Logbuch “Schizophrene Ökologien” 6: Peripatetische Annäherungen an Christian Krachts literarisches Réduit (Fortsetzung)

Martin Bartelmus unterwegs zum Bau, 18:24, Düsseldorf, 07.07.2015, ca. 18:45, aufgenommen mit Iphone 4

Sergej Rickenbacher auf der Suche, Botanischer Garten Düsseldorf, 07.07.2015, ca. 18:45, aufgenommen mit Iphone 4

Der immaterielle Diskurs, der sich z.B. in der Rauchsprache manifestiert, korreliert mit einem Gegenständlich-Werden von Tieren und Sonden, die in der Welt sind, ohne einen Zugang zum Sein zu besitzen. Die Benutzung einer Heidegger’schen Begrifflichkeit geschah nicht zufällig im Gespräch, sondern wird vom Roman aufgegeben. Besonders in der Begegnung des Komissärs mit dem wahnsinnigen Maler Roerich wird eindeutig und zum Teil wortwörtlich auf Heideggers Kunstwerk-Aufsatz Bezug genommen (Entbergen, Kunsthandwerk, Aletheia, Hervorbringen des Nichtanwesenden ins Anwesende etc.).

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Quelle: https://grk1678.hypotheses.org/721

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Logbuch “Schizophrene Ökologien” 5: Peripatetische Annäherungen an Christian Krachts literarisches Réduit

Wurzelgewächsaus botanischer Garten Düsseldorf, 07.07.2015, 18:34, aufgenommen mit Motorola Moto G

Kuppelgewächshaus im botanischen Garten Düsseldorf, 07.07.2015, 18:34, aufgenommen mit Motorola Moto G

Dieser Eintrag in unser Logbuch “Schizophrene Ökologien“ fasst das Gespräch vom 07.07.2015 im botanischen Garten der Universität Düsseldorf zusammen. Wir entschieden uns für die Diskussion eines neuen Textes aus unserem Korpus, der aber auf Arno Schmidts Schwarze Spiegel und Die Gelehrtenrepublik bezogen werden kann und muss: Christian Krachts Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten. Das Gehen und die neue Umgebung beeinflusste sowohl die Diskussion als auch die mediale Aufbereitung für das Logbuch. Obwohl wir den Roman in unseren Händen hielten, blätterten wir nur zwei Mal darin, wodurch das Gespräch einen peripatetischen, fließenden Rhythmus annahm. Dagegen ist die Aufnahme mit Störgeräuschen durchsetzt: Als Aufnahmegerät wurde wie üblich das Iphone 4 verwendet, jedoch in die Brusttasche von Sergej Rickenbacher gesteckt.

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Quelle: http://grk1678.hypotheses.org/710

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Logbuch “Schizophrene Ökologien” 2: Gedankliche Diskontinuitäten und Arno Schmidts “Die Gelehrtenrepublik”

Das Gespräch fand im Postdoc-Büro um 14 Uhr nach einem gemeinsamen Mittagessen mit weiteren Kollegen statt. Die Dauer des Gesprächs war 17:33 min. Das Gespräch ist als Audiodatei am Ende des Eintrags zugänglich. Der Logbucheintrag wurde ungefähr 30 Minuten nach dem Gespräch begonnen und weitere 60 Minuten beendet. Bereits am Tag zuvor fand eine Chat-Unterhaltung über die möglichen Traktanden des Gesprächs statt und Arno Schmidt war auch Thema in der Mittagspause.

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Die Bestandesaufnahme zeigte, dass wir uns zunächst nur an eine unseren beiden Hauptthesen des letzten Gesprächs erinnerten und nur nach einigem Nachdenken und Reden die zweite These formulieren konnten. Diesen zähen Einstieg führten wir auf den Semesterbeginn und andere Aufgaben wie Aufsätze und Tagungen zurück, die in den letzten beiden Wochen anstanden. Weder Martin Bartelmus noch Sergej Rickenbacher hatten sich auf das Gespräch extra vorbereitet. Die zwei Hauptthesen, so wie wir sie erinnerten, lauteten:

Erstens findet die Assoziierung von menschlichen und nicht-menschlichen Wesen in Arno Schmidts „Schwarze Spiegel“ durch die Umwandlung von gegenständlichen Substantiven in Verben statt und zweitens wird vom letzten Menschen nur dann assoziiert, wenn kein menschliches Gegenüber vorhanden ist.

Auf Vorschlag von Sergej Rickenbacher begannen wir mit der Diskussion des Textes „Die Gelehrtenrepublik. Kurzroman aus den Roßbreiten“ von Arno Schmidt. Die Textkenntnisse sind unterschiedlich, da nur Martin Bartelmus den Roman vor einer Weile bereits ganz gelesen hat. Wir setzten das Gespräch von der Mittagspause fort, das sich vor allem um die Topographie bzw. die Kartographie des Romans drehte. Die Räume in “Die Gelehrtenrepublik“ scheinen Heterotopien zu sein, in denen neue Versammlungen von Menschen, Zentauren oder Never-Nevers stattfinden. Der Status der Gelehrtenrepublik als klassischer U-topos müsste dahingehend genauer analysiert werden. Weiter verfolgt werden muss der Hinweis von Arne Leopold, ehemaligen Stipendiaten des GRK1678, nach dem Mittagessen, dass die hybriden Wesen in mittelalterlichen Karten immer am Rande angesiedelt waren, was bis zu einem gewissen Grad mit dem Roman übereinstimmt.

“Die Gelehrtenrepublik“ kann angesichts seiner Konstruktion von Umwelt als ein typischer Text – noch eindeutiger als “Schwarze Spiegel“ – als schizophrene Ökologien bezeichnet werden, der die Versammlungen nach einem Tag X verhandelt. Stellt “Schwarze Spiegel“ eine Individualgeschichte dar, so hebt “Die Gelehrtenrepublik“ das Geschehen auf eine globale Ebene, was mit Latours Forderung nach einer Verschränkung von Globalem und Lokalem entspricht.

Diese Differenz zeigt sich auch in der Erzählanordnung. Es handelt sich um eine Reportage eines amerikanischen Journalisten über die zwei Welten. Entscheidend ist aber auch, dass diese Reportage zu einem späteren Zeitpunkt von einem Übersetzer ins Deutsche übertragen wird und dass dieser Übersetzer einen signifikant kleineren Wortschatz als der Protagonist besitzt. Zum einen haben wir es also mit einer schizophrenen Erzählerstimme zu tun, zum anderen existieren Übertragungsdefizite (Nachträgliche Anmerkung: Die Schizophrenie in der Stimme offenbart sich dank dieser Übertragungsdefizite).

Die defizitäre Übersetzung kann im Sinne Latours und dem risky account verstanden werden. Geschehen, Übersetzung in den Bericht und Übersetzung des Berichts für ein Publikum erzeugen Reibung. Erfolgsversprechend wäre für die Frage der Übersetzung wohl auch die Gegenüberstellung von Benjamins poetisch-sprachphilosophischen Übersetzungsbegriff und Latours soziologischem Verständnis. Zunächst stellt sich die Frage der Emergenzen, die wohl beide Begriffe in anderer Weise besitzen. Eine Differenz ist Latours Vorstellung, dass bei der Übersetzung immer alle Akteure mitgenommen werden (“Wir fahren alle zusammen mit dem Bus und müssen einen Fahrschein losen“).

Ausgehend von Latours “Parlament der Dinge“ könnte der Protagonist als Wissenschaftler, jedoch nicht als Diplomat bezeichnet werden. Ist das Buch der Diplomat? Oder wir als Leser? Ist Fiktion zu komplex für die Theorie in “Das Parlament der Dinge“, weil es sich nicht um Sphären sondern Verschachtelungen handelt und der Diplomat zum Parlament, das Parlament zur Ökologie werden kann? „Die Gelehrtenrepublik“ ist bereits in der Topographie, in der Erzählstimme, bei den Wesen schizophren sind, und schließt daher eher an Existenzweisen.

Zuletzt setzten wir uns zwei Ziele für das nächste Gespräch: Erstens eine Durchsicht der Forschungsliteratur zu “Schwarze Spiegel“ und “Die Gelehrtenrepublik“, zweitens ein Inventar an Hybriden und schizophrenen Ökologien (Nachtrag: Zusätzlich müsste die tatsächliche, metaphorische, vielleicht sogar poetologische Bedeutung der Kernschmelze bzw. der Radioaktivität auf die Schizophrenie diskutiert werden).

Per Münzwurf wurde entschieden, wer die Aufnahme ins Logbuch übersetzen muss. Martin Bartelmus wählte Zahl und gewann, d.h. Sergej Rickenbacher verfasste diesen Logbucheintrag.

Quelle: http://grk1678.hypotheses.org/569

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Logbuch “Schizophrene Ökologien” 1: Arno Schmidts “Schwarze Spiegel” und Akteur-Netzwerke

10. April 2015, 14:32 – Parkbank, Campus Heinrich-Heine-Universität

Diskussionsort HHU Düsseldorf, 10. April 2015, 14:56, aufgenommen mit Motorola Moto G

Diskussionsort HHU Düsseldorf, 10. April 2015, 14:56, aufgenommen mit Motorola Moto G

Zwischen Abfassen des Logbucheintrags 1 und der Aufnahme des Gesprächs liegen etwa 15 Minuten. Vorgängig legten wir fest, dass wir uns 30 Minuten Zeit nehmen und das Gespräch mit dem Iphone aufnehmen.

Nach einer kurzen Materialsichtung und einem ‚Was-bisher-geschah‘ widmen wir uns in diesem ersten Logbuch Arno Schmidt. Im Hinblick auf eine Bewerbung für eine Vortrag für die Arno-Schmidt-Jahrestagung (bis zum 31.05.2015) besprechen wir den ohnehin für unser Projekt wichtigen Text ‚Schwarze Spiegel‘.

Vorausgegangen ist ein kurzes Gedanken-Exposé von Martin Bartelmus, das erste Ideen zur Interpretation des Textes formuliert: ausgedruckt im Doktorandenbüro, auf Umweltpapier, von einem Samsung-Drucker und geschrieben auf einem MacBook Pro. Die Textstellen, die im Exposé verwendet werden, stammen vom ersten Durchlesen des Textes, als das Projekt noch gar nicht existierte (vor ca. einem Jahr). Diese mit Bleistift markierten Passagen finden nun Eingang in das Projekt.

Wir besprechen also das Exposé und stellen fest, dass wir zwei Hauptaspekte analysieren wollen: zum einen eine Poetik oder Poetologie, zum anderen die Interaktion zwischen Leser und Text bzw. Realität und Fiktion. Dabei geht es um die poetologischen Figuren des letzten Überlebenden und des oikos, das für uns die Frage aufwirft, wie Latours ANT auf Schmidts Text reagiert und umgekehrt.

IT-Station Doktorandenraum GRK1678, 10. April 2015, 14:59, aufgenommen mit Motorola Moto G

IT-Station Doktorandenraum GRK1678, 10. April 2015, 14:59, aufgenommen mit Motorola Moto G

Welche Stellung hat der Text in unserem Korpus? ‚Schwarze Spiegel‘ steht als Nachfolgetext von ‚Leviathan‘ sowie dessen Frage nach der Daseinsberechtigung der Welt und eröffnet somit die Perspektive auf die Ökologie im Anthropozän. Apokalypse – Enthüllung. Zuerst die Zerstörung und dann die Wiederversammlung der Kollektive? Zentral ist das Hausbauen. Somit zeigt sich, dass wir Schmidts Text ‚Schwarze Spiegel‘ dreiteilen können: Am Anfang steht der letzte Mensch, der sich in Verbindung mit den Dingen und anderen nichtmenschlichen Lebewesen eine Welt konstruiert. Mit dem Auftauchen einer Frau, wird die Trennung der Moderne von Natur und Gesellschaft reaktualisiert und die Dinge werden wieder Zwischenglieder für das soziale Verhältnis. Später – nach ihrem Verschwinden – kehrt die Kollektivierung wieder zurück. Dinge sind wieder Akteure/Mittler.

Ersetzen die Dinge den Menschen? Wir vermuten es. Die Kollektivierung würde dabei auf zwei Arten passieren. Erstens durch die Umwandlung der Dinge in Verben, wodurch ihnen Agency zukommt, zweitens durch die Anreicherung des Textes mit Zitaten. Wann sind die Dinge Zwischenglieder und wann sind sie Mittler? Diese Frage entscheidet die Konstruktion von sozialer Welt/Natur vom Kollektiv. Sind die Zitate Mittler? Haben auch sie Handlungsmacht? Wenn ja, verweisen beide sprachlichen Mittel also auf eine schizophrene Poetik der Ökologie. Die Vervielfältigung des Sprechens als Akteur. Kann die Verwendung der Zitate als Modell für unsere Übersetzung der Koexistenz funktionieren?

Wichtig sind uns die Problematik des Wahnsinns und die psychoanalytische Deutung des letzten Überlebenden. Ist diese Assoziation mit den nichtmenschlichen Akteuren einfach nur pathologisch oder – so wie wir es interpretieren wollen – ontologisch? Wir könnten zeigen, dass gerade die psychologisierte Deutungsweise zum Dispositiv der Moderne gehört und Teil der Reinigungs- und Trennungsarbeit ist.

Zuletzt rekapitulieren wir alle potentiellen Akteure: Handy, Aufnahme-App, Umwelt des Campus, Sonne, Sonnenbrille. Allerdings stellen wir fest, dass der Einfluss der Akteure schwierig zu quantifizieren ist. Klar feststellbar ist die Wirkung der Aufnahme-App, weil wir an uns selbst bemerkt haben, dass wir besonders zu Beginn des Gesprächs anders intonierten und gewählter formulierten.

Per Münzwurf entscheiden wir, wer den ersten Entwurf des Eintrags schreiben muss (Martin Bartelmus) und nachträglich legen wir fest, die ganze Audio-Datei des Gesprächs auf den Blog zu stellen.

Quelle: http://grk1678.hypotheses.org/542

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Übersetzung der Koexistenz. Logbuch zur Reise in “Schizophrene Ökologien”

Handbibliothek Doktorandenraum GRK1678, 27. März 2015, 15:58:58.

Handbibliothek Doktorandenraum GRK1678, 27. März 2015, 15:58:58, aufgenommen mit Motorola Moto G.

Dieses Logbuch dokumentiert das Publikationsprojekt “Schizophrene Ökologien. Für eine Gleichstellung fiktionaler Welten” von Dr. Sergej Rickenbacher und Martin Bartelmus. Unter ‘schizophrenen Ökologien’ verstehen wir fiktionale Welten, in denen Versammlungsweisen von nichtmenschlichen und menschlichen Akteuren sowie die modernen und nicht-modernen Prozesse von Welt-Bildung erfahrbar werden. In unserem Publikationsprojekt wenden wir uns literarischen Texten von Arno Schmidt, Christian Kracht und Dietmar Dath zu, die dystopische und postapokalyptische Welten verhandeln.

Doch warum ein öffentliches Logbuch führen?

Die Entscheidung, ein Logbuch über die gemeinsame Arbeit anzulegen und zusätzlich den Lesern des GRK1678-Blog zugänglich zu machen, basiert auf zwei Überlegungen:

1. Das Fahrzeug der Reise: Wissenschaftliche Texte als Artefakte des Kollektivs

Die erste Überlegung knüpft an die methodischen Grundlagen der “Schizophrenen Ökologien” an. Das Projekt orientiert sich methodisch wie begrifflich bei Bruno Latour, der den wissenschaftlichen Text gerade nicht als unproblematischen Bericht über die Ergebnisse eines Experimentes oder einer Studie versteht. In Bezug auf Bruno Latours ‘fünfte Quelle der Unbestimmtheit’ in Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft verstehen auch wir den wissenschaftlichen Text als Artefakt, das am Ende vieler Operationen steht, um gleichzeitig wieder in die Prozesse des Kollektivs eingespeist zu werden. Die Fabrikation eines wissenschaftlichen Textes ist somit ein Mittler in einer fortlaufenden Kette von Übersetzungen zwischen Beobachter, Daten, Notizen, Entwürfen, Autor, Tastatur, Schriftzeichen, Leser etc.: “Be-schreiben, auf-schreiben, erzählen und das Schreiben von Abschlußberichten sind so unnatürlich, mühselig und komplex, wie es das Sezieren von Fruchtfliegen oder die Beförderung eines Teleskops in den Weltraum sind.”1 Das Logbuch ist konstitutiver Bestandteil einer Akteur-zentrierten Methode, die versucht die Entstehung eines Textes in seiner Komplexität ernst zu nehmen.

Arrangierte Stühle im Doktorandenraum mit Dietmar Daths "Abschaffung der Arten", Suhrkamp Taschenbuch, 27. März 2015, 15:05, aufgenommen mit Motorola Moto G.

Stuhlarrangement mit Dietmar Daths “Abschaffung der Arten” (Suhrkamp Taschenbuch) im Doktorandenraum, 27. März 2015, 15:05, aufgenommen mit Motorola Moto G.

Uns interessieren hier besonders ›Notizbücher‹, die den Weg zum wissenschaftlichen Text dokumentieren sollen. Latour unterscheidet vier verschiedene Formen von Notizbüchern, die wir in eigener Terminologie aufzählen: Logbuch, Karteikästen, Entwürfe und Wirkungsprotokoll. Alle vier Notizbücher berücksichtigen wir auf die eine oder andere Weise im Verlaufe unseres Projektes. Für den Blog-Leser ist vorerst das Logbuch von besonderer Relevanz. Das Logbuch soll zum einen die begangenen Schritte der Reise protokollieren und zum anderen die Veränderungen enthalten, die wir selbst während der Arbeit mit diesen Texten erfahren.

Wir sind also weder neutrale Beobachter noch maliziöse Manipulatoren: Zwischen uns und dem Untersuchungsgegenstand entfaltet sich vielmehr diverse Wechselwirkungen in der Zeit, die zudem von vielen unerwarteten Entitäten zusätzlich dynamisiert oder modifiziert werden. Diese Kollektive (oder Akteur-Netzwerke) umfassen aber nicht nur uns als Autoren und die Romane Schmidts, Krachts und Daths als Untersuchungsgegenstand, sondern zu ihm gehören gleichfalls alle anderen Mitglieder des GRK1678, unsere Computer, deren Software, ja auch unsere Handbibliothek, unsere Tische, unsere Kaffeemaschine, unsere Kantinen oder unser Kiosk. Alle diese Akteure im Kollektiv sind im Normalfall zu einer stummen und geheimen Koexistenz verdammt. Wir erhoffen uns, durch das Logbuch mehr über die kollektive Produktion unserer Texte zu erfahren.

2. Es sind noch Plätze frei! Die Demokratisierung der Wissenschaft

Wieso aber dieses Logbuch auf dem Blog GRK1678 veröffentlichen? Präziser: Wieso ein Logbuch für ein Blog überhaupt erst schreiben? Die Antwort auf diese Fragen entspricht der zweiten Überlegung. Sie ist zweiteilig. Der erste Teil bezieht sich auf die Ziele dieses Blogs: Es hat es sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur wissenschaftliche Inhalte zu vermitteln, sondern auch einen Einblick in die Arbeit des GRK1678 zu ermöglichen. Mit der fortlaufenden Dokumentation unseres Publikationsprojektes soll diesem Anspruch nachgekommen werden.

Martin Bartelmus, Büro Postdocs, 14:08, 4. Februar 2015

Martin Bartelmus, Büro Postdocs, 4. Februar 2015, 14:08, aufgenommen mit Motorola Moto G.

Der zweite Teil der Antwort ist wiederum durch Latour inspiriert. Unser Projekt »schizophrene Ökologien« orientiert sich an Latours ‘politischer Ökologie’, die er v.a. in Das Parlament der Dinge entwickelt. Eine zentrale Forderung der ›politischen Ökologie‹ ist ein neuer Wissenschaftler. Er soll nicht mehr als Auserwählter der Gesellschaft eine ko-existierende, aber stumme Außenwelt zum ‘Sprechen’ bringen und die Ergebnisse dieser Tätigkeit als ‘Tatsache’ der Gesellschaft verkünden können. Zum einen seien ‘Tatsachen’ nicht natürlich gegeben, sondern ein verhandelter Konsens, an dem menschliche und nicht-menschliche Akteure gleichermaßen beteiligt waren. Zum anderen sollen, wenn die ‘Tatsachen’ schon ein Verhandlungsergebnis seien, auch die Öffentlichkeit an ihrer Schaffung beteiligt sein. Das Logbuch auf dem Blog übersetzt die wissenschaftliche Arbeit in die Öffentlichkeit und stellt es dem Leser frei, mittels Kommentarfunktion an der Verhandlung teilzunehmen.

Sergej Rickenbacher, Büro Postdocs, 14:08, 4. Februar 2015, aufgenommen mit Iphone 4S.

Sergej Rickenbacher, Büro Postdocs, 4. Februar 2015, 14:08, aufgenommen mit Iphone 4S.

Latours Soziologie und ‘politische Ökologie’ sollen aber nicht naiv übernommen werden (ebenso bildet er nicht die einzige theoretische Grundlage für die “Schizophrenen Ökologien”). Eine Irritation war für uns die Absenz der Literatur- und Sprachwissenschaft in Latours Soziologie und Ökologie. Gerade die Philologien könnten ja kompetent über die Praxis, Poetik und Poiesis von Texten Auskunft geben könnten. Den naturwissenschaftlichen Gestus der Objektivität, den Latour an der ‘Soziologie des Sozialen’ kritisiert, hat die Geisteswissenschaft diese Haltung spätestens mit dem linguistic turn abgelegt. Sie ist sich der Artifizialität ihrer Texte also schon längst bewusst, ohne deswegen den Anspruch auf Genauigkeit aufzugeben. Gerade angesichts des methodischen Bewusstseins für den konstruktiven Aspekt der eigenen Arbeit stellt sich aber die Frage, ob die Übersetzung der Textkonstruktion in eine Öffentlichkeit nicht ebenso dringlich wie für die Naturwissenschaften ist? Wir meinen ja. Im Gegensatz zur Natur- und Sozialwissenschaft wäre aber das Ziel einer solchen Übersetzung nicht die Dekonstruktion falscher ‚Tatsachen’ oder die Demaskierung einer falschen ‘Objektivität’. Vielmehr macht unser Logbuch erstens sichtbar, wie ‘experimentell’ die Literaturwissenschaft verfährt, und legt zweitens offen, wie und ob unsere Argumente funktionieren.

3. Das Ticket lösen: Medialität der Übersetzung

Latour gilt es auf einem zweiten Feld zu ergänzen, denn nicht nur der wissenschaftliche Text ist ein Artefakt. Auch das Logbuch ist keine Abbildung des Arbeitsprozesses. Es ist immer schon ein Medium im Sinne eines Mittlers – und dies nicht nur wegen seiner sprachlichen bzw. bildlichen Erscheinungsformen. Obwohl der Begriff ‘Logbuchs’ weniger vorbelastet als z.B. ein Protokoll ist, entspricht es bereits einem Standard, der das Merk-Würdige vordefiniert. Auch für ein Logbuch gilt, dass es nicht nur ein kausales Zwischenglied, sondern ein aktiver Übersetzer ist. In unserem Vorhaben verkomplizieren weitere Gegebenheiten das Verfassen eines Logbuchs:

Vorschau Artikel auf MacBookPro, Büro Postdocs, 27. März 2015, 16:28, aufgenommen mit Motorola Moto G.

Vorschau Artikel auf MacBookPro, Büro Postdocs, 27. März 2015, 16:28, aufgenommen mit Motorola Moto G.

  • Es existiert nicht nur ein Autor, sondern wir sind immer zwei, wenn nicht mehrere Autoren.
  • Das Blog GRK1678 verlangt nach einer verständlichen Präsentation unserer Einträge und zwingt zu einer Periodisierung. Damit einher geht aber die Gefahr der Ästhetisierung und der Anpassung. Die Intimität und Unmittelbarkeit eines Fahrten- oder Tagebuchs fehlt und der Leser agiert bereits als fiktive Ordnungsinstanz.
  • Für den Leser des Logbuchs besteht die Möglichkeit, zu intervenieren und damit die Reiseroute mitzubestimmen.
  • Wir haben mit dem Publikationsprojekt bereits begonnen. Neben zahlreichen, nicht dokumentierten Gesprächen hielt Martin Bartelmus im Workshop “Spekulation und Verführung” an der Universität Düsseldorf am 23.01.2015 einen Vortrag zu Daths Feldevàye und gemeinsam haben wir eine Bewerbung für den Essayband “Relationen. Essays zur Gegenwart” eingereicht, die einen Exposé, eine Leseprobe und eine vorläufige Gliederung enthielt. Der Zuschlag für den Essayband erhielten wir nicht.

Wie mit diesen medialen Übersetzungen umzugehen ist, können wir zum gegebenen Zeitpunkt nicht sagen. Gleichfalls steht die Form des digitalen Logbuchs noch nicht fest. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es ohnehin nie ein Formular bilden, das es einfach auszufüllen gilt. Die Wandlungen seiner Form werden Spuren unserer Reise sein. Bisher liegen folgende Parameter vor, die im Verlauf erweitert, ergänzt und modifiziert werden:

  • Das Logbuch auf dem Blog GRK1678 wird alle 14 Tage aktualisiert.
  • Der Aktualisierung geht ein halbstündiges Gespräch der Autoren voraus.
  • Ein zufällig geschossenes Foto illustriert die Gesprächssituation.
  • Menschliche und nicht-menschliche Akteure (z.B. Laptops, Smartphones, Software, Bücher, Handapparat, Drucker, Getränke, Räume etc.) sollen zum Sprechen gebracht werden.

Wohin die Reise führt, ist ungewiss. Über das Ziel kann auch das Logbuch keine Auskunft geben. Aber es erlaubt uns dereinst nachzuvollziehen, wie wir dorthin gelangt sind, und davon ausgehend ein besseres Verständnis unserer kollektiven Produktionen von Texten zu erhalten.

 

  1. Latour, Bruno (2010): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 237.

Quelle: http://grk1678.hypotheses.org/453

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