Das institutionelle Blog als kaleidoskopischer Zugang zur lebendigen Universität – Betrachtungen aus archivarischer Sicht


0. Einleitung

Da steht sie unerwartet und plötzlich in uns: die Frage, ob ein ansprechend formulierter journalistischer Beitrag über eine Karaoke-Party in ein Universitätsblog gehört. „Tja nun“, sagen wir hinhaltend, drücken Kerben in den sich unruhig in unseren Händen windenden Bleistift und schnappen nach einer Atempause verstohlen nach Luft. „Ja nun, das war doch eine Party von Studenten“, entfährt es uns ganz altakademisch latinophil und genderindifferent! Wir erinnern uns an das Hochschulgesetz, das vorsieht, dass eine Universität von jungen Leuten bevölkert ist, die dort studieren. „Ja, studieren! Nicht Party feiern!“, raunt uns unser innerer Advocatus Diaboli zu. „Schluss jetzt!“, raunen wir zurück! Ist ein Universitätsblog allein auf Output aus der universitären Forschung und auf Beiträge aus der Lehre beschränkt? Gehört zur Universität nicht mehr und zu einem lebendigen Abbild erst recht? Wir wollen daher unseren Standpunkt zu dem, was wir uns unter einem Universitätsblog zu verstehen erlauben, ein wenig erläutern. Dabei handelt es sich einzig und allein um die persönliche subjektive Ansicht des Verfassers, der – biographiebedingt – einige Betrachtungen aus einer archivarischen Perspektive einflechten wird.

Gliederung:

  1. Erwartungshaltung gegenüber institutionellen Blogs
  2. Mandatsgemäßer Output oder Gleichberechtigung der Funktionen?
  3. Funktionen einer Universität
  4. Zusammenfassung: der Blog - ein repräsentatives Kaleidoskop

1. Erwartungen an institutionelle Blogs

Längst sind Blogs nicht mehr die Domäne von Einzelpersonen für ihre eigenen Beiträge, wenngleich solche Ein-Autoren-Blogs in der Gesamtzahl der Blogs, die das Internet bietet, weitaus die größte Zahl ausmachen dürften und auch künftig ausmachen werden.[1] Institutionelle Blogs sind neben den themenbezogenen Mehrautorenblogs zu einer dritten Komponente in der Welt der „seriösen Blogosphäre“ geworden. Wer sich beispielsweise die Liste der Blogs ansieht, die vom im Blog-Aggregator „Planet History“ abgegriffen werden, also von einem Aggregator für Blogs, die sich mit Geschichte befassen, bemerkt, dass diese Blogs eher themenbezogen als institutionsbezogen betitelt sind. Dort, wo sie nach Institutionen benannt sind, sind es Einrichtungen der Geschichtsvermittlung (z.B. Archive), die ihre Schätze und Ergebnisse präsentieren.

Spezielle Blogs von Universitäten findet man in großer Zahl. Sie sind nicht die klassischen institutionellen Blogs, etwa wie die von Archiven oder Museen. Sie sind inhaltlich nicht wie jene auf ein institutionelles Mandat ausgerichtet, das von eng abgrenzbaren Inhalten erfüllt ist. Das universitäre Mandat ist zwar durch die Hochschulgesetze klar definiert. Die sich daraus ergebenden Inhalte sind aber so weit gefächert, dass die Schere zwischen der Beziehung eines Blogs zur Institution und zu den aus ihr heraus entstehenden Sachthemen scheinbar zur schier unübersehbaren Kluft wird. Diese vermeintliche Kluft kann leicht zu Unklarheiten darüber führen, worüber denn in einem Universitätsblog geschrieben werden soll, darf, kann. Diese Frage wurde in der Praxis ebenso vielmals wie vielfach beantwortet. Die Technische Universität München (TUM) betreibt ein Blog namens „Forschung und Lehre an der Technischen Universität München“. Konzept und Umsetzung oblagen unter anderem dem Hochschulreferat Studium und Lehre, dem Medienzentrum und dem Konvent der wissenschaftlichen Mitarbeiter. Dieses Blog soll als zentrale Informations- und Kommunikationsplattform zu Themen rund um Studium und Lehre dienen und damit eine erkannte Lücke füllen. Veröffentlichen dürfen Lehrende und Studierende. Thematisch „sind keine engen Grenzen gesetzt: alle Fragen rund um Studium und Lehre können hier diskutiert werden – von der Vorstellung innovativer Lehrkonzepte und Praxisprojekte über Vorschläge zur Verbesserung der Studien- und Lehrqualität bis hin zu aktuellen hochschulpolitischen Themen.“[2]Bye Bye Uni-Blog“ lautet die Überschrift des letzten Beitrags des Blogs der Universität Potsdam, das zu stark eventbezogen ausgerichtet war, um gegenüber einem erfolgten Relaunch der um neue redaktionelle Möglichkeiten erweiterten Universitätswebsite einen akzeptablen Mehrwert zu behalten.[3] Der „Campus Passau Blog“ dient zwar keineswegs nur, aber ausdrücklich als Sprachrohr für Studierende zur Universität: „Die Universität möchte vor allem den Studierenden mit dem Blog ein Forum geben, direkt mit der Uni in Kontakt zu treten und den offenen, konstruktiven Dialog miteinander aufzunehmen.“[4]

Eine eigene Gattung sind universitäre Blogportale, die die unterschiedlichen Blogs, die in einer Universität betrieben werden, sortieren und überschaubar zugänglich machen. Dies können echte Portale sein oder als Portale getarnte Blogs, die mit einem ausgeprägten Rubrikensystem arbeiten. Ein interessantes Beispiel ist das CEDIS-Portal für die Blogs an der Freien Universität Berlin. Hier wird jedem Mitarbeiter und Studierenden der FU die Möglichkeit zum Betrieb eines eigenen Blogs gegeben. Die Nutzerkompetenz und die daraus resultierenden Blogergebnisse erscheinen aber – trotz des guten Supportangebots von CEDIS – mehr als dürftig. Als gelungen darf wohl das Portal der Blogs von Mitarbeitern der University Oxford (http://www.ox.ac.uk/blogs.html) gelten, das auf Blogs von Einzelpersonen und auf kollaborative Blogs wie z.B. das der Voltaire Foundation führt. Beachtenswert ist die Gliederung des Oxforder Portals. Sie richtet sich nach den tatsächlich verlinkten Blogs und gibt kein starres Korsett vor. Das heißt, dass die einzelnen Blogbetreiber selbst bestimmen, was Inhalt eines universitären Blogs ist und somit sein darf. Über möglicherweise existierende Aufnahmevoraussetzungen für das Portal ist keine Information auf der Portalseite hinterlegt.

All diesen Beispielen ist gemein, dass der Bezug zu den Kernaufgaben Forschung und Lehre und die Beziehungen der Studierenden zur Institution Universität die roten Fäden sind, die den Beiträgern zur inhaltlichen Orientierung mehr oder weniger verbindlich vorgegeben werden. Weiterhin fällt auf, dass Veranstaltungen und insbesondere Veranstaltungsankündigungen große Akzeptanz eingeräumt wird; letzteren, obwohl sie eigentlich eher nicht in die Idee des Weblogs als nach Antwort suchendem „Logbuch“ für Reflexion und Betrachtung, als facettenreichem und keineswegs chronologisch gemeintem „Tagebuch“ passen.

Es drängt sich der Eindruck auf, als gebe es eine nebulöse Grauzone universitären Lebens, um deren Existenz man zwar weiß, bei der aber große Unsicherheit besteht, inwieweit sie in einen „seriösen“ Universitätsblog gehöre. Plakativ sei dafür nochmals die anfangs zitierte Karaoke-Party genannt.

2. Mandatsgebundener Output oder Gleichberechtigung der Funktionen?

Quelle: http://unibloggt.hypotheses.org/228

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Science Fiction und Allgemeinplätze der Erinnerungskultur. Genre-atypische Anspielungen auf den Holocaust in Christopher Nolans Interstellar

Heftige Staubstürme fegen über die Erde. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind zu einem trostlosen Agrarstaat geworden, heimgesucht von einer Plage, die nur noch den spärlichen Anbau von Mais zulässt. Um die von Nahrungsengpässen gequälte Bevölkerung zu ernähren, hat der Staat auf Planwirtschaft umgestellt, und in der Schule wird nur noch das Nötigste unterrichtet. Pionier-Errungenschaften, auf die das alte Amerika so stolz war, werden als Propaganda verleugnet. So zum Beispiel die Mondlandung des Apolloprogramms.

Der verwitwete Farmer Cooper (Matthew McConaughey), einst einer der besten Piloten des Landes, wird durch anormale Erscheinungen im Zimmer seiner Tochter auf die Existenz eines geheimen NASA-Stützpunkts aufmerksam. Im Verborgenen werden hier Missionen zu unbekannten Planeten koordiniert, die den Menschen Zuflucht bieten sollen, wenn in absehbarer Zeit die Erde endgültig unbewohnbar sein wird.

Cooper bekommt die Aufgabe, drei Planeten zu untersuchen. Nach einigen irrwitzigen Drehungen und Wendungen – Vorsicht, Spoiler! – gelangt Cooper in eine fünfdimensionale Sphäre, in der Zeit eine physikalische Eigenschaft ist. Vergangenheit und Zukunft sind variabel, so kann er seiner Tochter Zeichen geben, um mit dem im All erlangten Wissen Raumschiffkolonien zu bauen, die es den Menschen erlauben, die Erde zu verlassen und eine amerikanische Kleinstadtidylle in der Umlaufbahn des Saturn zu reproduzieren.

Christopher Nolans jüngster Film über Zeit und Raum, Liebe und Vergänglichkeit ist ein eindrückliches Kinoerlebnis. Der verdrehte Plot wird durch eine überwältigende Visualisierung unterstützt und ist gespickt mit Film- und Literaturzitaten, beispielsweise zu Kubricks 2001: Odyssee im Weltall oder John Steinbecks Früchte des Zorns.

Sind diese Referenzen in einem dystopischen Science-Fiction-Film erwartbar, so bedient sich Interstellar jedoch einiger Tropen, die sich regelmäßig nur in Repräsentationen des Holocaust wiederfinden. Diese genre-atypischen Anspielungen sind vermutlich nicht bewusst mit dem Holocaust im Hinterkopf in den Film aufgenommen worden, sie zeigen jedoch die wirkungsvoller Referenz, die der Holocaust für die Ästhetik und Narration amerikanischer populärer Filme darstellt.

Zwei Anspielungen fallen hier ins Auge: Zu Beginn des Films werden Ausschnitte von videographierten Zeitzeugeninterviews eingespielt. Diese Oral-History-Interviews ähneln den ikonischen Interviews mit Holocaust-Überlebenden, die systematisch seit den späten 1970er Jahren aufgezeichnet werden und vor allem durch Steven Spielbergs Shoah Foundation einem breiten Publikum bekannt gemacht wurden. Diese Interviews, in denen Zeitzeugen als in Würde gealterte Menschen gezeigt werden, die aus der sicheren Retrospektive ihre schreckliche Vergangenheit bezeugen, sind aus unzähligen Dokumentarfilmen bekannt. Sie werden in Museen und im Schulunterricht eingesetzt und zunehmend über das Internet verbreitet.

Erst zum Ende von Interstellar wird den Zuschauern klar, dass es sich auch in diesem Film tatsächlich um Zeitzeugen-Interviews von Überlebenden handelt, die in einem musealen Kontext gezeigt werden. Auf der Raumschiff-Kolonie wurde Coopers alte Farm als Museum nachgebaut, auf der das Leben vor dem Exodus dargestellt wird. Verschiede Installationen von Zeitzeugen-Interviews markieren diesen Ort erst als historisierendes Konzeptmuseum, wie es beispielsweise das U.S. Holocaust Memorial Museum oder unzählige andere Gedenkstätten und Holocaust-Museen sind. Ähnlich wie in den Holocaust-Interviews reflektieren die Überlebenden der Erde aus einer neuen und besseren Welt den Untergang der alten. Anne Rothe bezeichnete das (videographierte) Zeugnis als „Währung der Überlebenden“.[1] Indem Interstellar die Ikonographie der Holocaust-Zeugnisse kopiert, wird das Leiden der Erdlinge in die Währung des Holocaust umgetauscht.

Es gibt noch eine zweite Anspielung. Zum Ende des Films landet Cooper auf der Exilkolonie. Er hat sich allerdings zu lange in der Nähe des Schwarzen Lochs Gargantua aufgehalten, was zu einer gravitationsbedingten Zeitdilatation (Wikipedia) führte – mit der Auswirkung, dass die Menschen auf der Erde schneller alterten als Cooper und seine Kollegen im All.[2] So kommt es zu der kuriosen Situation, dass er als nur unwesentlich gealterter Mann an das Sterbebett seiner 90-jährigen Tochter gerufen wird. Im Krankenzimmer haben sich seine zahlreiche Nachfahren versammelt, unter denen er einer der Jüngeren ist. Abgesehen von dieser beliebten Konstellation eines Science-Fiction-Films steckt in der Zusammenkunft der Überlebenden mit ihren Nachfahren ein Motiv, das regelmäßig in Holocaust-Repräsentationen aufgegriffen wird. So beispielsweise in Schindlers Liste, wo auf die zahlreichen Nachkommen der von Oskar Schindler geretteten Juden verwiesen wird, oder in Interviews der Shoah Foundation, in denen die Zeitzeugen mit ihren (nachgeborenen) Angehörigen zu einem finalen symbolträchtigen Gruppenbild vereint sind. Insbesondere die Kinder und Enkelkinder der Zeitzeugen können so das positive Vermächtnis des Überlebens visualisieren und der Erzählung ein versöhnliches Ende geben. Das Überleben bekommt über das Zeugnisablegen für die Opfer und den Schrecken hinaus einen Sinn, denn es hinterlässt neues Leben, gründet gewissermaßen eine neue Lineage, die den dauerhaften Sieg des Überlebens über den Völkermord symbolisiert. Das Gruppenbild wurde zu einem Markenzeichen der Shoah Foundation, das in annähernd der Hälfte aller Interviews zu finden ist. Eine ganz ähnliche Funktion erfüllt die Familienzusammenführung in Interstellar. Obwohl die Familie auseinandergerissen wurde, hinterlässt sie eine Abstammungslinie und triumphiert so über den Untergang der alten Heimat.

Motive, die sich zur Darstellung des Holocaust etabliert haben, markieren in diesem fantastischen Untergangsfilm das Überleben. Dies verdeutlicht einmal mehr, wie der Holocaust und seine Überlebenden zu einer Chiffre der Popkultur geworden sind, die ihre Schwere und Wirkung aus dem Wissen um das reale historische Ereignis zieht. Die Überlebenden des Holocaust wie auch der Erde in Interstellar verstärken durch ihre Existenz, vor allem jedoch durch ihre Zeugnisse, den Triumph des Guten über das Böse und negieren so die reale wie auch die fiktive Dystopie.

[1] Anne Rothe, Popular Trauma Culture. Selling the Pain of Others in Mass Media, New Brunswick u.a.: Rutgers 2011, S. 29.

[2] Für eine Diskussion weiterer (logischer) Löcher des Films siehe 21 Things In Interstellar That Don't Make Sense oder ein Interview mit dem Regisseur.

Quelle: http://fyg.hypotheses.org/234

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Arbeitest du noch oder fühlst du schon? Zur Vereinbarkeit von Arbeit und Leben bei „neuen Vätern“ und Karrierefrauen in der Ratgeberliteratur (Teil 1) – von Katrin Kreismayr und Katrin Anna Walch

Der Wunsch nach einer gelungenen Vereinbarkeit von Arbeit und Leben zeichnet den Großteil der arbeitenden Bevölkerung aus. Daher existiert eine Fülle an allgemeinen Work-Life-Balance-Ratgebern, zu welchen in den letzten Jahren auch Bücher hinzu traten, die sich speziell an „neue Väter“ … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/7643

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Archivwissenschaft an der Unversität Bayreuth oder: Was machen Jugendämter mit Kaugummiautomaten?

„Nun ist euer Universitätsarchiv gerade einmal ein halbes Jahr alt und ihr habt es bereits geschafft, die Archivwissenschaft an der Universität Bayreuth in die Lehre zu bringen! Wie habt ihr das gemacht?“ Die Bewunderung, die in dieser Frage mitklingt, die mir seit dem Wintersemester 2013/14 von Kolleginnen und Kollegen aus ganz Deutschland hin und wieder gestellt wurde, konnte ich stets auf die Kulturwissenschaftliche Fakultät unser Universität Bayreuth und hier besonders auf die Facheinheit Geschichte hinlenken. Von hier ging es aus, das Fach in der Studienordnung des BA-Studiengangs „Europäische Geschichte“ (und neuerdings auch des interdisziplinären Studiengangs „Kultur und Gesellschaft“) unter der Kursbezeichnung „Historische Dokumentation und Archivierung“ als einsemestriges Pflichtmodul mit zwei Wochenstunden zu verankern.[1] Das wirklich Besondere daran ist, dass die Studierenden hier in die Arbeit des Archivars eingeführt werden, während ihre Befähigung, mit Archiven selbst als Nutzer umzugehen, nicht der zentrale Gegenstand dieses Studiengangmoduls sein soll. Wenn das Fach in Bayreuth nun auch älter ist als das Universitätsarchiv und keineswegs mit dessen Zutun eingerichtet worden ist, ist seine in den letzten beiden Jahren gestiegene überregionale Beachtung vor allem auf die Öffentlichkeitsarbeit des Archivs in den Social Media zurückzuführen.[2] Indem dort in unregelmäßigen Abständen auf einzelne Sitzungen und deren Themen hingewiesen wurde, zeigte das Archiv jedem an seinen Nachrichten Interessierten, dass sich der Unterricht am aktuellen Stand der internationalen archivwissenschaftlichen Fachdiskussion ausrichtet und Traditionen nicht ohne kritische Auseinandersetzung und Infragestellung weitergibt.

Um der Praxisbezogenheit, die die Studienordnung von der Übung fordert, gleichermaßen wie dem Ziel der Befähigung der Studierenden zur Reflexion archivischer Methoden gerecht zu werden, besteht die Lehrveranstaltung  insgesamt aus zwei Teilen. Während im Mittelpunkt des praktischen Teils die Archivalienerschließung mit Fachsoftware steht, wechselt der Schwerpunkt des theoretischen Teils von Semester zu Semester.


Slide aus der Lehrveranstaltung, Thema "Bewertung der Archivwürdigkeit"

So lag im Wintersemester 2013/14 die Betonung auf der Makrogenese von Verwaltungsschriftgut und Archivbeständen, also auf den Grundlagen von Schriftgutorganisation und auf der Bestimmung der sog. „Archivwürdigkeit“ von Akten und anderem Verwaltungsschriftgut. Im laufenden Semester liegt der Fokus auf dem Archivrecht und der Erschließungstheorie.


Slide aus der Lehrveranstaltung, Thema "Erschließungsstandards"

Für ein weiteres Semester käme beispielsweise ein intensivierter Blick auf das „Archiv 2.0“, auf die Rolle von Social Media und Web 2.0-Technologie für das archivarische Kerngeschäft in Frage.[3] Wie man sieht, wäre auch ein mehrmaliges Belegen des Kurses keineswegs nur Wiederholung.

Nicht zuletzt profitieren die Studierenden von der Einbindung des Universitätsarchivs in die archivwissenschaftliche Forschung. Das Archiv der Universität Bayreuth ist ein gefragter Ansprech- und Gesprächspartner vor allem in Fragen der Erschließungslehre. Es wirkte beratend am Fachkonzept für die Zugänglichmachung des rwandischen Gacaca-Archivs mit und beteiligt sich protagonistisch bei der Umsetzung internationaler Erschließungsstandards, unter anderem in engem Kontakt mit dem deutschen Team des „Archives Portal Europe Network of Excellence“ (APEx).

Mit der praxisorientierten Archivwissenschaft im Rahmen des Geschichtsstudiums bietet die Universität Bayreuth Studieninteressierten und den Studierenden eine echte Perle. Die  viel zitierte „Schwellenangst“ des Historikers vor dem Archiv wird hier beim Umgang mit originalen Archivalien in geradezu spielerischer Weise überwunden, archivarische Arbeitsweisen und deren Gründe lernen die Studierenden zu verstehen und in ihr eigenes Nutzerverhalten zu transferieren. Gerade das sind zwei wichtige Voraussetzungen für die angehenden Historikerinnen und Historiker, Forschung durch die Einbeziehung der Quellen fundiert zu betreiben und fundierte Forschungsergebnisse erzielen zu können.

Ach ja, da waren noch die Kaugummiautomaten! Was machen denn nun Jugendämter mit Kaugummiautomaten? Nichts! Hat das überhaupt etwas mit Archiv und Archivwissenschaft zu tun? Ja, durchaus! Jenes „nichts“ war die völlig richtige Antwort des Kurses auf jene Frage, die sich illustrierend im Zusammenhang mit der Untersuchung von Ursächlichkeiten für die Entstehung von Behördenakten stellte. Weitergehende Ausführungen würden diesen Beitrag aber in jeder Hinsicht sprengen. Wer dennoch mehr dazu erfahren will, der kann am nächsten Kurs im Wintersemester 2015/16 teilnehmen oder das Thema auf dem APEx-Blog vertiefen.[4]

Quelle: http://unibloggt.hypotheses.org/212

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Die Rostocker Stadtbefestigung

Rostock war und ist die bedeutendste Stadt in Mecklenburg. Damit einher geht das Erfordernis sich auch in diesem Rahmen verteidigen zu können. Im Mittelalter konnte dies mit eindrucksvollen Toren durchaus umgesetzt werden, doch verliert sich dieser Machtausdruck mit der Notwendigkeit … Weiterlesen

Quelle: http://fortifica.hypotheses.org/85

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Japans „glückliche“ Jugend – Im Gespräch mit Carola Hommerich

Carola Hommerich ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am DIJ Tokyo. Hier arbeitet sie zu Glück und sozialer Ungleichheit in Japan und erforscht insbesondere die Zusammenhänge von objektiver Prekarität und subjektivem Exklusionsempfinden. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen der umfragegestützten, interkulturell vergleichenden Einstellungs- und Werteforschung sowie der soziologischen Ungleichheitsforschung.

Carola Hommerich ist Wissenschaftliche
Mitarbeiterin am DIJ Tokyo. Hier arbeitet sie zu Glück und sozialer Ungleichheit in Japan und erforscht insbesondere die Zusammenhänge von objektiver Prekarität und subjektivem Exklusionsempfinden.
Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen der umfragegestützten,  interkulturell vergleichenden Einstellungs- und Werteforschung sowie der soziologischen Ungleichheitsforschung.

Frau Hommerich, war früher wirklich alles besser?

Das kommt darauf an, was man unter „früher“ versteht. Vergleicht man die Situation der heute 20- bis 30-jährigen Japaner mit der ihrer Eltern in den 1970er und 1980er Jahren, dann ist beispielsweise der Einstieg ins Berufsleben heute sicherlich schwieriger und mit mehr Risiken behaftet. Damals war es noch einfacher, eine unbefristete Festanstellung zu finden. Heute liegt der Anteil nicht-regulär Beschäftigter bei den 15-24-jährigen Berufstätigen bei 32,3 Prozent. Ein Wechsel in eine reguläre Anstellung im späteren Berufsverlauf ist nur schwer möglich. In Zeiten des wirtschaftlichen Booms konnte man vermutlich noch etwas unbeschwerter jung sein als heute. Das gilt nicht nur für Japan. Deutschland hat eine ähnliche Verschiebung hin zu befristeten und prekären Jobs erlebt, und in vielen europäischen Ländern ist die Lage der jungen Berufseinsteiger weitaus kritischer. Auffällig ist aber, dass die jungen Japaner stark verunsichert sind: Aus einer international vergleichenden Umfrage des japanischen Kabinettbüros von 2013 geht hervor, dass sich die japanische Jugend große Sorgen macht – um ihre berufliche Zukunft, um ihre Rente, um die wirtschaftliche Situation Japans allgemein, um soziale Beziehungen am Arbeitsplatz. Insgesamt sind diese Ängste stärker ausgeprägt als in den Vergleichsländern Deutschland, den USA, Schweden, Korea und Frankreich – dabei sind junge Menschen etwa in Frankreich objektiv größerer Prekarität ausgesetzt als in Japan.

Sie haben sich 2009 in einer Monographie für die Reihe des Deutschen Instituts für Japanstudien (DIJ) mit dem Thema „Jugend und Arbeit“ auseinandergesetzt. Woher kam Ihr Interesse für dieses Thema?

Die Idee für den Vergleich entstand während eines Auslandssemesters in Tokyo im Winter 2001/2002. Mir fiel auf, dass meine japanischen Freunde sich mit ähnlichen
Themen befassten wie meine deutschen Kommilitonen und ich: Wie soll es nach dem Studium weitergehen? Soll ein Job vor allem gut bezahlt werden, oder sollen Inhalt und individuelle Gestaltungsfreiheit im Vordergrund stehen? Mich hat damals interessiert,
ob es in Japan langfristig zu einer Individualisierung kommt, in dem Sinne, dass Selbstverwirklichung als wichtiger bewertet wird als finanzielle Sicherheit. Mit dem Eintritt ins Berufsleben verschieben sich die Prioritäten aber, da die Realität des Arbeitsmarktes
den idealistischen Ansprüchen nicht gerecht wird. Nach einigen Jahren in prekären Jobs, die zwar Raum für Selbstverwirklichung, Hobbys und Freunde lassen, aber bei denen man finanziell immer an der Armutsgrenze lebt, rücken materielle Aspekte letztendlich
doch stark in den Vordergrund – gerade wenn es irgendwann darum geht, eine Familie zu gründen. In der Hinsicht waren sich junge Japaner und junge Deutsche sehr ähnlich. In Deutschland habe ich mir damals die gut ausgebildete „Generation Praktikum“ angeschaut. Davon schafften es die meisten nach einer Art „Leidenszeit“ in verschiedenen Praktika doch auf eine feste Stelle. Im stark segmentierten japanischen
Arbeitsmarkt ist der Übergang in eine reguläre Beschäftigung dagegen meist nur schwer möglich. So verfestigt sich die Prekarität im Lebensverlauf. Mittlerweile sehen junge Japaner nicht-reguläre Jobs nicht mehr als Möglichkeit, etwas auszuprobieren, oder als Chance auf Freiheit und Selbstbestimmung. Das hat sich vor allem nach der internationalen Finanzkrise noch verstärkt: Bei den jungen Absolventen stehen heute wieder finanzielle Sicherheit und Planbarkeit an erster Stelle.

In Ihrer Monographie „‚Freeter‘ und ‚Generation Praktikum‘ – Arbeitswerte im Wandel? Ein deutsch-japanischer Vergleich“ beschreiben Sie eine verlorene Generation. Von der japanischen Bevölkerungsgruppe zwischen 15 und 24 Jahren waren 2003 9,8 Prozent arbeitslos. Durch die steigende Jugendarbeitslosigkeit ist vor allem Südeuropa mit ähnlichen Problematiken konfrontiert. Wie ist Japan mit diesen kritischen Entwicklungen umgegangen?

Im Vergleich zu Jugendarbeitslosenraten von über 55 Prozent, wie in Griechenland oder Spanien, klingen fast 10 Prozent nicht besonders problematisch. Es kommt aber darauf an, an was eine Gesellschaft gewöhnt ist. In Japan lag die Arbeitslosenrate von Anfang der 1970er bis Mitte der 1990er Jahre unter 3 Prozent. Dagegen sind 10 Prozent Jugendarbeitslosigkeit erschreckend viel. Man kann allerdings nicht behaupten, dass die japanische Regierung besonders viel unternommen hätte, um den jungen Menschen den Berufseinstieg zu erleichtern. Politische Maßnahmen richteten sich eher an ältere Arbeitnehmer, die die Zeit nach der Pensionierung mit 60 Jahren bis zum Beginn der Rentenzahlungen mit 65 Jahren überbrücken müssen. In dieser Gruppe war der Anteil Arbeitsloser ebenfalls stark – auf 8 Prozent – angestiegen. Die Hauptstrategie zur Reduktion von Arbeitslosigkeit in Japan war Deregulierung. So kommt es, dass so hohe Anteile junger Menschen in atypischen, meist befristeten Jobs sind. Empfehlenswert finde ich diese Vorgehensweise nicht. Eine neue Studie von Wei-hsin Yu von der Universität Texas zeigt für Japan, dass sich eine nicht-reguläre Beschäftigung langfristig negativer auf die individuelle Karriere auswirkt, als eine Phase der Arbeitslosigkeit. Allerdings müsste man das in weniger stark segmentierten Arbeitsmärkten überprüfen und auch psychologische Aspekte einbeziehen. In der Hinsicht ist eine Beschäftigung, auch wenn sie prekär ist, immer noch besser als keine. Das zeigen Daten einer landesweiten Befragung, die ich 2009 für das DIJ in Japan durchgeführt habe: Arbeitslose fühlen sich sehr viel stärker von der Gesellschaft ausgeschlossen als atypisch Beschäftigte. Diese Exklusionserfahrung wirkt sich stark negativ auf das subjektive Wohlbefinden aus.

Der „Jugend von heute“ wurde erst kürzlich in einem „Weckruf “ der FAZ wieder vorgeworfen, sie würde sich zu wenig auflehnen. Gibt es in Japan einen vergleichbaren Diskurs und wenn nicht, warum?

In Japan wurde die Jugend über die letzten Jahrzehnte hinweg immer wieder für ihre Passivität und ihr politisches Desinteresse kritisiert. Durch ihr selbstzentriertes und in sozialen Belangen apathisches Verhalten würde sie der Gesellschaft schaden. Die Gründe für dieses Verhalten werden unterschiedlich interpretiert. Der junge Soziologe Noritoshi Furuichi beispielsweise behauptet, die Jugend wisse, dass sie kaum politischen Einfluss habe – durch die starke demografische Alterung ist die Jugend als Wählergruppe eher uninteressant – und dass es für sie keine Aussicht auf sozialen Aufstieg gäbe. Statt nach Höherem zu streben oder für ihre Rechte zu kämpfen, habe sie sich mit ihrer Situation arrangiert und sei damit zufrieden. Ich denke, seine Einschätzung ist nicht ganz falsch, zumindest was die Desillusion betrifft. In einem zentralen Punkt würde ich ihm aber widersprechen: Was ich an Daten kenne, spricht eindeutig gegen eine „glückliche“ Jugend. Im Gegenteil: Ein Großteil der jungen Japanerinnen und Japaner ist unzufrieden und zutiefst verunsichert, steht unter immensem Leistungsdruck und hat Angst, den Anschluss an die Gesellschaft zu verlieren. Das gilt auch für die besonders gut Ausgebildeten. Ähnlich wie in Deutschland handeln sie stark „Lebenslauf-gesteuert“ – bei Handlungsentscheidungen wird immer auch abgewogen, wie etwas in der Bewerbungsmappe wirkt.

Sowohl Japan als auch Deutschland sind einem massiven demografischen Wandel ausgesetzt. Wie wirkt sich dieser Ihrer Meinung nach auf den Jugendbegriff beider Gesellschaften aus? Kann man hier noch von „Generationen“ sprechen?

Politische Maßnahmen richteten sich eher an ältere Arbeitnehmer, die die Zeit nach der Pensionierung mit 60 Jahren bis zum Beginn der Rentenzahlungen mit 65 Jahren überbrücken müssen.

Politische Maßnahmen richteten
sich eher an ältere Arbeitnehmer, die die
Zeit nach der Pensionierung mit 60 Jahren
bis zum Beginn der Rentenzahlungen
mit 65 Jahren überbrücken müssen.


Von Generationen kann man sicherlich auch weiterhin sprechen. Allerdings verschiebt sich die Bedeutung, die den Problemen einzelner Generationen zugeschrieben wird. Die Vernachlässigung der japanischen Jugend durch die Politik ist meiner Ansicht nach ein schwerwiegendes Problem. Das zeigt sich bereits am oben erwähnten Beispiel von
Arbeitsmarktmaßnahmen, die sich mehr auf die finanziell gut abgesicherte, aber zahlenmäßig starke Generation der Älteren richteten, als auf die prekäre, aber mit Blick auf Wählerstimmen eher unbedeutende Generation der Jungen. Auch in Bezug auf Familienpolitik passiert in Japan zu wenig. Als sei die niedrige Fertilitätsrate kein existentielles Thema. Das ist es aber natürlich, wenn ein Viertel der Bevölkerung älter als 65 Jahre ist. Zukunftsweisend ist eine solche Politik nicht.

Stichwort: „30 ist das neue 40“ – junge Menschen scheinen sich immer früher alt zu
fühlen. Das steht im Gegensatz zu unserer tatsächlichen Lebenserwartung und körperlichen Fitness. Definiert sich die deutsche Gesellschaft gegenwärtig mehr über das Alter als über andere Merkmale? Und wie geht man in Japan mit dem Älterwerden um?

Die Quarterlife Crisis auf die Sie sich beziehen, ist tatsächlich ein Problem. Ich glaube aber, dass es dabei nicht um die Frage geht, wie alt man ist oder sich fühlt, sondern darum, dass viele junge Menschen einen Leistungsdruck erleben, der sie überfordert.
Das beginnt in der Schule, zieht sich durchs Studium und dann weiter hinein ins Berufsleben. Unter meinen deutschen und japanischen Interviewpartnerinnen und -partnern hatten viele die Vorstellung, dass dieser Druck mit dem Eintritt ins Arbeitsleben aufhört. Die Realität sah aber meist anders aus: Die Anspannung wuchs noch, weil der erste Job auf wenige Monate befristet war, oder hohe Leistung bei extremen Arbeitszeiten forderte. Einige hielten diesem Druck nicht stand und erlebten eine Art Burn-out bis hin zu starken psychischen Problemen. Das gab es in Deutschland genauso wie in Japan. Im Großen und Ganzen ist mein Eindruck aber, dass die jungen Deutschen mit den Risiken postmoderner Erwerbsbiographien besser umzugehen wissen als ihre japanischen
Altersgenossen. Das liegt möglicherweise daran, dass sie nicht mit der Erwartung aufgewachsen sind, ein Leben lang bei einer Firma zu arbeiten. In Japan ist das immer noch die Idealvorstellung. So steht etwa bei der Wahl der Universität und des Studienfachs nicht die Frage im Vordergrund, was man einmal inhaltlich machen möchte, sondern wie hoch der Anteil von Absolventen dieser Universität ist, der bei einem großen Unternehmen festangestellt wird. Von beruflicher Selbstverwirklichung ist man da weit entfernt.

Quelle: http://gab.hypotheses.org/1493

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Kulturgeschichte und chinesische Medizin


"Die Tradition der Chinesen dürfte in der ganzen Welt ohne Beispiel sein, den berühmtesten Ärzten in den größeren Städten des Landes überall Tempel zu erbauen, um die Erinnerung an sie wachzuhalten und sie zu verehren. In diesen "Tempeln der Medizinkönige" sind ihre Namen auf Tafeln verzeichnet, und die Menschen gingen bis zu Anfang dieses [d.i., des 20.] Jahrhunderts in die Hallen und brachten den Geistern der Ärzte Opfergaben." (yaowangmiao [藥王廟])[1]

Dieser Satz aus Manfred Porkerts Die chinesische Medizin regt dazu an, sich mit den kulturgeschichtlichen Aspekten der traditionellen chinesischen Medizin zu beschäftigen[2].

Vor allem die Verehrung des angeblich von 581 bis 682 lebenden Arztes Sun Simiao 孫思邈[3] scheint alle Dynastiewechsel des kaiserlichen China sowie alle Umbrüche des 20. Jahrhunderts überdauert zu haben.  Während der Qing-Dynastie (1644-1912) wurde Suns angebliche Heimatstadt in Yaowang Shan 藥王山 (d. i. "Medizinkönig-Berg") umbenannt [4]  Nach wie vor wird Sun Simiao beispielsweise in dem im Süden Beijings liegenden Baiyun Si  白雲寺 ("Tempel der Weißen Wolke") verehrt.[5]

Neben dem hier exemplarisch genannten (volks)religiösen Aspekt bieten sich für weitere Betrachtungen von "Wechselwirkungen" zwischen Medizin und Kulturgeschichte in erster Linie wohl die Bereiche Bildung/Buchdruck und Ernährung an. Da man von einer einführenden Darstellung zur Kulturgeschichte Chinas nicht unbedingt ein Kapitel über die traditionelle Medizin erwarten sollte, werden die "medizinischen" Aspekte wohl bei den genannten Bereichen in die Darstellung einfließen.

 

  1. Manfred Porkert: Die chinesische Medizin (Düsseldorf, 2. Aufl. 1989) 287.
  2. Zu berühmten chinesischen Ärzten vgl. die sehr kurzen biographischen Angaben unter "Famous Chinese Physicians of the Past" auf den Seiten des Institute for Traditional Medicine, Portland, Oregon
  3. Zu Leben und "Nachleben" Suns vgl. Paul U. Unschuld: "Der chinesische "Arzneikönig" Sun Simiao. Geschichte - Legende - Ikonographie. Zur Plausibilität naturkundlicher und übernatürlicher Erklärungsmodelle." In: Monumenta Serica 42 (1994) 217-257.
  4. Vgl. dazu Iiyama Tomoyasu, Macabe Keliher (trans.): "Maintaining Gods in Medieval China: Temple Worship and Local Governance in North China under the Jin and Yuan" In: Journal of Song-Yuan Studies 40 (2010) 79 Anm. 11. Anm. d. Übers.
  5. Vgl. etwa Volker Scheid: Chinese Medicine in Contemporary China. Plurality and Synthesis (Durham 2002) 17.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1512

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Wein für den neuen Gouverneur

Neue Nachbarn sollte man willkommen heißen, besonders wenn sie potentiell gefährlich waren. So oder so ähnlich wird der Rat der Stadt Wesel gedacht haben, als er davon hörte, daß die spanische Garnison im knapp 30 km entfernten Geldern „widder“, wie es hieß, einen neuen Kommandeur bekommen hatte. Am Montag, den 25. November 1647, wurde daraufhin in der Ratssitzung beschlossen, Arnhold Bongardt nach Geldern zu schicken. Dort sollte er dem neuen „Gubernator“, wie er im Ratsprotokoll genannt wurde, seine Aufwartung machen und ihm Wein verehren.

Am Dienstag, 3. Dezember 1647, erfolgte dann der Bericht des Weseler Abgesandten vor dem Rat der Stadt Wesel: Er habe dem Gouverneur „salutirt“ und ihm den Wein übergeben. Damit hatte er aber die Bitte verbunden, der Gouverneur möge die spanischen Streifparteien anhalten, „daß sie hiesige burger mit abpressungh einigh bier oder tuback [!] gelt nicht molestieren sollen.“ Tatsächlich versprach der Gouverneur darauf hin zu wirken, „daß die partheien keine vberlast den burgern zufuegen sollen.“

Was sich hier abspielte, war ohne Zweifel eine in langen Jahrzehnten eingeübte Praxis. Schon seit den frühen Jahren des niederländischen Aufstands, spätestens aber seit dem Niederrheinischen Erbfolgefall, in dessen Zug spanische und generalstaatische Truppen feste Positionen am Niederrhein besetzt hielten, waren die Streifparteien beider Armeen eine ständige Belastung für die Bevölkerung. Letztlich reagierte auch der Rat von Wesel relativ routiniert auf den Personalwechsel in Geldern, auch wenn man sich in der Stadt wenig Illusionen über den Effekt dieser Initiative gemacht haben wird. Doch war ein solcher Antrittsbesuch, wie Bongardt ihn namens Wesel unternahm, sicherlich wichtig; face-to-face-Kommunikation war durch verschickte Briefe nicht zu ersetzen.

Auffällig ist der Hinweis auf das Verfahren der spanischen Söldner: Daß sie einfach nur Geld für Bier und Tabak haben wollten, hört sich wie eine fast schon gutmütig-sympathische Form der Wegelagerei an. Sicher mag schon ein solches zwangserhobenes Trinkgeld dem einen oder anderen Betroffenen eine schmerzhafte Lücke in die Börse gerissen haben. Doch im Vergleich zu den Praktiken der 1620er Jahre, als man beim sog. „Fangen und Spannen“ die Reisenden gefangen setzte, verschleppte und für viel Lösegeld freikaufen ließ, erscheint das Biergeld tatsächlich recht harmlos. Ob sich die Kriegsparteien und die Bevölkerung im Laufe der Jahre und Jahrzehnte tatsächlich etwas aneinander gewöhnt und gleichsam humanere Formen des Straßenüberfalls entwickelt hatten? Oder war diese Formulierung nur ein Euphemismus für immer noch sehr gewalttätige Übergriffe?

Die Hinweise hier sind entnommen dem Ratsprotokoll der Stadt Wesel (Stadtarchiv Wesel, A 3: Ratsprotokolle Nr. 97 [1647-1648], hier fol. 103‘ und 106‘), übrigens eine wunderbare Fundgrube für ganz unterschiedliche thematische Aspekte (und gut lesbar zudem!). An der Stelle auch einen herzlichen Dank an meine Kollegin Irena Kozmanová, die derzeit mit diesem Material arbeitet und mir hier Einblick gewährte.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/572

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Die Wissenschaft vom Multitask

Wenn ich als Kind gerade nicht Schriftsteller werden wollte, war definitiv Wissenschaftler mein Berufswunsch. Ich weiß nicht, ob es euch auch so ging, aber ich hatte da einen verschrobenen Geist vor Augen, der sich 24 Stunden täglich und an sieben Tagen in der Woche um eine Forschungsfrage kümmern kann, die er dann irgendwann löst. Und wenn ich mir jetzt meine tägliche Arbeit so anschaue, muss ich feststellen, dass die Wirklichkeit bei mir - wie bei eigentlich allen Kolleg|inn|en in meinem näheren Umfeld - doch ein wenig anders aussieht.

Ich will hier jetzt gar nicht das große Klagelied anstimmen, dass ja sowieso immer alles auf den Mittelbau abgewälzt wird, der dazu meist noch unter dem Damoklesschwert der Befristung darbt. Nein, ich glaube, insgesamt geht es sicher auch der Professor|inn|enschaft nicht besser, die zwischen Lehre und administrativen Aufgaben auch um Zeit ringen muss, sich mit der eigenen Forschung beschäftigen zu können (was der PHD-Comic ganz nett einfängt, wobei der eher die amerikanischen Hochschullehrer abbildet).

PHD comics by Jorge Cham
www.phdcomics.com

Da meine Aufgaben in letzter Zeit immer mehr zerfaserten, musste ich eine Organisationsstruktur zurechtlegen, die mich überall einigermaßen auf dem Laufenden halten kann, welche Aufgaben dringend der Behandlung bedürfen, ohne aus den Augen zu verlieren, was noch so alles erledigt werden muss. Was habe ich nicht alles ausprobiert - Tafelbilder auf dem Whiteboard hinter mir oder Task-Listen auf Schmierzetteln vor mir festgehalten, e-Mails sortiert, zweistellige Zahlen von Google-Docs angelegt und dazu To-Do-Listen auf unterschiedlichen Plattformen ausprobiert. Momentan bin ich dabei angekommen, auf Evernote je eine Notiz zu allen verschiedenen Aufgaben, die ich im Moment betreue, anzulegen und dort wichtige Termine und ToDos festzuhalten. Momentan liegen in dem Ordner zehn dieser gegliederten Notizzettel. Über jeden dieser Zettel könnte ich eigentlich mal einen Blogpost schreiben, es sind durchweg interessante Aufgaben, denen ich aber leider immer nur einen Teil meiner Zeit opfern kann.

Da muss ich z.B. meine Lehrveranstaltungen vorbereiten, managen und eventuelle Prüfungsleistungen korrigieren. Mit dem Kollegen dessen Dissertation besprechen. Oder den BA-Studiengang Informationsverarbeitung für die Re-Evaluierung neu strukturieren. Den MA-Studiengang als 1-Fach-Master völlig neu konzipieren, Austauschmodule zu anderen Studiengängen entwerfen und absegnen. Mit meinen Kollegen Überlegungen zur strategischen Ausrichtung des Institutes anstellen, mit verwandten Fachbereichen Kooperationen absprechen, überlegen, wie wir uns besser in das Cologne Center for e-Humanities eingliedern, und ob ich dort meine Pflichten als stellvertretender Sprecher irgendwie besser ausfüllen könnte. Mögliche Forschungsprojekte ausdenken, ausgedachte anschieben, angeschobene beantragen, bewilligte beaufsichtigen, weiterdenken, Zwischen- und Abschlussberichte verfassen, Ergebnisse veröffentlichen, diverse Formblätter zur Drittmittelanzeige, zur Vollkostenkalkulation, zur Rechnungsstellung ausfüllen, vom Justiziariat belehrt werden, was der Unterschied zwischen Auftragsforschung und Kooperationsverträgen ist, Meetings ansetzen mit Projektmitarbeiter|inne|n, mit unseren Admins, mit dem gesamten Lehrstuhl, mit dem gesamten Institut, mit der CCeH-Geschäftsführung. Dazu irgendwie auf dem Stand der Forschung bleiben in so hochdifferenzierten und weitläufigen Bereichen wie der Computerlinguistik, der Softwaretechnologie und der Wissenschaftskommunikation.

Noch einmal: Ich will nicht jammern, im Gegenteil bin ich in meinem Job wirklich glücklich (gut, ohne Befristung schliefe ich besser). Man muss halt Kompromisse oder Synergien finden - eine Lehrveranstaltung bspw. an ein Thema koppeln, zu dem man gerade ein Projekt leitet. Projekte anschieben, die kompatibel mit dem eigenen Forschungsvorhaben sind. Teile der eigenen Forschung in davon unabhängig gestellte Projekte einbringen. Delegieren, netzwerken, den Überblick behalten. Ich war nie ein besonders guter Multitasker und ich werde es vermutlich auch nie werden. Mit der Nutzung geeigneter Software (Evernote für mich, Google Drive für die Bearbeitung gemeinsamer Dokumente, mitunter, wenn viel Kleinkram auf einmal kommt, auch eine ToDo-Liste wie Wunderlist) ist es mir aber in Teilen möglich, die Multitasks auf eine Reihe von Einzeltasks aufzuteilen, die mein Hirn nicht überfordern. Auch wenn ich froh sein werde, wenn die aktuellen Notizzettel weniger werden sollten, kann ich so noch eine Weile produktiv (Selbstbild) arbeiten. Immerhin hatte ich ja Zeit, diesen Blogpost zu schreiben. Und bald sind ja auch Weihnachtsferien, in denen man dann all das, was in den letzten Monaten hinten runter gefallen ist, aufarbeiten kann...

Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/1208

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Das Siegel der Universität Oxford an einer Urkunde des 18. Jahrhunderts

Oxford_Siegel_klein

 

Interessant sieht das Siegel aus, das die engliche Ehrendoktorwürde der Universität Oxford eines westfälischen Adeligen aus dem 18. Jahrhundert beglaubigte. Erstaunlicherweise hat es mit dem heutigen " Siegel" bzw. Logo der Universiät visuell kaum etwas zu tun (http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Uni_oxford_logo,.svg&filetimestamp=20081116171714&).

Es zeigt im Bild die Universität des Mittelalters: In der Mitte übergroß der  Professor, der seinen Studenten eine Vorlesung hält. Die Studenten sitzen auf einem typisch mittelalterlichen Holzgestühl rund um ihren Professor gescharrt. Ob es sich bei dem abgebildeten Professor um einen Heiligen handelt, wird nicht deutlich. Er ist in jedem Fall, wie die sichtbare Tonsur erkennen lässt Mönch. Die Umschrift lautet: "+Sigill[um] cancellarii  et universitatis Oxoniens". Auch der Ochse, der sprechend in späterer Zeit im Siegel eine Rolle spielt. (Vgl. z.B. das Siegel von 1433:http://archives.balliol.ox.ac.uk/Archives/stcross01.asp)

Es ist tatsächlich zur Mitte des 18. Jahrhunderts das älteste Siegel der Universität Oxford, das an die Urkunde mit der Ehrendoktowürde gehängt wird. Es stammt nachweislich aus dem Jahr 1300.  Trotz anderer Siegel und eines schon füh aufkommenden Wappens (http://www.oua.ox.ac.uk/enquiries/arms.html), das in späterer Zeit als Siegel, bzw. Symbol der Universität genutzt wurde, griff man zu diesem besonderen Anlass auf das älteste Siegel zurück. Es wurden also zeitgleich mehrere Siegel gleichzeitig genutzt. Dies tat man einerseits aus legitimatorischen Gründen, anderseits aus traditionellen. Auf diese Weise wurde die lange Geschichte der Universität, die bis in das 11. Jahrhundert zurückreicht hervorgehoben und die Würde und Bedeutung der Ehrendoktorwürde betont. Vermutlich wurde es in der frühen Neuzeit für diese besonderen Zwecke genutzt, ähnlich wie in mittelalterlichen Städten das sogenannte "große Stadtsiegel". Die älteste Siegel an dieser Stelle hat damit in doppelter Weise beglaubigende Funktion, einmal in rechtlicher und dann in historischer Art und Weise.

 

Literatur: A Short History of the English People by J R Green (Macmillan, 1892).

 

 

 

Quelle: http://siegelblog.hypotheses.org/47

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