Verena Hennings/ Sabine Hering
Prägungen der jüdischen Wohlfahrt durch die Wanderfürsorge
(1880-1933)
Wanderfürsorge und soziale Stiftungen als Grundsätze der jüdischen Wohlfahrt
Obwohl die Beschäftigung mit der Verfolgung, Vertreibung und Rettung der Juden sich in der Regel auf die Ereignisse in der NS-Zeit konzentriert, hat das Thema auch in den Jahrzehnten davor eine durchaus eigenständige Bedeutung gehabt. Deshalb scheint ein Blick auf die Problemlagen und Hilfestrukturen vor 1933 nicht nur von Interesse zu sein, weil diese die Voraussetzungen und die Erfahrungswerte geliefert haben, auf welchen die jüdische Selbsthilfe in der NS-Zeit aufbauen konnte; sie haben auch einen der beiden zentralen Bestandteile der jüdischen Wohlfahrt bis zum Ende der Weimarer Republik in entscheidender Weise geprägt.
Die Wanderfürsorge und der Aufbau sozialer Stiftungen sind seit jeher die beiden typischen Ausformungen der jüdischen Wohlfahrt gewesen: Während die Wanderfürsorge die Antwort auf die ‚Heimatlosigkeit’ des jüdischen Volkes darstellt, können die den spezifischen Bedürfnissen der jüdischen Bürgerinnen und Bürgern entsprechenden sozialen Stiftungen als ein Ausdruck der Repräsentanz jüdischen Lebens in der Sesshaftigkeit gelten.
In beiden Ausformungen der jüdischen Wohlfahrt finden sich – abhängig von den regionalen Gegebenheiten, wirtschaftlichen Umständen und zeitgemäßen Gepflogenheiten – große Unterschiede: Ebenso wie das Spektrum der sozialen Stiftungen von bescheidenen Formen der Selbsthilfe (z.B. kleine Kranken- und Altenstationen für in Not geratene Juden) bis hin zu prachtvollen und wegweisenden Einrichtungen reichte, zeichnet sich auch die Wanderfürsorge durch eine beachtliche Breite und Vielfalt der Hilfen aus, die im Folgenden Gegenstand der Darstellung sein werden.
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Quelle: http://akjw.hypotheses.org/54