Deutschland und die Armeniergräuel im Ersten Weltkrieg

Seit Veröffentlichung seines neuen Buches mit dem Titel “Beihilfe zum Völkermord: Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier” wird Jürgen Gottschlich, Mitbegründer der taz und seit vielen Jahren als Journalist in Istanbul tätig, in vielen Medien angefragt und zitiert – es etabliert sich damit, jedenfalls kurzfristig, ein bestimmtes Narrativ. Gottschlich wird auf tagesschau.de etwa so zitiert:

“Es gab eine deutsche Beteiligung bei der Planung der Deportation. Die Deutschen haben das politisch abgewehrt. Sie haben die Deportation und Vernichtung, die ihre osmanischen Partner durchgeführt haben, politisch gedeckt und geschützt”, ist der Journalist überzeugt.

Ich habe den Auftrag, das Buch für die Sehepunkte zu rezensieren. Ich bin daher schon sehr gespannt, wie er das ausgeführt hat. In der Ausstellung, die ich unter http://geschichtsadmin.hypotheses.org/304 angekündigt habe, gehen wir nicht davon aus, dass es eine klar benennbare “deutsche” Rolle gibt, aber jede Menge Eigenlogiken deutscher Akteure unter ihren je verschiedenen institutionellen Rahmenbedingungen. Das ist eine komplexe und interessante Geschichte; sie lässt sich nicht ohne Weiteres auf den Begriff der “Beihilfe zum Völkermord” bringen.

Am Wochenende beginnt dazu übrigens im Deutschen Historischen Museum eine Tagung des Lepsiushauses, an der ich mit 2 Studierenden aus dem Projekt teilnehmen werde (eine davon, Frau Perisic, trägt selbst vor). Auch da hoffe ich noch auf neue Perspektiven, mit denen sich die Auseinandersetzung lohnt.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/309

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Latein und Bildungsgerechtigkeit

Endlich wird es Zeit, einiges an Themen durchzugehen, was vor dem Urlaub liegengeblieben ist. Da war zum Beispiel die kleine Debatte in der ZEIT zur Frage, ob Studierende Latein lernen sollten. Moritz Fastabend, AStA-Referent in Bochum, hatte eine Petition mitverantwortet, in der die Abschaffung der Latinumspflicht für Lehramtsstudierende gefordert wurde (https://www.openpetition.de/petition/online/abschaffung-der-latinumspflicht-fuer-lehramtstudierende); für das Fach Geschichte wurde als Alternative die Formel “Kenntnisse in Latein oder anderen modernen Fremdsprachen” vorgeschlagen. Fastabends Argument: Wer ohne Latinum an die Uni komme, brauche in der Regel vier Semester länger für das Studium. Diese Formel verwundert: an der JGU Mainz etwa kann man das Latinum in Kursen der Klassischen Philologie nach 2 Semestern incl. Ferienkurs absolvieren. Natürlich dauert es auch mal drei Semester, manchmal vier, aber das ist nicht durchweg so – und in diesen Semestern lernt man nicht nur Latein, sondern betreibt sein Studium ja weiter. Bildungsungerechtigkeiten zementiere das Latein ebenfalls – es seien vor allem Leute, die ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht hätten, die an der Uni das Latinum nachholen müssten. Zugegeben, diese Gruppe ist tatsächlich betroffen, studiert aber in meiner Erfahrung in aller Regel so zielstrebig, dass es eben keine vier Semester länger dauert. Die Latinumspflicht entspringe einem veralteten Bildungsideal, so Fastabend – es gehe um die Bewahrung von Gymnasium und Universität als Eliteanstalten. Und nicht zuletzt könne man alles, was man im Lateinunterricht lerne, auch in einer modernen Fremdsprache lernen. Theoretisch stimmt das sogar, praktisch aber nicht: Was der Lateinunterricht stark fördert, ist analytische Sprachkompetenz, während der moderne Fremdsprachenunterricht meist auf synthetische Sprachkompetenz und insbesondere auf Kommunikationsfähigkeit setzt. Den unterschied merken wir in Sprachklausuren, die wir für unterschiedliche Abschnitte unserer Studiengänge anbieten: Studierende mit wenig Jahren Französischunterricht, aber Lateinkursen an der Uni tun sich bei der Übersetzung französischer Quellentexte ins Deutsche deutlich leichter als solche, ide doppelt so viele Jahre Französisch hatten, das Latein aber gerade erst beginnen oder noch vor sich haben. Nun ist die analytische Sprachkompetenz für Historiker/innen zentral; und sie wirkt sich bis in Bereiche wie Bildinterpretation und ähnliche Fertigkeiten aus. Das Latinum hier abzuschaffen wäre also erst recht bildungsungerecht: Auf dem Arbeitsmarkt spätestens, zumindest dort, wo die Absolventen tatsächlich als Historiker/innen arbeiten (zum Beispiel im gymnasialen Lehramt, um dases Fastabend geht), macht das Latein einen Unterschied, den man auch schon in Hauptseminararbeiten und Abschlussarbeiten und ihrer Benotung merken würde. Das Latein zu fordenr mag den ein oderanderen Zeit kosten, aber nicht die Zukunft, und daran sollten Studienanforderungen gemessen werden.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/267

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Schlechtes Abschneiden der Lehrer-Bildung

Der Hochschulbildungsreport2020, die zentrale Publikation der Bildungsinitiative “Zukunft machen”) in der Verantwortung des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft (http://www.hochschulbildungsreport2020.de/),  hält fest: “Der Hochschul-Bildungs-Index erreicht nur 10 statt 20 Punkten. Besonders schlecht abgeschnitten hat die Lehrer-Bildung.” Was ist da los?

Grundsätzlich reiht sich der Befund wohl in die politische Tendenz ein, das Lehramt wieder stärker in die Universität hineinzunehmen. Ausdruck dieses Willens war schon die “Lehrer-Initiative” des Stifterverbands und der Heinz Nixdorf Stiftung (http://www.stifterverband.org/wissenschaft_und_hochschule/lehre/lehrer-initiative/index.html). Nun folgt die daten-/indikatorengestützte Feststellung eines Defizites. Aber wie zuverlässig sind diese Befunde, und was bedeuten sie? Zunächst ist der Index interessant: Der Hochschul-Bildungs-Index, mit dem Stifterverband und McKinsey arbeiten, “misst auf sechs Handlungsfeldern, ob sich bis zum Jahr 2020 ein durchlässiges, nachfrage- und bedarfsorientiertes Hochschulsystem entwickelt”. Zu diesen Handlungsfeldern gehört die Lehrerbildung, die dieses Jahr besonders schlecht abschneidet und daher im Report detailliert gewürdigt wird.

Probleme sieht der Report vor allem bei den fehlenden Karrierewegen im Lehramt, die das Lehramt für ehrgeizige junge Menschen eher unattraktiv mache, und dem fehlenden Selbstbewusstsein: “Nur 16 Prozent [der Lehramtsstudierenden] schätzen Selbstvertrauen und nur 13 Prozent Durchsetzungsfähigkeit als ihre persönliche Stärke ein.” Man kann nun aus der eigenen Erfahrung mit Studierendenerhebungen einwenden, dass gerade der zweite Parameter schon durch den wohl überdurchschnittlich hohen Anteil weiblicher Studierender im Lehramtsstudium beeinflusst wird; jedenfalls würde ich aus Umfragen an der JGU eine solche Verzerrung vermuten. Das scheint mir aber vernachlässigenswert. Wichtiger ist, und zwar auch wiederaus den eigenen Erfahrungen: Nicht immer sind die 13% “Durchsetzungsfähigen” und 16% “Selbstbewussten” diejenigen, die man später im Lehramt sehen möchte. Selbstverstädnlich wollen wir selbstbewusste und durchsetzungsfähige Lehrer/innen, aber das ist nicht der springende Punkt; die Mengen der sich selbst schon im Studium für selbstbewusst und durchsetzungsfähig haltenden Studierenden und der tatsächlich selbstbewussten und durchsetzungsfähigen Lehrer sind allenfalls teilidentisch, wobei diese Teilidentität zufällig ist.

Problematisch isnd für mich auch die Handlungsempfehlungen, die allenfalls “lose” mit der Diagnose verbunden sind. Gefordert werden Unterrichtsassistenten und andere neue Kategorien an den Schulen, universitätseigene Experimentierschulen (analog zu Universitätskliniken) und stärkere Bemühungen in der Lehrerfortbildung. Den letzten Punkt teile ich. Die Analogie von Universitätsschulen zu Universitätskliniken verstehe ich jedoch nicht recht. Sie scheint mir – zumindest angesichts der Zahl von Lehramtsstudierenden an der JGU Mainz, die ich überblicke – unrealistisch, da das Land RLP schon jetzt mit der Versorgung der Studierenden mit Schulpraktika, VD und Referendariat an seine Grenzen zu kommen scheint.

Interessant ist der Punkt “Diversität”: Gefordert werden mehr Männer im Lehramtsstudium und mehr Studierende mit Migrationshintergrund. Dagegen kann eigentlich niemand etwas haben. Man kann sich höchstens fragen, wie man Männer dazu bewegen möchte, häufiger Lehramt zu studieren. Sie müssen diese Entscheidung am Ende ja freiwillig treffen. Aber vielleicht gibt es dazu ja schon gute Ideen. Propblematisch finde ich die statistische Bypass-Lösung, Studierende mit Migrationshintergrund über jene zu erfassen, die man heutzutage “Bildungsinländer” nennt. Diese Gruppe ist systematisch kleiner als die Gruppe derer “mit Migrationshintergrund” (legaldefiniert), was sinnvolle Aussagen nicht mehr zulässt.

Man könnte nun weitere Probleme der Auswertung anführen. Ärgerlich ist etwa der offenbar medien- oder hochschulpolitikgerechte Verzicht auf anspruchsvollere Statistik zugunsten klassischer “Erbsenzählerei”, also reiner Prozentangaben auf Gruppen und ähnliches. Noch ärgerlicher aber ist, dass das Thema eigentlich wichtig genug für eine ernsthafte Auseinandersetzung wäre. Es bleibt zu hoffen, dass die oben angesprochene Exzellenzinitiative Lehramt produktivere Impulse setzt.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/240

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Ist Geschichtsbewusstsein germanozentrisch?

Auf eine Tagung einzugehen, die man selbst nicht besucht hat, und das nur auf Grund eines Tagungsberichtes, von dem man nicht weiß, ob er der Tagung auch gerecht wird, ist nicht unbedingt zu empfehlen. Gerechtfertig erscheint es mir, wenn man im Tagungsbericht Formulierungen wiederfindet, die man auch andernorts schon gesehen – und nicht verstanden hat.

So wurde ausweislich des Berichts (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=5358) dem Geschichtsbewusstsein vorgeworfen, “dass gängige Theoriedebatten des Geschichtsbewusstseins allzu sehr die dualistischen Denkstrukturen des 19./20. Jahrhunderts spiegeln würden” (und später wird gefragt, “ob eine solche binäre Auflösung [migrantisch vs. biodeutsch; A.F.] nicht bereits in der Theorie des Geschichtsbewusstseins grundgelegt sei”). Themen und Inhalte von Geschichte und Geschichtsunterricht seien eurozentristisch und allein an Fakten und Ereignisse gebunden. Diese Kritik gipfelt in der revolutionären (?) Forderung, “Geschichte könne nicht an Nation gebunden und ebenso wenig nur rückwärtsgewandt sein”. Dabei wird die Frage aufgeworfen, “ob von Theorien, die dem Denken des 19./20 Jahrhunderts verhaftet sind, positive Impulse für aktuelle Debatten um historisches Denken und Lernen ausgehen könnten und nicht stattdessen postmoderne Theorien stärker rezipiert werden müssten”. Kritisiert wird auch, “dass das Individuum bislang zu stark vernachlässigt worden sei”. Ein weiterer Stein des Anstoßes ist die “Normativität gängiger Theorien des Geschichtsbewusstsein”. Der Rüsenschen Konzeptualisierung wird schließlich vorgeworfen, dass sie “stark homogenisierend sei, da diese normierenden Prüfungskategorien beinhalte und zudem einer kulturellen Orientierung diene, welche an einer nationalen Fokussierung festhielte”.

Kritik am Geschichtsbewusstsein ist nicht selten und lässt sich in Variationen auch in den Diskussionen auf Public History Weekly finden. Was kann man da tun?

Hilft der Rückgriff auf empirische Forschung? So wurde offenbar vorgeschlagen, “alle möglichen Modelle und Ebenen des Geschichtsbewusstseins zu operationalisieren und als Kompetenz zu testen, um sich dem Ziel einer bildungsorientierten Geschichtsdidaktik zu nähern”. Aus der Perspektive einer empirischen Forschung ist das nicht sinnvoll, denn Theorie geht vor Empirie; alles andere wäre ein ziemlich naiver Induktivismus und/oder Positivismus.

Wäre es denn eine Alternative, “auf die Kategorie Geschichtsbewusstsein zu verzichten und stattdessen auf ‘historische Mündigkeit’ im schulischen und wissenschaftlichen Diskurs zurückzugreifen”? Das hat den Charme einer klassischen Begrifflichkeit für sich; aber es ist nichts anderes als eine Spielart des Geschichtsbewusstseins aus der ja schon etwas älteren Diskussion. Dass “eher der Prozess der Begegnung mit Vergangenheit, genauer die „eigen-sinnig“ produktive Aneignung von Geschichte und Vergangenheit, in den Fokus rücken müsste”, passt just in diese Diskussionsrichtung. Dazu später mehr.

Ein weiterer Weg aus der postulierten Krise des Geschichtsbewusstseins besteht in der Forderung, “Prozesse historischen Lernens, aber auch die Struktur des Geschichtsbewusstseins, auf Basis einer gegenwärtig relevanten Gesellschaftstheorie abzubilden, da Geschichte immer nur aus der Gegenwart heraus gedacht werden könne”. Welche gegenwärtig relevante Gesellschaftstheorie soll das sein, und wieso ist das zwingend vorgängig? Geht es um eine Theorie der modernen Gesellschaft? Oder doch nur um eine Besinnung auf den eigenen Standpunkt, was ja selbstverständlich wäre – und in den diversen Konzepten des Geshcichtsbewusstseins ja durchaus angelegt?

Vor allem irritiert mich die offenkundig virulente Kritik an den Konzepten von Jörn Rüsen, die ja noch für das FUER-Projekt zumindest auf der argumentativen und der strukturierenden Ebene wegweisend waren – ob sie immer Rüsen entsprachen, kann man diskutieren. Ich habe auch selbst schon Kritik an Rüsen geübt – vgl. mein Beitrag unter dem Titel “Historik oder Wissenschaftstheorie der Geschichtswissenschaft?” in: Erwägen, Wissen, Ethik : EWE = Deliberation, knowledge, ethics 22 (2011) 4, S. 521-524. Mich stört aber eher, dass Rüsens Überlegungen nichts dazu beitragen, den spezifischen Wissenschaftscharakter von Geschichtswissenschaft klar gegen nicht-wissenschaftliche oder sogar unwissenschaftliche Beschäftigungen mit Geschichte abzugrenzen. Dass Rüsens Konzeption des Geschichtsbewusstseins normativ ist, stört mich nicht – wenn sie unterrichtsrelevant sein soll, muss sie das sein. Auch die “Fortschrittsfokussierung des genetischen Erzählens” stört mich nicht, da es nicht Rüsens einziges Modell des Erzählens ist – und auch nicht sein bevorzugtes. (Man mag allerdings darüber streiten, wie hilfreich die Typologie dieser Erzählweisen wirklich ist.) Die Vorstellung, dass die “Rüsensche Theorie des Geschichtsbewusstsein stark homogenisierend sei, da diese normierenden Prüfungskategorien beinhalte und zudem einer kulturellen Orientierung diene, welche an einer nationalen Fokussierung festhielte”, verstehe ich erst recht nicht; da hoffe ich einfach auf Erläuterungen. Ich erkenne bei Rüsen weder eine starke Intention der Homogenisierung noch eine nationale Fixierung.

Doch damit zurück zu dem Gedanken, den ich oben noch zurückgestellt hatte. “Dass sich die Beiträge dabei primär auf Rüsen und Pandel stützen, mag vielleicht eine kleinere Schwäche des Workshops gewesen sein, hätten doch zumindest die Arbeiten von Jeismann und v. Borries (noch) prominenter einbezogen werden können” – so der Bericht, und das möchte ich gerne unterstützen. Die Zielbestimmung von Geschichtsunterricht, die Jeismann 2000 im Anschluss an eigene, weit ältere Beiträge formuliert hat, weist m.E. einen guten Weg:

“Geschichtsunterricht […] muss sich das Ziel setzen, die Heranwachsenden zu befähigen, mit den unterschiedlichen und in Zukunft sich stets wandelnden Angeboten historischer Deutung im Horizont Ihrer Gegenwart sich auseinanderzusetzen und selber in wichtigen Fragen zu einer begründeten geschichtlichen Vorstellung zu finden […].” (Karl-Ernst Jeismann, “Geschichtsbewußtsein” als zentrale Kategorie der Didaktik des Geschichtsunterrichts, in: Ders. (Hg), Geschichte und Bildung. Beiträge zur Geschichtsdidaktik und zur historischen Bildungsforschung, Paderborn 2000, S. 46–72, hier S. 48)

Mit diesem Konzept ist Geschichtsbewusstsein im Grunde angelegt als die Fähigkeit, sich mit historischen Zumutungen der das Individuum umgebenden Welt produktiv und eigen-sinnig auseinanderzusetzen. Das kann man dann auch “historische Mündigkeit” nennen, und in der Tat ist “Geschichts-bewusstsein” keine glückliche Benennung (das “Bewusstsein” stört hier tatsächlich) – aber es ist ein eingebürgerter Terminus, und es spricht zu wenig dafür, auf ihn zu verzichten.

Wäre ein solches (in meinen Augen sehr pragmatisches und alltagstaugliches und zugleich durchaus theoriefähiges) Begriffsverständnis nicht der gleichen Kritik ausgesetzt, wie sie oben schon anklang? Teilweise sicher. Diese Begriffsverwenudng wäre normativ. Darin sehe ich kein Problem. Ich sehe allerdings nicht, wieso dieses Begriffsverständnis (genau so wenig wie Rüsens oder Pandels Konzeptualisierungen) hier Dualismen und binäre Weltordnungen reproduzieren sollten. Sie könnten auch im Gegenteil dazu dienen, solche Dualismen zu zertrümmern. Eurozentrismen sind diesem Begriffsverständnis auch nicht inhärent, es sei denn, man sieht schon in der Orientierung an Grundsätzen moderner Wissenschaftlichkeit einen Ausdruck von westlicher Hegemonie (was ich nicht tue).

Kurzum: Statt “Geschichtsbewusstsein revisited” plädiere ich für “Geschichtsbewusstsein rehabilitated”.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/244

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Sekundarstufe III

Ein deutsches College ist unausweichlich” – unter dieser Überschrift wirbt Jürgen Kaube in der FAZ vom 15.05.2014 für eine an der Universität zu organisierende Vorbereitung auf die Universität. Damit reagiert er auf die Bologna-Kritik von Dieter Lenzen. Lenzen kommt u.a. zu der Einschätzung, in Zeiten der Bachelorstudiengänge sei die Hochschule eine neue gymnasiale Oberstufe geworden, die statt des Abiturs den Bachelorabschluss verleihe. Kaube hält dem entgegen, dass es kein deutsches College gebe, das als Teil oder Vorstufe der Hochschule die nachträgliche Hochschulreife verleihe. Daher fordert er einen konsequenten Umbau der Hochschulen:

“Sollen die deutschen Hochschulen jene Allgemeinbildung nachholen, die ein stark inklusives Gymnasium im Durchschnitt nicht mehr leistet, werden sie sich vielmehr umgekehrt in ihrem Eingangsbereich von der Formel ‘Einheit von Forschung und Lehre’ verabschieden müssen. Denn die wirkliche Forschung – beispielsweise in Gestalt von Sekundärliteratur – wirft keinen pädagogischen Mehrwert ab, wenn es darum geht, junge Leute zum Denken zu bringen. Man braucht dazu auch nicht unbedingt Spitzenathleten aus den Hochdruckgebieten des wissenschaftlichen Publizierens. Es genügen intelligente Lehrer, die man um der Lehre willen dann gerade von Forschung entlasten und jedenfalls nicht allein nach ihrer Forschung beurteilen sollte.”

Diese Absage an die klassische Idee der Universität ist atemberaubend – und verschleiert, dass es auch andere Stellschrauben gäbe. Wo steht denn geschrieben, dass die Schulen ihrem Auftrag nicht mehr gerecht werden? Den subjektiven Eindruck, dass dem so sei, teilen sicher viele. Empirisch gesichert ist das keineswegs. Ebenso wenig ist die Überzeugung, Bachelorstudiengänge seien nur ein verlängertes Abitur, zu halten. Auch Bachelorstudiengänge gibt es in der Variante “wissenschaftlich”, und genau so lassen sich gute Schulen und gute Lehrer/innen finden, die durchaus studierfähige junge Menschen zum Abschluss bringen. Die Einrichtung einer Sekundarstufe III an Hochschulen, die bisher nur in einzelnen Fächern zur Kompensation von Lücken in Form von Vorkursen existiert, wäre jedenfalls eine vorzeitige Aufgabe im Ringen um eine universitäre, wissenschaftliche Bildung.

Das Bild zeigt Wahlkampfplakate aus den laufenden StuPa-Wahlen an der JGU Mainz.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/232

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Akkreditierung heißt “Glauben schenken”

Das letzte Jahr im Studienbüro war von einem großen Thema beherrscht: der Reakkreditierung unserer Studiengänge. Ich hoffe sehr, dass ich nach (erfolgreichem?) Abschluss des Verfahrens auch hierüber schreiben werde. Aus der aktuellen Arbeit fallen mir vor allem Fehlbeobachtungen anderer auf – offenbar ein Leitmotiv dieses Blogs. Diesmal ist mir der Beitrag “Wie soll man anders Qualität sichern?” aus der FAZ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/akkreditierung-an-deutschen-unis-wie-soll-man-anders-qualitaet-sichern-12914892.html) aufgefallen.

Dort führt die Autorin Christiane Gaethgens zu Recht an, dass das Akkreditierungswesen in mancherlei Hinsicht als Ausdruck der modernen Hochschulautonomie gesehen werden kann. Das läuft der ubiquitären Kritik an den hochschul-fremden Kriterien, die Akkreditierungsagenturen mitunter anlegen, zuwider. Sie erkennt in dieser Kritik auch das Fremdeln der Hochschulen mit selbst geschaffenen neuen Qualitätssicherungsinstanzen:

“Diese Freiheit zur Selbstbestimmung haben die Hochschulen unter Berufung auf das Grundgesetz über Jahrzehnte zu Recht gefordert. Nun offenbart sich, dass Chance und Überforderung hier näher beieinanderliegen, als mancher erwartet haben mag. Autonomie zu fordern ist legitim, sie wahrzunehmen aber stellt erheblich Ansprüche, auch an die eigene Steuerungs- und Entscheidungsfähigkeit.”

Nun macht sie jedoch m.E. den Fehler, aus der Tatsache, dass die Universitäten im Zuge der Einführung der Akkreditierung von ministerialer Bevormundung teilweise befreit wurden, zu schließen, die Universitäten selbst hätten jene Kriterien mit entwickelt, unter deren Exekutierung sie nun leiden würden. Faktisch ist der Akkreditierungsrat – und damit auch alle Akkreditierungsagenturen wie auch die dank Systemakkreditierung etwas autonomeren Universitäten – weiterhin an Vorgaben der Kultusminister gebunden. Und diese Vorgaben sind fast durchweg audit-fähig – also zählbar und nicht wissenschaftsimmanent. Es geht nicht so sehr um Fragen der wissenschaftlichen Ausbildung im Fach, sondern um den Blick von außen, der vor allem Leistungspunkte pro Semester und Jahr, Prüfungszahlen pro Jahr, Semesterwochenstunden pro Leistungspunkt und Ähnliches zu zählen vermag. Beredter Ausdruck hiervon sind die Rahmenbedingungen, die die Kultusminister 2010/11 nach großen Studierendenstreiks eingeführt haben und die vorallem solche formalen Aspekte aufnehmen.

Man kann einwenden, dass es nicht Aufgabe der Kultusminister sein kann, fachinterne Kriterien festzulegen – das ist ja auch der Tenor dieses Blogs, dafür sind die Fachwissenschaften selbst zuständig. Fraglich ist aber, ob die Kultusministerien mit dieser Vielzahl an formalen Kriterien der Entwicklung fachwissenschaftlicher Lehre wirklich etwas Gutes tun – oder ob hier nicht (Achtung: Neoliberalismus!) mehr Freiheit denkbar und wünschenswert wäre. Akkreditierung kommt laut Wikipedia vom lateinischen Wort accredere – glauben, vertrauen. Trauen die Ministerien den Fachwissenschaften zu, dass sie wissen, was sie in der Lehre tun, und das auch weitgehend eigenständig entscheiden können? Zu Recht fordert Christiane Gaethgens übrigens “bessere, wissenschaftsgerechtere Verfahren” und beklagt zugleich “zu wenig [...] Vertrauen in die Eigenverantwortung, Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Wissenschaft”. Ob dies im letzten verbliebenen Kernbereich der Landesgesetzgebungen (Bildung im weitesten Sinne) realistisch ist, vermag ich nicht zu sagen, aber nach einer längeren Gewöhnungsphase an die modularisierten Studiengänge könnte man den Hochschulen dies durchaus zutrauen.

Mit diesem Blogpost beginne ich übrigens, “Featured Images” in die Posts einzufügen. Beginnen möchte ich mit einem Flickr-Commons-Bild unserer Partnerhochschule in Glasgow, die ich vor anderthalb Jahren besuchen durfte – ein architektonischer Traum, an dem man gerne einmal Seminare geben möchte.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/222

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Seminararbeiten und Rechtschreibung

Zur Klage über moderne Studierende gehört – gewissermaßen standardisiert – auch die Klage über die Rechtschreibung in Seminararbeiten. Unter dem Titel “Sprachnotstand an der Uni. Studenten können keine Rechtschreibung mehr” (http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/campus/sprachnotstand-an-der-uni-studenten-koennen-keine-rechtschreibung-mehr-12862242.html) hat sich nun Hannah Bethke (Politikwissenschaft, Greifswald) in der FAZ an diesem Thema versucht.

Das Schlimme daran: Auch wenn ich versuche, meinen eigenen kulturpessimistischen Anwandlungen entgegenzuarbeiten, muss ich dem Befund erst einmal zustimmen. Die Zahl an Seminararbeiten, die schon sprachlich nicht die Voraussetzungen erfüllen, die mit dem Abitur eigentlich nachgewiesen sein müssten, ist einfach zu hoch, als dass es sich um Einzelfälle handeln könnte. Das reicht von orthographischen Fehlern über Schwierigkeiten, einen Satz korrekt zu Ende zu führen, bis hin zu Schwierigkeiten in der Textgestaltung (Aufbau von Absätzen und Kapiteln). Und ja, es sind oft sehr grundlegende Fähigkeiten, die offenkundig fehlen – oder zumindest fehlt die Übung. Meinen ungeliebten kulturpessimistischen Anwandlungen gemäß hängt das oft auch mit fehlender analytischer Sprachausbildung zusammen. Analytischer Umgang mit Sprache wird in der Didaktik moderner Fremdsprachen offenbar kaum noch gepflegt. Das Zerlegen eines Satzes in Subjekt, Prädikat und Objekt scheint inzwischen das Monopol der altsprachlichen Didaktik zu sein. Für Historiker/innen, die sich permanent mit Texten anderer beschäftigen müssen, ist diese Fähigkeit zur analytischen Auseinandersetzung mit Sprache aber eine absolute Voraussetzung (und das betrifft im Übrigen auch den Umgang mit Bildern, Artefakten usw.). Die Unfähigkeit oder mangelnde Übung, eigene Texte korrekt und stringent aufzubauen, korrespondiert in meiner Erfahrung mit dieser analytischen Kompetenz. Der Umgang mit dem Konjunktiv, die KNG-Kongruenz, das Strukturieren von Gedanken in einem flüssigen Text setzt das Verständnis von Textstrukturen und darunter grammatischen Strukturen  voraus.

Schade nur, dass Frau Bethke dieses an sich so wichtige Thema durch den üblichen Kulturpessimismus, gegen den sie sich offenbar nicht zu wehren versucht, schwächt. Ihr Text enthält vor allem Schuldzuweisungen an die Adresse der Studierenden, die diese Fehler begehen – anstatt über eine produktivere Sprachdidaktik etwa im Deutschunterricht oder in den modernen Fremdsprachen nachzudenken. Sie hängt sich an der Partizipenseuche auf, die sie am Wort “Studierende” festmacht – als ob dieses Wort wirklich sprachlich stolpern lässt. Sie kritisiert “Niveaunivellierung” – es ist, meine ich in der Rückschau, ein Ceterum censeo dieses Blogs, das ich zumindest an der Universität die Verantwrtung für solche Niveaunivellierungen, falls es sie tatsächlich gibt, auch in den Fächern sehe. Zumindest fühle ich mich bisher nicht gezwungen, ein Niveau zu nivellieren; auf eine verantwortungslose, inflationäre Notenvergabe (wo wurde die empirisch belegt?) fühle ich mich nicht verpflichtet. Sie macht das daran fest, dass diese Gesellschaft abweichendes Verhalten (z.B in der Schule) nicht mehr sanktioniert, sondern als Buntheit akzeptiert und affirmativ begrüßt. Das lastet sie der “liberalen” Gesellschaft an – als ob uns eine illiberale Gesellschaft besser tun würde.

Hannah Bethke möchte sich “nicht einreihen in den Chor derer, die den Untergang des Abendlandes heraufbeschwören; wenngleich es zur Bestätigung dieser kulturpessimistischen These sicher lohnenswert wäre, eine Umfrage unter Studenten zu machen, wer von ihnen überhaupt noch weiß, was das Abendland eigentlich ist – und wie man es schreibt.” Dieses Zitat sagt eigentlich genug. Im nachvollziehbaren Bestreben, die Sprachfäöhigkeiten der Studierenden, eigentlich: der Schülerinnen und Schüler zu verbessern, wird eine solche platte Diagnose leider nichts ändern. Um Bethes letzten, sprachlich misslungenen Satz ebenso “ungekonnt” zu paraphrasieren: Es ist zu hoffen, dass der jetzige Bestand dieser Diagnose eher von kurzer als von langer Dauer sein wird.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/204

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Was braucht gute Lehre?

Gute Lehre braucht Innovationen, Zeit, Geld und Anerkennung – unter diesem Motto hat der Stifterverband die Ergebnisse der Arbeit mit Fellows der Baden-Württemberg Stiftung, der Joachim Herz Stiftung und des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft vorgestellt (http://www.stifterverband.info/wissenschaft_und_hochschule/lehre/fellowships/was_gute_lehre_braucht/index.html). Welche (Rahmen-) Bedingungen braucht gute Lehre? Welche Unterstützung wünschen sich engagierte Lehrende? Die Antworten sind überraschend – überraschend ermutigend.

Unter dem Stichwort “Innovation” werden die Hochschullehrenden selbst als Ressource angeführt. Es braucht Lehrende, “die sich neueren Lern- und Lehrprozessen öffnen und diese ausprobieren” – das ist noch ziemlich vage und daher sicher weithin konsensfähig. Aber: Sie “konzipieren eine fachbezogene Hochschuldidaktik für ihr Fachgebiet und entwickeln und implementieren Wechselwirkungen zwischen Hochschullehre, Forschung und Fachkompetenz bewusst” – das klingt spannend und geht weit über die in der Hochschuldidaktik seit Jahren munter betriebene fachunspezifische Aktivierungsrhetorik hinaus. Ja, es reicht nicht zu wissen, wie Studierende ihre intrinsische Motivation entwickeln (zumal wenn es unter dem Motto der Selbstkompetenz auch darum geht, sich dort aufzuraffen, wo die Motivation eben gerade fehlt). Es braucht auch eine fachspezifische und zugleich hochschulspezifische, d.h. wissenschaftsorientierte Didaktik. Die gibt es in den Fächern, die ich halbwegs überschaue (und das ist vor allem mein eigenes Fach) allenfalls in Ansätzen. Die Forderungen nach Lehrenden, die sich in einen didaktischen Diskurs begeben, ist daher ein guter Schritt in diese Richtung.

Unter dem Stichwort “Zeit” fordern die Fellows flexiblere Deputatsverordnungen, Wertschätzung für Lehrleistungen, Entscheidungsspielräume für mehr Lehre oder mehr Forschung, mehr personelle Unterstützung (z.B. Geld für Tutor/innen) und Ähnliches. Auch hier lassen Sie anklingen, dass es eine fachspezifische Hochschuldidaktik braucht. Clever.

Auch unter dem Stichwort “Geld” gehen sie auf den Bedarf an fachspezifischer Didaktik ein; sie werden aber noch viel konkreter. Sie fordern die “Kompetenz und Expertise einer fachbezogenen Hochschuldidaktik, die in den Studiengängen verankert ist (und nicht darüber)”, ein. Genau das ist die LÜcke im hochschuldidaktischen Diskurs, die die hochschuldidaktischen Zentren in aller Regel nicht antippen. Kein Wunder, das würde deutlich weniger “ressourceneffizient” zu realisieren sein. Mit fachunspezifischen Programmen lassen sich rasch Dutzende von Lehrenden bedienen (und was das dann mit ihrem Fach zu tun hat, müssen sie selbst herausfinden). Mit fachspezifischen Angeboten müssten die Didaktikzentren sich weit in die Fächerund Fachkulturen, in Wissenschaftsverständnisse usw. hineinbegeben. Das ist mühsam. Sie müssten wohl vor allem Lehrende anheuern, die in den Fächern selbst lehrend aktiv sind. “Bereichsdidaktiken” wie etwa”Aktivierende Seminare in den Geisteswissenschaften” treffen das Problem jedenfalls nicht (es sei denn, man geht davon aus, dass Historiker und Germanisten wirklich das Gleiche studieren – was Nonsens ist).

Soweit bin ich mit allem einverstanden. Ich denke aber, das Ganze fordert von den Fächern noch viel mehr als von den hochschuldidaktischen Zentren. Nur aus dem Fach heraus kann ein Verständnis für die Lernziele, die Kompetenzorientierung im Fach, die Studierendengruppen, eine fachangemessene Diagnostik und Ähnliches anspruchsvoll entwickelt werden. Gut wäre, wenn es hierfür “Zeit, Geld und Anerkennung” an den Hochschulen gäbe. Das entwickelt sich erst langsam. Hierfür braucht es auch einen innerfachlichen Konsens über das Wissenschaftsverständnis im Fach oder einen Basiskanon an anerkannten Methoden. In einer Geisteswissenschaft ist das nicht unbedingt selbstverständlich.

Ein abschließendes Wort zu den zwei Kommentaren, die sich schon auf der Homepage des Stifterverbandes finden:

Prof. Dr. Johannes Herrmann (Kaiserslautern) wendet ein, man müsse vor allem die Grundausstattung der Universitäten sichern, um gute Lehre zu generieren; Förderung auf Basis von Anträgen seien im Bereich der Forschung sinnvoll, nicht im Bereich der Lehre. Dass eine gute Grundausstattung wichtig ist, ist richtig (siehe auch http://geschichtsadmin.hypotheses.org/101). Aber das alles ergibt noch keine “gute” Lehre. Ich denke, man darf es ambitionierter denken.

Prof. Kai Beiderwellen (Mannheim) kritisiert den Wechsel von der Vermittlung von Bildung hin zur Vermittlung von Wissen. Das verstehe ich nun gar nicht, oder besser gesagt: Ich verstehe es als Variante des bologna-kritischen Habitus, den ich nicht teilen möchte. Es ist vor allem nicht ganz korrekt: Was genau wir in Studiengängen tun, wie wir lehren, wie wir Lernprozesse diagnostizieren, wie wir curricular und in Lehrformaten planen und moderieren, das ist immer noch unsere eigene Aufgabe. Ich bin da weniger pessimistisch. Die Reflexion, was die Orientierung an Bildung im Fach bedeutet, kann nur dort und muss dort stattfinden. Die “Zurichtung der Studierenden für die Bedarfe der Wirtschaft und zu einer Angleichung dr Lehre an ökonomische Prozesse” ist nicht vorgeschrieben, sie wird nur gerne laut gefordert oder kritisiert.

Und mit den Problemen und Chancen einer stärker fachspezifischen Hochschuldidaktik haben beide Kommentare in meinen Augen nicht viel gemeinsam.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/199

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“Völkermord an den Armeniern” an deutschen Schulen

Christoph Pallaske hat auf seinem Blog “historischdenken” für einen offensiven geschichtsdidaktischen Umgang mit dem schwierigen Thema “Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich geworben (2015 | 100 Jahre Völkermord an den Armeniern | Herausforderung für den Geschichtsunterricht). Dem Plädoyer möchte ich mich zunächst unbedingt anschließen. Im Sommersemester 2013 habe ich in einem geschichtsdidaktischen Proseminar mit Studierenden erarbeitet, welche Funktion dieses Thema im Kontext interkulturellen historischen Lernens haben und wie man es mit Schülerinnen und Schülern erarbeiten könnte.

Ich bin jedoch aus mehreren Gründen mit Christoph Pallaskes Plädoyer noch nicht ganz glücklich:

  1. Er wirbt für einen Überblick über die ideologischen Hintergründe im späten Osmanischen Reich, den Mihran Dabag auf der Fachdidaktischen Tagung für Geschichte und Politik in Niedersachsen 2012 vorgestellt hat. Mir scheint dieser Beitrag der thematischen Erarbeitung nicht angemessen, da sich Dabag ausschließlich auf eine Art geistesgeschichtliche Vorgeschichte der Turkisierungspolitik konzentriert. Brüche, Widersprüche und Verwerfungen selbst innerhalb dieser Geistesgeschichte kommen dabei zu kurz; die Geschichte wird einfach zu geschmeidig erzählt. Grundsätzlicher wäre aber zu fragen, ob dieser Text eine gute Hinleitung zum Thema ist und ob er deskriptiv und explanatorisch angemessen auf das Thema eingeht. Dabag übergeht fast völlig die in den letzten zehn Jahren äußerst rege Forschung, die mit Namen wie Hans-Lukas Kieser (den er mit einem Werk zitiert), Taner Akçam, Ugur Ümit Üngör, Erik-Jan Zürcher, Donald Bloxham oder Fuat Dündar verbunden ist. In diesen Forschungen geht es um wesentlich übnerzeugendere Erklärungsversuche, die sich um Konzepte wie kumulative Radikalisierung, demographic engineering o.ä. drehen. Ich möchte daher einen Gegenvorschlag machen und einen anderen Text vorschlagen, der mir noch am ehesten geeignet erscheint, in dieses Forschungsfeld einzuführen: Dominik J. Schaller, Der Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich, 1915-1917. Ereignis, Historiographie und Vergleich, in: Dominik J. Schaller/Rupen Boyadijan/Vivianne Berg/Hanno Scholtz (Hrsg.), Enteignet, vertrieben, ermordet. Beiträge zur Genozidforschung, Zürich 2004, S. 233–277, ein Artikel, der zwar nur die Forschung bis2004 anspricht, aber dennoch viele grundsätzliche Einsichten überzeugend zu vermitteln weiß. Die besten neuesten Forschungsüberblicke hat m.E. Ugur Ümit Üngör verfasst.
  2. Es ist richtig, dass die türksiche Gesellschaft dieses Thema zunehmend kontrovers diskutiert. Das könnte explizit der Ausgangspunkt der Vermittlung sein. Auch in diesem Jahr hat eine überwältigende Zahl von Türken am Todestag von Hrant Dink Solidarität bewiesen. Andere Beispüiele ließen sich anführen: Die Verkaufszahlen von Fethiye Cetins “Meine Großmutter” in der Türkei, die Website “özür diliyorum” und andere.
  3. Ich zweifle noch, ob das Thema seine Relevanz wirklich dadurch erhält, dass in vielen deutschen Klassenzimmern türkischstämmige Schüler/innen sitzen. Gisbert Gemein und Uwe Walter formulieren dies in ihrem Beitrag für “geschichte für heute” (Heft 3, 2013). Ich sehe darin eher ein Tappen in die “Kulturalisierungsfalle” (Bettina Alavi; siehe mein Beitrag in der jüngsten “geschichte für heute”). Wieso ist das ein Thema vor allem für türkische Schüler/innen? Weil es “ihre” Geschichte ist? Darin sehe ich eineZuschreibung von Identität, die Geshcichtsdidaktiker nicht empfehlen sollten, wenn das Ziel von Geschichtsunterricht oder allgemein geschichtsdidaktischem Engagement darin besteht, Menschen zu einer eigenständigen Reflexion in ihrem individuellen Geschichtsbewusstsein (auch im Identitätsbewusstsein) zu helfen.
  4. Auch Martin Stupperichs Beitrag, den Christoph Pallaske lobt, möchte ich nicht so stehenlassen. Das Zitat “Haben wir auf deutscher Seite ein selbstkritisches Narrativ, so finden wir auf türkischer Seite ein heroisierendes” finde ich schon unangemessen schwarz-weiß; ich sehe aber vor allem auch in Stupperichs Beitrag einen Ansatz, der das Thema als deutsch-türkisches denkt; und das finde ich problematisch.

All diese Punkte verstehe ich nur als Beitrag zur Debatte; Pallaskes Plädoyer am Ende seines Blogposts (“Es wäre dabei erstens erstrebenswert, Lernangebote und konkrete Materialien (auch online) zur Verfügung zu stellen. Zweitens wäre ein Austausch über – sicher gelegentlich schwierige – konkrete Umsetzungen und Erfahrungen der Thematisierung des Armenier-Genozids im Geschichtsunterricht notwendig.”) möchte ich mich ausdrücklich anschließen. In diesem Zusammenhang möchte ich dringend für das Theaterstück “Annes Schweigen” des exiltürkischen Autors Dogan Akhanli werben, das ich vergangenes Wochenende in Frankfurt gesehen habe; die an das Stück anschließende Diskussion hat mir gezeigt, dass das Stück funktioniert und großes geschichtsdidaktisches Potential hat. Die Organisatoren des Stücks arbeiten in Berlin bereits an Konzepten der Zusammenarbeit mit Schulen und hätten sicher Interesse, auch darüber hinaus Kontakte zu knüpfen.

Ich selbst überlege, mit Studierenden im SoSe2014 eine kleine Ausstellung zum Thema “Das Deutsche Reich und der Völkermord an den Armeniern” zu konzipieren, die dann 2015 gezeigt werden könnte; das ist noch ziemlich unausgegoren, ich freue mich aber schon jetzt über jede Idee.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/192

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Motivation im Studium – Frankfurter Grüne Soße?

Überrascht war ich, als ich per RSS-Feed über gleich zwei Beiträge der FAZ informiert wurde, die offenkundig gutheißen, was Universitäten derzeit anstellen, um Studierende zu motivieren.

Unter dem Titel “Motivationstrainer auf dem Campus” (http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/campus/gegen-durststrecken-im-studium-motivationstrainer-auf-dem-campus-12719533.html) wird dort ein Coaching-Angebot der Universität Frankfurt vergleichsweise unkritisch vorgestellt, das im Rahmen des Qualitätspakt-Lehre-geförderten Projektes “Starker Start ins Studium” betrieben wird. Die Trierer Professorin für Bildungswissenschaften Michaela Brohm durfte dort knapp 500 Studierende in Sachen Motivation schulen. Das erinnert beim Lesen zunächst an Tschakka!-Abende mit euphorischem Entertainer, aber diese Assoziation trägt nicht. Immerhin werden einige wichtige Motivationsprobleme angesprochen: die Bedeutung des eigenen Einflusses auf die Studienplanung für die Motivation (andernorts schon länger als “demand-control-Modell” bekannt; ich selbst habe es vor längerem etwas flapsig in den Blog des Historischen Seminars der JGU aufgenommen, um Studierenden zum Besuch außercurricularer Veranstaltungen zu ermuntern), die teilweise schädliche Wirkung der Konzentration auf extrinische Motivationsfaktoren (“Jagd nach Leistungspunkten”), die mangelnde Erfahrung mit der Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit, die Schwierigkeiten mit der universitären Feedback-Kultur (die im Artikel allerdings – meiner Meinung nach zu Unrecht – als fehlend beschrieben wird; ich denke, sie ist vor allem anders als an der Schule, und sie muss von Studierenden entsprechend gelernt werden).

Überraschend ist jedoch, wie euphorisch die FAZ dieses Angebot aufnimmt. “An anderen großen Universitäten wie der Leibniz-Universität Hannover sucht man vergeblich nach reinen Motivationsseminaren”, heißt es dort in kritischer Haltung. Ja, auch in Mainz würde man vergeblich suchen. Ist das schlimm? Zu dem großen Herausforderungen der Studieneingangsphase, das kann ich jedenfalls aus meinen Erfahrungen sagen, gehört die häufig sehr geringe Frustrationstoleranz, die für eine spätere employability ein ernsthaftes Problem darstellt. Hierher gehört auch die mangelnde Selbstkompetenz, die ausdrücklich zu den Qualifikationszielen aller Studiengänge gehört und deren Erwerb nur der Studierende selbst leisten kann: die Fähigkeit (salopp gesagt), den inneren Schweinehund zu überwinden und sich selbst zu motivieren. Dazu mag man mancherorts Seminare anbieten; ich haltees nicht unbedingt für sinnvoll, weil es den Blick der Studierenden darauf verstellt, dass Motivation in ihrer eigenen Verantwortung liegt. Erneut ist es ein “Experte” vorne, der ihnen sagt, wie es geht. Erfolgreichen studieren kann aber nur, wer das (nicht sofort, aber ab einem gewissen Zeitpunkt) selbst schafft. Deshalb bin ich (und viele Kolleg/innen) dazu übergegangen, die Verantwortungsdelegation für den Lernprozess (die Verantwortung für das Lernen liegt entgegen landläufiger Überzeugungen nicht beim Superlehrer, sondern beim Lernenden) explizit in den Seminaren anzusprechen und entsprechend einzufordern.

Die von der FAZ konstatierte Tatsache, dass die wachsenden Studierendenzahlen mit mehr Studierenden einhergehen, die eher leistungsschwach sind und Schwierigkeiten haben, sich zu motivieren, und die Einschätzung der FAZ, dass die Lehrenden hierauf nicht pädagogisch vorbereitet sind, verbunden mit der Bewertung, dies sei ein “mismatch”, dem abzuhelfen sei, möchte ich mich daher nur in Punkt 1 anschließen: Ja, wachsende Studierendenzahlen stellen in dieser und in anderen Hinsichten durchaus ein Problem dar. Ich muss aber auch als etwas schwächerer Studierender und mit etwas gedämpfter Motivation lernen (das heißt auch: spüren und erfahren), dass mir dieses Problem nicht abgenommen oder mundgerecht zubereitet wird. Universitt ist nicht mehr Schule, und das universitäre Studium bereitet auf Berufe mit Entscheidungskompetenzen, Handlungsspielräumen und Verantwortlichkeiten vor, kurz gesagt: auf Berufe mit Risiko und Berufe, in denen nicht alle Kollegen hilfreich zur Seite stehen, wenn meine Motivation sinkt. Man mag darüber streiten, ob man in der Schule explizit Motivationstraining betreiben sollte; an der Universität scheint es mir im Interesse der Studierenden fehl am Platz.

Zu meiner Überraschung über die FAZ passt dann übrigens ein ähnlich wohlwollender Beitrag über die Einführung von Online-Spielen als Lehrformat im Modul “Wissensrepräsentationen” des Studiengangs „Informationswissenschaft und Sprachtechnologie“. Unter dem Titel “Fantasy an der Uni. Spielend durchs Studium” (
http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/fantasy-an-der-uni-spielend-durchs-studium-12735331.html) wird dort über den Versuch berichtet, die fehlende Motivation der Studierenden in diesem Modul durch die Einführung eines Computerspiels mit Belohnungssystemen zu heilen. Ich ertappe mich ale Kulturpessimist: Ich halte Spiele durchaus für lehrsam, ich halte es für möglich, dass man in Computerspielen etwas lernt, aber wer nicht bereit und/oder in der Lage ist, sich in einem Studiengang „Informationswissenschaft und Sprachtechnologie“ für das Modul “Wissensrepräsentationen” zu motivieren (oder wenigstens die Zähne zusammenzubeißen), der hat vielleicht einfach das falsche Studienfach erwischt oder sich grundsätzlich für den falschen Bildungsweg entschieden.

 

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/173

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