„Creating Rurality from Below“

 

Ich hatte es vor einiger Zeit schon mal erwähnt: Am vergangenen Wochenende fand in Bamberg eine interdisziplinäre und internationale Tagung statt, organisiert von Marc Redepenning, Julia Rössel und Christoph Baumann, alle drei Sozial- und KulturgeographInnen.

Tagungsposter; http://www.blogs.uni-mainz.de/fb09cultural-geography/events-and-conferences/rurality-new-perspectives-and-themes/; alle Rechte dort.http://www.blogs.uni-mainz.de/fb09cultural-geography/events-and-conferences/rurality-new-perspectives-and-themes/

Diskutiert wurde, wie man mit einem relationalen Verständnis von Ländlichkeit diese diskutieren und analysieren kann. Ich war eingeladen und durfte netterweise erste Überlegungen zu einem Kapitel meiner Habilitation zu den „Übergangsgesellschaften“ vorstellen.

Die Tagung war für mich sehr interessant und in vielerlei Hinsicht anregend. Nicht nur, dass ich sehr nette Menschen kennengelernt und interessante Gespräche geführt habe, ich habe auch einen ganzen Haufen methodischer und theoretischer Anregungen bekommen und war ganz überrascht von dem Werkzeugkoffer, mit dem manche Geograph/innen so unterwegs sind – sehr beeindruckend! Dass darüber hinaus mein Vortrag gut angekommen ist, ist natürlich ganz besonders toll und gibt mir einen kräftigen Motivationsschub!

Im Folgenden gebe ich nun eine Kurzfassung meines Vortrages wieder; wer an einer ausführlicheren Fassung interessiert ist: Ich bin dabei, einen Aufsatz daraus zu machen und werde selbstverständlich Bescheid geben, wenn er irgendwo erscheint.

 

„Ländlichkeit“ ist ein Konzept, das in der Geschichtswissenschaft in der Regel nur vermittelt eine Rolle spielt. Untersucht die Geschichtswissenschaft agrarische Gesellschaften, wird in der Regel das Charakteristikum „Ländlichkeit“ als Kennzeichen der untersuchten Gesellschaft vorausgesetzt, nicht aber selbst zu einem Gegenstand der Untersuchung gemacht. Untersucht man jedoch – und das ist in der Vergangenheit bereits ausgiebig unternommen worden – die Konstruktion von Ländlichkeit, so rücken vor allem bürgerliche, städtische Akteure in den Blick, etwa die „Agrarromantiker“, von denen Bergmann 1971 schrieb. Ländlichen Gesellschaften selbst schienen von diesen Ländlichkeitskonstruktionen weitestgehend unberührt zu sein; sie existierten quasi in einer anderen Sphäre.

Ich habe im Rahmen des Vortrags diese Forschungen insofern erweitert, als dass ich ländliche Gesellschaften als „Kontaktzonen“ in bestimmten Prozessen sichtbar mache. Kontaktzone – das ist ein Konzept, das vor allem in der post-kolonialen Forschung zu Globalisierungsprozessen eine Rolle spielt und erst langsam, vor allem vermittelt über Emily Rosenberg, seinen Weg in die Geschichtswissenschaft findet. Kontaktzonen sind in diesem Zusammenhang soziale Räume, die durch die Konfrontation und den Kontakt heterogener Interessen bestimmt sind, vor allem aber durch Hierarchien, Machtverhältnisse und die unterschiedliche Verteilung von Handlungsspielräumen gekennzeichnet sind. So kann man auch ländliche Gesellschaften als Kontaktzonen der Konstruktion von Ländlichkeit sichtbar machen.

In zwei Schritten bin ich anschließend diesem Konstruktionsprozess vor Ort, am Beispiel von Bernried, nachgegangen: am Beispiel von Heimatschutz-Gesetzgebung und der Förderung des Tourismus. Bernried eignet sich hervorragend für die Analyse dieser Beispiele – oder andersrum: Die Beispiele sind abgeleitet vom Bernrieder Fall, sicherlich wären auch andere Situationen denkbar, in denen Ländlichkeitskonstruktionen sichtbar gemacht werden könnten. Aber Bernried als früher Sommerfrische-Ort und Sinnbild eines (vermeintlich) unberührten oberbayerischen Dorfes im Voralpenland zeigt genau an diesen Stellen, wo Kontakte über die Dorfgrenzen hinaus bestehen, die exemplarisch analysiert werden können.

1. Zu diesem ersten Abschnitt habe ich bereits einen kurzen Text geschrieben. Wenn man den Maßnahmen zur Pflege heimischer Bauweise genauer nachgeht, stellt man schnell fest, dass diese zunächst (mindestens im Zeitraum bis zum Ersten Weltkrieg) vor Ort keine Relevanz hatten – oder anders gesagt: Es gab keine Baugenehmigungen, die ausgehend von der Heimatschutzgesetzgebung zum Schutz heimischer Bauweise nicht genehmigt oder nur unter Auflagen genehmigt worden wären. Aber sichtbar wird auch: Gebaut haben in Bernried in dieser Periode fast nur Städter – vor allem Angehörige des Bürgertums (vermute ich; fast alle von ihnen trugen Doktortitel), und zwar vor allem repräsentative Sommervillen, die sich ziemlich stark von der örtlichen Bauweise unterschieden. Und in der Regel waren das Entwürfe, die von einem orthodoxen Heimatschützer sofort kassiert worden wären – historizistischer Stilmix aus Folklore und Türmchen und Erkerchen. Es passierte aber nichts. Was kann man daraus schließen?

Entweder geht man davon aus: Okay, Heimatschutzgesetzgebung hat keinen Effekt, sie versandet irgendwo auf dem Weg von oben nach unten. Oder aber man fragt sich: Warum hat denn die Gemeindeverwaltung, die zuständig gewesen wäre für die Einhaltung der ortspolizeilichen Vorschriften, nicht interveniert? Dann wird das Nicht-Intervenieren zu einer aktiven Handlung, die mit bestimmten Motivlagen verknüpft sein könnte: etwa der Abwägung von monetären Interessen der Gemeinde (neue Grundsteuer-Zahler) mit ideellen (Heimatschutz); oder aber auch das bewusste Ignorieren von Heimatschutzvorstellungen, die den eigenen widersprechen (auch hierfür gibt es Hinweise). Wichtig ist also: Anhand der Heimatschutz-Gesetzgebung und ihrer (Nicht-)Umsetzung kann analysiert werden, dass die Möglichkeiten, das architektonische Bild des Dorfes zu beeinflussen, sehr ungleich verteilt waren. Die Heimatschutz-Propheten waren nicht besonders erfolgreich. Wie „erfolgreich“ oder nicht hingegen die örtlichen Akteure waren, findet man nur heraus, wenn man ihre Zielsetzungen kennt. Und es scheint zumindest möglich, dass sie – gemessen etwa an der Zielsetzung, möglichst viele Steuerzahler nach Bernried zu holen und diese nicht etwa mit irgendwelchen Bauordnungen zu verschrecken – durchaus erfolgreich waren.

2. Beinahe gleichzeitig mit der Implementierung der Heimatschutzgesetzgebung begann man in Bernried damit, den Ort für Touristen attraktiver zu machen. Zwar war Bernried auch schon vor der Wende zum 20. Jahrhundert ein Ort gewesen, an dem der eine oder andere prominente Münchner seine Sommerfrische verbracht hatte, schien es doch den örtlichen Verantwortlichen sinnvoll zu sein, einen Verein zu gründen, um Bernried attraktiver zu machen. Der „Dorfverschönerungsverein“ hatte es sich vor allem zur Aufgabe gemacht, Fußwege im Ortsbereich anzulegen, Baumalleen und schattige Wälder zu pflanzen sowie Parkbänke aufzustellen. Ganz offensichtlich war es also das zentrale Anliegen des Vereins, Bernried zu einem attraktiven Ort für eine zutiefst bürgerliche und touristische Aktivität zu machen: für den Spaziergang. Der erste Ansatz war, eine Promenade am Seeufer anzulegen. Dass dies letztlich am Widerstand des örtlichen Gutsbesitzers scheiterte, ist eine komplizierte Geschichte – offenbar befürchtete dieser, sein ländliches Gut werde an Wert verlieren, wenn ein öffentlicher Spazierweg darüber führte. Auch hier also waren die Chancen zur Gestaltung des Dorfes unterschiedlich verteilt; interessant erscheint darüber hinaus, dass der örtliche Verschönerungsverein nicht das architektonische (oder Kultur-)Bild des Ortes zu konservieren versuchte, sondern vor allem die „natürlichen“ Voraussetzungen des Ortes – die Naturnähe, den Ausblick etc. – durch Baumaßnahmen besonders hervortreten lassen wollte. Ländlichkeit wurde hier also vor allem über Natürlichkeit zu konstruieren versucht.

Es wird klar, dass man auch auf der Mikroebene die Herausbildung von Ländlichkeit beobachten kann – und sollte. Die Herausbildung war aber weder einfach durch städtische Akteure determiniert noch von den ländlichen Akteuren komplett steuerbar. Die Möglichkeiten, Ländlichkeit aktiv zu konstruieren und dauerhaft im Ortsbild zu verankern, waren sehr ungleich verteilt. Eine Analyse der „Kontaktzone Dorf“ nimmt also diese unterschiedlichen Vorstellungen und Verwirklichungschancen in den Blick, ohne bereits davon auszugehen, dass am Ende die „städtischen“, weil mit mehr Machtmitteln ausgestatteten Akteure als „Sieger“ aus der Schlacht hervorgingen. Zudem wurde sichtbar, dass nicht alle Formen der Ländlichkeits-Konstruktion schlichte Romantisierungen des Landlebens waren, sondern dass darüber hinaus auch eine instrumentelle Variante bedacht werden muss. Ein Beispiel ist die „ländliche Natürlichkeit“, die der Dorfverschönerungsverein forcierte, und die zumindest zu einem Gutteil dazu dienen sollte, Touristen nach Bernried zu holen.

 

 

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/227

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Bayern, Deine Heimat

Den Anfang meines aktuellen Arbeitsfeldes machte ein Quellenschnipsel aus dem Protokollbuch der Gemeindeverwaltung:

Gemeindeverwaltung, Bernried am 21. Februar 1904. Gegenstand der Beschlußfassung auf Grund Art. 101 des Pol.-Str.-Ges.-B.
Auf Vortrag des Bürgermeisters und nach eingehender Beratung wurde mit allen Stimmen beschlossen, was folgt:
Die Gemeindeverwaltung Bernried erläßt auf Grund Art. 1,3 Ziffer 1 u. Art. 101 des Polizei-Straf-Gesetzbuches nachstehende ortspolizeiliche Vorschriften:
§1
Veränderungen im Innern oder am Äußeren von Gebäuden u. sonstigen baulichen Anlagen, wie Feldkapellen u. Denkmalen, von künstlerischer oder geschichtlicher Bedeutung, namentlich auch Änderungen an Fassaden mit alter Bemalung unterliegen der baupolizeilichen Genehmigung, auch wenn sie sonst nach der allgemeinen Bauordnung nicht genehmigungspflichtig werden.
§2
Bei allen Neubauten u. Umbauten ist darauf Bedacht zu nehmen, daß die Gebäude den heimischen Bauformen bzw. dem Charakter der Bauweise des Ortes angepaßt werden u. auf das Gesamtbild des Ortes und der nächsten Umgebung nicht störend wirken.
§3 Die Ortspolizeibehörde behält sich vor, gegebenen Falls nach Einvernehmen von Sachverständigen Änderungen an den Plänen anzuordnen, soweit dies möglich ist, ohne durch bedeutende Erhöhung der Kosten die Bauausführung unmöglich zu machen oder zu sehr zu erschweren.
[...] (Gemeindearchiv Bernried, B2/5, S. 1f.)

Schon auf den ersten Blick ist dieser Quellenschnipsel interessant, handelt es sich doch um ein Paradebeispiel für konservativ-konservierende Dorfpolitik. Dabei ist aber mindestens genauso interessant, dass offenbar der Anstoß für diese politische Regulierung des Bauens in Bernried nicht aus dem Dorf selbst kommt, denn die Grundlage ist ein bayerisches Gesetz, das nun Auswirkungen auf die Politik vor Ort hat.
Noch interessanter wird das Ganze aber auf den zweiten Blick, denn es handelt sich bei dieser Quelle um den lokalen Niederschlag einer größeren Bewegung, der Heimatschutzbewegung, die in ganz Deutschland aktiv war und Parallelen in anderen europäischen Ländern hat. Als Teil der bürgerlichen Reformbewegungen gehörte die Heimatschutzbewegung eher dem rechts-konservativen Lager an und hatte erhebliche Überschneidungen mit der Agrarromantik; sie vereinte Denk- und Naturschutz mit Volks- und Brauchtumspflege. Ihr Zentrum hatte die Heimatschutzbewegung im städtischen Raum unter akademisch geprägten Männern des Bürgertums. Hier aber wird sie auch Teil der politischen Wirklichkeit im Dorf.
Im Moment arbeite ich mich an diese Thema in zwei Richtungen ab:

  • Erstens rekonstruiere ich, welche Vorstellungen von Ländlichkeit und Moderne in der Heimatschutzbewegung verbreitet waren und in welcher Form diese Vorstellungen sich in administrativen Formen niederschlugen – nicht nur in Gesetzen, sondern auch in Vorschriften, Maßgaben für Bauämter etc.
  • Zweitens bin ich auf der Suche nach den Wirkungen der Vorschrift. Wurde sie – in Bernried und Umgebung vor allem – zur Anwendung gebracht? Welche Bauten wurden verhindert oder modifiziert? Gab es möglicherweise Konflikte, Auseinandersetzungen? Hier führt mich eine Spur besonders in die Richtung der Bauberatungen, die der Bayerische Verein für Volkskunst und Volkskunde e.V. seit 1904 anbot – mit wachsendem Erfolg.

Während die erste Perspektive also den Horizont erweitert, nach bayerischen, deutschen, möglicherweise sogar europäischen synchronen Prozessen und Entwicklungen fragt, ist die zweite Perspektive vor allem lokal, konzentriert auf Bernried und Umgebung, und durchaus nicht nur auf 1904. Vielmehr wird hier die Wirkungsgeschichte der Regelung verfolgt – und damit auch die Frage, welche Wirkungen die Makrogeschichte von Agrarromantik und nationalkonservativer Heimatideologie auf den ländlichen Mikrokosmos hatte. Das scheint mir ein vielversprechender doppelter Ansatz der mikrohistorischen Erforschung ländlicher Gesellschaften zu sein. Über exemplarische Ansatzpunkte versuche ich, die Verbindungen in die weitere Geschichte zu rekonstruieren – Verbindungen synchroner Art in die Makro-Geschichte, gleichzeitig auch diachrone Entwicklungslinien, die über die Wirkung dieser „Makro-Geschichte“ (wie der Heimatschutzbewegung) im Konkreten Aufschluss geben können.
Ich werde vermelden, wenn ich mit den Nachforschungen weiter gekommen bin – im Moment bin ich eingegraben in Akten, alte Zeitschriften und (mehr oder weniger) aktuelle Fachliteratur zum Thema.

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/114

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