Ursachen und Auslöser der „friedlichen Revolution“

Wir haben uns viel mit der Frage beschäftigt, wie friedlich die „friedliche Revolution“ von 1989 wirklich war und  verschiedene Aspekte des Umsturzes in der DDR beleuchtet. Bevor jedoch eine Analyse der Friedfertigkeit der Revolution beginnen kann, ist es wichtig festzustellen, inwiefern der Begriff „friedliche Revolution“ die Massenbewegung der DDR-Bürger im Jahr 1989 zutreffend beschreibt. Es ist auffällig, dass keine andere bekannte Revolution in der Geschichte mit dem Attribut „friedlich“ versehen worden ist.

Was ist eine Revolution? Das deutsche Universallexikon Duden definiert eine Revolution als ein „auf radikale Veränderungen der bestehenden politischen u. gesellschaftlichen Verhältnisse ausgerichteter, gewaltsamer Umsturz[versuch]“.[i] Schließt diese Definition eine „friedliche Revolution“ nicht als ein Paradoxon aus?

Eine etwas komplexere Definition lässt sich in Karl Griewanks Werk „Der neuzeitliche Revolutionsbegriff“ finden. Dieser beschreibt eine Revolution als einen „Neuanfang unter entschiedenstem Bruch mit der Vergangenheit“.[ii] Laut Griewank ist eine Entwicklung dann Revolution zu nennen, wenn sie drei Kriterien erfüllt. Erstens muss es ein „stoßartige[r] und gewaltsame[r] Vorgang“ sein, zweitens müssen die Anliegen eine massenmobilisierende Wirkung haben und drittens muss eine definierte „programmatische Idee“ Grundlage der Bewegung sein.[iii]

Auch in dieser Definition bleibt ein Verweis auf Gewaltsamkeit nicht aus. Was aber ist Gewalt? Die erste Bedeutung, die in den Sinn kommt, ist die der physischen Gewalt. Die Revolution 1989 darf sich vielleicht nicht der vollkommenen Abwesenheit von Gewalt rühmen, doch verlief die Revolution so untypisch gewaltfrei, im Sinne von physischer Gewalt, dass eine Definition als gewaltsamer Umsturz nicht angemessen erscheint. Der Duden gibt jedoch eine weitere Definition von Gewalt, die eine Erklärungshilfe für das scheinbare Paradoxon „friedliche Revolution“ bietet. Es heißt weiter, Gewalt sei eine „elementare Kraft von zwingender Wirkung“.[iv] Es ist nicht zu bestreiten, dass 400.000 Demonstranten auf den Straßen Leipzigs eine „elementare Kraft von zwingender Wirkung“ darstellten.

Definiert man also eine gewaltsame Revolution als eine Bewegung mit extremer Kraft, die großen Druck auf das bestehende System ausübt, so ist der Begriff Revolution durchaus im Falle der ostdeutschen Bürgerbewegung passend und mit dem Attribut friedlich zu vereinbaren. Denn in diesem besonderen Fall blieb der Volksaufstand einer gesamten Nation so erstaunlich friedlich, dass der Begriff „friedliche Revolution“ ideal zu passen scheint. Der „friedliche“ Aspekt wird durch die vehement vermiedene physischer Gewalt abgedeckt, das Attribut „gewaltsam“ trifft aber im Sinne der nicht zu leugnenden ungeheuren Kraft, die von einem aufbegehrenden Volk ausgeht, ebenfalls zu.

Weiterhin offen bleibt nun die Frage, was die Bürger der DDR bewegte, 1989 mit einer friedlichen Revolution ihren Staat in den Grundfesten zu erschüttern, was im Folgenden dargestellt werden wird.

Die Menschenmassen, die sich an den Montagsdemonstrationen in Leipzig und anderen ostdeutschen Städten beteiligten, machen deutlich, dass ein großes Krisenpotential in der DDR steckte. Und viele dieser Krisen waren nicht neu. Doch warum kam es nicht schon viel früher zu einer Eskalation und was führte zu dieser „Freiheitsrevolution“?[v]

Die folgende Darstellung der Situation in der DDR beruht auf den Beschreibungen Karsten Timmers, Bernward Baules und Karl Bruckmeiers, die in ihren jeweiligen Werken die Entwicklungen im Jahr 1989 beschreiben und analysieren. So berichtet Timmer, dass bis in den Sommer 1989 in der DDR ein stark repressiver Parteiapparat herrschte, der für Bedingungen sorgte, die einer bürgerlichen Bewegung jegliche Erfolgschancen entzogen und Proteste gegen die Staatsgewalt mit einem sehr hohen Risiko belegten. Ein Zeitzeuge berichtete, dass der Repressionsmechanismus der SED-Spitze für die „Verbreitung einer diffusen Atmosphäre der Ohnmacht und Angst bei den Menschen“[vi] sorgte. Diese andauernde Stimmung der Angst hatte eine Gesellschaft geformt, die Konfrontationen aus dem Weg ging und von Karsten Timmer als „Nischengesellschaft“[vii] beschrieben wird. Die Last der bestehenden Repressalien verhinderte auch die Bildung einer organisierten Opposition, die zum Beispiel die Aufstände 1953 in eine gerichtete Bewegung hätte verwandeln können. Die DDR war noch Anfang 1989 kein Staat, der die Grundbedingungen für eine aufstrebende Bürgerbewegung stellen konnte. Timmer beschreibt in seinen Studien, dass die Bedingungen im Mai 1989 noch immer sehr „bewegungsfeindlich“[viii] waren. Die Kommunalwahlen, bei denen eine großflächige Fälschung aufgedeckt wurde, führten, trotz der großen Aufmerksamkeit des Westfernsehens und den stichhaltigen Argumenten der Oppositionsgruppen, zu keiner starken Resonanz in der Bevölkerung. Doch nur wenige Monate später demonstrierten 400.000 DDR-Bürger in Leipzig, um das totalitäre Regime zu stürzen, das noch Monate vorher genug Drohpotential besessen hatte, die Bevölkerung im Angesicht von massivem Wahlbetrug stillzuhalten.[ix]

An dieser Stelle stellt sich unweigerlich die Frage, was die Bevölkerung zu den folgenden Demonstrationen bewegte. Im Weiteren sollen daher die in den vorherigen Jahren entwickelten Konflikte genauer betrachtet werden, die nun von unterschwelligen Krisen zu unleugbaren, ernsthaften Problemen wurden?[x]

In der Vorgeschichte der Revolution sind insbesondere zwei Aspekte zu betrachten, die vor 1989 schon den Grundstein für die Staatskrise legten. Zum einen ist das Konzept der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik zu nennen, dass 1971 auf dem 8. Parteitag der SED beschlossen wurde, zum anderen das Konzept der Perestroika, das Gorbatschow 1987 auf einem Parteitag der KPdSU entwarf.[xi] Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik führte zwar zu einer Verbesserung der Lebensumstände in der DDR in den 80er-Jahren und auch zu einer höheren Akzeptanz der SED. Erich Honecker hatte die Wirtschaft als „Mittel zum Zweck“[xii] genutzt, um für eine „Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes“[xiii] zu sorgen. Mit Maßnahmen, mit denen die SED versuchte, an der sozialistischen Idee der gesellschaftlichen Gleichheit festzuhalten, zum Beispiel Subventionsmaßnahmen bei Konsumgütern, neue Wohnungsbauprogramme und verbesserte Arbeitsbedingungen, sorgte sie für eine breitere Legitimation der SED-Herrschaft in der Bevölkerung. Diese nicht wirtschaftlich verankerten Maßnahmen trieben die DDR aber gleichzeitig auch in eine extreme Verschuldungssituation, die 1982 und 1989 beinahe zum Staatsbankrott führte.[xiv] Die anhaltende Versorgungskrise 1989 führte parallel zu einer immer stärker werdenden latenten Krisenstimmung.[xv] Timmer erläutert, dass die SED als einzige Entscheidungsinstanz im Staat auch die einzige Stelle war, an die Kritik gerichtet werden konnte. Als Monopol der Macht war sie die einzige Angriffsstelle für die Unzufriedenheit und den Zorn der Bevölkerung.[xvi]

Etwas wirklich grundlegend Neues war die Reformstimmung in den östlichen Nachbarländern, angeführt von der Perestroika in der Hegemonialmacht UdSSR. Sie veränderte die Machtstellung der SED-Spitze nachhaltig. Die Bevölkerung hegte Hoffnungen, die DDR könne sich ebenfalls der Reformpolitik Gorbatschows anschließen, doch die DDR-Führung reagierte stark in die entgegengesetzte Richtung. Trotz aller Enttäuschung über die eigene Regierung war der Kurs der UdSSR klar und damit stellte die Hegemonialmacht keinen Drohfaktor mehr dar. Die Demonstranten konnten nahezu sicher davon ausgehen, dass es keine sowjetischen Panzer sein würden, die den ei-genen im Falle eines Aufstandes zur Hilfe kommen würden. Ohne diesen Schutz des „großen Bruders“ im Rücken, war die DDR-Regierung in einer ganz anderen Ausgangssituation den Demonstranten gegenüber.[xvii]

So trug nicht nur das Scheitern der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik zu einer Sinnkrise des Sozialismus bei, auch der vergleichende Blick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in der BRD und die Reformpolitik der UdSSR als politische Orientierung gaben den latenten Problemen der DDR immer mehr Nahrung, sodass nur noch der sprichwörtliche Funken fehlte, um die 40 Jahre lang regierende Parteidiktatur der DDR in ihren Grundfesten zu erschüttern und zu stürzen.[xviii]

Dieser Funken zur Revolution stellte sich als keinesfalls oppositionell organisierter Mobilisierungsakt heraus, sondern vielmehr als ungewollt falsch gesendetes Signal der ungarischen Regierung, die symbolisch einen Teil ihres Grenzzaunes abbauten, um den westlichen Kreditgebern ein reformbereites Ungarn zu präsentieren. Ungarn strebte eine Annäherung an den Westen Europas an, hatte jedoch seine Grenzpolitik mit den östlichen Nachbarn abgesprochen und klargestellt, dass trotz der symbolischen Öffnung die Grenzbewachung weiterhin bestehen bliebe. Diese Nachricht erreichte jedoch nicht jene DDR-Bürger, die nun die Chance sahen, die DDR auch ohne staatliche Erlaubnis zu verlassen. In den folgenden Wochen wurden bis zu 4000 DDR-Flüchtlinge an der ungarischen Grenze abgefangen, die mit einer einfachen Überquerung der Grenze gerechnet hatten. Mit ihrem ungarischen Stempel im Pass waren die Flüchtlinge als ebenjene, als Republikflüchtlinge, gebrandmarkt und wussten, dass bei der Wiedereinreise in die DDR ein Gefängnisaufenthalt unausweichlich würde.[xix]

Die DDR-Bürger, denen die Heimreise unmöglich gemacht wurde, suchten Zuflucht in der BRD-Botschaft in Budapest. Durch die einsetzenden Schulferien vervielfachte sich die Anzahl der Ungarnreisenden und sowohl die Zahl der Fluchtversuche als auch die der Botschaftsbesetzer nahm schnell zu. Immer wieder gelang es Flüchtigen, die Grenzanlagen tatsächlich zu überwinden und am 22. August hatten etwa 300 DDR-Bürger die bundesdeutsche Botschaft in Wien erreicht. Zu diesen erfolgreich Geflüchteten kamen am 19. August noch 600 Teilnehmer des Paneuropäischen Frühstücks an der ungarischen Grenze hinzu, die durch ein geöffnetes Tor ungehindert nach Österreich gelangt waren.[xx] Dennoch war für viele Ungarnreisende die Situation hoffnungslos, denn Ungarn hielt weiterhin an der Grenzbewachung fest und stellte keine Änderung in Aussicht. Daher füllte sich die Budapester Botschaft der Bundesrepublik mit etwa 1800 Menschen, die auf eine Ausreise hofften.

Ungarn stand sowohl innen- als auch außenpolitisch vor einem Problem und entschied sich am 22. August für eine Lösung, die die Gunst des Westens garantierte und als die humanitärste Lösung für die eigene Bevölkerung und auch für die 200.000 DDR-Bürger, die nach dem Ende der Schulferien nicht mehr zurückgekehrt waren, erschien. Nachdem sich Ungarn von der BRD eine Art Schadensersatz im Falle von Vergeltungshandlungen seitens der DDR hatte zusichern lassen, stellte Ungarn ein Ultimatum an die DDR bis zum 11.September. Die DDR reagierte jedoch nur mit Ärger auf diese „Erpressung und Verrat“ und ließ das Ultimatum verstreichen.[xxi] Am 10.September 1989 verkündete Außenminister Horn: „Die Bürger der DDR können das Land verlassen“. Etwa 14.000 Menschen verließen in den nächsten fünf Tagen Ungarn, damit hatten etwa 20.000 Menschen die DDR seit Mai 1989 verlassen.[xxii]

Die Zurückgebliebenen reagierten mit Resignation und Enttäuschung, die laut Timmer eine „Angst um unser Land“[xxiii] erzeugte, die von den personellen und ideologischen Verlusten herrührte. Aufgrund einer solidarischen Stellungnahme zur chinesischen Regierung nach dem Massaker am Platz des himmlischen Friedens war auch die Angst vor dem Parteiapparat noch immer allgegenwärtig. Doch die Bevölkerung reagierte schon hier empört, über die wirklichkeitsfremde, eindeutig ideologisch gefärbte Berichterstattung, der sie von der Regierung ausgesetzt wurden. Diese Tendenz verstärkte sich weiter, als die SED-Spitze auch zu den Vorgängen in Ungarn keine angemessene Reaktion zeigte. Laut DDR-Regierung war die Fluchtwelle nur eine Erfindung der Westmedien und die Geflohenen entführt vom imperialistischen Feind BRD.[xxiv] Die Parteispitze wartete mit einer Stellungnahme ab, da sie den 40. Jahrestag der DDR nicht durch innenpolitische Probleme belasten wollte. Dieses Erklärungsvakuum bot jedoch nach jahrelanger Chancenlosigkeit den Oppositionsgruppen die Möglichkeit, sich nahezu frei an die Bevölkerung zu wenden. So entwickelte sich für die folgenden Revolution, durch die fehlende Reaktion der SED-Führung, eine Spitze, eine Elite, die dafür sorgte, dass die ungerichteten, unorganisierten Anliegen des Volkes nicht wie 1953 von der Macht des Parteiapparates unterdrückt wurden sondern auf den Straßen Gehör fanden.[xxv]

Ab dem 22. September reagierte die DDR-Führung mit erschwerten Reisebedingungen nach Ungarn, sodass den DDR-Bürgern dieser Fluchtweg abgeschnitten wurde. Die Ausreisewilligen sahen als Alternative nur noch die Ausreise in die ČSSR und innerhalb einer Woche versammelten sich in der Prager Botschaft der BRD 2500 Menschen, die auf eine Ausreise in die Bundesrepublik hofften. Am Rande der zum gleichen Zeitpunkt stattfindenden UN-Vollversammlung einigten sich die Regierungsvertreter der DDR und der BRD darauf, dass die Botschaftsbesetzer von Prag offiziell aus der DDR ausgewiesen werden und in Sonderzügen, über das Gebiet der DDR fahrend, das Land verlassen sollten. Etwa 7000 Menschen gelangten in der Nacht des 30. September in diesen Sonderzügen in die Bundesrepublik.[xxvi] Die Resonanz der zurückgebliebenen Bürger war resigniert und wütend, da die Fliehenden dem eigenen Land keine Chance geben wollten. Doch die Regierung überschätzte diese Stimmung des Verratenwerdens und publizierte am darauffolgenden Tag, dass man „diesen Verrätern keine Träne nachweinen soll“.[xxvii] Die Bevölkerung der DDR wollte und konnte jedoch keine Regierung länger dulden, die so wenig Wert auf die eigenen Bürger legte.

Der Funke der Unzufriedenheit entzündete sich in Dresden, wo sich ab dem 3. Oktober Ausreisewillige sammelten, die auf dem Weg nach Prag von einem weiteren neuen Gesetz der Visapflicht für die ČSSR überrascht worden waren und sich bis zum 6. Oktober heftige Straßenschlachten mit der Volkspolizei und den Sicherheitskräften lieferten.[xxviii]

Diese Demonstrationen, die noch während des 40. Jahrestages der DDR stattfanden, und jegliche innenpolitischen Probleme, wurden in den Festreden sowohl von den Parteirednern als auch vom Ehrengast Gorbatschow vollkommen vernachlässigt. Gerade wegen dieser vollkommenen realitätsfernen Idealisierung der DDR gingen schon an diesem Tag viele Bürger auf die Straßen, um für einen Reformkurs der Regierung zu kämpfen.[xxix] Innerhalb nur weniger Wochen überwanden die Demonstranten die Angst vor einer chinesischen Lösung und strömten an den folgenden Montagen zu Tausenden auf die Straßen. Die Bürger der DDR brachten eine Revolution ins Rollen, die noch Monate vorher in der vollkommen „bewegungsfeindlichen“[xxx] DDR kaum denkbar schien. Sie schufen eine Revolution, die, abgesehen von den Krawallen in Dresden, vollkommen gewaltfrei verlief und in der Tradition der Revolutionen Europas aus diesem Grund einzigartig ist.

[i] Dudenredaktion. Duden Deutsches Universalwörterbuch 7.,überarbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim: Bibliographisches Institut GmbH, 2011. „Revolution“.

[ii] Griewank, Karl (1955): Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung, Weimar. 5.

[iii] Griewank, K. 7.

[iv] Duden, „Gewalt“.

[v] Baule, Bernward (1991): „Wir sind das Volk!“ Politische Bedingungsfelder der Freiheitsrevolution in der DDR, 17.

[vi] Timmer, Karsten (2000): Vom Aufbruch zum Umbruch. Die Bürgerbewegung in der DDR 1989, Göttingen. 80.

[vii] Timmer, K. 82.

[viii] Timmer, K. 80.

[ix] vgl. Timmer, K. 80

[x] vgl. Timmer, K. 82.

[xi] vgl. Bruckmeier, Karl (1993):Entwicklung der Bürgerbewegung 1989-1991. in: Haufe, Gerda; Bruckmeier, Karl (Hrsg.): Die Bürgerbewegung in der DDR und in den ostdeutschen Ländern, Opladen, 9-28. 24.

[xii] Timmer, K. 87.

[xiii] Timmer, K. 87.

[xiv] vgl.Timmer, K. 89.

[xv] vgl. Baule, B. 34.

[xvi] vgl. Timmer, K. 93.

[xvii] vgl. Baule, B. 24.

[xviii] vgl. Timmer, K. 84.

[xix] vgl. Timmer, K. 99.

[xx] vgl. Timmer, K. 100.

[xxi] vgl. Timmer, K. 102.

[xxii] vgl. Timmer, K. 103.

[xxiii] Timmer, K. 109.

[xxiv] vgl. Timmer, K. 113.

[xxv] vgl. Bruckmeier, Karl (1993):Die Bürgerbewegung der DDR im Herbst 1989. in: Haufe, Gerda; Bruckmeier, Karl (Hrsg.): Die Bürgerbewegung in der DDR und in den ostdeutschen Ländern, Opladen, 9-28. 32.

[xxvi] vgl. Timmer, K. 116.

[xxvii] Timmer, K. 117.

[xxviii] vgl. Timmer, K. 118.

[xxix] vgl. Timmer, K. 120.

[xxx] Timmer, K. 121.

Quelle: http://revolution1989.hypotheses.org/78

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Arabische Revolution 2011: Wie viel Veränderung ist möglich?

  Vor fast genau zwei Jahren begannen die Ägypter mit ihrer Protestbewegung, die schließlich in der Revolution und im Sturz ihres ehemaligen Präsidenten Mubarak münden sollte. Auch mich haben die Bilder der standhaften Demonstranten auf dem Kairoer Tahrir-Platz beeindruckt. Sie waren so entschlossen, wirklich etwas zu verändern. Und ich habe dabei auch oftmals an die erfolgreiche Friedliche Revolution 1989 in der DDR gedacht, die vorher auch kaum jemand für möglich gehalten hätte. War der so genannte „arabische Frühling“ für die Menschen dort wirklich so eine Befreiung wie der 1989 durch die Revolution ermöglichte Mauerfall für die Menschen in der DDR? Um diese Fragen beantworten zu können, ist eine differenzierte Betrachtung notwendig, die die kulturellen Hintergründe dieser Region einbezieht. Historische Hintergründe In den Tagen der arabischen Revolution 2011 war viel davon die Rede, dass die Araber erst die Aufklärung nachholen müssen, bevor eine Demokratisierung stattfinden kann. Doch der tunesische Literaturwissenschaftler Sarhan Dhouib betonte bei seiner Ringvorlesung an der Leuphana Universität Lüneburg am 18. Januar 2013 mit dem Titel „Europa von außen gesehen: Eine arabisch-islamische Perspektive“, dass es seit dem 19. Jh. aufklärerische und säkulare Tendenzen in der arabischen Welt gegeben habe. Bereits in dieser Zeit, so Dhouib, hätten arabische Intellektuelle nach europäischem Vorbild Ideen für säkulare, auf rechtsstaatlichen Prinzipien aufbauende Verfassungen entwickelt. Es hat also Ansätze der Aufklärung gegeben, sie konnten sich nur nicht durchsetzen. Der heute für so viel Konfliktstoff sorgende Islamismus entstand erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Dabei handelt es sich um eine politische Bewegung, die die religiösen Gefühle der Menschen gezielt instrumentalisiert. Von Anfang an verstand sich der Islamismus als Gegenbewegung zu diversen Reformen Anfang des 20. Jahrhunderts – er wandte sich insbesondere gegen die umfassende politische Neuordnung nach der Säkularisierung und der Abschaffung des Sultanats in der Türkei. Abgesehen von den technischen Errungenschaften lehnten die Islamisten alle modernen Werte und die daraus resultierenden politischen Perspektiven ab. Einen Aufschwung erlebt der Islamismus vor allem am Ende des 20. Jahrhunderts infolge der fortschreitenden Unzufriedenheit und Desorientierung vieler Menschen in den arabischen Ländern: Migration und Digitalisierung bieten zudem noch nie da gewesene Kommunikationsmöglichkeiten an. Mit der Islamischen Revolution im Iran von 1979 gelang es den Islamisten erstmals, in Regierungsverantwortung zu gelangen. Spätestens seit den verheerenden Anschlägen vom 11. September 2001 dominierten diese Eindrücke das Bild von den Arabern und vom Islam in der westlichen Welt. Die säkulare Gegenbewegung entwickelte sich allerdings ebenfalls in eine totalitäre, die Menschen unterdrückende Richtung. Ebenfalls in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich der so genannte Panarabismus. Diese Ideologie strebte nach der Vereinigung aller arabischen Länder. Wichtig war hier nicht die Religion, sondern der Nationalismus. Infolge des Panarabismus entstanden in vielen Ländern – unter anderem in Tunesien, in Ägypten, in Libyen, in Syrien oder im Jemen – totalitäre Regime, die jahrzehntelang das eigene Volk terrorisierten. Viele von ihnen wurden durch die Revolutionen von 2011 zu Fall gebracht. Die Welle der Revolution schwappt über die arabischen Länder Was das Fass schließlich zum Überlaufen brachte Jahrzehntelang hatten sich die Menschen in Ägypten, Tunesien, Libyen und Syrien eher aus Pragmatismus, denn aus Begeisterung den Verhältnissen in ihren Ländern angepasst. Von den einst vollmundig propagierten Visionen des Sozialismus und der arabischen Einheit war schon längst nichts mehr übrig geblieben. Stattdessen herrschten Korruption und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit. Mächtige Geheimdienst-Apparate schüchterten die Menschen ein und versuchten, jede Kritik im Keim zu ersticken. Doch auf einmal spielten die Menschen dieses ganze Spiel nicht mehr mit. Anzeichen dafür, dass etwas ins Rollen kam, hatte es bereits im Sommer 2010 gegeben, als die Ägypter die in ihrem Land herrschende Polizei-Willkür nicht mehr hinnehmen wollten. Es kam verstärkt zu Solidaritätsbekundungen für deren Opfer. Als der 28-jährige Khaled Said auf offener Straße zu Tode geprügelt wurde, bekundeten zahlreiche Menschen via Internet ihre Anteilnahme. Der offene Protest nahm im Dezember 2010 in Tunesien seinen Anfang. Ein junger Gemüsehändler, der die andauernden staatlichen Schikanen in seinem Berufsalltag nicht mehr ertrug, verbrannte sich am 26. Dezember 2010 selbst. Dieser öffentliche Selbstmord war die Initialzündung für landesweite Demonstrationen gegen die schlechten Zukunftsperspektiven. Offen entlud sich der Unmut über die Korruption und die desolate Wirtschaftslage. Protest-Aufrufe verbreiteten sich in Windeseile auf Web 2.0-Plattformen wie Facebook und Twitter. Die Protest-Lawine war ins Rollen gekommen und sie war kaum noch aufzuhalten. Initialzündung aus Tunesien Die Umwälzung der politischen Verhältnisse vollzog sich in den Tagen um den Jahreswechsel 2010/2011 herum praktisch unbemerkt von der internationalen Gemeinschaft. Demonstrationen weiteten sich zu Volksaufstand aus und erfassten schließlich das ganze Land. Am 14. Januar 2011 überschlugen sich die Ereignisse. In einer eigens anberaumten Rede kündigte Ben Ali seinen Rücktritt bis 2014 an. Doch damit wollten sich die Demonstranten nicht mehr abfinden. Noch am selben Tag reist Präsident Ben Ali unter dem Druck der Straße in sein ausländisches Exil ab. Am 17. Januar wird eine Übergangsregierung gebildet. Damit war die Ära Ben Ali nach mehr als 30 Jahren zu Ende. Alles in allem lässt sich sagen, dass sowohl die Regierung als auch die ihr unterstellten Sicherheitsorgane von den Vorgängen vollkommen überrumpelt wurden. Darauf, dass alles so schnell ging, war es wohl auch zurückzuführen, dass Tunesien das einzige Beispiel einer wirklich friedlichen Revolution in der arabischen Welt darstellte. Mit den neuen, im Internet organisierten Protestformen war das Regime offensichtlich überfordert. Die Revolution in Tunesien zeigte auf, wie schnell es möglich war, die politischen Verhältnisse für immer zu verändern. Ägypten setzt ein Ausrufezeichen Der Funke, der aus Tunesien nach Ägypten übersprang, entflammte auch dort die revolutionäre Bewegung. Am 25. Januar 2011 entlud sich bei einem so genannten „Tag des Zorns“ der ganze, über Jahre angestaute Unmut über das seit 30 Jahren festgefahrene autokratische System in offenem Protest. Gleichzeitig fanden in verschiedenen Städten des Landes Massendemonstrationen mit Tausenden von Teilnehmern statt. Bereits am folgenden Tag schlug das Mubarak-Regime zurück. Der Tahrir-Platz wurde unter Einsatz von Wasserwerfern geräumt. Es folgte die erste Verhaftungswelle. Darüber hinaus blockierte das Regime wichtige Social Media-Plattformen, um der Protestbewegung ihre Kommunikationsbasis zu entziehen. Doch davon ließen sich die Demonstranten nicht mehr abhalten, als der Protest bereits ins Rollen gekommen war. Schon am 28. Januar 2011 begann die entscheidende Phase der ägyptischen Revolution. Erstmals schaltete sich die Armee ein, um einen Ausgleich zustande zu bringen. Gleichzeitig distanzierten sich die Streitkräfte vom Mubarak-Regime. Ende Januar setzten sich die Demonstranten dauerhaft auf dem Tahrir-Platz – dem Zentrum ihres Protests – fest. Dort herrschte Augenzeugenberichten zufolge eine nie gekannte euphorische und gelassene Stimmung, die erstmals einen freien und offenen Dialog der verschiedenen politischen Lager ermöglichte. Konsequent und entschlossen forderten die Demonstranten den Rücktritt Mubaraks als Staatschef. Dieser verlor unterdessen auch im Ausland an Rückhalt, als US-Präsident Barack Obama erstmals die Notwendigkeit eines Regierungswechsels in Ägypten andeutete. Gewalt war das letzte Mittel, das dem um seine Macht kämpfenden Autokraten noch blieb, als der Kampf schon längst verloren war. Anfang Februar 2011 schickte Mubarak seine aus den Armenvierteln Kairos rekrutierten Schlägertrupps gegen die Demonstranten los. Die folgenden Gewaltexzesse forderten einem Untersuchungsbericht vom 19. April 2011 zufolge 846 Menschenleben. Darüber hinaus waren 6.467 Verletzte zu beklagen. Doch von all dem Terror ließen sich die Demonstranten nun nicht mehr einschüchtern und blieben standhaft. Gewaltfrei harrten sie auf dem Tahrir-Platz aus. Unterdessen schwand Mubaraks Rückhalt bei der Armee und bei den Verbündeten im Ausland weiter dahin. Die Rede des Präsidenten vom 10. Februar 2011 entpuppte sich nicht als der von ihm erhoffte Befreiungsschlag. Mit vagen Reformversprechen sowie mit der Ankündigung seines Rücktritts nach den Wahlen im September konnte er sein Volk nicht mehr erreichen. Im Gegenteil: Der Unmut über diese Rede schürte den Protest weiter. Am folgenden Tag, dem 11. Februar 2011 konnte die Opposition mehr Menschen als jemals zuvor für ihre Protestkundgebungen im ganzen Land mobilisieren. Am späten Nachmittag gab Mubarak dem Druck der Straße nach und kündigte seinen Rücktritt an. Damit war die Ära Mubarak nach 30 Jahren zu Ende gegangen. Mit ihrem gewaltfreien Massenprotest hatten die Demonstranten das Regime schließlich in die Knie gezwungen. Die erfolgreiche Revolution in Ägypten setzte ein deutliches Zeichen für Veränderung, zumal das Land am Nil als kulturelles und gesellschaftliches Zentrum der arabischen Welt gilt. Die Schattenseite der arabischen Revolution: Bürgerkriege in Libyen und Syrien Schließlich erreichte der Funke der Revolution auch die als besonders brutal geltenden Diktaturen in Libyen und Syrien. Doch diese Regime verstanden es, die Revolutionäre in blutige Bürgerkriege mit unabsehbaren Folgen zu verwickeln. Was auch in diesen Ländern als friedliche Revolution geplant war, versank in brutalster Gewalt. Relativ schnell nach dem Sturz Mubaraks in Ägypten erreichte die Revolution auch das benachbarte Libyen. Bereits am 17. Februar 2011 kam es auch dort zu einem „Tag des Zorns“. Doch das Gaddafi-Regime reagierte sofort mit brutalster Gewalt. Es folgten gezielte Bombenangriffe gegen wehrlose Demonstranten. Angesichts dieser Gewaltexzesse entschloss sich die libysche Opposition dazu, den Weg des friedlichen Protests zu verlassen und ihre Anhänger gewaltsam gegen derartige Übergriffe zu verteidigen. Bereits bis zum 23. Februar 2011 war es den Rebellen gelungen, die Kontrolle über den Ostteil Libyens zu erlangen. Doch was nun folgte war ein von immer brutalerer Gewalt gekennzeichneter Bürgerkrieg. Nach erneuten schweren Bombenangriffen erließ der UN-Sicherheitsrat am 18. März eine Resolution zur Einrichtung einer Flugverbotszone, die die Zivilbevölkerung vor weiteren Bombardements schützen sollte. Zu deren Durchsetzung griff die Nato militärisch in den Konflikt ein. Mit Hilfe dieser Unterstützung aus dem Ausland gelang es den Rebellen schließlich im Sommer 2011, den Bürgerkrieg nach erbitterten Kämpfen für sich zu entscheiden. Ende August war auch das Gaddafi-Regime nach mehr als 40 Jahren entmachtet. Doch der Preis, der hier zu bezahlen war, war mit Zehntausenden von Kriegsopfern außerordentlich schmerzlich. In den Monaten erbitterter Kämpfe hatten die Rebellen sich ihrerseits Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen schuldig gemacht. Gaddafi wurde schließlich im Oktober 2011 von Rebellen hingerichtet. Nur einen Tag später als in Libyen begannen am 18. Februar 2011 auch in Syrien Proteste gegen die Regierung, die sich im März spürbar ausweiteten. Auch hier reagierte das Assad-Regime mit brutalster Gewalt gegen die eigene Zivilbevölkerung. Es kam ebenfalls zu einem Bürgerkrieg, der den in Libyen in seiner Grausamkeit noch übertreffen dürfte. Hier kam es aufgrund der geostrategischen Lage im Spannungsfeld des Nahostkonflikts nicht zu einer Intervention aus dem Ausland. Das Assad-Regime ist entschlossen, seine Macht bis zum Letzten zu verteidigen. Kreativität und Selbstwirksamkeit in den arabischen Protestbewegungen Schon in der Phase ihrer Entstehung setzten die neuen arabischen Protestbewegungen auf die Breitenwirkung der aufkommenden Social Media-Plattformen. So konnten sie ihre Kritik an den Regimen und ihre politischen Botschaften an der Zensur vorbei einer breiten Masse zugänglich machen. Darüber hinaus ermöglichten die Plattformen des Web 2.0 den Aktivisten die Mobilisierung ihrer Anhänger für Demonstrationen. Außerdem versetzten diese neuen Kommunikationsformen die Protestbewegung schnell in die Lage, sich zu vernetzen, um auf Maßnahmen von Seiten der Regime, die sie bekämpften, reagieren zu können. Angesichts der Brutalität der Unterdrückungsapparate von Seiten der Regierungen entwickelten die Demonstranten kreative und höchst wirkungsvolle Formen des Protests, die nicht so schnell auszuschalten waren. So vereinbarten sie durch Vernetzung im Internet und durch Handys Spontan-Kundgebungen, die sich ebenso schnell wieder auflösten, wie sie sich formiert hatten. Charakteristisch für die Protestbewegung in den arabischen Ländern war auch die gezielte Besetzung wichtiger Plätze, auf denen die Demonstranten dann tagelang gewaltfrei ausharren konnten. In der Übergangsphase, in der das alte Regime schon im Untergang begriffen war, ein neues politisches System sich aber noch nicht gefestigt hatte, war es für die Menschen wichtig, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Dazu entwickelten sie neue zivilgesellschaftliche Organisationsformen, die frei von allem ideologischen Ballast das Nötige für das Überleben der Menschen taten. In der chaotischen Phase des Übergangs bewachten Nachbarschaftskomitees Häuser und Wohnungen, um sie vor Plünderern zu schützen. Darüber hinaus kümmerten sich Nachbarn auch darum, die Menschen, die auf dem Tahrir-Platz und auf anderen öffentlichen Plätzen ausharrten, mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen. Innerhalb der revolutionären Bewegungen waren erhebliche politische und religiöse Differenzen zu überwinden. Das gemeinsame Ziel aller Gruppen ermöglichte in den Revolutionstagen einen Zusammenhalt. Dass sich dieser für die folgende Zeit als wenig tragbar erwies, stellte sich  bereits in den Monaten nach dem Umsturz heraus. Herausforderungen des Neubeginns Derzeit ist die Situation in der arabischen Welt von großen Unsicherheiten geprägt. Die Orientierungslosigkeit entsteht dadurch, dass das Alte zwar definitiv vorbei ist, aber noch nicht klar zu erkennen ist, wie sich die weitere Entwicklung gestalten wird. Die derzeitige verworrene Lage erinnert an die Lage in Europa 1918. Demokratische Reformen werden nur von einer kleinen, meist aus dem gehobenen Bildungsbürgertum stammenden Minderheit befürwortet. Diese Bevölkerungsschicht hatte einen maßgeblichen Anteil an der Revolution. Doch es ist ihr auch zwei Jahre nach dem Ende der Diktaturen nicht gelungen, eigene Organisationsstrukturen sowie ein tragfähiges politisches Programm zu entwickeln. Für die breite, politisch weitgehend orientierungslose Masse der Bevölkerung sind die einfachen Lösungen und Patentrezepte von Islamisten, die vermeintlich Sicherheit versprechen, oftmals attraktiver als mühsame demokratische Prozesse. Wie das Beispiel Ägypten zeigt, werden in einem solchen System die Freiheitsrechte des Einzelnen – vor allem der Christen und der Frauen – massiv eingeschränkt. Inwieweit die davon in ihren Freiheiten beeinträchtigten Teile der Bevölkerung diese Mehrheitsentscheidung hinnehmen müssen, darüber ist in Ägypten ein heftiger, von Gewaltexzessen begleiteter Konflikt entbrannt, dessen Ausgang offen ist. Das Gewaltpotential, das diese Auseinandersetzungen beinhalten, ist möglicherweise sogar dazu angetan, die Errungenschaften der Revolution zumindest teilweise rückgängig zu machen. Das zeigt sich beispielsweise an der Wiedereinführung des Ausnahmezustandes in drei ägyptischen Städten fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Beginn der Revolution. Wenngleich die Konflikte in Tunesien auf kein derart breites Echo in der Medien-Öffentlichkeit stoßen wie diejenigen in Ägypten, so sind sie doch ebenfalls brisant. Auch dort werden liberale Kultureinrichtungen zum Ziel von Übergriffen extremistischer Salafisten, ohne dass die vermeintlich „moderat“ islamistische Regierungspartei „Ennahda“ dem etwas entgegensetzt. In Libyen ist man zusätzlich zu diesen Herausforderungen auch noch mit der Bewältigung der Kriegsfolgen – vor allem dem Wiederaufbau der Infrastruktur und dem Einsammeln aller illegalen Waffen aus den Arsenalen von Gaddafi beschäftigt. Weite Teile des Wüstenstaates drohen zu einem Rückzugsraum mir islamistische Terroristen zu verkommen. Syrien befindet sich immer noch in einem brutalen Bürgerkrieg, der von täglich neuen Gräueltaten aller Seiten geprägt ist. Doch auch diejenigen Länder, die nicht wie Libyen oder Syrien unter Kriegsfolgen zu leiden haben, kämpfen mit einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Technologisch haben die arabischen Staaten in vielen Bereichen den Anschluss an den Westen, aber auch an Indien, China und die südostasiatischen Länder verloren. Auch der Tourismus, von dem gerade Tunesien und Ägypten abhängig sind, ist infolge der von Unruhen und Gewaltausbrüchen geprägten instabilen Lage eingebrochen. Darüber hinaus wird die Wirtschaftskraft dadurch beeinträchtigt, dass viel Geld in den dunklen Kanälen der Korruption versickert. Diese korrupten Strukturen, die infolge der Revolution nur zu einem kleinen Teil beseitigt werden konnten, führen zu einer sehr ungerechten Verteilung der ohnehin knappen wirtschaftlichen Ressourcen. Die Sicherung der Lebensgrundlagen für alle gesellschaftlichen Schichten ist eine Grundvoraussetzung für dauerhaften sozialen Frieden und politische Stabilität. Doch um Unterdrückung, Konflikte und Gewalt wirklich hinter sich zu lassen, sind noch weitaus tiefer greifende Veränderungen in der Einstellung der Menschen notwendig. Die Zensur im Denken zu überwinden ist seit 2011 eine der größten Herausforderungen. Oftmals tritt heute der in seinem Wesenskern totalitäre Islamismus an die Stelle der ideologischen Vorgaben der gestürzten autokratischen Regime. Die einfachen Antworten im Schwarz-Weiß-Denken sorgen für vermeintliche Sicherheit in einer Zeit der Orientierungslosigkeit. Erst wenn die arabischen Gesellschaften den Mut entwickeln, die Freiheit und die Würde eines jeden einzelnen Menschen unabhängig von seiner Religion, seiner Herkunft oder seines Geschlechts zu respektieren, wird es einen Ausweg aus der Unterdrückung geben. Der „arabische Frühling“ wird erst dann zur Realität, wenn die Menschen die Verantwortung für ihr Schicksal selbst übernehmen, anstatt fatalistisch auf die Segnungen einer vermeintlich gottgewollten Ordnung zu hoffen. Was unterscheidet die Revolutionen in der arabischen Welt 2011 von der Friedlichen Revolution 1989 in der DDR? Noch heute stehen die Friedliche Revolution 1989 in der DDR und der durch sie ermöglichte Mauerfall für einen sehr ermutigenden Wendepunkt in der deutschen und europäischen Geschichte. 2011 war viel vom so genannten „arabischen Frühling“ die Rede, von dem man sich eine ähnlich positive Wende der Entwicklungen in den arabischen Ländern erwartete. Doch nicht nur in Hinblick auf das Bürgerkriegsland Syrien, sondern auch hinsichtlich der von Gewalt begleiteten politischen Spannungen in Ägypten heißt es heute oft, der „arabische Frühling“ habe sich zum „arabischen Winter“ entwickelt. Heute, da die erste Euphorie verflogen ist, werden die Unterschiede zur Friedlichen Revolution 1989 in der DDR immer deutlicher:
  • Auch wenn es in der ehemaligen DDR in der Umbruchsphase ebenfalls zu erheblichen Enttäuschungen und Frustrationen kam, entluden sich diese nicht in Gewalt. Dagegen wird die Neuordnung in den arabischen Ländern seit der Revolution 2011 – aktuell besonders massiv in Ägypten – wiederholt von gewaltsamen Unruhen begleitet. Selbst wenn es 2011 noch zu gewaltfreien Protesten kam, kann diese Entwicklung heute im Ganzen betrachtet nicht mehr als friedliche Revolution bezeichnet werden.
  • Die neuen politischen Strukturen mussten in der DDR nicht neu erfunden werden. Durch den Zusammenschluss mit der BRD konnte man deren seit Jahrzehnten bewährtes politisches System übernehmen und somit schnell rechtsstaatliche Grundlagen schaffen. Für die arabischen Staaten mit ihrer kolonialen Vergangenheit ist Europa dagegen kein Vorbild. Sie stehen somit vor der Herausforderung, ihr eigenes System zu entwickeln.
  • Im Gegensatz zur ehemaligen DDR in der Umbruchsphase nach 1989 spielt die Religion in den arabischen Ländern als politischer Faktor eine zentrale Rolle. Vermeintlich gottgewollte Regeln und Vorschriften verschärfen die Gegensätze zu Minderheiten und fördern deren Ausgrenzung. Anders als in der DDR, wo die christlichen Kirchen den gewaltfreien Protest unterstützten, tritt der politische Islamismus in der arabischen Welt als gewaltfördernder Faktor in Erscheinung.
  • Zwar waren die wirtschaftlichen Verhältnisse in der ehemaligen DDR in der Wendezeit schwierig. Doch fehlte es der dortigen Bevölkerung im Gegensatz zu derjenigen in den arabischen Ländern niemals am Lebensnotwendigen. In vielen arabischen Staaten hat sich die Armut durch die Revolution noch weiter verschärft, so dass viele Menschen den Verlust ihrer existentiellen Lebensgrundlagen fürchten müssen.
   

Quelle: http://revolution1989.hypotheses.org/68

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