Ut omnes unum sint – Teil II

Unter “Ut omnes unum sint” (http://geschichtsadmin.hypotheses.org/297) hatte ich schon vor einiger Zeit darum gebeten, am Überlegen zu partizipieren und über sinnvolle, nicht zielgruppenspezifische und nicht defizitorientierte Sensibilisierungen und Maßnahmen nachzudenken.

Sicher nicht die wichtigste Baustelle in den an der JGU Mainz laufenden Überlegungen, aber dennoch auf der mentalen Liste, ist die Frage nach Gebetsräumen auf dem Campus. Traditionell gibt es eine Katholische Hochschulgemeinde und eine Evangelische Studierendengemeinde, die auf Universitätsflächen auch Gebetsräume unterhalten. Seit einiger Zeit wird auch über Gebetsräume anderer Gruppen (vor allem über muslimische, d.h. i.d.

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Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/352

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Einwanderung und Überlieferungszusammenhang

Historiker müssen sicher nicht zu allem etwas beitragen. Sie sollten es, jedenfalls als Historiker, vor allem dann nicht tun, wenn ihre eigene Arbeit nichts mit dem Thema zu tun hat, zu dem sie sich äußern. Sie sollten dann auch vorsichtig mit dem Einsatz ihres Vokabulars sein, das nach außen Expertentum suggeriert, auch wenn ein solches gar nicht vorliegt. Sie sollten dann auch markieren, dass sie sich als Privatleute äußern, nicht als Experte. Anders vor etwa drei Wochen Jörg Baberowski: Unter dem Titel “Europa ist gar keine Wertegemeinschaft” wendet er sich vehement gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.

Nun gilt es nicht, dem, was Baberowski dort vorträgt, als weiterer vermeintlicher Experte etwas entgegenzustellen. Es reicht vielleicht festzustellen, dass auch Baberowski nicht wirklich souverän beispielsweise mit den verschiedenen Aufenthaltstiteln umgeht, die einen legalen Aufenthalt in Deutschland ermöglichen, und stattdessen pauschalierend und mehrfach von “illegalen Einwanderern” spricht; er weiß, was ein solches Sprechen auslöst. Und dass er den von anderen schon gewohnten Minderheitsduktus dann in einem Folge-Interview auch noch einnimmt (“es gibt eine Atmosphäre, in der jene, die das wollen, anderen vorschreiben können, wie sie zu reden haben” – http://www.faz.

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Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/343

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Rationales Entscheiden und historische Erklärung

Seit langem beschäftige ich mich mit der Frage der handlungstheoretischen Grundlegung der historischen Erklärung. Aktuell stoße ich dabei auf die Selbstbeschreibung des SFB 1150 „Kulturen des Entscheidens“ in Münster. Auf der Homepage findet sich eine Zusammenfassung des Forschungsprogramms, in der es u.a. heißt: “Damit soll zum anderen ein Anstoß dazu gegeben werden, Entscheiden zu einem zentralen Problem der Historischen Kulturwissenschaften zu machen […].” Dem kann ich ich nur anschließen – würde aber ergänzen, dass Entscheiden immer schon ein zentrales Problem der Historischen Kulturwissenschaften war.

Was mich aber verwundert, ist der in der Geschichtswissenschaft immer noch anhaltende Impuls, sich gegen ein Modell von Handlungsrationalität zu wenden, das eigentlich von niemandem mehr vertreten wird – das hat etwas vom Kampf gegen selbstgebaute Strohpuppen. Zugleich werden Theorieentwicklungen der letzten 20-30 Jahre souverän ignoriert. Es erinnert ein wenig an die Begeisterung der Historiker/innen für Clifford Geertz zu einem Zeitpunkt, als die Ethnologie ihn schon nach heftiger Kritik zu überwinden begann.

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Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/334

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“Dialog für Frieden” – oder Orwell 2.0

Rückblick auf das Ausstellungsprojekt: Am 09. Mai schrieb mir Ali Söylemezoglu, Vorsitzender des Vereins mit dem sprechenden Namen: “Dialog für Frieden e.V.”, wir würden eine Veranstaltungsreihe anbieten, in der die Behauptung erhoben werde, dass die Türken 1915 einen Völkermord verübt hätten. Das war schon einmal falsch: “Die Türken” hatten wir nirgendwo geschrieben, wohl aber tauchte der Begriff “Völkermord” in Vortragstiteln der die Ausstellung begleitenden Vortragsreihe auf. Erstaunlich, wie man missverstanden werden kann, wenn jemand missverstehen will. Der Dialog für Frieden (laut eigener Internet-Recherche ein nur 15 Köpfe starker, aber eben lautstarker Verein) fuhr fort, wir seien uns jedenfalls darin einig, dass die Ereignisse 1914-1922 in Anatolien von größter Bedeutung seien. Insofern wären wir sicher alle der Meinung, dass eine gemeinsame öffentliche Diskussion der Ereignisse an unserer Universität (mit gleichen Redeanteilen der “Vertreter der Völkermordthese” und der “Vertreter der Gegenposition”) sinnvoll sei, um insbesondere das Für und Wider der Einstufung der Ereignisse als Genozid abzuwägen. Eben letzteres war aber gar nicht die Intention von Ausstellung und Vortragsreihe; wie wir unter http://www.blogs.

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Quelle: https://geschichtsadmin.hypotheses.org/330

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Studienabbruch steuern?

Seitdem das Land Hessen die finanzielle Unterstützung der eigenen Universitäten an die Reduktion der Studienabbruchquoten binden möchte, wird auch hierüber diskutiert. Nun kritisiert Jürgen Kaube in der FAZ die Politik, die auf diese Weise nur politisch gesteuerte Fehlentwicklungen der Bologna-Reformen überdecken wolle:

Heute aber verlässt, nach Zahlen des Deutschen Hochschulverbandes, jeder dritte Student vor dem ersten Abschluss die Universität, zwei von fünf, die für Mathematik oder Naturwissenschaften eingeschrieben sind, bleiben ebenfalls ohne Bachelor-Titel. In den Sozialwissenschaften, einschließlich Jura und Ökonomie, schließt jeder Vierte nicht ab. Was tun? Politik bedeutet, sich auf keinen Fall mit den eigenen Entscheidungen blamieren zu wollen. Also müssen die Hochschulen für das Scheitern von Bologna verantwortlich gemacht werden. Man habe, heißt es seit einiger Zeit, wenn die Mängel nicht mehr weggeredet werden können, vielerorts Bologna schlecht umgesetzt. Dass die völlig überflüssigen und noch dazu teuren Akkreditierungsagenturen überall all die Studiengänge offiziell für gut und „studierbar“ befunden haben, die jetzt von so vielen Studenten abgebrochen werden, passt dazu allerdings nicht. Eine nähere Betrachtung der Umstände, unter denen studiert oder abgebrochen wird, scheuen Wissenschafts- und Bildungsminister ohnehin.

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Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/318

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Ausstellung zum Völkermord an den Armeniern an der JGU Mainz

Eine Projektgruppe von 11 Studierenden unter der Leitung von Dr. Andreas Frings hat für das Historische Seminar der JGU Mainz eine Ausstellung zum Thema “Eine ‘innertürkische Verwaltungsangelegenheit’? Osmanisch-deutsche Verflechtungen und die Armeniergräuel im Ersten Weltkrieg” erarbeitet, die am Mittwoch feierlich eröffnet wurde und seit gestern (bis Pfingsten) im Philosophicum der JGU Mainz zu sehen ist. Projektbegleitend wurde unter der URL https://www.blogs.uni-mainz.de/fb07-armeniergreuel/ eine Ausstellungshomepage erarbeitet, die die Texte der Poster spiegelt und zusätzlich weitere Materialien und didaktische Überlegungen anbietet. Ausstellung und Homepage wurden bewusst so aufgebaut, dass sie auch im Unterricht eingesetzt werden können – angesichts der aktuellen medialen Aufmerksamkeit für das Thema also eine wichtige Unterstützung für all jene, die sich vorstellen können, das Thema des Völkermordes aus der Perspektive der deutsch-osmanischen Beziehungsgeschichte heraus in den Unterricht zu bringen. Rückmeldungen zu den Texten oder den Materialien (die sukzessive aufgebaut und erweitert werden) sind ausdrücklich erwünscht und über ein Online-Gästebuch auf der Homepage möglich.

Quelle: http://vgdrp.hypotheses.org/351

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Deutschland und die Armeniergräuel im Ersten Weltkrieg

Seit Veröffentlichung seines neuen Buches mit dem Titel “Beihilfe zum Völkermord: Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier” wird Jürgen Gottschlich, Mitbegründer der taz und seit vielen Jahren als Journalist in Istanbul tätig, in vielen Medien angefragt und zitiert – es etabliert sich damit, jedenfalls kurzfristig, ein bestimmtes Narrativ. Gottschlich wird auf tagesschau.de etwa so zitiert:

“Es gab eine deutsche Beteiligung bei der Planung der Deportation. Die Deutschen haben das politisch abgewehrt. Sie haben die Deportation und Vernichtung, die ihre osmanischen Partner durchgeführt haben, politisch gedeckt und geschützt”, ist der Journalist überzeugt.

Ich habe den Auftrag, das Buch für die Sehepunkte zu rezensieren. Ich bin daher schon sehr gespannt, wie er das ausgeführt hat. In der Ausstellung, die ich unter http://geschichtsadmin.hypotheses.org/304 angekündigt habe, gehen wir nicht davon aus, dass es eine klar benennbare “deutsche” Rolle gibt, aber jede Menge Eigenlogiken deutscher Akteure unter ihren je verschiedenen institutionellen Rahmenbedingungen. Das ist eine komplexe und interessante Geschichte; sie lässt sich nicht ohne Weiteres auf den Begriff der “Beihilfe zum Völkermord” bringen.

Am Wochenende beginnt dazu übrigens im Deutschen Historischen Museum eine Tagung des Lepsiushauses, an der ich mit 2 Studierenden aus dem Projekt teilnehmen werde (eine davon, Frau Perisic, trägt selbst vor). Auch da hoffe ich noch auf neue Perspektiven, mit denen sich die Auseinandersetzung lohnt.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/309

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Latein und Bildungsgerechtigkeit

Endlich wird es Zeit, einiges an Themen durchzugehen, was vor dem Urlaub liegengeblieben ist. Da war zum Beispiel die kleine Debatte in der ZEIT zur Frage, ob Studierende Latein lernen sollten. Moritz Fastabend, AStA-Referent in Bochum, hatte eine Petition mitverantwortet, in der die Abschaffung der Latinumspflicht für Lehramtsstudierende gefordert wurde (https://www.openpetition.de/petition/online/abschaffung-der-latinumspflicht-fuer-lehramtstudierende); für das Fach Geschichte wurde als Alternative die Formel “Kenntnisse in Latein oder anderen modernen Fremdsprachen” vorgeschlagen. Fastabends Argument: Wer ohne Latinum an die Uni komme, brauche in der Regel vier Semester länger für das Studium. Diese Formel verwundert: an der JGU Mainz etwa kann man das Latinum in Kursen der Klassischen Philologie nach 2 Semestern incl. Ferienkurs absolvieren. Natürlich dauert es auch mal drei Semester, manchmal vier, aber das ist nicht durchweg so – und in diesen Semestern lernt man nicht nur Latein, sondern betreibt sein Studium ja weiter. Bildungsungerechtigkeiten zementiere das Latein ebenfalls – es seien vor allem Leute, die ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht hätten, die an der Uni das Latinum nachholen müssten. Zugegeben, diese Gruppe ist tatsächlich betroffen, studiert aber in meiner Erfahrung in aller Regel so zielstrebig, dass es eben keine vier Semester länger dauert. Die Latinumspflicht entspringe einem veralteten Bildungsideal, so Fastabend – es gehe um die Bewahrung von Gymnasium und Universität als Eliteanstalten. Und nicht zuletzt könne man alles, was man im Lateinunterricht lerne, auch in einer modernen Fremdsprache lernen. Theoretisch stimmt das sogar, praktisch aber nicht: Was der Lateinunterricht stark fördert, ist analytische Sprachkompetenz, während der moderne Fremdsprachenunterricht meist auf synthetische Sprachkompetenz und insbesondere auf Kommunikationsfähigkeit setzt. Den unterschied merken wir in Sprachklausuren, die wir für unterschiedliche Abschnitte unserer Studiengänge anbieten: Studierende mit wenig Jahren Französischunterricht, aber Lateinkursen an der Uni tun sich bei der Übersetzung französischer Quellentexte ins Deutsche deutlich leichter als solche, ide doppelt so viele Jahre Französisch hatten, das Latein aber gerade erst beginnen oder noch vor sich haben. Nun ist die analytische Sprachkompetenz für Historiker/innen zentral; und sie wirkt sich bis in Bereiche wie Bildinterpretation und ähnliche Fertigkeiten aus. Das Latinum hier abzuschaffen wäre also erst recht bildungsungerecht: Auf dem Arbeitsmarkt spätestens, zumindest dort, wo die Absolventen tatsächlich als Historiker/innen arbeiten (zum Beispiel im gymnasialen Lehramt, um dases Fastabend geht), macht das Latein einen Unterschied, den man auch schon in Hauptseminararbeiten und Abschlussarbeiten und ihrer Benotung merken würde. Das Latein zu fordenr mag den ein oderanderen Zeit kosten, aber nicht die Zukunft, und daran sollten Studienanforderungen gemessen werden.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/267

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Schlechtes Abschneiden der Lehrer-Bildung

Der Hochschulbildungsreport2020, die zentrale Publikation der Bildungsinitiative “Zukunft machen”) in der Verantwortung des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft (http://www.hochschulbildungsreport2020.de/),  hält fest: “Der Hochschul-Bildungs-Index erreicht nur 10 statt 20 Punkten. Besonders schlecht abgeschnitten hat die Lehrer-Bildung.” Was ist da los?

Grundsätzlich reiht sich der Befund wohl in die politische Tendenz ein, das Lehramt wieder stärker in die Universität hineinzunehmen. Ausdruck dieses Willens war schon die “Lehrer-Initiative” des Stifterverbands und der Heinz Nixdorf Stiftung (http://www.stifterverband.org/wissenschaft_und_hochschule/lehre/lehrer-initiative/index.html). Nun folgt die daten-/indikatorengestützte Feststellung eines Defizites. Aber wie zuverlässig sind diese Befunde, und was bedeuten sie? Zunächst ist der Index interessant: Der Hochschul-Bildungs-Index, mit dem Stifterverband und McKinsey arbeiten, “misst auf sechs Handlungsfeldern, ob sich bis zum Jahr 2020 ein durchlässiges, nachfrage- und bedarfsorientiertes Hochschulsystem entwickelt”. Zu diesen Handlungsfeldern gehört die Lehrerbildung, die dieses Jahr besonders schlecht abschneidet und daher im Report detailliert gewürdigt wird.

Probleme sieht der Report vor allem bei den fehlenden Karrierewegen im Lehramt, die das Lehramt für ehrgeizige junge Menschen eher unattraktiv mache, und dem fehlenden Selbstbewusstsein: “Nur 16 Prozent [der Lehramtsstudierenden] schätzen Selbstvertrauen und nur 13 Prozent Durchsetzungsfähigkeit als ihre persönliche Stärke ein.” Man kann nun aus der eigenen Erfahrung mit Studierendenerhebungen einwenden, dass gerade der zweite Parameter schon durch den wohl überdurchschnittlich hohen Anteil weiblicher Studierender im Lehramtsstudium beeinflusst wird; jedenfalls würde ich aus Umfragen an der JGU eine solche Verzerrung vermuten. Das scheint mir aber vernachlässigenswert. Wichtiger ist, und zwar auch wiederaus den eigenen Erfahrungen: Nicht immer sind die 13% “Durchsetzungsfähigen” und 16% “Selbstbewussten” diejenigen, die man später im Lehramt sehen möchte. Selbstverstädnlich wollen wir selbstbewusste und durchsetzungsfähige Lehrer/innen, aber das ist nicht der springende Punkt; die Mengen der sich selbst schon im Studium für selbstbewusst und durchsetzungsfähig haltenden Studierenden und der tatsächlich selbstbewussten und durchsetzungsfähigen Lehrer sind allenfalls teilidentisch, wobei diese Teilidentität zufällig ist.

Problematisch isnd für mich auch die Handlungsempfehlungen, die allenfalls “lose” mit der Diagnose verbunden sind. Gefordert werden Unterrichtsassistenten und andere neue Kategorien an den Schulen, universitätseigene Experimentierschulen (analog zu Universitätskliniken) und stärkere Bemühungen in der Lehrerfortbildung. Den letzten Punkt teile ich. Die Analogie von Universitätsschulen zu Universitätskliniken verstehe ich jedoch nicht recht. Sie scheint mir – zumindest angesichts der Zahl von Lehramtsstudierenden an der JGU Mainz, die ich überblicke – unrealistisch, da das Land RLP schon jetzt mit der Versorgung der Studierenden mit Schulpraktika, VD und Referendariat an seine Grenzen zu kommen scheint.

Interessant ist der Punkt “Diversität”: Gefordert werden mehr Männer im Lehramtsstudium und mehr Studierende mit Migrationshintergrund. Dagegen kann eigentlich niemand etwas haben. Man kann sich höchstens fragen, wie man Männer dazu bewegen möchte, häufiger Lehramt zu studieren. Sie müssen diese Entscheidung am Ende ja freiwillig treffen. Aber vielleicht gibt es dazu ja schon gute Ideen. Propblematisch finde ich die statistische Bypass-Lösung, Studierende mit Migrationshintergrund über jene zu erfassen, die man heutzutage “Bildungsinländer” nennt. Diese Gruppe ist systematisch kleiner als die Gruppe derer “mit Migrationshintergrund” (legaldefiniert), was sinnvolle Aussagen nicht mehr zulässt.

Man könnte nun weitere Probleme der Auswertung anführen. Ärgerlich ist etwa der offenbar medien- oder hochschulpolitikgerechte Verzicht auf anspruchsvollere Statistik zugunsten klassischer “Erbsenzählerei”, also reiner Prozentangaben auf Gruppen und ähnliches. Noch ärgerlicher aber ist, dass das Thema eigentlich wichtig genug für eine ernsthafte Auseinandersetzung wäre. Es bleibt zu hoffen, dass die oben angesprochene Exzellenzinitiative Lehramt produktivere Impulse setzt.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/240

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Ist Geschichtsbewusstsein germanozentrisch?

Auf eine Tagung einzugehen, die man selbst nicht besucht hat, und das nur auf Grund eines Tagungsberichtes, von dem man nicht weiß, ob er der Tagung auch gerecht wird, ist nicht unbedingt zu empfehlen. Gerechtfertig erscheint es mir, wenn man im Tagungsbericht Formulierungen wiederfindet, die man auch andernorts schon gesehen – und nicht verstanden hat.

So wurde ausweislich des Berichts (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=5358) dem Geschichtsbewusstsein vorgeworfen, “dass gängige Theoriedebatten des Geschichtsbewusstseins allzu sehr die dualistischen Denkstrukturen des 19./20. Jahrhunderts spiegeln würden” (und später wird gefragt, “ob eine solche binäre Auflösung [migrantisch vs. biodeutsch; A.F.] nicht bereits in der Theorie des Geschichtsbewusstseins grundgelegt sei”). Themen und Inhalte von Geschichte und Geschichtsunterricht seien eurozentristisch und allein an Fakten und Ereignisse gebunden. Diese Kritik gipfelt in der revolutionären (?) Forderung, “Geschichte könne nicht an Nation gebunden und ebenso wenig nur rückwärtsgewandt sein”. Dabei wird die Frage aufgeworfen, “ob von Theorien, die dem Denken des 19./20 Jahrhunderts verhaftet sind, positive Impulse für aktuelle Debatten um historisches Denken und Lernen ausgehen könnten und nicht stattdessen postmoderne Theorien stärker rezipiert werden müssten”. Kritisiert wird auch, “dass das Individuum bislang zu stark vernachlässigt worden sei”. Ein weiterer Stein des Anstoßes ist die “Normativität gängiger Theorien des Geschichtsbewusstsein”. Der Rüsenschen Konzeptualisierung wird schließlich vorgeworfen, dass sie “stark homogenisierend sei, da diese normierenden Prüfungskategorien beinhalte und zudem einer kulturellen Orientierung diene, welche an einer nationalen Fokussierung festhielte”.

Kritik am Geschichtsbewusstsein ist nicht selten und lässt sich in Variationen auch in den Diskussionen auf Public History Weekly finden. Was kann man da tun?

Hilft der Rückgriff auf empirische Forschung? So wurde offenbar vorgeschlagen, “alle möglichen Modelle und Ebenen des Geschichtsbewusstseins zu operationalisieren und als Kompetenz zu testen, um sich dem Ziel einer bildungsorientierten Geschichtsdidaktik zu nähern”. Aus der Perspektive einer empirischen Forschung ist das nicht sinnvoll, denn Theorie geht vor Empirie; alles andere wäre ein ziemlich naiver Induktivismus und/oder Positivismus.

Wäre es denn eine Alternative, “auf die Kategorie Geschichtsbewusstsein zu verzichten und stattdessen auf ‘historische Mündigkeit’ im schulischen und wissenschaftlichen Diskurs zurückzugreifen”? Das hat den Charme einer klassischen Begrifflichkeit für sich; aber es ist nichts anderes als eine Spielart des Geschichtsbewusstseins aus der ja schon etwas älteren Diskussion. Dass “eher der Prozess der Begegnung mit Vergangenheit, genauer die „eigen-sinnig“ produktive Aneignung von Geschichte und Vergangenheit, in den Fokus rücken müsste”, passt just in diese Diskussionsrichtung. Dazu später mehr.

Ein weiterer Weg aus der postulierten Krise des Geschichtsbewusstseins besteht in der Forderung, “Prozesse historischen Lernens, aber auch die Struktur des Geschichtsbewusstseins, auf Basis einer gegenwärtig relevanten Gesellschaftstheorie abzubilden, da Geschichte immer nur aus der Gegenwart heraus gedacht werden könne”. Welche gegenwärtig relevante Gesellschaftstheorie soll das sein, und wieso ist das zwingend vorgängig? Geht es um eine Theorie der modernen Gesellschaft? Oder doch nur um eine Besinnung auf den eigenen Standpunkt, was ja selbstverständlich wäre – und in den diversen Konzepten des Geshcichtsbewusstseins ja durchaus angelegt?

Vor allem irritiert mich die offenkundig virulente Kritik an den Konzepten von Jörn Rüsen, die ja noch für das FUER-Projekt zumindest auf der argumentativen und der strukturierenden Ebene wegweisend waren – ob sie immer Rüsen entsprachen, kann man diskutieren. Ich habe auch selbst schon Kritik an Rüsen geübt – vgl. mein Beitrag unter dem Titel “Historik oder Wissenschaftstheorie der Geschichtswissenschaft?” in: Erwägen, Wissen, Ethik : EWE = Deliberation, knowledge, ethics 22 (2011) 4, S. 521-524. Mich stört aber eher, dass Rüsens Überlegungen nichts dazu beitragen, den spezifischen Wissenschaftscharakter von Geschichtswissenschaft klar gegen nicht-wissenschaftliche oder sogar unwissenschaftliche Beschäftigungen mit Geschichte abzugrenzen. Dass Rüsens Konzeption des Geschichtsbewusstseins normativ ist, stört mich nicht – wenn sie unterrichtsrelevant sein soll, muss sie das sein. Auch die “Fortschrittsfokussierung des genetischen Erzählens” stört mich nicht, da es nicht Rüsens einziges Modell des Erzählens ist – und auch nicht sein bevorzugtes. (Man mag allerdings darüber streiten, wie hilfreich die Typologie dieser Erzählweisen wirklich ist.) Die Vorstellung, dass die “Rüsensche Theorie des Geschichtsbewusstsein stark homogenisierend sei, da diese normierenden Prüfungskategorien beinhalte und zudem einer kulturellen Orientierung diene, welche an einer nationalen Fokussierung festhielte”, verstehe ich erst recht nicht; da hoffe ich einfach auf Erläuterungen. Ich erkenne bei Rüsen weder eine starke Intention der Homogenisierung noch eine nationale Fixierung.

Doch damit zurück zu dem Gedanken, den ich oben noch zurückgestellt hatte. “Dass sich die Beiträge dabei primär auf Rüsen und Pandel stützen, mag vielleicht eine kleinere Schwäche des Workshops gewesen sein, hätten doch zumindest die Arbeiten von Jeismann und v. Borries (noch) prominenter einbezogen werden können” – so der Bericht, und das möchte ich gerne unterstützen. Die Zielbestimmung von Geschichtsunterricht, die Jeismann 2000 im Anschluss an eigene, weit ältere Beiträge formuliert hat, weist m.E. einen guten Weg:

“Geschichtsunterricht […] muss sich das Ziel setzen, die Heranwachsenden zu befähigen, mit den unterschiedlichen und in Zukunft sich stets wandelnden Angeboten historischer Deutung im Horizont Ihrer Gegenwart sich auseinanderzusetzen und selber in wichtigen Fragen zu einer begründeten geschichtlichen Vorstellung zu finden […].” (Karl-Ernst Jeismann, “Geschichtsbewußtsein” als zentrale Kategorie der Didaktik des Geschichtsunterrichts, in: Ders. (Hg), Geschichte und Bildung. Beiträge zur Geschichtsdidaktik und zur historischen Bildungsforschung, Paderborn 2000, S. 46–72, hier S. 48)

Mit diesem Konzept ist Geschichtsbewusstsein im Grunde angelegt als die Fähigkeit, sich mit historischen Zumutungen der das Individuum umgebenden Welt produktiv und eigen-sinnig auseinanderzusetzen. Das kann man dann auch “historische Mündigkeit” nennen, und in der Tat ist “Geschichts-bewusstsein” keine glückliche Benennung (das “Bewusstsein” stört hier tatsächlich) – aber es ist ein eingebürgerter Terminus, und es spricht zu wenig dafür, auf ihn zu verzichten.

Wäre ein solches (in meinen Augen sehr pragmatisches und alltagstaugliches und zugleich durchaus theoriefähiges) Begriffsverständnis nicht der gleichen Kritik ausgesetzt, wie sie oben schon anklang? Teilweise sicher. Diese Begriffsverwenudng wäre normativ. Darin sehe ich kein Problem. Ich sehe allerdings nicht, wieso dieses Begriffsverständnis (genau so wenig wie Rüsens oder Pandels Konzeptualisierungen) hier Dualismen und binäre Weltordnungen reproduzieren sollten. Sie könnten auch im Gegenteil dazu dienen, solche Dualismen zu zertrümmern. Eurozentrismen sind diesem Begriffsverständnis auch nicht inhärent, es sei denn, man sieht schon in der Orientierung an Grundsätzen moderner Wissenschaftlichkeit einen Ausdruck von westlicher Hegemonie (was ich nicht tue).

Kurzum: Statt “Geschichtsbewusstsein revisited” plädiere ich für “Geschichtsbewusstsein rehabilitated”.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/244

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