Reisefreiheit für die Fantasie: Eine Ausstellung über den DDR-Comic “Mosaik”

Die Kobolde Dig, Dag und Digedag brachten Generationen von DDR-Bürgern zum Lachen – und gingen dabei manchmal an die Grenzen des Erlaubten. Eine Ausstellung in der Berliner Dependance des Bonner Hauses der Geschichte widmet sich den knollennasigen Helden des DDR-Comics Mosaik.

Die Legionäre staunten nicht schlecht. Eben haben sie die Stadtmauern Roms noch gegen Angreifer gesichert, da tauchen am antiken Himmel seltsame Vögel auf: An adlerförmigen Fallschirmen segeln abtrünnige Kämpfer des verräterischen Julius Gallus auf die Verteidiger nieder. Die fliegenden Römer, die ihren fantasievollen Angriff auf den Seiten des DDR-Comics Mosaik starteten, ärgerten nicht nur die Verteidiger Roms, sondern auch die Zensoren. Anstoß erregte die Form der Fallschirme: Der römische Adler erinnere zu sehr an das Wappentier der verfeindeten Bundesrepublik.

Wie mit Feder und Retuschier-Pinsel die gezeichneten Fallschirme kurzerhand entpolitisiert wurden, lässt sich anhand von Skizzen nachvollziehen, die in der gerade eröffneten Ausstellung „Dig, Dag und Digedag“ zu sehen sind. Die Episode gilt als Treppenwitz der DDR-Zensur. In der Geschichte der wohl populärsten Helden der Republik ist sie eher eine Ausnahme. Die zeitreisenden Knollennasenkobolde wichen nicht nur äußerlich stark von der sozialistischen Heldennorm ab. Sie waren auch weitgehend ideologiefrei, wenngleich sie gelegentlich aneckten.

Dass es sie überhaupt geben durfte, ist erstaunlich. Comics galten einst als Schmutz und Schund. In Ost wie West verbrannten Jugendschützer und Bildungskonservative die Hefte demonstrativ auf Scheiterhaufen. Galten Comics im Westen als Ursache von Jugendkriminalität und Verrohung, so sah man sie in der DDR als „Gift des Amerikanismus“ vor dem die sozialistische deutsche Jugend bewahrt werden musste. Heute füllt der „Schund“ von einst Museumsvitrinen. Eben erst zog eine Ausstellung im Berliner Tiergarten-Museum eine kritische Bilanz des im DDR-Comic vermittelten Geschichtsbildes, nun widmet sich die Berliner Dependance des Bonner Hauses der Geschichte in der Alten Schmiede der Kulturbrauerei mit 320 Original-Zeichnungen, Dokumenten, unveröffentlichten und zensierten Entwürfen den Digedags.

Das erste “Mosaik”-Heft erschien im Dezember 1955
© Tessloff-Verlag, Nürnberg

Erfunden hatte sie 1955 der Zeichner Hannes Hegen. Hinter diesem Pseudonym verbarg sich der 1925 geborene Sudetendeutsche Johannes Hegenbarth. Der gelernte Glasmaler hatte ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig abgebrochen, als er Anfang der Fünfziger begann, Karikaturen im Dienste der DDR-Propaganda zu zeichnen. Sein erfolgreichstes Projekt, die Mosaik-Hefte im FDJ-eigenen Verlag Junge Welt waren dagegen erstaunlich unpolitisch. Die drei Kobolde Dig, Dag und Digedag reisten darin durch ferne Welten und vergangene Epochen. Sie begleiteten den mittelalterlichen Ritter Runkel von Rübenstein auf Schatzsuche, trafen Piraten in der Südsee, waren in London und Paris und sogar im verfeindeten Amerika – und boten damit wenigstens der Fantasie ein Stück Reisefreiheit. Statt Comics waren allerdings „sozialistische Bildgeschichten“ gewünscht und so wichen die anfänglichen Sprechblasen bald Bildunterschriften, die mitunter gereimt daherkamen.

Das “Mosaik”-Team, 1962 (von vorn): Lona Rietschel, Horst Boche, Edith und Johannes Hegenbarth, Egon Reitzel, Manfred Kiedorf, Gisela Zimmermann, Lothar Dräger.
© Privatarchiv Lona Rietschel

Die Ausstellung zeichnet die Produktion der Hefte vom getippten Storyboard über erste Konturen bis zum Endprodukt nach. Die Bleistiftskizzen fertigte Hegenbarth meist selbst an. Doch es werden auch seine künstlerischen Partner gewürdigt, wie die spätere Ehefrau Edith Szafranski oder der österreichische Hintergrundzeichner Egon Reitzl. Charakteristisch waren die oft doppelseitigen Wimmelbilder von Gisela Zimmermann. Eine interaktive Computeranimation illustriert Vorstufen des Vierfarbdruckes, den die auf Noten spezialisierte Leipziger Traditionsdruckerei C.G. Röder besorgte. Wie erzürnte Briefe an die Abteilung Literatur und Buchwesen belegen, ärgerten die „greulichen Zeichnungen“ immer wieder die Verteidiger der Hochkultur.

Kleine Abweichungen entgingen den Zensoren, etwa eine Zeichnung des Berliner Stadtschlosses, das zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon längst gesprengt worden war. Ob man allerdings in eine Geschichte zur Entdeckung der Kartoffel einen kritischen Subtext zur Lebensmittelrationierung hineinlesen kann, möchte man bezweifeln – hier schießen die Ausstellungsmacher interpretatorisch etwas über das Ziel hinaus. Ebenso zweifelhaft dürfte die als Frage formulierte Wegbereiter-These sein, die suggeriert, die international erfolgreichen Asterix-Comics seien eine Nachahmung der ostdeutschen Digedags gewesen, die schon einige Jahre vor den Galliern mit Römern rauften.

Trotz Rekordauflagen von bis zu 660.000 Exemplaren pro Heft blieb die Reihe nicht nur in Zeiten von Papierknappheit Bückware. Oft waren gute Beziehungen zum Kioskverkäufer nötig. Die rare erste Nummer gilt heute als die Blaue Mauritius der DDR-Comicsammler. In Audio-Interviews berichten Fans, wie sie lernten, Papier zu restaurieren und handgefertigte Kopien in Umlauf brachten, um Lieferengpässe auszugleichen.

Das plötzliche Verschwinden der Digedags nach 223 Episoden hatte keine politischen Gründe. Nach Streitigkeiten über die personelle Ausstattung und die Zahl der Ausgaben brach Hegenbarth mit dem Verlag. Ab 1975 trieben in den Mosaik-Heften die bis heute existierenden Abrafaxe ihren Schabernack. Obwohl er sich selbst bei westlichen Vorlagen bedient hatte, strengte Hegenbarth einen Urheberrechtsprozess gegen den Verlag an, der mit einem Vergleich endete. Der Zeichner arbeitete frei weiter. Die erste Wechselausstellung im neuen Museum zum Alltag in der DDR ist daher als späte Würdigung des Zeichners zu verstehen. Sie beruht auf dem Vorlass Hegenbarths, einer Schenkung von 35 000 Objekten, die nun für die Forschung und den internationalen Leihverkehr archivalisch aufbereitet werden.

Zwar bricht die Ausstellung mit dem Klischee, der Alltag der DDR sei gänzlich ideologisch durchherrscht gewesen, doch will sie auch keine Ostalgie aufkommen lassen. Sie bietet dennoch nur das halbe Bild. Zur Geschichte des DDR-Comics gehört auch die Heftserie Atze, die von Ideologie und Propaganda nur so durchtränkt war. Dies dokumentiert die weniger aufwendig gestaltete, aber ideologiekritische Ausstellung „Atze und Mosaik“ des Literaturwissenschaftlers Thomas Kramer, die man bis zum 22. Juni im Kunstmuseum Dieselkraftwerk in Cottbus sehen konnte. Nicht alle Wege in die Comicgeschichte der DDR führen nach Rom.

“Dig, Dad, Digedag” – DDR-Comic Mosaik
Ausstellung im Museum Kulturbrauerei,
Knaackstr. 97, Berlin Prenzlauer Berg,
noch bis 3. August 2014,
Di-So 10-18,
Do 10-20 Uhr.
Eintritt frei.

 


(Dieser Text erschien zuerst im Feuilleton des Tagesspiegels vom 24. April 2014.)

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/1518

Weiterlesen