Akkreditierung heißt “Glauben schenken”

Das letzte Jahr im Studienbüro war von einem großen Thema beherrscht: der Reakkreditierung unserer Studiengänge. Ich hoffe sehr, dass ich nach (erfolgreichem?) Abschluss des Verfahrens auch hierüber schreiben werde. Aus der aktuellen Arbeit fallen mir vor allem Fehlbeobachtungen anderer auf – offenbar ein Leitmotiv dieses Blogs. Diesmal ist mir der Beitrag “Wie soll man anders Qualität sichern?” aus der FAZ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/akkreditierung-an-deutschen-unis-wie-soll-man-anders-qualitaet-sichern-12914892.html) aufgefallen.

Dort führt die Autorin Christiane Gaethgens zu Recht an, dass das Akkreditierungswesen in mancherlei Hinsicht als Ausdruck der modernen Hochschulautonomie gesehen werden kann. Das läuft der ubiquitären Kritik an den hochschul-fremden Kriterien, die Akkreditierungsagenturen mitunter anlegen, zuwider. Sie erkennt in dieser Kritik auch das Fremdeln der Hochschulen mit selbst geschaffenen neuen Qualitätssicherungsinstanzen:

“Diese Freiheit zur Selbstbestimmung haben die Hochschulen unter Berufung auf das Grundgesetz über Jahrzehnte zu Recht gefordert. Nun offenbart sich, dass Chance und Überforderung hier näher beieinanderliegen, als mancher erwartet haben mag. Autonomie zu fordern ist legitim, sie wahrzunehmen aber stellt erheblich Ansprüche, auch an die eigene Steuerungs- und Entscheidungsfähigkeit.”

Nun macht sie jedoch m.E. den Fehler, aus der Tatsache, dass die Universitäten im Zuge der Einführung der Akkreditierung von ministerialer Bevormundung teilweise befreit wurden, zu schließen, die Universitäten selbst hätten jene Kriterien mit entwickelt, unter deren Exekutierung sie nun leiden würden. Faktisch ist der Akkreditierungsrat – und damit auch alle Akkreditierungsagenturen wie auch die dank Systemakkreditierung etwas autonomeren Universitäten – weiterhin an Vorgaben der Kultusminister gebunden. Und diese Vorgaben sind fast durchweg audit-fähig – also zählbar und nicht wissenschaftsimmanent. Es geht nicht so sehr um Fragen der wissenschaftlichen Ausbildung im Fach, sondern um den Blick von außen, der vor allem Leistungspunkte pro Semester und Jahr, Prüfungszahlen pro Jahr, Semesterwochenstunden pro Leistungspunkt und Ähnliches zu zählen vermag. Beredter Ausdruck hiervon sind die Rahmenbedingungen, die die Kultusminister 2010/11 nach großen Studierendenstreiks eingeführt haben und die vorallem solche formalen Aspekte aufnehmen.

Man kann einwenden, dass es nicht Aufgabe der Kultusminister sein kann, fachinterne Kriterien festzulegen – das ist ja auch der Tenor dieses Blogs, dafür sind die Fachwissenschaften selbst zuständig. Fraglich ist aber, ob die Kultusministerien mit dieser Vielzahl an formalen Kriterien der Entwicklung fachwissenschaftlicher Lehre wirklich etwas Gutes tun – oder ob hier nicht (Achtung: Neoliberalismus!) mehr Freiheit denkbar und wünschenswert wäre. Akkreditierung kommt laut Wikipedia vom lateinischen Wort accredere – glauben, vertrauen. Trauen die Ministerien den Fachwissenschaften zu, dass sie wissen, was sie in der Lehre tun, und das auch weitgehend eigenständig entscheiden können? Zu Recht fordert Christiane Gaethgens übrigens “bessere, wissenschaftsgerechtere Verfahren” und beklagt zugleich “zu wenig [...] Vertrauen in die Eigenverantwortung, Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Wissenschaft”. Ob dies im letzten verbliebenen Kernbereich der Landesgesetzgebungen (Bildung im weitesten Sinne) realistisch ist, vermag ich nicht zu sagen, aber nach einer längeren Gewöhnungsphase an die modularisierten Studiengänge könnte man den Hochschulen dies durchaus zutrauen.

Mit diesem Blogpost beginne ich übrigens, “Featured Images” in die Posts einzufügen. Beginnen möchte ich mit einem Flickr-Commons-Bild unserer Partnerhochschule in Glasgow, die ich vor anderthalb Jahren besuchen durfte – ein architektonischer Traum, an dem man gerne einmal Seminare geben möchte.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/222

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Seminararbeiten und Rechtschreibung

Zur Klage über moderne Studierende gehört – gewissermaßen standardisiert – auch die Klage über die Rechtschreibung in Seminararbeiten. Unter dem Titel “Sprachnotstand an der Uni. Studenten können keine Rechtschreibung mehr” (http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/campus/sprachnotstand-an-der-uni-studenten-koennen-keine-rechtschreibung-mehr-12862242.html) hat sich nun Hannah Bethke (Politikwissenschaft, Greifswald) in der FAZ an diesem Thema versucht.

Das Schlimme daran: Auch wenn ich versuche, meinen eigenen kulturpessimistischen Anwandlungen entgegenzuarbeiten, muss ich dem Befund erst einmal zustimmen. Die Zahl an Seminararbeiten, die schon sprachlich nicht die Voraussetzungen erfüllen, die mit dem Abitur eigentlich nachgewiesen sein müssten, ist einfach zu hoch, als dass es sich um Einzelfälle handeln könnte. Das reicht von orthographischen Fehlern über Schwierigkeiten, einen Satz korrekt zu Ende zu führen, bis hin zu Schwierigkeiten in der Textgestaltung (Aufbau von Absätzen und Kapiteln). Und ja, es sind oft sehr grundlegende Fähigkeiten, die offenkundig fehlen – oder zumindest fehlt die Übung. Meinen ungeliebten kulturpessimistischen Anwandlungen gemäß hängt das oft auch mit fehlender analytischer Sprachausbildung zusammen. Analytischer Umgang mit Sprache wird in der Didaktik moderner Fremdsprachen offenbar kaum noch gepflegt. Das Zerlegen eines Satzes in Subjekt, Prädikat und Objekt scheint inzwischen das Monopol der altsprachlichen Didaktik zu sein. Für Historiker/innen, die sich permanent mit Texten anderer beschäftigen müssen, ist diese Fähigkeit zur analytischen Auseinandersetzung mit Sprache aber eine absolute Voraussetzung (und das betrifft im Übrigen auch den Umgang mit Bildern, Artefakten usw.). Die Unfähigkeit oder mangelnde Übung, eigene Texte korrekt und stringent aufzubauen, korrespondiert in meiner Erfahrung mit dieser analytischen Kompetenz. Der Umgang mit dem Konjunktiv, die KNG-Kongruenz, das Strukturieren von Gedanken in einem flüssigen Text setzt das Verständnis von Textstrukturen und darunter grammatischen Strukturen  voraus.

Schade nur, dass Frau Bethke dieses an sich so wichtige Thema durch den üblichen Kulturpessimismus, gegen den sie sich offenbar nicht zu wehren versucht, schwächt. Ihr Text enthält vor allem Schuldzuweisungen an die Adresse der Studierenden, die diese Fehler begehen – anstatt über eine produktivere Sprachdidaktik etwa im Deutschunterricht oder in den modernen Fremdsprachen nachzudenken. Sie hängt sich an der Partizipenseuche auf, die sie am Wort “Studierende” festmacht – als ob dieses Wort wirklich sprachlich stolpern lässt. Sie kritisiert “Niveaunivellierung” – es ist, meine ich in der Rückschau, ein Ceterum censeo dieses Blogs, das ich zumindest an der Universität die Verantwrtung für solche Niveaunivellierungen, falls es sie tatsächlich gibt, auch in den Fächern sehe. Zumindest fühle ich mich bisher nicht gezwungen, ein Niveau zu nivellieren; auf eine verantwortungslose, inflationäre Notenvergabe (wo wurde die empirisch belegt?) fühle ich mich nicht verpflichtet. Sie macht das daran fest, dass diese Gesellschaft abweichendes Verhalten (z.B in der Schule) nicht mehr sanktioniert, sondern als Buntheit akzeptiert und affirmativ begrüßt. Das lastet sie der “liberalen” Gesellschaft an – als ob uns eine illiberale Gesellschaft besser tun würde.

Hannah Bethke möchte sich “nicht einreihen in den Chor derer, die den Untergang des Abendlandes heraufbeschwören; wenngleich es zur Bestätigung dieser kulturpessimistischen These sicher lohnenswert wäre, eine Umfrage unter Studenten zu machen, wer von ihnen überhaupt noch weiß, was das Abendland eigentlich ist – und wie man es schreibt.” Dieses Zitat sagt eigentlich genug. Im nachvollziehbaren Bestreben, die Sprachfäöhigkeiten der Studierenden, eigentlich: der Schülerinnen und Schüler zu verbessern, wird eine solche platte Diagnose leider nichts ändern. Um Bethes letzten, sprachlich misslungenen Satz ebenso “ungekonnt” zu paraphrasieren: Es ist zu hoffen, dass der jetzige Bestand dieser Diagnose eher von kurzer als von langer Dauer sein wird.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/204

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Was braucht gute Lehre?

Gute Lehre braucht Innovationen, Zeit, Geld und Anerkennung – unter diesem Motto hat der Stifterverband die Ergebnisse der Arbeit mit Fellows der Baden-Württemberg Stiftung, der Joachim Herz Stiftung und des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft vorgestellt (http://www.stifterverband.info/wissenschaft_und_hochschule/lehre/fellowships/was_gute_lehre_braucht/index.html). Welche (Rahmen-) Bedingungen braucht gute Lehre? Welche Unterstützung wünschen sich engagierte Lehrende? Die Antworten sind überraschend – überraschend ermutigend.

Unter dem Stichwort “Innovation” werden die Hochschullehrenden selbst als Ressource angeführt. Es braucht Lehrende, “die sich neueren Lern- und Lehrprozessen öffnen und diese ausprobieren” – das ist noch ziemlich vage und daher sicher weithin konsensfähig. Aber: Sie “konzipieren eine fachbezogene Hochschuldidaktik für ihr Fachgebiet und entwickeln und implementieren Wechselwirkungen zwischen Hochschullehre, Forschung und Fachkompetenz bewusst” – das klingt spannend und geht weit über die in der Hochschuldidaktik seit Jahren munter betriebene fachunspezifische Aktivierungsrhetorik hinaus. Ja, es reicht nicht zu wissen, wie Studierende ihre intrinsische Motivation entwickeln (zumal wenn es unter dem Motto der Selbstkompetenz auch darum geht, sich dort aufzuraffen, wo die Motivation eben gerade fehlt). Es braucht auch eine fachspezifische und zugleich hochschulspezifische, d.h. wissenschaftsorientierte Didaktik. Die gibt es in den Fächern, die ich halbwegs überschaue (und das ist vor allem mein eigenes Fach) allenfalls in Ansätzen. Die Forderungen nach Lehrenden, die sich in einen didaktischen Diskurs begeben, ist daher ein guter Schritt in diese Richtung.

Unter dem Stichwort “Zeit” fordern die Fellows flexiblere Deputatsverordnungen, Wertschätzung für Lehrleistungen, Entscheidungsspielräume für mehr Lehre oder mehr Forschung, mehr personelle Unterstützung (z.B. Geld für Tutor/innen) und Ähnliches. Auch hier lassen Sie anklingen, dass es eine fachspezifische Hochschuldidaktik braucht. Clever.

Auch unter dem Stichwort “Geld” gehen sie auf den Bedarf an fachspezifischer Didaktik ein; sie werden aber noch viel konkreter. Sie fordern die “Kompetenz und Expertise einer fachbezogenen Hochschuldidaktik, die in den Studiengängen verankert ist (und nicht darüber)”, ein. Genau das ist die LÜcke im hochschuldidaktischen Diskurs, die die hochschuldidaktischen Zentren in aller Regel nicht antippen. Kein Wunder, das würde deutlich weniger “ressourceneffizient” zu realisieren sein. Mit fachunspezifischen Programmen lassen sich rasch Dutzende von Lehrenden bedienen (und was das dann mit ihrem Fach zu tun hat, müssen sie selbst herausfinden). Mit fachspezifischen Angeboten müssten die Didaktikzentren sich weit in die Fächerund Fachkulturen, in Wissenschaftsverständnisse usw. hineinbegeben. Das ist mühsam. Sie müssten wohl vor allem Lehrende anheuern, die in den Fächern selbst lehrend aktiv sind. “Bereichsdidaktiken” wie etwa”Aktivierende Seminare in den Geisteswissenschaften” treffen das Problem jedenfalls nicht (es sei denn, man geht davon aus, dass Historiker und Germanisten wirklich das Gleiche studieren – was Nonsens ist).

Soweit bin ich mit allem einverstanden. Ich denke aber, das Ganze fordert von den Fächern noch viel mehr als von den hochschuldidaktischen Zentren. Nur aus dem Fach heraus kann ein Verständnis für die Lernziele, die Kompetenzorientierung im Fach, die Studierendengruppen, eine fachangemessene Diagnostik und Ähnliches anspruchsvoll entwickelt werden. Gut wäre, wenn es hierfür “Zeit, Geld und Anerkennung” an den Hochschulen gäbe. Das entwickelt sich erst langsam. Hierfür braucht es auch einen innerfachlichen Konsens über das Wissenschaftsverständnis im Fach oder einen Basiskanon an anerkannten Methoden. In einer Geisteswissenschaft ist das nicht unbedingt selbstverständlich.

Ein abschließendes Wort zu den zwei Kommentaren, die sich schon auf der Homepage des Stifterverbandes finden:

Prof. Dr. Johannes Herrmann (Kaiserslautern) wendet ein, man müsse vor allem die Grundausstattung der Universitäten sichern, um gute Lehre zu generieren; Förderung auf Basis von Anträgen seien im Bereich der Forschung sinnvoll, nicht im Bereich der Lehre. Dass eine gute Grundausstattung wichtig ist, ist richtig (siehe auch http://geschichtsadmin.hypotheses.org/101). Aber das alles ergibt noch keine “gute” Lehre. Ich denke, man darf es ambitionierter denken.

Prof. Kai Beiderwellen (Mannheim) kritisiert den Wechsel von der Vermittlung von Bildung hin zur Vermittlung von Wissen. Das verstehe ich nun gar nicht, oder besser gesagt: Ich verstehe es als Variante des bologna-kritischen Habitus, den ich nicht teilen möchte. Es ist vor allem nicht ganz korrekt: Was genau wir in Studiengängen tun, wie wir lehren, wie wir Lernprozesse diagnostizieren, wie wir curricular und in Lehrformaten planen und moderieren, das ist immer noch unsere eigene Aufgabe. Ich bin da weniger pessimistisch. Die Reflexion, was die Orientierung an Bildung im Fach bedeutet, kann nur dort und muss dort stattfinden. Die “Zurichtung der Studierenden für die Bedarfe der Wirtschaft und zu einer Angleichung dr Lehre an ökonomische Prozesse” ist nicht vorgeschrieben, sie wird nur gerne laut gefordert oder kritisiert.

Und mit den Problemen und Chancen einer stärker fachspezifischen Hochschuldidaktik haben beide Kommentare in meinen Augen nicht viel gemeinsam.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/199

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“Völkermord an den Armeniern” an deutschen Schulen

Christoph Pallaske hat auf seinem Blog “historischdenken” für einen offensiven geschichtsdidaktischen Umgang mit dem schwierigen Thema “Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich geworben (2015 | 100 Jahre Völkermord an den Armeniern | Herausforderung für den Geschichtsunterricht). Dem Plädoyer möchte ich mich zunächst unbedingt anschließen. Im Sommersemester 2013 habe ich in einem geschichtsdidaktischen Proseminar mit Studierenden erarbeitet, welche Funktion dieses Thema im Kontext interkulturellen historischen Lernens haben und wie man es mit Schülerinnen und Schülern erarbeiten könnte.

Ich bin jedoch aus mehreren Gründen mit Christoph Pallaskes Plädoyer noch nicht ganz glücklich:

  1. Er wirbt für einen Überblick über die ideologischen Hintergründe im späten Osmanischen Reich, den Mihran Dabag auf der Fachdidaktischen Tagung für Geschichte und Politik in Niedersachsen 2012 vorgestellt hat. Mir scheint dieser Beitrag der thematischen Erarbeitung nicht angemessen, da sich Dabag ausschließlich auf eine Art geistesgeschichtliche Vorgeschichte der Turkisierungspolitik konzentriert. Brüche, Widersprüche und Verwerfungen selbst innerhalb dieser Geistesgeschichte kommen dabei zu kurz; die Geschichte wird einfach zu geschmeidig erzählt. Grundsätzlicher wäre aber zu fragen, ob dieser Text eine gute Hinleitung zum Thema ist und ob er deskriptiv und explanatorisch angemessen auf das Thema eingeht. Dabag übergeht fast völlig die in den letzten zehn Jahren äußerst rege Forschung, die mit Namen wie Hans-Lukas Kieser (den er mit einem Werk zitiert), Taner Akçam, Ugur Ümit Üngör, Erik-Jan Zürcher, Donald Bloxham oder Fuat Dündar verbunden ist. In diesen Forschungen geht es um wesentlich übnerzeugendere Erklärungsversuche, die sich um Konzepte wie kumulative Radikalisierung, demographic engineering o.ä. drehen. Ich möchte daher einen Gegenvorschlag machen und einen anderen Text vorschlagen, der mir noch am ehesten geeignet erscheint, in dieses Forschungsfeld einzuführen: Dominik J. Schaller, Der Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich, 1915-1917. Ereignis, Historiographie und Vergleich, in: Dominik J. Schaller/Rupen Boyadijan/Vivianne Berg/Hanno Scholtz (Hrsg.), Enteignet, vertrieben, ermordet. Beiträge zur Genozidforschung, Zürich 2004, S. 233–277, ein Artikel, der zwar nur die Forschung bis2004 anspricht, aber dennoch viele grundsätzliche Einsichten überzeugend zu vermitteln weiß. Die besten neuesten Forschungsüberblicke hat m.E. Ugur Ümit Üngör verfasst.
  2. Es ist richtig, dass die türksiche Gesellschaft dieses Thema zunehmend kontrovers diskutiert. Das könnte explizit der Ausgangspunkt der Vermittlung sein. Auch in diesem Jahr hat eine überwältigende Zahl von Türken am Todestag von Hrant Dink Solidarität bewiesen. Andere Beispüiele ließen sich anführen: Die Verkaufszahlen von Fethiye Cetins “Meine Großmutter” in der Türkei, die Website “özür diliyorum” und andere.
  3. Ich zweifle noch, ob das Thema seine Relevanz wirklich dadurch erhält, dass in vielen deutschen Klassenzimmern türkischstämmige Schüler/innen sitzen. Gisbert Gemein und Uwe Walter formulieren dies in ihrem Beitrag für “geschichte für heute” (Heft 3, 2013). Ich sehe darin eher ein Tappen in die “Kulturalisierungsfalle” (Bettina Alavi; siehe mein Beitrag in der jüngsten “geschichte für heute”). Wieso ist das ein Thema vor allem für türkische Schüler/innen? Weil es “ihre” Geschichte ist? Darin sehe ich eineZuschreibung von Identität, die Geshcichtsdidaktiker nicht empfehlen sollten, wenn das Ziel von Geschichtsunterricht oder allgemein geschichtsdidaktischem Engagement darin besteht, Menschen zu einer eigenständigen Reflexion in ihrem individuellen Geschichtsbewusstsein (auch im Identitätsbewusstsein) zu helfen.
  4. Auch Martin Stupperichs Beitrag, den Christoph Pallaske lobt, möchte ich nicht so stehenlassen. Das Zitat “Haben wir auf deutscher Seite ein selbstkritisches Narrativ, so finden wir auf türkischer Seite ein heroisierendes” finde ich schon unangemessen schwarz-weiß; ich sehe aber vor allem auch in Stupperichs Beitrag einen Ansatz, der das Thema als deutsch-türkisches denkt; und das finde ich problematisch.

All diese Punkte verstehe ich nur als Beitrag zur Debatte; Pallaskes Plädoyer am Ende seines Blogposts (“Es wäre dabei erstens erstrebenswert, Lernangebote und konkrete Materialien (auch online) zur Verfügung zu stellen. Zweitens wäre ein Austausch über – sicher gelegentlich schwierige – konkrete Umsetzungen und Erfahrungen der Thematisierung des Armenier-Genozids im Geschichtsunterricht notwendig.”) möchte ich mich ausdrücklich anschließen. In diesem Zusammenhang möchte ich dringend für das Theaterstück “Annes Schweigen” des exiltürkischen Autors Dogan Akhanli werben, das ich vergangenes Wochenende in Frankfurt gesehen habe; die an das Stück anschließende Diskussion hat mir gezeigt, dass das Stück funktioniert und großes geschichtsdidaktisches Potential hat. Die Organisatoren des Stücks arbeiten in Berlin bereits an Konzepten der Zusammenarbeit mit Schulen und hätten sicher Interesse, auch darüber hinaus Kontakte zu knüpfen.

Ich selbst überlege, mit Studierenden im SoSe2014 eine kleine Ausstellung zum Thema “Das Deutsche Reich und der Völkermord an den Armeniern” zu konzipieren, die dann 2015 gezeigt werden könnte; das ist noch ziemlich unausgegoren, ich freue mich aber schon jetzt über jede Idee.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/192

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Motivation im Studium – Frankfurter Grüne Soße?

Überrascht war ich, als ich per RSS-Feed über gleich zwei Beiträge der FAZ informiert wurde, die offenkundig gutheißen, was Universitäten derzeit anstellen, um Studierende zu motivieren.

Unter dem Titel “Motivationstrainer auf dem Campus” (http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/campus/gegen-durststrecken-im-studium-motivationstrainer-auf-dem-campus-12719533.html) wird dort ein Coaching-Angebot der Universität Frankfurt vergleichsweise unkritisch vorgestellt, das im Rahmen des Qualitätspakt-Lehre-geförderten Projektes “Starker Start ins Studium” betrieben wird. Die Trierer Professorin für Bildungswissenschaften Michaela Brohm durfte dort knapp 500 Studierende in Sachen Motivation schulen. Das erinnert beim Lesen zunächst an Tschakka!-Abende mit euphorischem Entertainer, aber diese Assoziation trägt nicht. Immerhin werden einige wichtige Motivationsprobleme angesprochen: die Bedeutung des eigenen Einflusses auf die Studienplanung für die Motivation (andernorts schon länger als “demand-control-Modell” bekannt; ich selbst habe es vor längerem etwas flapsig in den Blog des Historischen Seminars der JGU aufgenommen, um Studierenden zum Besuch außercurricularer Veranstaltungen zu ermuntern), die teilweise schädliche Wirkung der Konzentration auf extrinische Motivationsfaktoren (“Jagd nach Leistungspunkten”), die mangelnde Erfahrung mit der Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit, die Schwierigkeiten mit der universitären Feedback-Kultur (die im Artikel allerdings – meiner Meinung nach zu Unrecht – als fehlend beschrieben wird; ich denke, sie ist vor allem anders als an der Schule, und sie muss von Studierenden entsprechend gelernt werden).

Überraschend ist jedoch, wie euphorisch die FAZ dieses Angebot aufnimmt. “An anderen großen Universitäten wie der Leibniz-Universität Hannover sucht man vergeblich nach reinen Motivationsseminaren”, heißt es dort in kritischer Haltung. Ja, auch in Mainz würde man vergeblich suchen. Ist das schlimm? Zu dem großen Herausforderungen der Studieneingangsphase, das kann ich jedenfalls aus meinen Erfahrungen sagen, gehört die häufig sehr geringe Frustrationstoleranz, die für eine spätere employability ein ernsthaftes Problem darstellt. Hierher gehört auch die mangelnde Selbstkompetenz, die ausdrücklich zu den Qualifikationszielen aller Studiengänge gehört und deren Erwerb nur der Studierende selbst leisten kann: die Fähigkeit (salopp gesagt), den inneren Schweinehund zu überwinden und sich selbst zu motivieren. Dazu mag man mancherorts Seminare anbieten; ich haltees nicht unbedingt für sinnvoll, weil es den Blick der Studierenden darauf verstellt, dass Motivation in ihrer eigenen Verantwortung liegt. Erneut ist es ein “Experte” vorne, der ihnen sagt, wie es geht. Erfolgreichen studieren kann aber nur, wer das (nicht sofort, aber ab einem gewissen Zeitpunkt) selbst schafft. Deshalb bin ich (und viele Kolleg/innen) dazu übergegangen, die Verantwortungsdelegation für den Lernprozess (die Verantwortung für das Lernen liegt entgegen landläufiger Überzeugungen nicht beim Superlehrer, sondern beim Lernenden) explizit in den Seminaren anzusprechen und entsprechend einzufordern.

Die von der FAZ konstatierte Tatsache, dass die wachsenden Studierendenzahlen mit mehr Studierenden einhergehen, die eher leistungsschwach sind und Schwierigkeiten haben, sich zu motivieren, und die Einschätzung der FAZ, dass die Lehrenden hierauf nicht pädagogisch vorbereitet sind, verbunden mit der Bewertung, dies sei ein “mismatch”, dem abzuhelfen sei, möchte ich mich daher nur in Punkt 1 anschließen: Ja, wachsende Studierendenzahlen stellen in dieser und in anderen Hinsichten durchaus ein Problem dar. Ich muss aber auch als etwas schwächerer Studierender und mit etwas gedämpfter Motivation lernen (das heißt auch: spüren und erfahren), dass mir dieses Problem nicht abgenommen oder mundgerecht zubereitet wird. Universitt ist nicht mehr Schule, und das universitäre Studium bereitet auf Berufe mit Entscheidungskompetenzen, Handlungsspielräumen und Verantwortlichkeiten vor, kurz gesagt: auf Berufe mit Risiko und Berufe, in denen nicht alle Kollegen hilfreich zur Seite stehen, wenn meine Motivation sinkt. Man mag darüber streiten, ob man in der Schule explizit Motivationstraining betreiben sollte; an der Universität scheint es mir im Interesse der Studierenden fehl am Platz.

Zu meiner Überraschung über die FAZ passt dann übrigens ein ähnlich wohlwollender Beitrag über die Einführung von Online-Spielen als Lehrformat im Modul “Wissensrepräsentationen” des Studiengangs „Informationswissenschaft und Sprachtechnologie“. Unter dem Titel “Fantasy an der Uni. Spielend durchs Studium” (
http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/fantasy-an-der-uni-spielend-durchs-studium-12735331.html) wird dort über den Versuch berichtet, die fehlende Motivation der Studierenden in diesem Modul durch die Einführung eines Computerspiels mit Belohnungssystemen zu heilen. Ich ertappe mich ale Kulturpessimist: Ich halte Spiele durchaus für lehrsam, ich halte es für möglich, dass man in Computerspielen etwas lernt, aber wer nicht bereit und/oder in der Lage ist, sich in einem Studiengang „Informationswissenschaft und Sprachtechnologie“ für das Modul “Wissensrepräsentationen” zu motivieren (oder wenigstens die Zähne zusammenzubeißen), der hat vielleicht einfach das falsche Studienfach erwischt oder sich grundsätzlich für den falschen Bildungsweg entschieden.

 

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/173

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Personalstrukturen: Vorschläge der Jungen Akademie zur Weiterentwicklung der Universität

Man mag versucht sein (ich bin es jedenfalls), immer nur zu Themen zu schreiben, in denen man sich seine Meinung schon gebildet hat. Das fällt aber auch einmal schwer. So hat mich ein guter Kollege auf das Papier der Jungen Akademie: “Nach der Exzellenzinitiative: Personalstruktur als Schlüssel zu leistungsfähigeren Universitäten” (http://www.diejungeakademie.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Personalstruktur_2013.pdf) aufmerksam gemacht. Darin fordern Mitglieder und Alumni/Alumnae der Jungen Akademie, das Lehrstuhlprinzip abzuschaffen, in dem Professoren im Rahmen ihrer Lehrstühle Mitarbeiter/innen zugeordnet sind, die Mitarbeiterstellen weitgehend durch Professuren zu ersetzen und so die Perspektiven von Nachwuchswissenschaftlern und von Universitäten im Ganzen zu stärken.

Die Argumente überzeugen nicht immer. Der Befund, dass viele deutsche Wissenschaftler ins Ausland gehen, ist nicht zwingend ein Beleg für die Unattraktivität der deutschen Universitäten als vielmehr zunächst ein Ausweis von Exportstärke: Offenbar treffen diese “Outgoings” auf Wissenschaftsmärkte, die ihnen Wissenschaft in hohem Maße zutrauen. Anderes ist aber durchaus nachvollziehbar: Dass etwa nur 20% derArbeitszeit eines Professors/einer Professorin für Forschung aufgewendet wird, während durchschnittlich 40% der Zeit in Begutachtungen, Drittmittelakquise und Verwaltung gehen, mag statistisch etwas grob aussehen, in der Tendenz aber stimmen. Die Universitäten haben bereits begonnen, hierauf zu reagieren, indem Unterstützung in der Drittmittelakquise aufgebaut und die Verwaltung (meist als “Management” tituliert) professionalisiert wird.

An diesem Punkt möchte man als Studienmanager gleich ansetzen: Gerade an gut organisierten Universitäten entwickeln sich im Zuge der Professionalisierung des Wissenschaftsmanagements auf allen Ebenen Expertenkulturen, die weder in der Lehrstuhllandschaft noch in den Gremien der Gremienuniversität in irgendeiner Weise strukturell eingebunden sind. Die Reaktion auf diese wachsende, professionelle Expertise ist häufig die strukturelle Ausdifferenzierung (meint: die Schaffung neuer Gremien außerhalb der nach Landeshochschulgesetzen bereits etablierten Gruppengremien) und die Einberufung von ad-hoc-Gremien – also genau das, was man soziologisch wohl erwarten würde. Eine strukturelle Antwort auf diese Entwicklungsprozesse gibt es noch nicht. Und hier spätestens zögere ich auch wirklich mit einer eigenen Meinung, denn an diesem Punkt kollidieren Demokratie und Partizipation (die ihren Ausdruck bisher in der Gremienstruktur finden) und die Ansprüche der natürlich nicht demokratisch legitimierten Profis mit technischer, administrativer oder rechtlicher Expertise.

Auf anderen ebenen lässt sich jedoch schon eine Auflösung des Lehrstuhlprinzips beobachten, wenn auch nicht im Sinne der Karikatur, die die Junge Akademie teilweise zeichnet. So hat die Auflösung der alten Studiengänge und die Entwicklung modularisierter Studienprogramme durchaus vielerorts dazu geführt, dass Professor/innen, Mitarbeiter/innen und Studierende lehrstuhlübergreifend Programme ausarbeiten und weiterentwickeln. Das passiert im Historischen Seminar der JGU seit vielen Jahren sehr konstruktiv. Das Lehrstuhlbild der Jungen Akademie hat hier also nicht gegriffen. Ob eine andere Struktur mit fast nur Professuren wesentlich andere (und bessere) Ergebnisse in einem Kernbereich universitäter Aktivität gezeitigt hätte, weiß ich nicht. Aber das Papier zielt auch eher aufBerufsperspektiven und Forschung – sicherein Manko des Papiers, das ja die Universitäten im Ganzen anspricht.

Das System, das die Junge Akademie im Blick hat, scheint zudem – und vielleicht tue ich dem Papier hier Unrecht – auf eine forschende Postgrad-Phase ohne Lehre (etwa in Projekten) und dann eine Professur mit entsprechend professoralem Lehrdeputat hinauszulaufen. Hier würde ich dann ganz ernsthaft didaktische Einbußen in der Lehre befürchten. Der Universität würde das mittelfristig nicht guttun.

Vieles andere in dem besprochenen Papier bin ich geneigt zu teilen. Dass solche Vorschläge überhaupt in einer so prominenten Form auf den Tisch kommen, ist ja auch ein Hinweis darauf, dass die Universitäten in ihrer Weiterentwicklung an systemische Grenzen stoßen und manches dysfunktional wird. Man darf gespannt sein, in welche Richtung diese Diskussionen gehen werden.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/166

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Massive Open Online Courses

Bisher habe ich oft auf aktuelle Berichterstattung reagiert; heute möchte ich eher auf Kommentare eingehen, die ich zum Artikel “Der Online-Angriff auf den Unterricht” von Frank Kelleter (FAZ) gefunden habe. Kelleter selbst kritisiert vor allem die universitären Aktivitäten, die sich in Zielvereinbarungen, Optimierungskonzepten, Entwicklungsplänen verstecken, den akademischen Servicemarkt, der sich um diese Prozesseherum gebildet hat, und die Absurdität, dass gerade engagierte Hochschulangehörige sich bis zur Grenze der gesundheitlichen Zumutbarkeit in solchen absurden Prozessen aufreiben müssen. Insbesondere den letzten Punkt kann ich nachvollziehen, auch wenn ich lange nicht alles für absurd halte.

Er warnt dann aber auch vor MOOCs, den Massive Open Online Courses, die seit einiger Zeit durch die Online-Zeitschriften geistern. Meinem Eindruck nach – und vielleicht täusche ich mich – sind MOOCs eher ein Medienphänomen als eine real relevante Erscheinung. Mir ist nicht bekannt, dass bisher auch nur ein einziger Studiengang in Deutschland in erheblicher Weise durch MOOCs ausgestaltet ist.

Genau an diesem Punkt setzen aber die Kritiker des Artikels ein. So klagt ein Leser: “Die Universität war schon immer eine elitärere Institution, was in Deutschland noch immer sinnlos künstlich aufrecht erhalten wird mit Numerus Clausus und der Bafög-Schulden-Keule. Das widerspricht allein schon der Herkunft des Wortes ‘Universität’.” Universität meint aber nicht “für alle” im Sinne von universal oder Ähnliches, sondern nur die Gemienschaft von Lehrenden und Lernenden (ein Aspekt, den zu betonen heute sicher viel wichtiger wäre als viele andere, nur zum Teil “Bologna” geschuldete Fragen). Es ist eben nicht möglich, durch MOOCs Lehrende für Forschung freizustellen; das verbieten nicht nur die Deputatsverordnungen der Länder, sondern auch der gesunde Hochschulverstand, der in der Verbindung von Forschung und Lehre auch den Kern von Hochschule als besonderem Ort von Wissensgenerierung und -vermittlung sieht. Diese Wissensvermittlung steht allen frei, die die entsprechenden Voraussetzungen mitbringen; wer diese Voraussetzungen erfüllt, kann in Deutschland fast allerorten kostenfrei studieren, etwas, was die MOOC’s bisher nur versprechen, aber wohl kaum halten werden (wenn man das ökonomische Interesse hinter diesen Projekten berücksichtigt).

Dass die Universitäten sich dabei nicht hinter die eigenen Mauern zurückziehen, ist wohl selbstverständlich. Die Mainzer Historiker/innen, für die ich arbeite, haben sich in den letzten Jahren an vielfältigen Formaten der Universität beteiligt, in denen universitäre Wissenschaft in die Öffentlichkeit der Stadt Mainz und des Landes getragen wird.

Ein anderer Leser raunt: “Sicher, die Beamten-Uni muß sich bedroht fühlen. Unis, deren Studenten zu 1/3 nie einen Abschluß machen, deren Professoren maximal 12 Stunden wöchentlich im Hörsaal stehen, deren Lehrpläne keinen Bezug zur Arbeitsrealität haben. Unis, die vornehmlich die eigene Eitelkeit polieren und in Deutschland inzwischen über 16.000 (!) unterschiedliche Studiengänge anbieten – und jedes Jahr kommen fast 500 neue zum Wohle der Professoren dazu.” Auch hier überrascht die Wahrnehmung der Universität. Dass 1/3 der Studierenden eines Faches den Abschluss nicht machen, ist nicht weit von der Wirklichkeit entfernt, aber erstens kein Problem der Präsenzlehre und zweitens nicht wirklich schlimm; manches muss man eben ausprobieren, um herauszufinden, ob es auch der eigene Weg ist. Professoren, die im oben angesprochenen Sinne Forschung und Lehre verbinden sollen und möchten, sollten tatsächlich nicht 12 Stunden im Hörsaal stehen; wer auch nur eine ungefähre Vorstellung von den Zeiten für Vor- und Nachbereitung seriöser universitärer Lehre hat, wird wissen, dass die Woche dann allein mit Lehre schon fast ausgefüllt wäre. Und dass die Universität nicht 100% passgenau auf Berufe hin ausbildet – das ist ja gerade der Witz universitärer Bildung. Erst das erlaubt es, aus dem universitären Studium heraus in die unterschiedlichsten Berufsfelder mit Entscheidungsbefugnis, Leitungsfunktion oder Führungsaufgaben zu wechseln. Alles andere ist Berufsausbildung – genauso ehrenwert, aber eben anders.

Und ein letzter Gedanke: Ein Leser fordert, die Debatte “eine Nummer kleiner” zu führen, um dann doch e-Vorlesungen zu fordern: “Wenn Universitäten ihre ganz alltäglichen Vorlesungen einfach zum Nachhören ins Netz stellen, stellen sie mit geringstem zusätzlichen Aufwand eine ohnehin getätigte öffentlichen Bildungsleistung einem breiteren Publikum zur Verfügung. Hilfreich für die Studenten, wenn sie mal was verpasst haben. Eine Möglichkeit für Schüler, sich ein Bild zu machen, was in einem Studium auf sie zukommt. Und eine Gelegenheit für alle anderen, sich einfach aus Interesse akademisch in dem Fach weiterzubilden, das sie interessiert. Alles kein großes Ding. Aber nützlich, interessant und höchst demokratisch.” Das klingt pragmatisch, sympathisch, nicht überambitioniert. Wer aber ene konkrete Universität in den Blick nimmt, an der Woche für Woche eine drei- oder vierstellige Zahl von Vorlesungen gehalten wird, wird vielleicht eine Ahnung vom Kostenaufwand haben, den das bedeuten würde: an Material, aber auch an Personal. Die Kosten wären immens und müssten an anderer Stelle eingespart werden. Es würde mich interessieren, wo da noch gespart werden könnte; die Grundausstattung der Universitäten in ganz Deutschland ist in den letzten Jahren schon massiv heruntergefahren worden. Demokratisierung gerne, auch Öffentlichkeit und Transparenz – aber nicht für jede Vorlesung, die ihre Bedeutung zunächst einmal innerhalb eines Studiengangs und damit innerhalb eines bestimmten Programms entfaltet, das nur als Ganzes jenen Kompetenzerwerb und die Ausprägung einer soliden Fachlichkeit ermöglicht, die das eigentliche Ziel auch der Vorlesung sind.

Auf die Diskussion hierüber freue ich mich schon …

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/152

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Master-Desaster – Follow-Up

Im vorhergehenden Artikel ging es schon um ein Problem des B.Ed./M.Ed.-Übergangs, nämlich die Tatsache, dass es nach dem B.Ed.-Abschluss weniger Exit-Optionen gibt als etwa nach einem B.A. Das ist ein ernsthaftes Problem. Ein anderes Problem ist die große Immobilität im Lehramtsstudium, gerade wenn man sich Lehrer/innen wünscht, die während ihres Studiums auch einmal einen Ortswechsel vollzogen haben.

So anerkennen die Kultusminister seit jeher wechselseitig das Staatsexamen – mit gewissen Einschränkungen in der Praxis, das ist bekannt, aber rein formal ist die Anerkennung des Staatsexamens nicht verweigerbar. Für M.Ed.-Abschlüsse war das lange durchaus schwierig; im Zuge der Verhandlungen um eine mögliche Bund-Länder-Exzellenzinitiative Lehramt sind die Kultusminister hier aber wohl einen Schritt weitergekommen. Die “Regelungen und Verfahren zur Erhöhung der Mobilität und Qualität von Lehrkräften” (KMK-Beschluss vom 07.03.2013) legen fest, dass die Länder “Zeugnisse über an Hochschulen erfolgreich abgelegte Prüfungen, die nach Maßgabe dee Bestimmungen dieser Vereinbarung erworben wurden, [...] als Zugangsvoraussetzungen für den Vorbereitungsdienst anerkennen”.

Nicht anerkannt wird also der Bachelorabschluss, denn hier differieren die landesspezifischen Lösungen stark. In NRW beispielsweise studiert man – soweit mir bekannt – zunächst einen fachwissenschaftlichen B.A., in RLP hingegen ist schon das Bachelorstudium als Lehramtsstudium angelegt. Hochschulwechsler aus NRW, die nach RLP wechseln möchten, kommen also ohne fachdidaktische Anteile an, die sie dann nachholen müssen. Damit stellt sich die Frage, ob das in RLP nur im Rahmen eines eingeschriebenen B.Ed.-Studiengang möglich ist – was ein gebührenpflichtiges Zweitstudium wäre. Umgekehrt: Wechselt ein B.Ed.-Studierender zum M.Ed. nach Berlin, muss er etwa im Fach Geschichte Fachanteile nachholen, also am besten noch in Mainz, Trier oder Koblenz zusätzliche Veranstaltungen besuchen, die strenggenommen nicht kreditierbar, weil außercurricular zu absolvieren sind.

Die Einführung modularisierter Lehramtsstudiengänge hätte hier eigentlich eine vorherige Abstimmung gebraucht; aber schon die grundsätzliche Philosophie der Lehramtsausbildung war offenbar zu uneinheitlich. Überwiegt im einen Land der Gedanke der Flexibilität (ausschließlich fachwissenschaftliche Bachelorstudiengänge, auf die man sowohl Wissenschaft als auch Lehramt oder Anwendungsmaster aufsatteln kann), so ist es im anderen Land der Gedanke der Berufsorientierung (daher eine frühe Ausrichtung auf das Lehramt, die im Sinne einer strukturierten, kontinuierlichen Ausbildung zum künftigen Lehrer sicher stärker ist).

Hier besteht offenkundig noch Diskussionsbedarf in der Kultusministerkonferenz. Man kann hoffen, dass die eventuell irgendwann einmal startende Exzellenzinitiative Lehramt dies thematisieren wird – und dass es den Fachdidaktiken und den Lehramtsexperten möglich sein wird, ihre Expertise in diesen Prozess einzubringen.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/147

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Wie viele Akademiker braucht das Land … oder was ist eigentlich die richtige Frage …

Auf das erneute Aufflammen der Diskussion war ich zufällig durch einen Artikel von Jürgen Kaube in der FAZ (“Im Bildungsrausch. Ist akademisch auch hochwertig?“, 05.09.2013) aufmerksam geworden: Man spielt wieder das beliebte OECD-contra-Duales-System-Spiel. Zunächst hatte Julian Nida-Rümelin die hochwertige Qualität des deutschen differenzierten Bildungssystems und die Güte des dualen Systems gegen die reine Fixierung auf Akademiker-Quoten in Stellung gebracht. Zu Recht, denn OECD-Quoten, die nichts darüber sagen, welches Land in welcher Situation und in welcher Marktposition sich wie entwickeln kann (und das in differenzierter und vielseitiger Perspektive), sind offensichtlich Humbug. Dass Andreas Schleicher als OECD-Vizedirektor auf diesen Angriff reagieren musste und das dann auch im Deutschlandradio-Interview mit ziemlich oberflächlichen Argumenten tat, war zu erwarten; ich kann mich an keinen Auftritt von, kein Interview mit Schleicher erinnern, aus denen ich wirklich etwas gelernt hätte.

Ratlos macht mich aber der Einwurf Nida-Rümelins. Seine Forderungen an das deutsche Bildungssystem zielen auf Persönlichkeitsbildung durch Selbstdenken und Schulung in Abstraktion (wer wollte dem widersprechen?; schließlich war das ein Bildungsziel schon vor Bologna und ist durch die Kompetenzdebatte nicht überwunden, sondern anders und in vieler Hinsicht produktiv profiliert worden); auf einen Vorrang der Allgemeinbildung vor der Spezialbildung im Sinne einer Vorbereitung auf spezifische Berufsfertigkeiten (einverstanden; allzu kontrovers scheint mir auch das nicht zu sein); auf gleiche kulturelle Anerkennung unterschiedlicher Bildungswege, insbesondere des Bildungsweges zum Facharbeiter bzw. zum Akademiker; viertens Hochschätzung der mathematischen, technischen und handwerklichen Kompetenzen statt akademischem Bildungsdünkel (den niemand verteidigen würde, selbst die nicht, die ihn praktizieren).

Fraglich ist doch vor allem, wie man dem von Nida-Rümelin befürchteten Abdriften der potentiellen Facharbeiter in unproduktive Akademikerquoten begegnen kann. Er weist selbst zu Recht darauf hin, dass Akademiker durch einen Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt nicht akademisch ausgebildete Konkurrenten oft verdrängen; und die höhere Bildungsrendite spricht er nur am Rande an. Dass Meister, Fachwirt und Techniker im Deutschen Qualifikationsrahmen dem Bachelor auf der Niveaustufe 6 gleichgestellt sind, reicht sicher nicht, um ausreichend Nachfrage an Ausbildungsberufen zu generieren. Es gibt Akteure, die Interesse an hoch qualifizierten Arbeitnehmern haben (diese Arbeitgeber bedienen ja offenkundig den von Nida-Rümelin angesprochenen Verdrängungswettbewerb), und solche Akteure, die unter diesen Rahmenbedingungen sehr rational ihren eigenen Bildungsweg suchen. Mit OECD-Forderungen hat das nicht viel zu tun, mit staatlichen Steuerungsmöglichkeiten nur bedingt.

Lohnend wäre also, diese Debatte aus der Perspektive der Arbeitgebenden und der Arbeitsuchenden zu führen. Wie macht man Ausbildungsberufe so attraktiv, dass sie auch Abiturienten in hoher Zahl ansprechen? Welche Bildungsrenditen braucht es dafür? Wieso stellen Arbeitgeber in einer Bewerberkonkurrenz eher den Hochschulabsolventen (im Zweifelsfalle überqualifiziert) ein? Wie nehmen diese Arbeitgeber möglicherweise selbst das Anforderungsfeld wahr, in dem ein Hochschulabsolvent sich dauerhaft besser behaupten kann (billiger ist er ja sicher nicht)? Nur dann könnte man auch über das sicher sehr eingeschränkte staatliche Steuerungspotential sprechen können – ob Steuerung in diesem Feld überhaupt sinnvoll ist, ist dabei nicht die Frage, da der Staat durch die Finanzierung von Hochschulen, Universitäten und Berufsschulen sowieso und zwingend immer schon steuernd tätig ist.

Links zur Diskussion:

P.S.: Jürgen Kaube beklagt im oben verlinkten Artikel, dass nicht weiter genannte Akteure auch bei 90 Studierenden pro Professor noch von einer gleichbleibenden Qualität der Bildung ausgehen. In Mainz dürfte diese Relation um ein Mehrfaches höher sein; im Fach Geschichte kommen derzeit knapp 300 Studierende auf eine Professur. Diese Zahl ist mehr oder weniger öffentlich zugänglich, und an anderen Universitäten und in anderen Fächern (vor allem in den Geisteswissenschaten, die Nida-Rümelins Ideal am ehesten ensprechen) dürfte es ähnlich aussehen. Aber das hat mit der oben geführten Diskussion nur bedingt zu tun.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/130

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Unterstützung für das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt

Die Landesregierung Rheinland-Pfalz beabsichtigt, entgegen klarer früherer Zusagen aus der gemeinsamen Finanzierung des Deutschen Polen-Institus aussteigen. Das DPI bittet um Unterstützung; eine Petition findet man unter der folgenden URL:

Die Universität Mainz als größte Universität des Landes mit ihren traditionell starken Verbindungen nach Polen hat von dem einzigartigen polen-freundlichen Umfeld bisher in hohem Maße profitiert: neben dem DPI in Darmstadt zum Beispiel auch von dem osteuropahistorischen Schwerpunkt an der Universität Gießen oder dem Wiesbadener Filmfestval GoEast. An der JGU Mainz selbst gibt es seit Jahrzehnten einen eigenen Schwerpunkt Polen mit Gastprofessuren für polnische Wissenschaftler, das Polonicum (den vielleicht besten Polnisch-Sprachkurs im deutschsprachigen Raum), eine Polonistik und etablierte Studienpartnerschaften in gleich mehreren Fächern, darunter z.B. bei den Juristen. Das Historische Seminar hat ähnlich lange intensive Kontakte zu polnischen Historikern. Auch das Institut für Europäische Geschichte in Mainz wäre wohl zu nennen, das ebenfalls sehr früh nach dem Krieg den Austausch mit polnischen Kolleg/innen gesucht hat. Für die Universtät und die Wissenschaftsstadt Mainz wäre der Ausstieg des Landes aus der Mitfinanzierung des DPI also ein herber Rückschlag; man kann nur hoffen, dass das noch vermieden werden kann. Ich bitte daher alle Mitlesenden, die Petition zu unterschreiben und auch andere auf diese Petition aufmerksam zu machen.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/122

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