„Unser Friedrich“ – der 1. Europäer? Die Staufer in der populären Geschichtskultur seit den 1970er Jahren

1000 Worte Forschung: Laufendes Dissertationsprojekt an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, Neuere, Neueste Geschichte

Die Erinnerung an die Staufer war vor allem im 19. und 20. Jahrhundert zentraler Bestandteil der deutschsprachigen Geschichtskultur. Diese Rezeptionen der Stauferzeit sind bereits ausführlich betrachtet worden, etwa mit der Analyse der Interpretation der staufischen Herrscher als tragisch gescheiterte Helden in den Dramen der Romantik oder der Einschreibung der Kyffhäusersage in den Kanon deutschen Kulturguts durch die Gebrüder Grimm. Auch die Deutungen der Reichsgründung 1871 als Vollendung des staufischen Vermächtnisses ist bereits gut erforscht. Und schlussendlich die Auslegung der Stauferherrschaft als ein germanisch-völkisches Reich durch die Nationalsozialisten, welche die Neuordnung Europas durch die deutsche Nation historisch begründete.

Mit der Niederlage des Zweiten Weltkriegs verschwanden appellative, nationale Berufungen auf die „eigene“ Geschichte aus dem öffentlichen Bewusstsein und die Staufer hatten als politisch-legitimierender Mythos ausgedient. Ihre Herrschaftszeit „wurde zur Vorgeschichte mit bestenfalls antiquarischem Interesse“.

[...]

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/12128

Weiterlesen

Cui bono? Über Sinn und Nutzen einer Übersetzung der Werke Joachims von Fiore

By permission of the President and Fellows of Corpus Christi College, Oxford, ms 255A, Joachim von Fiore, Liber Figurarum, fol. 17v a) Autor und Edition Joachim von Fiore war lange Zeit eins der schwarzen Löcher des Mittelalters. Obwohl sein Name…

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/7166

Weiterlesen

Breitseiten und Rohrkrepierer – zum Verhältnis von Feuilleton, Plagiat und historischem Sachbuch

Rohrkrepierer

Rohrkrepierer einer vermutlich österreichisch-ungarischen Feldhaubitze des Ersten Weltkrieges. Ort und Datum der Aufnahme sind unbekannt; ebenso, ob das Rohr überhitzt oder verzogen war.
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rohrkrepierer.png

Sicher ist auch in der gegenwärtigen, sich immer heißer laufenden Plagiatsdiskussion „für die Klebefähigkeit von übler Nachrede [...] irgendein Haftgrund nötig.“[1] Dass diese Aussage, die Olaf B. Rader in Bezug auf die dem Staufer Friedrich II. nachgesagten Untaten formulierte, auch für ihn zutrifft, liegt an dem leicht vermeidbaren, sicher illegitimen Umgang mit Wikipediazitaten und Bildern aus den Wikimedia Commons in dem von ihm verantworteten Teil des Sachbuchs über „Große Seeschlachten: Wendepunkte der Weltgeschichte“. Die vor zwei Wochen in Gang gesetzte Diskussion kann etwa hier und hier und hier nachgelesen werden, um nur einige der wissenschaftlichen oder doch wissenschaftsnahen Blogs zu benennen. Das Nachverfolgen der Meldungen in den Online-Auftritten etablierter Zeitungen konnte man sich im Großen und Ganzen sparen (mit Ausnahme der NZZ), da dort immer wieder dasselbe kolportiert wurde; im (Online-) Journalismus ja gängige Praxis und keineswegs todeswürdiges Verbrechen.

Doch durch den gestrigen Beitrag des New Yorker Feuilletonkorrespondenten der FAZ, Patrick Bahners, bekommt die Diskussion eine neue Qualität, wenn auch kein höheres Niveau: Die Vorwürfe werden auf frühere Bücher Raders ausgeweitet, darunter die umfangreiche Biographie über Friedrich II. und auch deren Kurzvariante, die in der bekannten Reihe Beck Wissen erschienen ist; keineswegs klar erkennbar ist immer, auf welche der beiden Monographien sich der Vorwurf konkret bezieht. Beleg dafür seien Recherchen Kathrin Passigs, die aber nirgends öffentlich einsehbar sind. Verwiesen wird auf eine laienhafte Internetseite über die ‚falschen Friedriche‘, deren aus einer rechtshistorischen Publikation von 1951[2] basierende Argumentationsstruktur Rader direkt übernehmen soll. Als Beleg wird die Formulierung „in die Knie zwingen“ herangezogen, die der Angeklagte als „auf die Knie zwingen“ variiert. Außerdem sei er gar nicht den kriminalpsychologischen Differenzierungen der ursprünglichen Quelle gefolgt. Tatsächlich, in Chronologie und einzelnen Formulierungen gibt es Ähnlichkeiten zwischen Raders Text und der Internetseite, aber eben auch des Buchs von 1951. Der aktuelle Forschungsstand dürfte anders aussehen, das sei konzediert. Doch ob hier Radbruch/Gwinner die Vorlage ist oder die Internetseite, ist nicht zu entscheiden. Und müssen die drei Seiten (104-106) des Beck-Wissen-Bändchens zum Aspekt der falschen Friedriche wirklich mehr liefern als Faktenwissen?

Was hier also für Bahners ein Manko, ja ein klares Indiz für Raders ‚Trivialitäten‘ ist, wird in der zweiten transatlantischen Breitseite zum Anlass für Kritik: Denn hier folgt der Berliner Historiker nun wieder zu sehr (und doch nicht genug!) der Literatur, auf die in der Friedrichsbiographie durchaus verwiesen wird. Es geht um den Aspekt der Waffenmode um 1200, sicher ein äußerst untergeordneter Aspekt in einer Biographie des Stauferkaisers, sollte man meinen. In einem sich gewichtig gebenden Textvergleich werden also einige Zitate Raders neben solche aus einem wissenschaftlichen Beitrag zur Stauferausstellung von 1977 gereiht, auf die sich der Biograph ja bezogen hat. Manche Zitate Raders sind sehr eng an den 35 Jahre alten Artikel angelehnt, manche weniger, was prompt vom Feuilletonisten stilistisch bekrittelt („Man wundert sich, inwiefern wallende, buntbestickte Röcke für einen schlichten Stil stehen können“) und zugleich hyperkorrekt in die Entwicklung der Kriegsmode zwischen 1150 und 1250 eingereiht wird. Fraglich bleibt, ob man solche Details in der von Bahners vorgeschlagenen Breite in einer Biographie des Sizilianers auf dem Kaiserthron lesen möchte und ob Rader hier nicht das Recht, ja die Pflicht zur Kondensierung hat, die fast immer mit Präzisionsverlust einhergeht.

Doch es wird noch investigativer: Rader habe den Leser glauben machen wollen, vor 1150 habe man wohl mit freiem Oberkörper gekämpft, so unpräzise seien seine Formulierungen. Allein, schreibt Rader das? Ihm geht es um das (langärmelige) Panzerhemd mit Handschuhen und Kapuze, das in dieser Zeit aufkommt, kein Widerspruch zur zitierten Literatur. Die Existenz von Kettenhemden vor 1150 dürfte jedem bekannt sein, der einmal ein Bild des Teppichs von Bayeux gesehen hat. Mag man bei den falschen Friedrichen noch ein ungutes Gefühl bei Raders Vorgehen haben, hier baut Bahners einen Pappkameraden auf. Man merkt die Absicht und ist dann noch verstimmter, wenn es etwas nonchalant, nämlich belegfrei weitergeht: Auch stilistisch sei Rader ein Blender, dem regelmäßig Grammatikfehler unterlaufen; alle bisherigen Rezensenten behaupten das Gegenteil, doch geschenkt: de gustibus. Dann wird noch im Vorbeigehen die Mittelalterarchäologie zur wissenschaftlich nicht satisfaktionsfähigen Disziplin herabgewürdigt, derer sich Rader nicht hätte bedienen dürfen. Und schließlich hat er wiederum einen Absatz zum Einfluss der orientalischen Mode nicht aufgenommen, der sich doch hätte aufdrängen müssen.

Dem Leser Bahners seinerseits stellt sich spätestens jetzt die Frage: Was will der Autor des FAZ-Artikels eigentlich erreichen? Mit jahrelanger Verspätung die Rezension schreiben, die schon 2010 – mit sehr positivem, aber nicht unkritischem Tenor und einer Würdigung der Gesamtthese des Buchs – Andreas Kilb in derselben Zeitung übernommen hat? Das Buch wurde ja auch andernorts im Feuilleton gelobt. Raders Buch ist auch im Fach durchweg positiv besprochen worden.[3] Nun, dann wäre es nur eine der Besprechungen, bei denen sich der Rezensent an Quisquilien abarbeitet, aber zum Gehalt des Buches nichts sagen kann oder will. Da aber der Artikel Bahners‘ im Kontext der Diskussion der letzten zwei Wochen über Raders Versäumnisse und Fehler im Seeschlachten-Buch steht, ist der Sachverhalt nicht so einfach. Dies wird auch am nur als diffamierend zu nennenden Schlusssatz des FAZ-Artikels deutlich. Hier soll eine Breitseite ad personam abgefeuert werden, die Diskreditierung Raders als Historiker wird mindestens billigend in Kauf genommen. Um den Ansatz seiner Bücher, um eine Typologisierung zu einem klareren Verständnis der historischen Figur Friedrichs II. und einer zugehörigen Erinnerungeschichte des Staufers, geht es mit keinem Wort. Dass er auch komplizierte Sachverhalte eingängig vermitteln kann, egal: Eine weitere Umdrehung an der Skandalschraube ist zu verlockend, und seien die Vorwürfe – zum jetzigen Stand der Beweislage bezüglich der Friedrichsbiographien – auch minimal fundiert, kleinkariert oder weit hergeholt. Hier wäre die Kärrnerarbeit der verschiedenen Plagiatsplattformen ein Beitrag zur Versachlichung und Substantiierung der Diskussion, bevor gelinde gesagt tollkühn Autoren als Betrüger abqualifiziert werden. Man mag zu diesem neuen deutschen Online-Hobby stehen wie man will: Auf eine kritische Masse von Belegen für unseriöses Vorgehen wird dort bestanden, bevor eine Plagiatsprüfung öffentlich gemacht wird. Im FAZ-Beitrag wird hingegen bei dünnster Faktenlage ein Verdikt formuliert.

Aber es geht nicht nur um die Invektiven gegen Olaf Rader und die fehlende Transparenz der Vorwürfe durch ein Plagiatswiki. In einem Aspekt trifft Bahners Artikel einen wunden Punkt, das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Sachbuch. Welcher Fachhistoriker würde von einem für ein breites Publikum geschriebenen Buch wie dem zu den Seeschlachten, aber auch eines kleinen Beck-Wissen-Bändchens die absolute Präzision und Forschungsnähe erwarten, die die Verlagswerbung suggeriert? Wenn Beck nicht den Unterschied zwischen einer akademischen Qualifikationsarbeit, einer hoch spezialisierten Fachmonographie und einer Publikation mit breiter Zielgruppe (oft ganz ohne Fußnoten, übrigens) zugeben will, ist das allenfalls kaufmännisch zu erklären. Zugleich: Wer kann sich vorstellen, dass Beck ein klar auf Breitenwirkung angelegtes Buch – sei es zu Friedrich II., sei es zu Seeschlachten in der Weltgeschichte – akzeptieren würde, das hinter jeden Satz eine Fußnote setzt und Beleg auf Beleg schichtet? Gut lesbar, da ist Bahners zuzustimmen, sind Spezialmonographien der Forschung quasi nie. Wenn aber der künftige öffentliche Umgang mit Sachbüchern durch diesen Fall präjudiziert wird, welcher Fachhistoriker wird sich noch daran setzen, für ein breites Publikum zu schreiben? Da bleibt man doch lieber im Gärtchen des eigenen Spezialthemas und schreibt gelehrte Abhandlungen mit einem überschaubaren Rezipientenkreis selbst innerhalb des Fachs, anstelle das Risiko der öffentlichen Hinrichtung einzugehen, die gerade an Rader versucht wird. Dasselbe Feuilleton, das sich jetzt darauf kapriziert, Paraphrasen gegenzuprüfen und Sätze zu googlen, wird sich dann wieder über die Unlesbarkeit der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft beklagen und mehr Mut der historischen Zunft einfordern. Übermut wird man nach dieser Diskussion und ihrer sich abzeichnenden Stoßrichtung sagen müssen. Nicht fehlen wird auch das Lob der anglophonen Kollegen, die so packend schreiben, während die deutschen Historiker/innen ihren Fußnotenfetischismus pflegen.

Aber ja, und auch das ist ein Punkt: Wie wäre es, Bücher wieder mehr zu lesen und über ihre Thesen zu reden und weniger ihre Satzfragmente zu googlen? Nein, das ist kein Aufruf zur Legalisierung des Plagiats in der Geschichtswissenschaft und auch nicht im historischen Sachbuch. Und tatsächlich fehlt eine Klärung des Verhältnisses von Fachwissenschaft, breiter angelegter Wissenschaftsvermittlung und neuen Medien wie Wikipedia, egal, welche internen Diskussionen der Wikipedianer es bereits gegeben hat. Und es bleibt kritikwürdig, was Rader im Seeschlachtenbuch getan hat.
Aber eine rein auf formale Aspekte abzielende Kritik verfehlt den Kern des Schreibens über Geschichte; wer Thesen nicht durchdenken, einordnen und abwägen will und stattdessen ausschließlich Belegstellen zählt und Paraphrasen prüft, macht es sich zu bequem. Sicher, mit weniger (intellektuellem) Aufwand gelangt man kaum in die Position des rückhaltlosen Aufklärers. Mehr als ein Skandälchen für zwei Wochen (mit allerdings fatalen und möglicherweise langfristigen Folgen für verschiedene Beteiligte, aber auch die Präsenz historischer Forschung in der Öffentlichkeit) kommt dabei aber nicht heraus. Mit den vorliegenden Begründungen ist die vernichtende Kritik an Raders Friedrichsbiographien durch Patrick Bahners kein Volltreffer, sondern ein Rohrkrepierer.

 

Dieser Beitrag begründet auf diesem Blog die neue Textkategorie “Cum ira et studio”: Kommentare mit erkennbarer Meinung zu mediävistischen Themen und im weitesten Sinn darauf bezogenen Mediengeschehen. Noch mehr als sonst ist für den Inhalt ausschließlich der Autor verantwortlich; der Beitrag gibt nicht notwendig die Meinung der Blogverantwortlichen insgesamt wieder.

[1] Olaf B. Rader: Friedrich II.: Der Sizilianer auf dem Kaiserthron, München 2010, S. 230.

[2] Gustav Radbruch, Heinrich Gwinner: Geschichte des Verbrechens. Versuch einer historischen Kriminologie, Stuttgart 1951.

[3] Vgl. auch Julia Becker, Rez. zu: Olaf B. Rader, Friedrich II. Der Sizilianer auf dem Kaiserthron. Eine Biographie, München (C.H. Beck) 2010, in: QFIAB 91 (2011), S. 503f.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3652

Weiterlesen