Gebietsbezogene Entscheidungen

Beleg aus Nurn im Landkreis Kronach (Oberfranken)

Die Antworten der Gewährspersonen lassen bisweilen keine eindeutige Zuordnung zu einem Genus zu. Der oben abgebildete Beleg Ohabe aus Nurn im Landkreis Kronach beantwortet die Frage nach der Sense, mit der Getreide gemäht wird. Ohabe kann sowohl als Maskulinum Anhauer als auch als Femininum Anhaue interpretiert werden. Gibt es in den geographisch umliegenden Belegen zu einem Stichwort eine klare Tendenz zu einem Genus, werden Zweifelsfälle wie Ohabe im Sinne des Gebietes entschieden. Sollte dies nicht möglich sein, wird kein Genus angegeben und die – in der Regel maskuline Endung – in Klammern gesetzt.

Siehe Beispiel Anhaue(r) bzw. Anhauer (NKB 03:08 „die Sense, mit der Getreide geschnitten wird“) in der folgenden Tabelle und Karte:

Stichwort Grammatik Original Ort GPKommentar
Anhaue(r) S NomSg Åhaue Weißenstadt e zum a hin
Anhaue(r) S NomSg Onhaue Harsdorf
Anhaue(r) S NomSg Ohhaue Bärnreuth mit Gitter, Stoff, Stäben
Anhaue(r) S NomSg Ohabe Nurn
Anhauer Sm NomSg Ohawä Reichenbach Anhauer
Anhauer Sm NomSg De Ōhaber Haßlach bei Teuschnitz ist Anhauer, weil mit ihm das Getreide abgemäht wird, aber so, daß es am noch stehenden lehnt und dann abgerafft wird!
Anhauer Sm NomSg Ōhābe Pressig ist Anhauer

Karte: Getreidesense – Anhaue(r) – Wächler  (Graphik: Milena Gropp/Sofie Schuh)



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Quelle: http://fraenkisch.hypotheses.org/197

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Wo der Kaiser zu Fuß hingeht …

von Christine Bahlo, Katharina Dinh, Insa Regenberg, Matthias-Frank Riegler, Marc Schlusche, Katalin Söllner (Seminar Dialektlexikographie, Universität Würzburg, Sommersemester 2017, Leitung: Almut König)

Ob früher oder später, jeder muss von Zeit zu Zeit das stille Örtchen aufsuchen. Um festzustellen, wie man diesen Ort in den Dialekten Frankens bezeichnet, wurden 625 Fragebögen zur Frage „Wie sagt man für den ‚Abort’?“ ausgewertet. Grundlage hierfür ist die Fragebogenerhebung XXXII des Fränkischen Wörterbuchs (WBF) aus dem Jahr 1969.

Es stellte sich heraus, dass sechs Bezeichnungen genannt wurden, die rund 85% der Antworten ausmachen. Die restlichen 15% verteilen sich auf unterschiedliche Lexeme, Syntagmen und Phraseologismen.



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Quelle: http://fraenkisch.hypotheses.org/154

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kreischen – kreißen – kreißten

kreischen – kreißen – kreißten

Eine Wortfamilie und ihre Geographie in Franken

von Alfred Klepsch

Die Wortfamilie kreißen besteht in der neuhochdeutschen Standardsprache aus zwei Verben, nämlich kreißen „Geburtswehen haben“ und kreischen „schrill schreien“. Kreischen ist von kreißen als sk-Bildung abgeleitet (Kluge-Seebold s.v. kreischen[1]). Kreißen kommt im Niederländischen als krijten „kreischen, schreien, weinen“ vor und ist im Nhd. kaum noch geläufig, sieht man von dem Kompositum Kreißsaal ab. Das DWB verzeichnet kreiszen (5, 2164), das nur noch im Niederdeutschen und Niederländischen „starkförmig“ vorkomme, kreischen (5, 2153), das seit der mhd. Sprachstufe schwach flektiert werde und kreisten „stöhnen“ (5, 2161) Kreisten komme in neuerer Zeit nur noch in westmitteldeutschen Mundarten vor, bis in die frühneuhochdeutsche Zeit jedoch als schwaches Verb insbesondere in mundartnahen Texten aus Franken (Hugo v. Trimberg, Hans Sachs) nachzuweisen ist.

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Quelle: https://fraenkisch.hypotheses.org/139

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Link-Hint compact [26.08.2016]: Sprechender Sprachatlas von Bayern

https://sprachatlas.bayerische-landesbibliothek-online.de/ Die diesem Projekt zugrundeliegenden Karten stammen aus dem ‘Kleinen Bayerischen Sprachatlas’. Er ist 2006 im dtv-Verlag München erschienen und bietet mit mehr als 120 Karten und dazugehörigen Kommentaren einen wissenschaftlich fundierten und dennoch auch für den Laien verständlichen Überblick über die Vielfalt der Dialekte Bayerns. […] Basis für diese Atlanten sind jeweils einwöchige Aufnahmefahrten […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2016/08/6757/

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„Chacun de ces dialectes a plusieurs patois…“ – Zur napoleonischen Sprachenstatistik in den rheinischen Departements, 1


Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 276, Präfektur des Saardepartements zu Trier, Sachakte 1965: Notiz von Wyttenbach über die Sprachen im Departement, 9. 9. 1811

Friedrich Anton Wyttenbach: Porträt seines Vaters Johann Hugo Wyttenbach, undatiert, Lithografie (A. Nußbaumer), 35 x 26 cm, Stadtmuseum Simeonstift Trier http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Anton_Wyttenbach#mediaviewer/File:Wyttenbach_Portrait_Johann_Hugo_Wyttenbach.jpg

Friedrich Anton Wyttenbach: Porträt seines Vaters Johann Hugo Wyttenbach, undatiert, Lithografie (A. Nußbaumer), 35 x 26 cm, Stadtmuseum Simeonstift Trier
http://de.wikipedia.org

„Trèves le 9 sept[embre] 1811.

À Monsieur de Moulon,

Chef du Bureau à la Préfecture.

Monsieur,

J’ai l’honneur de vous transmettre par la présente quelques notes relatives aux renseignemens demandés par Son Excellence le Ministre de l’Intérieur.

La langue allemande a deux dialectes principaux (Mundarten); savoir: le dialecte de la Germanie supérieure, et celui de la Germanie inférieure. Le bon allemand saxon (das Hochdeutsche) vient d’une petite partie de la Germanie inférieure, ou du nord de ce pays. Chacun de ces dialectes a des plusieurs [sic] patois, et il y a certainement une différence sensible entre ces patois. Leur nombre est infini.

On pourrait peut-être fixer quatre patois marquans dans notre département; savoir celui de Trèves et ses environs, dans un rayon plus ou moins de quatre lieux; celui des habitans de la Moselle inférieure, celui de Hundruck [Hunsrück] et de l’arrondissement de Sarrebruck, et enfin de l’arrond[issement] de Prum [Prüm].

D’un côté le patois de Trèves est parlé jusqu’aux frontières du département des Forêts. En traversant seulement la petite rivière de la Saur, on peut faire cette remarque.

Dans le patois de notre ville on observe les singularités suivantes:

1°. La lettre o aime à jouer un grand rôle, et elle est presque toujours substitué[e] à la lettre a; par exemple: au lieu dado. &c.

2°. Quand on emploi cette dernière lettre a, notre patois la prolonge, et traine les mots, toujours outre mesure; p.e. au lieu de BachBaag, manmaan &c.

3°. La voyelle i est dans beaucoup [de] mots transformée en eu, p. exemple: au lieu de dire icheuch, michmeuch, KirchKeurch.

4°. Il s’y trouve un nombre de contradictions; p. ex. : ich habeeuch hongesagetgesot, es regnetet rehnt &c.

5°. On préfère presque toujours le g au ch; p. ex. TochterDogter, SpracheSprog. &c.

Encore deux singularités marquantes se font entendre dans notre patois.

1°. Au lieu de dire: er wird sterben, on dit généralement: eh geit sterwen, c’est-à-dire, il va mourir, comme dans le français. Cette phrase est déjà d’un ancien usage dans notre patois, et paraît être empruntée de la langue française, qui fut toujours parlée sur nos frontières.

2°. La seconde singularité consiste en permutation presque constante du verbe werden en verbe geben, comme p. exemple: er wird groß – eh geft grus &c.

Quant aux traductions de la parabole citée dans la lettre de S. Excellence, j’ai l’honneur de vous nommer Mr. le curé du canton Schreiber, ou Mr. le curé Devora, qui pourront vous fournir des [sic] pareilles traductions.

Recevez, Monsieur De Moulon, je vous en prie, ces notes avec bonté, et regardez les comme l’obole du pauvre dans l’Évangile.

Je suis, Monsieur, avec la considération la plus distinguée, votre très humble serviteur.

Wyttenbach

N. En général le patois de la Moselle ressemble beaucoup à celui de Coblenz; celui de Prum [Prüm] au patois de Cologne; et le troisième de Hundruck [Hunsrück] au patois déjà mieux cultivé de Mayence.“

 

Zur Quelle

Das Büro für Statistik im französischen Innenministerium führte zwischen 1806 und 1812 eine umfassende Sprachenerhebung innerhalb des napoleonischen Kaiserreichs und in den angrenzenden Regionen der Nachbarstaaten durch. Ziel war die Bestimmung der Sprachgrenzen und der Sprecherzahlen aller im Kaiserreich gesprochenen Sprachen sowie die Identifizierung und sprachliche Klassifizierung der Dialekte. Geleitet wurde die Erhebung von Charles-Étienne Coquebert de Montbret, dem Direktor des Büros für Statistik, und seinem ebenfalls dort beschäftigten Sohn Eugène. Die konkrete Ausführung oblag dann den Präfekturen in den Departements. Diese mobilisierten vor Ort geeignete Informanten aus der Verwaltung und der Zivilgesellschaft, um Auskünfte und Sprachproben zu liefern. Insbesondere wurden zahlreiche Übersetzungen des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn zum Zweck des Sprachvergleichs gesammelt. Erfasst wurden auch deutschsprachige Gebiete: Elsass-Lothringen, die Departements Saar, Roer und Rhein-Mosel am linken Rheinufer (Deutschland), das mehrheitlich heute niederländische und belgische Gebiete umfassende Departement Niedermaas, deutschsprachige Gemeinden im Departement Ourthe (Belgien), das Wälderdepartement (Luxemburg) sowie Teile der deutschsprachigen Schweiz und schließlich deutsche Sprachinseln in Oberitalien.

Das obige Schreiben war Teil der Antwort auf die Anfrage des Innenministeriums im Saardepartement. Sein Verfasser ist Johann Hugo Wyttenbach (1767–1848), der als herausragender Trierer Gelehrter das Geistesleben der Stadt in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entscheidend prägte. Laut F.X. Kraus war Wyttenbach die „Seele aller auf Erforschung der Trierischen Geschichte und Alterthümer ausgehenden Bestrebungen“ (Kraus 1898, 106). Nach einem abgebrochenen Theologiestudium wurde er in den 1790er Jahren zunächst Hauslehrer und bewarb sich dann bei der französischen Zentralverwaltung des Saardepartements. Er wurde Mitglied der Schulkommission und unterrichtete an der städtischen höheren Schule, der er von 1804 bis 1846 als Direktor vorstand. Seit 1799 war er außerdem Bibliothekar der neugeschaffenen Stadtbibliothek Trier sowie 1801 Gründungsmitglied der Gesellschaft für nützliche Forschungen. 1810 erschien der erste Band seines „Versuchs einer Geschichte von Trier“, mit dem er seinen Ruf als Lokalhistoriker bekräftigte, war er doch schon 1792 dem durchreisenden Goethe als ein bestens mit der Geschichte der Stadt und ihrer Umgebung vertrauter junger Lehrer aufgefallen. Seine Mitwirkung in der ministeriellen Sprachenerhebung ist insofern nicht ungewöhnlich. Auch andernorts wurden Personen eingebunden, die sich durch eine literarisch-historische Vorbildung auswiesen. Mehrfach finden sich so unter den Informanten Mitglieder gelehrter Zirkel, Lehrer und Bibliothekare.

Die der Notiz Wyttenbachs zu Grunde liegende Bitte um Auskünfte über die Dialekte datiert auf den 20. Juni 1811. Anders als die meisten innerfranzösischen Departements wurde die Saar nicht durch eines der gezielten Rundschreiben der Jahre 1807 und 1808 in die Sprachenerhebung einbezogen, sondern erst außerhalb der eigentlichen Untersuchung in der Fortsetzung einer Korrespondenz zur Arbeitermigration. Tatsächlich war nach dem Ausscheiden Charles-Étienne Coqueberts de Montbret aus dem Büro für Statistik Ende 1810 die Sprachenerhebung nahezu vollständig zum Erliegen gekommen und konnte erst 1812 durch zwei letzte Rundschreiben wiederbelebt werden. Die isolierte Anfrage im Sommer 1811 geht also ganz auf die Initiative Eugène Coqueberts de Montbret zurück, den auch die Handschrift des Briefes als Verfasser verrät. Der Inhalt der Anfrage entspricht indes ganz dem der früheren Rundschreiben zur Erhebung der Dialekte im Inneren Frankreichs. Hauptsächlich ging es hier zum einen darum, die Unterschiede zwischen den Dialekten („patois“) und der Hochsprache („le bon allemand saxon“)  auszumachen, zum anderen die Dialekte einzeln zu identifizieren und miteinander zu vergleichen:

„Je vous engage en même temps à me transmettre des détails sur les divers dialectes allemands qui sont d’un usage vulgaire parmi les habitans de la partie de l’Empire que vous administrez. Je désire que vous me fassiez connaître quels sont les principaux caractères de ces patois soit par rapport à l’accent et à la prononciation, soit par l’emploi de mots et de tournures de phrases inusités dans le bon allemand saxon. Il serait à désirer que vous pussiez à l’aide de quelques personnes au fait de l’idiôme populaire (il doit s’en trouver notamment parmi les ecclésiastiques) m’envoyer la liste des expressions les plus remarquables de ces dialectes, accompagnée de quelques échantillons en chacun d’eux, notamment d’une ou plusieurs traductions de la parabole de l’enfant prodigue telle qu’elle se trouve dans l’évangile selon saint Luc, chapitre XV. Ce morceau de la Bible me paraît très propre à servir d’exemple parce qu’il ne renferme que des idées simples et familières à tout le monde et j’ai cru par cette raison devoir le choisir comme terme commun de comparaison entre les divers langages sur lesquels mon ministère possède déjà des renseignements. Supposé que les patois en usage dans votre département présentent entr’eux des différences assez marquées pour devenir sensibles dans la traduction de cette parabole je vous saurais gré de m’indiquer quelles sont à peu près les limites de l’étendue de pays où chacun de ces dialectes se parle.“ (Quelle: Lha Koblenz, Bestand 276, Präfektur des Saardepartements zu Trier, Sachakte 1965)

Nach Wyttenbachs Schreiben zu urteilen, wurde die Anfrage von einem der Bürochefs der Präfektur bearbeitet. Es scheint aber auch, dass dieser sie vollständig an Wyttenbach weitergeleitet hat, der dann die Notiz als Antwort verfasste sowie geeignete Informanten für die Erstellung der Sprachproben empfahl. Sicherlich war Wyttenbach besser als die französischen Verwaltungsbeamten mit den lokalen Dialekten vertraut, wenngleich auch seine Beschreibung der Dialektverteilung recht vage ausfällt. In seinen eigenen Publikationen hat er sich nicht mit dialektologisch-ethnographischen Fragen auseinandergesetzt.

Die Resultate wurden am 11. Oktober 1811 nach Paris übersandt. Das Dossier befindet sich heute in der Französischen Nationalbibliothek (Fonds Coquebert de Montbret, NAF 5912) und umfasst das Antwortschreiben des Präfekten, eine Abschrift der Notiz Wyttenbachs ohne die einleitenden Zeilen an Moulon sowie drei Übertragungen des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn. Umfang und Zusammensetzung der Auskünfte – insofern sie vollständig überliefert sind – entsprechen damit allerdings kaum dem Verlangten: Wortlisten wurden nicht angefertigt, von den drei Gleichnissen stammt nur eines aus der Saar, die anderen beiden aus dem Großherzogtum Berg, weitere andersartige Sprachproben (z.B. Volkslieder) fehlen gänzlich. Die Beschreibung dialektaler Merkmale in der Notiz bezieht sich ausschließlich auf die Trierer Mundart. Das Begleitschreiben des Präfekten an das Innenministerium spricht zudem von nur zwei Gleichnissen, da wahrscheinlich die beiden Versionen aus Berg nicht unterschieden wurden.

Alle drei Gleichnisse sind von Pfarrer V.J. Devora unterzeichnet. Da sie auf den 8. Oktober 1811 datiert sind – also nach dem Schreiben Wyttenbachs an Moulon – wurde dieser vermutlich erst nach der Empfehlung durch Wyttenbach eingebunden. Victor Josef Devora (1774–1837, auch Victor Joseph Dewora) wurde 1808 zum Pfarrer der Trierer Vorstadt St. Matthias ernannt. Ab 1810 organisierte er mit Unterstützung der französischen Behörden die erste Lehrerausbildung im damaligen Departement. Später wurde er Domkapitular, Dompfarrer und Stadtdekan in Trier und war auch über seine Region hinaus als Verfasser mehrerer theologischer und pädagogischer Schriften bekannt. Gebürtig stammte Devora jedoch aus Hadamar (heute in Hessen), das von 1806 bis 1813 zum Großherzogtum Berg gehörte. Die beiden bergischen Gleichnisübertragungen spiegeln also vermutlich seine individuelle Dialektkenntnis wider. Dem entspricht, dass eine der beiden die Mundart „comme on le parlait encore vers 1780“ darstellt, also zur Zeit von Devoras Kindheit und Jugend in Hadamar. Das dritte Gleichnis – aus Gerolstein – ist ebenfalls von Devora unterzeichnet, obschon dort eigentlich von 1803–1812 Peter Josef Kremer als Pfarrer tätig war. Bedauernswert ist, dass nun weder Devora noch Wyttenbach selbst eine Übertragung in die Trierer Mundart beigesteuert haben.

Hat Wyttenbach in seiner Notiz zumindest die Verteilung der Dialekte zutreffend beschrieben? Das nicht mit dem Saarland zu verwechselnde Departement Saar erstreckte sich über das Gebiet des sog. Rheinischen Fächers, d.h. des dialektalen Übergangsgebiets vom Niederfränkischen im Nordwesten über das Moselfränkische zum Rheinfränkischen im Südosten (nach heutiger Begrifflichkeit). Der größte Teil des Departements lag im moselfränkischen Raum, der Süden im rheinfränkischen Gebiet, die beiden bergischen Sprachproben verweisen in den niederfränkischen Dialektraum. Sprachlich bot das Departement also durchaus eine interessante wenngleich auch komplexe Situation. Zum Moselfränkischen zählen das „Trierer Platt“ ebenso wie die Mundarten in der südlichen Eifel und im Hunsrück sowie das Luxemburgische (Wälderdepartement) und die Koblenzer Mundart (Rhein-Mosel-Departement). Wyttenbachs Bemerkung, dass der Trierer Patois nur bis an die Grenze des Wälderdepartements reiche, ist also mindestens fragwürdig. Gleiches gilt für die Ähnlichkeit zwischen den Dialekten von Hunsrück und Mainz, da das Mainzerische bereits ein rheinfränkischer Dialekt ist. Überzeugender ist die Ähnlichkeit zwischen den Mundarten der Mosel und dem Koblenzerischen.

Insgesamt hinterlässt die Notiz den Eindruck, dass mangels genauer metasprachlicher Kenntnisse die Verwaltungsgliederung der Region Wyttenbachs Sicht auf die Sprachlandschaft stark beeinflusst hat. Damit veranschaulicht sie auch ganz allgemein die Schwierigkeiten, vor denen die beiden Coqueberts de Montbret in der Spracherhebung und besonders der Bestimmung der Dialektgeographie standen. Die Art und die Zuverlässigkeit der Aussagen der Korrespondenten variierten mitunter so stark, dass letztlich nur mittels seriell erhobener Sprachdaten die Überprüfbarkeit der subjektiven Aussagen und der Dialektvergleich gewährleistet werden konnten. Die Wahl eines einheitlichen Vergleichstexts in Form des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn war dabei der entscheidende Schritt hin zu einer empirisch fundierten Dialektdokumentation. Mit dieser methodischen Entscheidung beeinflusste die napoleonische Sprachenerhebung als Vorbild nachhaltig die Entwicklung der Dialektologie und Sprachgeographie im 19. Jahrhundert. Ein Beispiel für eine Gleichnisübertragung aus dem deutschen Sprachraum soll im nächsten Beitrag vorgestellt werden.

 

Weiterführend

Gabriele B. Clemens, Die Notabeln der Franzosenzeit, in: Unter der Trikolore/Sous le drapeau tricolore. Trier in Frankreich – Napoleon in Trier/Trèves en France – Napoléon à Trèves, 1794-1814, Bd. 1, Hg. von Elisabeth Dühr und Christl Lehnert-Leven, Trier 2004, S. 105–180.

Kellner, Heinrich, Dewora, Victor Joseph, in: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 44, Leipzig 1877, S. 431–434. Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource.

F.X. Kraus, Wyttenbach, Johann Hugo, in: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 5, Leipzig 1898, S. 106–107.

Wolfang Hans Stein (Bearb.), Die Akten der Verwaltung des Saardepartements 1798-1813. Inventar der Bestände Landeshauptarchiv Koblenz Bestand 276 und Landesarchiv Speyer Bestand G 9. Koblenz 1991.

 

Quelle: http://naps.hypotheses.org/999

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