Hausnummern als Ersatz für den Familiennamen bei den böhmischen „Marokkanern“ 1848/1849

1848/1849 machte in tschechisch- und deutschsprachigen Postillen eine erstaunte Meldung über eine neue, als „Sekte“ bezeichnete politisch-religiöse Bewegung die Runde: „Adamiten“ seien in Böhmen aufgetaucht, die sich selbst „Marokkaner“ nannten, da sie die Ankunft eines marokkanischen Kaisers erwarteten, der den Armen bessere Zeiten bescheren werde; ihr Anführer hieß Felzmann, ein Webergeselle, der eigenwillige Bibelauslegungen und kommunistische Ideen verbreitete. Ein Zeitungsbericht vermerkte des Weiteren:

Die Marokkaner führen keine Familiennamen, sie begnügen sich mit der bloßen Angabe der Hausnummer. Auf eindringliches Verlangen der Behörden jedoch gaben sie ihren Namen an, indem sie gewöhnlich sagen: „Vor Erkenntniß der Wahrheit hieß ich N. N., seitdem habe ich aber mit dem Glauben auch jeden Namen abgelegt.“1

Die sieben Jahrzehnte zuvor nicht zuletzt für militärische Zwecke eingeführte Konskriptionsnummer wurde somit von den „Marokkanern“ als Ersatz für den Familiennamen angeeignet, der Konversion vom christlichen Glauben zur neuen Überzeugung entsprach eine Bewegung vom Namen zur Nummer. Es ist zu vermuten, dass weitere Recherchen in den Textbeständen des 19. Jahrhunderts noch mehr solcher Überraschungen an den Tag bringen werden, der Underground dieses Jahrhunderts2 scheint eine Faszination für die Abstraktheit der Zahl gehabt zu haben.

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Quelle: http://nummer.hypotheses.org/249

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Nummern als Signum großstädtischer Anonymität – Karl Kraus und Otto Wagner

Neben der Verdammung des Einsatzes der Nummerierung als unmenschlich und den vielen gerade im 20. Jahrhundert geäußerten Beispielen einer „Nummerierungsskepsis“ gibt es auch eine moderne Tradition, die dieser positiv gegenübersteht. Prominenter Fürsprecher ist Karl Kraus, der sein Lob der auch durch Nummern garantierten Anonymität einer Großstadt wie Berlin in der Fackel von 1907 folgendermaßen auf den Punkt brachte:

Alle sind Nummern, darum hat jeder die Freiheit, eine Individualität zu sein. Alles geht nach der Uhr, darum kann jeder nach seiner eigenen gehen. Ordnung macht das Leben abenteuerlich.1

Eine ähnliche Affirmation der Nummer konstatierte wenige Jahre später auch Otto Wagner in einer ursprünglich als Vortrag an der Columbia University verfassten Publikation:

Der Hinweis auf Tradition, Gemüt, malerische Erscheinung etc. als Grundlage von Wohnungen moderner Menschen ist unserem heutigen Empfinden nach einfach abgeschmackt.

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Quelle: http://nummer.hypotheses.org/205

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Orientierung ohne Hausnummern: Aus den Memoiren eines Hofnarren

Peter Prosch war Hofnarr von Profession; seine erstmals 1789 veröffentlichten Memoiren legen Zeugnis ab von seinem abwechslungsreichem Leben und berichten auch über eine frühe Episode, in der er über die Donau nach Wien reiste. Aus der entsprechenden Passage geht hervor, dass die traditionellen Methoden des Zurechtfindens und Auffindens einer Kontaktperson – nämlich schlicht und einfach Menschen danach zu fragen – nicht mehr funktionierten und dass zugleich eine anonyme, moderne Form der Orientierung des Mangels an Hausnummern halber (diese wurden in Wien erst 1770 eingeführt) noch nicht möglich war:

Wir kamen Anno 1757. im Monat September zu Wien an, und in der Rossau auf dem Schänzl landeten wir an; (…) Ich hatte wohl zwei Briefe bei mir, einen vom Graf Künigl an seinen Hrn. Vater, Obersthofmeister, und einen von dem Prälaten von Wildau an seinen Bruder, Hrn. v. Spers. Allein man kann sich leicht einbilden, wie es sowohl von Wägen als Menschen in Wien wimmelt, und wann ich jemand fragte, bekam ich allemal nur kurze Antworten.
Ich sah auch, daß allda die gemeinen Leute nach Herrschaften nicht viel fragten, weil man nicht weiß, wer beisammen in einem Hause wohnet; ich glaubte aber, es wäre wie bei uns im Tyrol, wo ganze Gemeinden aneinander bekannt sind, und sodann, wenn man den Ort weiß, auch das Haus, und den Menschen, den man verlangt, leicht erfragen kann.
Da aber, wenn man das Numero, oder das Haus nicht weiß, erfragte man auch manchesmal nicht einmal den Papsten, voraus, weil mich niemand recht verstunde.

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Quelle: http://nummer.hypotheses.org/174

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Die Nummern der Ludditen – 1

Nur wenig ist bekannt über die Ludditen der Jahre 1811-1813, die, folgt man E. P. Thompson, keineswegs so rückwärtsgewandte Technikfeinde waren, wie lange dargestellt; auf jeden Fall schreckten sie nicht zurück, die Kulturtechnik der Nummerierung einzusetzen, wenn es darum ging, ihre Namen (vielleicht auch voreinander?) zu verbergen; klandestiner Kampf kann Nummern auf jeden Fall gut gebrauchen, wie aus einer Episode aus dem Yorkshire des Jahres 1812 hervorgeht:

Nach einem erfolgreichen Angriff ‘zog der Führer, sobald das Werk der Zerstörung vollbracht war, seine Männer zurück, hielt Appell, wobei jeder Mann auf eine bestimmte Nummer anstelle eines Namens antwortete; dann feuerten sie ihre Pistolen ab, […] stießen einen Ruf aus und marschierten in regulärer militärischer Aufstellung ab.’1

  1. Thompson, Edward P.: Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse. Frankfurt am Main: Suhrkamp es 1170, 1987, Bd. 2, S.

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Quelle: http://nummer.hypotheses.org/153

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Wider Namenzauber und die Aura der AutorInnen – ein Versuch der Zeitschrift Volltext im Jahr 2011

Klingende Namen von AutorInnen – und von Verlagen – steuern unsere Wahrnehmung und Wertschätzung von Texten, kein vernünftiger Mensch wird das gänzlich abstreiten wollen.1

Diese vor vier Jahren in einem Editorial der Literaturzeitung Volltext (Nr. 3/2011) vorgelegte Analyse ist von andauernder Gültigkeit; originell war der in der damaligen Ausgabe gewählte Umgang mit dem aufgeworfenen Problem: Die Redaktion ersetzte nämlich die Namen der AutorInnen schlicht durch Nummern und schrieb dazu:

 Wie irritierend stark dieser Namenzauber allerdings wirkt, wird erst sinnfällig, wenn man ihm die Grundlage entzieht, indem man die Namen tilgt. Das prestige-ökonomische Spielfeld ist mit einem Schlag nivelliert, der Text steht plötzlich ohne Aura vor uns. Guten Tag. So schauen Sie also in Wirklichkeit aus!2

 Zugleich wurde aber Entwarnung gegeben:



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Quelle: http://nummer.hypotheses.org/121

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Warnung und Entwarnung vor Nummer 7

Spätestens ab 1773 waren in Wien die Briefträger der so genannten „Kleinen Post“ – der Stadtpost – nummeriert;1 auch in der ungarischen Hauptstadt Ofen findet diese Kulturtechnik Verwendung und wird in einer 1789 in der Zeitung Neuer Kurier erschienenen Einschaltung gleich mal für eine Warnung vor einem vermeintlich betrügerischen Postboten verwendet:

Wir ersuchen unsere schäzbaren Abnehmer in der Festung Ofen, den Pränumerationsbetrag des eingehenden Zeitungsquartals dem Manne von der kleinen Post, welcher die Nummer 7. hat, ja nicht anzuvertrauen.2

Der Name des Botens wird nicht genannt und würde den zahlungswilligen AbonnentInnen des Neuen Kurier vielleicht auch wenig nützen; es ist die Nummer der Kleinen Post, die Vertrauen herstellt und vor der nun gewarnt wird. Doch siehe da, wenig später folgt die Entwarnung:

Die in der Beilage Nro. 117. dieser Zeitung wider den Träger der kleinen Post Nro. 7. eingerükte Warnung unserer Herrn Pränumeranten, da man bloß in der Person des schon Entlassenen einen Verdacht sezte, wird hiemit zur Aufrechterhaltung der dadurch angegriffenen Glaubwürdigkeit der kleinen Post, wiederrufen. 3

Schön, dass hier gleich von zwei Nummern die Rede ist, der Nummer der Zeitungsbeilage mit der zu widerrufenden Nachricht und nochmals die Nummer des Briefträgers, der nun schon entlassen ist; vielleicht wurde seine Stelle schon nachbesetzt, vielleicht war der Entlassene tatsächlich ein Bösewicht, doch nun gilt es, die Ehre der Numero Sieben wiederherzustellen, die nun von einer glaubwürdigen, unverdächtigen Person ausgefüllt wird. Bemerkenswert auch die verschiedenen Schreibweisen für Nummer – einmal Nummer, einmal Nro., ein immer wieder feststellbares Phänomen, so, als gäbe es eben keinen einheitlichen Begriff davon, und bemerkenswert auch der Punkt am Schluss der Nummer 7, was vielleicht ein Überbleibsel der kardinalen Zahlzuweisung ist – so als ob es sich um den siebenten Postboten handeln würde – oder, eventuell wahrscheinlicher, die seit dem Mittelalter übliche Buchführungspraxis, am Ende einer Zahl einen Punkt zu setzen, fortschreibt.

  1. Wurth, Rüdiger: Der Brief in Vergangenheit und Gegenwart Österreichs als zeitgeschichtliches Dokument – Historische Vorgänge postalisch belegt (VIII), in: Österreichisches Jahrbuch für Postgeschichte und Philatelie, 8.1985, S. 7–107, hier 41, 60.
  2. Neuer Kurier aus Ungarn in Kriegs- und Staatssachen, Nr.117 29.9.1789, Beilage, S. 1036. Országos Széchényi Könyvtár, Budapest, Signatur FM3/12137.
  3. Neuer Kurier aus Ungarn in Kriegs- und Staatssachen, Nr.120 6.10.1789, Beilage, S. 1068.

Quelle: http://nummer.hypotheses.org/20

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