Sevda Arslan hat das Programm für den Nachwuchstag der DGPuK im September in Bremen studiert. ...
IAMCR in Trumps Amerika
Vor kurzem noch undenkbar: Die International Association for Media and Communication Research (IAMCR...
IAMCR in Trumps Amerika
Vor kurzem noch undenkbar: Die International Association for Media and Communication Research (IAMCR...
Gesucht: Journalismus mit Weitblick
Uwe Krüger hat für Medienrealität das „Forum Weitblick“ besucht und die Z...
Ein fehlender deutsch-französischer kommunikationswissenschaftlicher Diskurs?
Warum nicht nur ein konkretes Thema in den Mittelpunkt des Blogs rücken, sondern auch das Fach an sich? Das ist doch viel zu groß! Ein viel zu weites Feld! Und es wurde doch schon so vieles gesagt! Allerdings fehlt etwas, genau genommen: ein Diskurs oder ein kommunikationswissenschaftlicher Austausch zwischen zwei Ländern. Obwohl Deutschland und Frankreich Nachbarländer sind und eine Menge Austausch- und Kooperationsvereinbarungen existieren, wird oft immer die gleiche Handvoll deutscher Autoren in französischen Arbeiten und dieselben französischen Autoren in deutschen Forschungen zitiert. Als ich das erste Mal in einer französischen Vorlesung saß, kannte ich keinen einzigen der genannten Autoren. Ich musste mir eingestehen, dass ich die französischsprachigen Fachzeitschriften nicht einsortieren konnte und welche Themen in der französischsprachigen Forschung gerade aktuell waren, hätte ich nicht sagen können. Seit diesem Zeitpunkt beschäftigt und begleitet mich die Auseinandersetzung mit zwei unterschiedlichen Forschungstraditionen, die doch eigentlich (zumindest geographisch) direkt nebeneinander liegen.
[...]
Quelle: http://kowisic.hypotheses.org/33
Ein fehlender deutsch-französischer kommunikationswissenschaftlicher Diskurs?
Warum nicht nur ein konkretes Thema in den Mittelpunkt des Blogs rücken, sondern auch das Fach an sich? Das ist doch viel zu groß! Ein viel zu weites Feld! Und es wurde doch schon so vieles gesagt! Allerdings fehlt etwas, genau genommen: ein Diskurs oder ein kommunikationswissenschaftlicher Austausch zwischen zwei Ländern. Obwohl Deutschland und Frankreich Nachbarländer sind und eine Menge Austausch- und Kooperationsvereinbarungen existieren, wird oft immer die gleiche Handvoll deutscher Autoren in französischen Arbeiten und dieselben französischen Autoren in deutschen Forschungen zitiert. Als ich das erste Mal in einer französischen Vorlesung saß, kannte ich keinen einzigen der genannten Autoren. Ich musste mir eingestehen, dass ich die französischsprachigen Fachzeitschriften nicht einsortieren konnte und welche Themen in der französischsprachigen Forschung gerade aktuell waren, hätte ich nicht sagen können. Seit diesem Zeitpunkt beschäftigt und begleitet mich die Auseinandersetzung mit zwei unterschiedlichen Forschungstraditionen, die doch eigentlich (zumindest geographisch) direkt nebeneinander liegen.
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Quelle: http://kowisic.hypotheses.org/33
Soziologiemagazin sucht kreative Unterstützung im Bereich Layout/Satz!
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Dinosaurier, Journalismus und Resilienz
In diesem Semester habe ich mit meinen Studenten einen Text von Eugenia Siapera und Andreas Veglis (2012) über die Zukunft des Online-Journalismus gelesen, der eine interessante Parallele zwischen Dinosauriern und Journalismus herstellt und uns an die Frage der Resilienz heranzuführen vermag.
In Anlehnung an die Evolutionstheorie folgt der Text folgender Argumentation: Wie die Dinosaurier mehr als 160 Millionen Jahre den Planeten bevölkerten, so dominierte der Print-Journalismus mehr als 300 Jahre unsere Welt. Beide Arten waren einer plötzlichen Bedrohung ausgesetzt. Im Falle der Dinosaurier führte ein Meteoriteneinschlag zum Aussterben der Spezies. Im Falle des Journalismus ist der Meteorit erst vor (vergleichsweise) kurzer Zeit eingeschlagen: Mit dem Aufkommen des Internets hat der Journalismus Schwierigkeiten, neue Funktionen zu entwickeln und sich an die veränderten Umweltbedingungen anzupassen. Er ist anhaltenden Belastungen unterworfen, die vor allem in der Medienkrise und der zunehmenden Kommerzialisierung begründet liegen. Demnach sind drei mögliche Zukunftsszenarien zu diskutieren: erstens das Aussterben der Art und die Entstehung einer vollkommen neuen Spezies, zweitens die Mutation bzw. die Entwicklung der Spezies in eine neue Richtung und drittens die Anpassung an die veränderte Umwelt. Für den Online-Journalismus sehen diese drei Optionen dann wie folgt aus:
a) Genese: Es entsteht eine neue Form des Journalismus mit eigenen Merkmalen, die sich sehr gut in die neue Umwelt einfügen. Neue Eigenschaften sind zum Beispiel Multimedialität, Hypertextualität und Interaktivität oder das Hinzukommen von User-generated Content.
b) Mutation: Der Journalismus mutiert und die Spezies entwickelt sich in eine neue Richtung, was auch mit Veränderungen der Umwelt einhergehen kann. Mutationen des Online-Journalismus sind zum Beispiel der Social-Media-Journalismus oder der Open-Source-Journalismus.
c) Resilienz: Durch eine Neuinterpretation journalistischer Eigenschaften und Werte passt sich der Journalismus an die neue Umwelt an. Da neue Technologien und neue Medien eine Fragmentierung des Publikums befördern, kann der Journalismus seine öffentliche Aufgabe nicht mehr wahrnehmen, sind die Bedürfnisse und Interessen des EINEN Publikums nicht mehr zu bestimmen und eine neue Definition der Funktionen und Strukturen des Journalismus ist vonnöten. Auch journalistische Werte und Eigenschaften wie Objektivität und Fairness, Glaubwürdigkeit und Autonomie sind einem Wandel unterworfen. Zudem durchdringen die zunehmende Unmittelbarkeit und Beschleunigung den Journalismus.
Siapera und Veglis (2012) benutzen nicht den Begriff der Resilienz. Es geht Ihnen auch weniger darum, diese drei Evolutionsmöglichkeiten eingehend zu diskutieren. Sie gebrauchen das Beispiel der Dinosaurier lediglich, um an die Thematik und die einzelnen Kapitel ihres Sammelbandes heranzuführen. Natürlich sind die oben genannten Autoren nicht die einzigen Sozialwissenschaftler, die sich von der Biologie inspirieren ließen. Auch Luhmann hat seinen System-Begriff aus der Biologie übernommen, wo es unter anderem darum geht, wie sich Systeme selbst erhalten.
Auch bei Resilienz geht es letztlich um genau diese Frage. Und wie der System-Begriff wird auch der Begriff der Resilienz von unterschiedlichen Disziplinen verwendet. Vor allem im Bereich der sozial-ökologischen Forschung ist in den letzten Jahren eine Fülle an wissenschaftlichen Beiträgen zum Thema Resilienz entstanden. Resilienz beschreibt die Fähigkeit eines Systems, Irritationen zu absorbieren und sich neu zu organisieren, während es einem Wandel unterworfen ist – mit dem Ziel, seine Identität zu wahren (Folke et al. 2010).
Für die Kommunikationswissenschaft bietet dieser Ansatz einen konzeptionellen Rahmen zur Untersuchung des medialen und kommunikativen Wandels und einen interessanten neuen Fokus für empirische Forschung. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf dem Aspekt der Stabilität, was die Betrachtung der Nachhaltigkeit eines solchen Systems ermöglicht (Alinovi et al. 2009). Im Grunde geht es in der Resilienz-Forschung um folgende Frage: Wie sehr können sich ein System, eine Organisation, ein Individuum verändern, ohne ihre Identität zu verlieren bzw. ihre Funktionen, ihre Strukturen und dazugehörige Rückkoppelungsprozesse soweit wie möglich beizubehalten (Walker et al. 2006).
Die Resilienz-Frage kann auf allen Stufen entlang des Kommunikationsprozesses Anschluss finden. So können beispielsweise das Mediensystem, Medienorganisationen, Journalisten oder Rezipienten im Zentrum der Betrachtung stehen. Zudem sind bei der Frage, was ein System (zum Beispiel Politik) resilient macht, stets auch die Medien mitzudenken. Resilienz stellt schließlich eine Eigenschaft dar, die die Anpassungsfähigkeit, Lernfähigkeit aber auch Widerstandsfähigkeit eines Systems oder besser einer Entität beschreibt. Das Resilienz-Konzept steht dabei nicht in Konkurrenz zu Konzepten wie Medialisierung oder Globalisierung, sondern kann die Forschung zum sozialen Wandel an dieser Stelle ergänzen. Darüber hinaus bietet es neue Möglichkeiten für praxisorientierte Studien. Auch ist diese Forschung nicht auf die Systemtheorie begrenzt. Disziplinübergreifend finden Konzepte wie das des Institutionalismus (Lebel et al. 2006, Dragos Aligica & Tarko 2014) vor diesem Hintergrund genauso Anwendung wie das des sozialen Kapitals (Sherrieb et al. 2010).
In der Kommunikationswissenschaft gibt es eine Reihe systemtheoretischer Entwürfe, die unterschiedliche Systemdefinitionen vorschlagen. Es herrscht nach wie vor Uneinigkeit, ob von einem System der Massenmedien (Luhmann 1996), dem Journalismus als sozialem System (Blöbaum 1994), der Öffentlichkeit als sozialem Funktionssystem (Gerhards 1994, Kohring 1997, Görke 2008) oder der politischen Kommunikation als System (Blumler & Gurevitch 1995) ausgegangen werden soll. Seit einiger Zeit versuchen Journalismusforscher vermehrt bestehende Theorien zusammenzuführen anstatt sich zunehmend voneinander abzugrenzen (vgl. Hanitzsch et al. 2007). Auf diese Weise hat neben Anthony Giddens’ Strukturationstheorie auch der Soziologe Uwe Schimank und sein Ansatz der Akteur-Struktur-Dynamiken im Fach an Bekanntheit gewonnen, der das „Schisma der Akteur-und Systemtheorien“ (Schimank 1988:619) zu lösen vermag. Schimanks Ansatz wertet den Akteur auf (Neuberger 2004) und ermöglicht eine Betrachtung auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen (Meyen et al. 2014).
Es sind vor allem die Mehrebenen-Ansätze, die die Betrachtung von Resilienz interessant machen: Dabei kann sich zum einen ein „shock“, zum anderem aber auch die Reaktion auf diesen Schock auf unterschiedlichen Ebenen abspielen. Anders formuliert: Veränderungen an einer Stelle des Kommunikationsprozesses können zu Resilienz an anderer Stelle führen. Es ist daher denkbar, Resilienz sowohl als unabhängige als auch als unabhängige Variable zu operationalisieren, und ratsam, Forschung auf unterschiedlichen Untersuchungsniveaus zu betreiben. Resilienz kann damit auch als Antwort auf „die Forderung nach einer methodischen Operationalisierung“ (Kohring 2004: 198) systemtheoretischer Journalismustheorien gelten und der Systemtheorie, aber auch anderen Theorien zu einer „unmittelbaren Praxistauglichkeit“ (Kohring 2004: 198) verhelfen.
Literatur
Alinovi, L., Mane, E. & Romano, D. (2009). Measuring Household Resilience to Food Insecurity: Application to Palestinian Households. Working Paper, January 2009, [online] URL: http://www.foodsec.org/fileadmin/user_upload/eufao-fsi4dm/docs/resilience_wp.pdf
Blöbaum, B. (1994). Journalismus als soziales System. Geschichte, Ausdifferenzierung und Verselbständigung. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Blumler, J. G., & Gurevitch, M. (1995). The crisis of public communication. London: Routledge.
Dragos Aligica, P. & Tarko, V. (2014). Institutional Resilience and Economic Systems: Lessons from Elinor Ostrom’s Work. Comparative Economic Studies, 56, (52–76).
Folke, C., Carpenter, S. R., Walker, B., Scheffer, M., Chapin, T. & Rockström, J. (2010). Resilience thinking: integrating resilience, adaptability and transformability. Ecology and Society 15(4): 20. [online] URL: http://www.ecologyandsociety.org/vol15/iss4/art20/
Gerhards, J. (1994). Politische Öffentlichkeit. Ein system- und akteurstheoretischer Bestimmungsversuch. In Neidhardt, F. (Hrsg.). Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 34). Opladen: Westdeutscher Verlag, 77-105.
Görke, A. (2008). Perspektiven einer Systemtheorie öffentlicher Kommunikation. In Winter, C., Hepp, A. & Krotz, F. (Hrsg.). Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Grundlegende Diskussionen, Forschungsfelder und Theorieentwicklungen. Wiesbaden: VS Verlag, 173-190.
Hanitzsch, T., Altmeppen, K.-D., Schlüter, C. (2007). Zur Einführung: Die Journalismustheorie und das Treffen der Generationen. In Altmeppen, K.-D., Hanitzsch, T. & Schlüter, C. (Hrsg.). Journalismustheorie: Next Generation. Soziologische Grundlegung und theoretische Innovation. Wiesbaden: VS Verlag, 7-23.
Kohring, M. (1997). Die Funktion des Wissenschaftsjournalismus. Ein systemtheoretischer Entwurf. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Kohring, M. (2004). Journalismus als System. Grundlagen einer systemtheoretischen Journalismustheorie. In Löffelholz, M. (Hrsg.). Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag, 185-200.
Lebel, L., Anderies, J. M., Campbell, B., Folke, C., Hatfield-Dodds, S., Hughes, T. P. & Wilson, J. (2006). Governance and the Capacity to Manage Resilience in Regional Social-Ecological Systems. Marine Sciences Faculty Scholarship. Paper 52.
Luhmann, N. (1996). Die Realität der Massenmedien. 2., erweiterte Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Meyen, M., Thieroff, M. & Strenger, St. (2014). Mass Media Logic and The Mediatization of Politics. Journalism Studies, 15:3, 271-288.
Neuberger, C. (2004). Journalismus als systembezogene Akteurskonstellation. Grundlagen einer integrativen Journalismustheorie. In Löffelholz, M. (Hrsg.). Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag, 287-303.
Schimank, U. (1988). Gesellschaftliche Teilsysteme als Akteurfiktionen. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 40 (3), 619-639.
Sherrieb, K., Norris, F. H. & Galea, S. (2010). Measuring Capacities for Community Resilience. Soc Indic Res, 99, 227–247.
Siapera, E., & Veglis, A. (2012). Introduction: The Evolution of Online Journalism. In E. Siapera & A. Veglis (Eds.), The Handbook of Global Online Journalism. Oxford, UK: Wiley-Blackwell, 1-17.
Walker, B. H., Gunderson, L. H., Kinzig, A. P., Folke, C., Carpenter, S. R. & Schultz, L. (2006). A handful of heuristics and some propositions for understanding resilience in social-ecological systems. Ecology and Society, 11(1): 13. [online] URL: http://www.ecologyandsociety.org/vol11/iss1/art13/
Projektvorstellung (Exposé)
ARBEITSTITEL:
Wissenschaftskommunikation und Kommunikationsformengeschichte: ein kommunikationshistorischer Vergleich zwischen Zeitschriften und Weblogs der wissenschaftlichen Öffentlichkeit
Einleitend
Wie jüngst anhand der „Groebner-Kontroverse“ (Hodel 2013) oder, wie sie auch genannt wurde: der „Masturbations-Debatte“[1] (Graf 2013a, 1) deutlich wurde, ist die Rolle des Internets im Allgemeinen und die Rolle von Weblogs im Besonderen für die Wissenschaft in ihrer erkenntnisstiftenden und Erkenntnisse kommunizierenden Funktion noch nicht erkennbar verfestigt. Die Auseinandersetzung von wissenschaftlichen Bloggern mit dem „Buch-Fetischisten“ (Graf 2013b, 12) Valentin Groebner nahm ihren Anfang in einem Vortrag auf der Münchener Konferenz „Rezensieren – Kommentieren – Bloggen: Wie kommunizieren Geisteswissenschaftler in der digitalen Zukunft“[2] und wurde durch seinen FAZ-Artikel vom 06.02.2013 „Muss ich das lesen? Ja, das hier schon. Wissenschaftliches Publizieren im Netz und in der Überproduktionskrise“ wesentlich befeuert. Was in diesem Diskurs deutlich wurde, ist etwas Typisches: Das sind die Vorbehalte einerseits gegen die Qualität und Haltbarkeit von Online-Publikationen und es sind die Hoffnungen andererseits auf einen Wandel des wissenschaftlichen Publikationssystems, dessen Heil im Open-Access-Bereich gesehen wird (vgl. z.B. Graf 2003).[3] Es sind die typischen Kennzeichen eines Interims sich etablierender Kommunikationstechnologien und der Frage nach ihrer Nutzbarkeit für domänenspezifische Zwecke.
Die erwähnten Konferenzen und Workshops, aber auch die bloggenden Wissenschaftler selbst sind Ausdruck dieses Interims und der mehr oder weniger reflektierten und tastenden Suche danach, was Weblogs für die (Kultur-)Wissenschaft zu versprechen und einzulösen vermögen, nachdem sie vor allem in der englischsprachigen (Natur-)Wissenschaft scheinbar zu einem festen Bestandteil der Wissenschaftskommunikation geworden sind (vgl. Fischer 2012).
Trotz des Interimszustands gibt es aber genügend verfestigte Vorstellungen und Ratgeber darüber, was Weblogs für die Wissenschaft zu leisten vermögen und wie gutes wissenschaftliches Bloggen auszusehen habe. Der Impetus der Ratgeber liegt dabei häufig auf der nötigen Blogspezifik wissenschaftlicher Weblogs und nicht auf ihrer möglichen Wissenschaftsspezifik (vgl. z.B. Scheloske 2012a). Damit einher gehen untersuchungsleitende Erwartungen in Bezug auf die Möglichkeiten der Popularisierung wissenschaftlichen Wissens durch Weblogs: Sie seien heute das geeignete Mittel der externen Wissenschaftskommunikation (vgl. Mahrt/Puschmann 2012, Scheloske 2012b). Nicht oder nur selten gerät in den Blick, welche Rolle Weblogs in einer veränderten, da zunehmend digitalisierten internen Wissenschaftskommunikation spielen können (vgl. Fritz 2011) und das, obwohl genau diese Kommunikationen in ebenso starkem Maße (auch) in den (deutschsprachigen) Weblogs und der Blogosphäre zu beobachten sind.
Diese Engführungen sind einerseits Ausdruck der blogosphäreninternen Selbstbeschreibung, aber andererseits Ausdruck einer Weblogforschung, die – vor allem in genretheoretischer Tradition (vgl. Puschmann 2013) – einzelne Ausprägungen von Webloggattungen hypostasiert (vgl. Schmidt 2006, 172), damit aber übersieht, dass Weblogs als Gattung(en) nicht widerspruchsfrei zu beschreiben sind (vgl. Miller/Shepherd 2009). Die in der Forschung oft beklagte Heterogenität von Weblogs ergibt sich aus ihrer „Multifunktionalität“ (Brinker 1985/62005, 148). Damit sind Weblogs selbst nicht als funktional bestimmte Gattungen zu begreifen, sondern als „Kommunikationsformen“ (Holly 2011), die als kulturelle Praktiken die Bedingungen der Möglichkeit für Kommunikation immer simultan zum Vollzug der Kommunikation (i.d.R. im Gepräge diverser Gattungsmuster) herstellen (vgl. Meiler i.V.).
Die Frage nach der Rolle von Weblogs im Wissenschaftsbetrieb ist also sekundär eine gattungsbezogene Frage und primär die Frage nach der Kommunikationssituation, die mit Weblogs hergestellt wird und wie sich diese von anderen Kommunikationssituationen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit unterscheidet. Diese Fragerichtung erlaubt eine Einschätzung des Bloggens als Teil der Wissenschaftskommunikation, indem sie die Gattungsspektren aufzeigt, die Weblogs im wissenschaftlichen Zweckgefüge verorten. Dies wurde im Rahmen einer Pilotstudie an vier Weblogs unternommen (s.u.). Diese Studie bereitet damit das Fundament für die spezifischere komparative Fragestellung nach den kommunikationsformenabhängigen Charakteristika der Darstellung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und der interaktiven Auseinandersetzung mit diesem strittigen Wissen, also einem Kernbereich der Wissenschaft: der Eristik (Ehlich 1993).
Es gehört zudem zu den institutionellen Tatsachen der Wissenschaft, dass Universitäten einer „Ökonomisierung“ und damit einer „Quantifizierung von Forschungsleistungen“ unterworfen wird (Kieser 2010, 347), die den (früheren) „Wettbewerb um Reputation“ partiell transformieren (ebd., 356). Die diversen Rankings haben dabei steigenden Einfluss auf das Publikationsverhalten. Folgt man Kieser (ebd., 358), so verdrängt eine „extrinsische Motivation“, „Punkte für Ranglisten“ zu sammeln, die „intrinsische“ Motivation zu forschen. Auch in diesem Lichte müssen (die Potenziale von) Weblogs betrachtet werden gerade, weil sie außerhalb dieses ver-rank-ten Publikationsbetriebs stehen.[4]
Es ergeben sich damit für das Projekt die folgenden, zu bearbeitenden Fragen:
- Welche Möglichkeiten wissenschaftlichen Streitens bringen Weblogs hervor und in welcher Weise werden diese Möglichkeiten im Rahmen sich verändernder institutionalisierter Wissenschaft genutzt?
- Wie gestaltet sich das prinzipiell dialogische, wissenschaftliche Streiten, wenn es sich von unidirektionalen in potenziell bidirektionalen aber ebenso verdauernden Kommunikationsformen bewegt?
- Erweitert das medientechnisch und damit semiologisch veränderte Dispositiv der Weblogs (im Vergleich zu wissenschaftlichen Zeitschriften) auch die Mittel wissenschaftlichen Streitens?
- In welcher Art werden Weblogs zur wissenschaftlichen Gemeinschafts(ab)bildung genutzt?
Forschungsstand: Wissenschaftssprache und Wissenschaftskommunikation
Das kooperative Unterfangen, Wissen d.h. Erkenntnisse über die „als befragbar“ gesetzten „Instanzen der Wirklichkeit“ hervorzubringen (vgl. Thielmann 1999, 371), ist nur eine Seite des Kerngeschäftes der Wissenschaft (vgl. Graefen 1997, 85ff.). Das zweite, fast wesentlichere Kerngeschäft ist das des Streitens um die adäquatere Erkenntnis, die richtigere Erklärung, den geeigneteren Ansatz, letztendlich des Streitens um die Wahrheit (im Sinne Foucaults z.B. 1977). Diesen Zweckbereich der Wissenschaft wurde Anfang der 1990er Jahre unter dem Begriff Eristik[5] zusammengefasst (vgl. Ehlich 1993), benannt nach der griechischen Göttin der Zwietracht und des Streites: Eris. Diese Erkenntnis, dass Wissenschaftssprache wesentlich nicht durch das Assertieren von Erkenntnissen, sondern von illokutionsmodifizierenden, eristischen Streitstrukturen bestimmt ist (vgl. da Silva 2010, 125f.), emanzipierte die Linguistik der Wissenschaftssprachen wegweisend von der hauptsächlich terminologieorientierten Fachsprachenforschung (vgl. Ehlich 1994, 339f.).
Neben den allgemeineren gemeinschaftsstiftenden Aspekten der wissenschaftlichen Communitys wie einer gemeinsamen Zweckorientierung auf Wissen bzw. Erkenntnis hin und spezifischen allgemeineren kommunikativen Prämissen (vgl. Graefen 1997, 82f.) ist es gerade die Eristik (in einem weit gefassten Sinne) wissenschaftlicher Auseinandersetzung, die die wissenschaftlichen Gemeinschaften, Lager, Schulen stiftet und sichtbar macht. Dazu ein Beispiel:
Assertive Struktur: Aussagen |
Eristische Struktur: Streiten |
(1) „Durch eine Explikation des mit dem Verb gegebenen elementaren Charakteristikums wird eine komplexe Prädikation aufgebaut, es entsteht in der Form eine Verbalphrase.“ (Hoffmann 2003, 34) |
(2) „Syntax gilt als Kern der Grammatik, als Zentrum formorientierter Sprachanalyse. Sinn und Gegenstandsbereich werden allerdings kaum diskutiert.“ |
Während in (1) eine komplexe, aber allgemein beschreibende Aussage über Verbalphrasen getätigt wird, verbergen sich in (2) hinter dem unscheinbaren „gilt als“ und dem „allerdings kaum“ massive Vorwürfe gegen eine strukturalistische Syntaxforschung, die weder genau wisse, was sie untersucht, noch warum. Hoffmann (2003) markiert damit eine Position im wissenschaftlichen Diskurs, die es im Verlauf seines Artikels gegen zu antizipierende Einwände vor allem aus einer bestimmten Community zu verteidigen gilt. Es zeigen sich hier also in der monologischen Form des wissenschaftlichen Artikels verdauerte sprachliche Handlungen eines prinzipiell dialogischen Streitens.
Als Forschungsbereich ist die Linguistik der Wissenschaftssprache und allgemeiner die Analyse von Wissenschaftskommunikation ein noch recht junger Teilbereich der – grob zusammengefasst – kommunikationsbezogenen Wissenschaften. Und gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden internationalen Mobilität, der zunehmenden Angloamerikanisierung und der zunehmenden Digitalisierung können u.a. die Fragen der Erforschung und Didaktisierung der deutschen Wissenschaftssprache für (nicht-muttersprachliche) Studierende, Fragen der Wissenschaftssprachenkomparatistik und Fragen die digitale Wissenschaftskommunikation betreffend nicht ungestellt und unbeantwortet bleiben.
Den ersten beiden Bereichen widmet sich vor allem die Linguistik der Wissenschaftssprachen, wie sie seit den 1990er Jahren federführend unter Anregung von Konrad Ehlich betrieben wird. Die Emanzipierung von der Fachsprachenlinguistik, eine konsequent handlungstheoretische Konzeptualisierung von grammatischen bis hin zu institutionellen Zusammenhängen (Ehlich 1986/1991; Rehbein 2001), die Entdeckung der wissenschaftlichen Alltagssprache (Ehlich 1994) und eine große Bandbreite (auch kontrastiver) Untersuchungen traditioneller wissenschaftlicher Offline-Gattungen (z.B. Thielmann 2009) sowie ihr Fruchtbarmachen für die (Fremd-)Sprachen-lehre (Graefen/Moll 2011) können als das Verdienst dieser Forschungsrichtung angesehen werden.[6]
Mit den Möglichkeiten der Wissenschaftskommunikation im Internet befasst sich aktuell u.a. der von der Volkswagenstiftung geförderte Forschungsverbund „Interactive Science“, der zwar die Forschungsergebnisse der deutschen Wissenschaftssprachenforschung nicht zur Kenntnis nimmt, aber mit medienwissenschaftlich m.E. ausreichend adäquaten Unterscheidungen arbeitet, um Anknüpfungspunkte bereitzustellen (vgl. Gloning/Fritz Hg. 2011). Die vorwiegend explorativen, inventarisierenden und oft quantitativen Ergebnisse geben einen guten Überblick über die aktuelle, wenn auch schwerpunktmäßig englischsprachige Situation. „Kontroversen“ scheinen aber im Gegensatz zur „Kooperation“ (Dascal 2006, 19) im 2011er Sammelband des Forschungsverbundes nicht als alltägliches Geschäft der Wissenschaft begriffen zu sein, sondern als ein Sonderfall wissenschaftsinterner Auseinandersetzung (vgl. Fritz 2011, 195): So lassen einige Untersuchungen dieses Sammelbandes die Wissenschaftsspezifik ein wenig vermissen.
Daneben gibt es Untersuchungen aus den Bereichen der Kommunikationswissenschaft (z.B. Tokar et al. 2012; Robertson-von Trotha/Morcillo 2012; Voigt 2012; Donk 2012), der Bibliotheks- und Informationswissenschaft (z.B. Stempfhuber 2006; Ball 2007; Kjellberg 2009, 2010; Bukvova et al. 2010; Ockenfeld et al. 2012), der Informatik (z.B. Seidenfaden 2007) und der Technikfolgenabschätzung (z.B. Nentwich 2009; Nentwich/König 2011). Das jüngst erschienene Handbuch Wissenschaftssoziologie (Maasen et al. 2012) wiederum geht auf das Internet gar nicht ein. Die anderen Disziplinen sind an qualitativen Analysen von Kommunikationshandeln i.d.R. nicht interessiert und untersuchen größere Zusammenhänge mit Befragungen zu und Nutzungsstatistiken und Inhaltsanalysen von u.a. Twitter, Weblogs und Social Network Sites, den Zusammenhang von Open Access und traditionellem Verlagswesen (vgl. auch Hedlund/Tonta 2010) und zu einem großen Teil externe Wissenschaftskommunikation (vgl. auch Dernbach et al. 2012). Dies aufgreifend verspricht ein kommunikationslinguistischer Blick auf interne Wissenschaftskommunikation eine präzise Positionierung und Qualifizierung von Weblogs im Gefüge institutionalisierter Wissenschaft.
Weblogs: Kommunikationssituation – Kommunikationsform
Seitdem sich die Linguistik mit Kommunikation beschäftigt, also mit Sprache als einem wesentlichen Teil kommunikativen Handelns, arbeitet sie an einer tragfähigen Beschreibung unterschiedlicher Kommunikationssituationen (vgl. Heinemann 2000, 530f.). Die Textlinguistik und die Gesprächslinguistik sind die etablierten Subdisziplinen, die die analytische Relevanz einer Unterscheidung von Kommunikationssituationen zum Ausdruck bringen. Die 2001 gestellte Preisfrage des GAL e.V. „Brauchen wir einen neuen Textbegriff?“ (Fix et al. 2002) ist zudem ein Schlaglicht der fortdauernden Auseinandersetzung mit dieser Unterscheidung v.a. auch im Hinblick auf den medialen Wandel. Diese Auseinandersetzungen machen aber ebenso deutlich, dass eine Dichotomisierung von Text und Gespräch durch den Parameter ±Kopräsenz: also (aufgrund von materialer oder mentaler Verdauerung) zerdehnte Kommunikationssituation vs. geteilte Kommunikationssituation, wie sie einflussreich von Ehlich (z.B. 1984; 2007) rekonstruiert wurde, nicht hinreichend ist. Zur Überwindung dieser simplifizierenden Dichotomie hat sich die Kategorie der Kommunikationsform (erstmals Ermert 1979, federführend Holly 1996; 2011, aktuell Domke 2010; Meiler i.V.) als produktiv erwiesen: ist sie doch in der Lage, das ausgeblendete Kontinuum medialer Qualität zwischen Kopräsenz und Depräsenz mit ihrem flexiblen gegenstandssensitiven Beschreibungsapparat auf den Begriff zu bringen. Damit erlaubt sie es, die Praktiken[7] und Prozesse medialer Situierung[8] (sowohl im technischen wie im vortechnischen Sinne) in ihrem unterschiedlichen dispositiven Zusammenwirken zu rekonstruieren. Die „Transkriptionspotenziale“ (Holly 2011, 159) also die Potenziale intra- und intermedialer Semantisierungs-handlungen einzelner Kommunikationsformen (vgl. z.B. Jäger 2008) können damit im Hinblick auf ihre die Kommunikationen strukturierende Eigenlogik (historisch) komparativ herausgearbeitet werden, um damit eine „Kommunikationsgeschichte unter dem Aspekt der Kommunikationsformen“ schreiben zu können (Holly 2011, 160).
Wie einleitend schon bemerkt, sind Weblogs (ebenso wie Zeitschriften) erst einmal als Kommunikationsformen zu begreifen, die mit ihren je eigenen Medialitäten aufwarten, die von min. zwei Akteuren als eine spezifische, soziokulturell geprägte Kontaktqualität – als Kommunikationssituation – zwischen ihnen konstituiert wird. Erst in einem zweiten Schritt ist es dann sinnvoll, unterschiedliche Gattungen in den Blick zu nehmen, für die diese Kommunikationssituationen adäquat erscheinen. Die Kommunikationsform Weblog zeichnet sich vor allem über zweierlei strukturierende Qualitäten aus: (1) Die Akteure produzieren periodisch (oft unregelmäßig) und können demgemäß nur periodisch rezipieren. Diese Zeitgebundenheit stellt eine sowohl historisch als auch aktuell weit verbreitete Praktik der Adressenkonstitution dar. (2) Zu dieser – man kann sagen: persistenten – Praktik tritt kommunikationshistorisch rekombinant die Inter-netmedialität hinzu (vgl. Schönberger 2005),[9] die bei Weblogs die Vernetzung mit der sog. Blogosphäre, aber auch mit anderen Kommunikationsformen des Internets oft unweigerlich zur Folge hat (vgl. Meiler i.V.). Und obwohl die Möglichkeit zur Dialogizität für Blogs nicht konstitutiv zu sein scheint, werden die u.a. mit der Kommentarfunktion einhergehenden Möglichkeiten der Rückkopplung als der entscheidende Mehrwert dieser Kommunikationsform diskutiert (vgl. z.B. Domke 2007; Schmidt 2006). Selbiges gilt für Wissenschaftsblogs (vgl. Mahrt/Puschmann 2012).
Mit Blick auf das Dissertationsvorhaben sind es also – so die These – gerade die unterschiedlichen Kommunikationssituationen: Zeitschrift und Weblog, die den Unterschied in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit strittigem Wissen machen. Dabei scheinen es vor allem die folgenden Kommunikationsformenbeschreibungsaspekte zu sein, die von Relevanz sind:
- unterschiedliche Grade zeitlicher Zerdehnung zwischen Produktion und Rezeption,
- unterschiedliche (mediale, institutionelle) Produktions- und Rezeptionsbedingungen,
- unterschiedliche Möglichkeiten der Rückkopplung,
- unterschiedliche Sicherheit der Verdauerung der Kommunikate,
- unterschiedliche Transkriptionspotenziale der verfügbaren semiologischen Ressourcen,
- unterschiedliche institutionelle Prägungen der Kommunikationsformen,
- unterschiedliche Grade von Öffentlichkeit.
Pilotstudie: Gattungsspektrum wissenschaftlicher Weblogs
Für die Pilotstudie wurden vier Weblogs herangezogen, die aus unterschiedlichen Disziplinen herkommend und in unterschiedlicher Weise institutionell eingebunden unterschiedliche Formen wissenschaftlichen Bloggens aufzeigen können. Sie verorten sich selber unterschiedlich stark und unterschiedlich klar in den Bereichen der internen und externen Wissenschaftskommunikation (vgl. Hagendoff et al. 2007, 4ff.). Die leitende Frage für den sondierenden Blick der Studie war: Welchen Schluss lässt das Gattungsspektrum wissenschaftlicher Blogs auf die kommunikationsgeschichtliche Verwandtschaft zu historisch älteren, z.B. auch periodischen Kommunikationsformen zu? Daran schließt sich die Frage an, welche Zwecke des institutionalisierten Wissenschaftsbetrieb Weblogs bearbeiten (vgl. Graefen 1997, 79)?
Weblog | Blogger | Disziplin | Institution |
geoberg.de http://www.geoberg.de/ |
Diplom-Geologe Lutz Geißler | Geo- & Montan-wissenschaft | privat |
SOZBLOG http://soziologie.de/blog/ |
ProfessorInnen der Soziologie (zweimonatlich wechselnd) | Soziologie | Deutsche Gesellschaft für Soziologie |
LIBREAS.Library Ideas http://libreas.wordpress.com/ |
Gemeinschaftsblog | Bibliotheks- & Informations-wissenschaft | Weblog der gleich-namigen elektron. Zeitschrift |
Archivalia http://archiv.twoday.net/ |
Gemeinschaftsblog, Leitung von Dr. Klaus Graf (Universität Freiburg) | Geschichts-wissenschaft | privat |
Wie zu erwarten war, hat allein der Blick in diese vier unterschiedlichen Weblogs ein großes Maß an Heterogenität ans Licht gebracht. Nicht nur lassen sich eine große Menge unterschiedlicher Gattungen feststellen, ebenso lässt sich auch beobachten, dass strikte Gattungsgrenzen aufgehoben sind und neue, auch blogspezifische Gattungen sich zu konstituieren scheinen. Diese Befunde können einerseits ein Reflex auf die Multifunktionalität sein, die Kommunikationsformen immer eingeschrieben ist, andererseits scheinen sie ebenso Ausdruck des Interimszustandes, der (noch?) keine verfestigten Nutzungsformen hervorgebracht hat, die sich im kommunikativen Haushalt der Wissenschaftsgemeinschaft durchgesetzt hätten (vgl. Luckmann 1988).
Das Spektrum erstreckt sich also von der internen bis zur externen Wissenschaftskommunikation und ist schon allein deswegen aber auch im Bereich der internen Wissenschaftskommunikation durch ganz unterschiedliche Punkte in den Handlungsmustern des institutionalisierten Betriebs der Wissenschaft, aber auch des individuellen Forschungsprozesses vertreten, die natürlich über unterschiedliche Kommunikationsinteressen charakterisiert sind (vgl. Ehlich/Rehbein 1972/ 21975; 1994). Es erscheint sinnvoll die Kommunikationen an diesen unterschiedlichen (Entscheidungs-)Punkten als boundary objects zu begreifen (Star/Griesemer 1989), sofern man deren Medialität und ihre historische Veränderbarkeit im Blick hat. In dieser Weise kann die Institutionsspezifik von Weblogs bzw. dem Blogging als „cooperative work in the absence of consensus“ (Star 2010, 604) im Vergleich zu Zeitschriften und anderen wissenschaftlichen Kommunikationsformen aufscheinen. Nicht nur verschieben sich die Quantität und Qualität der am boundary object (d.h. hier am Kommunikat) Anteil habenden Parteien, auch die „several obligatory points of passage“ (Star/Griesemer 1989, 390), die die „Inskriptionen“ durchlaufen müssen (Latour 2002, 68), bis sie an die (wissenschaftliche) Öffentlichkeit gelangen, werden von anderen Infrastrukturen getragen,[10] die (noch?) eine differente institutionelle Einbettung von Weblogs in den wissenschaftlichen Betrieb bedingen und sie z.B. nur in Ausnahmefällen zitierbar machen.[11]
Für den hier interessierenden Bereich der internen Wissenschaftskommunikation zeigten sich durch die Rekonstruktion der zentralen kommunikativen Funktion der Weblogeinträge also die folgenden Gattungen: Hinweise auf andere Webseiten/Weblogs, Hinweise auf Empirie, Beschreibung von Empirie, Synopsen, Forschungsberichte, Essays, Artikel, Peer-Review-Publikationen von Artikeln, Rezensionen, Ankündigung von Neuerscheinungen und Tagungen, Formen von Tagungsberichten, Bitten um Mitarbeit (an Projekten unterschiedlichster Art), (kritische) Berichte über institutionelle Entscheidungen. Die „pragmatische Nützlichkeit“ eines Teils dieser Gattungen (Hausendorf/Kesselheim 2008, 23) – das zeigt schon dieser kurze Einblick – ist wesentlich an die (veränderte) Kommunikationssituation des Weblogs angepasst: Sind sie doch abhängig von der Kommunikationsumgebung des Internets, von der einfachen hypertextuellen Einbindung von (u.U. multikodalen) Inhalten, der Aktualität und geringen Zeitverzögerung der Publikation.
Aber ein großer Teil dieser Gattungen bestimmt bis heute auch noch die wissenschaftlichen Zeitschriften, die – über die Akademien als ihre Herausgeber – im 17. und 18. Jh. wesentlich an der Konstitution der wissenschaftlichen Öffentlichkeit, wie wir sie heute kennen, beteiligt waren (vgl. Graefen 1997, 53ff.). Im Zuge der Etablierung der Zeitschrift[12] als Mittel wissenschaftlicher Kommunikation, gab es „nicht nur praktische“, die Handhabung und Bewältigung der nicht mehr zu überschauenden Publikationsmengen betreffende, „sondern auch symbolische Fragen darüber […], ob dem gewaltigen, auseinanderlaufenden Sortiment an spezialisierten Reihen alle jene Verwendungszwecke anvertraut werden könnten, die ihm jetzt auferlegt wurden, ob zur Ergänzung dieser Publikationen neue synthetisierende Gattungen (synthesizing genres) erforderlich sein könnten und sogar, ob die wissenschaftlichen Publikationspraktiken von Grund auf zu erneuern seien“ (Csiszar 2012, 22). Eine neuerliche „Zeitschriftenkrise“ zeitigt mittlerweile ihre Folgen immer umfangreicher (vgl. Hagendoff et al. 2007, 10ff.) und ähnliche Vorbehalte wie die gegen die „ephemerische Existenz“ von Zeitschriften (Campe 1788, 34) artikuliert heute u.a. Groebner (vgl. 2012, 26ff.) gegenüber dem Internet/Weblogs.
Mit dem ‚Schritt‘ dieser Gattungen von einer Kommunikationsform in eine andere, also von der Medialität des Drucks in die Internetmedialität beginnt sich das Transkriptionspotenzial vom Internet im Allgemeinen und von Weblogs im Speziellen in den Kommunikationshandlungen der wissenschaftlichen Kommunikation Geltung zu verschaffen. Wirken einerseits verfestigte Gattungsmuster fort, verspricht andererseits die digitale Verfasstheit jeglicher, am Kommunikationsprozess beteiligter Zeichen eine vereinfachte Nutzbarmachung für die jeweiligen Zwecke einer Gattung. Und es ist durchaus ein extensiver Bild- und Videogebrauch in allen obigen Weblogs zu beobachten. Spricht man im Wesentlichen mit Blick auf die Medialität des Drucks von einer konstitutiven Handlungsverkettung (im Vergleich zur Handlungssequenzierung des Gesprächs; vgl. z.B. Rehbein 2001, 929; Schegloff 2012, 248ff.), wenn Kommunikationshandlungen verdauert werden, so scheint spätesten mit Blick auf das Internet der Begriff der Verkettung nicht mehr angemessen. Wenngleich die grundlegende Linearität nicht unterlaufen werden kann, so scheint doch eine Multilinearität der Transkriptionshandlungen innerhalb eines Textes aber auch zwischen verlinkten Texten ausschlaggebender für die semiologische Konstitution eines Kommunikats und damit der Begriff der ‚Handlungsvernetzung‘ vielleicht der treffendere zu sein. Die Ausschöpfung dieser Möglichkeiten einer internettypischen semiologischen Vernetzung scheint – mit Blick auf das Korpus – gerade für das wissenschaftliche Streitgeschäft noch an einem Anfang zu stehen. Auf diesen, notwendigerweise weiter geöffneten Blick auf eristische Strukturen im Gesamtkommunikat neben dem fokussierten Blick auf grammatische Prozeduren weißt auch Ana da Silva (vgl. 2010, 133f.) hin.
Mit dem ‚Schritt‘ in die Weblogs kommt den Zwecken wissenschaftlicher Kommunikation aber aufgrund der Erweiterung der erreichbaren Öffentlichkeit über die wissenschaftliche hinaus die verstärkte Aufgabe differenzierter Adressierung zu. In den beobachteten Blogs geschieht dies hauptsächlich implizit bzw. thematisch, obwohl auch eindeutig externe Wissenschaftskommunikationen intendiert sind und betrieben werden. Durch das Zusammenkommen sowohl wissenschaftlicher wie auch populärwissenschaftlicher Einträge in den untersuchten Blogs schien sich Adressierung dort oft rezipientenseitig vollziehen zu müssen: Findet der nichtwissenschaftliche Leser im Kommunikat nicht ausreichend Anschlussfähiges vor, kann er nicht gemeint sein. Explizite Adressierungen fanden sich in keinem der Blogs. Strukturen eristischer Adressierung, wie es das obige Beispiel aus Hoffmann (2003) zeigte, werden im Bereich interner Wissenschaftskommunikation auf Weblogs wie erwartbar ungebrochen übernommen und werden z.B. mit Verlinkungen unterstützt. Aber die wechselseitige streitende Bezugnahme aufeinander in Kommentaren scheint noch interimstypisch unsicher zu sein: Spricht man zueinander (sequenziell dialogisch) oder spricht man zur wissenschaftlichen Öffentlichkeit übereinander (sequenziell monologisch)? Weitere Untersuchungen müssen hier – neben Detailanalysen – zeigen, ob sich hier schon blogspezifische Typiken herausgebildet haben, die mit diesem schmalen Blick noch nicht sichtbar wurden, oder ob hier auch andere internettypische Muster greifen. Ebenso über die Pilotstudie hinausgehen, muss die Frage nach weblogspezifischen Um- und Neuprägungen der vorfindbaren Gattungsmuster.
Vorhaben: Weblogs und Zeitschriften
Wie die Pilotstudie gezeigt hat, ist ein kommunikationsgeschichtlicher Vergleich der beiden Kommunikationsformen Zeitschrift und Weblog in ihrer Nutzung für wissenschaftliche Zwecke ein begründeter Ansatz für eine komparative Untersuchung von Wissenschaftskommunikation. Um dabei die Wissenschaftsspezifik im Fokus zu halten, wird das Dissertationsprojekt sich auf Gattungen (interner) wissenschaftlicher Kommunikation beschränken, die mit der Weitergabe, Kritik und Durchsetzung wissenschaftlichen Wissens im Diskurs der jeweiligen Disziplin beschäftigt sind. Das schließt Gattungen wie Hinweise auf andere Webseiten, Hinweise auf Empirie, Synopsen, Ankündigung von Neuerscheinungen und Tagungen, Bitten um Mitarbeit, Berichte über institutionelle Entscheidungen aus dem Korpus der interessierenden Daten aus, sofern sie nicht in den Kommentaren zum strittigen Gegenstand gemacht werden.
Die Vorstudie hat ebenso gezeigt, dass es aus kulturwissenschaftlicher Perspektive in einem solchen Projektzuschnitt mir nicht möglich ist, die Streitkultur einer Naturwissenschaft (geoberg.de) und ihren wissenschaftlichen Unterbau in dem Umfang zu rekonstruieren, dass eine adäquate kommunikationslinguistische Analyse komparativ geleistet werden kann. So werden für die Dissertation fünf Weblogs kulturwissenschaftlicher Provenienz herangezogen werden, die für interne Wissenschaftskommunikation Verwendung finden, um sie entsprechend der darin auffindbaren Daten/Blogeinträgen über eine Paralleltextanalyse mit (deutschsprachigen) wissenschaftlichen Zeitschriften der jeweiligen Disziplinen zu vergleichen. Was sich einer Paralleltextanalyse entziehen sollte wie z.B. Gattungen, die sich nicht in Zeitschriften finden, chat-artige Kommunikationsstrukturen in den Kommentaren, audiovisuelle Präsentationsformen u.Ä., kann im Rahmen des Projekts nicht kommunikationshistorisch erschlossen werden, sondern nur im Lichte der verfügbaren Forschungsliteratur untersucht werden.
Dem ist selbstverständlich eine Kommunikationsformenanalyse für Weblogs und Zeitschriften nebengelagert,[13] die die historisch gewachsenen Möglichkeitsbedingungen von Kommunikation in diesen Formaten herausarbeitet, um sie mit den konkreten Kommunikationsanalysen und den institutionellen Rahmenstrukturen in Beziehung setzen zu können. Dafür ist auch ein Blick auf andere, quasi paratextuelle Gattungen dieser wissenschaftlich geprägten Kommunikationsformen sinnvoll (vgl. Genette 42001), um deren institutionsspezifische Position bzw. Rolle zu erfassen.
Es wird sich dann u.a. zeigen lassen, wie und in wie weit Weblogs ihre Sonderstellung außerhalb oder am Rande einer (sich zunehmend ökonomisierenden) universitären Wissenschaft einnehmen und gestalten. Vor allem aber wird eine Medialitätsvarianz wissenschaftlichen Streitens, seiner Mittel und deren Strukturierung sichtbar, die bisher noch Desiderat ist, und damit wird eine Einschätzung davon möglich, welches Potenzial Weblogs und anderen, vergleichbaren Kommunikationsformen in der internen Wissenschaftskommunikation kommen kann
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[1] Groebner (2013a) beschrieb das Bloggen in seinem Münchener Vortrag als ‚einsame, aber rastlose Masturbation‘, die nur der Selbstdarstellung diene und keine leserorientierte Vermittlungsfunktion im wissenschaftlichen Diskurs übernehmen könne.
[2] Die gleiche Frage nach einer Selbstbestimmung der deutschen Digital Humanities stellte auch der Würzburger Workshop „Wissenschaftliches Bloggen in Deutschland: Geschichte, Perspektiven, praktische Umsetzung“ (vgl. Meiler 2013).
[3] Zu bedenken ist, dass Weblogs strenggenommen mit dem Open-Access-Paradigma nichts zu tun haben.
[4] Wenngleich zu bemerken ist, dass auch Weblogs über (auch sichtbare) Quantifikatoren verfügen, die als Reputations-, Qualifikations- aber auch Legitimationsinstrumente zu betrachten und zu untersuchen sind.
[5] Negativ bzw. ironisch kommt der Begriff der Eristik bei Platon, Aristoteles, Schopenhauer mit dem Tenor des „Um-jeden-Preis-recht-haben-Wollens“ zur Anwendung, was für die Übertragung auf die Wissenschaftssprache manchmal nicht unbedingt als ganz unpassend erscheint.
[6] Mit didaktischen Aspekten beschäftigt sich z.B. auch Feilke/Lehnen (2012). Mit Kontroversen im Hinblick auf ihre Vermittlung an die nicht-wissenschaftliche Öffentlichkeit ist Liebert/Weitze (2006) befasst. Eine oft an Foucault anschließende diskursorientierte Perspektive auf wissenschaftliche Kontroversen, wie sie darin zu finden ist (vgl. z.B. Keller 2006; aber auch Latour 2006b; Latour/Mauguin/Teil i.Dr.), abstrahiert von den kommunikativen Einzelhandlungen und rekonstruiert im Wesentlichen epistemische Strukturen und Verläufe einzelner Diskurse/Kontroversen. Sie ist daher für das Erkenntnisinteresse dieses Projekts weniger relevant.
[7] Gerade die konsequente Konzeptualisierung von Kommunikationsformen als Praktiken des Situationsvollzugs steht dabei noch an einem Anfang, der auch einer kritischen Überprüfung der Kategoriengeschichte bedarf (vgl. Meiler i.V.).
[8] In interaktionstheoretischer Perspektive rekonstruiert Hausendorf (2010, 169) „Situierung als Interaktionsaufgabe“, für die die aus der Medialität der Kopräsenz erwachsenden Praktiken der Situationskonstitution herausgearbeitet werden (vgl. Kesselheim/Hausendorf 2007; mit Perspektive auf verdauerte Kommunikation vgl. Meiler 2012). In erweiterter Perspektive ist Situierung immer auch Kommunikationsaufgabe und so mit einer praxeologischen Konzeptualisierung von Kommunikationsformen systematisierbar.
[9] Hier ist freilich noch zu prüfen, welche medien- bzw. kommunikationshistorischen Modelle, die weder sozial- noch technikdeterministisch argumentieren, für den Kommunikationsformenvergleich produktiv sind.
[10] Für Zeitschriften werden hier z.B. relevant: allgemeine Herausgeber, Herausgeber von Sonderheften, das Peer-Review-Verfahren und schließlich das umfangreiche Verlags-, Vertriebs- und Bibliothekswesen. Mit Blick auf Weblogs fallen dabei augenscheinlich natürlich in jedem Falle Verlage, Vertrieb und Bibliotheken weg, deren Positionen u.a. von Weblog- und/oder Serveranbieter und den individuellen Kommunikatoren ausgefüllt werden und vollkommen andere Kommunikationsbedingungen schaffen.
[11] Hier zeigt sich die konzeptuelle Verwandtschaft der OPPs mit den Latourschen (2009, 137) „Rechen-(schafts)zentren“. Die konzeptuelle Konvergenz zwischen der Kommunikationsformenkategorie und dem Konzept der Inskriptionen bzw. der immutable mobiles kann an dieser Stelle nicht dargestellt werden, wird aber u.a. in Latours (2006a, 285ff.) Ausführungen in Drawing Things Together deutlich: Ausführungen, die eine Heranziehung der ANT für die Institutionsanalyse im Kommunikationsformenzusammenhang fruchtbar erscheinen lassen (vgl. dazu auch Callon 2006), gerade weil darin die Flexibilitäten gegenüber den Verfestigungen betont werden, die gerade für eine rezent-historische Perspektive wichtig sind.
[12] Wissenschaftliche Zeitschriften können sogar als Pioniergattung bzw. -gattungsfamilie erachtet werden, die wesentlich zur „Entwicklung des Zeitschriftenwesens in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts“ beigetragen hat (Straßner 1997, 4) und im Wissenschaftsbetrieb zunehmend Monografien und Briefwechsel verdrängte (vgl. Franzen 2011, 38ff.).
[13] Diese ist für die Kommunikationsform Weblog zum großen Teil schon in Meiler (i.V.) geleistet.