Aller Anfang ist schwer … Materialien zum Studium des Chinesischen anno 1815

Am Beginn der akademisch institutionalisierten  Sinologie steht ein kleines unscheinbares Bändchen: das Programme du cours de Langue et de Littérature chinoises et de Tartare-Manchou[1] von Jean-Pierre Abel-Rémusat (1788-1832), Am 16. Januar 1815 hielt er, der 1814 den Lehrstuhl für “langue et littérature chinoises et tartares-mandchoues” erhalten hatte,  seine Antrittsvorlesung am Collège Royal.

Jean Pierre Abel Rémusat: Programme du cours de langue et de littérature chinoises et de tartare ... (Paris 1815)
Jean Pierre Abel Rémusat: Programme du cours de langue et de littérature chinoises et de tartare … (Paris 1815) | Quelle: Internet Archive

Abel-Rémusat behandelt in “Discours sur l’Origine, les Progrès et l’Utilité de la Culture du Chinois en Europe” zunächst kurz die bisherigen Versuche, die chinesische Sprache zu erlernen, stellt der angeblichen ‘Unerlernbarkeit’ des Chinesischen die raschen Fortschritte einiger Missionare entgegen – und widmet sich dann den Anfängen der Chinakunde in Europa.

Im Anschluss sind die Programme des Unterrichts in Chinesisch udn Mandschurisch zusammengestellt, ergänzt durch Listen der dafür benötigten Bücher[2] – Wörterbücher, Grammatiken und Textsammlungen.
Für den Chinesisch-Unterricht sind das sieben Titel:

La Grammatica sinica d’Etienne Fourmont;

Étienne Fourmont: Linguæ Sinarum Mandarinicæ hieroglyphicæ grammatica duplex, latinè & cum characteribus sinensium. Item sinicorum Regiæ Bibliothecæ librorum catalogus (Paris: Guerin, 1742) – Digitalisate → Bibliotheca Sincia 2.

[...]

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/2204

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Werbung mit Wissenschaft (1873): ‘Wundermittel’ Ginseng

Die Wurzel des Ginseng (Panax ginseng)[1] – chinesisch rénshēn 人参 [wörtlich “Menschen[förmige] Wurzel”]) –  war seit Jahrhunderten ein hochgeschätztes Heilmittel in der traditionellen chinesischen Medizin.[2] Die Wurzel galt (und gilt) als Symbol für Gesundheit und Langlebigkeit, sie war Herrschern und hohen Adeligen vorbehalten und somit wertvoll wie Gold.

In österreichischen Zeitungen finden sich in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts immer wieder Inserate für allerlei ‘Wundermittel’, darunter auch für Ginseng – wie das hier gezeigte von “S. Saxl aus Wien, Frankenstein in Schlesien”.[3]

Beilage zu Nr. 13. des Figaro (22.3.1873) 6 [Ausschnitt]
Beilage zu Nr. 13. des Figaro (22.3.

[...]

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/2155

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China-Bilder 2015: Cebit, der China-Kracher

Bei der CeBIT 2015 war die Volksrepublik China Partnerland. Der Auftritt stand unter dem Motto “Innovation, Convergence, Cooperation”((Partnerland China. Neue Impulse für deutsche und chinesische Unternehmen, abgerufen am 21.3.2015.))  Die ZDF-Satire heute-show konnte an der Messe, “die das seltene Talent hat, immer falsche Partnerländer zu finden,” nicht vorbeigehen.

In der Sendung vom 20.3.2015 kam “CeBit, der China-Kracher”[1], der einmal mehr auf dem Klavier von Klischee und Stereotyp vor sich hin klimpert.

Den Hintergrund für Oliver Welkes Anmoderation (00:00-00:30)  bilden “3 Chinesen mit dem CeBIT-Pass” – die “drei Chinesen mit dem Kontrabass” müssen also wieder herhalten.

In einem Satz wird die Internet-Zensur in der VR China gestreift[2] – untermalt mit einem Clip von “New Tang Dynasty Television Deutschland”[3] (00:30-00:42)). Der Clip ist inzwischen fast 3 Jahre alt.[4].

Quelle: Screenshot ZDF (heute-show, 20.3.2015)
Quelle: Screenshot ZDF (heute-show, 20.3.2015)

Vor dem Hintergrundbild”Netz des himmlischen Friedens” (00:43-01:10) sinniert Oliver Welke über Internetzensur und Pressefreiheit. “Netz des himmlischen Friedens” zeigt einen Mann mit einer Einkaufstüte in der linken Hand  vor einem riesenhaften, etwas altertümlich anmutenden PC. Das Motiv verweist auf den ‘Tank Man’, jenen Unbekannten, der sich am 5. Juni 1989 den Panzern in den Weg stellt – und dessen Bild in einer Aufname von Jeff Widener um die Welt ging. [5]. Es sei dahingestellt, ob die Anspielung vom Publikum erkannt und spontan dekodiert wird, super-originell ist nicht gerade.[6] Die Szene mit dem Panzer kommt übrigens in einer Folge der Zeichentrick-Serie The Simpsons vor: in  “Goo Goo Gai Pan” (Season 16, Episode 12, Erstausstahlung am 13.3.2005.)).

Dann geht es um das Thema Produktpiraterie – Stichwort: “Die kopieren alles” (01:11) mit Beispielen aus dem Automobilsektor. Verantwortlich ist “Der Spion der mich kopierte”[7].

Der zum Themenkomplex Menschenrechte wird von Albrecht von Humboldt kurz gestreift (1:58); Menschenrechte wären “eine feine Sache”, aber dann kommt ein Schnitt, und ein Chinese sagt: “[…] eine Zuvielbetonung von Menschenrechte ist auch nicht gesund”. (2:12). Die Quelle des Clips wird nicht angegeben, der Sprecher wird in dem Clip nicht identifiziert, im Insert bleibt nur “Zentrum für Globale Studien, Universität Bonn” stehen.  Ursprünglich stammen die Äußerungen aus einer von Frank Sieren moderierten Diskussion zwischen Altbundeshkanzler Helmut Schmidt und Gu Xuewu, dem Direktor des Center for Global Sudies der Universität Bonn, über “„Wandel durch Annäherung: Der Aufstieg Chinas verändert die Welt — wie gehen wir in Europa damit um?” vom 31. 1. 2012. [8], die Passage beginnt bei 2:30.

Schnell geht es wieder zum “Ideenklau” zurück (2:30): “Industriespionage ist natürlich ein Problem. Die Chinesen haben eigentlich ja nichts mehr selber erfunden seit dem Glückskeks.” Das ist nicht unoriginell, denn Glückskekse sind wohl eine japanisch-amerikanische Erfindung[9]

Und es geht um das Nachmachen und Nachbauen, denn Ulrich von Heesen berichtet von der “Cheebit in der Nähe von Peking” – die haargenau so aussieht wie die CeBIT, von der Albrecht Humboldt berichtet: Die Chinesen hätten nicht nur die Messe, sondern ganz Hannover nachgebaut inklusive der ‘nachgebauten Hannoveraner’ (Christian Wulff, Bettina Wulff, die Scorpions und Veronika Ferres).  Ulrich von Heesen redet sich immer mehr in Rage und meint dann: “Welke, ich sage Ihnen, die Chinesen machen uns platt. Die kopieren nach und nach alles, was Deutschland stark macht.” Oliver Welke wiegelt ab, Industriespionage sei zwar ein Problem, aber man dürfe sich nicht reinsteigern. Aber beim nächsten Schnitt auf Ulrich von Heesen bei der “Cheebit” ist dieser verschwunden, an seiner Stelle steht ein Chinese, der ansonsten so aussieht wie der Außenreporter der heute-show (und die Zuschauer in chinesischer Sprache herzlich bei der Chebit begrüßt).

Der “China-Kracher” in Kurzfassung:

  • “drei Chinesen mit dem Kontrabass”
  • (Internet-)Zensur
  • Industriespionage
  • Umgang mit Menschenrechten
  • Produktpiraterie
  • Kopiermaschine China

Und es bleibt die Frage: Worüber hat das Saalpublikum beim Glückskeks-Gag gelacht?

 

 

 

 

  1. In der ZDF-Mediathek ist der Beitrag “CeBit, der China-Kracher” bis inkl. 27.3.2015 abrufbar. Der Clip findet sich derzeit auch auf youtube.
  2. Zu den blockierten Begriffen s. Jason Q. Ng: Blocked on weibo : what gets suppressed on China’s version of Twitter (and why) (New York : The New Press[2013) und Ng’s tumblr “Blocked on Weibo” mit einer Liste blockierter Wörter, die (Stand 21.3.2015) 9054 Begriffe enthält..
  3. New Tang Dynasty Television 新唐人電視臺 wurde 2001 gegründet. Der Sender mit Hauptsitz New York, steht Falun Gong nahe.
  4. Der Clip “‘Die Wahrheit’ hinter Chinas ‘Great Fire Wall’” wurde im youtube-Kanal von NTD.de am 20.07.2012 veröffentlicht. [Zuletzt abgerufen am 21.3.2015].
  5. S. Kate Picket: “Tank Man at 25: Behind the Iconic Tiananmen Square“, TIME Magazine: Light Box: The Backstory Wednesday, June 4, 2014. Zu anderen Versionen siehe u.a. Te-Ping Chen: “The Other ‘Tank Man’ Photographs“. Wall Street Journal,  May 30, 2014, 8:10 AM HKT.
  6. S. dazu die Beispiele bei Jonahan Kaiman: “Tiananmen Square online searches censored by Chinese authorities“. The Guardian Tuesday 4 June 2013 13.55 BST [abgerufen am 21.3.2015].
  7. Der Spion, der mich liebte (R: Lewis Gilbert, 1977) ist der zehnte Film der James-Bond-Reihe, s. The Spy Who loved Me in der Internet Movie Database. In Martin Kilians “Der Spion, der mich kopierte” (Tages-Anzeiger, 09.09.2014 [abgerufen am 21.3.2015] geht es nicht um China, sondern um Nachrichtendieste und Wirtschaftsspionage.
  8. Das Video wurde im youtube-Kanal der Robert-Bosch-Stiftung am 3.2.2012 veröffentlicht [abgerufen am 21.3.2015].
  9. S. dazu: Jennifer 8. Lee: The Fortune Cookie Chronicles. (New York City: Twelve Books 2008). Eine Kurzversion findet sich in: Jennifer 8. Lee: “Solving a Riddle Wrapped in a Mystery Inside a Cookie”, The New York Times, January 16, 2008 [abgerufen am 21.3.2015].

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/2054

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China-News: Eine Zeitungsmeldung vom 28. April 1734

Welche Meldungen aus/über China finden sich in den Zeitungen Europas? ‘Sensationen’ oder ‘Merkwürdigkeiten’? Nachrichten über Naturkatastrophen? Über Erfahrungen von Europäern in China? Die Suche nach diesen Nachrichten, die häufig eher Kürzestmeldungen sind, gleicht der Suche nach der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen. Aber … seit einigen Wochen bietet ANNO (Austrian Newspapers Online) die Möglichkeit der Volltextsuche in ausgewählten Titeln. Die Volltextsuche ist im Beta-Stadium, derzeit sind “knapp 200.000 Zeitungsausgaben mit knapp 2 Millionen Seiten von 1704-1872″ [1] durchsuchbar.  Zur Qualität heißt es:

Der Volltext basiert auf OCR-gelesenen Daten. Bei OCR (Optical Character Recognition) handelt es sich um ein automatisiertes Verfahren, weshalb es in manchen Texten zu einer sehr hohen Fehlerdichte kommen kann. Die Suche gestaltet sich oft etwas anders als etwa bei manuell abgetippten Texten. [...].[2]

Wienerisches Diarium 28.4.1734

Wienerisches Diarium 28.4.1734 | ANNO

Das lädt zum Experimentieren ein – denn unterschiedlichen Transkriptionen (wie etwa ‘Pecking’ oder ‘Pekin’ neben ‘Peking’ für Beijing 北京), sind bei der Arbeit mit Texten, die vor dem Zweiten Weltkrieg publiziert wurden, selbstverständlich. Aber Versuche (oder eher Spielereien – denn mehr ist es noch nicht – mit “ſ” (langem ‘s’)/”f” oder “ß”/”B” oder “C”/”S” etc. sind viel spannender, denn: Afien ift fuper.[3] ”

Sucht man “Chinese”, so ist der erste Treffer 1734 – April – 28: Wienerisches Diarium[4] – Seite 4.

Werfen wir einen Blick auf den Text – ein Klick auf das entsprechende Icon rechts oben zeigt den OCR-Text((Wienerisches Diarium Num. 34 (28.4.1734), 3f. Online: ANNO)).

Die kurze Meldung ist nicht besonders spannend – sie bringt zwei unterschiedliche Themen: Erdbeben in Beijing 1733 (und in den 3 Jahren davor) und den Krieg gegen die ‘Tartar(e)n’.

Zu den Erdbeben: Der Catalog of Damaging Earthquakes in the World (Through 2010) des International Institute of Seismology and Earthquake Engineering, Building Research Institute listet für die Zeit zwischen 1730 und 1733 eine Reihe von Erdbeben in China, darunter auch das Dongchuan 東川-Beben (Prov. Yunnan) vom 2.8.1733 (Stärke 7.8), aber nur wenige für den Raum Beijing.

  • 1730 Winter: China: Shandong – Stärke 5
  • 1730.09.30: China: Beijing – Stärke 6.5
  • 1731.11.30: China: Beijing – Stärke ? – 100000 Tote

Das Beben von 1730 hatte  schwere Schäden verursacht, das vom 30.11.1731 wohl 100000 Todesopfer gefordert.

Mit dem ‘Krieg gegen die Tartar(e)n’ ist wohl der Feldzug gegen die Dzungaren in der Yongzheng 雍正-Ära (1722-1735 ((Der Yongzheng 雍正-Kaiser Yinzhen  (1678-1735, regierte 1722-1735) hatte – wie schon sein Vater, der Kangxi-康熙-Kaiser Xuanye 玄燁 (1654-1722, regierte 1661-1722) vor ihm – versucht, die Position Chinas in der Äußeren Mongolei mit militärischen Mitteln zu sichern. Trotz der drückenden Übermacht der Qing-Streitkräfte konnten sich die zwar kleinen, aber sehr mobilen Verbände der Dzungaren zunächst behaupten, es gelang ihnen sogar, die Qing an den Rand der Niederlage zu bringen. Erst ein ‘Überläufer’, der sich auf die Seite der Qing-Dynastie geschlagen hatte, besiegte die Dszungaren.

Aber das ist hier eigentlich nebensächlich – es geht um Digitalisate und Volltext(e).

 OCR-Text Transkription
[S.3] Mm »st hier bmft «tK Ptckng / des )( » haupv 
[S. 4] Haupt, stadt in China / unter dem -offen
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 tige erdbeben daselbst verfpühret hätte / da
 dann die anzahl deren dabey auf manchen
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 2. Millionen beliefe. Der krieg gegen die
 Tartarn würde in dortigen gegenden auch
 «och immer fortgesetzet / doch es hatten
 sich zoo. Tartarn / unter allerhand vor,
 wände / mit ihren gmchen Familien auf die
 feite deren Chineftw gezogen / und dies
 ft hatten w einer nacht, alle Chinesische
 fchild < wachten listiger weife «r «ordet /und
 dadurch die gantze Chinesische Armee et-
 «er untemchmung deren Tartaren ausge ­
 setzet. Das daeauf vorgefallene Treffen,
 war so hitzig/ unvsö blutig gewesen/ den
 Weichen niemals w dortigen Landes ges«
 Den worden, 50000. Chinese» waren da,
 bey umgekommen, und ein General/
 welcher denen Tartarn in die Hände qe.
 saSen / war sogleich jäminerlich iv Stücken
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[S. 3] Man hat hier briefe aus Pecking / der 
[S.4] Haupt=stadt in China / unter dem 20sten 
Martii des vorigen 1733. jahres des in-
halts / wie man 4. jahre nach einander heft
ige erdbeben daselbst verspühret hätte / da 
dann die anzahl deren dabey auf mancher
ley art umgekommenen personen sich gegen 
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schild=wachten listiger weise ermordet / und 
dadurch die gantze Chinesische Armee ei
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war so hitzig / und so blutig gewesen / der
gleichen niemals in dortigen Landen gese
hen worden / 50000. Chineser waren da
bey umgekommen / und ein General / 
welcher denen Tartarn in die H[ae]nde ge
fallen / war sogelich j[ae]mmerlich in Stücken 
zerhauen worden.

Das blaßorange markierte Wort ‘Chinese’ liefert den Treffer in der Volltextsuche, das blaßblau markierte ‘Chinesern’ wird nicht erkannt, denn da steht im OCR-Text ‘Chineftw’. Gleiche Typen auf einer Seite (also demselben Papier) knapp untereinander, kein Schatten (wie das in der jeweils inneren Spalte im Bereich des Möglichen wäre). Der Befund überrascht wenig – und es ließen sich vermutlich zahllose ähnliche Beispiele finden BTW: Das blassgrün markierte ‘Pecking’ wird bei einer Suche nach ‘Peking’ ebenfalls nicht gefunden, ein Blick in den OCR-Text zeigt warum: Dort steht ‘Ptckng’.

Big Data zum Greifen nahe?
Oder doch nicht?

  1. S. ANNO Suchhilfe
  2. S. ANNO Suchhilfe <abgerufen am 8.7.2013.>
  3. S. auch: Im Netz der (un)begrenzten Möglichkeiten.
  4. Das Wienerische Diarium war quasi der Vorgänger der Wiener Zeitung, es erschien 1703 bis 1779, ab 1780 erscheint das Blatt als Wiener Zeitung.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/796

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China-News: Eine Zeitungsmeldung vom 28. April 1734

Welche Meldungen aus/über China finden sich in den Zeitungen Europas? ‘Sensationen’ oder ‘Merkwürdigkeiten’? Nachrichten über Naturkatastrophen? Über Erfahrungen von Europäern in China? Die Suche nach diesen Nachrichten, die häufig eher Kürzestmeldungen sind, gleicht der Suche nach der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen. Aber … seit einigen Wochen bietet ANNO (Austrian Newspapers Online) die Möglichkeit der Volltextsuche in ausgewählten Titeln. Die Volltextsuche ist im Beta-Stadium, derzeit sind “knapp 200.000 Zeitungsausgaben mit knapp 2 Millionen Seiten von 1704-1872″ [1] durchsuchbar.  Zur Qualität heißt es:

Der Volltext basiert auf OCR-gelesenen Daten. Bei OCR (Optical Character Recognition) handelt es sich um ein automatisiertes Verfahren, weshalb es in manchen Texten zu einer sehr hohen Fehlerdichte kommen kann. Die Suche gestaltet sich oft etwas anders als etwa bei manuell abgetippten Texten. [...].[2]

Wienerisches Diarium 28.4.1734

Wienerisches Diarium 28.4.1734 | ANNO

Das lädt zum Experimentieren ein – denn unterschiedlichen Transkriptionen (wie etwa ‘Pecking’ oder ‘Pekin’ neben ‘Peking’ für Beijing 北京), sind bei der Arbeit mit Texten, die vor dem Zweiten Weltkrieg publiziert wurden, selbstverständlich. Aber Versuche (oder eher Spielereien – denn mehr ist es noch nicht – mit “ſ” (langem ‘s’)/”f” oder “ß”/”B” oder “C”/”S” etc. sind viel spannender, denn: Afien ift fuper.[3] ”

Sucht man “Chinese”, so ist der erste Treffer 1734 – April – 28: Wienerisches Diarium[4] – Seite 4.

Werfen wir einen Blick auf den Text – ein Klick auf das entsprechende Icon rechts oben zeigt den OCR-Text((Wienerisches Diarium Num. 34 (28.4.1734), 3f. Online: ANNO)).

Die kurze Meldung ist nicht besonders spannend – sie bringt zwei unterschiedliche Themen: Erdbeben in Beijing 1733 (und in den 3 Jahren davor) und den Krieg gegen die ‘Tartar(e)n’.

Zu den Erdbeben: Der Catalog of Damaging Earthquakes in the World (Through 2010) des International Institute of Seismology and Earthquake Engineering, Building Research Institute listet für die Zeit zwischen 1730 und 1733 eine Reihe von Erdbeben in China, darunter auch das Dongchuan 東川-Beben (Prov. Yunnan) vom 2.8.1733 (Stärke 7.8), aber nur wenige für den Raum Beijing.

  • 1730 Winter: China: Shandong – Stärke 5
  • 1730.09.30: China: Beijing – Stärke 6.5
  • 1731.11.30: China: Beijing – Stärke ? – 100000 Tote

Das Beben von 1730 hatte  schwere Schäden verursacht, das vom 30.11.1731 wohl 100000 Todesopfer gefordert.

Mit dem ‘Krieg gegen die Tartar(e)n’ ist wohl der Feldzug gegen die Dzungaren in der Yongzheng 雍正-Ära (1722-1735 ((Der Yongzheng 雍正-Kaiser Yinzhen  (1678-1735, regierte 1722-1735) hatte – wie schon sein Vater, der Kangxi-康熙-Kaiser Xuanye 玄燁 (1654-1722, regierte 1661-1722) vor ihm – versucht, die Position Chinas in der Äußeren Mongolei mit militärischen Mitteln zu sichern. Trotz der drückenden Übermacht der Qing-Streitkräfte konnten sich die zwar kleinen, aber sehr mobilen Verbände der Dzungaren zunächst behaupten, es gelang ihnen sogar, die Qing an den Rand der Niederlage zu bringen. Erst ein ‘Überläufer’, der sich auf die Seite der Qing-Dynastie geschlagen hatte, besiegte die Dszungaren.

Aber das ist hier eigentlich nebensächlich – es geht um Digitalisate und Volltext(e).

 OCR-Text Transkription
[S.3] Mm »st hier bmft «tK Ptckng / des )( » haupv 
[S. 4] Haupt, stadt in China / unter dem -offen
 Marti» des vorigen l?zz. jahres des in,
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 tige erdbeben daselbst verfpühret hätte / da
 dann die anzahl deren dabey auf manchen
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 2. Millionen beliefe. Der krieg gegen die
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 «er untemchmung deren Tartaren ausge ­
 setzet. Das daeauf vorgefallene Treffen,
 war so hitzig/ unvsö blutig gewesen/ den
 Weichen niemals w dortigen Landes ges«
 Den worden, 50000. Chinese» waren da,
 bey umgekommen, und ein General/
 welcher denen Tartarn in die Hände qe.
 saSen / war sogleich jäminerlich iv Stücken
 »erhamn worden.
[S. 3] Man hat hier briefe aus Pecking / der 
[S.4] Haupt=stadt in China / unter dem 20sten 
Martii des vorigen 1733. jahres des in-
halts / wie man 4. jahre nach einander heft
ige erdbeben daselbst verspühret hätte / da 
dann die anzahl deren dabey auf mancher
ley art umgekommenen personen sich gegen 
2. millionen beliefe. Der krieg gegen die 
Tartarn w[ue]rde in dortigen gegenden auch 
noch immer fortgesetzet / doch es hatten 
sich 300. Tartarn / unter allerhand vor
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war so hitzig / und so blutig gewesen / der
gleichen niemals in dortigen Landen gese
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bey umgekommen / und ein General / 
welcher denen Tartarn in die H[ae]nde ge
fallen / war sogelich j[ae]mmerlich in Stücken 
zerhauen worden.

Das blaßorange markierte Wort ‘Chinese’ liefert den Treffer in der Volltextsuche, das blaßblau markierte ‘Chinesern’ wird nicht erkannt, denn da steht im OCR-Text ‘Chineftw’. Gleiche Typen auf einer Seite (also demselben Papier) knapp untereinander, kein Schatten (wie das in der jeweils inneren Spalte im Bereich des Möglichen wäre). Der Befund überrascht wenig – und es ließen sich vermutlich zahllose ähnliche Beispiele finden BTW: Das blassgrün markierte ‘Pecking’ wird bei einer Suche nach ‘Peking’ ebenfalls nicht gefunden, ein Blick in den OCR-Text zeigt warum: Dort steht ‘Ptckng’.

Big Data zum Greifen nahe?
Oder doch nicht?

  1. S. ANNO Suchhilfe
  2. S. ANNO Suchhilfe <abgerufen am 8.7.2013.>
  3. S. auch: Im Netz der (un)begrenzten Möglichkeiten.
  4. Das Wienerische Diarium war quasi der Vorgänger der Wiener Zeitung, es erschien 1703 bis 1779, ab 1780 erscheint das Blatt als Wiener Zeitung.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/796

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Wenn Bilder wandern …. Oder: Von der Schwierigkeit, Karikaturen zu übersetzen

MIT Visualizing Cultures (Screenshot)

MIT Visualizing Cultures (Screenshot)

Seit mehr als 10 Jahren präsentiert das am Massachusetts Institute of Technology angesiedelte Projekt Visualizing Cultures, das in die Open Courseware-Initiative eingebettet ist, Module zur Geschichte Ostasiens und fördert bei regelmäßigen Konferenzen die Vernetzung von ForscherInnen unterschiedlichster Disziplinen, die mit Bildquellen arbeiten.

Visualizing Cultures was launched at MIT in 2002 to explore the potential of the Web for developing innovative image-driven scholarship and learning. The VC mission is to use new technology and hitherto inaccessible visual materials to reconstruct the past as people of the time visualized the world (or imagined it to be). [Quelle: http://ocw.mit.edu/ans7870/21f/21f.027/home/index.html]

Jedes Modul stellt Bildmaterial zu einem bestimmten Ereignis in den Mittelpunkt – wobei die Bildmaterialien, die vorgestellt werden, von Gemälden und Zeichnungen über Landkarten und Pläne zu Photographien, von Plakaten über Propoaganda-Postkarten zu Karikaturen reichen – wie beispielsweise:

Eines der Module beschäftigt sich mit der Kaiserinwitwe Cixi (Cixi 慈禧, 1835-1908). In The Empress Dowager and the Camera. Photographing Cixi, 1903-1904 bespricht David Hogge im Abschnitt Cixi’s Image Problem einige Karikaturen, um die Wahrnehmung der Kaiserinwitwe zu veranschaulichen. Unter diesen Karikaturen finden sich auch Beispiele aus österreichisch-ungarischen satirisch-humoristischen Periodika, so aus dem “Floh”, der “Germany” zugerechnet wird und aus dem “Kikeriki”.

Aus den verwendeten Karikaturen und deren Präsentation wird ersichtlich, wie komplex der Umgang mit der Quellengattung Karikatur ist – und warum es mitunter unumgänglich ist, auf das Original zurückzugreifen.

MIT Visualizing Cultures | Karikatur aus dem 'Kikeriki'Eine Karikatur (s. Abbildung links) aus dem “Kikeriki” [Bild cx235 (mit Quellenangabe, Vergrößerung])  ist besonders interessant. Thema das Schicksal der ausländischen Diplomaten in Beijing 北京 während der Yihetuan-Bewegung (義和團運動 Yihetuan Yundong, Boxer-Krieg, häufig auch “Boxer-Aufstand”) im Sommer 1900.

Die Karikatur hat hier keinen Titel, der Blocktext ist in französischer Sprache:

“Kikeriki, No. 97 June 12, 1900 (Austria)  “Cette bonne impératrice de Chine garde soigneusement dans le plus intime de son palais, les représentants des puissances. Alors! que signifie?”

In der Präsentationwird eine englische Übersetzung beigefügt:

“This good empress of China carefully guards in the innermost part of the palace the representatives of the Powers. So! what does that mean?”

Die Frage ist nicht unberechtigt – denn die ganze Sache erschein bei genauer Betrachtung durchaus mysteriös …

Als Quelle wird lediglich “Kikeriki, No. 97 June 12, 1900 (Austria) angegeben.  Das kann nicht sein, denn der 12. Juni 1900 war ein Dienstag. Der “Kikeriki”, eines der bedeutendsten satirisch-humoristischen Periodika des späten 19./frühen 20. Jahrhunderts, erschien wöchentlich am Dienstag und am Sonntag (s. Jahresübersicht Kikeriki 1900) – allerdings liegt der ‘Fehler’ schon in der Vorlage, die wohl einem französischen Sammelband mit China-Karikaturen oder Karikaturen zu ‘la guerre de Boxeurs’ entnommen wurde, das allerdings im Quellenverzeichnis nicht genannt wird.

ANNO | Kikeriki, 5.8.1900, S. 4 Das Original (s. Abb. rechts) findet sich auch in der Nummer  62 vom 5. August 1900 auf Seite 4 – dort mit einem deutschen Text:

Neuesten Nachrichten zufolge befinden sich die europäischen Gesandten unter dem Schutz der Kaiserin Tsu-tsi [i.e. Cixi] derzeit sehr wohl. [oberhalb der Karikatur]
- Aber so! [unterhalb der Karikatur]

Die Karikatur ist die sehr drastische Umsetzung der Interpretation der sehr widersprüchlichen Nachrichten aus China, denn einerseits gab es die offizielle Mitteilung, dass es den Gesandten gut geht, andererseits kamen zahllose Gerüchte darüber, dass die Gesandtschaften niedergebrannt und alle Gesandten gefangen genommen oder gar ermordet worden wären. Im Zentrum thront eine weibliche Figur, die durch Kleidung, Frisur und (über)lange Fingernägel als ‘Chinesin’ markiert und durch den Blocktext als Cixi identifiziert wird. Sie ‘bewacht’ einen Käfig mit der Aufschrift “Gesandtschafts-Palais”. In diesem Käfig sind eine ganze Reihe von Figuren gefangen, die durch Kleidung/Uniform, Kopfbedeckungen und Frisuren als Ausländer markiert und durch den Text als diplomatische Vertreter identifiziert sind. Zu erkennen sind (v. l. n. r.) Russland, Spanien, Österreich-Ungarn, Frankreich, Großbritannien und das Deutsche Reich. Rechts neben dem Käfig ist ein rauchender Ofen mit der Aufschrift “Englische Gesandtschaft” zu sehen. Im Bildhintergrund links ist ein als chinesisch markiertes Gebäude mit der Aufschrift “Kaiserpalast” zu sehen.

Ohne den Text wäre das eines von vielen [1] kaum verhüllt rassistischen und Chinesen-feindlichen Bildern (Karikaturen und Bildwitzen) des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Der Blocktext erlaubt eine Einordnung, er setzt einen Rahmen, der zwar am in der manifesten Feindbild nichts ändert, für die Deutung der Karikatur aber zwingend notwendig ist. Durch die Übersetzung und die damit verbundene Verfremdung in der im Visualizing-Cultures-Modul präsentierten Version (die allem Anschein nach aus einem französischen Sammelband von Karikaturen stammt) wird die Bedeutung verändert, die Pointe ist verloren. Aus einer pointierten Karikatur wird eine platte Feindbilder verstärkende Zeichnung von begrenzter künstlerischer Qualität …

[1] Die Karikatur ist eine von mehr als dreihundert zum Thema China, die zwischen 1894 und 1917 im Figaro, im Kikeriki, im Floh, in den Humoristischen Blättern und in den (N)euen Glühlichtern erschienen.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/68

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