Heimat als sozialer Sehnsuchtsort


Zur Bedeutung einer imaginierten Gegenwelt zur Front

Pascal Pawlitta

 

Das Begriffsfeld „Heimat“ erlangte im gesellschaftlichen Diskurs während des Ersten Weltkrieges eine besondere Bedeutung. Ein durch die Heimatbewegung des 19. Jahrhunderts zunehmend romantisierter Heimatbegriff diente in Presse und Propaganda dazu, die Soldaten zu Verteidigern ihrer Heimat zu stilisieren. Dies zielte vornehmlich darauf ab, die Durchhaltebereitschaft der Kriegsgesellschaft zu steigern und eine vermeintliche Einheit von Front und „Heimatfront“ zu beschwören.[1] Neben dieser propagandistischen Indienstnahme verweisen mentalitätsgeschichtlich orientierte Untersuchungen von Feldpostbriefen auf die große Relevanz der Heimat für die individuelle Sinnkonstruktion von Soldaten, die sich vielfach abseits nationalistischer Sinnangebote vollzog.[2] Auch in den Briefen August Jaspers ist der Heimattopos äußerst präsent, scheint für ihn allerdings mit einem Bedeutungsgehalt aufgeladen, der sich weniger in das von der Propaganda entworfene Bild des heldenhaften Heimatverteidigers fügt. Durch eine Auseinandersetzung mit seinem individuellen Heimatverständnis und der Frage nach der Funktion, die das Schreiben über Heimat für Jasper während seines Kriegseinsatzes übernahm, lassen sich Einblicke in das Verhältnis von offizieller Rhetorik und soldatischen Mentalitäten auf der Mikro-Ebene gewinnen. Nicht zuletzt rücken auch Sinnstiftungsversuche[3] durch das Kommunikationsmedium Feldpost in das Blickfeld der Untersuchung.

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Quelle: https://feldpost.hypotheses.org/766

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Die Politisierung August Jaspers

Vom Vaterlandsverteidiger zum Kriegsgegner

Nihal Missaoui

„Weine doch nicht, daß ich fort bin, denn es geht ja fürs deutsche Vaterland“,[1] schreibt August Jasper in seinem ersten Brief vom 2. August 1914 an seine Frau Bernhardine. Aus diesem Satz ist wenigstens ansatzweise eine gewisse Opferbereitschaft Jaspers herauszulesen. Dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler zufolge war eine solche Opferbereitschaft der Soldaten notwendige Bedingung, um überhaupt „gegen eine an Menschen und Material weit überlegenen Koalition“ Krieg führen zu können.[2] Wenn wir Jaspers Schilderungen aus den ersten Kriegstagen Glauben schenken, so scheint diese Opferbereitschaft durchaus vorhanden gewesen zu sein. Freudig und zuversichtlich zogen die Menschen, so Jasper, in den Krieg.[3]

Noch in den ersten Monaten des Krieges sieht Jasper sich und die übrigen Soldaten vornehmlich als Vaterlandsverteidiger.

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Quelle: https://feldpost.hypotheses.org/270

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In Erwartung auf (mehr) Briefe


Die psychologische Funktion des Briefverkehrs

Johannes Reichert

Während des Ersten Weltkrieges wurden 28,7 Milliarden Feldpostbriefe verschickt.[1] Es ist nicht verwunderlich, dass sich die neueste Forschung auch mit der psychologischen Funktion dieser Feldpostbriefe auseinandergesetzt hat. Denn Briefe aus der Heimat hielten die Moral aufrecht, stärkten den Zusammenhalt in der Familie, waren Informationsrohr für Front und Heimat gleichermaßen und machten den Soldaten Hoffnung, ihre Familie und Heimat wiederzusehen.[2] Gleiches gilt auch für den Soldaten Heinrich Echtermeyer. Von Beginn seines Fronteinsatzes an, war der Wunsch und die Forderung nach Post von seiner Familie zentraler Bestandteil seiner Briefe in die Heimat.

„Bitte schreibet wohl wieder was da bei euch neues gibt“[3] – so oder so ähnlich enden mit vier Ausnahmen alle seiner uns vorliegenden an seinen Bruder Bernhard adressierten 58 Briefe und Feldpostkarten. Die einzigen Briefe, in denen ein solches Einfordern weiterer Briefe und das Bitten um ein regeres Schreiben nicht thematisiert werden, sind ein Brief aus dem Juli 1916, in dem sich Heinrich Echtermeyer auf der Reise in eine andere Stellung an der Front befindet, sowie drei Briefe aus dem März 1917.[4] In diesen Briefen vom 1.

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Quelle: http://feldpost.hypotheses.org/723

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Wer ist der eigentliche Feind?

Lea Griesing

Vor und zu Beginn des Ersten Weltkrieges herrschte in Deutschland eine patriotische Hochstimmung, ja eine „Atmosphäre sich überbietender Vaterlandsliebe“.[1] Die unterschiedlichsten Autoren verfassten patriotische Lieder, Gedichte, Bücher und gestalteten Broschüren und Plakate. Die deutsche Propaganda setzte dabei visuell ganz auf Bilder entschlossener und siegesgewisser Soldaten, in denen der eigene Ehemann, Sohn oder Vater wiedererkannt werden sollte. Und mehr noch:

„In Deutschland dienten die propagandistischen Bilder – auch [die] für das feindliche Ausland bestimmten – fast ausschließlich der Bestätigung des deutschen Selbstbildes als überlegenes Kulturvolk das sogar noch im Krieg seinen Feinden Gerechtigkeit widerfahren ließ; ein unschuldiges Opfer, das gerade aufgrund seiner Überlegenheit angegriffen wurde.“[2]

Die eigene Selbstüberhöhung brachte bei erfolgreicher Propagandawirkung zugleich mit sich, dass das Gegenüber als untergeordnet angesehen wurde und Feindbilder entstanden. Die selbst zugeschriebene Opferposition verstärkte im ,Idealfalle‘ die übersteigerte Abwehrhaltung gegenüber dem Feind. Stereotype Feindbilder wurden propagiert und sollten Teil der deutschen Mentalität werden.

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Quelle: http://feldpost.hypotheses.org/264

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Kameradschaft


Freunde im Krieg

Christian Senf

 „Bin hier noch auf dem Bahnhof. Hermann Hilgemann ist heute auf Wache. Nicht wahr wie man sich manchmal treffen kann.“[1]

Bereits dieses Zitat aus einem Feldpostbrief August Jaspers an seine Frau vom 25. Oktober 1914 verdeutlicht, welche Bedeutung ein Wiedertreffen mit früheren Bekannten für Jasper haben konnte. Denn offenbar unterschied dieser, wie zu zeigen sein wird, unter seinen Kameraden über die gesamte Kriegsdauer hinweg in zwei Kategorien: Solche, die in seinen Feldpostsendungen „anonym“ blieben, und jene, die durch ihn namentlich erwähnt wurden – meist ältere Bekannte aus seiner Heimat. Im Falle einer namentlichen Erwähnung kann davon ausgegangen werden, dass auch Bernhardine Jasper mit diesen Personen zumindest vertraut gewesen ist. Immer wieder kommen in seinen Briefen der Tod oder eine Vermisstenmeldung eines Bekannten zur Sprache.

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Quelle: http://feldpost.hypotheses.org/681

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Beten im Schützengraben.


Heinrich Echtermeyers Verständnis von der Kraft des Fürbittens

Jörg Schlarb

Während des Ersten Weltkrieges war der Glaube ein wichtiger Bestandteil des Vorstellungs- und Deutungshorizontes der Beteiligten. Denn wie die jüngere geschichtswissenschaftliche Forschung zuletzt herausgearbeitet hat, waren religiöse Deutungen mit Blick auf die Kriegserfahrung des ersten maschinell geführten Krieges auf kollektiver wie individueller Ebene von immenser Bedeutung. So zeigten sich beide großen christlichen Kirchen des Kaiserreiches seit 1871 – wenngleich aus unterschiedlichen Gründen[1] – mehr und mehr bereit, „den gesellschaftlichen und politischen Status quo mit Waffengewalt zu verteidigen“.[2] Je näher eine mögliche militärische Auseinandersetzung in Mitteleuropa rückte, desto stärker wurde die Verteidigung der Nation als religiöse Aufgabe verstanden.

Es verwundert daher nicht, dass auch auf individueller Ebene, die infolge einer intensiven Auseinandersetzung mit Feldpostbriefen und -karten in den Fokus der neueren Forschung gerückt ist, die erlebte Kriegswirklichkeit religiös reflektiert wurde. Viele Soldaten suchten in ihrem Glauben Sinn,[3] Rechtfertigung[4] und Schutz.[5] Doch ist zugleich eine wachsende Kritik an den Fähigkeiten und der Moral der Frontpriester aus zahlreichen Feldpostbriefen herauszulesen, die auch einen vermeintlichen religiösen wie moralischen Sittenverfall innerhalb des Offizierskorps und der kämpfenden Truppe thematisieren.[6] Vielfach entwickelte sich aus dieser Kritik eine Art Abkehr von der institutionalisierten Religion,[7] die zu einer Hinwendung zu mythischen oder kultischen Gedanken führte.

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Quelle: http://feldpost.hypotheses.org/635

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Hof und Heimat als Rückzugsort vor dem Krieg

Niklas Maximilian Schepp

 

„Wenn Ihr mit die Arbeit Nicht fertig werden könnt, laß ruhig liegen, den je größer der Hunger wird je eher ist alle, b[l]os[s] soviel das Frau und Kinder was zu Essen habt. Sonst laßen sie uns Urlaub geben. Ihr müßt nur sehen wenn ich nicht in Urlaub komme, wie Ihr am leichsten mit der Arbeit fertig werd, und das der Acker nicht ganz verwilder, und alle etwas bestellt wird, den ich habe wenig Spaß davon.“[1]

So schreibt der Landwirt Heinrich Echtermeyer am 20. März 1917 in einem Feldpostbrief von der Front an seinen Bruder. In seinen überlieferten Feldpostsendungen wird fortwährend deutlich, wie sehr er sich um die Bestellung seiner Äcker sowie um die Versorgung seines Viehs sorgt.

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Quelle: https://feldpost.hypotheses.org/590

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Gottvertrauen zwischen Fronterfahrung und Kriegsalltag.


Der Glaube unter dem Einfluss des Ersten Weltkrieges

Sarah Hinrichsmeyer

Feldpostbriefe eröffnen uns Einblicke in die persönlichsten Gedanken der Soldaten, so auch in ihren Glauben. Sie berichten immer wieder von Besuchen des Feldgottesdienstes, der Aufforderung zum Gebet oder der Hoffnung auf Gottes Wirken, das ein Ende des Krieges herbeibringen soll. Denn der Glaube des Einzelnen wurde durch diesen stark herausgefordert: Manch einer entfernte sich, bei anderen intensivierte er sich. Der Historiker Gerd-Walter Fritsche, der sich intensiv mit dem Thema Religiosität in Feldpostbriefen auseinandergesetzt hat, schildert beispielsweise eine Marienerscheinung eines Soldaten, der sich daraufhin in seinem religiösen Verhalten grundlegend veränderte.[1] Er erlangte eine Ausgeglichenheit, die in einem deutlichen Kontrast zu der zuvor dominierenden Kriegsangst stehe. Auch in den Feldpostbriefen August Jaspers an seine Frau finden sich Formulierungen, die den Erkenntnissen Fritsches entsprechen. Jasper selbst wird Zeuge, wie sehr der Krieg den Glauben des Einzelnen verändern kann:

„Er [Gott] ist doch bisher unser Schutz und Schirm gewesen, und darum werden wir ihn auch ferner bitten. Liebes Herz, wie mancher ist hier im Kriege doch schon zu einem kindlichen Gottvertrauen gekommen, der vorher an nichts glauben wollte.

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Quelle: https://feldpost.hypotheses.org/418

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Veränderung der Identifikation mit dem Vaterland während des Krieges

Dimitrij Schaf

August Jasper an Bernhardine Jasper, 5. August 1914.
August Jasper an Bernhardine Jasper, 5. August 1914.

„Weine doch nicht, daß ich fort bin, denn es geht ja fürs deutsche Vaterland“,[1] schreibt August Jasper in einem seiner ersten Briefe an seine Frau Bernhardine am 2. August 1914. Damit erweckt er zunächst den Eindruck, ebenfalls vom „Geiste von 1914“[2] durchdrungen und davon überzeugt gewesen zu sein, die Heimat im Krieg verteidigen zu müssen. Seine anfängliche Euphorie schwand allerdings bereits im November desselben Jahres, da der Krieg für ihn unvorhersehbar lange und zäh verläuft.[3] Die rasche Desillusionierung[4] führte bei Jasper zu einem Identifikationsproblem mit dem Vaterland.[5]

Im Gegensatz zu den millionenfachen Freiwilligenmeldungen zählte August Jasper zu denjenigen, die mit Kriegsbeginn zum Kriegsdienst abkommandiert wurden.

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Quelle: http://feldpost.hypotheses.org/82

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