Kameramänner vor dem Berliner Schloss (1907) | Bundesarchiv, CC-BY-SA, Wikimedia
Gängige Konzepte zur Analyse von Quellen für den Geschichtsunterricht fokussieren meist stark auf deren Inhalt – bei Textquellen oft noch mehr als bei Bildern oder Filmen. Formale Analysekriterien beschränken sich auf Aspekte von Quellengattung und Quellenkritik, auf Verfasser und Adressat.
In jüngeren Diskussionen der Mediengeschichtsschreibung[1] oder zur Visual History[2] wurde vermehrt darauf hingewiesen, historische Quellen erstens auch auf ihre historisch bedingten Möglichkeiten der Materialisierung, Entstehung und Verbreitung hin zu untersuchen – die Historizität von Medien. Zeitungen beispielsweise kam im 19. Jahrhundert ein ganz anderer Stellenwert zu als heute, weil sie im Grunde ein Monopol zur Verbreitung von Nachrichten hatten. Oder: Es ist für den Bildinhalt eines Fotos zwar egal, ob es gedruckt in einem Buch vorliegt oder auf die Leinwand oder ein Display projiziert wird, nicht aber im Sinne der Historizität. Die fragt erstens nach den jeweiligen technischen Bedingungen, unter der das Foto geschossen wurde und die sich freilich stark verändert haben, zweitens nach den jeweiligen Möglichkeiten zur Verbreitung und Rezeption, die früher viel eingeschränkter waren als heute.[3] Viele heute bekannte Fotos sind etwa erst lange nach ihrer Entstehung „berühmt“ geworden.
Der zweite Aspekt der Medialität meint den „aktiven“ Part, den Medien im historischen Prozess spielen können. Damit ist nicht nur gemeint, dass (oft auch durch kommerzielle Interessen gelenkte) Medienmacher Einfluss auf Verbreitung und Rezeption bestimmter Medien hatten und haben. Viele Quellen, die im Geschichtsunterricht analysiert werden sollen, haben selbst Einfluss auf historisch-politische und gesellschaftliche Entwicklungen, zudem auf Geschichtsbilder und historische Imaginationen genommen, hinzu kommt eine möglicherweise vielseitige oder gebrochene Rezeptionsgeschichte. Beispiele gibt es viele: etwa ein Flugblatt der Weißen Rose, dass zwar auch inhaltlich-analytisch zu untersuchen ist, dessen Bedeutung sich aber erst als in Papier materialisierter, verbotener Protest erschließen lässt (allein das Flugblatt in den Händen zu halten konnte schlimmste Folgen haben), oder der große (gelegentlich auch fehlgeleitete) Einfluss massenmedial verbreiteter Bilder und Filme, beispielsweise auf die Beendigung des Vietnamkrieges in den USA. Als große Fragen der Medialität stellen sich die durch mediale Entwicklungen ausgelösten gesellschaftlichen Veränderungen etwa des Buchdrucks oder des digitalen Wandels.
So weit, so gut. Bei dem Versuch, die Aspekte der Historizität von Medien und ihre Medialität in analysefähige, für den Geschichtsunterricht geeignete Kategorien und Kriterien auszubuchstabieren, ergeben sich allerdings Probleme der Unübersichtlichkeit. Bezüglich der Historizität von Medien ist die Beschäftigung mit Mediengeschichte unerlässlich[4], die überhaupt erst ein Bewusstsein dafür schafft, dass es bestimmte Medien, z.B. Fotos, erst ab einem bestimmten Zeitpunkt gab, dass sie zweitens nicht wie heute mit einem Klick abrufbar sind, sondern in der Vergangenheit oft nur sehr begrenzt verbreitet und rezipiert werden konnten. Begrifflich könnte die für den Geschichtsunterricht zu abstrakte Kategorie Historizität erstens in mediengeschichtlich bedingte Entstehungsmöglichkeiten und zweitens mediengeschichtlich bedingte Verbreitungsmöglichkeiten übersetzt werden. Die erste Frage: Welche Aspekte der Historizität von Medien sind unerlässlich oder hilfreich? Hier bestehen auch enge Verbindungen zu Aspekten von Perspektive und Intention des Verfassers bzw. Urhebers des Mediums.
Die Medialität und mögliche, durch bestimmte als Quelle vorliegende Medien (mit-) ausgelöste historische Entwicklungen von Quellen zu untersuchen ist begrifflich schwieriger in den Blick zu bekommen. Die Rezeptionsgeschichte von Medien, ihre zeitbedingte oder zeitversetzte Wirkung kann sich erst durch Hinzuziehen weiterer Quellen oder mit Blick auf die Verwendung von Quellen durch (heute im Internet leichter möglichen) Recherche verschiedener Verwendungs- und Deutungszusammenhänge von Textquellen oder Bildern erschließen.[5] Mögliche Begriffe könnten dann Wirkungsgeschichte und geschichtskulturelle Bedeutung sein. Deshalb die zweite Frage: Welche Aspekte der Medialität von Medien sind unerlässlich oder hilfreich?
Und drittens: Wie könnte ein Analysekonzept aussehen, dass angesichts der genannten möglichen Analysekategorien nicht überbordet und mangels Übersichtlichkeit mehr Verwirrung stiftet als Erkenntnisgewinn zu erzeugen? Gibt es bereits gute Vorlagen und Beispiele?
Die Grafik ist ist als Vorschlag gemeint und soll weiterentwickelt werden. Nicht jeder Punkt kann für jede historische Quelle Verwendung finden; die Aufzählung ist also als fakultativer Katalog zu verstehen.
[1] Vgl. beispielsweise Fabio Crivellari, Kay Kirchmann, Marcus Sandl, Rudolf Schlögl (Hrsg.): Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive. Konstanz 2004.
[2] Vgl. Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 12 (2013): Visual History.
[3] Vgl. Jan Hodel: Für eine Differenzierung des Medienbegriffs. In: Public History Weekly, 11.07.2014, online unter: http://public-history-weekly.oldenbourg-verlag.de/2-2014-25/sprachverwirrung-ist-ein-geschichtsdidaktisches-medium [Stand: 9.4.2015].
[4] Dies fordern u.a. Daniel Bernsen / Alexander König / Thomas Spahn: Medien und historisches Lernen. Eine Verhältnisbestimmung und ein Plädoyer für eine digitale Geschichtsdidaktik. In: Zeitschrift für digitale Geschichtswissenschaften, Nr. 1 (2012), online unter: http://universaar.uni-saarland.de/journals/index. php/zdg/ article/ view/294/358 [Stand 9.4.2015]. Hierzu gibt es auch Vorlagen, etwa die gründlichen Bilderanalysen in: Michael Wobring / Susanne Popp (Hg.): Europäischer Bildersaal. Europa und seine Bilder Schwalbach/Ts. 2013, oder als Hilfsmittel für den Unterricht die Zeitleiste Mediengeschichte im 19. und 20. Jahrhundert bei segu Geschichte.
[5] Vgl. hierzu den (demnächst auch veröffentlichten) Beitrag von Anke John auf der Kölner Tagung „Geschichtsdidaktische Medienverständnisse: „Ich brauche ein Titelbild für meine Mappe.“ Bildgestützte Internetrecherche und historisches Bildverstehen.
empfohlene Zitierweise Pallaske, Christoph (2015): nachgefragt | Wie Historizität von Medien und ihre Medialität in Konzepte zur Quellenanalyse einbinden? In: Historisch denken | Geschichte machen | Blog von Christoph Pallaske, vom 9.4.2015. Abrufbar unter URL: http://historischdenken.hypotheses.org/2843, vom [Datum des Abrufs].