29. Was Sie schon immer mal über unkörperliche Dinge wissen wollten

Das klingt nach einer Frage, die man sich gerne vor Beginn der Fußball WM stellen möchte. Gibt es unkörperliche Dinge? Ich habe nicht viele Argumente dafür. Einige Philosophen haben sich aber intensiv damit auseinandergesetzt und behaupten tatsächlich, es müsse diese Art von Objekten geben. Der berühmteste von ihnen ist sicher Platon mit seinen Ideen. Die platonischen Ideen sind nämlich Ursachen für die körperlichen Dinge, ohne selbst körperlich zu sein. Ja. Und auch mein Autor möchte Beweise für diese Annahme bringen. Paradigmatisch erklärt er, dass die Seele etwas Unkörperliches sei. Warum fragen Sie? Ganz einfach: Wenn die Seele etwas Materielles wäre, schreibt er, müsste sie entweder identisch mit etwas aus unserem Körper sein, oder aber selbst Körper sein, ohne dasselbe wie unser Körper zu sein. Also etwas wie eine Art Nebel oder so. Wenn sie aber ein Teil unseres Körpers wäre, dann müsste jemand, der z. B. durch einen Unfall etwas davon verliert auch quantitativ weniger Seele haben, ebenso wie ein kleiner Mensch weniger Seele haben müsste. Quatsch. Wenn sie aber so etwas wie ein Nebel sein soll, dann, meint Michael Psellos, müsste man erklären, wie diese beiden Dinge, also Seele als eine Art Nebel (oder so) und der Körper zusammenhingen. Seiner Meinung nach müsste man dafür wieder einen unkörperlichen Grund angeben, etwas wie ein Magnetfeld (was auch immer das sein mag) oder etwas Ähnliches. Deshalb müsste die Seele ex negativo etwas Unkörperliches sein. Positiv hat er auch einige Argumente dafür. Oder um genau zu sein (meiner bisherigen Recherche nach) eines: Während körperliche Dinge keine Gegenteile annehmen können, während also ein Apfel zur selben Zeit und in der selben Hinsicht und am selben Ort nicht gleichzeitig rot und grün sein kann, kann die Seele Gegenteile annehmen: Denn das eine Wahrnehmungsvermögen kann eispielsweise sowohl schwarz als auch weiß durch die zwei Sinnesorgane Augen wahrnehmen. Was Gegenteile annehmen kann, darf aber nciht körperlich sein. Das Wahrnehmungsvermögen sei aber das “unterste” seelische Vermögen. Irgendwie würde ein skeptischer Nachwuchsnaturwissenschaftler jetzt ankommen und Psellos einen Chuck Norris Roundhousekick verpassen mit den Worten: “Es gibt nichts Unkörperliches und deshalb auch keine Seele”.

Aber bei einem weiteren Objekt sieht die Sache anders aus. Beim Punkt. Klar, wir malen den Punkt mit einem Stift auf. Aber in Wahrheit darf der Punkt aber keine Ausdehnung haben. Denn sonst wäre er ja mindestens eine Fläche, die aber aus unendlich vielen aneinandergereihten Punkten besteht. Hmm. Wenn der Punkt aber unkörperlich ist, dann besteht alles, was aus Körpern besteht aus Flächen und diese aus Linien und diese wieder aus Punkten, sodass alles Körperliche auf Unkörperlichkeit aufgebaut sein müsste. Hmm. Ich glaube, ich muss mir das alles noch einmal aufzeichnen und noch einmal durch den Kopf gehen lassen.

In Wahrheit ist das alles übrigens nur eine Strategie, um Fußballergebnisse durch Verwirrung revidieren zu können.

Herzliche Grüße, adeus

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/328

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27. Fleisch. Essen.

Bambi. Pfanne. Was diese zwei Substantive verbinden soll, bleibt Ihnen überlassen. Sie könnten “kommt in die” einfügen. Oder “ist eine” (was zugegebenermaßen eher in Richtung moderner Poesie tendiert). Peter Singer, ein Philosoph, der Kinder gerne auch bis zu 28 Tage nach der Geburt abtreiben lassen möchte (http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/gespraech-mit-peter-singer-nicht-alles-leben-ist-heilig-a-169604.html, abg. 08.05.14), würde hingegen “darf nicht in die” einfügen. Warum er Babys gegenüber ziemlich streng, Bambies hingegen recht milde gestimmt ist? Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß ist, dass er einige gute Gründe für das “kommt nicht in die”-Argument hat, die ich jedoch in elaborierter Form bereits bei einem Autor der Spätantike gefunden habe (bei meiner täglichen Lektüre spätantiker Autoren (ist mein Leben langweilig?(habe ich Freunde?(“kommt in die”)))). Porphyrios. Vier Bücher haben wir von ihm darüber, warum man sich vegetarisch ernähren sollte. Das bekannteste Argument finden wir auch bei Peter Singer wieder:

Den Pathozentrismus. Er behauptet, dass es tatsächlich eine Messlatte gebe, die uns sage, was wir anderen Lebewesen antun dürften und was nicht. Das sei deren Leidensfähigkeit. Scheren sei in Ordnung. Aber die Minimierung von Leid solle in jeder unserer Handlungen gegenüber anderen Lebewesen vertreten sein. Wer Tiere (Bambi) tötetetete, vergrößere das Leid auf der Welt. Das schlichte, utilitaristisch anmutende Kalkül ist ein leicht zu verstehender Indikator für erlaubte und unerlaubte Handlungen.

Das zweite Argument knüpft an die Frage an, welcher Unterschied zwischen Menschen und Tieren überhaupt existiert. Denn niemand würde Menschen in die Pfanne hauen wollen (außer metaphorisch in der Finanzbranche, könnte man denken). Gemeinsam mit Aristoteles und gegen andere philosophische Schulen meint Porphyrios nämlich, dass die Differenz nicht darin bestehe, dass jene Vernunft hätten, diese hingegen keine besäßen. Der Unterschied sei quantitativer Natur. Tiere besäßen einfach weniger Vernunft. Nun würden Sie aber auch keinen Menschen essen wollen, wenn dieser weniger vernünftig wäre als Sie. Menschen seien aber einfach vernünftige Tiere. (Auch eine Unterscheidung wegen Verwandtschaft wird seit Darwin schwieriger zu vertreten sein).

Und jetzt? Die meisten Argumente, die ich in meinen super häufigen Gesprächen über Ernährung höre, sind funktioneller Natur: “Dein Körper ist gar nicht darauf ausgerichtet, so viel Fleisch zu verarbeiten.” Der Apell an das Eigeninteresse zieht wohl immer noch am besten. Wenn mich jemand aber andersherum davon überzeugen wollte, dass Fleisch zu essen gut wäre, müsste er nur Fragen, wieviel weniger Schweine leben würden, wenn es diese exzessive Fleischproduktion nicht geben würde. Würde beispielsweise ein Verbot von viel Fleischkonsum nicht dazu führen, dass viel weniger Tiere in das Leben treten würden? Lieber also gar nicht Leben als leben und dann in die Pfanne? Hmm schwierig. Ich stehle mich aus der argumentativen Verantwortung durch ein Zitat zum Schluss aus Plutarchs Doppelbiographien: “Denn altgewordenen Pferden das Gnadenbrot zu geben und Hunden nicht nur, wenn sie jung sind, sondern auch im Alter Pflege angedeihen zu lassen, ist Ehrenpflicht eines guten Menschen.” (Plutarchus. 2008. Die grossen Griechen und Römer. Band I, S. 353) und Porphyrios über den Vegetarismus sogar online anrufbar unter: http://www.tertullian.org/fathers/porphyry_abstinence_01_book1.htm, abg. 09.05.14.

Guten Hunger.

D.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/296

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26. Auf einen Espresso mit Kant

 

Phi: Herr Kant, Sie trinken keinen Espresso. Hat Ihnen der kategorische Imperativ geboten, sich so zu verhalten?

Kant: Nein. Ich trinke Espresso. Jedoch nur einmal am Tag und das morgens um sechs Uhr.

Phi: Also sind Sie der Meinung, dass der kategorische Imperativ hier keine Anwendung findet.

Kant: Sehen Sie, keinen Espresso nach 6 Uhr morgens zu trinken, ist für mich eine Entscheidung der Klugheit. Als ich jünger war, nannte ich sowas dem damaligen Modewort ensprechend “assertorisch” einen assertorischen Imperativ. Wenn ich nämlich Abends gut einschlafen möchte, sollte ich kein Koffein in mir haben. Die einzig kluge Entscheidung ist es deshalb, keinen Espresso nach sechs Uhr morgens mehr zu trinken. Sie kennen ja die Halbwertszeit von Koffein im Körper.

Phi: Das heißt, sie unterscheiden den bekannten kategorischen Imperativ von einem anderen Imperativ, den Sie manchmal assertorischen Imperativ nennen, indem der erstere dieser beiden “per se” geboten ist, ohne an die Auswirkungen dessen, was man tut, zu denken. Der zweite hingegen ist abhängig von den Zielen. Oder habe ich Sie da missverstanden?

Kant: Genau. Kategorisch ist zum Beispiel das Verbot zu lügen. Dabei darf man nicht auf die Konsequenzen gucken. Es ist einfach so.

Phi: Und was wäre ein assertorischer bzw. hypothetischer Imperativ?

Kant: Das Espressobeispiel war doch ganz gut, oder? Aber wenn Sie möchten, nenne ich Ihnen noch ein anderes. Wenn ich ein Bild an die Wand hängen möchte, dann muss ich beispielsweise einen Nagel in diese Wand schlagen. Ich muss also für das Ziel, das ich verfolge, den Nagel notwendig in die Wand schlagen. Wie beim Espresso verfolge ich ein Ziel. Der kategorische Imperativ hingegen wird nicht im Hinblick auf ein Ziel formuliert, sondern gilt eben unabhängig von allen Konsequenzen. Er gilt per se. Übrigens, der hypothetische Imperativ ist entweder assertorisch oder aber problematisch. Assertorisch ist nur die eine Variante. Problematisch ist hingegen die andere Variante des hypothetischen Imperativs, wenn ich mich richtig erinnere.

Phi: Viele Menschen denken sich, Kant sei ein Nörgler gewesen. Drei Ihrer Werke haben den Begriff “Kritik” im Titel. Haben diese Mensch damit Recht?

Kant: Der Begriff Kritik wird heute anders verstanden, als noch zu meiner Zeit, in der “assertorisch” eben, wie gesagt, auch ein modernes Wort gewesen ist, wie heute bei Ihnen “Laser” oder “Babo”. Ich hätte die Imperative heute wahrscheinlich Babo-Imperative genannt. (lacht). Kritik äußere ich heute lediglich an Ihren letzten Blog-Einträgen, die stark an Witz und Qualität nachgelassen haben. Kritik heißt heute nämlich nur, dass mir etwas nicht gefällt und ich dies äußere. In den Titeln meiner Untersuchungen benutze ich das Wort “Kritik” aber anders. Es bedeutet so viel wie “Beurteilung”, “Untersuchung”. Lassen Sie sich also nicht davon in die Irre führen.

Phi: Schön, dass überhaupt jemand unsere Blog-Einträge verfolgt!

Kant: Mit Kopfschütteln.

Phi: Hauptsache wir bewegen irgendetwas. – Aber Spaß bei Seite. Ein weiterer Kritikpunkt an Ihrer Philosophie wurde von Hegel geäußert. Er nannte Ihre Pflichtenethik, also die Ethik, die aus den Geboten des kathegorischen Imperativs folgt, eine Ethik, die zum “Blenden” anregt, weil man eigentlich nichts außer Anerkennung erhaschen wolle. Hat Hegel damit recht?

Kant: Wer ist Hegel? – Meine Meinung dazu ist folgende. Menschen streben nach Glück, ja. Aber das ist nicht, was wichtig ist. Ich widerspreche diesen antiken Denkern. Denn Glück will jedes Wesen erreichen, nicht nur der Mensch. Wir sind aber als Menschen Vernunftwesen. Damit können wir einsehen, was richtig und was falsch ist. Der kategorische Imperativ ist die Formel, die uns diese vernünftige Einsicht erlaubt. Was soll daran Blendertum sein?

Phi: Schwierig an Ihrem Ansatz ist eben diese rigorose Pflicht, die aus dem kategorischen Imperativ folgt, unabhängig von allen anderen Bedürfnissen. Wer würde schon das Lügenverbot durchziehen, wenn ein Freund in Gefahr wäre?

Kant: Ja, das Lügenverbot. Das habe ich nur deshalb formuliert, weil dort wirklich deutlich wird, was eine Pflicht bedeutet. Also nageln Sie mich nicht darauf fest. Schließlich kann man auch folgende Maxime durch den kategorischen Imperativ prüfen lassen: “Helfe einem Freund immer, wenn er in Not ist”.

Phi: Was würde dann dabei rauskommen?

Kant: Eine der fünf Formulierungen des kategorischen Imperativs lautet: “Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.” Kann es ein allgemeines Gesetz, also eins, das für alle Vernunftwesen immer gilt, werden, einem Freund nicht zu helfen? Natürlich nicht. Wir können nun eine Maxime formulieren, die so lautet: “Alle Maximen gelten nur, wenn sie konfliktfrei formuliert werden können”.

Phi: Lieber Herr Kant, wir haben heute also von Ihnen gelernt, dass der kategorische Imperativ ein Mittel ist, um Maximen, die man sich setzt, zu prüfen. Dabei ist die Konsequenz, die aus diesen Maximen folgt, unwichtig. Bei den hypothetischen Imperativen ist die Konsequenz hingegen zu beachten. Außerdem haben wir gelernt, dass die Suche nach Glück nicht durch die Imperative abgedeckt ist, sondern ihnen widersprechen kann. Herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

Kant: Danke Ihnen auch, yolo.

 

 

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/282

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25. Vielgeschäftigkeit und Praktika

Kennen Sie das? Sie nehmen sich vor, durchzustarten, und ehe Sie den Gedanken in seiner vollen Ausprägung begriffen haben, ist quasi schon wieder April? So ging es mir heute. Ich hatte das “Aprilgefühl”. Und das dürfen Sie nicht als Frühlingsgefühl verstehen, sondern als Einsicht darin, dass wieder viel Zeit vergangen ist, die nicht in meine Diss geflossen ist, sondern in die anderen 7 Projekte, die “so nebenher” laufen. Die Organisation einer Tagung beispielsweise nimmt mehr Zeit in Anspruch, als man eigentlich möchte, weil Kleinigkeiten anfallen. Ein möglicher Artikel bedarf der weiteren Recherche, die anfangs nicht absehbar war. Und die Einladungen zu den Tagungen, zu denen ich reflexionslos “ja” gesagt habe, kommen auch immer nähr. Ich sage Ihnen was. Dieses “Vollpacken” mit Projekten und Vorhaben tragen wir alle (ja, auch Sie, wenn Sie in meine m Alter sind) mit uns, weil uns ständig gesagt wurde: “Du musst Praktika machen, weil du sonst arbeitslos wirst.”, “Mit Philosophie wirst du keinen Job finden und irgendwann Blogger werden.”, “Mach was anständiges, Junge. Und wie du wieder aussiehst, Löcher in der Hose und…”. Ich glaube, dass alle Projekte, die ich jetzt mache (pitche), der inneren Energie geschuldet sind, die uns diese ständigen Ermahnungen während des Studium eingepeitscht haben. Wenn ich einen Blick auf die Büsten in unserem Seminar werfe, sehe ich nur Leute, die keine Praktika gemacht haben. Deshalb bekomme ich auch keine Antwort von Ihnen, ob es gut, oder schlecht ist, so viel auf einmal zu machen. Die Antiken haben diese Seinsweise dennoch kritisiert. Ich wäre als Polypragmasia habend (πολυπραγμασία) durchgegangen, als jemand, der an Vielgeschäftigkeit leidet. Also jemand, der sich nicht festlegen kann. Irgendwie ist das das Gegenteil vom heutigen Duktus. Ich glaube, wenn meine Verpflichtungen, denen ich zugesagt habe, erfüllt sind, arbeite ich mal an dieser Vielgeschäftigkeit und reduziere sie.

 

Over

D.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/276

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23. Vom Nutzen der Unlust

Zugegeben, es ist merkwürdig, der Unlust oder dem Unbehagen etwas Positives abzugewinnen. Eigentlich ist es doch gerade so, dass wir alles daran tun, diese Art der Unlust zu vermeiden. Denken Sie nicht auch? “Keine Lust, Ärger zu kriegen, ich parke doch lieber nicht mitten auf der Landebahn”, sagen die einen. Die anderen sagen: “Ich habe keine Lust aus dem Bett aufzustehen, sondern behalte lieber den Status der Lust bei, den ich gerade empfinde.”

Erinnern Sie sich an die Geschichte vom Schlaraffenland? Alle Gemälde bringen das Problem dieses Landes auf den Punkt: Die Leute haben alles, was sie brauchen, und liegen eigentlich nur rum. Keiner verspürt die Last der Unlust. Es scheint doch so zu sein, dass die Unlust einen gewissen Antrieb in uns weckt, sie zu vermeiden, oder sie los zu werden. Nicht? Der Status des Unbehagens verlangt eben der Veränderung. Wenn wir gemütlich im Bett liegen und keine Lust haben aufzustehen, wird die stärkere Unlust, die vom Gedanken an den angelassenen Herd ausgeht, uns schon zum Aufstehen bringen.

Irgendwie scheint die Unlust auch etwas Unerfülltes zu sein. Das wird eben auch besonders in Bezug auf Nahrung deutlich. Das unangenehme Gefühl des Hungers treibt uns dazu an, etwas zu Essen zu besorgen, den unerfüllten Status des Hungers zum erfüllten der Sättigung zu verändern. Nun gibt es eine ganze Menge an unvollendeten Statûs (mit langem u). Hunger ist nur einer davon. Das unaufgeräumte Zimmer ist es ebenfalls, gehört aber einer anderen Kategorie an, weil es kein körperliches Bedürfnis ist. Wieder anders verhält es sich mit selbstgesetzten Zielen, also mit eigenen Willensausrichtungen: Ich will mein Abitur machen, aber die fünf in Mathe lässt ein starkes Gefühl der Unlust oder des Mangels oder der Angst in mir erwachen, weil die Erfüllung meines gewählten Zieles gefährdet ist.

Wenn wir also nur Nahrung, Sexualtirieb und Schlaf betrachten würden, dann wäre das Schlaraffenland the place to be. Aber als Menschen können wir uns eben selbst Ziele setzen, die über unsere körperlichen Bedürfnisse hinaus gehen: Wir können beispielsweise das Ziel wählen, Olympiasieger zu werden oder alle Primzahlen auswendig zu lernen, oder der beste Blogger des Universums zu werden. Und mit der Wahl dieser Ziele und dem Status, sie nicht oder noch nicht erreicht zu haben, stellt sich ein Unlustgefühl ein, das uns antreibt.

Manche Menschen, die einmal zwei Wochen Urlaub in einem entfernten Land gemacht haben, sagen, man müsse zufrieden mit dem sein, was man hat, und verbeugen sich meist auch noch einmal nach dieser Feststellung. Wenn sie meinen, wir müssen die Unlust, die wir empfinden, wenn wir keine ausgefallenen Speisen aufgetischt bekommen, ignorieren oder abstellen, dann stimme ich Ihnen zu. Wenn Sie aber meinen, wir sollten die selbstgesteckten Ziele, die über die rein körperlichen Bedürfnisse hinausgehen, abstellen, dann stimme ich Ihnen nicht zu. Wir wollen schließlich nicht das Leben einer Gurke leben (Sie erinnern sich an Aristoteles’ und die Artgerechte Haltung?).

Jedenfalls scheint Unlust wegen körperlicher Bedürfnisse oder selbstgewählter Ziele gar nicht einmal so schlecht zu sein, sondern treibt irgendwie an, einen Status zu verändern.

Jetzt gibt es aber auch den Fall, dass jemand sowohl Abitur machen will, als auch Lust verspürt, Mathematik zu machen (ist wirklich nur eine Annahme, sowas gibt es in Wirklichkeit nicht). Ebenso macht ja auch das Essen Spaß, bevor wir gesättigt sind, oder? Und jemandem zu helfen, kann auch Spaß machen. Wäre es daher nicht viel besser, nicht ständig von Unlust oder Unbehagen angetrieben zu werden, sondern bei allem, was man tut, diese Lust zu empfinden? Also sowohl die Tätigkeit zu mögen, als auch den daraus resultierenden Status oder das Ziel? Ist es nicht peinlich, nur von der Unlust angetrieben zu werden, wie ein müdes Pferd, das einen Wagen ziehen muss? Also ständig nur zu berechnen, was weniger Unlust bringt? Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten:

“Der Lust wegen tun wir ja das sittlich Schlechte, und der Unlust wegen unterlassen wir das Gute. Darum muß man, wie Plato sagt, von der ersten Kindheit an einigermaßen dazu angeleitet worden sein, über dasjenige Lust und Unlust zu empfinden, worüber man soll. Denn das ist die rechte Erziehung” (Aristoteles’ Nikomachische Ethik 1104 b 9-14).

Lust und Unlust zu empfinden, ist keine Konstante, sondern, so Aristoteles, sie lassen sich erziehen. Und am schönsten wäre es demnach, gute Dinge zu tun und dabei Lust zu verspüren, oder?

“Als ein Zeichen der Charakterhaltung muß man die mit den Handlungen verbundene Lust oder Unlust betrachten. Wer sich sinnlicher Genüsse enthält und eben hieran Freude hat, ist mäßig, wer aber hierüber Unlust empfindet, ist zuchtlos. Und wer Gefahren besteht und sich dessen freut oder wenigstens keine Unlust darüber empfindet, ist mutig, wer aber darüber Unlust empfindet, ist feige” (Aristoteles’ Nikomachische Ethik 1104 b 4-8).

Schöner als von der Unlust angetrieben zu sein und immer nur zu kalkulieren, was weniger Unlust bringt, ist es doch, bei den richtigen Tätigkeiten Lust zu verspüren, die uns damit ebenfalls antreibt, oder?

Irgendwie gefällt mir der Gedanke schon. Aber glauben Sie tatsächlich, dass der Mensch so “formbar” ist? Oder denken Sie, dass die Empfindung von Lust und Unlust in gewissen Situationen beispielsweise im menschlichen Genom festgeschrieben stehen und unveränderlich ist? Wir brauchen einen Humanbiologen oder einen Genetiker, schnell!! Schnell! Ich habe Lust auf eine Diskussion!

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/262

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22. Etwas Gehaltvolleres – Geld

Es gibt eben manche Menschen, die sich im Leben das Ziel setzen, möglichst viel Geld zu machen. Wir stellen uns immer vor, sie tränken Cocktails in Wolkenkratzern. Aber vermutlich sind es Leute wie Sie und ich, die vielleicht gerade aus einem BWL Studium stolpern und den Fundus ihrer reichhaltigen Erfahrungen nun endlich mit Laptop und Bleistift bewaffnet ausnutzen wollen. Und wenn Sie ehrlich sind: Was spricht dagegen (außer ab und an die öffentliche Meinung)?

Aristoteles spricht dagegen. Sein Argument ist eigentlich ganz einfach: Er unterscheidet nämlich zwischen “Mitteln” und “Zielen”. Das können Sie in der Nikomachischen Ethik nachlesen. Geld ist seiner Meinung nach ganz klar ein Mittel. Denn man möchte Geld eben nur haben, um sich damit etwas kaufen zu können, oder um Sicherheit zu erlangen oder aber um einen höheren gesellschaftlichen Status zu bekommen. Geld ist also immer nur dazu da, um etwas anderes erlangen zu können und deshalb immer nur Mittel. Wer sich jetzt das Ziel setzt, möglichst viel Geld machen zu wollen, begeht den einfachen Fehler Mittel und Ziel miteinander zu verwechseln. Das Leben, das zum Ziel hat, möglichst viel Geld zu machen, ist eben ein Leben, das einen irgendwie fehlerhaften Gedankengang beinhaltet.

Und mit so etwas beschäftige ich mich, anstatt mein zweites Kapitel zuende zu schreiben. Ich sollte auch mal über andere Mittel-Ziel-Konstallationen nachdenken. Ziel: Diss beenden, Mittel: daran arbeiten.

Wenn Sie erfahren möchten, was Platon zu Reichtum und Geld sagt, kann ich Ihnen folgendes Buch empfehlen, das sich ausführlich damit beschäftigt: Schriefl, Anna (2013): Platons Kritik an Geld und Reichtum

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/255

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19. Platon über das Internet

Wenn Philosophen meinen, etwas Aktuelles zu einer gesellschaftlichen Diskussion beigetragen zu haben, bestätigt sich jedes Mal Einsteins Relativitätstheorie aufs Neue. Denn scheinbar vergeht philosophische Zeit anders als die common sense Weltzeit – was sicherlich etwas mit Masse oder Trägheit zu tun hat (deshalb haben Philosophen übrigens häufig Bärte, weil sie meinen, sich “einmal am Tag” rasiert zu haben). Tatsächlich sind machmal auch Zeitsprünge möglich, wissen Sie? So habe ich zu meinem Erstaunen einen Abschnitt in Platons Dialog Phaidros gefunden (- der auch etwas über die Liebe sagt, falls Sie gerade Liebeskummer haben sollten -), das mich zum Nachdenken gebracht hat. Platon lässt dort nämlich Sokrates etwas über das Internet sagen. Da die alten Griechen noch kein flächendeckendes Internet hatten, nutzten sie den Hilfsbegriff “gramma” (γράμμα) dafür und nicht das lateinisch-englische “Internet”. Wirklich. Und bevor Sie denken, ich würde Sie aufs Korn nehmen wollen, schauen Sie in den Text. Ich zitiere Phaidros ~ 274c-275c:

Sokrates [sagt zu Phaidros]: Ich habe also vernommen, zu Naukratis in Ägypten sei einer der dortigen alten Götter gewesen, dem auch der heilige Vogel, den sie ja Ibis nennen, eignete; der Dämon selbst aber habe den Namen Theuth. Dieser habe zuerst Zahl und Rechnung erfunden, und Mathematik und Sternkunde, ferner Brettspiel und Würfelspiel, ja sogar auch das Internet. Weiter aber, da damals über ganz Ägypten Thamus König war in der großen Stadt des oberen Bezirks, welche die Hellenen das ägyptische Theben nennen, wie sie den dortigen Gott Ammon nennen, – so kam der Theuth zu diesem und zeigte ihm seine Künste und sagte, man müsse sie nun den anderen Ägyptern mitteilen. Der aber fragte, was für einen Nutzen eine jede habe? Indem er’s nun auseinandersetzte, so wußte er, wie ihm jener etwas gut oder nicht gut zu sagen dünkte, es bald zu tadeln, bald zu loben. Vieles nun soll da Thamus dem Theuth über jede Kunst in beiderlei Richtung frei heraus gesagt haben, was durchzugehen viele Worte fordern würde.

Als er aber beim Internet war, sagte der Theuth: »Diese Kenntnis, o König, wird die Ägypter weiser und erinnerungsfähiger machen; denn als ein Hilfsmittel für das Erinnern sowohl als für die Weisheit ist es erfunden.« Er aber erwiderte: »O du sehr kunstreicher Theuth! Ein anderer ist der, der das, was zur Kunst gehört, hervorzubringen, ein anderer aber der, der zu beurteilen vermag, welchen Teil Schaden sowohl als Nutzen es denen bringe, die es gebrauchen werden. So hast auch du jetzt, als Vater des Internets, aus Vaterliebe das Gegenteil von dem gesagt, was seine Wirkung ist. Denn Vergessenheit wird dieses in den Seelen derer, die es kennenlernen, herbeiführen durch Vernachlässigung des Erinnerns, sofern sie nun im Vertrauen auf das Internet von außen her mittelst fremder Zeichen, nicht von innen her aus sich selbst, das Erinnern schöpfen.

Nicht also für das Erinnern, sondern für das Gedächtnis hast du ein Hilfsmittel erfunden. Von der Weisheit aber bietest du den Schülern nur Schein, nicht Wahrheit dar. Denn Vielhörer sind sie dir nun ohne Belehrung, und so werden sie Vielwisser zu sein meinen, da sie doch insgemein Nichtswisser sind und Leute, mit denen schwer umzugehen ist, indem sie Scheinweise geworden sind, nicht Weise.«

Phaidros 274c-275c [übersetzt von Georgii, aufrufbar unter: http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Phaidros. Georgii übersetzt gramma leider fälschlicherweise mit "Buchstabe"].

Verlieren wir etwa tatsächlich mehr, als wir gewinnen?

- Lassen Sie mich kurz nachdenken -

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/236

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18. Eine Gefahr für die Philosophie?

Ich formuliere mal einen Gedanken, der wie so vieles nur teilweise zuende gedacht ist. Er bezieht sich auf eine Gefahr für die Philosophie oder besser für das Philosophieren, die sich mit dem stillen theoretischen und solitären Arbeiten einstellen könnte, wenn man nicht Acht gibt. Vielleicht einstellen könnte, muss ich sagen, wenn ich konsistent bleiben möchte.

Wissenschaftliche Probleme könnten sich von der eigenen Erfahrung ablösen und ein sekundärwissenschaftliches Eigenleben entwickeln. Die Sache mit der Erfahrung ist natürlich, je nach dem, wie ich diese verstehe, angreifbar. Was soll denn schon metaphysische Erfahrung bedeuten (außerhalb des Yoga-Vereins)? Was ich damit meine ist aber etwas anderes: Es ist nicht die subjektive Akkumulation von Konstanten der Funktion der Welt, sondern die intensive Prüfung von Theorien durch die eigene Vernunft. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Aristoteles’ Ethik behandelt die Charaktere der Akteure und ihre Tugenden. Ethische Tugenden sind Mitten zwischen zwei Extremen. – Jetzt können wir uns darüber unterhalten, wie eine Mitte genau definiert sein könnte. Wir könnten Artikel darüber schreiben und Positionen vertreten, was der ursprängliche Text genau sagen möchte. Diese Arbeit ist wichtig und schön, keine Frage. Aber wenn damit nicht auch die Einkehr in sich selbst einhergeht, sondern „Charakter“, „Mitte“ oder „Form“ zu bloß formalen Begriffen werden, mit denen man so hantieren kann, wie mit einer beliebigen Variable, dann könnte doch etwas fehlen, oder? Vielleicht ist das der Unterscheid zwischen “Wissen” und “Nachvollziehen” oder “Durchdringen”. Wenn ich „weiß“, dass die Seele für Platon drei Teile hat, dann bestehe ich sicher die kommende Prüfung. Wenn ich seine Argumente aber versuche intensiv nachzuvollziehen oder zu durchdringen, dann könnte ich das formale Wissen zugunsten einer Überzeugung aufgeben. Platon hat nicht nur deshalb recht oder unrecht, weil seine Drei-Seelenteile-Position derjenigen im Theaitetos wiederspricht. Sondern auch, weil ich Schwierigkeiten habe, mir die Seele als rein körperlichen und willenlosen Hunger vorzustellen. Das formale Wissen, könnte man argumetieren, reiche aus, um sich über verschiedenste Probleme zu unterhalten, sei aber nicht vollständig.

Naja, das klingt alles nicht nur unausgereift, sondern auch merkwürdig, wenn ich es noch eimal lese. Aber irgendwie scheint mir doch etwas wahres dabei zu sein, im Unterschied zwischen formalem und echtem Wissen. – Was ist eigentlich Bewegung? Raum durch Zeit? Oder was Aristoteles in seiner Physik schreibt?

Ich habe auch die Befürchtung, dass das, was ich sage, sich so anhört, wie die theurgische Phantasterei, die Fowden beschreibt. Schauen Sie doch einmal selbst nach und sagen mir Ihre Meinung: Fowden, Garth (1982): The Pagan Holy man in Late Antiquity Society. In: The Journal of Hellenic Studies 102, S. 33–59.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/231

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18. Ich verstehe Eins nicht mehr

Wenn Sie sich entscheiden, nicht nur theoretisch zu arbeiten, sondern auch etwas Praktisches zu machen, dann lassen Sie sich eins sagen: Fassen Sie am Ende des Arbeitstages keinen Platon-Dialog mehr an. Der macht Ihnen ‘mal sowas von einen Strich durch die Rechnung, dass Sie bald daran zweifeln werden, ob oben oben oder unten unten ist. Ich habe den Fehler begangen und einen kurzen Blick in Platons Parmenides geworfen. Das Resultat ist, dass ich mir jetzt mein Erlebnis von der Seele schreibe, wie so viele andere Verrückte (μανία [mania] wäre das griechische Wort für diese Verrücktheit, die ich meine).

Wenn etwas widersprüchlich ist, dann zweifeln wir meist daran und versuchen durch einen Perspektiven- und Tiefenwechsel ein passendes Konstrukt zu liefern, das uns den vordergründigen Widerspruch aufklärt. – Nicht so im Parmenides. Dieser Dialog Platons hindert uns dadurch daran, dass er uns einen Gordischen Knoten ins Hirn treibt.

Sehen Sie mal um sich. Schön? Da sind jede Menge Dinge, oder? Ein Bildschirm, vielleicht ein Schreibtisch oder ein Fenster, eine Liane, Buchstaben, ein beunruhigender Fußabdruck, Zahlen, Menschen, 100000€, Gedanken. Viele Dinge sind das. Klar. Wenn wir aber viele Dinge haben, dann müssen wir annehmen, dass es auch jeweils ein Ding gibt. Die Vielheit ist eben aus Einheiten zusammengesetzt, ne? Wenn Sie jetzt versuchen, diese Einheit zu fassen, passiert Ihnen das, was mir passiert ist: “Knoten also blog ich”.

Wenn wir von einer Einheit reden, dann darf diese Einheit keine Teile haben. Denn dann wäre sie ja zusammengesetzt und eine Vielheit. Aber über die Vielheit sind wir ja schon hinweg. Wir suchen das, was die Einheit ist. Also Teile darf diese Einheit nicht haben. Deshalb kann eine Einheit weder Anfang, noch Mitte, noch Ende haben. Was aber kein Ende hat, hat keine Grenze und ist deshalb unbegrenzt also unendlich. Zur selben Zeit ist es aber natürlich nicht ausgedehnt, weil es eben keine Teile haben kann. Und jetzt einige Worte des Erzählers Kephalos:

„Es ist also nicht einmal in der Weise, daß es Eins ist, denn dann wäre es immer noch seiend und des Seins teilhaftig. Vielmehr ist das Eins weder noch ist es Eins, wenn anders man diesem Schlüsse trauen darf.

So scheint es.

Wenn aber etwas nicht ist, kann da wohl diesem Nichtseienden überhaupt etwas zukommen oder ihm angehören?

Wie wäre das möglich?

Dann aber kommt ihm auch gar kein Name zu und keine Aussage über dasselbe und keine Erkenntnis noch Wahrnehmung noch Vorstellung von ihm.

Offenbar.

Man kann es also weder benennen noch von ihm reden und etwas aussagen noch es sich vorstellen noch es erkennen noch auch etwas, was es an sich hätte, wahrnehmen.” (142 Aff. Übers von Franz Susemihl online unter: http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Parmenides auffindbar)

Das habe ich jetzt davon. Ich kann das einfachste weder erkennen noch herleiten noch sagen, dass es sei, obwohl ich so vieles sehe, das aus Einheiten besteht. Platons Dialog zeigt so viele Probleme bezüglich der Einheit auf (die der alte Parmenides dem jungen Sokrates erzählt) wie ich jetzt schlaflose Stunden haben werde. Wenn wir Eins nicht erkennen können. Und wenn Eins nicht ist, was ist denn dann überhaupt noch? Thx Platon. Nehmen Sie sich den Dialog doch mal selbst zur Hand. Vielleicht sind Sie schlauer als ich. Wo ist Alexander, wenn man ihn braucht?

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/223

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16. Prokrastination vs. Arbeit. Ein Einsteiger-Guide

Huch, wie sind Sie bloß hier gelandet? Ich sage Ihnen, Ihre Dissertation hat Feinde. Die Prokrastination (übrigens willkommen; Und ja, tatsächlich mit dem “r” nach dem “k”, wie in “kras(s)”. [Ich hätte es auch anders geschrieben]) ist einer davon. Zwar kommt Prokrastination eigentlich vom Lateinischen procrastinatio, was soviel bedeutet wie “aufschieben” oder “vertagen”. Aber unser wissenschaftsaffiner Gebrauch impliziert etwas anderes. Und zwar das Aufschieben durch belanglose und nicht zielführende Tätigkeiten. Also solche Dinge wie: Deadline in zwei Tagen? Es ist jetzt Zeit, das Fenster zu putzen und endlich mal den Kühlschrank aufzutauen.
Platon prokrastinierte, indem er Dialoge schrieb. Aristoteles prokrastinierte nicht. Die eigentliche Frage ist deshalb nicht, wie man diese Art der Zeitverschwendung beseitigt (siehe Platon-Vorbild), sondern wie man sie sich zunutze macht. Und genau an dieser Stelle kommt die Selbsttrickserei ins Spiel. Als Selbsttrickserei bezeichne ich einen minimalvernünftigen Impuls, der es ohne besondere Anstrengung schafft, bereits vorhandene Handlungsimpulse umzulenken. Schließlich ist es gleich, ob man zum richtigen Prokrastinieren die Blumen gießt oder die Schuhe putzt. Worauf es ankommt ist es, nichts an der Haupttätigkeit zu tun.
Damit dies klappt, müssten Sie folgendes tun: Sie müssten sich einreden, dass die Haupttätigkeit lediglich das tatsächliche Schreiben der Arbeit sei. Die Betätigung der Tasten. Und das konsequent. Unter den gegebenen Umständen müssten Sie dann bald in der Lage sein, periphere Tätigkeiten in die Prokrastination einzubinden: Literarturverwaltung aktualisieren, die Reschtschreibunk korrigieren, oder wichtige Telefonate führen, dürften Ihnen dann auch ein Leichtes sein. Oder haben Sie andere Erfahrungen gemacht, wie man seine Arbeit effizienter macht? Dies ist zumindest ein möglicher Weg.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/219

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