Aller Anfang ist schwer … Materialien zum Studium des Chinesischen anno 1815

Am Beginn der akademisch institutionalisierten  Sinologie steht ein kleines unscheinbares Bändchen: das Programme du cours de Langue et de Littérature chinoises et de Tartare-Manchou[1] von Jean-Pierre Abel-Rémusat (1788-1832), Am 16. Januar 1815 hielt er, der 1814 den Lehrstuhl für “langue et littérature chinoises et tartares-mandchoues” erhalten hatte,  seine Antrittsvorlesung am Collège Royal.

Jean Pierre Abel Rémusat: Programme du cours de langue et de littérature chinoises et de tartare ... (Paris 1815)
Jean Pierre Abel Rémusat: Programme du cours de langue et de littérature chinoises et de tartare … (Paris 1815) | Quelle: Internet Archive

Abel-Rémusat behandelt in “Discours sur l’Origine, les Progrès et l’Utilité de la Culture du Chinois en Europe” zunächst kurz die bisherigen Versuche, die chinesische Sprache zu erlernen, stellt der angeblichen ‘Unerlernbarkeit’ des Chinesischen die raschen Fortschritte einiger Missionare entgegen – und widmet sich dann den Anfängen der Chinakunde in Europa.

Im Anschluss sind die Programme des Unterrichts in Chinesisch udn Mandschurisch zusammengestellt, ergänzt durch Listen der dafür benötigten Bücher[2] – Wörterbücher, Grammatiken und Textsammlungen.
Für den Chinesisch-Unterricht sind das sieben Titel:

La Grammatica sinica d’Etienne Fourmont;

Étienne Fourmont: Linguæ Sinarum Mandarinicæ hieroglyphicæ grammatica duplex, latinè & cum characteribus sinensium. Item sinicorum Regiæ Bibliothecæ librorum catalogus (Paris: Guerin, 1742) – Digitalisate → Bibliotheca Sincia 2.

[...]

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/2204

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“Proust und die Farben in der Materialität der Literatur” – Prof. Dr. Hendrik Birus zu Gast beim GRK1678

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“Stack of book bottoms” by Kristy / CC BY-NC-SA 2.0

Die Materialität der Literatur wird vielfach gerade dort sichtbar, wo im eigentlichen Sinn nicht von ihr die Rede ist. Diese Eigenheit der Literatur zeigte eindrücklich der Vortrag “Proust und die Farben in der Materialität der Schrift“den Prof. Dr. Hendrik Birus am 21. Oktober 2014 im Rahmen eines von Prof. Dr. Vittoria Borsò organisierten Workshops gehalten hat. Die Veranstaltung war aber nicht nur in thematischer Hinsicht ein Gewinn. Vielmehr profitierten wir auch in einem offenen Gespräch mit Hendrik Birus über das akademische Leben von seiner langjährigen Erfahrung.

 

Prousts sparsamer Farbgebrauch

Anders als die Literatur der décadence, für die eine detailreiche und materialverliebte Farbgebung geradezu charakteristisch ist, koloriert Proust seine Texte – trotz zeitlicher wie ästhetischer Nähe zum Fin de siècle – mit Zurückhaltung. In der Recherche hält sich Proust mehrheitlich an die Farben blau, grün, gelb, orange, rot, rosa und violett. Zuweilen benutzt er spezifische Farbtöne wie golden, silbern oder mauve. Auch die Malerei erhält eine andere Funktion in Prousts Prosa, als sie in Werken von Joris-Karl Huysmans und Oscar Wilde besaß. An der Malerei, der Farbkunst schlechthin, interessieren z.B. den Erzähler der Recherche mehr als die Farb- und Lichtästhetik die physiognomischen und gestischen Analogien zwischen den Romanfiguren und den Porträts. So weit die erste Bestandsaufnahme, die Birus mit stupender Werkkenntnis machte.

Proust verwahrt sich, so Birus weiter, sehr bewusst gegenüber der realistischen, ja materialistischen Ekphrasis der décadence. Der Grund für seine ablehnende Haltung gegenüber einer ›malerischen‹ Prosa sind die Materialien der Künste und ihre Wahrnehmung durch den Rezipienten, die Proust für grundverschieden hält: Es sei irrig zu glauben, “que l’homme serait plus heureux, capable d’une poésie plus haute, si ses yeux étaient susceptibles de voir plus de couleurs […].”[1] Trotz Prousts kritischer Haltung wäre es falsch anzunehmen, dass seine Texte ‘farblos’ seien. Im Gegenteil, die Farben besitzen bei Proust narrativen und dichtungstheoretischen Bedeutung.

Die Differenz der Wiederholung

Ein Bereich, in Proust Farben einsetzt, ist die Personen- und Milieucharakterisierung. So sind Odette und Albertine zwei ‘rosa Damen’, deren Körper, Kleider oder Dekorationen immerzu diese Farbe besitzen. Größere Gesellschaften sind dagegen von einem indifferenten Grau, lediglich kontrastiert durch einige Farbtupfer weiblicher Figuren. Birus verglich diese Technik mit Wagners Leitmotiv und betonte im gleichen Atemzug, dass es sich hier nicht um simple Wiederholungen von attributiven Zuschreibungen handelt. Mit Blick auf die Wahrnehmung des Lesers müssen die Wiederholungen im Sinne von Déleuze als ständige Ausdifferenzierungen gelesen werden. Zu den differenzierenden Eigenschaften der Wiederholung in der literarischen Zeitstruktur hätte ich gerne mehr erfahren, doch dazu zum Ende dieses Berichts mehr.

Poetik der Namen

Birus schlug zunächst eine andere Richtung ein und wandte sich einem seiner Spezialgebiete zu: die Poetik der Namen. Eigennamen besitzen in Prousts Werk eine doppelte Funktion. Sie bezeichnen zum einen ein tatsächlich Existierendes und eröffnen zum anderen einen imaginären Raum, in dem sich die Triebhaftigkeit der Einbildungskraft mit den Mitteln des Traums verwirklichen kann. Dazu ist es unabdingbar, dass zwischen dem Wahrnehmenden und dem Objekt eine räumliche oder zeitliche Entfernung existiert, weil die Einbildungskraft – und somit die Kunst – nur in der Distanz ihre Wirkung entfalten kann. Eine weitere Voraussetzung für die Poetik der Namen ist, wie Birus allerdings erst später im Zusammenhang mit Prousts Stil ausführte, das berühmte mémoire involontaire. Zugespitzter, als Birus es selber formulierte, ließe sich sagen, dass die Einbildungskraft nach Proust durch das regulierende Bewusstsein gehemmt wird und daher nur die plötzliche und nicht willentlich gesuchte Erinnerung ihre Macht entfesselt.

Farbige Namen im Resonanzraum der Literatur

Was haben aber Namen und Farben miteinander zu tun? Nun, erstens gebraucht Proust anlässlich erinnerter Stadtnamen ein Spektrum an Farben, die in seinem Werk ihresgleichen suchen[2], zweitens formuliert er in einem Brief an Prinz Antoine Bibesco im November 1912 den Zusammenhang zwischen Erinnerung und Bewusstsein mit einem Maler-Gleichnis. Proust stellt fest, dass ‘unser bewußtes Gedächtnis so malt wie die schlechten Maler ihre Bilder: mit unechten Farben’.[3] Das Wirkliche und damit auch die Farben, die Proust sucht, liegen außerhalb der Zeit und entsprechen einer verborgenen ‘essence des choses’[4], die nicht einfach durch bewusstes Sehen erscheint. Diese Essenz der Dinge, die zugleich wirklich wie augenblickslos, ideell wie konkret ist, materialisiert sich – oder genauer : wird erfahrbar – im Kunstwerk, in dem die sinnliche Wirklichkeit und die Einbildungskraft frei nach Schiller ein Spiel miteinander eingehen.

Aber damit diese Essenz der Dinge in der Literatur aufscheinen kann, muss der Schriftsteller nach Proust auch den richtigen Stil besitzen. Die positivistische Detailtreue entspricht diesem Stil nicht, wie Proust wiederum im Vergleich mit dem Malen ausführt: ‘[…] le style pour l’écrivain aussi bien que la couleur pour le peintre est une question non de technique mais de vision. Il est la révélation, qui serait impossible par des moyens directs et conscients, de la différence qualitative qu’il y a dans la façon dont nous apparaît le monde, différence qui, s’il n’y avait pas l’art, resterait le secret éternel de chacun.’[5] Die Wirklichkeit muss also, so könnte man schließen, im individuellen Sehen des Schriftstellers, das sich maßgeblich in und durch die Materialität der Sprache bildet, umgewandelt werden. Erst dann scheint das Wahrnehmen – und nicht die Wahrnehmung, wie Vittoria Borsò in der folgenden Diskussion zu Recht betonte – auf.

Nur die Materialität der Literatur ermöglicht bei Proust diese genuin ästhetische Vermittlung des Wahrnehmens, wofür Birus auch ein schönes Beispiel zitierte. Proust notiert sich zu Gérard de Nervals Silvie folgende Worte: “La couleur de Sylvie, c’est une couleur pourpre, d’une rose pourpre en velours pourpre ou violacée […]. À tout moment ce rappel de rouge revient, tirs, foulards rouges, etc. Et ce nom lui-même pourpré de ses deux i : Sylvie, la vraie Fille du Feu.”[6] Erst im Resonanzraum der Literatur können die i’s von ›Sylvie‹ purpurn werden, lautete das einleuchtende Fazit von Birus.

Weitere Perspektiven

Der material- und kenntnisreiche Vortrag des leidenschaftlichen Lesers Hendrik Birus beleuchtete Prousts Verhältnis zu den Farben, ein Thema, das bisher in der Forschung eher wenig beachtet wurde. Dennoch zeigte die Diskussion, dass Prousts Farben noch nicht erschöpfend behandelnd wurden. Vielmehr kann Birus’ Proust-Lektüre zum Ausgangspunkt weiterer Überlegungen genommen werden. Zu kurz gerieten nach meinem Geschmack die Ausführungen zur Materialität der Literatur. Prousts Umgang mit Farben weist auf eine Souveränität der Schrift gegenüber anderen Künsten wie der Malerei oder der Musik, wie Prof. Dr. Roger Lüdeke u.a. bemerkte. Ergänzend könnte hier noch hinzugefügt werden, dass die Souveränität und die Materialität der Schrift nach Birus’ Darstellung in Prousts Werk nur negativ ausformuliert werden. Die genuine Materialität der Schrift scheint bei Proust durch ihre Differenzierungsfunktion bestimmt zu sein – z.B. als Differenz zur Malerei, als Differenz in der Zeit oder als Differenz im Material. Die Differenz im Material lässt sich besonders gut an Birus’ letztem Beispiel ausführen. Das Medium der Literatur, die Schrift, ist nämlich in seiner materiellen Eigenschaft selber hybrid: Die Schrift ist zugleich visuell und akustisch, weswegen Proust bei ‘Sylvie’ erstens zwei ‘i’ lesen kann, die er zweitens auch noch in purpurner Farbe ‘sieht’.

Weitere Anschlussmöglichkeiten bieten der zeitliche Kontext sowie andere methodische Zugänge zum Werk. An einem sehr schönen Textbeispiel aus der Recherche, das die wechselnden Ansichten eines Sonnenaufgang während eine kurvigen Zugfahrt erzählt[7], führte Birus Prousts Polyperspektivismus vor, der an den Kubismus in den 1910er Jahre erinnert. Da die Zugfahrt um 1900 auch ein erkenntnistheoretisches Dispositiv darstellte, das zudem durch den medialen Umbruch zum bewegten Kinobild geprägt war, könnte hier weiter gehend gefragt werden, ob die Sprache nicht ‘technisch’ wird bzw. die Technik der literarischen Sprache eingeschrieben ist. Martin Bartelmus schlug des Weiteren vor, Prousts Farben in Anlehnung an Latour nicht als Zwischenglieder zu lesen, die schlicht eine kausale oder referenzielle Funktion haben, sondern als Mittler, die im Text zum agens werden und ganz bestimmten Handlungsformationen generiert. Thomas Krämer dagegen verband Prousts Poetik mit Derridas supplément. Der konstitutive Bedeutungsüberschuss des Zeichens würde in dieser Lesart die verlorene Zeit einholen können.

 

Promotion als Hürdenlauf

Trotz dieser Ergänzungen und Anschlussmöglichkeiten führte die Diskussion des Vortrags nochmals vor Augen, wie gehaltvoll und inspirierend die Ausführungen von Hendrik Birus waren. Die Diskussion war auch ein gutes Beispiel für seine Offenheit, die eigenen Thesen unvoreingenommen zu diskutieren. Zuletzt entwickelte sich ein Gespräch über die nicht immer einfache Promotionszeit. Es tat sicherlich einigen TeilnehmerInnen gut, von einer solch verdienten akademischen Persönlichkeit zu hören, dass die Widerstände und Krisen einfach dazugehören, ja sogar die Voraussetzung für eine gute Arbeit sind. In seinen Worten entspricht die Promotion in einem Graduiertenkolleg einem “Hürdenlauf” – aber wohl eher einer über 400 als über 110 Meter, möchte man anfügen.

 

 

[1] Marcel Proust, À la recherche du temps perdu III, Paris 1988, S. 912.

[2] Gemeint ist hier die erinnerte Kindheitssehnsucht der Fahrt mit dem ›Einuhrzweiundzwanzig-Zug‹ nach Balbec. Vgl. Marcel Proust, À la recherche du temps perdu I, Paris 1987, S. 381f.

[3] Proust an Prinz Antoine Bibesco, [November 1912], in: Marcel Proust, Briefe zum Werk, Frankfurt a.M. 1964, S. 210.

[4] Marcel Proust, À la recherche du temps perdu IV, Paris 1989, S. 450

[5] Marcel Proust, À la recherche du temps perdu IV, Paris 1989, S. 474.

[6] [Gérard de Nerval], in: Marcel Proust, Contre Sainte-Beuve, Paris 1971, S. 232-242.

[7] Marcel Proust, À la recherche du temps perdu II, Paris 1988, S. 15f.

Quelle: http://grk1678.hypotheses.org/155

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Programm und Sprache

Eigentlich hatte ich einen Artikel zu meiner Sicht auf das Verhältnis zwischen Programmiersprachen und Fremdsprachen hier in diesem Blog geplant. Monsieur @quantenwelt, der mit einem Tweet meinen Nachdenkprozess überhaupt erst in Gang gesetzt hatte, schlug aber vor, dass wir das im Kneipenlog an der Bar klären. Und wer schlägt schon eine Einladung in die eigene Lieblingskneipe aus? Zum Gespräch also hier entlang.

Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/1200

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“Geistermauern”: Architektur – Redewendung – Weltbild

Die in der traditionellen chinesischen Architektur unmittelbar hinter dem Eingangstor eines Anwesens platzierte kurze Mauer wird im Deutschen “Schattenmauer” (eine wörtliche Übersetzung des dafür gängigen Begriffs yingbi 影壁) oder auch “Geistermauer” genannt.[1]. Befindet sich eine solche Mauer vor dem Eingangstor eines traditionellen chinesischen Gebäudes, wird sie  zhaobi 照壁 (“Spiegelmauer”) oder zhaoqiang 照墻 (“Spiegelwand”) genannt – diese Wände konnten auch aus Holz gefertigt sein.

yingbi 影壁

Eine “Geistermauer” auf dem Gelände des “Neuen Sommerpalastes” (Yiheyuan 頤和園), Beijing – Foto: Georg Lehner 

Der Zweck einer solchen Wand liegt auf der Hand:

“Sie verhindert, daß böse Geister ins Haus eindringen, weil Geister nur schnurgeradeaus gehen und nicht den Bogen um die Schattenmauer machen können.”[2]

Wohl auf diesen Aspekt spielt auch die chinesische Redewendung zhuan yingbi 轉影壁 (“sich um die Geistermauer herumdrehen”) an, was nichts anderes bedeutet als “wie die Katze um den heißen Brei herum gehen”, also “es zu vermeiden, die Wahrheit zu sagen”[3]

Was mit den “bösen Geistern” gemeint ist, erläuterte bereits der Architekt Ernst Boerschmann (1873-1949) im ersten Band seines Werkes Die Baukunst und religiöse Kultur der Chinesen:

“[...] gewissermaßen die negative Bestimmung jener Geistermauer, nämlich der Abschluß gegen fremde Einflüsse, daher der Name Yin pi, Schattenmauer. Das Volk, das alle feinen Gedanken vergröbert und versinnlicht, bezeichnet diese Einflüsse als böse Geister, und im Hinblick darauf haben wir fremden bisher ein Recht gehabt, von einer Geistermauer zu reden, die den bösen Geistern verbietet, schnurstracks ins Innere zu gelangen.”[4]

Die “positive Seite” dieser Abschirmungswand strich Boerschmann jedoch ebenfalls hervor:

“ist die Offenbarung der Weltidee, wie man sie sich heimisch wünscht im Hause oder im Tempel. Die Mauer, die darum auch, wie wohl seltener Chao pi, Spiegelmauer, genannt ist, soll den Gedanken des Ewigen wiederspiegeln, konzentriert wie in den Zauberspiegel des Lao tsze, in dem man die Geheimnisse der Natur erkennt, wie in einem Brennpunkt. Deshalb sind auf dieser Mauer [...] als dem Spiegel, entsprechende Darstellungen angebracht, die jene Weltanschauung widerspiegeln sollen. Umgekehrt wird auch der Weltgedanke von diesem Spiegel wieder zurückstrahlen und in die Anlage, in die Herzen der Bewohner verstärkt eindringen. Es ist die gleiche Vorstellung, wie von dem Zauberspiegel unserer Märchen, in denen auch etwas aus dem Spiegel heraus ersehen wird, was nicht nur rückstrahlend ist.”[5]

  1. Weitere gängige Übersetzungen: Schutzmauer, Schutzwand (gegen böse Geister).
  2. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl., 1996) 250. Vgl. dazu auch Walter Böttger: Kultur im Alten China (Leipzig 1977) 116. sowie Hochschule Ludwigshafen am Rhein: Ostasienlexikon, Stichwort “Geistermauer”.
  3. Grand Dictionnaire Ricci, Bd. 2, S. 163 (Nr. 2599).
  4. Ernst Boerschmann: Die Baukunst und religiöse Kultur der Chinesen. Bd. 1: Pu t’o shan. Die heilige Insel der Kuan yin, der Göttin der Barmherzigkeit (Berlin 1911) 42.
  5. Ebd.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1182

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Farben machen Leute (II): Masken auf der Bühne

Im traditionellen chinesischen Singspiel (“Oper”) erlauben die Farben der Masken Rückschlüsse auf den den einzelnen Rollen zugeschriebenen Charakter. Die folgenden Notizen geben lediglich einen ersten Überblick[1], bedürfen aber wohl noch der Ergänzung und gegebenenfalls mancher Präzisierung und Korrektur.[2].

Ist das Gesicht des Darstellers hinter einer roten Maske verborgen, so wird damit die Rolle des positiven Helden assoziiert, oft ist dies ein Hinweis auf den Kriegsgott Guandi.[3]. Die Farbe Purpur steht einerseits für Pietät, andererseits aber auch für “ruhige, loyale Beamte”.[4]

Blau kennzeichnet die Darsteller “ruchloser und verbrecherischer Personen”[5], es kann aber auch ein Gespenst symbolisieren.[6]

Ein mattes Weiß lässt auf “eine verbrecherische, gerissene, aber in angesehener Stellung befindliche Person”[7] schließen.  Die so dargestellten Charaktere gelten als besonders hinterlistig und werden als “Tofugesichter” bezeichnet – in Anspielung auf die weißgelbe Farbe, die dem “Bohnenkäse” eigen ist.[8]. Die Farbe Schwarz hingegen steht für eine “grobe, aber ehrliche Person.”[9]

Die Farbsymbolik der Masken hat auch Niederschlag in einigen Redewendungen gefunden: so bezeichnet bai bizi 白鼻子 (d. i. “weiße Nase”) eine hinterlistige Person. Ähnliche Beispiele sind chang heilian 唱黑臉 (“eine schwarze Maske tragen”, d.i. “ungeachtet der freundschaftlichen Beziehungen offen und aufrichtig reden”) und chang honglian 唱紅臉 (“eine rote Maske tragen”, d.i. “den Großzügigen und Wohlgesinnten spielen”).[10]

  1. Der Artikel “Pekingoper” des am Ostasieninstituts der Hochschule Ludwigshafen am Rhein erstellten  Ostasienlexikons fällt hinsichtlich unseres Aspekts – und auch nach Korrektur der Wortstellung – eher dürftig aus: “Ein ganz weißes Gesicht besagt, dass die Figur böse ist. Ein rotes Gesicht soll den Mut der Person hervorheben. Ein schwarzes Gesicht ist ein normales [?] Gesicht. Ein weißer Fleck auf der Nase bedeutet, dass die Person komisch ist.”
  2. Kurze Überblicke auch bei Ronald G. Knapp, Michael Freeman: Things Chinese. Antiques – crafts – collectibles (Tokyo/Rutland VT/Singapore 2011) 118 f. (‘Opera Masks’
  3. Vgl. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl. 1996) 245 (“Rot”).
  4. Ebd., 177 („Lila“ [zi 紫]).
  5. Djin Ping Meh. Schlehenblüte in goldener Vase. Ein Sittenroman aus der Ming-Zeit. Herausgegeben und eingeleitet von Herbert Franke. Bd. 6: Kommentare (Berlin/Frankfurt a. M. 1987) 141 f. (53a).
  6. Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole, 40 („Blau“).
  7. Djin Ping Meh, Bd. 6, S. 142 (53a).
  8. Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole, 301 („Weiß“).
  9. Djin Ping Meh, Bd. 6, S. 142 (53a).
  10. Vgl. dazu Fan Yanqian: Farbnomenklatur im Deutschen und im Chinesischen. Eine kontrastive Analyse unter psycholinguistischen, semantischen und kulturellen Aspekten (Frankfurt a. M. 1996) 262 (mit Anm. 363) und ebd. 270 Anm. 380.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1082

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Sprachlos im Geschichtsunterricht?

 

„Das Beherrschen der deutschen Sprache ist der Königsweg zur Bildung.“ Schlagzeilen wie diese begleiten die Diskussion der hoffnungsvoll stimmenden aktuellen PISA-Ergebnisse. Durchgängige Sprachförderung und sprachsensibler Fachunterricht scheinen demnach Schlüssel zum Bildungserfolg. Ungeklärt ist jedoch das Verhältnis von Fachlernen und Sprachlernen. Welches Potential birgt eine Wende von der Sprache der Geschichte zum Sprachhandeln der Schülerinnen und Schüler?

 

Von Alltagssprache und Schulsprache

Ein Feuilletonist feierte kürzlich die Schulkomödie „Fack ju Göhte“ als „hundertprozentige Injektion […] deutscher Wirklichkeit“, weil sie durch eine „absolute Zeitgemäßheit und Gegenwärtigkeit“ der Sprache besteche. „Ein grobes, derbes, wunderbar falsches Deutsch, das auf Anhieb einleuchtet“, heißt es da. Die verfilmten „feinen Unterschiede“ zwischen Schulsprache und Alltagssprache locken derzeit ein Millionenpublikum ins Kino, vielleicht weil hier ein allseits bekanntes Problem schulischen Sprachgebrauchs karikiert wird.1

Spracherwartungen als „geheimes Curriculum“

Doch die in den letzten Jahren wiederholte Forderung nach durchgängiger Sprachförderung reagiert nicht nur auf altbekannte Differenzen. Vielmehr erfährt die Rolle schulischen Sprachlernens eine Neubewertung. Nachdrücklich wird Sprachlernen als spezifische Herausforderung der Einwanderungsgesellschaft anerkannt, und sprachliche Kompetenzen werden als kulturelles Kapital der Kommunikations- und Wissensgesellschaft aufgewertet. Daher gewinnen die Sprachbildung und das Sprachhandeln der Schülerinnen und Schüler an Bedeutung. In der Lesart der funktionalen Linguistik eröffnet erst das Wissen um die Funktion sprachlicher Mittel Schülerinnen und Schülern sprachliche Wahl- und damit auch alternative Denkmöglichkeiten, die im Unterricht durch aktives und domänenspezifisches Sprachhandeln gefördert werden müssen. Diese integrale Betrachtung von Sprache und Denken, von Sprachlernen und Fachlernen wirft die Frage nach den fachspezifischen sprachlichen Anforderungen auf, die jenseits der Fachbegriffe im Unterricht selten erläutert werden. Im Fachunterricht erwarten Lehrerinnen und Lehrer vielmehr selbstverständlich sprachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die wachsende Zahl von Schülerinnen und Schülern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, und Lernende aus bildungsfernen Milieus treffen damit auf Sprachbarrieren und können die sprachlichen Lernchancen im Unterricht nicht hinreichend nutzen. Die sprachliche Erwartungshaltung der Schule bleibt so ein „geheimes Curriculum“, an dem viele Lernende durch Unkenntnis und mangelnde Förderung scheitern.

Von fachspezifischer Sprachpragmatik und fachsprachlichen Problemlagen

Aus geschichtsdidaktischer Sicht stellt der Zusammenhang von Sprache und Denken keine Neuentdeckung dar. Beim historischen Erzählen als Schlüsseloperation historischen Lernens fungiert Sprache als Erkenntnis- und Sinnbildungsstruktur, und narrative Kompetenz schließt die Reflexion über die sinnstiftende Funktion von Sprachhandlungen ein. Eigentlich hat gerade die Kompetenzdebatte für die Sprachgebundenheit historischen Lernens sensibilisiert: Als Beispiele seien Begriffslernen, Quelleninterpretation, Gattungskompetenz, Analyse von Darstellungstexten genannt – man könnte die Aufzählung beliebig fortsetzen. Doch, wie bereits Hilke Günther-Arndt anmerkte, steht eine Systematisierung des Verhältnisses von Sprache und historischem Lernen bislang aus.2 Zudem hat die geschichtsdidaktische Hinwendung zur Sprache im Fach zunächst wenig damit zu tun, dass Lernprobleme sprachlicher Natur sind. Sie ist vielmehr geschichtstheoretisch motiviert und vom Lerngegenstand her gedacht. Eine Analyse von Lehrer- und Schülersprache im Geschichtsunterricht, die Becher und Lucas bereits 1976 anmahnten, bleibt ein dringliches Desiderat. Eine fachspezifische Sprachpragmatik, eine Pragmatik des Lesens und Schreibens, steckt erst in den Anfängen.3 Was die sprachlichen Anforderungen des Geschichtsunterrichts betrifft, dann hinterlässt auch ein vergleichender Blick in die Curricula eher Ratlosigkeit.4 Dagegen erhärten empirische Befunde zum Schulbuchverständnis, zum Begriffsverstehen oder Untersuchungen von Abituraufsätzen die Einsicht, dass fachliche und sprachliche Problemlagen nicht zu trennen sind.

Von zweitem „linguistic turn“ und sprachlichen Normierungsprozessen

Braucht die Geschichtsdidaktik also einen zweiten „linguistic turn“? Die Frage scheint fast schon rhetorisch. Auf europäischer Ebene ist bereits ein Rahmen für die Sprachförderung in den einzelnen Fächern gezimmert.5 Daher ist das Fach Geschichte vielleicht bald PISA-reif und Sinnbildungsleistungen können entlang sprachlicher Marker endlich vermessen werden. Öffnet man so vielleicht unbewusst Raum für sprachliche Normierungsprozesse, wie ein Lehrer auf einer Kieler Fortbildung kritisierte? Wenn sprachliche Anforderungen zum Gradmesser fachlicher Leistungen werden – so sein Argument – dann werde die Ausgrenzung über Sprache zum bildungspolitischen Programm. Er verstünde auch ohne „Konjunktiv“ und relativierende Modalwörter, was seine Schüler meinten.

Dass mit dem Fall Jenninger der fehlende Konjunktiv bereits ein eigener Gegenstand historischen Lernens ist, steht auf einem anderen Blatt.6

 

 

Literatur

  • Becker-Mrotzek, Michael u.a. (Hrsg.): Sprache im Fach. Sprachlichkeit und fachliches Lernen. Münster u.a. 2013.
  • Schleppegrell, Mary J.: The Language of Schooling. A Functional Linguistics Perspective. Mahwah/NJ 2004.
  • Schrader, Viola: Geschichte als narrative Konstruktion. Eine funktional-linguistische Analyse von Darstellungstexten in Geschichtsschulbüchern. Münster 2013.

Externer Link

Auswahlbibliographie “Sprache und Geschichtslernen” bei historicum.net, verfügbar unter der URL http://www.historicum.net/kgd/auswahlbibliographie/theorien-und-grundlagen/#jumpLink4 (abgerufen am 5.1.2014).

 

Abbildungsnachweis
Bild Sprache(n) historischen Lernens, © Saskia Handro 2013

Empfohlene Zitierweise
Handro, Saskia: Sprachlos im Geschichtsunterricht? In: Public History Weekly 2 (2014) 1, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-957.

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Bilingualer Geschichtsunterricht. Ein Puzzle, das nicht passt?

 

Bilingualer Geschichtsunterricht liegt im Trend. Eltern und ihre Kinder erhoffen sich eine gute Vorbereitung auf die zunehmend internationalisierte Berufswelt, während viele Schulen mit ihm um die Gunst leistungsstarker SchülerInnen buhlen. Von GeschichtsdidaktikerInnen wird sein Mehrwert für das historische Lernen dagegen oft kritisch beurteilt. Es ist deshalb an der Zeit, neu und anders über bilingualen Geschichtsunterricht nachzudenken.

 

Entdeckung der Sprachlichkeit

Als guter Ausgangspunkt erweist sich hier die zunehmende Beschäftigung mit dem allgemeinen Verhältnis von Geschichte und Sprache in der Geschichtsdidaktik, sowohl auf theoretischer als auch auf empirischer Ebene. Sie hat unter anderem zu einer verstärkten Wahrnehmung von Forschungsansätzen aus dem englischsprachigen Raum geführt, die z.B. mittels funktional-linguistischer Ansätze Schülertexte analysieren und daraus Folgerungen für eine fachspezifische Sprachförderung im Geschichtsunterricht ableiten.1 Bislang beziehen sich diese Beiträge jedoch weitgehend auf Geschichtsunterricht, der in der Muttersprache der SchülerInnen erteilt wird.2

Wirklich nichts Neues an der Bilingualität?

Die spezifische geschichtsdidaktische Diskussion über bilingualen Geschichtsunterricht hat dagegen andere Schwerpunkte gesetzt. Verstanden als „eine Form des Sachfachunterrichts, in der neben der Muttersprache eine Fremdsprache in methodisch reflektierter Form als Material und Arbeitssprache verwendet wird“,3 attestieren die AutorInnen ihm vielfach ein besonderes Maß an „Multiperspektivität“ und „Fremdverstehen“, das vermeintlich auch empirisch nachgewiesen werden konnte.4 Immer wieder betont wird in diesem Zusammenhang, dass bilingualer Geschichtsunterricht sich nicht als Sprachunterricht instrumentalisieren lassen dürfe, sondern in erster Linie als Geschichtsunterricht konzipiert sein müsse. Es drängt sich dabei jedoch der Verdacht auf, dass eine weitgehende Reduktion dieses Diskurses auf die Kategorie des „Fremdverstehens“ das didaktische Potential des bilingualen Geschichtsunterrichts erheblich unterschätzt.

Sprachsensibler Geschichtsunterricht

Sinnvoll wäre es vielmehr, sprachliches und historisches Lernen nicht als Gegensatzpaar, sondern als zusammengehörige Größe ein- und desselben Phänomens zu begreifen und die Diskurse über Sprachlichkeit und Bilingualität im Geschichtsunterricht zusammenzuführen. In methodischer Hinsicht könnte dies bedeuten, die Anregungen von Caroline Coffin (2006) für einen sprachsensiblen Geschichtsunterricht aufzugreifen und auf das historische Lernen in der Fremdsprache zu übertragen. Auch ein verstärkt interdisziplinärer Blick auf bilinguales historisches Lernen erscheint dabei hilfreich – dies kann anhand eines Blicks auf verschiedene Formen schriftlicher und mündlicher Kommunikation im Fremdsprachen- und im Geschichtsunterricht gezeigt werden.

So passt das Puzzle: Coffin (2006)

Wie wichtig Kenntnisse über Konventionen verschiedener Textgattungen für das historische Lernen sind, hat Coffin für den Bereich der Rezeption und Produktion schriftlicher Texte eindrucksvoll herausgearbeitet. Die Unterscheidung zwischen recording, explaining und arguing genres erlaubt es Coffin, nicht nur inhaltliche, sondern auch sprachliche Kriterien für die Beurteilung von Schülertexten zu identifizieren. Das bedeutet, dass SchülerInnen auch im Geschichtsunterricht lernen können, welche strukturellen, grammatischen und lexikalischen Aspekte beim Verfassen historischer Texte zu beachten sind – und sie kennen ein solches Vorgehen in der Regel schon aus ihrem Fremdsprachenunterricht. So enthalten z.B. viele Lehrmaterialien für den Englischunterricht umfangreiche Übungen, die SchülerInnen Schritt für Schritt an das Schreiben eines argumentative text heranführen, indem sie zunächst zur Identifizierung einer Textstruktur im Ganzen auffordern, um anschließend die Rolle von topic sentences und supporting sentences innerhalb eines einzelnen Absatzes erarbeiten zu lassen. Für den bilingualen Geschichtsunterricht bietet Coffins Buch zahlreiche Beispieltexte, die bei entsprechender Erarbeitung im Unterricht auch deutschen SchülerInnen einen bewussteren Umgang mit der (englischen) Sprache beim Verfassen von historischen Texten ermöglichen können. Die Entwicklung entsprechender Lehrmaterialien steht allerdings noch aus.

Sprechen!

Schwerpunktmäßig ist bilingual erteilter Geschichtsunterricht jedoch in der Sekundarstufe I als sog. mündliches Fach anzutreffen, sodass das schriftliche Verfassen historischer Texte in der Regel nicht im Zentrum des Unterrichtsalltags steht. Darum bietet im Bereich der mündlichen Kommunikation ein Blick auf aktuelle Entwicklungen im Fremdsprachenunterricht Anregungen für den Ausbau eines sprachsensiblen bilingualen Geschichtsunterrichts. Im Bemühen, Fremdsprachenlernen möglichst alltagsnah zu gestalten, steht das Bestreben im Mittelpunkt, vermehrt die mündliche Kommunikationsfähigkeit der Lernenden zu fördern. Um der Akzentverschiebung von schriftlichen auf mündliche Sprachleistungen Gewicht zu verleihen, werden bereits jetzt an vielen Schulen auf eigene Initiative (ab 2014/2015 dann von NRW-ministerieller Seite verordnet) mündliche Prüfungen als Klassenarbeitsersatz im Fremdsprachenunterricht durchgeführt. Nach vorherigen Übungsphasen zu diesem neuen Prüfungsformat werden häufig visuelle Materialien als Impulse für monologisches und dialogisches Sprechen als Partner- oder Kleingruppenaufgabe verwendet. Ein ähnliches methodisches Vorgehen könnte auch für den bilingualen Geschichtsunterricht in mehrfacher Hinsicht ertragreich sein, indem Verfahren der Bildinterpretation im bilingualen Geschichtsunterricht ritualisiert in mündlichen Unterrichtsphasen eingesetzt werden. Neben methodischen und narrativen Kompetenzen könnten so auch (fremd)sprachliche kommunikative Kompetenzen eine fachspezifische Ausrichtung erhalten.

Methodischer Realismus

Selbstverständlich sollte bilingualer Geschichtsunterricht weiterhin auch Angebote zur Förderung eines besseren Verständnisses fremder Kulturen bereithalten, was auch sonst? Realistisch erreichbar ist dieses Ziel aber nur durch einen sprachsensiblen Unterricht, der die hohen Hürden historischen Lernens in einer Fremdsprache ernst nimmt und den SchülerInnen unterrichtsmethodische Hilfestellungen für die schriftliche und mündliche Verständigung über Geschichte gibt.

 

 

Literatur

  • Coffin, Caroline: Historical Discourse. The Language of Time, Cause and Evaluation, London/New York 2006.
  • Handro, Saskia: Sprache und historisches Lernen. Dimensionen eines Schlüsselproblems des Geschichtsunterrichts. In: Becker-Mrotzek, Michael et al. (Hrsg.): Sprache im Fach. Sprachlichkeit und fachliches Lernen, Münster 2013, S. 317-333.

Externe Links

 

Abbildungsnachweis
© Rainer Sturm / pixelio.de

Empfohlene Zitierweise 
Schlutow, Martin: Bilingualer Geschichtsunterricht. Ein Puzzle, das nicht passt? In: Public History Weekly 2 (2014) 1, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1035.

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Formosanisch – Eine Fiktion des 18. Jahrhunderts

Die ‘Formosianischen Sprachen’ (langues formosanes, Formosan languages), die Sprachen der indigenen Völker Taiwans, sind für die Historische Linguistik von höchster Bedeutung. Sie bilden nach Blust mit etwa 300.000 Sprechern und 21 Sprachen 8-10 primäre Zweige des Austronesischen, während alle anderen austronesischen Sprachen (mehr als 1.100 Sprachen mit etwa 300 000 000 Sprechern) zu einem einzigen Primärzweig, dem Malaio-Polynesischen, gehören.[1] Während Blusts Theorien nicht unumstritten sind, herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass Taiwan einer der Ursprungsorte der austronesischen Sprachen ist.[2]

Im Jahr 1703 -  lange bevor die Sprachen Taiwans in den Fokus der Wissenschaft rückten – war ein exotischer Fremder mit bizarren Gewohnheiten die Sensation in London. Er nannte sich George Psalmanazar (oder Psalmanaazaar) und behauptete, ein ‘Ureinwohner’ von Formosa (Taiwan 臺灣) zu sein, von wo ihn Jesuiten nach Frankreich verschleppt hätten, wo er allerdings die Konversion zum Katholizismus verweigert hätte. In London bekehrte er sich zum Anglikanismus, was ihm bei Henry Compton (1632-1713, Bischof von London 1675-1713) Ansehen brachte und ihm die Türen zur Londoner Gesellschaft öffnete,  die nach Berichten aus exotischen Gegenden gierte. Psalmanazar spielte geschickt mit dieser Neugierde, aber auch mit antikatholischen und antijesuitischen Strömungen.[3]

1704 veröffentlichte Psalmanazar An historical and geographical description of Formosa[4] In dieser ‘Beschreibung’ Taiwans, die reine Erfindung ist, finden sich auch Bemerkungen zur Sprache und eine Tafel “The Formosan Alphabet” (Tafel nach S. 268).[5]

Psalmanaazaar: An historical and geographical description of Formosa (1704)

Psalmanaazaar: An historical and geographical description of Formosa (1704)

Während Psalmanazar bald als Schwindler entlarvt war, zogen seine Bemerkungen zum ‘Formosanischen’ noch in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts weite Kreise durch Bücher, die fremde Spachen und Schriften vorstellten, aber auch durch die sogenannten Vaterunser-Sammlungen, also Bücher, die das Vaterunser in 100 und mehr Sprachen abdrucken.

Ein Beispiel ist Benjamin Schultzes Orientalisch- und Occidentalisches A, B, C-Buch aus dem Jahr 1769.[6] Schultze (1689-1760), dem auch der Orientalische und okzidentalische Sprachmeister (1748) zugeschrieben wird,  bringt zunächst das “Alphabetum Formosanum” (S. 103).

Orientalisch- und Occidentalisches A,-B,-C.-Buch (1769)

Orientalisch- und Occidentalisches A,-B,-C.-Buch (1769)

Im Anschluss präsentiert er (weitestegehend) wortident Auszüge des entsprechenden Kapitels (S. 468-474) aus der deutschen Version von Psalmanazars Description, die 1716 von Philipp G. Hübner vorgelegt wurde..[7]

Das Wissen darum, dass Psalamanazar ein Schwindler war, verbreitete sich bald. Trotzdem blieb Psalamanzars Description im 18. Jahrhundert eine der Quellen für alles, was die Insel betraf. Auch der Verfasser des Artikel “Formosa” in Zedler’s Universal-Lexikon[8] merkt jedoch an:

Man hat aber nicht Ursache, auf dieses Auctoris [d.i. Psalmanazar] Beschreibung von FORMOSA viel zu bauen.[9]

Trotzdem stützt sich der Artikel primär auf Pslamanazar (ablesbar an der Wiedergabe der Ortsnamen), die anderen Quellen, die am Ende des Artikels genannt werden und die wesentlich ergiebiger und verlässlicher gewesen wärhen, scheinen nicht verwendet worden zu sein.

  1. Robert Blust: “Subgrouping, circularity and extinction: some issues in Austronesian comparative”. In Zeitoun, E.; Li, P.J.K. Selected papers from the Eighth International Conference on Austronesian Linguistics. (Taipei: Academia Sinica 1999) 31–39.
  2. Vgl. Ethnologue: Languages of the World, Fifteenth Edition (2005), vor allem der Abschnitt “Austronesian” <abgerufen am 21.12.2013>.
  3. Zu Psalamanzar u.a.: Benjamin Breen: “No Man Is an Island: Early Modern Globalization, Knowledge Networks, and George Psalmanazar’s Formosa”. In: Journal of Early Modern History, Volume 17, Issue 4 (2013) 391-417 – DOI: 10.1163/15700658-12342371; Michael Keevak, The Pretended Asian: George Psalmanazar’s Eighteenth-century Formosan Hoax (Detroit, Michigan: Wayne State University Press, 2004.
  4. [George Psalmanaazaar:] An historical and geographical description of Formosa … Giving an account of the religion, customs, manners, &c., of the inhabitants. Together with a relation of what happen’d to the author in his travels; particularly his conferences with the Jesuits, and others, in several parts of Europe. Also the history and reasons of his conversion to Christianity, with his objections against it (in defence of paganism) and their answers … By George Psalamanaazaar, a native of the said island … (London 1704), Digitalisate → Bibliotheca Sinica 2.0  (verschiedene Ausgaben und Übersetzungen).
  5. Zur Sprache vgl. Keevak (2004), ch. “Psalmanazar’s Language” (S. 61-97).
  6. Benjamin Schultzes Orientalisch- und Occidentalisches A, B, C-Buch (Naumburg 1769) Online: Google Books.
  7. George Psalmanazar, Philipp G. Hübner [transl.]: Historische und Geographische Beschreibung der Insel Formosa, Nebst beygefügten Ursachen, warum sich derselbe zur Christl. Religion bekannt. Mit verschiedenen Kupfern  (Franckfurt und Leipzig: Verlegts Daniel Walder/Buchhändler in Augspurg, Coburg/druckts Moritz Hagen 1716). – Digitalisat → Bibliotheca Sinica 2.0.
  8. Zedler 9 (1735) Sp. 1497 f..
  9. Zedler 9 (1735) Sp. 1497 f. s.v. “Formosa”

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1208

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Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5383

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