Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm “Wachstum, was nun?” in der ARTE-Mediathek
„Wachstum, was nun?“ fragt der neueste Dokumentarfilm von Marie Monique Robin, den ARTE am vergangenen Samstag in dritter Wiederholung gezeigt hat. Der Film setzt sich mit Alternativen zum volkswirtschaftlichen Wachstumsprogramm in Zeiten von Umwelt-, Finanz- und Wirtschaftskrisen auseinander. Doch wer die alte Leier von sturer Wachstumskritik und einfachen „Small-is-beautiful“-Lösungen erwartet, wird enttäuscht.
Mit einer beachtlichen Bandbreite an Interviewpartnern, thematischen Zugängen und anschaulichen Projektbeispielen über den Globus verteilt gelingt es dem Film einen durchaus überzeugenden sowie anspruchsvollen Zusammenhang zwischen betriebswirtschaftlicher Selbstorganisation, sozialer Gerechtigkeit und Umweltschutz zu skizzieren.
Der Begriff der Resilienz taucht dabei nicht nur als leeres Schlagwort auf, sondern wird im Mund der befragten “Resilienz-Praktiker” zu einem konkreten Handlungsbegriff, der vor allem eines nahelegt: Resilienz als die Frage nach der Fähigkeit einer Gruppe zu begreifen, zentrale ökonomische Zusammenhänge und deren unmittelbare Auswirkungen auf das Zusammenleben selbst zu gestalten.
Regionale Währungen, urbane Landwirtschaft oder Kraftwerksgenossenschaften werden in dem Film nicht als Ideen vorgestellt, Konsum durch Entsagung oder das internationale Wirtschaftssystem durch Subsistenzwirtschaft zu ersetzen. Die durchaus gespitzte Kritik am heiligen Gral des BIP zielt nicht darauf ab wirtschaftliches Wachstum an sich zum Feindbild zu machen. Dem Film liegt wohl vielmehr die Frage zugrunde: Auf welche Weise versuchen Menschen weltweit ihre eigenen Antworten auf die Fragen nach der Qualität und Quantität von wirtschaftlichem Wachstum (wie viel von welchem Wachstum wollen wir wozu?) zu koordinieren, umzusetzen und auszutesten? Und, wie erfolgreich sind sie damit?
Tatsächlich sind die unerwarteten Auswirkungen dieser „Sozialexperimente“ auf den unterschiedlichsten Ebenen in der Gemeinschaft wohl das eindrücklichste, was dieser Film zu bieten hat. Dass die meisten Projekte für regionales Wachstum und Wohlstand in der Gemeinschaft gesorgt haben, ist da noch am wenigsten überraschend.
Da ist zum Beispiel das regionale Währungssystem von Conjunto Palmeiras, einem Vorort von Fortaleza, Brasilien. Es versteht sich als ein komplementäres Währungssystem, will den Real also nicht komplett ersetzen, sondern unter anderem durch Mikrokredite und einen 10-% Rabatt beim Kauf der Regionalwährung die Wertschöpfung in der Gemeinde halten. Mit Erfolg. Was vormals ein von Abwanderung bedrohter Stadtteil war, weil die Lebenshaltungskosten im Verhältnis zu den Löhnen und dem Arbeitsangebot vor Ort zu stark anstiegen, ist nun unter anderem in der Lage seine BewohnerInnen mit Arbeit und erschwinglichen Gütern zu versorgen.
Diese Entwicklung hing allerdings entscheidend davon ab, dass sich bereits im Vorfeld eine politische engagierte Vereinigung der Bewohner des Stadtteils (ASMOCOMP) gegründet hat, innerhalb derer es möglich war unterschiedliche Zukunftsvorstellungen zu organisieren und auszutesten[1]. Gleichzeitig drängt sich der Eindruck auf, dass die heutige Attraktivität des Stadtteils für seine BewohnerInnen nur insoweit direkt mit der Regionalwährung zu tun hat, insofern diese die Unmittelbarkeit von wirtschaftlichen Handlungszusammenhängen fördert und zu einer lebendigen Gemeinschaft beiträgt, die für den Einzelnen interessante Möglichkeiten bietet, sich selbst einzubringen und in Kontakt zu seinen Mitmenschen zu stehen.
Diese Selbstorganisation der BürgerInnen in der Vereinigung kann insofern als resilient verstanden werden, als es ihr gelungen ist auf die bedrohlicher werdende Wirtschaftslage im Viertel mit der Gründung einer eigenen Bank zu reagieren und damit die Abhängigkeit von größeren, für sie selbst kaum beeinflussbaren volkswirtschaftlichen Zusammenhänge in ein ausgewogenes Verhältnis zur gemeinschaftlichen Selbstbestimmung zu bringen. Mit dieser Bank ist es den BewohnerInnen beispielsweise wiederum möglich Einfluss auf die finanzielle Förderung von Projekten im Viertel zu nehmen (auch solche Projekte, die von kommerziellen Banken kaum kreditwürdig wären): Projekte die zur Reduktion des ökologischen Fußabdrucks beitragen, stehen dabei ganz oben auf der Liste (vlg. auch Rike 2008).
Die Fähigkeit zur gemeinschaftlichen Selbstorganisation auf einer lokalen Ebene war auch in Kandebas, einem nepalesischen Bergdorf sowohl Bedingung als auch Chance, um sich mittels eines genossenschaftlich geführten Wasserkraftwerks von der unzuverlässigen, zentralen Energieversorgung unabhängig zu machen. Dadurch seien nicht nur die Familieneinkommen (und damit natürlich auch die Zahl an Handys und PCs) gestiegen, sondern auch Überschüsse erwirtschaftet worden, die die Genossenschafter, und damit die BewohnerInnen des Dorfes für weitere Investitionen in der Gemeinde und dessen weiterer Entwicklung einsetzen konnten. Gleichzeitig hat das Dorf damit einen Beitrag zur umweltfreundlichen Energiegewinnung gleistet und sich unabhängig von den Ölimporten gemacht, die für 1,5 Mrd. US-Dollar jährlich (2013) nach Nepal importiert werden.
Auch dieses Beispiel zeigt, dass es dem Film nicht um eine pauschale Wachstumskritik geht, die auf ein stumpfes Plädoyer für Autarkie oder Askese hinausläuft, sondern dass er gerade dort ansetzt, wo das bestehende Wirtschaftssystem eben nicht in der Lage war den (oft zunächst ökonomischen) Bedürfnissen vor Ort gerecht zu werden. Weniger Ideologie als vielmehr der Wunsch nach Verbesserung und zum Teil die schiere Not sind der Ausgangspunkt dafür, dass die dokumentierten Gruppen den Bereich ihrer ökonomischen Selbstbestimmung ausgeweitet haben. Der Clou dabei: Mit diesen Ansätzen wurden eben nicht nur die ursprünglichen Ausgangsprobleme angegangen, sondern darüber hinaus mitunter noch weitreichendere Veränderungen angestoßen, die die betreffenden Gemeinschaften in ihren Augen „resilienter“ machen:
„Innovationen wie urbane Landwirtschaft, kommunale Energie, neue Formen des Konsums, all das, was wir als new economy bezeichnen, hat nicht nur wirtschaftliche Aspekte. Es sind auch Prozesse, die die Kommunen stärken und sie resilienter machen für Erschütterungen, die von außen kommen.“ Juliet B. Shor (Autorin von „Plentitude“)
Dass dies notwendigerweise im Kern ein dezentraler Ansatz bleibt liegt nicht an einer vermeintlichen Glorifizierung von Lokalität, sondern daran, dass sowohl die Möglichkeit der Selbstbestimmung als auch die gewünschten Auswirkungen der Unmittelbarkeit von wirtschaftlichen Handlungszusammenhängen eben nur bis zu einem begrenzten Personenkreis erhalten bleiben. Auch wenn der Film einige visionäre Anklänge nicht verbergen kann, so behauptet er dennoch keine einfachen Gesetzmäßigkeiten oder glaubt aus seinen Beobachtungen unmittelbare Handlungsempfehlungen ableiten zu können. Unstrittig ist darüber wohl nur sein Blick für das Potential des sozioökonomischen Experimentierens im Sinne der These “Resilience of Empowerment”.
Bleibt zu fragen, ob der Gedanke der Resilienz als lokales Ermächtigungskonzept letztenendes auch als eine recht unkritische Antwort auf die angegebenen Krisen der großen Systeme gelesen werden kann, verschiebt sich doch damit der Handlungs- und Wandlungsauftrag an die kleine Dorfgemeinschaft.
Der Dokumentarfilm „Wachstum, was nun?“ wird noch einige Tage auf der ARTE-Mediathek unter http://www.arte.tv/guide/de/050584-000/wachstum-was-nun abrufbar sein (ebenso in anderen einschlägigen sozialen Medien wie http://www.youtube.com/watch?v=PP3optDBN8c oder in der Videothek Ihres Vertrauens).
[1] Sohn, Rike (2008): Die solidarische Sozioökonomie der Banco Palmas in Fortaleza/Brasilien. Lokale Währungskomplemente als Bestandteil integrativer Entwicklung, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, 45. Jahrgang, 158/159. Folge.
Quelle: http://resilienz.hypotheses.org/305