“Heidelberg in Leichter Sprache” ist ein Stadtführer für Menschen, die Bilder und kurze Texte bevorzugen, also z.B. ältere Menschen, Kinder, Personen mit Deutsch als Zweitsprache oder Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Zweck des Stadtführers ist es, aufmerksam zu machen auf Orte zum historischen Lernen und auf Themen, die in Heidelberg beheimatet sind. Im Folgenden sollen die Gestaltung, die Sprache und die Inhalte der oben abgebildeten Doppelseite des Stadtführers im Hinblick auf Chancen und Grenzen des historischen Lernens analysiert werden. Wichtig erscheint eine solche Analyse, um die Möglichkeiten eines Transfers auf den inklusiven Geschichtsunterricht zu beurteilen.
Zur Entstehung des Stadtführers
Die VerfasserInnen des Heidelberger Stadtführers – zwei ProfessorInnen der Geistig-und Mehrfachbehindertenpädagogik mit Studierenden, Beschäftigten der Heidelberger Werkstätten und SchülerInnen einer Schule für Geistigbehinderte – haben bei der Erstellung des Stadtführers eng zusammengearbeitet und bei der Entwicklung der Touren auf die Verständlichkeit des Textes sowie die Handhabbarkeit des Buches geachtet. So gelangen zur Orientierung nicht genordete, sondern auf einen zentralen Ausgangs- und Endpunkt ausgerichtete Karten mit reduzierten Informationen (nur die Hauptstraßen) und eingefügten Fotos der Tourenziele zur Anwendung. Die Wege zu den einzelnen Sehenswürdigkeiten sind genau beschrieben, der Textteil ist bewusst knapp gefasst. Die an der Produktion beteiligten Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung haben die Endredaktion der Texte vorgenommen, also die Verständlichkeit geprüft.
Analyse von Gestaltung und Sprache
Die farblich blau markierte Kopfzeile enthält auf der linken Seite den Hinweis, dass es sich um eine Doppelseite aus der Altstadt-Tour (als erste von fünf Stadttouren) handelt. Diese Tour ist beidseitig durch ein Symbol, nämlich die Heiliggeistkirche (als Zentrum der Altstadt) visualisiert. Auf den beiden Seiten zur Gedenkstätte befindet sich außen eine Fotoleiste, wobei jedem Foto ein Textblock mit Erläuterungen zugeordnet ist. Die Textblöcke sind in serifenloser Schrift im Flattersatz abgedruckt. Die Sätze beinhalten jeweils nur eine Hauptinformation; sie sind deshalb kurz und in klarer und gleichförmiger Satzstruktur (Subjekt-Prädikat-Objekt) gehalten. Die Wortwahl konzentriert sich auf einfache Wörter, Komposita werden getrennt (Gedenk-Stätte, Gast-Wirt). Die Sätze sind im Aktiv formuliert:”Schauen Sie rechts durch das Fenster. Dort sehen Sie Dinge aus der Sattlerei.” Damit folgen die Texte den Regeln der Leichten Sprache, die von SelbstvertreterInnen des Netzwerks Leichte Sprache entwickelt wurden.
Analyse des Inhalts
Der Inhalt der beiden Seiten ist klar gegliedert: Auf der linken Seite stehen biographische Informationen zu Friedrich Ebert, auf der rechten Seite stehen Informationen zum Wohnen im Geburtshaus Friedrich Eberts. Auf der Folgeseite wird auf das Museum verwiesen (“Hier können Sie mehr über Friedrich Ebert erfahren”). Die biografischen Informationen beginnen mit dem wichtigsten Amt, das Friedrich Ebert inne hatte: seine Amtszeit als Reichspräsident der Weimarer Republik, der ersten deutschen Demokratie. Diese wichtige historische Zäsur nach dem Ende des 1. Weltkriegs wird allerdings nicht erwähnt, seine Stellung wird mit dem zu vagen “Er war ein mächtiger Mann” umschrieben. Unklar im Sinne der Elementarisierung bleibt, warum die kurze Zeit als Reichskanzler (1918) erwähnt und genau datiert wird, nicht aber der Beginn seiner Zeit als Reichspräsident. Die Vita Eberts wird mit seiner Geburt in Heidelberg 1871, seiner Reichskanzlerschaft/Reichspräsidentschaft 1918/1919 und seinem Tod 1925 umrissen, ebenso seine unterschiedlichen Tätigkeiten und Wohnorte. Was er aber als Reichspräsident gemacht hat, bleibt ungeklärt, wahrscheinlich wird auf einen Besuch im Museum gehofft.
Chancen und Grenzen
Dieser Sachverhalt scheint aber auf ein grundsätzliches Problem der “Leichten Sprache” zu verweisen: Komplexe und abstrakte Inhalte sind nur bedingt vereinfachbar, die historische Kontextualisierung muss vorhanden sein oder sukzessive aufgebaut werden. Insgesamt zeugt die Doppelseite von der Wichtigkeit einer klaren Strukturierung und Elementarisierung, der Stadtführer scheint aber bei abstrakten und komplexen Inhalten an seine Grenzen zu stoßen. Darauf verweist insbesondere die zweite Seite, die der gut zu veranschaulichenden Sozial- und Alltagsgeschichte gewidmet ist. Die Nachfrage des Stadtführers ist hoch und bezieht sich auf Schulen mit und ohne Förderschwerpunkt. Ein nächster Schritt könnte nun sein, dass wissenschaftlich empirisch erfasst wird, inwiefern die LeserInnen in dieser Aufbereitung eine Hilfe zum Lesen historischer Inhalte und zum Erschließen eines historischen Ortes sehen.
Konsequenzen für die Geschichtsdidaktik
Im BlogJournal-Beitrag “Sprachlos im Geschichtsunterricht” hat Saskia Handro das noch ungeklärte Verhältnis zwischen Sprachlernen und Fachlernen problematisiert. Hier nun interessiert, wie durch eine andere Sprache und deren visuelle Präsentation das Verstehen von historischen Inhalten und Zusammenhängen erleichtert werden kann. Dieser Ansatz ist auch bedeutsam für den inklusiven Geschichtsunterricht. Denn hier wird es verstärkt darauf ankommen, Texte für unterschiedliche Aneignungsniveaus anzubieten. Sehr strukturierte Sachtexte mit begriffssensibler Wortwahl für historische Sachverhalte, in denen die Leichte Sprache ebenso wie sich wiederholende Symbole und durchgängige Visualisierungen zur Anwendung gelangen, sind gerade im inklusiven Geschichtsunterricht ein praktikabler Ansatzpunkt. Ganz generell stellt sich hier auch noch einmal die Frage nach dem Quelleneinsatz, d.h. sind diese Verständnishilfen für Sachtexte auch auf Quellentexte übertragbar?
Literatur
- Terfloth, Karin / Klauß, Theo (Hrsg.): Heidelberg in Leichter Sprache. Heidelberg 2013.
(Bezugsadresse: Lebenshilfe Heidelberg, Freiburger Straße 70, 69126 Heidelberg. Tel. 06221/3392314. freizeitbereich@offene-hilfen-heidelberg.de / Ansprechpartner : Ulf Prokein. Der Stadtführer kostet 10,- Euro).
- Berkemeier, Anne: Visualisierend Präsentieren als eine Form des Informationsmanagements. In: Krelle, Michael / Spiegel, Carmen (Hrsg.): Sprechen und kommunizieren, Baltmannsweiler 2009, S. 156-170.
- Ratz, Christoph: Schriftsprachliche Fähigkeiten von Schülen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. In: Dworschak, Wolfgang / Kannewischer, Sybille / Ratz, Christoph / Wagner, Michael (Hrsg.): Schülerschaft mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, Oberhausen 2012, S. 111-132.
Externe Links
Abbildungsnachweis
© Karin Terfloth und Theo Klauß; Auszug aus “Heidelberg in Leichter Sprache. Heidelberg 2013″, S. 32-33. Seiten in grosser Abbildung: Hier.
Empfohlene Zitierweise
Alavi, Bettina: Inklusion konkret: Heidelberg in Leichter Sprache. In: Public History Weekly 2 (2014) 7, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1409.
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