Blog der Einsamkeit des Forschens entgehen und sich vernetzen wollen. Aufgrund ihrer Themenzentrierung wird auf diesen Blogs teilweise weniger diskutiert. Oftmals widmen sich die Doktoranden auch Metathemen des Bloggens oder methodischen Fragen. Beispiele sind das eindrucksvolle Blog enklask über Krieg, Gewalt und Sozialismus in der Bretagne 1900-1940, Das umstrittene Gedächtnis: Erinnerungspraktiken in Skandinavien, das Blog zur mittelalterlichen Archäologie MinusEinsEbene,  Computerspiel und Ästhetik sowie das Forscherblog TEXperimentales, ein Blog über Computerlinguistik.

Thematische Gemeinschaftsblogs

Bei diesen Blogs ist das Thema das verbindende Element. Forschende aus verschiedenen Institutionen nutzen das Blog für ihre Ankündigungen und schaffen dadurch einen zentralen thematischen Publikationsort für die schnelle und direkte Wissenschaftskommunikation. Beispiele sind Ordensgeschichte, ein interdisziplinäres Gemeinschaftsblog zur Geschichte von Klöstern und Orden, Das 19. Jahrhundert in Perspektive, das Frühneuzeit-Blog der RWTH Aachen sowie Mittelalter, interdisziplinäre Forschungs- und Rezeptionsgeschichte.

Blogs eine Zeitschrift begleitend

In Frankreich sind publikationsbegleitende Blogs bei Zeitschriften ein beliebtes Genre. Auf diesen Blogs wird alles publiziert, was nicht in die Zeitschrift passt, z.B. ein Quellenkorpus zu einem bestimmten Thema, Anzeigen von Büchern, Neuigkeiten rund um das Thema etc. Der Vorteil ist, dass im Blog über die Kommentare ein direkter Austausch stattfinden kann, der in einer Zeitschrift nicht möglich ist. Beispiele sind das Blog von Trivium, das Soziologieblog und Actualité du 19e siècle.

Blogs eine Publikation begleitend

lieuxsavoirDoch nicht nur Zeitschriften, auch Buchpublikation können durch Blogs begleitet werden. Ein Beispiel ist das Projekt „Lieux de savoir“, Wissensorte, eine vergleichende Geschichte und Anthropologie der gelehrten Praxis. In dieser Buchreihe sind bisher vier Bänden in einem französischen Verlag erschienen. Das Blog begleitet die Entstehung der Bände, die intellektuelle Konstruktion, die Publikation und die Rezeption. Außerdem werden Neuigkeiten zum Thema aus der Forschung veröffentlicht. Ein weiteres Beispiel ist Achtundvierzig, das Blog zur Aktenedition der Provisorischen Zentralgewalt für Deutschland in der Revolution 1848/49.

 

Blogs über wissenschaftliche Debatten

Auf deutscher Seite noch kaum vorhanden sind Blogs zu (wissenschaftlichen) Debatten. Auf der französischen Seite gibt es in dieser Kategorie z.B. das Blog Evaluation über Evaluation in den Geisteswissenschaften sowie ein Blog über Einstellungsverfahren und Berufsaussichten von Geisteswissenschaftler, wozu es mit gab_log ein deutsches Pendant gibt.

Blogs über wissenschaftliche Methoden

boiteaoutilEbenso hat die deutsche Seite bisher noch kaum Blogs, die ausschließlich einer Methode in den Geistes- und Sozialwissenschaften gewidmet ist. Ein Beispiel dafür ist Opinion mining et sentiment analysis: Werkzeuge und Methoden. Das Blog wird außerdem begleitend zum gleichnamigen Buch geführt und bietet die Möglichkeit, updates in Echtzeit zu diskutieren. Ein weiteres Beispiel ist Quanti über quantitative Methoden in den Geisteswissenschaften sowie das Blog für angehende Historiker/innen Devenir historien-ne und La boite à outil des historiens, ein außerhalb der Plattform laufendes Blog.

Monitoring Blogs

cleoradarMonitoring Blogs werden zumeist von einer Gruppe von Wissenschaftlern geführt und sind einem bestimmten Thema gewidmet. Die Blogbetreiber schreiben dabei keine eigenen Beiträge, sondern sammeln diese von anderen Blogs ein. Über einen bestimmten Tag in den RSS-Feeds werden fremde Blogbeiträge gekennzeichnet, wodurch diese dann auf dem Monitoring-Blog erscheinen. Auf diese Weise entstehen thematische Sammlungen, die nicht aufwändig zu erstellen sind, wenn die Technik erst mal eingerichtet ist. Ein Beispiele dafür ist Cleo Radar zum Thema elektronisches Publizieren.

 

Und außerdem…

Weitere Blogtypen sind Blogs zu einer Veranstaltung, wie z.B. Rezensieren, Kommentieren, Bloggen, universitäre Seminarblogs, wie z.B. Soziale Medienbildung oder Digitales Geschichtslernen.

Exkurs: Die Medienvielfalt nutzen

Am Beispiel der Arbeitsgruppe Criminocorpus über Justiz-, Rechts- und Kriminalitätsgeschichte wird deutlich, wie man die verschiedenen Medien nutzen und ineinandergreifen lassen kann: Neben der eigenen Website hat Criminocorpus eine Zeitschrift, ein Themenblog, auf dem Kolloquien und Seminare angekündigt, Ausstellungen, Rezensionen, Veröffentlichungen publiziert und Forschung und Forschergruppen vorgestellt werden, sowie ein Monitoring-Blog für die thematische Sammlung von Beiträgen anderer zur Justizgeschichte. Und natürlich ist Criminocorpus in den sozialen Medien aktiv und bringt es bei Facebook beispielsweise auf stolze 2.076 Fans.

 

Dritte Anregung: Vielfalt der Themen

Bei der kurzen Vorstellung der verschiedenen Blogtypen ist bereits die thematische Vielfalt der französischen Blogosphäre jenseits der Generalistenblogs angeklungen. Dies hängt mit der Existenz der Projekt- und Dissertationsblogs zusammen. Da diese auf deutscher Seite ebenfalls stark zulegen, ist auch diesseits des Rheins eine weitere Auffächerung des Themenspektrums bei Einzelblogs zu erwarten. Die behandelten Themen selbst hängen im Wissenschaftsbereich natürlich eng mit der jeweiligen Forschungskultur eines Landes zusammen. Im Folgenden sei zusammenhangslos und ohne Vollständigkeit auf ein paar Themenbereiche hingewiesen, die in Deutschland noch kaum besetzt sind. Die Beobachtungen stützen sich dabei weitgehend auf die Blogplattformen. Weitere Blogideen gibt es übrigens im kürzlich erschienenen anregenden Artikel von Michael Schmalenstroer, Blogs, die noch fehlen.

Geisteswissenschaften

Bei den Geisteswissenschaftlern sind in Frankreich Blogs über Justizgeschichte und Kriminologie wie Regards sur le droit public sowie Blogs zur Ur- und Frühgeschichte zahlreich. Besonders beliebt sind Ausgrabungsblogs von Archäologen, die ihr Ausgrabungsjournal, das sie ohnehin führen müssen, öffentlich machen. Beispiele dafür sind das Blog Arles-Rhone über Unterwasser-Bergungen eines gallo-romanischen Bootes in der Rhone, das bis 2010 geführt wurde. Oder das Blog Cahiers de terrain de Raymond Mauny, bestehend aus den Archiv-Tagebüchern des Afrika-Forschers der Jahre 1942 bis 1962, als er Leiter der Abteilung „Archäologie und Vorgeschichte“ des Institut français d’Afrique noir in Dakar war. Die Einträge werden rückdatiert auf das Datum des tatsächlichen Eintrags publiziert.

Was sich bei den Geisteswissenschaften noch zögerlicher entwickelt als bei den Naturwissenschaften sind Blogs, die sich explizit an die breite Öffentlichkeit wenden. Vermutlich scheuen sich viele Geisteswissenschaftler/innen aus Prestigegründen, ein Blog ausschließlich für die Vulgarisation von Forschungsergebnissen zu führen. Beispiele für diese Art von Blogs sind das englischsprachige Blog The Recipes Project, in dem mittelalterliche Rezepte, Essen, Zauberei und Medizin expressis verbis für eine breite Öffentlichkeit aufbereitet werden sowie das Blog Olim et Nunc. Histoire et sérendipité, das Zufallsfunden aus dem Bereich Geschichte gewidmet ist. Blogs zur Militärgeschichte dürften mit Blick auf die breite Öffentlichkeit ebenfalls erfolgreich sein, existieren bisher aber auf der Plattform nicht.

Interdisziplinarität bei kontroversen Themen

prismedeteteAuffallend sind in Frankreich außerdem die Blogs zur Wissenschaftsforschung (Science studies) in der Tradition von Bruno Latour. Dabei werden die Einflüsse von Wissenschaft und Technik auf die Gesellschaft aus einem geisteswissenschaftlichen Blickwinkel betrachtet. Pris(m)e de tête. Les sciences et techniques en société (Prise de tête = Kopfzerbrechen) ist so ein kollektives Blog, gegründet 2009 von einigen Bloggenden des C@fe des Sciences. Behandelt werden kontroverse Themen wie Klima, Krankheiten, Ernährung, Umwelt und Nanotechnologie in thematischen Dossiers und aus verschiedenen Blickwinkeln. Bei hypotheses zählen Blogs wie Infuse! Nos rapports aux sciences oder das Gemeinschaftsblogs Espaces Réflexifs dazu, des Weiteren die Blogs zu Gesundheit und Medizin in geisteswissenschaftlicher Sicht wie beispielsweise Corps et Médecine oder Anthropologie et santé mondiale.

 

Naturwissenschaften

matieresBei den Naturwissenschaften kenne ich mich naturgemäß weniger aus und beschränke mich auf einen kursorischen Überblick (mit Dank an Antoine Blanchard für seine Anregungen): Einer der bekanntesten naturwissenschaftlichen Blogger in Frankreich ist der Wissenschaftler Tom Roud, der seit 2006 regelmäßig auf seinem Blog Matières Vivantes über die Themenbereiche Nanotechnologie, Physik und Biologie bloggt. Er ist Professor in den USA. Auf seiner Übersichtsseite gibt er für jedes Jahr die 10 beliebtesten Blogposts an. Darunter waren in den vergangenen Jahren ein Beitrag “Wie gewinnt man bei Wer wird Millionär?” und “Bullshit-Bingo für Umweltskeptiker”. Ebenso bekannt ist Dr. Goulu und sein Blog Pourquoi Comment Combien. Warum steht dabei für Wissenschaft, wie steht für Technik und wie viel steht für Wirtschaft. Das sind die drei Themen, die er auf seinem seit 2004 existierenden Blog verbinden möchte.

Der Blogger Taupo (Pierre Kerner), Wissenschaftler für evolutive Genetik an der Universität Paris VII, führt das Blog mit dem sprechenden Namen Strange stuff funky things. In einem seiner letzten Beiträge erfreute er mit Bildern von fliegenden Kalamaren. Schön auch sein Beitrag zum Cat Content im Web “L’empreinte des chats dans l’histoire” (Katzenspuren in der Geschichte) u.a. mit dem Bild von Katzenabdrücken auf einem mittealterlichen Manuskript, das auch durch die deutsche und englische Blogosphäre geisterte.

Noch ein kurzer Blick auf die Startseite von C@fé des Sciences und die aktuell dort behandelten Themen: In der Physik wird der Frage nachgegangen, ob es eine mathematische Regel für die Verteilung der Buckel auf einer Skipiste gibt. In der Chemie gibt es Teil 8 der Artikelserie „Pflanzen und ihre Gifte“. Aus der Mathematik wird die Entdeckung der höchsten Primzahl am 25. Januar 2013 berichtet. Im Bereich Gesundheit werden die Leser/innen darüber aufgeklärt, dass es keine Willensfreiheit gibt. Teilweise werden in einer Art Bloggewitter Themendossiers erstellt, wie beispielsweise ein Dossier zum Thema „Tod“.

Interessant ist das Gemeinschaftsblog Idées de Physique, das gleichzeitig Teil der Website Pour la Science ist, dem französischen Pendant von Spektrum der Wissenschaft. Die Blogbetreiber sind bei der Zeitschrift verantwortlich für eine monatliche Chronik zu Physik. Auf der Website der Zeitschrift selbst taucht allerdings das Wort „Blog“ nirgends auf, doch Scilogs.fr ist in Vorbereitung und geht demnächst online! 

Exkurs: Sex sells…

Ein bemerkenswertes Blog ist HARDSciences, das der Popularisierung von aktuellen wissenschaftlichen Studien rund um die Themen Sex und Beziehung gewidmet ist. Die Idee dazu hatte eine Studentin, die ihr Studium mittlerweile beendet und das Blog mit zwei weiteren Personen betreibt. In den letzten Monaten ist es etwas stiller auf dem Blog geworden. Im jüngsten Beitrag vom November 2012 geht es um Verführung in der Welt der Tiere, anlässlich der gleichnamigen Ausstellung in Paris.

… Humor auch

In französischen Wissenschaftsblogs darf es auch mal humorvoll zugehen, was in Deutschland eher selten der Fall ist. Auf der Plattform C@fé des sciences gibt es eigens den Navigationspunkt Humor. Dort findet man beispielsweise das Blog „Freaky Friday Parasite“, auf dem jeden Freitag ein abgefahrenes Parasit vorgestellt wird. Der neueste Beitrag  zeigt einen Wurm, der seinen Wirt ins Wasser und damit in den Selbstmord treibt, wo sich der Wurm dann fortentwickeln kann… (insofern hätte man das auch bei Horror unterbringen können).

 

Vierte Anregung: keine Angst vor Popularisierung

Eine interessante Idee ist die Kennzeichnung der Schwierigkeitsstufe bei Beiträgen, wenn sie sowohl ein Fachpublikum als auch die breite Öffentlichkeit ansprechen. Das Wissenschaftsportal „My Science Work“ beispielsweise gibt bei seinen Artikeln oben in einer Leiste an, für welche Zielgruppe der Beitrag geschrieben wurde: Die Skala reicht dabei in fünf Stufen von „Grand public“ bis „spécialisé“.

kidiscienceDie Naturwissenschaften – das klang bereits an – scheuen sich weniger, wenn es um Popularisierung ihrer Ergebnisse für die breite Öffentlichkeit geht. Die jüngste französische Idee ist das gerade im Februar 2013 gestartete Blogportal Kidi’Science. Eine ideale Seite für alle Eltern, die die Fragen ihrer Kinder nicht beantworten können: Wie wachsen die Arme eines Seesterns? Ist das Universum unendlich? Wie funktioniert der Kühlschrank? usw. Kinder können ihre Fragen selbst auf der Plattform einreichen. Außerdem gibt es eine Linksammlung mit online verfügbaren kostenlosen Quellen zur Astronomie (8-10 Jahre) und Chemie (12-14 Jahre). Wahrscheinlich klicken die Kinder gern auf den Reiter „Experimente für Zuhause“. Dort findet man die Anleitung, wie man in der Badewanne einen Regenbogen erzeugen kann.

 

Fünfte Anregung: andere Genres

stripscienceAus meiner Beobachtung heraus könnte ich nicht sagen, dass in Frankreich generell ein anderer Einsatz von Abbildungen oder Audio und Video bei Wissenschaftsblogs erfolgt. Bis auf eine Ausnahme: Comics! Seit November 2011 gibt es im Land von Asterix und Obelix mit Strip Science ein Blogportal, das zwei getrennte Welten zusammen bringt: die Welt der Comiczeichner und Illustratoren und die der Wissenschaft. Das Portal besteht aus rund 50 Einzelblogs, die zumeist selbst gehostet werden. Ziel des Portals ist es, die Welt der Wissenschaft spielerisch zu erklären und zu zeigen, dass Wissenschaft auch Spaß machen kann und für die breite Öffentlichkeit verständlich und zugänglich ist. Die Beiträge stammen entweder aus einer Hand oder sind in Zusammenarbeit entstanden: ein Blogbeitrag eines Wissenschaftlers, der illustriert, oder eine Idee für eine Bildergeschichte, die dann der Ausgangspunkt für einen Blogbeitrag wurde. Den besonderen Reiz macht gerade diese ungewöhnliche Zusammenarbeit aus. Das Blog HARDscience ist hier schon mehrfach illustriert worden. Außerdem scheinen die bereits erwähnten Parasiten die Illustratoren in besonders hohem Maße zu inspirieren. Zum Selbstmord-Wurm gibt es insgesamt fünf Zeichnungen.

Unter den Comic-Blogs sind zwei, die das Leben als Doktorandin thematisieren (beide von Frauen): Die Beiträge des Blogs PHDelirium reichen thematisch von „Ich konnte nicht arbeiten, es hat geschneit“ über „Ich bin in meinen Doktorvater verliebt“ bis „Das ist nicht Prokrastination, sondern eine Therapie“, alles Themen, die mir auf den ersten Blick ziemlich international erscheinen.

Im Blog Vie de thésarde (Doktorandinnenleben) wird das Leben als Doktorandin der kleinen Nichte erklärt mit über 1.200 Likes für diesen Beitrag bei Facebook. Schön auch der Beitrag „Doctor style“ mit der Zeichnung der Verteidigung der Doktorarbeit vor der Jury, bei der die Kandidatin über dem offenen Feuer geröstet wird.

Dass es sich bei den Betreibern der wissenschaftlichen Comic-Blogs nicht einfach um eine Handvoll Spinner handelt, zeigt das wissenschaftliche Comic-Blogfestival im Sommer 2012, organisiert mit dem CNRS, Frankreichs größtem Forschungsförderer und bedeutendster Forschungsorganisation. Wann wohl die DFG diese Idee aufgreift?

Fazit

Der kursorische Überblick über die französische wissenschaftliche Blogosphäre zeigt eine starke Vernetzung über Blogportale, eine differenzierte Auffächerung an Blogtypen, ein breites thematisches Spektrum, bedingt durch die stärker verbreitete Praktik des forschungsthemenzentrierten Bloggens, die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei kontroversen aktuellen Themen, keine Angst vor Popularisierung, Dialog mit der breiten Öffentlichkeit über Themen, die diese interessieren, sowie das Ausprobieren neuer medialer Formen und Zusammenarbeit. Eine Dynamik ist zu erkennen und man darf auf die Weiterentwicklung gespannt sein.

 

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Foto: look 03.04.09 [63] von timlewisnm, Lizenz CC BY-SA (mit Dank an Inger Brandt für die gelungene Wahl)

 

 

  1. Mareike König, Die Entdeckung der vernetzten Vielfalt. Geschichtsblogs bei hypotheses.org, in: Peter Haber, Eva Pfanzelter (Hg.), Historyblogosphere, München (Oldenbourg Verlag) 2013. Open Peer Review Version: http://historyblogosphere.oldenbourg-verlag.de/open-peer-review/m-koenig/.
  2. 2007 ist ein gleichnamiges Buch entstanden, das die Erfahrungen des wissenschaftlichen Bloggens der ersten Jahre resümierte: Pascal Lapointe, Josée Nadia Drouin, Science! on blogue. Le nouveau monde d’Internet, Québec, MultiMondes, 2007. Leseprobe: http://multim.com/titre/?ID=221
  3. Podcast der Vorstellung der Plattform durch Antoine Blanchard auf der Tagung “Im Netz der sozialen Medien” 2011 am DHIP http://www.dhi-paris.fr/de/home/podcast/digital-humanities-am-dhip-3.html.
  4. Vgl. Mareike König, Blogging tricolore. Geisteswissenschaftliche Blogs in Frankreich, in: Archivalia 11.8.2011 http://archiv.twoday.net/stories/38743431/
  5. Weitere Informationen zum Angebot finden sich hier: http://redaktionsblog.hypotheses.org/413.
  6. Laboratoire d’histoire visuelle contemporaine (Lhivic) an der EHESS, Paris.
  7. Vgl. König, Die Entdeckung der vernetzten Vielfalt http://historyblogosphere.oldenbourg-verlag.de/open-peer-review/m-koenig/.

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/993

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