Bin „mit diesem Gedanken lange schwanger gegangen […], den König von Westphalen zu ermorden“ – Selbstbeschuldigung des Oberrechenkammerreferendars Heinrich F. Kaulwell (März 1813)


RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 10268–10346, hier Nr. 10338 (u.a. Korrespondenz von François Thibault de Guntz, Generalpolizeikommissar in Braunschweig, mit J. F. M. de Bongars, Generalinspektor der Gendarmerie mit der Hohen Polizei beauftragt, 1813)

 

Nr. 10338

[Briefkopf]

Königliche Gendarmerie.

District Cassel

„Proces-Verbal […] die Arrestation des Cammer Refrendaire H. Friedrich Kaulwell aus Mannsfeld District Halle […] Saale gebürtig, und jetzt zu Cassel wohnhaft welcher sich aus wahrscheinlicher Abwesenheit des Verstandes selbst des Verbrechens angeklagt: er habe S.M. den König ermordern wollen, betreffend

Geschehen d. 23 Maerz 1813.

Heute den drei und zwangigsten Maerz achzehnhundert und dreizehn Nachts halb Ein Uhr wurden mir Jaccob Lübbers und Wilhelm Meise, beide Gendarmen im Détachement zu Cassel, Dept. der Fulda in unserem Quartier. [lat. Schrift] Waisenhausstrasse N° 977 von einigen Bewohnern des Hauses aufgeweckt und gebeten, doch zu Hülfe zu eilen, da der ebenfalls im Hause wohnende Cammer Refrendaire Friedrich Kaulwell [lat. Schrift] […] im Begriff sey, die ihm von seiner Frau versperrten Thüren mit Gewalt aufzubrechen.

Zu erst begab ich Lübbers mich herunter in der Hof, kehrte aber wieder um, da man mir sagte, es sey alles wieder gut, und wirklich hörte ich auch keine Lärm mehr.

Kaum waren wir wieder eingeschlafen, als wir gegen drei Uhr morgens abermals geweckt und zur Hülfe gerufen wurden; zugleich hörten wir, wie der p. Kaulwell [lat. Schrift] laut aus dem in der Hof gehenden Fenster nach uns rief.

Sogleich begaben wir uns in unserer Uniform [lat. Schrift] in die Stube des p. Kaulwell [lat. Schrift] und fanden wie selber vor der Kammerthür stand, und so halb entkleidet dieselbe zu öffnen von seiner Frau verlangte welche mit Tochter und Magde darin war. Die Frau weigerte sich es zuthun da sie aber hörte, daß wir in der Stube waren, und sie und […] mit ihr einige schlaffene Tochter und Magd nichts mehr zu fürchten hatten, öffnete sie die Thür; der p. Kaulwell [lateinische Schrift] stürzte nun in die Cammer und warf sich in das darin befindliche Bett.

Nach einem kleinen Wortwechsel mit seiner Frau sprang er wieder auf.

Wir fragten ihn nun nach seinem Namen, Standt, Alter und um die Ursache seines Lärmens.

Er antwortete

Ich heise Friedrich Kaulwell, bin aus Mannsfeld […] stehe hier in Cassel [lat. Schrift] bei der Rechen Cammer [lat. Schrift] als Refrendaire [lat. Schrift] und bin 51 Jahr alt.

Ohne nun die Frage wegen Ursache seines Lärmens zu beantworten sprach er statt dessen unsinniges Zeug und brach endlich dahin aus.

Ich bin unglücklich, ich habe ein Verbrechen begangen, Sie müssen mich arretiren [lat. Schrift], weil ich den festen Vorsatz hatte und schon lange damit umgegangen bin den König von Westphalen zu ermorden, ich habe stets versteckte Waffen zu diesem Zweck bei mir getragen und mit diesem Gedanken lange schwanger gegangen; um gerade jetzt will ich sterben, da mein armes Vaterland wieder in Gefahr ist. Ich bin ein Deutscher und […]eit es, und dergleichen Unsinn, ferner; er müße und wolle das wegen Todt geschaffen seyn.

Da wir nun aus allen seinen Reden nichts anders als gänzlich Abwesenheit des Verstandes vermuthen konnten; ja nehmen wir uns vor, ihn zur Verhütung großen Unglück bis an den Morgen zu bewachen, und als dann die Sache unseren Obern anzuzeigen. Der Kaulwell bat nun wir möchten ihn in […]hauen und in demselben Augenblick griff er auch meinem (des Lübber) Säbel um sich zu erstechen; aber wir hielten ihn noch zeitig genug davon ab, indem wir ihn den Säbel wieder aus den Händen […] den Kaulwell uns batt zurück werfen.

Weiter sagte er noch

Nun will ich erschossen seyn, will wie Kupfermann sterben, und wenn der König […] ist, so läßt er mich auch todt schießen, gibt er mir aber Gnade, so fange ich Rebellion [lat. Schrift] an, zu den Russen will ich u.s.w.

Aus allendessen leuchtete offenbare Abwesenheit des Verstandes her vor, nur wir hielten fürs beste, ihn bis an den Morgen zu bewachen, und dann ich in das Civil Gefangenhaus zu führen. Gegen Morgen würde er krank mußte sich legen und befindet sich noch jetzt unter Aufsicht der Gendr. Lübbers.

Wir haben hierauf diesen Verbal Process aufgenommen, um denselben Sr. Excellenz den Herrn Genral Inspecteur der Gend-rie […] zals weiteren Verfügung zu übergeben. Copie aber an dessen H. Capt. Dell. Comdt. der Königl. Gendarmerie im Fulda-Departement eingereicht. […]

Meise“.

„Hinrichtung Johann Philipp Palms“ von Unbekannt, lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hinrichtung_Johann_Philipp_Palms.jpg#/media/File:Hinrichtung_Johann_Philipp_Palms.jpg

„Hinrichtung Johann Philipp Palms“ von Unbekannt, lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons – http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hinrichtung_Johann_Philipp_Palms.jpg#/media/File:Hinrichtung_Johann_Philipp_Palms.jpg

 

Zur Quelle

Wenn es an Attentatsplänen gegen Napoleon Bonaparte nicht fehlte, zeigt die vorliegende Quelle, dass auch die von Napoleon eingesetzten Regenten in den napoleonischen Modellstaaten, hier für das Königreich Westphalen sein jüngster Bruder Jérôme Bonaparte, die Faszination des crime lèse-majesté auf sich bündelten.[1] Mit dem Referendar der Oberrechenkammer in Kassel, H.F. Kaulwell, wurde sogar ein Mitglied der westphälischen Verwaltung, von dem Gedanken an ein Attentat auf Jérôme Napoleon wahnsinnig.

Die Gendarmen, die damit konfrontiert wurden, nahmen die Sache einigermaßen gelassen. Ein Mann in Wahn durfte offensichtlich das aussprechen, was im gesunden Zustand nicht geduldet worden wäre.

In ihrem Protokoll stellten sie fest, dass das Staatsverbrechen Kaulwells sich bei näherer Untersuchung als recht harmlos herausstellte, denn dieser habe „sich aus wahrscheinlicher Abwesenheit des Verstandes selbst des Verbrechens angeklagt“. Kaulwell wurde letztendlich für labil und psychisch krank erklärt und von seiner selbst beteuerten Schuld freigesprochen. Einige ärztlichen Atteste und zwei Monate später konnte oder wollte sich Kaulwell nicht mehr an seine Absicht erinnern, den König von Westphalen ermordet haben zu wollen.[2]

Wilhelm Kupfermann, den Kaulwell in seinem Wahn als Vorbild nannte, war zehn Tage vor der Vorfallsnacht, die die Gendarmen hier protokollierten, hingerichtet worden. Er war als Lieutnant der westphälischen Armee bei Wolfenbüttel desertiert, hatte circa 30 Männer in seinen Bann gezogen, einige öffentliche Kassen gestohlen, aber war schließlich von zwei französisch-kaiserlichen Bataillons angehalten worden.[3]

Nicht nur Kaulwell hatte die Affäre Kupfermann beeindruckt. Die Berichte der Polizeiagenten melden, dass vielerorts darüber gesprochen wurde.[4] In der Gazette de Berlin wurde ein Artikel über Kupfermann veröffentlicht, deren Verbreitung im Königreich Westphalen von der Hohen Polizei verfolgt wurde.[5]

 

Zitiert

Claudie Paye, „Der französischen Sprache mächtig“. Kommunikation im Spannungsfeld von Sprachen und Kulturen im Königreich Westphalen 1807–1813, München 2013 (Pariser Historische Studien, 100), S. 317f.

 

Abbildung

Darstellung der Hinrichtung Johann Philipp Palms in Braunau am 26. August 1806 durch französische Truppen. Palm wurde vorgeworfen die antifranzösische Schrift „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“ verbreitet zu haben.

 

[1] Über das Pamphlet in Briefform von Kocken und Bielstein, das Pfarrer Altenburg in Verdacht zu bringen beabsichtigte, ein crime lèse-majesté gegen den König Jérôme zu planen, vgl. Claudie Paye, Postwesen und Briefkultur im Königreich Westphalen. Das offizielle Netz und sein geheimes und privates Pendant (1807–1813), http://halshs.archives-ouvertes.fr/halshs-00793224 (Zugriff vom 25.04.2015).

[2] Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 10268–10346, hier Nr. 10337.

[3] Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 741, Akte der Hohen Polizei im Königreich Westphalen: Schreiben Nr. 576 PS. von Moisez an J. F. M. de Bongars, 02.03.1813; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. [13852], Registre des personnes arrêtées, où sont indiqués les NN d’ordres, date de l’entrée, les noms et prénoms des susdites personnes, les signalements, les motifs de l’arrestation, les décision, dates de la sortie et les observations différentes la-dessus, depuis le 1811, 1812, 1813, Eintrag Nr. 112

[4] Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9882-9987, hier Nr. 9952, Rapport Nr. 57 vom Polizeiagent WZ, 14.03.1813

[5] Vgl. Lha Magdeburg, Außenstelle Wernigerode, B 18 II. 123. II. a., fol. 233.

Quelle: http://naps.hypotheses.org/1249

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„Chacun de ces dialectes a plusieurs patois…“ – Zur napoleonischen Sprachenstatistik in den rheinischen Departements, 1


Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 276, Präfektur des Saardepartements zu Trier, Sachakte 1965: Notiz von Wyttenbach über die Sprachen im Departement, 9. 9. 1811

Friedrich Anton Wyttenbach: Porträt seines Vaters Johann Hugo Wyttenbach, undatiert, Lithografie (A. Nußbaumer), 35 x 26 cm, Stadtmuseum Simeonstift Trier http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Anton_Wyttenbach#mediaviewer/File:Wyttenbach_Portrait_Johann_Hugo_Wyttenbach.jpg

Friedrich Anton Wyttenbach: Porträt seines Vaters Johann Hugo Wyttenbach, undatiert, Lithografie (A. Nußbaumer), 35 x 26 cm, Stadtmuseum Simeonstift Trier
http://de.wikipedia.org

„Trèves le 9 sept[embre] 1811.

À Monsieur de Moulon,

Chef du Bureau à la Préfecture.

Monsieur,

J’ai l’honneur de vous transmettre par la présente quelques notes relatives aux renseignemens demandés par Son Excellence le Ministre de l’Intérieur.

La langue allemande a deux dialectes principaux (Mundarten); savoir: le dialecte de la Germanie supérieure, et celui de la Germanie inférieure. Le bon allemand saxon (das Hochdeutsche) vient d’une petite partie de la Germanie inférieure, ou du nord de ce pays. Chacun de ces dialectes a des plusieurs [sic] patois, et il y a certainement une différence sensible entre ces patois. Leur nombre est infini.

On pourrait peut-être fixer quatre patois marquans dans notre département; savoir celui de Trèves et ses environs, dans un rayon plus ou moins de quatre lieux; celui des habitans de la Moselle inférieure, celui de Hundruck [Hunsrück] et de l’arrondissement de Sarrebruck, et enfin de l’arrond[issement] de Prum [Prüm].

D’un côté le patois de Trèves est parlé jusqu’aux frontières du département des Forêts. En traversant seulement la petite rivière de la Saur, on peut faire cette remarque.

Dans le patois de notre ville on observe les singularités suivantes:

1°. La lettre o aime à jouer un grand rôle, et elle est presque toujours substitué[e] à la lettre a; par exemple: au lieu dado. &c.

2°. Quand on emploi cette dernière lettre a, notre patois la prolonge, et traine les mots, toujours outre mesure; p.e. au lieu de BachBaag, manmaan &c.

3°. La voyelle i est dans beaucoup [de] mots transformée en eu, p. exemple: au lieu de dire icheuch, michmeuch, KirchKeurch.

4°. Il s’y trouve un nombre de contradictions; p. ex. : ich habeeuch hongesagetgesot, es regnetet rehnt &c.

5°. On préfère presque toujours le g au ch; p. ex. TochterDogter, SpracheSprog. &c.

Encore deux singularités marquantes se font entendre dans notre patois.

1°. Au lieu de dire: er wird sterben, on dit généralement: eh geit sterwen, c’est-à-dire, il va mourir, comme dans le français. Cette phrase est déjà d’un ancien usage dans notre patois, et paraît être empruntée de la langue française, qui fut toujours parlée sur nos frontières.

2°. La seconde singularité consiste en permutation presque constante du verbe werden en verbe geben, comme p. exemple: er wird groß – eh geft grus &c.

Quant aux traductions de la parabole citée dans la lettre de S. Excellence, j’ai l’honneur de vous nommer Mr. le curé du canton Schreiber, ou Mr. le curé Devora, qui pourront vous fournir des [sic] pareilles traductions.

Recevez, Monsieur De Moulon, je vous en prie, ces notes avec bonté, et regardez les comme l’obole du pauvre dans l’Évangile.

Je suis, Monsieur, avec la considération la plus distinguée, votre très humble serviteur.

Wyttenbach

N. En général le patois de la Moselle ressemble beaucoup à celui de Coblenz; celui de Prum [Prüm] au patois de Cologne; et le troisième de Hundruck [Hunsrück] au patois déjà mieux cultivé de Mayence.“

 

Zur Quelle

Das Büro für Statistik im französischen Innenministerium führte zwischen 1806 und 1812 eine umfassende Sprachenerhebung innerhalb des napoleonischen Kaiserreichs und in den angrenzenden Regionen der Nachbarstaaten durch. Ziel war die Bestimmung der Sprachgrenzen und der Sprecherzahlen aller im Kaiserreich gesprochenen Sprachen sowie die Identifizierung und sprachliche Klassifizierung der Dialekte. Geleitet wurde die Erhebung von Charles-Étienne Coquebert de Montbret, dem Direktor des Büros für Statistik, und seinem ebenfalls dort beschäftigten Sohn Eugène. Die konkrete Ausführung oblag dann den Präfekturen in den Departements. Diese mobilisierten vor Ort geeignete Informanten aus der Verwaltung und der Zivilgesellschaft, um Auskünfte und Sprachproben zu liefern. Insbesondere wurden zahlreiche Übersetzungen des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn zum Zweck des Sprachvergleichs gesammelt. Erfasst wurden auch deutschsprachige Gebiete: Elsass-Lothringen, die Departements Saar, Roer und Rhein-Mosel am linken Rheinufer (Deutschland), das mehrheitlich heute niederländische und belgische Gebiete umfassende Departement Niedermaas, deutschsprachige Gemeinden im Departement Ourthe (Belgien), das Wälderdepartement (Luxemburg) sowie Teile der deutschsprachigen Schweiz und schließlich deutsche Sprachinseln in Oberitalien.

Das obige Schreiben war Teil der Antwort auf die Anfrage des Innenministeriums im Saardepartement. Sein Verfasser ist Johann Hugo Wyttenbach (1767–1848), der als herausragender Trierer Gelehrter das Geistesleben der Stadt in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entscheidend prägte. Laut F.X. Kraus war Wyttenbach die „Seele aller auf Erforschung der Trierischen Geschichte und Alterthümer ausgehenden Bestrebungen“ (Kraus 1898, 106). Nach einem abgebrochenen Theologiestudium wurde er in den 1790er Jahren zunächst Hauslehrer und bewarb sich dann bei der französischen Zentralverwaltung des Saardepartements. Er wurde Mitglied der Schulkommission und unterrichtete an der städtischen höheren Schule, der er von 1804 bis 1846 als Direktor vorstand. Seit 1799 war er außerdem Bibliothekar der neugeschaffenen Stadtbibliothek Trier sowie 1801 Gründungsmitglied der Gesellschaft für nützliche Forschungen. 1810 erschien der erste Band seines „Versuchs einer Geschichte von Trier“, mit dem er seinen Ruf als Lokalhistoriker bekräftigte, war er doch schon 1792 dem durchreisenden Goethe als ein bestens mit der Geschichte der Stadt und ihrer Umgebung vertrauter junger Lehrer aufgefallen. Seine Mitwirkung in der ministeriellen Sprachenerhebung ist insofern nicht ungewöhnlich. Auch andernorts wurden Personen eingebunden, die sich durch eine literarisch-historische Vorbildung auswiesen. Mehrfach finden sich so unter den Informanten Mitglieder gelehrter Zirkel, Lehrer und Bibliothekare.

Die der Notiz Wyttenbachs zu Grunde liegende Bitte um Auskünfte über die Dialekte datiert auf den 20. Juni 1811. Anders als die meisten innerfranzösischen Departements wurde die Saar nicht durch eines der gezielten Rundschreiben der Jahre 1807 und 1808 in die Sprachenerhebung einbezogen, sondern erst außerhalb der eigentlichen Untersuchung in der Fortsetzung einer Korrespondenz zur Arbeitermigration. Tatsächlich war nach dem Ausscheiden Charles-Étienne Coqueberts de Montbret aus dem Büro für Statistik Ende 1810 die Sprachenerhebung nahezu vollständig zum Erliegen gekommen und konnte erst 1812 durch zwei letzte Rundschreiben wiederbelebt werden. Die isolierte Anfrage im Sommer 1811 geht also ganz auf die Initiative Eugène Coqueberts de Montbret zurück, den auch die Handschrift des Briefes als Verfasser verrät. Der Inhalt der Anfrage entspricht indes ganz dem der früheren Rundschreiben zur Erhebung der Dialekte im Inneren Frankreichs. Hauptsächlich ging es hier zum einen darum, die Unterschiede zwischen den Dialekten („patois“) und der Hochsprache („le bon allemand saxon“)  auszumachen, zum anderen die Dialekte einzeln zu identifizieren und miteinander zu vergleichen:

„Je vous engage en même temps à me transmettre des détails sur les divers dialectes allemands qui sont d’un usage vulgaire parmi les habitans de la partie de l’Empire que vous administrez. Je désire que vous me fassiez connaître quels sont les principaux caractères de ces patois soit par rapport à l’accent et à la prononciation, soit par l’emploi de mots et de tournures de phrases inusités dans le bon allemand saxon. Il serait à désirer que vous pussiez à l’aide de quelques personnes au fait de l’idiôme populaire (il doit s’en trouver notamment parmi les ecclésiastiques) m’envoyer la liste des expressions les plus remarquables de ces dialectes, accompagnée de quelques échantillons en chacun d’eux, notamment d’une ou plusieurs traductions de la parabole de l’enfant prodigue telle qu’elle se trouve dans l’évangile selon saint Luc, chapitre XV. Ce morceau de la Bible me paraît très propre à servir d’exemple parce qu’il ne renferme que des idées simples et familières à tout le monde et j’ai cru par cette raison devoir le choisir comme terme commun de comparaison entre les divers langages sur lesquels mon ministère possède déjà des renseignements. Supposé que les patois en usage dans votre département présentent entr’eux des différences assez marquées pour devenir sensibles dans la traduction de cette parabole je vous saurais gré de m’indiquer quelles sont à peu près les limites de l’étendue de pays où chacun de ces dialectes se parle.“ (Quelle: Lha Koblenz, Bestand 276, Präfektur des Saardepartements zu Trier, Sachakte 1965)

Nach Wyttenbachs Schreiben zu urteilen, wurde die Anfrage von einem der Bürochefs der Präfektur bearbeitet. Es scheint aber auch, dass dieser sie vollständig an Wyttenbach weitergeleitet hat, der dann die Notiz als Antwort verfasste sowie geeignete Informanten für die Erstellung der Sprachproben empfahl. Sicherlich war Wyttenbach besser als die französischen Verwaltungsbeamten mit den lokalen Dialekten vertraut, wenngleich auch seine Beschreibung der Dialektverteilung recht vage ausfällt. In seinen eigenen Publikationen hat er sich nicht mit dialektologisch-ethnographischen Fragen auseinandergesetzt.

Die Resultate wurden am 11. Oktober 1811 nach Paris übersandt. Das Dossier befindet sich heute in der Französischen Nationalbibliothek (Fonds Coquebert de Montbret, NAF 5912) und umfasst das Antwortschreiben des Präfekten, eine Abschrift der Notiz Wyttenbachs ohne die einleitenden Zeilen an Moulon sowie drei Übertragungen des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn. Umfang und Zusammensetzung der Auskünfte – insofern sie vollständig überliefert sind – entsprechen damit allerdings kaum dem Verlangten: Wortlisten wurden nicht angefertigt, von den drei Gleichnissen stammt nur eines aus der Saar, die anderen beiden aus dem Großherzogtum Berg, weitere andersartige Sprachproben (z.B. Volkslieder) fehlen gänzlich. Die Beschreibung dialektaler Merkmale in der Notiz bezieht sich ausschließlich auf die Trierer Mundart. Das Begleitschreiben des Präfekten an das Innenministerium spricht zudem von nur zwei Gleichnissen, da wahrscheinlich die beiden Versionen aus Berg nicht unterschieden wurden.

Alle drei Gleichnisse sind von Pfarrer V.J. Devora unterzeichnet. Da sie auf den 8. Oktober 1811 datiert sind – also nach dem Schreiben Wyttenbachs an Moulon – wurde dieser vermutlich erst nach der Empfehlung durch Wyttenbach eingebunden. Victor Josef Devora (1774–1837, auch Victor Joseph Dewora) wurde 1808 zum Pfarrer der Trierer Vorstadt St. Matthias ernannt. Ab 1810 organisierte er mit Unterstützung der französischen Behörden die erste Lehrerausbildung im damaligen Departement. Später wurde er Domkapitular, Dompfarrer und Stadtdekan in Trier und war auch über seine Region hinaus als Verfasser mehrerer theologischer und pädagogischer Schriften bekannt. Gebürtig stammte Devora jedoch aus Hadamar (heute in Hessen), das von 1806 bis 1813 zum Großherzogtum Berg gehörte. Die beiden bergischen Gleichnisübertragungen spiegeln also vermutlich seine individuelle Dialektkenntnis wider. Dem entspricht, dass eine der beiden die Mundart „comme on le parlait encore vers 1780“ darstellt, also zur Zeit von Devoras Kindheit und Jugend in Hadamar. Das dritte Gleichnis – aus Gerolstein – ist ebenfalls von Devora unterzeichnet, obschon dort eigentlich von 1803–1812 Peter Josef Kremer als Pfarrer tätig war. Bedauernswert ist, dass nun weder Devora noch Wyttenbach selbst eine Übertragung in die Trierer Mundart beigesteuert haben.

Hat Wyttenbach in seiner Notiz zumindest die Verteilung der Dialekte zutreffend beschrieben? Das nicht mit dem Saarland zu verwechselnde Departement Saar erstreckte sich über das Gebiet des sog. Rheinischen Fächers, d.h. des dialektalen Übergangsgebiets vom Niederfränkischen im Nordwesten über das Moselfränkische zum Rheinfränkischen im Südosten (nach heutiger Begrifflichkeit). Der größte Teil des Departements lag im moselfränkischen Raum, der Süden im rheinfränkischen Gebiet, die beiden bergischen Sprachproben verweisen in den niederfränkischen Dialektraum. Sprachlich bot das Departement also durchaus eine interessante wenngleich auch komplexe Situation. Zum Moselfränkischen zählen das „Trierer Platt“ ebenso wie die Mundarten in der südlichen Eifel und im Hunsrück sowie das Luxemburgische (Wälderdepartement) und die Koblenzer Mundart (Rhein-Mosel-Departement). Wyttenbachs Bemerkung, dass der Trierer Patois nur bis an die Grenze des Wälderdepartements reiche, ist also mindestens fragwürdig. Gleiches gilt für die Ähnlichkeit zwischen den Dialekten von Hunsrück und Mainz, da das Mainzerische bereits ein rheinfränkischer Dialekt ist. Überzeugender ist die Ähnlichkeit zwischen den Mundarten der Mosel und dem Koblenzerischen.

Insgesamt hinterlässt die Notiz den Eindruck, dass mangels genauer metasprachlicher Kenntnisse die Verwaltungsgliederung der Region Wyttenbachs Sicht auf die Sprachlandschaft stark beeinflusst hat. Damit veranschaulicht sie auch ganz allgemein die Schwierigkeiten, vor denen die beiden Coqueberts de Montbret in der Spracherhebung und besonders der Bestimmung der Dialektgeographie standen. Die Art und die Zuverlässigkeit der Aussagen der Korrespondenten variierten mitunter so stark, dass letztlich nur mittels seriell erhobener Sprachdaten die Überprüfbarkeit der subjektiven Aussagen und der Dialektvergleich gewährleistet werden konnten. Die Wahl eines einheitlichen Vergleichstexts in Form des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn war dabei der entscheidende Schritt hin zu einer empirisch fundierten Dialektdokumentation. Mit dieser methodischen Entscheidung beeinflusste die napoleonische Sprachenerhebung als Vorbild nachhaltig die Entwicklung der Dialektologie und Sprachgeographie im 19. Jahrhundert. Ein Beispiel für eine Gleichnisübertragung aus dem deutschen Sprachraum soll im nächsten Beitrag vorgestellt werden.

 

Weiterführend

Gabriele B. Clemens, Die Notabeln der Franzosenzeit, in: Unter der Trikolore/Sous le drapeau tricolore. Trier in Frankreich – Napoleon in Trier/Trèves en France – Napoléon à Trèves, 1794-1814, Bd. 1, Hg. von Elisabeth Dühr und Christl Lehnert-Leven, Trier 2004, S. 105–180.

Kellner, Heinrich, Dewora, Victor Joseph, in: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 44, Leipzig 1877, S. 431–434. Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource.

F.X. Kraus, Wyttenbach, Johann Hugo, in: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 5, Leipzig 1898, S. 106–107.

Wolfang Hans Stein (Bearb.), Die Akten der Verwaltung des Saardepartements 1798-1813. Inventar der Bestände Landeshauptarchiv Koblenz Bestand 276 und Landesarchiv Speyer Bestand G 9. Koblenz 1991.

 

Quelle: http://naps.hypotheses.org/999

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Zirkulation des Wissens über den Tabakanbau im Napoleonischen Imperium, 2


Archives départementales du Bas-Rhin, 11M196, Le comte de l’Empire, Conseiller d’État grand Officier de la légion d’honneur, Directeur général de l’administration des Droits Réunis, des Tabacs, et des Octrois de bienfaisance à Monsieur le Baron Lezay-Marnesia, Préfet du départment du Bas-Rhin à Strasbourg, Paris, 9 mars 1812

Napoleon an der Quandtschen Tabaksmühle in der Voelkerschlacht bei Leipzig am 18. October 1813, Federzeichnung von Ernst Wilhelm Straßberger, 1813, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inventarnummer: VS 1340, CC BY-NC-SA 3.0 DE.

Napoleon an der Quandtschen Tabaksmühle in der Voelkerschlacht bei Leipzig am 18. October 1813, Federzeichnung von Ernst Wilhelm Straßberger, 1813, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inventarnummer: VS 1340,
CC BY-NC-SA 3.0 DE.

„Dans ma lettre, Monsieur le Préfet, du 7 février qui vous annonçait un envoi de graines de tabac de Hollande et de Flandre je vous ai témoigné mon regret de ne pouvoir pas vous envoyer en même temps des graines du midi de la France. Je viens d’en recevoir tout à l’heure un sortiment du Lot et Garonne qui m’a été adressé par l’<administration> de ce Dept[artement] et je m’empresse de vous en envoyer une quantité proportionné à celle que j’ai reçue. Dans la caisse qui les contient et qui vous a été expédiée par la diligence, vous trouverez aussi quelques graines recueillie avec soin chez les principaux cultivateurs du département d’Ille et Vilaine.

Celles du Lot et Garonne sont les espèces suivantes, savoir: Grand Virginie ou Tabac Long, à large feuille, grande espèce: a une végétation prodigieuse, réussit très bien dans les terrains gras abrités des grands vents. Petit Virginie, ou Tabac de Virginie pointu dit Langue de Bœuf. Qu’on croit être du Warwick dégénéré.

De Magdebourg, nommé à Clairac Tabac commun à  larges feuilles; il est propre pour robes. Tabac efrisé[sic], ainsi nommé à cause des feuilles papillotées bouillonnées; Cette variété remarquée depuis peu réussit très bien dans les terres légères. Par son port elle se rapproche du tabac de Virginie, par sa précocité, du Tabac dit Cyprès. Tabac Cyprès pommé ou tabac précoce. Il est nommé Cyprès,  parce que des feuilles en fer de lance et très aiguet[sic] se tiennent droites le long de la tige, jusqu’à ce quelle soient un peu fortes; pomme, parce que son bouquet de fleur s’élève peu au dessus[sic] des feuilles: Cette variété réussit bien dans les terrains qui <courierement> au tabac, en général ses feuilles sont fortes, plus nombreuses que dans les autres espèces et [unleserlich] moins exposées d’être fracassés par les vents; elles sont belles, épaisses, gluantes et d’un bon rapport; ne perdent jamais leur gomme; une fois parvenues au point désirable de maturité, elles s’échauffent rarement et sont moins sujettes que les autres au blanc ou au moisi. Ce tabac a encore l’avantage précieux de murir douze ou quinze jours plutôt que les autres, ce qui permet, de préparer les terres pour les semailles du blé.

Tabac Péant ou de la Californie, peu connu. Son premier nom  lui vient de la hauteur de ses tiges. Ses feuilles sont presque rondes, très amples, minces et prennent une belle couleur. Cette variété qui ne réussit que dans les fonds de bonne qualité, serait propre des tabacs à fumer.

Tabac d’Espagne dit Tabac camus. Cette variété est peu cultivée et mérite cependant l’attention des agronomes. Sa graine réussit très facilement sur couche; le jeune plant vient assez vite, et muris de bonne heure. Ce tabac éxige[sic] des bonnes terres pour devenir beau: il se manipule aussitôt qu’il est sec, est d’une bonne qualité, augmente celle des tabacs avec lesquels on le mêle; il était très recherché des fabricants. C’est en partie à cette variété qu’était due la grande réputation dont jouissait avant la Révolution, le tabac dit le Clairac.

Il y a un sac de papier renfermant diverses variétés. Voilà, Monsieur le Préfet, tous les renseignements qui peuvent vous être donnés en ce moment sur les diverses espèces de tabac de Lot et Garonne dont vous allez recevoir les graines. Je pense qu’elles vous parviendront encore assez tôt pour être distribuées et semées à temps. Je vous serai très obligé de m’en accuser la réception, et j’apprendrai avec plaisir que vous avez été satisfait de cet envoi.

Agréez, Monsieur le baron, l’assurance de ma parfaite considération.

Le Comte de l’Empire

[Unterschrift unleserlich]“

 

Zur Quelle

Die obige Quelle steht im Zusammenhang mehrerer Dokumente, die ich schon bei einem vorangegangenen Post zur „Zirkulation des Wissens über den Tabakanbau im Napoleonischen Imperium“ näher erläutert und in den Kontext der Geschichte des staatlichen Tabakmonopols in Frankreich eingebettet habe.

Der Brief vom 22. März 1812 belegt folgende Begebenheit: Baron de Lezay-Marnesia, Präfekt im Département Bas-Rhin, erhielt im Zuge seiner um die Verbesserung des Tabakanbaus kreisenden Korrespondenz mit der Pariser Tabakverwaltung  ein Schreiben von den Beamten, mit dem ihm die Zentralverwaltung die gewünschten Tabaksorten, jedoch auch weiteres Saatgut anderer Spezies zusendete, die in unterschiedlichen Gebieten des Französischen Kaiserreichs gesammelt worden waren.

Es ist durchaus hervorhebenswert, dass der Verwaltungsbeamte aus Paris nicht etwa botanische Bezeichnungen von Sorten, wie das von Carl Linnaeus entworfene binominale System (etwa „Nicotiana Tabacum“), sondern vielmehr die aus der Welt des Tabakhandels gebräuchlichen Begriffe verwendete. Zu diesen Sorten zählten etwa Tabake wie der „Grand Virginie ou Tabac Long“ oder der „Petit Virginie, ou Tabac de Virginie“, die die Beamten aus dem innerfranzösischen Departement Lot et Garonne erhalten hatten. Auch aus dem 1806 von den Napoleonischen Truppen eroberten Magdeburg, das als Hauptstadt des Elbdepartement dem Königreich Westfalen zugeordnet worden war, hatte die Pariser Tabakverwaltung Sorten wie den „Clairac Tabac” sowie den „Tabac efrisé“ sammeln lassen und an die Departementsverwaltung in Straßburg weitergereicht. Über den zentralen Sammel- und Verteilerpunkt Paris konnten regionale Akteure wie Lezay-Marnesia demnach Tabaksorten ordern, die innerhalb des Napoleonischen Imperiums kultiviert wurden.

Jedoch waren der Sammeltätigkeit der Pariser Behörden immer auch Grenzen gesetzt: Die Tabakbehörde in Paris gab an, dass sie nicht in der Lage gewesen sei, alle vom Präfekten gewünschten Tabaksorten nach Straßburg zu senden – Gründe dafür wurden jedoch nicht genannt. Wie Lezay-Marnesia auf diese auf diese Versorgungsprobleme reagierte und welche Praktiken damit einsetzten, soll am Beispiel einer weiteren und vorerst letzten Quelle gezeigt werden, die ich in den nächsten Tagen präsentieren möchte.

Quelle: http://naps.hypotheses.org/899

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#BestBlog-Stöckchen: Geschichtsquellen teilen im Quellenblog „Napoleon auf der Spur“!

Von Marlene Hoffmann, die im Blog Geschichte & Geschichten vom Museum @BurgPosterstein schreibt, haben wir im März mit Freude ein Blogstöckchen „Best Blog Award“ erhalten – danke für die Ehre. best-blog-jpg Nun sind wir explizit eingeladen, einen Blick hinter die Kulisse unseres Blogs zu liefern. Spannend zu beobachten, wie so ein Blogstöckchen wandert und sich die Fragen wandeln! Von den Museenblogs führen wir (vorübergehend?) weg, um das Blogstöckchen mit ein wenig „goût de l’archive“ zu würzen und zu Fragen überzuleiten, die uns heute für den wissenschaftlichen Nachwuchs relevant erscheinen.

1. Wer bloggt?

Karikatur_Napoleon_in_der_TinteAbbildung: Napoleon in der Tinte, 1813/15, Grafik/Karikatur, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, K/1090/2009, CC BY-NC-SA 3.0 DE.

„Napoleon auf der Spur“ ist ein gemeinschaftliches Quellenblog – gestartet wurde es von einem deutsch-französischen Tandem im Mai 2013 – Nicola Todorov und Claudie Paye. Wir bilden ein (a)symmetrisches Gespann, denn Nicola machte sich als Magdeburger nach einem Grundstudium in Geschichte in Deutschland nach Paris auf und promovierte 2003 an der Université Paris I Panthéon-Sorbonne, während ich als Angevine nach dem Baccalauréat nach Berlin zog, um schließlich in Saarbrücken zu promovieren. Bei Archivaufenthalten in Wernigerode und Berlin für unsere Promotionsarbeiten zur napoleonischen Ära im Königreich Westfalen (1807–1813), einer kurzen deutsch-französischen Episode mit anhaltendem Reformcharakter, trafen wir zufällig aufeinander. Allerdings waren unsere Fragestellungen ganz andere, Nicola folgte einem verwaltungsgeschichtlichen Ansatz, während bei mir das kulturgeschichtliche Interesse überwog. Von Anfang an stand aber unser Blog für Fachkollegen offen, die gern ihre Quellenfunde teilen möchten. Aktiv haben sich bereits Martijn van der Burg und Ulrike Schmitz mit Quellenposts beteiligt. Per sogenannter stiller Kommunikation (Mails, Austausch auf Tagungen) haben aber einige weitere Wissenschaftler der napoleonischen Ära ihr Interesse bekundet, sich über kurz oder lang mit Quellenposts zu beteiligen – wir würden uns freuen, wenn sich nach diesem Blogstöckchen noch viel mehr melden würden!

2. Wie und wann ist das Blog entstanden? Was ist die Idee dahinter?

Die Idee ist eigentlich gleich bei der Auftakttagung zum deutschen Blogportal de.hypotheses.org im Februar 2012 aufgekommen. Beruflich hatten aber andere Projekte Prioritäten und zunächst wollte die Doktorarbeit veröffentlicht werden, bevor freie Valenz für ein Quellenblog vorhanden war. Schließlich waren wir Ende Mai 2013 soweit. Unsere unterschiedlichen methodologischen Ansätze machten es spannend, unsere Kräfte zu vereinigen. Zum einen war uns wichtig, nachdem wir etliche Archivreisen mithilfe von öffentlichen Mitteln finanziert hatten und unseren Doktorarbeiten veröffentlicht waren, auch die vielen nicht mehr in den Arbeiten verwendeten Quellenexzerpte und -transkriptionen nach dem Open Access-Prinzip zu teilen. Zum anderen wollten wir gern, nach vielen Jahren der relativen Einsamkeit mit unseren Forschungsthemen, den Dialog suchen und durch das Quellenblog auch Leser und Interessenten für unsere Forschungsergebnisse finden. OLYMPUS DIGITAL CAMERA Abb. Wikimedia, Verwendung Farina-Archiv, CC BY-SA 3.0.

Es erscheint uns wesentlich, unsere Leser in die Lage zu versetzen, sich über die Plausibilität unserer Quellenauslegungen eine eigene Meinung zu bilden und sie anzuregen, das Quellenmaterial in Hinblick auf anderen Fragestellungen zu untersuchen, so dass neue Forschungsfragen und Erkenntnisse dabei entstehen können. Wenn wir anderen Wissenschaftlern die Vorbereitung ihrer Archivaufenthalte erleichtern können, umso besser. Wenn langfristig das Blog zu einer Austauschbörse für Quellematerial wachsen könnte, wäre dies eine schöne Entwicklung.

3. Welchen Stellenwert nimmt das Blog im Museum in unserem Berufsleben ein?

Wir sind beide in Open Access-Projekten involviert: Nicola hat 2012 mit Philippe Boulanger die Revue de géographie historique gegründet. Nachdem ich bis Oktober 2013 die hybride Reihe Ateliers des Deutschen Historischen Instituts Paris und die genuin elektronische Reihe discussions auf perspectivia.net redaktionell betreut habe, bin ich jetzt Projektmitarbeiterin im Team von Prof. Dr. Gudrun Gersmann für ein neues Open Access-Projekt für Nachwuchswissenschaftler in den Geisteswissenschaften. geissler-blick in die buchdruckwerkstatt_Gei X:32 cAbb. C. G. H. Geißler, Blick in eine Buchdruckerwerkstatt, Radierung, 1804, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Gei X/32 c, CC BY-NC-SA 3.0 DE.

Mit dem Quellenblog verbinden wir die gleiche Experimentierfreude und die Neugier, selbst zu erfahren, wie wissenschaftliche Blogs generell die Wissenschaftskommunikation verändern können, um auch diese Erkenntnisse im Bereich Altmetrics und Social Media Netzwerk bezüglich der Rezeption von Forschungsergebnissen in unsere beruflichen Projekte einfließen zu lassen.

4. Wer sind die Leser des Blogs bzw. an wen richtet sich das Blog?

werkverzeichnis_Stobwasser_Napoleon mit Sohn_a4fb99e4c0-beschnittenDas Blog richtet sich an alle historisch Interessierte. Als Adressaten hatten wir auch Lehrer und ihre Schüler im Auge – über die Präsentation des Quellenblogs in „Quoi de neuf du francais – Nouvelles du bilingue“ haben wir uns sehr gefreut. Für Studierende, die noch nicht die Möglichkeit hatten, Archivalien einzusehen oder für Doktoranden, die einen Archivaufenthalt planen, bietet unser Blog einen Einstieg. Im Blog können wir Quellenmaterialien, auf denen wir Vorträge auf Fachtagungen basieren, vorab oder nachträglich präsentieren. Der Nutzerkreis eines Blogs ist offen und ermöglicht so mehrere Generationen von Napoleonsforschern zu verbinden.

Abb. Schnupftabaksdose, Napoleon mit Sohn, Manufaktur Stobwasser, 1. Viertel des 19. Jahrhunderts, Werkverzeichnis Stobwasser.

5. Wie sammelt ihr Ideen?

Für ein geschichtswissenschaftliches Promotionsprojekt sichtet man viel mehr Archivalien, als man hinterher in der Lage ist, in der Publikation explizit zu zitieren. Wir verfügen über viele exzerpierte oder transkribierte Quellen, die wir über die Jahre gesammelt haben und nach und nach im Quellenblog veröffentlichen können. Material fehlt nicht – die Zeit schon eher.

6. Welches war der erfolgreichste Blogpost?

Ex aequo die Quellenposts „Westphälische Deserteurs in Holland (1810) – ‚mesures rigoureuses‘“ (http://naps.hypotheses.org/336) und „il y en a plusieurs dans la campagne qui redigent en langue vulgaire“ (http://naps.hypotheses.org/253).

7. Habt ihr schon ‚offline‘ Feedback auf Blogposts erhalten – sei es von Besuchern, Recherche- oder Kooperationsanfragen, Buchbestellungen, etc.?

Per stiller Kommunikation hat es nicht an Zuspruch gefehlt: Wir haben von einigen Kollegen, die sich auch vorstellen können, Quellenposts aus ihren bereits veröffentlichten Arbeiten beizusteuern, Zuspruch erfahren. Aber auch jüngere Kollegen mit noch entstehenden Publikationsprojekten möchten gern ihre ersten Archiverfahrungen teilen. Via Twitter haben sich in letzter Zeit neue Ideen für Kooperationen ergeben. Derzeit wird überlegt, das Quellenblog im Rahmen einer Quellenübung einzusetzen, damit Studierende die Erfahrung des Veröffentlichens eines Quellenposts machen können.

8. Über welche Themen bloggst du am liebsten?

Ich teile besonders gern Quellen, die das Wechseln zwischen Französisch und Deutsch in Verwaltung und Gesellschaft während der napoleonischen Ära anschaulich machen. In der Russischen Nationalbibliothek in St. Petersburg konnte ich zudem viele Agentenberichte einsehen, die einen Einblick in die Überwachungspraktiken durch die politische Polizei im Königreich Westfalen geben – darüber würde ich gerne mehr bloggen. Das Schöne am Blog ist, dass es peu à peu wachsen darf, nicht gleich zu Anfang einen starken Sinnzusammenhang vorweisen muss und eine breite Themenvielfalt angerissen werden kann.

Abb. Schnupftabakdose, bezeichnet „In vino veritas“, Manufaktur Stobwasser, 1. Drittel des 19. Jahrhunderts, Werkverzeichnis Stobwasser.

9. Wie häufig bloggt ihr und warum?

Viel weniger als wir möchten.

10. Wie wichtig sind Fotos für das Blog?

Welchen Stellenwert visuelle Medien im Internet haben, muss hier nicht erklärt werden. Weshalb ich aber gern aus der wunderschönen Sammlung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig schöpfe, um unsere Quellenposts mit Abbildungen und Banner zu versehen, hat noch einen anderen Grund. Bei der Publikation meiner Dissertation fing ich viel zu spät an, den Text mit Abbildungen zu untermauern. Als ich begann, nach den vielen kleinen Objekten aus der Alltags-, Gedenk- und Protestkultur der westphälischen Bürger in diversen Museen zu suchen, war ich schnell überwältigt, wie viele von diesen kleinen Gegenständen noch tatsächlich existieren, die ich über Jahre nur aus den Polizeiprotokollen kannte. Im letzten Monat vor der Einreichung des Manuskripts beim Verlag habe ich so mein Forschungsthema quasi neu entdeckt – diese Zeit habe ich als die intensivste der gesamten Promotion empfunden. SML_Zinnfiguren_Flucht_V:1252:2002_beschnitten

Die vielen Tabaksdosen mit verherrlichenden Darstellungen von Kriegshelden auf ihren Deckeln oder antinapoleonischen Karikaturen, die vielen Pfeifenköpfe oder Zinnfiguren – viel multimediales Beiwerk zum Mundwerk der Zeitgenossen, die sich mit Gerüchten und Witzen ihre Meinung über die politischen Geschehnisse ihrer Zeit machten, existieren noch!

Abb. Zinnfigurenaufstellung zur Flucht Kaiser Napoleons I. aus Russland 1812, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, V/1252/2002, CC BY-NC-SA 3.0 DE.

Die schönste Entdeckung war sicherlich der Tintenfasssarg mit Napoleon im Innern, die ich zuerst im Schlossmuseum Quedlinburg nachweisen konnte, aber von der im Laufe meiner Suche nach Abbildungen zwei Privatsammler weitere Exemplare beisteuern konnten. Es war auch ein besonderes Erlebnis, die Arbeit der Restaurateurs- und Zinnfiguren-Expertengruppe um Dr. Eberhard Schraudolph und Dr. Jürgen Wilke kennenzulernen, und ihre Zinnfiguren mit der Polizeiaffäre um den Hannoverschen Zinngießer Johann Georg Taberger zusammenzuführen[1]. Wenn ich die im Rahmen der Doktorarbeit durchgeführten Forschungen und Erhebungen fortsetzen könnte, würde ich gern eine kleine Ausstellung planen, die eine Art multimediales (anti-)napoleonischen Kuriositätenkabinett rund um Kommunikation und Propaganda um 1807–1815 wäre.

In jedem Fall haben Historiker von der historischen Bildkunde noch viel für ihre Forschungsprojekte zu gewinnen. Es ist sicherlich sinnvoll, Workshops dazu als Teil der Nachwuchsförderung anzubieten, wie vor kurzem an der Universität Siegen (Kooperation mit dem DFG-Graduiertenkolleg „Locating Media“) geschehen.

Ein großes Manko für unser Blog ist natürlich, dass wir bisher keine Digitalisate der präsentierten Quellen anbieten können – deswegen freuen wir uns umso mehr, dass die Autoren des Quellenlesebuchs „Im Banne Napoleons“ drei Tagebucheinträge des rheinischen Adligen Cornelius Joseph von Geyr mit Reproduktion beisteuern konnten.

11. Welche Blogs liest du selbst am liebsten?

Aus dem Bereich Informations- und Bibliothekswesen schätze ich Infobib – zum Thema Open Access und Scholarly Communication werde ich bei Impact of Social Sciences fündig. Französischerseits schaue ich gern in Criminocorpus – carnet de l’histoire de la justice, des crimes et des peines rein, außerdem: Le magasin des enfants – carnet de recherches de l’Association francaise de recherches sur les livres et objets culturels de l’enfance, Les aspects concrets de la thèse, Langues de feu – Les traducteurs et l’esprit des langues. Tours de Babel et glossolalies und das Blog von Frédéric Clavert.

Das Best Blog-Stöckchen fliegt weiter…

Das Blogstöckchen-Konzept verlangt nun, dass ich selbst neue Fragen formuliere und den Staffelstab anderen Blogs übergebe.

8380817188_df8a9bcee8_z_Nature_Art_Moeller-EberthAlle Rechte vorbehalten. Foto Hiltrud Möller-Eberth.

Folgende Fragen möchte ich gern Janine Noack (Twitter: @janinenoack) von Doing History Public, Angelika Schoder (Twitter: @musermeku) für MusErMeKu, Christof Schöch (Twitter: @christof77) für OpenBlog, Micha Anders (Twitter: @Parthenopolis) für Parthenopolis.de, Andrea Hacker (Twitter: @ahacker) für A Hacker’s View,  Jan Drees (Twitter: @jandrees99) für Lesen mit Links, den Autoren von Netz und Werk – Junge Hamburger Geschichtswissenschaft online, Huberta Weigl (Twitter: @HubertaWeigl) für SchreibWerkstatt, Christian Wobig (Twitter: @Christian_Wobig) für Gedankenmühle zuwerfen:

1. Wer bloggt denn hier?

2. Wie und wann ist das Blog entstanden? Was ist die Idee dahinter?

3.  Die drei wichtigsten Grundfähigkeiten, die Du/Sie im Laufe des Studiums bzw. der Promotion erworben hast/haben?

4. Lohnt es sich seine Forschungsdaten parallel/nach der Publikation der Dissertation zu veröffentlichen?

5. Rezensionswesen gestern morgen?

6. Warum nutzt Du/nutzen Sie (nicht) akademische soziale Netzwerke (ResearchGate, Academia.edu, …)?

7. Ändert sich zurzeit die Wissenschaftskommunikation wirklich nachhaltig?

8. Eine interessante Initiative aus dem Bereich „Science Marketing“?

9. Eine ausgefallene Initiative im Bereich „Bookmarketing“?

10. Generation Praktikum, Generation „Gefällt mir“: zu pessimistisch, zu skeptisch? Was kommt danach?

Was müssen die Nominierten jetzt tun?

  •  die Fragen beantworten – man darf sie sich auch passend machen!
  • das Best Blog Award-Bildchen einbauen und es mit demjenigen, der es verliehen hat, verlinken bzw. auf den Artikel des Werfers/der Werferin verlinken.
  • max. elf neue Fragen verfassen und das Best Blog Blogstöckchen an zehn Blogger weiterreichen, es können auch weniger sein.
  • Bitte hier im Kommentar Bescheid geben, wenn der Beitrag fertig ist.

 

[1] Erhard Schraudolph, Eisvogel trifft Klapperschlange. Zinnfiguren und Kinderbücher in der Aufklärung. Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg 30. November 2006 bis 22. April 2007, Nürnberg 2006; Manfred Fürst, Martin Schabenstiel, Erhard Schraudolph u.a. (Hg.), „Dem König gehört alles, auch Dein Spielzeug“ – Zinnfiguren aus dem Königreich Hannover, Bennewitz 2008.

Quelle: http://naps.hypotheses.org/753

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Aktion „Blogger schenken Lesefreude“

Das Quellenblog „Napoleon auf der Spur“ beteiligt sich an der Aktion „Blogger schenken Lesefreude“ anlässlich des Welttages des Buches (23.04.2014).

Hier kommt wissenschaftliche Literatur für historisch Interessierte, Studierende und Wissenschaftler!

Die vier ersten Beitragenden eines Quellenposts oder eines thematisch passenden Tagungsberichts für das Quellenblog „Napoleon auf der Spur“ erhalten ein Buch aus folgender Auswahl:

  • Claire Gantet / Bernhard Struck, Révolution, guerre, interférences 1789–1815, Villeneuve d’Ascq 2013 (Histoire franco-allemande, 5), ISBN: 978-2757404102.

Von der Redaktion des Deutschen Historischen Instituts Paris spendiert.


  • Gudrun Gersmann / Hans-Werner Langbrandter, Im Banne Napoleons: Rheinischer Adel unter französischer Herrschaft. Ein Quellenlesebuch, Essen 2013, ISBN: 978-3837505832.

Ulrike Schmitz, die am Quellenlesebuch mitgearbeitet hat, konnte bereits im letzten Februar drei Tagebucheinträge von Joseph Cornelius von Geyr aus diesem Quellenlesebuch auf dem Quellenblog veröffentlicht. Das Buch spendiert der Klartext-Verlag.


  • Claudie Paye, „Der französischen Sprache mächtig“. Kommunikation im Spannungsfeld von Sprachen und Kulturen im Königreich Westphalen 1807–1813, München 2013 (Pariser Historische Studien, 100), ISBN: 978-3486717280.

Vom De Gruyter-Verlag spendiert.


  • Bettina Severin-Barboutie, Verfassungsreformen im Großherzogtum Berg (1806–1813), München 2008 (Pariser Historische Studien, 85), ISBN: 978-3-486-58294-1.

Retrodigitalisate online auf perspectivia.net: http://www.perspectivia.net/content/publikationen/phs/severin-barboutie_herrschaftspolitik

Unser besonderer Dank gilt der Redaktion des Deutschen Historischen Instituts Paris für diesen Buchtitel, der im Buchhandel vergriffen ist.


Alternativ können Sie eines der obengenannten Bücher im Rahmen eines anderen Blogs oder auf recensio.net besprechen und können damit ebenso eines der vier Freiexemplare erhalten.

Über zahlreiche Rückmeldungen (im Zeitraum vom 08.04.–31.05.2014) freut sich naps!

 

Aktion „Blogger schenken Lesefreude”

Twitter: @BlogdenWelttag

#Lesefreude
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Nur Versand innerhalb der EU.

Abbildung Banner: C. G. H. Geißler, Buchhändler auf der Leipziger Messe, Radierung, koloriert, 1804, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Gei XVI/7/2, CC BY-NC-SA 3.0 DE.

Quelle: http://naps.hypotheses.org/730

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„Was es weiter darin geben wird, muß die Zeit lehren“. Der rheinische Adlige Cornelius Joseph von Geyr kommentiert Napoleons Feldzug in Spanien


Archiv Burg Müddersheim, Akten, Nr. 35, Konvolut III, Band 5, pag. 49.

„[…] Nachdem der König von Portugal [Prinzregent Johann VI.] war nach Brasilien abgegangen, hat der große Kayser Bonaparte Portugal eingenohmen, auch eine Armee nach Madrit, wo Unruhen ausgebrochen waren, abgeschickt, wornach der alte und junge König von Spanien [Karl IV. und sein Sohn Ferdinand VII.] ihr Recht zur Krone dem Kayser Bonaparte abgetretten haben. Dieser ernante darauf seinen Bruder Joseph (bisheriger neuer König von Neapel, auf dessen Stelle der gnädige Murat, Schwager des Kaysers, König von Neapel wurde) zum König von Spanien. Die Spanier aber waren mit diesem nicht zufrieden. Es entstande eine Empörung in Spanien, und die Spanier schlugen die Frantzosen bis an ihre Grentze zurück. Hierauf sammelte Bonaparte im Herbst eine Armee von 4 bis 500 000 Mann und schluge die Spanier und Engländer, welche sich ihnen zugesellt und die Franzosen aus Portugal vertriben hatten, allenthalben; nahm Anfangs Dezember Madrid ein und triebe die Engeländer aus Spanien. Was es weiter darin geben wird, muß die Zeit lehren. […]“.

 

002_rechts_1808

Zur Quelle

Im Journal des Cornelius Joseph von Geyr wird der Eintrag für das Jahr 1808 von einem Ereignis bestimmt: Dem Krieg auf der Iberischen Halbinsel. In diesem langwierigen, zermürbenden und gewalttätigen Krieg erlebt die französische Armee ihre erste Niederlage zu Land – der Mythos ihrer Unbesiegbarkeit zerbricht. Napoleon selbst sah in dem missglückten Spanienfeldzug später die Hauptursache für den Niedergang des Empire.

 

Zitiert

Gudrun Gersmann, Hans-Werner Langbrandtner (Hg.), Im Banne Napoleons. Rheinischer Adel unter französischer Herrschaft. Ein Quellenlesebuch, Essen 2013 (Schriften der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V., 4), S. 140.

 

Quelle: http://naps.hypotheses.org/636

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Joseph Claude Anne Le Gras de Bercagny, 1


AN Paris, BB11 67, Autorisations à des Français d’entrer ou de rester au service des puissances étrangères: Demandes d’autorisations pour entrer ou rester au service des puissances étrangères (décret du 26.8.1811), Royaume de Westphalie, liasse Colinet-Acloque

„Joseph, Claude, Anne, Le Gras de Bercagny, né à Tours, département d’Indre et Loire, le 23 mai 1763.

Éléve de l’école Royale militaire, en 1770. officier au Régiment de Béarn, infanterie, depuis 1778, jusques en 1789.

Controleur général des services militaires, à l’armée d’Italie, en l’an 7.

Secrétaire général de la Préfecture de la Dyle, au mois de frimaire, an 8.

est entré au service de S.M. le Roi de Westphalie avec l’autorisation de S.E. le Ministre de la Police générale, le 20 juillet 1808, en qualité de secrétaire du Cabinet du Roi ; puis Directeur général de la haute Police du Royaume, Préfet de Police, actuellement Préfet du Palais de S.M. et surintendant de ses spectacles ; nommé le 11 de ce mois Préfet du département de l’Elbe ;

n’a de biens en France qu’à St. Domingue et à l’isle de la Réunion.

Certifié véritable.

Le Gras de Bercagny”.


Zur Quelle:

Ein französisch-kaiserliches Dekret vom 26. August 1811 machte es für die französischen Auswanderer, die im Ausland Anstellung gefunden hatten, notwendig, beim französischen Justizminister um die Erlaubnis zu bitten, weiterhin im Ausland dienen zu dürfen. Die westfälischen Staatsdiener französischer Herkunft wurden verpflichtet, einen kaiserlichen Patentbrief für die Anstellung im Königreich Westphalen unter Beibehaltung ihrer französischen Staatsbürgerschaft zu beantragen oder sich für die Naturalisation als westphälische Staatsbürger zu entscheiden. Patent- beziehungsweise Naturalisationsbriefe, die diese Erlaubnis gewährten, wurden ihnen daraufhin in den meisten Fällen erteilt. Die Mehrzahl beantragte Patentbriefe.

Die vorliegende biographische Notiz gehört zum Antrag auf einen Patentbrief von Joseph Claude Anne Le Gras de Bercagny, der als Generaldirektor der Hohen Polizei im Königreich Westfalen von September 1808 bis Oktober 1809 tätig war. Die politische Polizei im Königreich Westfalen zeichnete sich damit aus, dass die politische Überwachung vornehmlich nach innen gerichtet war, gegen die eigene Bevölkerung. „Diese gegen ‚Volksaufwiegler’ im Innern gerichteten Sicherheitsmaßnahmen zeigen den Wandel an von der traditionellen, gegen den äußeren, auszukundschaftenden Feind gerichteten ‚hohen geheimen Polizei’ hin zur ‚modernen’, im 19. Jahrhundert sich ausprägenden politischen Polizei” (Siemann, „Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung”, S. 49). Diese Ausrichtung nach innen, die andere Polizeien erst später erfuhren, war bereits 1808 bei der Errichtung einer spezifischen Generaldirektion der Hohen Polizei im Königreich Westfalen grundsätzlich. Wenn auch für die politische Polizei keine vergleichbaren Vorläufer in der deutschen Staatenwelt genannt werden können, so war nach 1813 Geheimpolizei zu einem geläufigen staatssichernden Instrument gegen staatsgefährdende Untertanen geworden. Diese stark kritisierte Übernahme des französischen Konzepts durch die Obrigkeiten deutscher Territorien nach 1813 geschah auf breiter Basis. Die westfälische Hohe Polizei nahm in mehrfacher Hinsicht Einfluß auf die Entwicklung in den deutschen Landen: Zum einen spielte sie bei den erwähnten Anfängen der politischen Polizei eine wichtige Rolle, zum anderen entwickelte sich infolge ihrer Erscheinung eine kritische Öffentlichkeit gegenüber der Institution Geheimpolizei. Durch die öffentliche Debatte um Polizei und politische Polizei, die sie auslöste und die lange nach 1813 fortgesetzt wurde, initiierte sie unbeabsichtigt eine Entlarvungs- und kritische Rezensionskultur gegenüber politischer Polizei.

Die polizeilichen Strukturen im Königreich Westfalen begannen sich erst im Herbst 1808 zu verändern, nachdem es am 4.–5.9.1808 in Braunschweig zu einem ernstzunehmenden Aufruhr nach einem Streit im Theater zwischen in Zivil gekleideten Gendarmen und Braunschweiger Bürgern. Durch ihn soll Napoleon dazu veranlaßt worden sein, am 14.9.1808 neben der Anordnung der strengen Bestrafung der „Anstifter dieser Emeute”, die französischen Gendarmen in Westfalen für „unnütz” zu erklären und nach Frankreich zurückzurufen, um sie durch ortsansässige bzw. deutschsprachige Gendarmen ersetzen zu lassen (Napoleon, zitiert nach, Goecke, Das Königreich Westphalen, S. 74).
Ein von der Polizei abgefangener Brief des Freiherrn Karl vom Stein an den Fürsten Wilhelm zu Sayn-Wittgenstein vom 15.8.1808, der auf eine antinapoleonische Stimmung in Westfalen schließen ließ,
hat außerdem nach Meinung einiger Historiker das königliche Dekret vom 18.9.1808 verursacht (Vgl. u.a. Thimme, Die inneren Zustände des Kurfürstentums Hannover, Bd. 2, S. 168, 170; vgl. Ders., Neue Mittheilungen zur Geschichte der hohen oder geheimen Polizei, S. 86). Nach diesem Dekret wurde eine Generaldirektion der Hohen Polizei unter der Zuständigkeit des Justiz- und Innenministeriums errichtet. Generaldirektor wurde Joseph Claude Anne Legras de Bercagny, der von Kassel aus die allgemeine Ruhe und Ordnung im Königreich Westfalen überwachen sollte. Mit dieser Maßnahme wurde der gesamte Polizeiapparat der bisherigen direkten Aufsicht des Justiz- und Innenministers Joseph Jérôme Siméon teilweise entzogen. Der Generaldirektor sollte künftig mit allen Ministern korrespondieren und obgleich er dem Justiz- und Innenminister unterstand, konnte er bald seine Eigenständigkeit behaupten. Wahrscheinlich um Bercagnys Geschäftsführung im Ressort der politischen Polizei sich ungehindert entfalten zu lassen, spaltete man am 1.1.1809 das Justizministerium vom Ressort des Innern und erreichte so, daß der als Justizminister weiterbeschäftigte Siméon bedeutende Teile seiner amtlichen Befugnisse hinsichtlich der Polizeigeschäfte einbüßte. Die Präfekten, die bis zum 18.9.1808 für die Hohe Polizei zuständig gewesen waren, wurden nicht mehr allein mit dieser Aufgabe betraut. Ihre direkte Verbindung mit dem Justizminister endete. Präfekten und Gendarmerie unterstanden nunmehr dem Generaldirektor. Am 6.12.1808 setzte man darüberhinaus besondere Polizeikommissare für die Gemeinden mit über 5000 Einwohnern ein. Hinzu kam die Bestellung von Generalkommissaren für die acht Departements im Dezember 1808 (Ernennung am 11.11.1808), die unter der Führung des Generaldirektors der Hohen Polizei standen. Schließlich wurden durch ein Dekret vom 5.1.1809 die Aufgaben der einstmaligen Polizeipräfektur mit denen der Generaldirektion der hohen Polizei vereinigt.
Tatsächlich soll erst mit dem Amtsantritt Bercagnys der Aufbau eines Stabs von Agenten und Spitzeln im Königreich angesetzt haben. Bercagnys Definition der Hohen Polizei lautete: Es sei „hauptsächlich diejenige Polizei zu verstehen, welche zum Zweck habe, den Verbrechen gegen den Staat oder die geheiligte Person des Königs vorzubeugen und den verräterischen Umtrieben solcher Personen nachzuspüren, welche die Leichtgläubigkeit des Volkes zur Erregung von Unruhen missbrauchten” (Bercagny, zitiert nach: Thimme, Die inneren Zustände des Kurfürstentums Hannover, Bd. 2, S. 170).
Mit den Aufständen des Jahres 1809 geriet die Generaldirektion unter Legitimationszwang, so dass die Überwachung verschärft wurde. Die Praktiken der Ära Bercagnys sollten schon bald zu einem für die Entwicklung der westfälischen Polizei folgenreichen Skandal führen. Der Generalsekretär der Hohen Polizei, Schalch, hatte sich Zugang zum Kabinett des Finanzministers verschafft und wurde vom Ministier selbst beim Durchstöbern seiner Papiere überführt. In der Folge forderte Bülow Genugtuung vom König. Sämtliche Minister, Siméon an ihrer Spitze, schlossen sich an. Bercagny mußte seinen kompromittierten
Generalsekretär fallenlassen, der nach kurzer Haftzeit im Kastell zu Kassel des Landes verwiesen wurde − später arbeitete er jedoch wieder für die westfälische Polizei. Die Affäre führte jedoch dazu, daß der König Bercagnys Machtmonopol einschränken musste. Er enthob ihn seines Amtes als Generaldirektor und betraute ihn mit der wiederaufgelebten Polizeipräfektur der Stadt Kassel. In allen Departements fiel am 14.10.1809 die Hohe Polizei wieder den Präfekten zu und somit erlangte Siméon wieder mehr Einfluß auf die Gestaltung der Hohen Polizei.

Nach einer angeblichen Verschwörung, die im Mai 1811 als erfunden aufgedeckt wurde, verloren einige Geheimagenten Bercagnys ihre Stellungen. Ihm wurde infolgedessen die Polizeipräfektur entzogen, deren Aufgaben der König dem neuen Chef der Hohen Polizei seit April 1811, Jean François Marie de Bongars, übertrug. Bercagny wurde zunächst Kammerherr und Intendant der Schauspiele, was am Hof als Zeichen der Ungnade Jérômes gewertet wurde. Im November 1811 ernannte ihn der König zum Palastpräfekten und Oberintendanten der Schauspiele. 1812 wurde Bercagny schließlich als Präfekt in Magdeburg eingesetzt.


Weiterführend:

Rudolf Goecke, Das Königreich Westphalen. Sieben Jahre französischer Fremdherrschaft
im Herzen Deutschlands 1807–1813. Nach den Quellen dargestellt von R. Goecke. Vollendet und hg. von Theodor Ilgen, Düsseldorf 1888.

Wolfram Siemann, „Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung”. Die Anfänge der politischen Polizei 1806–1866, Tübingen 1985 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, 14).

Friedrich Thimme, Die inneren Zustände des Kurfürstentums Hannover unter der französisch-westfälischen Herrschaft 1806–1813, von der philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen mit dem ersten Preise der Beneke-Stiftung gekrönte Schrift, 2 Bde., Hannover, Leipzig 1893–1895.

Friedrich Thimme, Neue Mittheilungen zur Geschichte der hohen oder geheimen Polizei des Königreichs
Westfalen, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen 3 (1898), S. 81–147.

Nicola Peter Todorov, L’administration du royaume de Westphalie de 1807 à 1813. Le département de l’Elbe, Saarbrücken 2011.

Abb. Schnupftabakdose, bezeichnet „In vino veritas”, Manufaktur Stobwasser, 1. Drittel des 19. Jh. Im Hintergrund an der Wand ein Gemälde mit einem Portät Napoleons.

 

Quelle: http://naps.hypotheses.org/293

Weiterlesen

„habe im gebrochenen Deutsch gefragt, was da angeschlagen sei”


RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 494–10 686, hier Nr. 10 507: Abschrift einer Deklaration von J. H. G. Oppermann, protokolliert von Hoffmann, Polizeikommissar in Braunschweig, 2. 4. 1813.

„[…] den Tags Befehl d. 29.sten März a.c. in welchen bekannt gemacht worden, daß mehrere Russen [lateinische Schrift] getödtet und zu Gefangnen gemacht worden, und welches an die Ecken der Gaßen angeschlagen worden war, in der Gegend des August Thors abgerissen habe […] Gärtner Oppermann […] dabei gegenwärtig […]

Johann Heinrich Gebhardt Oppermann [deklarierte gemerkt zu haben, wie] mehrere Leute an der Ecken gestanden, und den Tags Befehl gelesen hätten, er sei ebenfalls hinzu getreten, um denselben zu lesen. Ein Französischer Cuirassier habe ebenfalls unter diesen Leuten gestanden, habe im gebrochenen deutsch gefragt, was da angeschlagen sei. Es sei denselben hierauf gesagt, daß 200 Mann Russen getödtet und 17 zu Gefangenen gemacht worden, der Franzose habe hierauf erwiedert.

‚Spricht man die 200 Mann Russen todt, 17 Cosacken Gefangen, aber man sagt nicht wie viel Franzosen todt und gefangen genommen worden. Ich bin in Moscau gewesen, und weiß die Russen zu schätzen, und noch hinzugesagt S. V. Scheiss, und habe in 2 malen von der Ecken den Tags Befehl abgerißen. […]

Oppermann-Hoffmann”. 

 

Zur Quelle:

 

Diese Quelle ist in zwei Hinsichten interessant: Zum einen zeigt es, wie Übersetzungsprozesse spontan und unkompliziert zustande kamen. Beispielsweise konnte ein Nachbar oder Fremder als Interpret dienen. Im Protokoll vom Polizeikommissar Hoffmann wird deutlich, dass er auf der Suche nach einem französischen cuirassier, der mithilfe der umstehende Bevölkerung den Inhalt des zweisprachigen Anschlags erfuhr. Er sprach zwar nur gebrochen Deutsch, aber seine Zweisprachigkeit genügte, um die versammelten deutschsprachigen Menschen auf der Straße vor dem Anschlag anzusprechen und mit ihrer Hilfe den Inhalt des Anschlags zu erschließen. Aus einem anderen Dokument der gleichen Polizeiakte (Polizeibericht vom Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei François Thibault de Guntz an seinen Vorgesetzten Bongars) erfährt man, dass der Tagesbefehl vom 29. März zweisprachig war. Daraus ergibt sich, dass der Cuirassier weder das Deutsche noch das Französische selbst nachlesen konnte, weil er des Lesens nicht mächtig war. Dies bedeutet, dass ein zweisprachiger Analphabet französischer Herkunft über Dritte, nämlich einsprachige deutsche Schriftsässige, durch Vorlesen auf Deutsch trotz geringer deutscher Sprachkenntnisse Zugang zum Inhalt des Anschlags erhielt – und dies, obwohl der gleiche Text eigentlich auch in seiner Muttersprache zur Verfügung stand. Da der französische cuirassier  nicht lesen konnte, hatte er sich in der Hoffnung zu ihnen gesellt, er werde unter den Leuten, die sich um den Anschlag versammelt hatten, bestimmt jemanden finden, der ihm entweder den französischen oder den deutschen Text vorlesen würde.

Zum anderen habe der Cuirassier den Anschlag abgerissen, so der Gärtner Johann Heinrich Gebhardt Oppermann und empört zum Besten gegeben, dass er der napoleonischen Kriegspropaganda kein Glauben mehr spende, nachdem er den Rußlandfeldzug miterlebt habe. Der französische cuirassier äußerte mit dieser Aktion und seinem Wutausbruch seine Desillusion über die Kriegszüge Napoleons und die Informationspolitik der französisch-kaiserlichen und westphälischen Macht, die mehr eine propagandistische Desinformationspolitik war.

 

Weiterführend:

Roger Chartier (Hg.), Pratiques de la lecture, Marseille 1985.

Erich Pelzer, Die „Bulletins de la Grande Armée” als Werkzeuge napoleonischer Propaganda, Selbstdarstellung und Legendenbildung, in: Rüdiger Schmidt, Hans-Ulrich Thamer (Hg.), Die Konstruktion von Tradition. Inszenierung und Propaganda napoleonischer Herrschaft (1799–1815), Münster 2010, S. 209–234.

 

Zitiert/verwendet, in:

Claudie Paye, „Der französischen Sprache mächtig”. Kommunikation im Spannungsfeld von Sprachen und Kulturen im Königreich Westphalen 1807−1813, München 2013, S. 127.

 

Abbildung Banner: C. G. H. Geißler, Französische Soldaten, welche auf dem Marsche zur Armee unter einem Baum biwaquieren, Radierung, um 1807, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Gei III/5a, CC BY-NC-ND 2.0 DE

Quelle: http://naps.hypotheses.org/388

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Westphälische Deserteurs in Holland (1810): „mesures rigoureuses”


Nationaal Archief Den Haag, Archief Prins Stedehouder, 1810–1813 (2.01.01.08), Nr. 18, Différentes autorités civiles et militaires de l’Empire: Philippe François Maurice de Rivet d’Albignac (ministre de la Guerre ad interim à Kassel) à Charles François Lebrun (à Amsterdam), 26 juillet 1810.


„Jusqu’ici les déserteurs et les réfractaires westphaliens ont trouvé asyle dans les pays qui composaient la Hollande.

S. M. éprouverait de grandes difficultés dans le recrutement de son armée, si des mesures rigoureuses n’étaient prises pour leur arrestation.

J’ai l’honneur de prier V. A. S. de vouloir bien donner les ordres qu’elle jugera convenables, pour que les déserteurs et conscrits réfractaires westphaliens qui se trouvent dans les départemens de la ci-devant Hollande soient arrêtés et remis à la gendarmerie westphalienne aux points des frontières que V. A. S. désignera. J’ai donné les instructions nécessaires à cet égard aux autorités frontières et à la gendarmerie”.

 

Königlich westfälische Truppen, 1812

Abbildung: Richard Knötel, Uniformenkunde, Lose Blätter zur Geschichte der Entwicklung der militärischen Tracht, Berlin 1890. Band I, Tafel 43. (http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kn%C3%B6tel_I,_43.jpg?uselang=de)


Zur Quelle:

Dieser Brief von Philippe François Maurice de Rivet d’Albignac an Charles François Lebrun, einige Tagen nach der Eingliederung des Königreichs Holland in das Kaiserreich, betrifft Deserteure aus Westfalen in Holland. Die Aushebung von Soldaten im Rahmen einer allgemeinen Kriegsdienstpflicht wurde in ganz Europa, auch in Westfalen, zum Symbol für das Napoleonische Regime. In der Theorie galt die Einberufung für zwei Jahre, aber während des Krieges galt sie praktisch, solange Napoleon wollte.

Als Napoleon das Königreich Holland von Louis Bonaparte eingliederte, durch das Dekret von Rambouillet, 8./9. Juli 1810, ordnete er sofort an, dass Charles-François Lebrun die Pflichten von Louis Bonaparte übernehmen sollte. In erster Linie sollte Lebrun den Übergang zur französischen Herrschaft beaufsichtigen. Charles-François Lebrun war gewiss ein geeigneter Mann für diese Position. Er besaß viele Jahre politischer Erfahrung und war einer der einflussreichsten Männer im Staatsapparat. Lebrun war 1799 von Bonaparte neben Jean Jacques Régis Cambacérès zum Dritten Konsul berufen worden. Mit Gründung des Kaiserreichs 1804 wurde Lebrun architrésorier (Erzschatzmeister) des Französischen Empire. Zudem war Lebrun nach der weitgehend problemlosen Eingliederung der einstigen Ligurischen Republik ins Kaiserreich, im Jahre 1805/06, Generalgouverneur mit Sitz in Genua gewesen.

Anstatt eine sofortige umfassende Eingliederung vorzunehmen, entschied sich Napoleon, dafür, die Holländischen Departements bis auf weiteres erst einmal teilweise in das Kaiserreich zu integrieren. Napoleon betonte, dass er die Niederlande nicht als ein Pays conquis ansehe und nicht beabsichtige viele französische Beamte dorthin zu schicken, oder holländische Institutionen rücksichtslos zu ersetzen. Am 16. Oktober 1810 gab der Kaiser das Décret contenant réglement général sur l’organisation des départements de la Hollande heraus. Im Wesentlichen sah das Dekret an der Spitze der Holländischen Departements einen Generalgouverneur vor (Lebrun), assistiert von einer Anzahl Intendanten. Der Generalgouverneur hatte die fast absolute Kontrolle über zivile und militärische Angelegenheiten in den niederländischen Departements.

Das Generalgouvernement musste als Mittler zwischen den niederländischen Departements und der Zentralregierung in Paris fungieren. Die Niederlande waren jetzt in sieben Departements gegliedert, ausgestattet mit den üblichen französischen Ziviladministrations- und Rechtspflegeinstitutionen, unterteilt in Arrondissements und Kantonen. Verwaltungs- und Gerichtssprache wurde nicht das Französische allein, vielmehr wurden die französische und die niederländische Sprache konkurrierend verwandt. Selbstverständlich aber korrespondierten die französischen Beamten nicht nur in Paris, sondern auch in Amsterdam mit ihren Untergebenen in Französisch.

Charles François Lebrun versuchte Dienstpflichtige aus Westfalen festzunehmen. Es gab in Holland 127 Gendarmerie-Brigaden, die über das Land verstreut waren und je aus fünf bis zehn Männern bestanden. Die paramilitärische Gendarmerie wurde bei Bedarf von den Behörden, entweder vom Maire einer Gemeinde, oder von einem höherrangigen Beamten zur Amtshilfe herangezogen. Weder dem Innen-, noch dem Polizei- noch dem Kriegsministerium eindeutig zugeordnet, war die so gut wie unkontrollierte Gendarmerie ein promptes, loyales und gefürchtetes Instrument der sozialen Kontrolle, aber auch der politischen Unterdrückung in Europa.


Weiterführend:

Alan Forrest, Conscripts and Deserters: the Army and Society during the Revolution and Empire, New York (Oxford University Press) 1989. Auch auf Französisch: Déserteurs et insoumis sous la Révolution et l’Empire, Paris (Librairie Académique Perrin) 1988.

Johan Joor, Resistance against Napoleon in the Kingdom of Holland, in: Michael Broers, Peter Hicks und Agustin Guimerá (hrsg.), The Napoleonic Empire and the New European Political Culture, Basingstoke (Palgrave Macmillan) 2012, S. 112−122.

Aurélien Lignereux, Servir Napoléon. Policiers et gendarmes dans les départements annexés (1796−1814), Seyssel, (Éditions Champ Vallon) 2012.

Kevin Linch, Conscription, in: European History Online, [veröffentlicht am 30.01.2012], http://www.ieg-ego.eu/linchk-2012-en (eingesehen am 29.06.2013).

Matthijs Lok, Martijn van der Burg, The Dutch Case: the Kingdom of Holland and the Imperial Departments, in: Michael Broers, Peter Hicks und Agustin Guimerá (hrsg.), The Napoleonic Empire and the New European Political Culture, Basingstoke (Palgrave Macmillan) 2012, S. 100−111.

Bettina Severin-Barboutie, Vom freiwilligen Söldner zum dienstpflichtigen Untertan. Militärische Massenmobilisierung im Königreich Westfalen, in: König Lustik!? Jérôme Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen (Ausstellungskatalog Museumslandschaft Hessen, Kassel 2008), München 2008, S. 120–126.

Martijn van der Burg, Napoleons Generalgouvernement Holland, 1810–1813. Die Frage von Assimilation und Integration, in: Helmut Stubbe da Luz (hrsg.), Statthalter Regimes (im Druck).


Zitiert in:

H.T. Colenbrander (hrsg.), Gedenkstukken der Algemeene Geschiedenis van Nederland van 1795 tot 1840 VI, ’s-Gravenhage (Martinus Nijhoff) 1911, Nr. 996. Digitalisiert: [http://www.historici.nl/Onderzoek/Projecten/GedenkstukkenGeschiedenisVanNederland1795-1840/index_html_en]

Abbildung Banner: C. G. H. Geißler, Französische Soldaten, welche auf dem Marsche zur Armee unter einem Baum biwaquieren, Radierung, um 1807, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Gei III/5a, CC BY-NC-ND 2.0 DE.

Quelle: http://naps.hypotheses.org/336

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„amener la Révolution dans le langage par des moyens insensibles et doux“

C. G. H. Geißler, Der König von Westphalen mustert seine Garden auf dem Roßplatz, Radierung, 1809, aus:  Kriegsszenen bei und in Leipzig im Juni und Juli 1809, Bl. 9, Leipzig 1810, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Gei IV 22, CC BY-NC-ND 2.0 DE

C. G. H. Geißler, Der König von Westphalen mustert seine Garden auf dem Roßplatz, Radierung, 1809, aus:
Kriegsszenen bei und in Leipzig im Juni und Juli 1809, Bl. 9, Leipzig 1810, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Gei IV 22, CC BY-NC-ND 2.0 DE

GStA PK, Berlin, V. HA, Nr. 571, Das Dekret des Königs Jérôme über den Gebrauch der deutschen und französischen Sprache bei den öffentlichen Verhandlungen, März 1808

Quelle:

1 – „Rapport au Roi

Sire

J’ai l’honneur de soumettre à Votre Majesté la proposition de déterminer dans quelle langue seront écrits les actes de son Gouvernement. La langue allemande est la langue naturelle et par conséquence la plus commune des peuples soumis à Votre obéissance. Cependant quatre à cinq dialectes différens et tous fort irréguliers sont répandus dans les diverses parties de Vos Etats, sans qu’on puisse justement déterminer, quel est celui de ces dialectes qui a le plus de faveur et qui en mérite d’avantage.

Le doute est tel à cet égard, que les hommes les plus instruits dans vos conseils reçoivent et se renvoyent réciproquement le reproche de ne pas savoir l’allemand, et qu’on ne peut obtenir une traduction du Bulletin des Loix qui réunisse deux suffrages. Toute fois la langue française est familière dans les états de Brunswick, et n’est pas entièrement étrangère dans la principauté de Hesse et dans les pays démembrés de la Monarchie prussienne. Frédéric 2. avait en effet adopté la langue française pour plusieurs actes [1 verso] actes de son Gouvernement et il y avait eu dans son choix autant de politique que de prédilection. Ce Systême a changé sous son successeur; mais il a duré assez longtems en Prusse, pour que l’usage de la langue française s’y soit conservé. Si J’examinais la question sous le rapport grammatical, je rappellerais à Votre Majesté, que la langue française est la langue des loix et des affaires, parce que son régime sévère et dégagé d’inversions, la rend éminemment claire. Mais Votre Majesté n’a point à choisir entre une langue ou une autre, mais à adopter celle qui lui est indiquée par la politique.

Votre Majesté m’a répété, que le principal objet, qu’elle se proposait, était, de fondre sous une Loi, et un gouvernement unique des peuples soumis à des Loix et à des Gouvernemens divers, et de faire qu’il n’y eût dans son royaume de Westphalie, ni hessois, ni Brunswikois, ni Prussiens, mais des Westphaliens. Le second intérêt de Votre Majesté est de distraire insensiblement ces peuples du souvenir de la Constitution germanique, de ses formes, et de ses usages, et de les rapprocher de la fédération du Rhin par leurs habitudes, comme ils y seront unis par la Politique.

L’adoption de la langue française pour les actes du Gouvernement me semble [2] un moyen puissant de seconder ces deux intérêts. L’Expérience de tous les tems a prouvé, qu’un langage commun est entre les peuples le plus fort des liens; et aujourd’hui même, cette communauté de langage resserrera deux nations, dont les intérêts deviennent chaque jour plus opposés; L’Angleterre et les Etats unis.

Daignez remarquer, Sire, qu’en adoptant dès à présent la langue française pour les actes de son Gouvernement, Votre Majesté n’aura fait qu’avancer de quelques années à l’avantage de ses peuples, une sorte de révolution, que la situation de Westphalie rend indispensable.

Le rêgne de Fréderic, l’Emigration, la guerre, le long séjour des légions, il m’est permis d’ajouter le mérite de la langue française et les chefs d’œuvre en tout genre écrits dans cette langue, l’ont répandue dans le Nord de l’Allemagne. Il y a 20 ans que l’Académie de Berlin couronna un ouvrage où l’on annonçait que cette langue deviendrait celle de l’Europe.

La Confédération du Rhin hâtera l’accomplissement de cette prédiction. La langue française sera parlée dans les diètes, et conséquemment cette langue deviendra celle du nouveau droit public d’Allemagne, ainsi que la langue latine l’était de l’ancien. Mais comme le français aura sur le latin le grand avantage d’être une langue vivante et celle d’un peuple voisin, et du peuple dominant en Europe, il ne se peut pas que la langue admise par le droit public, ne descende au droit [2 verso] droit civile, et ne refonde insensiblement la langue allemande parmi ces dialectes populaires qu’on retrouve par toute l’Europe et même en France.

Ces considérations générales, sire, auraient suffis pour me déterminer à proposer à Votre Majesté, d’arrêter que les actes de son gouvernement seront écrits en français. Mais d’autres considérations particulières s’unissent à celles que je viens de développer.

Des Conseillers d’Etat chargés de la Direction de quelques branches d’administration croyent convenable d’y introduire la lange [sic!] allemande ou de l’y maintenir; et plus d’une fois on m’a exprimé le regret de ce que la langue française était employée dans les bureaux des Ministres.

Je crois, Sire, que ces regrets ne sont pas réfléchis et qu’il y aurait de graves inconvéniens à introduire la langue allemande dans les bureaux ministériels, et à la Trésorerie. Le 1er et le plus sensible de tous consisterait en ce que Votre Majesté ne pourrait pas vérifier par Elle même les actes de son Gouvernement. Ensuite Elle se trouverait insensiblement engagée à n’avoir pour Ministres que des personnes familières avec la langue allemande, ce qui est la même chose que des allemands, et Elle éleverait ainsi entre son Gouvernement & le Systême français une barrière difficile à franchir.

[3] Les partisans de la langue allemande conviennent, que les Départements de la guerre et des affaires étrangères peuvent se servir de la langue française, mais que dans ceux de l’Intérieur, de la Justice et des Finances la langue allemande est indispensable. Cependant il me semble, que, puisque la langue française est seule admise dans vos conseils, elle doit être seule employée par Vos ministres et que s’il y avait entr’eux une différence aussi prononcée que celle qu’on propose, les Ministres qui parleraient allemand, paraîtraient les seuls nationaux et qu’ils auraient trop d’avantage sur les deux autres. Ceux-ci, par cela même qu’ils employeraient la langue française sembleraient étrangers, et seraient chargés de toute la défaveur attaché à cette circonstance.

Cependant, Sire, Je ne me suis pas dissimulé, avec quelles précautions doit être traité un peuple sur lequel on établit une domination nouvelle. Le grand sécret consiste à lui faire perdre ses habitudes, sans paraître les contrarier, et il n’y a pas d’habitude, à laquelle le peuple soit plus justement attaché, qu’à son langage naturel. Je ne propose donc point à Votre Majesté, d’établir par une Loi la Mesure que j’indique, mais par un simple règlement d’administration. Ensuite j’insiste pour qu’on prenne toutes les précautions capables d’en adoucir l’effet par exemple: celles de publier dans les deux langues les Loix et les actes du gouvernement, de laisser l’usage de la langue allemande devant l’assemblée [3 R] l’assemblée des Etats, dans les Tribunaux et les actes pardevant notaire, enfin d’amener la Révolution dans le langage par des moyens insensibles et doux, qui ne contrarient que fort peu vos sujets, et surtout, qui ne les irritent jamais.

Je suis avec un profond respect, Sire

De Votre Majesté.

Le très humble, très obeissant et très devoué Serviteur.

Cassel, ce 19 mars 1808“.

Provenienz:

Bestand des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz

frühere Signatur: GStA PK, V. HA., Rep. I., C., II., Nr. 9

Hauptabteilung V Königreich Westfalen

Rep. I. Akten des Staatssekretariats und des Ministeriums des Aeußern zu Cassel

C. Andere Akten

II. Innere Verhältnisse, Staatsrat etc.

Inhalt: 4 Blätter/2 Dokumente

1. Einsicht: Mai 2001 (CP)

Zur Quelle:

Dieser Bericht an den König Jérôme Bonaparte, Regent im Königreich Westfalen, ging der Entscheidung (im gleichen Aktentitel übermittelt) des Königs über den Gebrauch der deutschen und französischen Sprache bei den öffentlichen Verhandlungen im neuen napoleonischen Staat auf deutschen Territorien. Der Autor des Berichts hat ihn nicht namentlich unterschrieben. Dieser rapport au roi stammt von einem Mitglied des Staatrsrats. Er enthält eine kurze Bestandsaufnahme der verschiedenen im Königreich Westfalen vorhandenen Sprachgemeinschaften udn wägt Vor- und Nachteile des Gebrauches der deutschen und französischen Sprache in der Verwaltung ab.

Der Verfasser stellt zunächst fest, dass die deutsche Sprache in den Trritorien, die das Königreich Westphalen bilden, sehr uneinheitlich war und dass mindestens fünf Dialekte existierten. Die französische Sprache war ihrerseits im Braunschweigischen, im Hessischen und in den preußischen Territorien seit längerem präsent.

Der Autor zählt zunächst Argumente auf, die für die französische Sprache sprechen: Französisch könne identitätsstiftend für die neuen westphälischen Staatsbürger werden, damit sie ihre deutschen regionalen Zugehörigkeit ablegen können. Der Vorteil einer Einheitssprache zur Förderung eines einheitlichen Geistes unter den westphälischen Staatsbürgern sei demnach nicht zu unterschätzen. Die Sprache sei ein Hebel, um die deutschsprachige Bevölkerung peu à peu von den herkömlichen deutschen Gesetzen abzubringen. Der Autor geht so weit, dass er sich durch die sofortige und konsequente Durchsetzung der französischen Sprache in der Verwaltung eine vorteilhafte Revolution verspricht.

Für die französische Sprache im Staatsrat und in den Ministerien spreche, dass nur so der König den Verhandlungen folgen könne. Im entgegengesetzten Fall der Verwendung der deutschen Sprache im Staatsrat und in den Ministeiren würden Deutschsprachige den Vorzug haben und König Jérôme würde zwischen seiner Regierung und dem französischen System eine schwer überwindbare Barriere aufstellen. In diesem Zusammenhang scheut sich der Autor nicht, von unüberwindlichen Sprachbarrieren als Schrekcensvorstellung für das Staatsoberhaupt zu sprechen. Allerdings bezieht sich diese Angst vor sprachlichen Verständigungsproblemen auf das Verhältnis des Königreichs Westphalen zum Kaiserreich Franrekcih, dem der Staat Westfalen seine Gründung politisch verdankte.

Der Autor des Berichts geht ebenfalls auf die Einwände der Befürworter der deutschen Sprache ein. Einige Staatsräte sähen gern die deutsche Sprache in einigen Zweigen der Verwaltung, wogegen der Autor des Berichts große Vorbehalte äußert. Die Befürworter der deutschen Sprache räumten ein, dass das Kriegsministeriums und das Außenministerium sich weiterhin der französischen Sprache bedienen sollten, während sie für die Ressorts des Inneren, der Justiz und der Finanzen die Notwendigkeit der deutschen Sprache betonten.  Der Autor rät davon ab, die deutschen Mitglieder des Staatsrats das Sprechen auf Deutsch in diesem zu erlauben, damit sie nicht als die „wahren” nationalen Westphalen im Empfinden der französischen Mitglieder hervorgehen. Der Autor zeigt, dass er durchaus von der Sorge motiviert ist, eine nationale Einheit zu schaffen, und dass er die Sprachenfrage als entscheidenden Motor dafür ansieht.

Im Wesentlichen sollte nach Empfehlung des Berichts die Verwendung der französischen Sprache in der oberen Verwaltung überwiegen. Für die Art und Weise, wie die französische Sprache allmählich die deutsche dominieren sollte, gibt der Autor allerdings recht vorsichtige Anweisungen. Er empfiehlt keine Maßnahme im Bezug auf die Regelung des Sprachgebrauchs in der Verwaltung öffentlich zu treffen, um jegliche Empörung darüber zu vermeiden. Der Berichterstatter schlägt vor, kein Gesetz über die Sprachenfrage zu verabschieden, sondern lediglich ein einfaches Reglement herauszugeben. Als mildernde Maßnahmen rät er, Gesetze und Dekrete stets in beiden Sprachen zu veröffentlichen, der Ständeversammlung – das Königreich Westphalen war die erste konstitutionelle Monarchie auf deutschen Territorien – in der deutschen Sprache debattieren zu lassen, und die deutsche Sprache ebenfalls in den Tribunälen und bei den Notaren zu belassen, um die Westfalen mit der Sprachregelung in der Verwaltung nicht zu verärgern. Dem Berichtserstatter nach solle der König Jérôme die deutsche Sprache pragmatisch zulassen.

Weitere Themen in dieser Quelle:

  • nationale Einheitsprache konstitutiv eines Nationalstaats
  • Übersetzungsschwierigkeiten in der Regierungspraxis
  • Französisch als lingua franca und in der deutschen Aufklärungsgesellschaft

Weiterführend:

Über die Berliner Preisfrage der Akademie der Wissenschaft von 1784, vgl.: Bernd Spillner, „Der gefällige Souffleur“. Franzsösiche Sprache unf ranzsösicher Sprachunterricht im Rheinland, in: Ders. (Hg.), Franzsösiche Sprache in Deutschalnd im Zeitalter der Französischen Revolution, Frankfurt a. M., Berlin 1997, S. 71–106, hier S. 74.

Zitiert/verwendet, in:

Claudie Paye, „Der französischen Sprache mächtig“. Kommunikation im Spannungsfeld von Sprachen und Kulturen im Königreich Westphalen, 1807–1813, München (Oldenbourg) 2013 (Pariser Historische Studien, 100), S. 62–65, 378, 456.

 

Quelle: http://naps.hypotheses.org/97

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