Als die alliierten Truppen Anfang April 1945 in Rheda einmarschierten, ließen sie sich vom damaligen Fürsten zu Bentheim-Tecklenburg die Schlüssel zum Archiv aushändigen. Dort waren zu dem Zeitpunkt neben dem Archivgut auch Unterlagen der sich zurück ziehenden Wehrmacht eingelagert worden, die für die Alliierten von großer Bedeutung waren. Als die amerikanischen Truppen Ende April – wenige Tage vor der deutschen Kapitulation – abzogen, hinterließen sie das Archiv in großer Unordnung. Bei den anschließenden Aufräumarbeiten wurde festgestellt, dass „einzelne Kaiserurkunden und andere mit gut erhaltenen Siegeln versehene Stücke“ fehlten, die in der Folgezeit trotz entsprechender Eingaben bei der Militärverwaltung und militärpolizeilicher Untersuchung nicht aufgefunden werden konnten.
Seit 2008 sind die noch fehlenden Urkunden bei Lost Art gemeldet, einer Einrichtung des Bundes und der Länder der Bundesrepublik Deutschland für Kulturgutdokumentation und Kulturgutverluste. Auktionshäuser und Galerien sind gehalten, vor Verkäufen und Versteigerungen zu prüfen, ob die angebotenen Stücke hier verzeichnet sind und diese gegebenenfalls den Eigentümern zurück zu erstatten. Im Mai diesen Jahres wurde Dr. Peter Worm vom LWL-Archivamt für Westfalen, der das Fürstliche Archiv betreut und die Benutzung der wertvollen Bestände ermöglicht, von der Londoner Galerie Sam Fogg, die sich unter anderem auf mittelalterliche Kunstobjekte spezialisiert hat, erfreulicher Weise in einem solchen Fall angeschrieben. Das Stück selbst wurde dann wohl verpackt und versichert aus London übersandt, in der Werkstatt des LWL-Archivamts aufbereitet und archivgerecht verpackt.
Fürstliches Archiv Rheda,
Bestand: Stift Clarholz, Urkunden
Rha.C.Uk 5
Inhaltlich lässt sich die Urkunde in eine Reihe von Rechtsgeschäften einordnen, mit denen das junge Stift seinen Grundbesitz und damit seine Einkünfte erweitert und abrundet: Bischof Hermann II. von Münster beurkundet den Verkauf eines Anwesens in Sandrup – heute eine Bauerschaft nördlich von Münster – durch seinen Lehnsmann Otto an den Propst Friedrich und den Konvent von Clarholz für die beträchtliche Summe von 90 Mark. Dass hierfür jeweils der Münstersche Bischof Hermann II. als Beurkundender gewonnen werden konnte, betont den hohen Stellenwert, der dem Clarholzer Stift zu dieser Zeit zukam. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass der genannte Bischof in der Nachbarschaft das Zisterzienser-Kloster Marienfeld mit begründet und ausgestattet hat, das durchaus mit den Prämonstratensern in Clarholz um fromme Stiftungen konkurrierte.
Die schön geschriebene und mit einem hellen Wachssiegel versehende Urkunde steht nun der historischen Forschung wieder zur Verfügung (Fürstliches Archiv Rheda, Bestand: Stift Clarholz, Urkunden, Nr. 5 = WUB I, Nr. 578 = OUB I, Nr. 440). Die Benutzung findet über das LWL-Archivamt für Westfalen (www.lwl-archivamt.de) statt.
Der Aussteller:
Hermann II. von Katzenelnbogen (* 1130 oder 1140; † 9. Juni 1203) war von 1174 bis 1203 der 24. Bischof von Münster. Kaiser Friedrich I. Barbarossa bestimmte Hermann II. zum Nachfolger des verstorbenen Bischofs Ludwig I von Wippra. Er stammt aus dem in Hessen ansässigen Adelsgeschlecht der Grafen von Katzenelnbogen.
Zur Vorbereitung des Dritten Kreuzzuges sandte Kaiser Friedrich I. Barbarossa eine Gesandtschaft unter der Führung Hermann II. zum Kaiser Isaak II. Angelos in Konstantinopel. 1189 bis 1192 nahm Hermann II. dann selbst am Kreuzzug teil und gehörte zum engeren Beraterkreis des Kaisers. Der Edelherr Widukind von Rheda, wie der Bischof selbst einer der Gründer Marienfelds, nahm auch an diesem Kreuzzug teil und fiel bei der Erstürmung von Akkon. Es ist nicht auszuschließen, dass es der Bischof Hermann II. war, der die sterblichen Überreste des Edelherrn nach Deutschland zurückbringen ließ.
Hermann der II. gab um die Jahrhundertwende seine vielfältigen Ämter und Tätigkeiten in Münster auf und zog sich nach Marienfeld zurück. 1203 starb er als einfacher Mönch und ließ sich in Marienfeld bestatten. Für den Konvent war dies eine große Geste und so liegt sein Leichnam im Chorraum, den Blick zum Hochaltar gewandt. Später wurde ein Grabmal hinzugefügt, das sich aber nicht mehr an dieser Stelle befindet.
Von Bischof Hermann II. gehen einige Stadtgründungen aus (etwa Coesfeld, Nienborg, Warendorf, Beckum, Ahlen und Dülmen). An seinem Bischofssitz Münster gründet er die Pfarreien St. Ludgeri, St. Martini, St. Aegidii und St. Servatii. Die Pfarreinteilung in Münster und der Bau der dortigen Befestigungsmauern gehen auf ihn zurück. An den Dom lässt er das westliche Querschiff anbauen.
Die Empfänger
Bei den Prämonstratensern handelt es sich um regulierter Chorherren, die nach der Augustinusregel leben. Das heisst, dass diese nicht Mönche im engeren Sinn des Worts sind, aber so wie diese die Gelübde der Armut, des Gehorsams und der Keuschheit ablegen und in einer klosterähnlichen Gemeinschaft leben. Ein weiterer Unterschied zu den an der Benediktsregel orientierten Mönchsorden ist, dass die Prämonstratenser das kontemplative monastische Leben mit der nach außen gerichteten Seelsorge verbinden. Der Orden ist ein Zusammenschluss selbständiger Stifter (Kanonien) und wurde im Jahr 1120 von Norbert von Xanten mit dreizehn Gefährten in Prémontré bei Laon gegründet. Sie werden nach ihrem Gründer „Norbertiner“ genannt. Der weibliche Zweig sind die Prämonstratenserinnen.
Eine Besonderheit – in dieser Zeit allerdings nicht einzigartig – der ersten prämonstratensischen Gemeinschaften war, dass es sich bei ihnen um Doppelklöster handelte, in denen also Frauen und Männer, wenn auch in zwei voneinander organisatorisch getrennten Konventen, lebten. So auch hier in Clarholz, wo das zugehörige Frauenkonvent im benachbarten Lette seinen Sitz hatte, jedoch sich nur bis ins 15. Jh. nachweisen lässt. Neben den Kanonikern (canonici) lebten in den Niederlassungen der Norbertiner auch Laienbrüder (conversi). Ähnlich wie auch die Zisterzienser trugen die Prämonstratenser in den ersten Jahrhunderten nach ihrer Entstehung zur Verbesserung der Landwirtschaft bei.
Der Gegenstand
Zum ersten Mal erwähnt wurde der 45 km von Clarholz entfernte Haupthof Sandrup schon im 11. Jahrhundert in einer abschriftlich überlieferten Urkunde aus dem Cappenberger Archiv. Damals legte der Münstersche Bischof Siegfried von Walbeck (1022–1032) fest, dass für die neugeweihte Kirche von Coerde unter anderem die Bauerschaft Sandondorp zur Zahlung eines Zehnten als wirtschaftliche Grundlage für die Kirche und ihre Geistlichen verpflichtet wurde. Der Bischof hatte kurz vor seinem Tode noch sieben neue Landkirchen geweiht, unter denen sich auch die Kirche von Coerde befand. Ihr Pfarrsprengel sollte aus Teilen der alten Dompfarrrei so zusammengestellt werden, dass sie mit dem zu zahlenden Zehnten die wirtschaftliche Grundlage für die Kirche und ihre Geistlichen bilden konnte. Doch die Pfarrei Coerde kam nie zustande. Die ursprünglich Coerde zugedachte Bauerschaft Sandrup fiel an die von Bischof Hermann I. (1032 – 1042) ab dem Jahre 1040 gebaute Liebfrauen-Überwasserkirche im nahen Münster, ist aber zum Zeitpunkt der Urkundenausstellung als Lehen an einen bischöflichen Ministerialen, namens Otto, vergeben.
Inhaltlich lässt sich die Urkunde in eine Reihe von Rechtsgeschäften einordnen, mit denen das junge Stift seinen Grundbesitz und damit seine Einkünfte erweitert und abrundet: Bischof Hermann II. von Münster beurkundet den Verkauf eines Haupthofs in Sandrup – heute eine Bauerschaft nördlich von Münster – durch seinen Lehnsmann Otto an den Propst Friedrich und den Konvent von Clarholz für 90 Silbermark. Dieser Otto habe sich, wie es in der vorliegenden Urkunde heisst, spontan im Beisein von Klerikern und Laien zum Verkauf des Haupthofs Sandrup entschlossen. Aus der Zeugenliste der Urkunde erfahren wir, wer diese Personen sind: Es handelt sich um die Pröpste also geistlichen Vorstände der Münsterschen Dom- und Pfarrkirchen und viele Vertreter des örtlichen Adels. Wir können also von einem feierlichen Rahmen ausgehen! Gegen einen allzu spontanen Entschluss spricht auch, dass die vom Verkauf mittelbar betroffenen Erben des Otto diesem Rechtsgeschäft zugestimmt haben.
Zu den 90 Mark: Hierbei handelt es sich um eine Rechengröße und nicht um geprägtes Geld, wobei eine Mark gut 233 gr. Silber entsprichen. 90 Mark sind also gut 20 kg Silber, im 14. Jh. entspricht das einem Gegenwert von 360 Schweinen. Jochen Ossenbrink hat in seiner Wirtschaftsgeschichte des Klosters ausgerechnet, dass Propst Friedrich in seiner Amtszeit insgesamt Güter für 462 Mark (fast 110 kg Silber) angekauft hat – Geld das als Stiftung vom landsässigen Adel oder als Eintrittsgeld von den Novizen in die Kasse gekommen sein muss.
Bemerkenswert ist, dass für die Beurkundungen jeweils der Münstersche Bischof Hermann II. gewonnen werden konnte, der auf diese Weise das Clarholzer Stift förderte. Es erstaunt deshalb besonders, dass der genannte Bischof in der unmittelbaren Nachbarschaft das Zisterzienser-Kloster Marienfeld mit begründet und ausgestattet hat, das durchaus mit den Prämonstratensern in Clarholz um fromme Stiftungen konkurrierte. Der prominente Rahmen, in dem die Beurkundungen stattfanden, diente sicher einerseits der Rechtssicherung. Wer hätte dem Wort dieser versammelten Zeugen widersprechen wollen? Andererseits stellte es einen hohen Gunsterweis dar, dass der Bischof sein Siegel unter das Rechtsgeschäft setzte und dafür auch noch einen Großteil seines Münster’schen Beraterkreises einbestellte.
Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/1028