Luthermobil

Zu den Menschen

Man kennt es möglicherweise noch, das Guidomobil, jenes unsägliche Symbol siegestrunkener FDP-Überheblichkeit, mit dem der Parteivorsitzende Westerwelle 2002 Wahlkampf machte; oder den Brexit-„Vote Leave“-Bus, mit dem die Befürworter des britischen EU-Austritts 2016 landauf, landab behaupteten, 350 Millionen Pfund pro Woche an den nationalen Gesundheitsdienst anstatt nach Brüssel überweisen zu wollen (eine Aussage, von der Nigel Farage schon einen Tag nach der Brexit-Abstimmung nicht mehr wissen wollte – noch so ein Siegestrunkener, der langsam wieder nüchtern werden musste).

Nur zwei Beispiele aus einer schier endlosen Reihe von Gefährten – Züge, Wohnmobile, Sattelschlepper –, die regelmäßig bei politischen Kampagnen eingesetzt werden. Busse und ähnlich geartete Fahrzeuge sind eine gern gewählte Möglichkeit, um den direkten Kontakt mit ‚den Menschen‘ zu suchen. (Auch wenn ich bis zum heutigen Tag noch nicht so recht verstanden habe, um was für eine Kollektiveinheit es sich bei den in politischen Äußerungen ständig angerufenen ‚Menschen‘ handeln soll. Wohl ein freundlich klingender Ersatz für die kontaminierten beziehungsweise inhaltlich entleerten Begriffe ‚Nation‘ und ‚Volk‘. ‚Menschen‘ tönt irgendwie sympathischer, vor allem persönlicher, ruft aber selbstredend ebenso eine Chimäre an wie die ehemals verwendeten Alternativen.)

Da es allen, die in diesem Gemeinwesen Verantwortung tragen, laut herrschendem politischen Diskurs um ‚die Menschen‘ gehen muss, gilt es diese amorphe Masse möglichst effektiv zu erreichen. Eine solche Menschenerreichung kann mittels Medien nur vermittelt gelingen – wie der Begriff ‚Medium‘ schon hinreichend deutlich macht –, weshalb auch immer wieder andere Wege gesucht werden, um mit ‚den Menschen‘ in direkten Kontakt zu treten.

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Quelle: https://meinjahrmitluther.wordpress.com/2017/03/31/luthermobil/

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Kondom-Postille

Wenn Kirchen und Kondome kollidieren, lässt der Skandal nicht lange auf sich warten. Das gilt auch noch im Jahr 2017.

Es muss wohl am Wochenende des 11./12. März dieses Jahres gewesen sein, als die Düsseldorfer Jugendkirche Kondome an Jugendeinrichtungen verteilte, und zwar mit – wie es in der Formulierung des Evangelischen Pressedienstes (epd) hieß – „provokanten Sprüchen“. Zu lesen war auf den Kondomverpackungen unter anderem „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, „Für Huren und Heilige“, „Schrei vor Erlösung“ oder „Nageln bis der Papst kommt“.

Nun, wahrscheinlich hätte von dieser Verteilaktion kaum jemand etwas mitbekommen, außer denjenigen, welche die Idee dazu hatten, den Jugendlichen, welche die Kondome benutzt hätten und den Spermien, die in ihrem natürlichen Verteilungsdrang aufgehalten worden wären, wenn, ja, wenn nicht die Evangelische Kirche im Rheinland die Aktion unterbunden und bereits ausgeteilte Kondome wieder eingesammelt hätte.



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Quelle: https://meinjahrmitluther.wordpress.com/2017/03/24/kondom-postille/

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Unsere Vergangenheit soll schöner werden. Vierte These zur Geschichtskultur

Die vierte These zur Geschichtskultur lautet: Unsere Geschichtskultur tendiert zur Bevorzugung von Inhalten, die mit gegenwärtigen Interessen korrespondieren und auf die Vergangenheit ein (falsches) besseres Licht werfen.

Gleichförmigkeit

Geben wir uns für einen Moment der naiven Annahme hin, eine Internet-Suchmaschine wie Google stünde stellvertretend für das Wissen der Welt über sich selbst. In diese Suchmaschine können wir Stichwörter eingeben wie „Reformation“ oder „Martin Luther“. Welche Ergebnisse werden uns präsentiert? Unfehlbar werden wir zunächst mit einigen Werbeanzeigen konfrontiert (wobei die Unfehlbarkeit in diesem Zusammenhang eine durchaus mehrdeutige Konnotation erfährt), zum Beispiel von Tourismusanbietern oder aus der Modebranche (jawohl, auch die Reformation wird in eine Modekollektion verwandelt). Sodann folgen einige Informationsseiten, deren Angebote sich in der Google-Hierarchie, mit welchen Mitteln auch immer, ganz nach oben gearbeitet haben: Wikipedia-Artikel oder die Eingangsseite des Zentralkomitees der Kommission zur Durchführung der Jubiläumsfeierlichkeiten der Reformation, kurz ZKDJR (oder so ähnlich). Etwa ab Google-Suchmaschinentreffer Nr. 11 wird man dann mit Veranstaltungshinweisen ganz unterschiedlicher Art überhäuft, mit internationalen, nationalen, regionalen und lokalen Aufführungen, Ausstellungen und Informationsveranstaltungen, die dem historischen Ereignis der Reformation zur größeren Ehre gereichen sollen.



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Quelle: https://meinjahrmitluther.wordpress.com/2017/03/15/unsere-vergangenheit-soll-schoener-werden-vierte-these-zur-geschichtskultur/

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LuttaDada 3

Das LuttaDada mag sich kein Urteil darüber erlauben, ob das Gebaren einer Obrigkeit korrekt ist oder nicht. Aber das LuttaDada weiß, dass eine Obrigkeit grundsätzlich hinzunehmen ist, ob nun von Gott oder vom Demos oder von wem auch immer eingesetzt. Daher will das LuttaDada mit kräftiger Stimme bestätigen, dass der neuen Gefahrenabwehrverordnung der Stadt Wittenberg unbedingt Folge zu leisten ist, so wie sie zum 22. März Anno Domini 2017 in Kraft treten wird. Mögen die ordnungsgefährdenden Massen, die in diesem Jahr millionenfach über diese bedauernswerte Kommune herfallen werden, wenigstens die Kassen des Kämmerers ordentlich füllen. Einige reformationsjubiläumsrelevante Widrigkeiten wurden anlassbedingt nochmals verteuert. So müssen alle, die Brunnen, Denkmäler, oder Bäume erklettern, um das LuttaDada besser sehen zu können, ab sofort 30 Euro berappen; das Füttern von Tauben, um das LuttaDada friedlich und gnädig zu stimmen, kostet ebenfalls 30 Euro; das Zelten oder Übernachten in öffentlichen Grünanlagen, um dem LuttaDada stets nahe zu sein, wird mit 50 Euro Buße belegt; und der Verkauf von Waren aller Art, insbesondere von nicht genehmigten Reformationsdevotionalien, macht nochmals 30 Euro. Nur damit das klar ist.

Aber nicht nur die kleine, auch die mittelgroße Politik wendet sich dem LuttaDada zu.

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Quelle: https://meinjahrmitluther.wordpress.com/2017/03/08/luttadada-3/

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Club der weitgehend unbekannten Reformator/innen (CWUR), Folge 2: Mikael Agricola

Abbildung: Wikimedia Commons

Was für eine bunte, internationale und vielfältige Angelegenheit die Reformation doch sein konnte! Sicherlich kann man Ressentiments, Vorurteile oder patriotische Vorlieben nicht übersehen, die in dem ganzen Reformationsgeschehen immer wieder zum Vorschein kamen. Trotzdem stelle ich mir gerade das Leben an der Universität Wittenberg oder im Hause Luthers zuweilen wie in einer großen Wohngemeinschaft mit Studierenden aus der Erasmus-Stipendienprogramm der Europäischen Union vor. (Gut, es war eine sehr männerlastige Angelegenheit, aber das war nun einmal zeittypisch.) Aus allen Teilen Europas kamen sie dort zusammen, um ‚das wahre Evangelium‘ zu studieren, überzeugt davon, der neuesten heißen Sache auf der Spur zu sein, die nicht nur wissenschaftlich-theologisch, sondern auch lebensalltäglich die Lösung der großen Probleme zu geben versprach.

Überraschend erweist sich die Internationalität in diesem Reformationsumfeld, wenn man beispielsweise lesen kann, dass Mikael Agricola bereits der vierte finnische Student war, der sich in Wittenberg einschrieb, als er im Wintersemester 1536 dorthin kam. Er blieb zweieinhalb Jahre, um mit dem Magistertitel dekoriert wieder in seine finnisch-schwedische Heimat zurückzukehren.

Geboren wurde Agricola unter dem Namen Mikael Olavinpoika 1507 im Süden Finnlands, das damals noch Teil des schwedischen Königreichs war (und erst 1917 unabhängig wurde, nachdem es zuvor ein Jahrhundert lang zu Russland gehört hatte).

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Quelle: https://meinjahrmitluther.wordpress.com/2017/01/26/club-der-weitgehend-unbekannten-reformatorinnen-cwur-folge-2-mikael-agricola/

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Geschichtskultur als Kulturindustrie. Dritte These zur Geschichtskultur

Wat is ne Jeschichtskultur?

Mit den famosen Was-ist-Was-Fragen kommt man ja – wem auch immer sei Dank – nie an ein Ende: Was ist eine Welle im Meer? Was ist eine Doppelhelix? Was ist der Sinn des Lebens? Und die Frage alle Fragen: Was ist eine Dampfmaschine? Wenden wir uns in diesem Sinne und ganz sesamstraßenartig der Frage zu: Was ist Geschichtskultur? Zu diesem Gegenstand existiert eine veritable wissenschaftliche Diskussion, die sich nicht nur, aber zu erheblichen Teilen in der Geschichtsdidaktik tummelt (zahlreiche sachdienliche Hinweise zu diesem Gegenstand finden sich bei Public History Weekly). Es ist hier nicht der Ort, um in diese Debatte einzusteigen oder sie ausführlich wiederzugeben. Hilfreiche Diskussionshinweise stammen von Jörn Rüsen, Bernd Schönemann und Marko Demantowsky [1]. Aber wenn ich schon behaupte, mit diesem Blog Reisen in die deutsche Geschichtskultur zu unternehmen, wäre es wohl angebracht, das Terrain der Reise etwas genauer abzustecken und die Frage zu stellen, welche Geschichtskultur denn aktuell durch das Reformationsjubiläum geprägt wird.

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Quelle: https://meinjahrmitluther.wordpress.com/2017/01/23/geschichtskultur-als-kulturindustrie-dritte-these-zur-geschichtskultur/

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LuttaDada 2

Das LuttaDada kann sich freuen. Endlich ist es soweit, endlich ist das Jahr 2017 angebrochen – sein Jahr! Das LuttaDada wird wachsen und gedeihen, denn mit jeder neuen Jubiläumsaktion, die sich die LuttaDadaisten ausdenken aus Anlass dieses 500jährigen Dingsbums, wird es an Bedeutung gewinnen. Die LuttaDadaisierung wird die ganze Welt erfassen! Jawohl, das LuttaDada ist inzwischen anmaßend genug, die Herrschaft über die Welt ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Was ein TrumpDada kann …

Die ersten Anzeichen dieser Weltherrschaft sind unübersehbar. Oder ist irgendjemand der Meinung, es sei ein Zufall ist, wenn eine Gedenkmünze mit dem LuttaDada geprägt werden? Nicht irgendwelche Gedenkmünzen, nein! Auf dieser sieht man das LuttaDada als Superman (oder besser Lutherman) über das Schloss Stolberg fliegen.

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Quelle: https://meinjahrmitluther.wordpress.com/2017/01/11/luttadada-2/

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Falk-Postille

Man kann aus Martin Luther einen Freiheitshelden machen. Muss man aber nicht. Man kann die ‚Botschaft‘ der Reformation (wie lautete sie gleich noch?) in das Korsett standardisierter Musicalmelodien packen. Man muss sich das aber nicht anhören. Man kann die geistliche Musik des 16. bis 18. Jahrhunderts in ein fahrstuhltaugliches Funktionsmusikgeriesel verwandeln. Man muss dafür aber kein Geld ausgeben.



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Quelle: https://meinjahrmitluther.wordpress.com/2017/01/09/falk-postille/

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Club der weitgehend unbekannten Reformator/innen (CWUR), Folge 1: Robert Barnes

Titelbild: Jeff Turner

Man wird Martin Luther kaum den Titel absprechen können, der Reformator gewesen zu sein, einfach weil er hinsichtlich Einfluss, Popularität, Breitenwirkung und Ruhm zu Lebzeiten (wie auch in seinem Nachleben) schwerlich zu übertreffen ist. Aber er war eben bei weitem nicht der einzige Reformator. Wenn also im Rahmen dieses Reformationsjubiläums schon so sehr auf Personalisierung gesetzt wird, dann kann man wenigstens das Tableau an Personen ein wenig erweitern. Zu diesem Zweck wurde der „Club der weitgehend unbekannten Reformator/innen“ (CWUR) ins Leben gerufen, eine ehrenamtlich arbeitende Vereinigung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, zumindest ein wenig von dem Scheinwerferlicht, das den Wittenberger Oberreformator schon seit Jahrhunderten anstrahlt, auf diejenigen Figuren abzulenken, die ansonsten in seinem Schatten stehen.

Darunter sind auch Personen zu finden, die erst nach ihrem Ableben zu Bekanntheit gelangt sind. Einer von ihnen ist der Engländer Robert Barnes, der gegen Ende seines Lebens (von dem er noch nicht wissen konnte, dass es sein Ende sein würde) den fatalen Fehler beging, sich zu weit in den Dunstkreis des englischen Königs Heinrich VIII. hineinbewegt zu haben. Und wie allgemein bekannt, diese Nähe ist nicht allen bekommen. Barnes wurde 1540 auf dem Scheiterhaufen hingerichtet, offiziell wegen Häresievorwürfen, tatsächlich aber, weil er in den Sturz seines Patrons Thomas Cromwell verwickelt war.

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Quelle: https://meinjahrmitluther.wordpress.com/2016/12/22/club-der-weitgehend-unbekannten-reformatorinnen-cwur-folge-1-robert-barnes/

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LuttaDada 1

Was ist das LuttaDada? Das LuttaDada kommt in vielerlei Gestalt daher. Es passt sich amöbig den Verhältnissen und Gegebenheiten und Erfordernissen an. Das LuttaDada ist immer und überall. Das LuttaDada ist immer da (und immer dada) und trotzdem nie zu greifen.

So schillert das LuttaDada in allerlei Farben. Auch im Münsterland! Denn das Martin – jawohl, man ist mit dem LuttaDada zuweilen schon so vertraut, dass man es beim Vornamen anspricht –, also dieses Martin ist im Münsterland nicht einfach nur ein Mensch. Nein, es ist Plastik, es ist 2,50 Meter groß, es wiegt 50 Kilogramm, und es erscheint in weißer Gestalt.

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Quelle: https://meinjahrmitluther.wordpress.com/2016/12/16/luttadada-1/

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