Resonanz und Achtsamkeit. Eine entschleunigte Replik

verfasst von Alan Schink

Die Resonanztheorie Hartmut Rosas wird nicht nur unter Soziolog_innen breit diskutiert. In den vergangenen Monaten hat sie u.a. durch die Kritik am „Trend“ der Achtsamkeit massenmedial Aufmerksamkeit erregt (Rosa 2016b, 2016c). Nach Rosa stelle Achtsamkeitstraining vor allem eine „Psychotechnik“ dar, die eine Verengung auf die Gegenwart und das Individuum bedinge und dieses wesentlich zu sozialem und politischem „Desengagement“ führe (ebd. 2016a: 715; 2016c). Obschon Rosa „Teilberührungen“ zwischen beiden Konzepten vermutet (2016c), versucht er gleichzeitig Achtsamkeit als einen Kontrastfall der Resonanz zu konstruieren und damit in die Nähe eines Entfremdungsverhältnisses zu rücken. Aus Sicht der psychologischen Achtsamkeitsforschung gab es zu dieser Kritik bereits Widerspruch (Schmidt 2016). Von einem differenzierteren Verständnis der Achtsamkeitspraxis her betrachtet ist klar, dass Rosa in seiner Kritik einen einseitigen Achtsamkeitsbegriff zugrunde legt und sich an einem Klischee abarbeitet.

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Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/10774

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Harry Potter und die Resonanzräume der Literatur im 21. Jahrhundert – ein Tagungsbericht

Da ich für die Tagung „Resonanzräume der Literatur im 21. Jahrhundert“ (10.-12. Februar 2017) erfreulicherweise ein Stipendium erhalten habe1, durfte ich mich in der beeindruckenden (Schloss-)Location der Evangelischen Akademie Tutzing am Starnberger See mit „auf die Suche nach den Schwingungen der Literatur und ihrem Widerhall“2 begeben. Als inoffizieller und wohl auch unerwarteter Dreh- und Angelpunkt der Tagung3 – vielleicht trifft es aber auch das Wort „Stimmungsbarometer“ besser – erwies sich Joanne K. Rowlings Fantasy-Romanreihe Harry Potter, die immer wieder als Beispiel genannt wurde, einmal für das gefährliche Mittelmaß, ein andermal für eine kaum zu überschätzende Quelle an Lesemotivation.

„Das Mittelmaß ist der Todfeind des gelungenen Werks“4

Das Gespräch mit Lesung am Freitag Abend zu Anspruch, Bedeutung und Vermögen guter Literatur mit dem Schriftsteller Ulrich Peltzer und der Literaturkritikerin Sigrid Löffler stand unter dem Voltaireschen Aphorismus „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor“. Die Moderatorin Dr. Maike Albath eröffnete mit der Feststellung, dass das Buch bzw.

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Quelle: http://chicklit.hypotheses.org/614

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Die Zeitkrise als Identitätskrise – fünf Fragen an Hartmut Rosa

Hartmut Rosa ist Professor für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Einer breiten Öffentlichkeit, auch weit über das Fach hinaus, ist er durch seine Gesellschaftskritik “Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne” bekannt geworden. Neben der Zeitsoziologie beschäftigt er sich u.a. mit Subjekt- und Identitätstheorien und arbeitet an einer Soziologie der Weltbeziehungen. Wir haben ihn zum Zusammenspiel von Zeit- und Raumwahrnehmung hinsichtlich der Konstitution von Identitäten befragt. (Foto: © juergen-bauer.com)

Herr Rosa, Sie haben eine Theorie der sozialen Beschleunigung vorgelegt, in der Sie von drei wesentlichen Faktoren der Beschleunigung ausgehen: der technischen Beschleunigung (Bewegung, Kommunikation, Transport), der Dynamisierung der sozialen Verhältnisse und der Beschleunigung des Lebenstempos durch eine Zunahme von Handlungs- und Erlebnisepisoden pro Zeiteinheit und eine Zunahme eines subjektiven Zeitdrucks, der aus der vermeintlichen Notwendigkeit, aus einer Vielzahl von Optionen zu wählen, entsteht. Diese strukturell in der Moderne angelegten Beschleunigungs- bzw. Steigerungsfaktoren führen zum ‘rasenden Stillstand': die zeitliche Koordinierung von Handlungen nimmt tendenziell mehr Zeit in Anspruch als die Handlungen selbst, wir verschieben Handlungen und tun zunehmend, was wir nicht tun wollen – und auch unsere Identität bestimmt sich daher situativ. Wie kommt es zu dieser Selbstverhältnis- und Resonanzkrise und welche Folgen hat sie für Subjekte und Gesellschaft?

Das Beschleunigungsprogramm der Moderne folgt keiner expliziten Zielsetzung, es verläuft quasi ‚hinter dem Rücken der Akteure‘. Deshalb spielt es auch keine Rolle, wenn wir uns jedes Jahr – zum Beispiel zu Silvester – fest vornehmen, es im nächsten Jahr langsamer angehen zu lassen und uns mehr Zeit zu nehmen, und auch ein paar Slow-Food- oder Slow-Work-Bewegungen helfen da nicht weiter. Die Situation ist analog zu der im Bereich der Ökologie: Dort scheint es auch ganz gleich, wie sehr wir das ökologische Bewusstsein schärfen und wieviel Müll wir trennen: Unser Umwelthandeln wird jedes Jahr schädlich – dafür reichen allein die Flug- und Fernreisen aus. Die Umwelt- und die Zeitkrise haben dieselbe Wurzel, und diese liegt in der strukturellen Steigerungslogik moderner Gesellschaften. Moderne, kapitalistische Gesellschaften können sich in ihrer Struktur nur erhalten, sie können den Status quo ihrer Basisinstitutionen und ihre soziopolitische Ordnung nur aufrechterhalten, wenn sie wachsen, beschleunigen, und innovieren. Ich nenne das den Modus dynamischer Stabilisierung: Stabilität ist nur durch Steigerung zu erreichen – und selbst dann noch prekär. Genau das führt auch bei den Individuen zu einer Situation des ‚rasenden Stillstandes‘: Wir müssen individuell wie kollektiv jedes Jahr schneller laufen, nur um unseren Platz zu halten. Meines Erachtens ist das ein Systemfehler.

Die Geisteswissenschaften und vor allem auch die Geschichtswissenschaft sind spätestens seit den 1990er Jahren maßgeblich durch den spatial turn geprägt, in dem die Räumlichkeit des Sozialen und die soziale Konstruktion von Räumen im Mittelpunkt stehen. Demgegenüber arbeiten Sie zentral mit der Kategorie Zeit. Ist das ein Widerspruch – oder wie verwoben sind Zeit- und Raumwahrnehmung und welche Rolle spielen sie bei der Konstitution der Identität sozialer Akteure?

Ich will nicht Zeit gegen Raum ausspielen oder umgekehrt – aber ich denke schon, dass die Sozialwissenschaften mehr Aufmerksamkeit auf unsere raum-zeitliche Daseinsweise richten sollten. Raum- und Zeitverhältnisse sind stets eng miteinander verwoben; ändert sich das eine, ändert sich in aller Regel auch das andere, so dass mir der Begriff der Raum-Zeit-Regime als Analysekategorie angemessen erscheint. Was ich allerdings im Beschleunigungsbuch festgestellt habe, scheint mir auch weiterhin richtig zu sein, dass nämlich die Dynamik in der Veränderung unserer raumzeitlichen Lebensweise von der Zeitdimension auszugehen scheint. Das was wir beispielsweise als Globalisierung erfahren, hat zwar viel mit einer Veränderung des Raumbewusstseins, der Raumerfahrung und des Raumhandelns zu tun, aber ausgelöst werden diese Veränderung durch Beschleunigungsprozesse: Beschleunigung in der Datenübertragung, im Transport, in der Kapitalzirkulation etc. In diesem Sinne betrachte ich Zeitverhältnisse als die ‚Antreiber‘, oder als das Einfallstor, für die Veränderung von Raumzeitverhältnissen.

Der Begriff der ‘Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen’, der von Ernst Bloch eingeführt wurde, in Luhmanns Systemtheorie wiederkehrt und von Koselleck auch für die Geschichtswissenschaft adaptiert wurde, beschreibt räumliche und temporale Asynchronität als gesellschaftliches Phänomen. Ist der Begriff noch aktuell – und kann er als analytische Kategorie helfen, (auch historische) Gesellschaften zu verstehen? Steht er vielleicht sogar sinnbildlich für die Pathologien der modernen Steigerungsgesellschaft?

Meines Erachtens ist der Begriff der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen (oder umgekehrt: Beide Varianten besagen im Prinzip dasselbe) völlig ungeeignet, wenn man von radikaler geschichtlicher Kontingenz ausgeht. Er macht nur Sinn, wenn man im Sinne einer Geschichtsphilosophie oder Fortschrittskonzeption feste sequentielle Folgen annimmt. Das kann sich auf individuelle Leben wie auf gesellschaftliche Entwicklungen beziehen. Beispielsweise kann jemand noch zur Schule gehen, aber schon Kinder haben: Das wäre die ‚Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‘, weil gleichzeitig Elemente des Kindseins (zur Schule gehen) und des Erwachsenseins (Kinder haben) präsent sind. Das gilt aber nur, solange man meint, Schule und Kinder müssten einen festen Platz in der sequentiellen Ordnung eines Lebens haben. Sobald wir akzeptieren, dass man auch mit 50 oder 60 Jahren zur Schule gehen kann, können wir nur noch die Präsenz von Differenzen feststellen: EIN Schüler hat Kinder, ein anderer ist ein Kind, ein Dritter hat schon Enkel. Das gilt auch für Gesellschaften und Funktionssphären: Wenn ich meine, Demokratie, Marktwirtschaft, Industrialisierung und Rechtsstaat gehören zusammen, dann beobachte ich in einem Staat, der ein demokratischer Rechtsstaat ist, aber noch ‚steinzeitlich‘ produziert, Ungleichzeitigkeit, und dasselbe gilt für einen hoch technologisierten Staat, der weder Rechtsstaat noch Demokratie kennt. Wenn ich jedoch davon ausgehe, dass historische (Teilordnungen) kontingent sind, dann habe ich nur noch Differenz: Ein Staat ist demokratisch und kapitalistisch, einer demokratisch und sozialistisch, einer kapitalistisch mit traditionalistischen Herrschaftsstrukturen usw. Nur wenn ich von festen Sequenzen ausgehe, also etwa: Schule-Ausbildung-Beruf-Kinderkriegen-Ruhestand oder: Feudalismus-Kapitalismus oder Monarchie-Demokratie, kann ich Ungleichzeitigkeiten konstatieren. Der Glaube an die empirische und normative Validität solcher Muster ist in der Spätmoderne aber grundsätzlich erschüttert.

Sie haben immer wieder betont, dass es nicht per se um Verlangsamung gehe, schon gar nicht um Entschleunigung, wenn wir der sozialen Beschleunigung begegnen wollen, sondern darum, dass sich die gesellschaftliche Grundform ändern müsse. Wir müssten uns selbst aufklären, uns darüber verständigen, wie wir leben wollen. Wenn aber alles fremdbestimmt scheint, wie kann es gelingen, dass die Subjekte ihr Handeln wieder als selbstwirksam erleben? Welche Anreize müssen geboten werden, damit wir das (vermeintliche) Risiko des Zeit- und Optionenverlustes eingehen?

Ich weiß nicht, ob dafür Anreize geboten werden müssen. Ich arbeite derzeit am Entwurf einer ‚Resonanztheorie‘. Sie zielt im Kern darauf ab, uns zu überzeugen, dass das Leben nicht durch die Vergrößerung der ‚Weltreichweite‘ (durch Technik, ökonomische Ressourcen, aber soziales und kulturelles Kapital etc.) besser wird, sondern durch die Überwindung von Entfremdung: Durch die Etablierung einer anderen Form der Beziehung zur Welt, das heißt: Zu den Menschen, zur Natur, zu den Dingen und zu uns selbst. Das scheint mir die Stelle zu sein, an der die Steigerungslogik der Moderne sich durchbrechen lässt. Denn indem wir denken, unser Leben werde besser, wenn wir mehr Welt in Reichweite bringen – wenn ich mehr Geld hätte, könnte ich eine Yacht kaufen oder zum Mond fliegen, wenn ich das schnellere Smartphone hätte, könnte ich darauf Skype installieren, wenn ich in der Stadt wohnen würde, hätte ich Kinos und Theater in Reichweite, wenn ich zu der tollen Party eingeladen würde, hätte ich Zugang zu ganz neuen sozialen Kreisen – erzeugen wir die subjektiven Motivationsenergien, das Steigerungsspiel auf allen Ebenen voranzutreiben. Wir alle machen aber die Erfahrung, dass unser Leben dann und dort wirklich gelingt, wo wir in einen Resonanzmodus der Weltbeziehung geraten: Dort geht es nicht um Steigerung, denn das sind die Momente, in denen uns etwas wirklich berührt und in denen wir umgekehrt etwas oder jemanden wirklich zu erreichen vermögen. Transformative Weltanverwandlung nenne ich das, denn dabei verändern wir uns auch selbst. Alle Menschen kennen diesen Erfahrungsmodus, und sei es auch aus noch so flüchtigen und weit zurückliegenden Momenten. Das sind die Andockpunkte, an denen wir ansetzen können, ich glaube, hier sind wir als Subjekte eben doch nicht vollständig entfremdet.

Das Phänomen Kontingenz wird in den Geisteswissenschaften als endgültige Abkehr vom Historismus zunehmend stark gemacht (Paradigma des historischen Wandels). Die postfundamentalistische Hegemonietheorie nach Ernesto Laclau und Chantal Mouffe arbeitet schon seit den 1980er Jahren mit den Kategorien der radikalen Kontingenz und des Dissenses und betont die Notwendigkeit der Mobilisierung konfliktueller, emotionaler Leidenschaften in Demokratien. Müssen wir mehr streiten? Bietet vielleicht die Betonung radikaler Kontingenz (nichts ist vorherbestimmt und alles kann immer auch anders sein), die Betonung der “demokratischen Ethik” (Oliver Marchart), also der institutionalisierten Selbstentfremdung in unserer demokratischen Gesellschaft, einen Ansatzpunkt für einen Bewusstseinswandel? Ist eine gesamtgesellschaftliche Politisierung die Antwort auf die Resonanzkrise, die wir in zunehmendem Maße erleben?

Ich weiß nicht, ich glaube nicht. Meine Wunschformel heißt nicht Konflikt oder Streit, sondern Resonanz. Ich glaube allerdings in der Tat, dass Demokratie, auch und gerade die demokratische Auseinandersetzung, ein zentrales Instrument für die ‚Anverwandlung‘ von Welt ist: Mit den Mitteln der Demokratie bringen wir die Institutionen der öffentlichen Sphären dazu, auf uns zu reagieren, uns zu antworten. Das setzt Selbstwirksamkeitserfahrungen in Gang, die unerlässlich sind für Resonanzbeziehungen: Bürgerinnen und Bürger müssen die Erfahrung machen können, dass ihr Handeln und Streiten Welt verändert. Resonanz meint dabei nicht Echo und nicht Harmonie: Wenn alle das Gleiche wollen und sagen, entsteht keine Resonanz, sondern ein leeres Echo. Resonanz impliziert schon Widerspruch und Auseinandersetzung, aber auf einer anderen Ebene als die Feindschaft: Feindschaft ist Repulsion, ist Resonanzvernichtung, ist gegenseitige Verletzung. Das kennt jeder aus der privaten Sphäre: Mit meinem besten Freund streite ich fast unablässig – aber auf der Basis einer Resonanzbeziehung, wir sind offen für einander und lassen uns durch den Streit berühren und verändern. Bei meinen Feinden ist es anders: Die wollen mich fertig machen, und ich sie. Ich habe das Gefühl, dass in den neueren Ansätzen, die Konflikt und Kontingenz betonen, diese Voraussetzungen unterbelichtet bleiben. Bei Rancière jedenfalls klingt es bisweilen so, als stifte der Streit selbst ein soziales Band. Das finde ich unplausibel.

 Vielen Dank.

 

Hartmut Rosa zum Nachhören

Quelle: http://zeitraeume.hypotheses.org/160

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@9nov38 – Digitale Stolpersteine zum Gedenken an die Reichsprogromnacht

von Michael Schmalenstroer

Am 9. November jährt sich die Reichspogromnacht zum 75. Mal. Dies haben wir als Anlass für ein Experiment genommen. Ziel ist es, die Novemberpogrome „zeitversetzt“ auf Twitter darzustellen. Ein kleines Team aus jungen HistorikerInnen, bestehend aus Moritz Hoffmann, Charlotte Jahnz, Petra Tabarelli, Christian Gieseke und mir, hat in den letzten Wochen Bücher gewälzt, ist in Archive gestiegen und hat die Ergebnisse auf 140 Zeichen komprimiert. Das ist aufgrund der Komplexität und Ungeheuerlichkeit der Vorgänge keine einfache Aufgabe.

Bei der Vorbereitung ist korrektes wissenschaftliches Arbeiten für uns zentral. Die Idee für das Projekt kam in Anlehnung an das MDR-Projekt @9nov89live, welches den anderen 9. November live twitterte. Dort wurde allerdings mit erfundenen Personen gearbeitet und diesen Stimmungen, Emotionen und Ereignisse „angedichtet“. Das machen wir nicht. Alle unsere Tweets besitzen eine Quellenangabe, und die Datenbank wird nach dem Projekt veröffentlicht. Twitter macht es leider mit seiner 140-Zeichen-Begrenzung schwer, Belege direkt in die Tweets einzufügen. Wir haben auch ein paralleles Blog aufgesetzt, in dem wir etwas längere Texte veröffentlichen und Quellen sammeln, die nicht auf Twitter passen. Weitere Aspekte und Überlegungen erläutern wir in unseren privaten Blogs.

Die Vorbereitung dabei lief sehr spontan – im Oktober hatte Moritz Hoffmann die Idee zu diesem Projekt und er trommelte fünf junge Historiker*innen zusammen: Charlotte Jahnz, Petra Tabarelli, Christian Gieseke und mich. Wir kennen uns nur über die Sozialen Netzwerke; ich hatte einzig Charlotte Jahnz einmal auf einem TweetUp getroffen. Auch die Vorbereitung erfolgte komplett via Internet: Eine Facebook-Gruppe dient zur Diskussion und Abstimmung, die Tweets werden in einer Google-Docs-Tabelle gesammelt und dann mit Hootsuite zum passenden Zeitpunkt automatisiert veröffentlicht. Wir machen keine langen und unproduktiven Meetings, halten keine Telefonkonferenzen und haben auch kein Budget. Die Kosten für unser Projekt liegen bei momentan 10€ für die Domain 9nov38.de plus ein paar Euro Kopierkosten.

Der Erfolg hat uns selbst überrascht. Momentan hat der Account mehr als 10.000 Follower, und wir haben allein am Donnerstag, 7. November, immerhin 650 Leute dazu gebracht, sich freiwillig eine Primärquelle zur Judenverfolgung anzuschauen. Mittlerweile berichten sogar Zeitungen über uns und wir dürfen sogar Radiointerviews geben. Die Tagesschau berichtete auf ihrer Webseite, der Heise Newsticker, die Rhein Neckar Zeitung, Spiegel Online, die Rhein Zeitung, der Kölner Stadtanzeiger und sogar im Ausland gibt es Erwähnungen (http://9nov38.de/reaktionen/). Für ein kleines Projekt mit gerade einmal einem Monat Vorbereitungszeit und ohne Budget ist das erstaunlich. Pressemitteilungen haben wir natürlich auch nicht verschickt; die Reaktionen wurden wohl über Twitter und Blogs auf uns aufmerksam und kamen dann selbst auf uns zu.

Das neue OpenBlog von de.hypotheses bietet die Gelegenheit, einmal selbst in die Welt des Bloggens hineinzuschnuppern. Ich schreibe bewusst nicht „die neue Welt des Bloggens“, denn Blogs sind jetzt schon seit 10 Jahren etabliert. Das Projekt @9nov38 zeigt dabei, was möglich ist. Die Publikationskosten liegen praktisch bei Null und die Aufmerksamkeit übersteigt häufig die von gedruckten Texten. Außerdem – und das ist vielleicht das wichtigste – macht es Spaß1, gerade weil die alten Probleme wegfallen. Statt sich um Druckkostenzuschüsse zu bemühen und dann einen Sammelband mit Miniauflage zu veröffentlichen, kann man am Wesentlichen arbeiten und innerhalb kürzester Zeit ein interessantes Projekt mit großer Resonanz auf die Beine stellen. Also einfach mal machen, ausprobieren und experimentieren!

  1. Spaß ist bei einem Thema wie dem 9. November natürlich der falsche Begriff. Bei der Recherche gab es mehr als einen Moment, bei dem ich richtig geschluckt habe.

Quelle: http://openblog.hypotheses.org/50

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