Pommersche Gravamina, Teil VI – politische Destabilisierung

Ein letztes Mal zu der Flugschrift, in der die Gesandtschaft des Herzogtums Pommern auf dem Regensburger Kurfürstentag auf die unerträglichen Zustände in ihrem Land hinwies. Jenseits der Gravamina über die Ausschreitungen der in Pommern einquartierten Truppen ist ein Aspekt festzuhalten, der meist unausgesprochen mitschwingt, in wenigen Passagen dieser Beschwerdeschrift dann auch explizit benannt wird. So heißt es an einer Stelle: „Vnd lassen sich zum 30. theils der Officirer noch wol verlauten / daß sie / vnd nicht der Landsfürst vber die Vnterthanen im Lande zu gebiethen haben.“ (S. 9, Nr. 30) Was hier formuliert wird, ist nichts weniger als der Anspruch des Militärs, die landesherrliche Souveränität völlig an die Seite zu drücken und die obrigkeitlichen Kompetenzen für sich selbst zu reklamieren.

An der Machtlosigkeit des Herzogs von Pommern war gar nicht zu zweifeln. Wer konnte der kaiserlichen Armee widerstehen, die in den vergangenen Jahren jeden Gegner im Feld besiegt hatte (die unglückliche Belagerung vor Stralsund lassen wir hier mal außen vor) und allein durch ihre schiere Masse jeden Widerstand zu erdrücken schien? Am Ende der Flugschrift findet sich eine Beilage, die ein Verzeichnis der in Pommern stationierten Truppen enthält: Dort ist von 19 Regimentern Infanterie und Kavallerie mit insgesamt 163 Kompagnien die Rede. Natürlich waren dies erst einmal Einheiten, über deren Ist-Stärke kaum Klarheit zu erzielen war. Doch auch wenn Abgänge durch Krankheit und Desertion die Truppenstärke reduziert hatte, blieb eine gewaltige Militärmacht im Lande. Auch dies gehörte zum Prinzip Wallensteinscher Kriegführung: Es wurden so viele Einheiten in ein Territorium gelegt, daß Widerstand zwecklos war – und mit der militärischen Dominanz ließen sich auch politische Ziele erreichen.

Pommern selbst befand sich in einer besonders schwierigen Situation. Herzog Bogislaw XIV. war der letzte Vertreter des Greifenhauses, seine Ehe kinderlos: Das Herzogtum stand also vor einer offenen Nachfolge, und die Prätendenten begannen bereits, sich in Position zu bringen – kein Wunder, war das Territorium an der Ostseeküste mitsamt der Odermündung auch von besonderem strategischen Wert: für den südlichen Nachbarn Brandenburg, für das von einem dominium maris Baltici träumende Schweden wie auch für eine kaiserliche Politik, die ihren Feldherrn zum „Admiral der baltischen und ozeanischen Meere“ bestimmte. Angesichts dieser Machtinteressen war Wallensteins Urteil über Bogislaw fatal: Der Herzog von Pommern sei ein einfältiger Herr, ja einen armen Tropf nannte er ihn ein anderes Mal (Golo Mann, S. 361).

So besehen erschien die massive Truppenpräsenz des kaiserlichen Heeres in Pommern durchaus sinnvoll. Und doch wird man über den speziellen Fall Pommerns hinaus sehen müssen, daß es viele Maßnahmen gab, die unabhängig von einem übergeordneten Machtkalkül das Herzogtum erschütterten: Wenn kaiserliche Offiziere Zölle erhoben und neue Zölle einführten, den pommerschen Untertanen eigene Pässe ausstellten und über sie auch „in causis ciuilibus“ Gerichtsurteile verhängten (S. 9 f., Nr. 27, 30-32) – von den Eingriffen in die konfessionellen Verhältnisse des Landes gar nicht zu reden (vgl. Pommersche Gravamina, Teil II) –, dann wird deutlich, daß eine Einquartierung immer auch eine potentielle politische Destabilisierung bedeutete. Jede Landesobrigkeit sah sich nun einer konkurrierenden Herrschaftsinstanz gegenüber, die die Macht hatte, die landesherrliche Souveränität auszuhöhlen und Kompetenzen an sich zu ziehen.

Wenn also Feldmarschall Torquato Conti, der Kommandeur über die kaiserlichen Truppen in Pommern, von einer pommerschen Delegation ultimativ die Zahlung der Ausstände für seine Truppen forderte, und „solten sie sich auch biß auffs Hembde außziehen müssen“ (so wurde er in der Flugschrift zitiert: S. 16), so war dies nicht nur eine brüske Drohung, sondern auch der klare Verweis darauf, daß der Herzog in diesem Land nicht mehr viel zu sagen hatte.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/159

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Pommersche Gravamina, Teil IV – Kommunikationsprobleme

Ein weiteres Mal zu der Flugschrift, in der die pommersche Gesandtschaft ihre Beschwerden auf dem Regensburger Kurfürstentag schriftlich fixiert hatte. An dieser Stelle möchte ich aus der Masse der vorgetragenen Ausschreitungen, die das Land infolge der Quartiernahme durch Wallensteins Truppen zu ertragen hatte, einen Punkt herausgreifen. Das Gravamen Nr. 43 erwähnt, daß das Oberkommando über die einquartierten Truppen „nun ein geraume Zeit her frembden vnd außländischen Personen“ anvertraut worden sei. Nun sei es aber schwierig, in Pommern jemanden zu finden, der der italienischen Sprache mächtig sei, und so könne man die Beschwerden nicht wirklich vorbringen.

Nicht explizit genannt, aber gemeint war hier Torquato Conti, der als Feldmarschall das Oberkommando innehatte. Er war Italiener, und sicherlich waren auch weitere Offiziere in seinem engeren Umfeld Italiener. Für die kaiserliche Armee war dies nicht ungewöhnlich, wie die Karrieren von Piccolomini, Gallas und Montecuccoli zeigen. Ob Conti nur Italienisch konnte und nicht auch zumindest ein wenig Deutsch verstand, sei an der Stelle einmal dahingestellt. (Natürlich gab es in seiner Feldkanzlei Sekretäre, die den Schriftverkehr auf Deutsch erledigten; am Ende der Flugschrift ist ja ein solches Schreiben von Conti mitabgedruckt.) Das pommersche Gravamen verweist jedoch auf den Umstand, daß der Krieg Angehörige vieler europäischer Nationen ins Reich brachte – und damit die direkte Verständigung nicht nur unter den Militärs, sondern eben auch zwischen fremdsprachigen Militärs und der einheimischen Bevölkerung schwierig wurde.

Tatsächlich gibt es vielfache (Selbst-)Zeugnisse, in denen man sich über die fremdartigen Nationen wunderte. Dies betraf Italiener, Spanier und Franzosen genauso wie Iren, Engländer und Schotten und nicht zuletzt die als sehr fremdartig wahrgenommenen Finnen und Lappländer; hinzu kamen auch „Croaten“ und „Pollacken“, wobei diese Begriffe nicht nur eine Volkszugehörigkeit, sondern vielfach auch die Waffengattung der leichten Reiterei bezeichneten. Dieses Aufeinandertreffen war nicht zwangsläufig von Konflikten geprägt, aber wie die pommersche Flugschrift verdeutlicht, konnte es doch Kommunikationsstörungen geben, die den Umgang miteinander deutlich erschwerten.

Gerade die Situation, in der Vertreter einer Landschaft ihre Suppliken vor einem Kommandeur vortragen wollten und merkten, daß sie mit ihrer geübten Rhetorik einfach aufgrund der Sprachbarriere nicht weiterkamen und die üblichen Mechanismen von Supplik und Gnadenerweis nicht mehr greifen konnten, läßt erkennen, wie hilflos und ausgeliefert man sich womöglich den Militärs gegenüber empfand. Daß diese Hilflosigkeit in der Sprachlosigkeit begründet war, zeigt im Weiteren, wie gefährlich diese Konstellation war: Wenn man gar nicht mehr miteinander reden konnte und die Kommunikation in einem totalen Desaster endete, war der Schritt von der Sprachlosigkeit hin zur Sprache der Gewalt nicht mehr weit. Dies ist der Kern des Problems, der in Gravamen Nr. 43 angesprochen wird.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/155

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