Digital ans Material

Gedanken zur interdisziplinären Zusammenarbeit in den Geschichts- und Kulturwissenschaften

Folgt man den aktuellen Diskussionen zur Rolle von Computer und Internet in den Geisteswissenschaften, dann gewinnt man den Eindruck, diese hätten die wissenschaftliche Praxis nahezu ausschließlich im Hinblick auf die Zugänglichkeit von Texten (Forschungsmaterial, Quellen und Sekundärliteratur) und komplementär dazu im Hinblick auf ein rein textbezogenes Publikations- und Kommunikationswesen (e-journals, open access etc.) revolutioniert. Dass diese Perspektive in den Geschichtswissenschaften, die einerseits zuallererst mit Textquellen arbeiten und schließlich – über Quelleneditionen und -auswertungen hinaus – traditionell auf die Darstellung komplexer historischer Sachverhalte in monographischer Form zielen, eine gewisse Berechtigung haben, ist evident und war auch auf der Eröffnungstagung AG Digitale Geschichtswissenschaft zu spüren, die mir den Anstoß für die folgenden Überlegungen gab.

Müsste man an diesem Punkt stehen bleiben, wären das eher schlechte Voraussetzungen für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, denn vor allem das Publikationswesen ist üblicherweise ein je nach Disziplin mit sehr unterschiedlichen Traditionen und Gepflogenheiten behaftetes Feld. Vor dem Hintergrund des sich zunehmend entwickelnden fachübergreifenden Feldes der “Digital Humanities” und der immer intensiveren – aber vielleicht auch immer ambivalenteren – Diskussion um Interdisziplinarität, erscheint es sinnvoller, gezielt nach den Bereichen zu suchen, an denen verschiedene Fächer gewinnbringend und reibungsarm zusammenarbeiten können. In denjenigen Bereichen, in den ausgeprägte Fachkulturen herrschen, sollte man jedenfalls nicht zuerst den Ansatz für Annäherungen suchen. Ein realistischerer Blickwinkel wäre vielleicht dieser: Die Verschiedenheit liegt in den Methoden und Fragestellungen aber nicht im Material. Warum ist das aber gerade vor dem Hintergrund digitaler Technologien und Daten interessant?

Die digitalen Infrastrukturen und Methoden bringen zwar einerseits eine immer stärkere Virtualisierung mit sich, aber es ist sicherlich nicht richtig, dass daraus eine immer größere Abstraktion im Sinn einer reinen Textkultur resultierte. Das Gegenteil ist der Fall. Die Digitalität führt gleichzeitig wieder zum Material und insbesondere zu seiner bildlichen, ja sogar räumlichen Wiedergabe. Nie zuvor kam der/die einzelne Forscher/in in solcher Breite so nahe und in solchem Umfang an Primärmaterial heran. Wenn auch nur in virtueller Repräsentation, können wir ortsunabhängig Urkunden, Inschriften und alle Arten materieller Artefakte sehen und sie nicht nur hinsichtlich der in ihnen vielleicht enthaltenen textuellen Information, sondern auch weitestgehend ihre formalen oder sogar materiellen Aspekte wahrnehmen. Dass auch die Geschichte mit letzteren etwas anfangen kann, zeigt sich nicht zuletzt an der zunehmenden Zahl der Abbildungen in Büchern und bei Vorträgen. Münzen, Siegel, Bullen, Herrscher- und Amtsinsignien, Inschriften aller Art – aber auch die “politische Ikonographie” bildlicher Darstellungen – liegen an der Schnittstelle zwischen historischer und kultur- bzw. kunst- und bildgeschichtlicher Perspektive. Während die disziplinbezogenen Vorgehensweisen und ihre Ziele stets unterschiedlich ist sind auch sein sollen, erscheint auf der Ebene der nun durch digitale Methoden und Technologien revolutionierten Materialerschließung eine engere Zusammenarbeit vielversprechend. Voraussetzung ist dabei allerdings (schon innerhalb einer einzigen Disziplin), dass beim Einsatz digitaler Arbeitsinstrumente nicht ausschließlich projekt- und fragestellungsorientiert gedacht wird, sondern auf offene und anschlussfähige Infrastrukturen hingearbeitet wird. Die bisherigen Förderstrukturen waren darauf zu wenig ausgerichtet, sondern zielten zu sehr auf Einzelergebnisse, die auf diese Weise bald als inkompatible Insellösung irgendwo liegenblieben.

Es ist jedoch schon jetzt unübersehbar, dass sich bislang getrennte Felder unweigerlich aufeinander zu bewegen. Bereits im sogenannten Dienstleistungsbereich zeigen sich inzwischen deutliche Überschneidungen der Arbeitsgebiete: Die digitale Aktivität der Bibliotheken und Archive entwickelt sich über den bibliographischen und archivalischen Nachweis, und selbst über die Texterschließung hinaus, dahingehend weiter, dass diese Einrichtungen ihre Gegenstände als materielle Objekte virtuell zugänglich machen (Volldigitalisierung mit Bild und Text, Codicologische Erfassung) und in diesem Zuge auch ihre Karten-, Graphik- und sonstigen Sonderbestände neu entdecken. Museen und Denkmalämter vernetzen im Gegenzug die Katalogisierung ihrer Objekte mit der wissenschaftlichen Literatur und schriftlichem Quellenmaterial.

Über die soeben nur kurz erwähnte Erschließung der Volltexte muss man in diesem Zusammenhang nicht diskutieren. Ihre grundlegende Bedeutung – natürlich in jeweiliger Abhängigkeit vom Textinhalt – für die gesamten historischen Geisteswissenschaften ist evident. Mehr zu entdecken sind hingegen noch die die Überschneidungen zwischen digitaler Geschichte und Kunstgeschichte im Bereich der materiellen Überlieferung. Eine gute Dokumentation materieller Objekte macht diese für jegliche Nachnutzung verfügbar: Für die Geschichte, Archäologie, Kunstgeschichte, Ethnologie, Wissenschaftsgeschichte, Bildungsgeschichte, Kulturwissenschaft, Theologie, ggf. auch Literaturwissenschaft, Politologie, Philosophie und andere Fächer. Eine besondere Nähe von Geschichte und Kunstgeschichte ist dabei häufig gegeben: Architekturgeschichte überschneidet sich hinsichtlich Ihres Gegenstands mit historischen Fächern wie Dynastiegeschichte, Stadtgeschichte oder Militärgeschichte. Für die Arbeit in diesen Disziplinen liegen die gleichen Materialien zugrunde: Vertrags-, Verwaltungs- und Rechnungsdokumente zu den Bauwerken sowie die Bauwerke selbst: Residenz- und Verwaltungsbauten, kommunale Bauten oder Festungsbauten. Die Untersuchung von Raumfunktionen lässt sich kaum mehr eindeutig einer der beiden Disziplinen zuordnen. Eine sozialhistorisch orientierte Kunstgeschichte interessiert sich gegebenenfalls für die gleichen Personendaten wie entsprechende historische Forschung. Hier verwenden beide Disziplinen neben den üblichen Dokumenten (Geburts-, Tauf-, Sterberegister, Verwaltungsdokumente), die auch durch weitere, teils auch archäologisch oder denkmalpflegerisch erfasste, materielle Infrastrukturen ergänzt werden.

Dank der inzwischen starken Verbreitung von Normdaten bei Personen (GND, VIAF, ISNI) sind bereits sehr gute Voraussetzung zur projekt-, institutionen- und disziplinübergreifenden Verwendung von Personendaten vorhanden, auch wenn es hier bei einheitlichen und tragfähigen Beschreibungsformaten ebenfalls noch einiges zu entwickeln gäbe (um bspw. komplexe prosopografische Fragestellungen systematisch abbilden zu können). Auf dem Gebiet der einheitlichen Dokumentation von Orten/Territorien, Bauwerken und Artefakten aller Art sind (auch wenn das Normdatenwesen hier ebenfalls schon tätig zu werden beginnt) hingegen noch erhebliche Anstrengungen notwendig.

Die Erfassung und Dokumentation von Objekten ist durchaus anspruchsvoll. Wie schon angedeutet, liegt bei historisch konnotierten Katalogisierungsaufgaben eine besondere Herausforderung in der Abbildung des Kontextes von Personen und Objekten (“wer hat wann wie mit dem Objekt interagiert” etc.), vor allem dann, wenn diese in einer formalisierten (und damit maschinell verarbeitbaren und universell nachnutzbaren) Weise erfolgen soll. Diesbezügliche Lösungen im Kontext der Digital Humanities zu entwickeln ist vermutlich eine gemeinsame Aufgabe aller historischen Kulturwissenschaften. Das Cidoc CRM (Conceptual Reference Model [http://cidoc-crm.org/]) bietet hierzu einen Ansatz, der in der Archäologie, Kunstgeschichte und überhaupt Bereichen, die mit materieller Kultur befasst sind, zwar stark diskutiert wird, der aber eben vorwiegend konzeptuell ist und dessen praktischer Einsatz sich bislang weitgehend auf eine Referenzfunktion als Austauschformat beschränkt. Meiner Meinung nach wird das Konzept erst dann seine ganze Mächtigkeit entfalten, wenn es auch Umgebungen gibt, mit denen dieses direkt abgebildet werden kann. Ein bisschen Technik muss wohl sein. Dass diese leichter verfügbar wird, zeichnet sich mit dem aktuellen Vormarsch der sogenannten Graph-Datenbanken ab, die von vorneherein in Beziehungen und Netzen denken. Semantic Web und linked Data sind hierzu synonym. Damit soll freilich nicht der Formalisierung aller historischen Darstellung das Wort geredet werden. Die zusammenhängende und deutende Darstellung historischer Sachverhalte und Entwicklungen wird wohl immer in Form von natursprachlichem Fließtext erfolgen (ob dieser digital oder – auch – auf Papier publiziert wird, ist dann vielleicht gar nicht so erbittert zu diskutieren, wie dies momentan manchmal geschieht). An diesem spannenden Punkt der Entwicklung sollten sich die geisteswissenschaftlichen Fächer allerdings besonders genau fragen, ob Sie gemeinsame Standards und Technologien entwickeln können, damit Materialien schließlich so erschlossen werden, dass sie aus möglichst vielen Perspektiven nutzbar sind. Dass sich damit auch neue Publikationsformen entwickeln (die manche – vielleicht in Textform überflüssige – Publikation eines einzelnen Quellenfundes ersetzt), sei hier nur erwähnt.

Momentan sehe ich vor allem folgende Gegenstandsbereiche mit Überschneidungen zwischen Geschichte und Kunstgeschichte anhand derer sich entsprechende Überlegungen anstellen ließen (die Bereiche sind nicht systematisch von einander abgegrenzt und die als Beispiele angeführten Projekte sind weitgehend beliebig und zu ergänzen):

•             Quellenschriften (betreffend alle dezidiert historisch arbeitenden Gebiete der Kunstgeschichte und auf materielle und bildliche Kultur bezogene Gebiete der Geschichte; bspw. Hof- und Gesandtenberichte, Quellen zum Bauwesen etc.)

•             Prosopographie (Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Kunst; Beispielprojekt: Requiem – die Grabmäler der Kardinäle und Päpste [http://requiem-projekt.de])

•             Materielle Kultur ohne speziellen Bildanteil (Gegenstände als Quelle in der Religions- und Alltagsgeschichte bzw. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte; bspw. Realienkunde; vgl. Institut für Realienkunde, Krems [http://tethys.imareal.oeaw.ac.at/realonline/])

•             Materielle Zeugnisse mit historisch spezifischem Bild- und Schriftanteil (Epigraphik, Numismatik, vgl. Epigraphische Datenbank Heidelberg [http://edh-www.adw.uni-heidelberg.de/home/])

•             Bildüberlieferung mit historischem Inhalt (speziell politische Ikonographie; vgl. Warburg Electronic Library, Politische Ikonographie [http://www.warburg-haus.de/texte/forsch.html])

•             Historische Topographie (Erschließung historischer Territorien als Grundlage für raumbezogene Forschung; vgl. HGIS Mainz [http://www.hgis-germany.de/])

•             Rahmenkonzepte und -systeme zur raum- und zeitbezogenen Beschreibung kulturhistorischer Objekte und Sachverhalte (GIS-Standards, 3D- und 4D-Konzepte, Cidoc CRM etc.; Umsetzungen dieser Art überwiegend als inhaltlich stark fokussiertes Projekt, oft mit kommerziellem Aspekt, bspw. Rome reborn [http://romereborn.frischerconsulting.com/]; Konzept einer Plattform nur ansatzweise, bspw. ZUCCARO an der Bibliotheca Hertziana MPI, wo neben der Dokumentation von Kunstwerken auch umfangreiche Personendaten und topographische Informationen zur Stadt Rom erfasst werden [http://fm.biblhertz.it/html/zucc_start.htm]). Zur Diskussion von Raumkonzepten möchte ich gerne auch zum nächsten Termin der “Berliner Gespräche zur digitalen Kunstgeschichte”: Kultur in Raum und Zeit am 18.11.2013 einladen [http://www.kunstgeschichte.hu-berlin.de/2013/07/bgdk3])

Wo wären Kontakt und Zusammenarbeit denkbar?

1. Formeller und informeller Austausch zwischen der AG Digitale Geschichtswissenschaft mit entsprechenden Ansprechpartnern in der Kunstgeschichte. In der Kunstgeschichte wurde ein Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte von Stephan Hoppe (LMU München) und mir u.a. mit dem Ziel angestoßen, dem Thema der digitalen Methoden innerhalb der Disziplin Kunstgeschichte sowie der Disziplin Kunstgeschichte eine Stimme innerhalb der Digital Humanities zu verschaffen (Gründungsversammlung im Februar 2012 in München in der Carl-Friedrich v. Siemens-Stiftung in München). Eine wichtige anfängliche Aufgabe des Arbeitskreises ist die Definition der Arbeitsfelder innerhalb der “digitalen Kunstgeschichte” (von Informationsversorgung, über Bildtechnologien, Publikations- und Kommunikationsformen bis zur Interaktion der digitalen Welt mit der materiellen Welt der Artefakte). Konkret wird angestrebt, Methoden und Praktiken zu eruieren und zu reflektieren, der oft nur im Rahmen von einzelnen Forschungsprojekten betriebenen Infrastrukturbildung eine eigene Plattform zu geben sowie Konzepte für die Lehre zu entwickeln und vorzuschlagen. Der Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte versammelt sich wieder am 24.10.2013 in Köln im Anschluss an die Tagung “Kulturelles Erbe digital” [http://www.digitale-kunstgeschichte.de/wiki/Arbeitstreffen_AK_Digitale_Kunstgeschichte_Oktober_2013_in_K%C3%B6ln]. Wir laden herzlich auch kunsthistorisch interessierte Historiker und insbesondere auch Vertreter der Arbeitsgruppe zur Teilnahme ein. Die Mitgliedschaft im Arbeitskreis ist bis auf weiteres noch nicht formalisiert, so dass eine informelle Interessensbekundung und ein Eintrag in die Liste auf unserem Wiki genügt [http://www.digitale-kunstgeschichte.de/wiki/Hauptseite].

2. Naheliegend ist sicherlich die Zusammenarbeit bei Studiengängen zu den Digital Humanities, die an den meisten Universitäten nicht von einem Fach alleine bespielt werden können. In vielen Fällen werden die oft an sprachwissenschaftliche Fakultäten angegliederten Fächer Computerlinguistik oder Editionswissenschaft eine Basis solcher Studiengänge bilden, aber man könnte auch über andere, eher bild – und materialbezogene Schwerpunktsetzungen nachdenken.

3. Als mittelfristiges Ziel wäre es vorstellbar, darüber hinaus die gegenseitige Beteiligung (evtl. mit weiteren Fächern) an einem eHumanties-Center zu einem der gemeinsam interessierenden Gegenstandsbereiche (bspw. Dokumentationsformen und -standards bei Artefakten) ins Auge zu fassen. Der Zirkel Digital Humanities Berlin, der derzeit von der Einstein-Stiftung gefördert wird, setzt sich aus Vertretern verschiedener Fächer zusammen und möchte die Konzeption eines Zentrums mit dem Profil der Verbindung von materieller und textbasierter Kultur für den Berliner Raum erarbeiten. Die nächste Veranstaltung des Zirkels unter dem Titel “Das materielle Objekt in der Digitalen Welt” am 11.10.2013 trägt diesen Schwerpunkt im Titel. Berliner HistorikerInnen sind auch hier natürlich herzlich eingeladen [http://www.digital-humanities-berlin.de/archive/166].

Packen wir es an!

Quelle: http://digigw.hypotheses.org/194

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“Wir müssen das Gespräch mit den Zögerlichen suchen” – Interview mit Simone Lässig

slaessigFrau Lässig, am 3.9.2013 fand die Auftaktveranstaltung der AG Digitale Geschichtswissenschaft im Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschland statt, zu der sich über 100 Personen in Braunschweig eingefunden haben. Erste Rückblicke dazu gibt es in verschiedenen Blogs, sowie ein Storify mit den Tweets. Wie ist Ihr persönliches Fazit der Veranstaltung?

Ich bin sehr zufrieden – und das aus mindestens vier Gründen: Auf der Tagung selbst konnten wir erstens unerwartet viele Teilnehmer_innen begrüßen und im Anschluss daran auch erfreulich viele neue Mitglieder (insgesamt sind es jetzt 78). Zufrieden war ich zweitens, weil die großen wissenschaftspolitisch interessanten Akteure wie der Wissenschaftsrat, das BMBF oder die DFG die Einladung angenommen haben, sich unseren Fragen zu stellen — und weil sie auch nicht nur vage Antworten gegeben haben. Drittens kann es für die Akzeptanz der “Digitalen Geschichtswissenschaft” nur von Vorteil sein, dass der Historikerverband mit im Boot war und sein Vorsitzender das Eingangsreferat übernommen hat. Das deute ich als Zeichen dafür, dass sich unser – häufig als konservativ eingestufter – Verband öffnet und die Herausforderungen der digitalen Welt in unserem Fach zunehmend breiteres Interesse finden. Vor diesem Hintergrund hat die Tagung schließlich viertens auch einen weiteren Impuls dafür gegeben, miteinander ins Gespräch zu kommen: wir haben im Anschluss eine ganze Reihe von Emails mit Anerkennung für die Veranstaltung und interessanten Vorschlägen für die weitere Tätigkeit der AG, aber auch – dies eher in den sozialen Medien – eine Reihe kritischer Kommentare mit nicht minder wichtigen Überlegungen und Anregungen erhalten.

Nicht nur im Spiegel unserer Braunschweiger Veranstaltung, sondern auch an anderen Aktivitäten wie etwa der an Ihrem Institut organisierten Konferenz zu „Forschungsbedingungen und Digital Humanities: Welche Perspektiven hat der Nachwuchs?“ lässt sich deutlich ablesen, dass hier etwas in Bewegung gekommen ist. Und wir als AG können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass dies nicht nur diejenigen wahrnehmen, die die Potenziale digitaler Arbeitsweisen schön längst entdeckt und für sich erschlossen haben, sondern auch zunehmend mehr Kolleginnen und Kollegen im „Mainstream“ unseres Faches.

Die Veranstaltung wurde rege auf Twitter unter dem Hashtag #digigw2013 begleitet, und das durchaus kritisch. Eine Feststellung war, dass die AG sich gegenüber dem digitalen Wandel sehr vorsichtig, ja fast skeptisch positioniere. Ist das so und auf wen nimmt man da Rücksicht?

Wie gesagt: Ich habe auch diese kritischen Kommentare mit großem Interesse verfolgt und ich kann die Kritiker auf der einen Seite auch verstehen: Ihnen geht Vieles zu langsam und in mancher Hinsicht wirkt das Bekenntnis zum digitalen Wandel auch inkonsequent – die Akzeptanz von open access-Publikationen zum Beispiel ist eben in der Geschichtswissenschaft tatsächlich noch immer nicht gegeben. Auf der anderen Seite gilt es aber gerade im Interesse der Historiker_innen, die neue Wege gehen, das Gespräch mit den Zögerlichen, den Skeptischen und den Abwägenden zu suchen. Warum? Zum einen werden wir in der Debatte um Ressourcen (ohne die Wissenschaft nicht betrieben werden kann) viel mehr Gehör finden, wenn unser wirklich großer Fachverband dahinter steht und nicht nur eine kleine Gruppe von Enthusiasten und/oder Spezialisten entsprechende Positionen vertritt. In anderen Verbänden können wir das beobachten; die Computerlinguisten zum Beispiel bilden längst eine eigene Gruppe von Spezialisten – mit eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit und Akzeptanz in den Sprachwissenschaften insgesamt. Zum anderen ist es vor allem der wissenschaftliche Nachwuchs, der sich für eine “Digitale Geschichtswissenschaft” stark macht und es wäre um die jungen Wissenschaftler auch schlecht bestellt, wenn sie nicht nachdrücklich darauf hinarbeiten würden, neue Felder, Methoden und Arbeitsweisen für unser Fach zu erschließen und wenn sie“ die Etablierten“ nicht vor sich hertreiben wollten.

#digigw2013 geht gleich los. pic.twitter.com/ISY9RB7kIV

— Charlotte Jahnz (@CJahnz) September 3, 2013

Ob sich das für ihre künftige akademische Karriere auszahlen wird, hängt aber nicht unwesentlich davon ab, in welchem Maße sie diejenigen, die heute auf Professuren sitzen und über Stellen und Berufungen entscheiden von der Leistungsfähigkeit ihrer Ansätze zu überzeugen vermögen. Hier kann und will die AG vermitteln und wenn man so will auch „Rücksicht nehmen“. Rücksicht aber eben nicht nur auf Skeptiker (die man auch ernst nehmen muss, denn eine gesunde Skepsis und kühles Abwägen von Risiken und Chancen gehören zu den Grundbedingungen wissenschaftlichen Arbeitens), sondern auch, ja gerade auf die Interessen unseres wissenschaftlichen Nachwuchses, der sich die Möglichkeiten der digitalen Welt erschließt und sie kreativ für Lehre und Forschung nutzt. Und deshalb möchte ich auch nochmal ausdrücklich betonen, was auf der Tagung selbst vielleicht etwas zu kurz gekommen ist: Wir wollen nicht nur noch überwiegend analog ausgerichtete Kolleg_innen interessieren, sondern selbstverständlich auch Ansprechpartner und Interessenvertreter für Historiker_innen sein, die sich schon seit langem sehr souverän im digitalen Wissenschaftsraum bewegen und uns von ihnen anregen lassen, neue Wege zu gehen.

Wie wird die AG, wie können die Institutionen den derzeitigen Wandel aus Ihrer Sicht positiv begleiten? Vielen geht es nämlich zu langsam. So war in einem Tweet zu lesen: „Digitale Geschichtswissenschaft muss man einfach machen, ohne auf Institutionen zu warten.“ Wie ist Ihre Meinung, rennen wir dem Trend hinterher?

In einigen Bereichen haben wir zwar Nachholebedarf und wir würden auch gut daran tun, mehr über die deutschen Grenzen hinaus etwa nach Frankreich oder in die USA zu blicken. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass wir einem Trend hinterherlaufen. Als Historiker wissen wir ja, dass es nicht nur wichtig ist, gute Idee zu entwickeln, sondern fast noch wichtiger, sie auch zum richtigen Zeitpunkt in die Öffentlichkeit zu tragen und umzusetzen; wer zu spät kommt, den bestraft das Leben (auch in der Wissenschaft) oft ebenso hart wie diejenigen, die zu früh dran waren und als Vorreiter neuer Entwicklungen gewirkt haben. Mein Eindruck ist, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um unsere Interessen wirksam zu artikulieren und unsere Konzepte umzusetzen. Es war ja sicher kein Zufall, dass alle großen deutschen Wissenschaftsorganisationen auf der Braunschweiger Tagung vertreten waren. Es kommt Bewegung ins Feld, auch Fördergelder und -strategien. Da ist es wichtig, Interessen zu bündeln, zu artikulieren und möglichst auch durchzusetzen. Je größer die Schnittmenge ist, die wir als Historiker_innen bzw. als historisch arbeitende Wissenschaftler_innen dabei haben und je mehr Akzeptanz wir auch im Fach selber finden, desto größer sind unsere Chancen, digitale Kommunikations-, Publikations- und Arbeitsformen im und aus dem Fach heraus zu etablieren, entsprechende Vorhaben und Qualifikationen gefördert zu bekommen bzw. ihnen eine adäquate Anerkennung zu verschaffen. Reputationskulturen in der Wissenschaft (und damit Karrierewege für junge Leute) ändert man freilich nicht von einem Tag zum anderen – dafür benötigt man auch heute noch einen langen Atem und – ob man es mag oder nicht – auch Institutionen, die eine Stimme haben und gefragt werden, wenn es um grundlegende Entscheidungen und vielleicht sogar Paradigmenwechsel geht.

twitterdigiw

Die AG twittert unter @digigw, ein Blog ist eingerichtet und die Beiträge der Tagung werden bei L.I.S.A. als Videos eingestellt. Wie geht es ansonsten weiter mit der AG, was sind die nächsten Pläne?

Vorausschicken muss ich: Wir arbeiten in jeder Hinsichtlich ehrenamtlich, ohne jede Infrastruktur und ohne eigenes Budget. Deshalb können wir auch nicht alle Ideen, die wir haben oder die an uns herangetragen werden, sofort bzw. im gewünschten Maße umsetzen. Konzentrieren werden wir uns erstens auf die Bereitstellung von Informationen auch zu internationalen Entwicklungen im Feld – hier vertrauen und hoffen wir auf die Mitwirkung unserer Mitglieder. Jeder Hinweis auf wegweisende Projekte, auf geeignete Förderstrukturen oder interessante Ansprechpartner ist hochwillkommen! Deshalb nutzen wir auch neue Kommunikationskanäle wie die Blogplattform de.hypotheses.org oder die Gruppe Digital History auf Mendeley. Wie effektiv dies ist und welchen wissenschaftlichen Nutzen diese Netzwerke haben – das werden wir auch beobachten und – hier vorwiegend Nachwuchswissenschaftler ansprechend – angemessen evaluieren. Die Frage, inwieweit die sozialen Medien die Arbeitsweisen und Forschungsmodi von Historiker_innen, also klassischen (und bislang so auch produktiven) Individualisten verändern werden oder schon verändert haben, halte ich für eine besonders spannende. Ebenso die Frage, wie digitale Daten und Hypertexte als Quellen für die nächste Generation von Historiker_innen zu speichern und zu erhalten sind. Da bewegen wir uns in einem spannenden und weithin unbekannten Terrain, das wir in enger Zusammenarbeit mit Bibliothekaren, Archivaren und Informatikern erschließen sollten und müssen.

Zweitens wollen wir für die einzelnen Arbeitsfelder jeweils spezifische Workshops und Veranstaltungen organisieren, und drittens – das ist uns besonders wichtig – auf dem nächsten Historikertag Flagge zeigen. Wir werden mehrere Sektionen in je spezifischen Formaten zu unterschiedlichen Dimensionen “Digitaler Geschichtswissenschaft” einreichen – vom Erfahrungsaustausch zu digitalen Editionen über digitales Publizieren bis hin zum wissenschaftlichen Nutzen sozialer Medien. „Gewinner und Verlierer“ – das Motto des nächsten Historikertages passt ja ganz ausgezeichnet zur Diskussion um Kosten und Nutzen der Digitalisierung in der Wissenschaft. Insofern hoffen wir, dass möglichst viele unserer Vorschläge im Ausschuss des VHD Akzeptanz finden und wir es dann in Göttingen schaffen können, über interessante Angebote und – gern auch kontroverse – Diskussionen ein breites Publikum zu interessieren.

Prof. Dr. Simone Lässig ist Sprecherin der AG Digitale Geschichtswissenschaft. Sie hat die Fragen von Mareike König schriftlich beantwortet.

Quelle: http://digigw.hypotheses.org/73

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#digigw2013 | Auftakttagung der AG Digitale Geschichtswissenschaft: Tweetarchiv online

Gestern fand in Braunschweig die Auftakttagung der AG “Digitale Geschichtswissenschaft” im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands statt. Das Programm der Tagung finden Sie als PDF hier.

Die Veranstalter haben im Vorfeld #digigw2013 als Hashtag festgelegt.
Insgesamt wurden bisher mehr als 780 Tweets mit diesem Hashtag verschickt, darunter 130 vom Account der Veranstalter @digigw.

 

Ein Tweetarchiv zu #digigw2013 finden Sie hier, eine Visualisierung dazu hier.


 

Zu den Social-Media-Aktivitäten der AG: Mareike König, Die AG “Digitale Geschichtswissenschaft” im Web 2.0, in: Weblog Digital Humanities am DHI Paris, 13.8.2013, URL: http://dhdhi.hypotheses.org/1960.

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/1595

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Die AG “Digitale Geschichtswissenschaft” im Web 2.0

AG_digigwDie letztes Jahr im September auf dem Historikertag gegründete Arbeitsgemeinschaft für “Digitale Geschichtswissenschaft” im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e.V. wird am 3.9.2013 im Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig ihre Eröffnungstagung bestreiten[1]. Die Tagung, zu der man sich noch bis 15. August anmelden kann, steht unter dem Thema “Die digitale Herausforderung an die Geschichte. Forschungsinfrastrukturen und Geschichtswissenschaft”.

Nach einem Auftaktreferat von Prof. Dr. Martin Schulze Wessel (Vorsitzender des Historikerverbands) und der Vorstellung der AG durch Prof. Dr. Simone Lässig (Sprecherin der AG) diskutieren auf dem Podium unter der Leitung von Dr. Annette Schuhmann (ZZF): Dr. Helge Kahler (BMBF), N.N. (DFG), Dr. Stefan Lange (Wissenschaftsrat), Prof. Dr. Charlotte Schubert (Historikerverband/AG DGW) und Prof. Dr. Norbert Lossau (Universität Göttingen). Der Hashtag für die Tagung lautet #digiw2013.

@digigw bei Twitter und Mendeley

Auch im Web 2.0 ist die AG – wie von der Community lange erwartet – vor kurzem aktiv geworden: Bei Twitter hat der Account @digigw Anfang Juli einen fulminanten Start hingelegt und hat derzeit 192 Follower. Es wurde eine Liste Digitales Geschichtsnetz (Digitale Geschichtswissenschaft im deutschsprachigen Raum: Institutionen, Projekte, Stiftungen usw.) angelegt, die man abonnieren kann. Interessierte, die in die Liste aufgenommen werden wollen, können sich über Twitter melden. Bei Mendeley wurde eine Gruppe “Digital History” gegründet, die derzeit 26 Mitglieder hat.

Nun ist es mit der Wahl der Sozialen Netze ja immer so eine Sache und die persönlichen Vorlieben gehen oftmals auseinander. Über Twitter kam folglich mit Hinblick auf die Elsevier-Zugehörigkeit von Mendeley der Kommentar “Good group, but why is it on Mendeley?” Als Alternativen wurden Zotero mit Hinblick auf die bibliographischen Dienste und CiteULike mit Hinblick auf die Gruppenfunktionen genannt. Als Vorbild für den gelungenen Einsatz von Zotero könnte die Zoterogruppe zur Ordensgeschichte dienen.

Die Stärken des Web 2.0 nutzen

Die bisherige Zurückhaltung in Sachen Blogs und Soziale Medien dürfte mit zwei Punkten zusammen hängen: Zum einen gibt es wenige Neuigkeiten und Informationen aus der AG selbst, da sie keine eigenen Projekte hat und derzeit nur jährlich eine Tagung neben der zweijährlichen Mitgliederversammlung beim Historikertag plant. Auch die Arbeitsweise der Untergruppen muss sich wohl erst noch einspielen. Zum anderen gibt es keine personellen und finanziellen Ressourcen, die ein zentral gesteuertes Community Management für Web 2.0-Angebote übernehmen könnte.

Dies alles ist zwar nachvollziehbar, doch werden dabei die eigentlichen Stärken des Web 2.0 sowie der Fokus auf andere Inhalte übersehen: Die Community könnte die Web 2.0-Angebote der AG selbst verwalten und bespielen. Beispielsweise wäre es denkbar, den Twitter-Account – in Anlehnung an “I am Germany” – monatlich einem AG-Mitglied hauptverantwortlich zu übertragen. Daraus ergäbe sich mit Sicherheit eine interessante Dynamik.

Bei der Einrichtung einer Facebook-Gruppe braucht es – ähnlich wie bei den Gruppenbibliographien -  keine Zentrale. Einmal eingerichtet kann dort jede/r für die Gruppe interessante Neuigkeiten direkt posten. Damit läge der Schwerpunkt nicht auf den Neuigkeiten aus der AG selbst, sondern auf den Neuigkeiten aus dem Bereich “digitale Geschichtswissenschaft” allgemein. Und das wäre ja nicht das Schlechteste. Sinnvoll wäre wohl allerdings, jetzt nicht einfach kumulativ ein soziales Netz nach dem anderen zu bedienen, sondern sich vorab grundsätzliche Gedanken zu machen. Vielleicht gibt es dazu ja Anregungen aus der Community?

  1. Zum Programm der Tagung (PDF) http://www.historikerverband.de/fileadmin/_vhd/Arbeitsgemeinschaften/ag-digitale-gw/Dokumente/Tagungsprogramm_AG_DGW_2013_09_03.pdf

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/1960

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