200 Jahre Völkerschlacht – Was bleibt nach der Eventisierung?

 

Ein Paradebeispiel dafür, wie Kollektive die Deutung der Vergangenheit sinnfällig nutzen, bietet derzeit die Stadt Leipzig. Unter dem Motto „Leipzig 1813 – 1913 – 2013. Eine europäische Geschichte“ widmet sich ein ganzes Gedenkjahr dem Bemühen, den europäischen Einigungsgedanken zu beschwören und TouristInnen in die Stadt zu locken, indem es das „Doppeljubiläum“ der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 und der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals 1913 feiert. Die historischen Hintergründe und die Mythisierung der Ereignisse im Laufe der Zeit interessieren dabei offensichtlich nur wenige.

 

Blutige Schlacht, Völkerverständigung oder was?

Preußen, Österreich, Russland und Schweden besiegten in der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 Napoleon: Sachsen und damit Leipzig standen auf dessen Seite und waren Verlierer. Es fielen in dieser wohl größten Schlacht vor dem 20. Jahrhundert nicht nur ca. 90.000 Soldaten, sondern die BewohnerInnen der Stadt waren die Leidtragenden einer daraus resultierenden Typhus-Epidemie. Von daher bestand bei diesen zunächst kein gesteigertes Interesse daran, diese Schlacht erinnernd zu feiern. Die Idee dazu und zu einem nationalen Denkmal hatte der Kriegsteilnehmer und Dichter Ernst Moritz Arndt 1814. Und damit begann die unterschiedliche Deutung des Ereignisses: Während der preußische Oberst von Müffling mit dem von ihm zuerst verwendeten Terminus „Völkerschlacht“ die Truppen absolutistischer Herrscher in einem Kabinettskrieg meinte, sahen patriotische Zeitgenossen darin ein Synonym für den Freiheitskrieg der Völker zur nationalen Emanzipation und sie stellten liberale Forderungen. Doch waren Feiern oder gar ein Denkmal für nationale Einheit und Freiheit bei den restaurativen Kräften nicht erwünscht. Vielmehr ließen diese eigene Völkerschlachtdenkmäler als Herrscherapotheose errichten (z. B. Befreiungshalle Kehlheim, Kreuzberg-Denkmal in Berlin).

Der Wille zum Denkmal

Als 1871 die nationale Einheit schließlich Realität wurde, verblasste die Erinnerung an 1813 schnell, da nun die Schlacht von Sedan im Mittelpunkt stand. Dem wollte der vom Leipziger Architekten Clemens Thieme 1894 gegründete Deutsche Patriotenbund entgegenwirken. Das von diesem realisierte und bei einem mehrtägigen Massenspektakel – erstmals mit Souvenirhandel und Eventcharakter – zum 100-jährigen Jubiläum 1913 eingeweihte Völkerschlachtdenkmal sollte eine Geschlossenheit der nationalen Volksgemeinschaft demonstrieren. Daran schlossen im weiteren Zeitverlauf die NationalsozialistInnen an: Am 125. Jahrestag im Jahr 1938 nutzten sie das Denkmal als Versinnbildlichung der Volksgemeinschaft und die Völkerschlacht von 1813 als Argument für den totalen Krieg. Die SED-Führung leitete nach 1945 die Waffenbrüderschaft zwischen der Nationalen Volksarmee und Roten Armee historisch von der Völkerschlacht her und stilisierte den Ausgang der Schlacht als Sieg des „Volkes“, bis dies schließlich mit der Wiedervereinigung 1990 endgültig obsolet wurde.

Und 2013?

All dies taucht auf der Homepage zum Doppeljubiläum von 2013 kaum auf. Da wird die europäische Identität historisch mit der Völkerschlacht begründet und eine erfolgreiche, in sich stimmige europäische Traditionslinie „Leipzig 1813 – 1913 – 2013“ demonstriert. Die Stadt beschwört den europäischen Zusammenhalt als Erbe und Auftrag für die Zukunft bei einer Podiumsdiskussion mit Künstlern oder bei „Politischen Begegnungen im Herzen Europas“ – die Bundesregierung hat sich übrigens am Festakt nicht beteiligt, was offensichtlich zu Problemen bei der Auswahl standesgemäßer europäischer Politik-Vertreter geführt hat. Ansätze eines kritischen Umgangs mit der Vergangenheit lassen sich auf den ersten Blick an sehr wenigen der ca. 100 Veranstaltungen im Jubiläumsjahr ausmachen: Das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig möchte in einer Ausstellung dem Thema „Helden nach Maß – Dem Gründungsmythos auf der Spur“ Geschichtsbilder der vergangenen Jahrhunderte aufdecken, und in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr findet die für Jubiläen obligatorische wissenschaftliche Tagung statt.

„Kanonenknall und Hausidyll“

Das Gros der Events orientiert sich an anderen Zielen. So wird das frisch restaurierte Völkerschlachtdenkmal von einem Lichtkünstler illuminiert, mit einem Theaterstück „Imagine Europe“ bespielt und dadurch – so die Hoffnung der Veranstalter – von genügend vielen neugierigen Touristen bewundert. Als Publikumsmagnet soll weiter ein „monumentales 360°-Panorama“ mit Soundtechnik des Künstlers Yadegar Asisi sorgen, das den Zustand der Stadt 1813 mit Truppen und Verwundeten präsentiert. Der städtische Fremdenverkehr wirbt mit Rad- oder Videobustouren „zur Völkerschlacht“, mit Nachtwächterrundgang, Monarchenball oder Jubiläumsgolfturnier. Etliche Veranstaltungsthemen wirken eher als Notlösung, denn als ernsthafte Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Gegenstand des Jubiläums: „Kanonenknall und Hausidyll“, Kunsthandwerk, Tafelkultur oder Kinderspiele zur Zeit der Völkerschlacht. Schließlich möchten alle örtlichen Vereine vom fetten Ertrag des Gedenkjahres ein Stückchen abhaben – selbst wenn es nur interessierte Besucher sind.
In einer Gedenkwoche „Versöhnung im Zeichen des Glaubens“ wecken rituelle Formen Gefühle: Kranzniederlegungen, Pflanzung von Friedensbäumen, „Europäische Friedensmusik“, Gottesdienste, Friedenscamps und -gebete. Eine symbolische Aufladung erfährt das Gedenkjahr mit dem bewusst gesetzten, offiziellen Endpunkt am Totensonntag. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Re-enactment-Events: Patrouillenritte, Exerzierübungen und v. a. Gefechte, dargeboten von „weit über 5.500 Teilnehmern aus aller Welt“. Hier kommt der Verdacht auf, die Mitwirkenden erfreuen sich am Schauder der Völkerschlacht von 1813 – auch wenn pro forma eine Gedenkminute eingelegt wird.

Bagatellisierung

Augenfällig ist am dicken Programmkalender des nunmehr kulturpolitisch und touristisch geprägten Erinnerungsfestes abzulesen: Es wird verschönt, bagatellisiert, ausgewählt. Bleibt nur zu hoffen und zu wünschen, dass dieser Schein trügt und doch genügend Raum für die kritische Reflexion der Geschichte von Völkerschlacht und Denkmal geboten wird.

 

 

Literatur

  • Keller, Katrin / Schmid, Hans-Dieter (Hrsg.): Vom Kult zur Kulisse. Das Völkerschlachtdenkmal als Gegenstand der Geschichtskultur, Leipzig 1995.
  • Schäfer, Kirstin Anne: Die Völkerschlacht, in: Franҫois, Etienne / Schulze, Hagen (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 2, München 2001, S. 187-201.
  • Thamer, Hans-Ulrich: Die Völkerschlacht bei Leipzig. Europas Kampf gegen Napoleon, München 2013.

Externe Links

 

Abbildungsnachweis
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Empfohlene Zitierweise
Fenn, Monika: 200 Jahre Völkerschlacht – Was bleibt nach der Eventisierung? In: Public History Weekly 1 (2013) 2, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-192.

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