14. Welcher Ethiktyp sind Sie?

Wenn Ethiktypen ein Buffet wären, dann könnte man sich vor sie stellen und nach belieben auswählen, auf welches Gericht man am ehesten Lust habe könnte. Welches am ehesten zu einem selbst passen könnte. Sie haben gerade Ihr Bewerbungsgespräch erfolgreich beendet? Klar, jetzt richten Sie sich erst einmal nach einer kantischen Pflichtenethik. So gehört sich das eben. Und am Wochenende? Tja, da könnten Sie eher etwas leichtes gebrauchen. Wie wäre es daher mit einer hedonistischen Ethik, die Ihre wöchentliche Lustbilanz wieder in den Plus-Bereich zu heben versucht? Die gibt es nämlich mit Schirmchen. Letztlich hat doch jeder Mensch andere Präferenzen, oder? Wieso soll dann nicht auch jeder Mensch eine eigene Ethik verfolgen?

In erster Linie, weil Ethiken keine Buffets sind.

In zweiter Linie aber, weil man Sie dann hinter vorgehaltener Hand einen Dezisionisten nennt und Ihnen auf institutsinternen Weihnachtsfeiern nur noch die Schnittchen mit Fisch angeboten werden, die niemand mag. Drittens aber, weil Sie ein ungewöhnliches Verständnis von dem haben, was Ethik bedeutet.

Ethiken sind keine saisonalen Handlungsmaximen. Handlungsmaximen, wie Sie diese auch immer verstehen möchten, können Sie sich gerne setzen und trotzdem die guten Schnittchen abgreifen. Eine Ethik ist aber umfassender. Sie möchte umfassend erklären, was eine gute Handlung, was ein gelingendes Leben ist oder was man tun soll. Die Ethik gibt eine Theorie vor, die all diese Fragen (und noch einige mehr) abschließend erklären möchte. Ob ihr das gelingt ist eine andere Frage. Aber, verstehen Sie, heute eine abschließende Erklärung zu liefern und morgen eine andere, ist nicht nur semi-seriös, sondern auch widersprüchlich. Also: Welcher Ethiktyp erklärt Ihrer Meinung nach die genannten Fragen am besten?

Grundsätzlich unterscheidet man deontologische Ethiken von teleologischen Ethiken. τό δέον (to deon) heißt etwa „das Notwendige“ und τό τέλος (to telos) heißt im Griechischen „das Ziel“. Der Unterschied besteht darin, dass die deontologischen Ethiken mit Pflichten argumentieren. Sie sagen solche Sachen wie „man muss die Menschenrechte einhalten“ oder „du sollst nicht töten.“ Die anderen hingegen argumentieren mit Zielen. Sie sagen z.B. „Eine gute Handlung ist eine, die das Ziel verfolgt, möglichst großen Nutzen für möglichst viele Menschen zu bringen.

Wieso man nicht beide Ansichten zusammenfasst?

Hmm, Schnittchen?

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/185

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13. Sechs Tricks für eine gelingende Promotion

 

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an Ihrer Doktorarbeit. Sie haben vor sich folgende Komponenten: Drei Jahre Zeit, ein Thema, einen Laptop, schon etwas Ahnung von der Primär- und Sekundärliteratur, ein gutes Verhältnis zu Ihrem Doktorvater oder zu Ihrer Doktormutter, völlige Freiheit in der Gesteltung Ihrer Zeit.

Um nicht plötzlich in eine Sinnkrise zu verfallen und zu merken, dass dreiviertel ihrer Zeit schon vorbei ist, Sie plötzlich perfekt Spanisch und Lettisch können, alle Cafés und alle Bedienungen der Stadt kennen, einen noch neueren Laptop und ein Tablet besitzen, nichts von Weckern halten, aber noch keine Seite geschrieben haben, müssen Sie sich selbst austricksen. Mir fallen sechs Beispiels ein, wie ich mich ausgetrickst habe:

Trick 1: Melden Sie sich so häufig es geht für ein Doktorandenkolloquium an, um etwas vorzutragen. Sie werden sehen, dass Sie daran den Puls Ihrer Arbeit messen können werden. Es hat sich einiges getan seit dem letzten Referat im Studium, für das Sie maximal eine halbe Stunde Vorbereitungszeit aufgewendet haben, denn jetzt geht es nicht mehr um irgendeine von vielen Noten, sondern um Ihr Kunstwerk. Sie stellen nicht nur Ergebnisse dar, sondern auch sich selbst und Ihre Leistungen. Das baut so viel Druck auf, dass Sie ganz sicher den einen oder anderen Kaffee sausen lassen, um eine gute Präsentation vor Ihren Kommilitonen und Ihrem Professor zu halten. Und ehe Sie sich versehen, steht ein Kapitel oder ein Teil eines Kapitels Ihrer Diss.

Trick 2: Siehe Trick 1 und tausche “ein Doktorandenkolloquium” durch “eine Konferenz”.

Trick 3: Bilden Sie mit Ihren Freunden Präsentationskreise, in denen Sie Ergebnisse informell diskutieren können, die aber einen festen und regelmäßigen Rahmen bilden. – Achtung: Dies klassifiziert Sie als Streber. Aber das ist Ihnen egal, denn diese Auszeichnung haben Sie bereits durch den Wunsch zu promovieren ergattert.

Trick 4: Kaufen Sie sich keinen neuen Laptop. Um ein Schreibprogramm oder ein Literaturverwaltungsprogramm sowie Emails benutzen zu können, reicht Ihr alter Laptop. Wenn Sie einen neuen kaufen wollen, hängt das sicher damit zusammen, dass Sie zocken. Zocken ungleich Dissertation.

Trick 5: Reden Sie mit Ihren Freunden immer so über die Dissertation, als sei es eine feste Arbeitsstelle, wie Sie andere Menschen auch haben, mit Verwaltungsproblemen, Deadlines und Telefonaten. Die Sache mit den Telefonaten müssen Sie eben erfinden.

Trick 6: Ist mir leider entfallen. Es war der beste. Wissen Sie ihn noch?

Jedenfalls: wenn Sie sich an mindestens diese Tricks halten, ist es sicher, dass Sie mit Ihrer Arbeit vorankommen.

Genau.

Und was sagt es über ich aus, dass ich diesen Blogeintrag um etwa 13.00 Uhr poste? Hmmmm.

 

 

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/177

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12. Was ist Glück? (5/5): Was zwischen Ost und West liegt

Für alle, die denken, das westliche Mittelalter traf im Osten auf das muslimische, sei gesagt: Ne, is’ nicht so. – Zwischen Okzident und Orient befanden sich bis zum Jahr 1453 auch noch die Byzantiner, die gerne goldene Kirchen bauten und sich für Römer hielten. Einer dieser Byzantiner ist Michael Psellos gewesen. Auf dem einzigen erhaltenen Abbild, das wir von ihm haben, hat er stilecht schwarze Kleider an. Und trägt einen schwarzen Hut. Und hat, naja, die Mundwinkel heruntergezogen. Halt eine schlechte Aufnahme. – Dieser Psellos zeichnet sich durch zwei Punkte besonders aus: Denn erstens war er in antiker Philosophie unglaublich gebildet und zweitens ist seine praktische Philosophie Thema meiner Dissertation. Neidisch?

Genau deshalb will ich Ihnen nicht die Message vorenthalten, die bei meinen Untersuchungen vorläufig raus gekommen ist, und die ich nebst flapsigen Formulierungen tatsächlich sehr gut finde.

In einer recht komplizierten Auseinandersetzung mit Aristoteles (Sie erinnern sich an die “artgerechte Haltung”) und allem, was nach Plotin kam (Sie erinnern sich vielleicht an den “Gastbeitrag zum Tag der Einheit”), sowie mit christlichen Einflüssen schafft er es, zwei Ziele zu formulieren, die jeder und jede von uns anstreben sollten. Welche Ziel das sind? Weiß ich nicht.

Spaß. Natürlich weiß ich das: Psellos sagt uns folgendes: “Hört mal her. Eigentlich ist alles ganz einfach. Ich verstehe gar nicht, wieso ihr euch damit so schwer tut. Wir müssen einerseits unsere Talente kultivieren. Damit meine ich etwa das, was Aristoteles über den Verstand sagte. Wir sollen verstehen, wie die Welt funktioniert, was sie ist und welche Prinzipien es in ihr gibt. Und zweitens, aber nicht minder wichtig, müssen wir einfach mal anständig miteinander umgehen. Also durch die Ausprägung gewisser anderer Talente einfach freundlich-philanthropisch sein.”

Ich finde, dass diese Message nicht wirklich an Aktualität verloren hat. Wenn wir diese beiden Dinge ausführen oder perfektionieren, dann sind wir objektiv (Sie erinnern sich an die Kriterien, die das objektive Glück von Zufallsglück und Empfindungsglück unterscheidet) glücklich.

Das war vorerst der letzte Beitrag.

Zum Glück.

Ab nächstem Mal kommt dann wieder etwas anderes.

Herzlichst hochachtungsvoll,

D.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/167

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Was ist Glück? 4/5: Deskriptiv vs. normativ

Ich hole mir ja meine Selbstbestätigung immer dadurch, dass ich mir anschaue, ob die Büsten unseres Seminars mir eher zustimmen oder eher nicht zustimmen. Nach den letzten drei Einträgen ist die Situation für mich leider immer noch unklar. Irgendwie sind jeweils zwei von dreien unglücklich mit meiner Auswahl von Glücksmodellen. Platon, Aristoteles und die Stoa (in Form ihres Gründers Zenon von Kition) versprechen uns nämlich eigentlich dasselbe: Die Antwort auf die Frage aller Fragen. Die Antwort darauf, was Glück ist. Aber die Gemeinsamkeiten halten sich doch in Grenzen: Aristoteles sieht Emotionen als essenziell an, die Stoa als gefährlich. Platon redet von der Idee des Guten, Aristoteles von theoretischem Wissen anderer Art. Die Stoa lehnt die Existenz von Ideen ab, Platon geht davon aus. Was bringt uns also die Beschäftigung mit diesen Modellen, wenn sie sich so stark von einander unterscheiden? Wieso gehen wir nicht anders an die Sache heran? Umfragebögen, Stifte, schlecht bezahlte studentische Hilfskräfte könnte man doch eigentlich auf die Straße schicken und einfach eine Umfrage starten lassen: “Darf ich Sie mal stören? – Was ist Glück für Sie?“ Dann hätte man (endlich mal) eine empirische Zusammenstellung von dem, was die Leute wirklich denken.

Ein Räuspern, eine Stirnfalte und einmal zurechtsetzen oder alternativ ein Lachen, das etwas Zeit überbrückt, wären die richtigen Reaktionen nach einer unangenehmen Frage, die die eigene Wissenschaft infrage stellt. – Oder aber die Umschulung zur Sozialwissenschaft.

Oder die Konfrontation mit einigen Argumenten: Wenn man eine solche Frage empirisch beantworten möchte, muss man entweder Antworten vorgeben, die man ankreuzen kann oder alle Antworten zulassen. Die erste Option ist unzulässig, weil man das im Kleinen macht, was man durch Ablehnung der weltfremden philosophischen Modelle im Großen vermeiden möchte: Den Leuten etwas vorgeben. Die zweite Option führt nicht weit, weil man gar nicht weiß, ob alle dasselbe im Kopf haben, wenn Sie antworten. Glück hat eben alltagssprachlich mindestens die Bedeutungen, die wir in „Was ist Glück? (1/5)“ kennengelernt haben. Ich meine, Sie könnten auch Fragen, „Was würden Sie für ein Schloss bezahlen?“. Verstehen Sie? Die Queen hätte eine andere Antwort als der Fahrradhändler. Man muss die Frage spezifizieren oder die Antworten klassifizieren, wodurch man wieder zur ersten Option gelangt.

Empirisch vorzugehen ist wichtig, kann aber nur den ersten Schritt liefern, von dem man ausgeht, vernünftig weiter zu fragen: Kann man Leute glücklich nennen, die in schlechten Situationen positive Neurotransmitter ausschütten? Ist Glück nichts weiter als Zufallsglück? Nichts anderes als fünfzig Euro zu finden, ein besonders gutes Eis gegessen zu haben? Oder bedeutet es doch etwas anderes? Hat es mit umfassenderen Problemen zu tun, wie unserer Natur als vernünftige Tiere? Mit der Ausprägung unserer Talente, auch wenn wir nicht immer Lust dabei empfinden? Ist jemand glücklicher zu nennen, der seinen warmen Mantel einer bedürftigen Person gibt und deshalb wegen der Kälte Unlust verspürt, als jemand, der Lust empfindet, während er Kaviar genießt? Wie ist eigentlich das Verhältnis zwischen Lust und Glück? Zwischen Altruismus und Glück? Zwischen natürlichen Anlagen und deren Aktualisierung?

Ich denke, auch wenn es sich ein wenig pathetisch anhört, sind diese Fragen fundamental, wenn wir wissen wollen, was Glückseligkeit wirklich ist. Die drei Modelle, die ich in den letzten Einträgen kurz anreißen konnte, bieten auf viele dieser Fragen Antworten, ohne in eigene Widersprüche zu verfallen. Welches Modell jetzt das richtige ist, das können Sie selbst herausfinden, wenn Sie Zeit finden, sich auf die wissenschaftlichen Diskussionen darüber einzulassen. Mit der Empirie alleine ist es jedenfalls nicht getan. Nur deskriptiv, also beschreibend, vorzugehen, reicht meiner Meinung nach deshalb ganz und gar nicht aus.

Sehen Sie das anders? Sind Sie Positivist? Oder sogar Positivistin? Dann kritisieren Sie mich bitte!

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/165

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10. Was ist Glück? 3/5: Steil stoischer Stil

Heute soll es um die Stoa gehen. Da fragt man sich natürlich gleich: Können Stoiker Musik genießen? Schließlich weiss man ja, dass sie ein ambivalentes Verhältnis zu Gefühlen und Leidenschaften hatten. Stoiker bilden sich nämlich ein, ein Leben ohne Leidenschaften leben zu können. Ganz wie eine Statue, nur mit Bewegung. Verrückt, wa’? Machen nicht die Leidenschaften erst das Leben lebenswert?

- Nun ja. -

Auch ich würde die Güte von Leidenschaften behaupten und doch eine Einschränkung vornehmen: Erinnern Sie sich an folgende Situation? Sie haben eine möglicherweise frische Liebe gefunden, die sich aber verdammt lange Zeit lässt, auf Ihre Nachricht zu antworten. Die Spannung und das Verlangen verleiten Sie dazu, nicht mehr ihren Blogeintrag fertig zu schreiben, sondern zum Telefon zu greifen und eine Nachricht in beleidigtem Ton zu versenden. Nicht nur dass die Ungewissheit nach wie vor bestehen bleibt, nein. Sie haben es auch geschafft, einen schlechten Eindruck als knatschige Person, die nicht abwarten kann, in 160 Zeilen zu packen. Auch verrückt, wa’? Deshalb raten Stoiker davon ab, in solchen Situationen Nachrichten wegen einer starken Aufwallung von Leidenschaften zu verfassen. Grundsätzlich gilt für sie und Sie generell, dass Lust (ἡδονή), Unlust (λύπη), Begierde (ἐπιθυμία) und Furcht (φόβος) nur dazu da sind, uns den Blick auf die Welt, wie sie ist, zu verstellen. Unter diese vier können übrigens alle anderen Leidenschaften gestellt werden. Aber wenn Sie schon unbedingt etwas fühlen möchten, dann bitteschön die guten Leidenschaften. Ja! Das ist nämlich der Punkt, den die meisten vergessen: Die guten Leidenschaften spielen eine zentrale Rolle in der stoischen Ethik. Freude (χαρά), Achtsamkeit (εὐλάβεια) und vernünftiges Streben (βούλησις) sind nämlich die Dinge, die das Leben eigentlich lebenswert machen. Diese erreichen Sie, wenn Sie tugendhaft werden und erst wenn Sie tugendhaft werden, sind Sie nämlich auch glücklich! Glauben Sie mir. Und nur so können Sie nicht nur glücklich, sondern oben drein auch zu Weltbürgern werden! Jackpot! – Ok, ok, gehen wir einen Schritt zurück. Glückseligkeit, Weltbürgertum, gute Gefühle? Wie hängt das zusammen?

Die Stoiker haben ein paar Grundannahmen aus ihrer Theorie der Natur in die Ethik transportiert. Sie gehen davon aus, dass die Welt determiniert sei. Das heisst das, was passiert, passiert mit Notwendigkeit so, wie es passiert. Man kann eigentlich nichts dagegen machen. Man kann dem lediglich zustimmen oder nicht zustimmen. Das Schicksal bleibt unabänderlich. Stimmen Sie nicht zu, machen Sie sich selbst unzufrieden, weil Sie etwas wollen, das Sie nicht haben können. Als nächstes sagen Sie, die Welt sei in ihrer Ganzheit (Gänze?) perfekt eingerichtet. Das, was uns als schlecht vorkommt (weil wir eben noch diese fiesen schlechten Leidenschaften haben, die uns den sauberen Blick auf das große Ganze verbauen), wie eine Erkältung, oder leider auch Krieg, seien im kosmischen Maßstab quasi irrelevant. Das große Ganze funktioniere so wie es soll. Und drittens, der Kosmos sei in seiner Gesamtheit vernünftig eingerichtet. Für die Stoa war die Vernunft und Güte des Kosmos gleichzusetzen mit ihrer Göttlichkeit.

Wenn Sie es jetzt schaffen, die schlechten Leidenschaften in Ihnen selbst zu beseitigen, also den Status der Apathie zu erreichen, dem Lauf des Schicksales zuzustimmen und ihn so zu wollen, wie er ist, dann passiert folgendes: Sie sind tugendhaft geworden. Glückwunsch. Dadurch haben Sie in der Konsequenz nur noch die geannten guten Gefühle. Zweitens sind sie vernünftig. Nochmals Glückwunsch. Denn Ihre Vernunft ist genau diejenige, die sonst überall im Kosmos auch existiert. Sie haben sie quasi freigeräumt und haben deshalb Teil am Göttlichen in der Welt. Und schließlich werden Sie auch zum Weltbürger. Das bedeutet eigentlich Kosmosbürger, wie all diejenigen auch, die es geschafft haben, diese Vernunft in sich von den schlechten Gefühlen zu säubern. Etwas anderes brauchen Sie nicht, nichts kann Sie Glücklicher machen, als die so verstandene Tugend. Sie haben nämlich jedes falsche und unerreichbare Wunschziel in dem was Sie tun, zugunsten völliger Seelenruhe mit dem Ihnen zugeteilten Schicksal aufgegeben.

Und die äußeren Güter? Naja, alles andere wie Reichtum, Gesundheit, Ansehen ist mit dem Schicksal bereits unabänderlich vorherbestimmt. Die Welt ist schließlich determiniert. Schön wenn Sie reich werden, auch schön, wenn nicht. Wenn Sie das als weiser Mensch eingesehen haben, werden Sie bemerken, dass Glückseligkeit absolut nichts mit äußeren Gütern zu tun hat. Das einzige, worauf es ankommt, ist durch die Reinigung von Gefühlen und Leidenschaften, eine klare Sicht auf den Lauf der Welt zu bekommen und dabei diese Seelenruhe und Heiterkeit als feste Charakterhaltung zu erlangen, die Sprichwörtlich geworden ist. Egal was passiert, egal was ist, spielen Sie einfach die Rolle, die Ihnen vom Schicksal zugeteilt worden ist gut, stimmen Sie ihr zu und wollen Sie sie. Schließlich kann man es ja nicht ändern. Jetzt hätten Sie den Stoikern gemäß alles richtig gemacht.

Leider gab es nur zwei Menschen in der Geschichte, die es wirklich geschafft haben, dadurch tugenhaft zu werden, dass sie die Apathie, also die komplette Reinigung von den vier Leidenschaften, erreicht haben und dadurch auch von allen äußeren Gütern, auf die wir keinen Einfluss haben, weil der Lauf der Dinge determiniert ist: Sokrates und Rasmus von Turin.

Aber wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, einmal mehr: Horn, Christoph (1998): Antike Lebenskunst. Glück und Moral von Sokrates bis zu den Neuplatonikern. München: Beck.

Und natürlich: Long, Anthony A. (Hg.) (2006): Die hellenistischen Philosophen. Texte und Kommentare. Sonderausg. Stuttgart, Weimar: Metzler.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/151

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9. Was ist Glück? 2/5: Aristoteles’ artgerechte Haltung

Die ARD bewirbt ihre Themenwoche “Glück” unter anderem mit dem Bild eines Jungen, der im Gras liegt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt hat und lächelt. Für das kreative Fotografen-Team, das hinter diesem Bild steckt, manifestiert sich Glück im Kindesalter eben genau so, wie wenn die Zahn-Prothese im dritten Rentenjahr noch richtig sitzt. Sorgenfreiheit, Muße und etwas Sonne reichen dann wohl aus, um von einem guten Leben sprechen zu können. Schade, dass Sie dann nichts mehr von einer Gurke unterscheidet. Denn die macht auch nichts anderes, als herumzuliegen und Sonne zu tanken. Dieses Glücksverständnis hat auch unser Büstenfreund Aristoteles befremdlich gefunden und sich die Sache einmal genauer angeschaut.

Sehen Sie, im Gegensatz zu einer Gurke haben Sie als Mensch nämlich die Möglichkeit, in vielen verschiedenen Varianten aktiv zu sein: Sie können Yoga machen, kochen, einen Bantudialekt lernen oder Primzahlen sortieren. Wenn wir das mit Aristoteles auf den Punkt bringen wollen, ist das, was Sie von anderen Lebewesen wie beispielsweise Pflanzen grundsätzlichen unterscheidet, dass Sie sich bewegen können. Was Sie von Tieren unterscheidet, ist hingegen, dass Sie ihren Kopf benutzen können. Damit sind die Grundvoraussetzungen dessen, was Sie im Leben machen und erreichen können, grundverschieden von denen der Gurke oder eines beliebigen Emus. Und genau das müssen Sie laut Aristoteles bedenken, wenn Sie die objektiven Kriterien eines glücklichen Lebens entdecken wollen.

Sie sind also mit Anlagen ausgestattet, die Ihrer Art eigen sind. Das sieht Aristoteles ganz nüchtern biologisch. Diese Anlagen zu haben, reicht aber noch lange nicht aus. Sie müssen etwas mit Ihnen anfangen und das, was Sie können, sollten Sie besonders kultivieren und bestmöglich ausprägen. Aristoteles unterscheidet dafür zwei Kategorien von menschlichen Aktivitäten: Die erste umfasst alles Geistige: Verstehen, Hinterfragen, Planen, Wissen und solche Dinge werden von ihm natürlich dem Denken (auf Griechisch: διάνοια – Denken) zugerechnet. Die zweite Kategorie umfasst Ihren Charakter und Ihre Gewohnheiten (auf Griechisch: ἠθική – moralisch). Beides müssen Sie so gut es geht und stetig besser werden lassen, damit Sie den besten Status erreichen können, der Ihnen möglich ist. Keine Lust gibt´s dabei nicht, denn Sie würden sich dadurch nur in das eigene Fleisch schneiden. Sie verlieren nämlich in jedem Moment, den Sie nicht für das eine oder das andere verwenden, die Möglichkeit auf ein wirklich gutes und befriedigendes Leben. Sie müssen eben einsehen, dass es auch für den Menschen ein artgerechtes Leben gibt und nur dadurch können Sie glücklich werden. Also die Benutzung und Vervollkommnung dieser zwei Talente: Denken und Charakter sind das A und O unseres Lebens. Das klingt eigentlich ganz schön. Aber gibt es nicht noch mehr? Doch, denn dazu kommen auch noch einige andere Dinge, die aber nicht ebenso direkt von uns abhängig sind, sondern auch mit Zufall zu tun haben: Freundschaften und Familie, die gemäß unseres Wesens als Menschen ebenfalls eine absolut zentrale Rolle in unserem Leben spielen müssen, brauchen wir ebenso dringend für ein glückliches Leben. Hier ein schönes Zitat aus der Nikomachischen Ethik:

“Ohne Freunde möchte niemand leben, auch wenn er alle übrigen Güter besäße.” (1155a5)

Wenn wir all das haben und erreichen, dann können wir uns glücklich schätzen: Also einen vollkommenen Status erreichen, hinter dem es nichts besseres mehr gibt, das wir erstreben wollen können. Welche Handlungsanleitungen Aristoteles uns genau gibt, werden wir uns anschauen, wenn wir über diesen altbackenen Begriff der Tugenden sprechen werden. Bis dahin muss die aristotelische Definition von Glück als Verstandes- und Charaktervervollkommnung mit Freundschaften und Familie alleine dem Glücksverständnis von Urlaubswerbung und der ARD-Themewoche standhalten.

Sie sehen, Aristoteles redet anders als Platon und wirkt lebensnaher. Wenn Sie mehr über artgerechte Haltung erfahren wollen und keine Lust mehr auf Gurken haben, werfen Sie doch einfach einmal direkt einen Blick in die Quelle. z.B.: Aristoteles (2010): Nikomachische Ethik. Übersetzt von Franz Dirlmeier. Bibliogr. erg. Ausg., [Nachdr.]. Stuttgart: Reclam (Universal-Bibliothek, Nr. 8586).

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/129

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8. Was ist Glück 1/5: Platin von Platon

Wenn ich Sie frage, was für Sie Glück ist, was würden Sie dann antworten? Sich den Pulli um die Schultern binden, in St. Tropez flanieren und wenn die Hermès Tasche zu schwer wird, sie einfach kurz auf die Yacht legen? Fünfzig Euro an der Kaffeetheke für Kleingeld halten und dabei über die Schulter lachen? Für David Guetta auch mal ein wenig Grand Cuvée über die Tanzfläche schütten? Oder würden Sie antworten, Glück ist es, in Lotto zu gewinnen, den King of Pop einmal live erlebt zu haben oder einen Tag Privatfernsehen überlebt zu haben? Oder vielleicht ist Glück für Sie auch einfach zufrieden zu sein? Jedenfalls scheint Glück ja irgendwie viele Facetten zu haben und sich von Mensch zu Mensch zu unterscheiden. Aber Talente und persönliche Präferenzen könnten dabei tonangebend sein. Für mich beispielsweise wäre Glück dann natürlich, diesen Blog zu schreiben.

Bevor ich Sie aber mit dem Fundus platonischer Ansichten konfrontiere, muss ich Ihnen eine Klarstellung liefern: Glück hat im Deutschen zwei Bedeutungen: Den glücklichen Zufall einerseits und andererseits einen positiven emotionalen Zustand. – Im Griechischen behandeln die Philosophen nicht dieses „Glück“ sondern sie suchen die „Eudaimonia“, was häufig mit Glückseligkeit übersetzt wird, aber in meinen Ohren irgendwie verklärt klingt – „Glückseligkeit“. Was sie damals interessierte, war niemals der Zufall, und auch nicht der emotionale Status des Menschen, sondern eben etwas anderes, umfassenderes, das objektive „glückselige Leben“ in seiner Gesamtheit. Zufallsglück ist uninteressant, da es nicht von uns beeinflusst werden kann. Es ist einfach Zufall, ob wir Klaus Kleber treffen oder nicht (in Philosophensprache heißt das „es ist kontingent“). Und außerdem kann es schlecht sein, ihn zu treffen, wie es auch schlecht sein könnte, eine Million Euro in Lotto zu gewinnen: Neid, Dekadenz und daraus folgende Inkompetenz etc. sind ja mögliche Folgen. Vielleicht hat also ein solcher glücklicher Zufall eine schlechte Konsequenz. Glück wäre in diesem Fall schlecht, was ein offensichtlicher Widerspruch wäre: „Hey, Glück gehabt, du hast dir nicht nur das Bein, sondern auch den Arm gebrochen.“ Zufallsglück interessiert uns also nicht. Aber auch der emotionale Status ist für uns zweitrangig, da es ja auch Menschen gibt, die bei schlechten Taten einen positiven emotionalen Staus haben. So jemanden glücklich zu nennen, ist ebenso falsch: „Der Karlheiz, der ist so ein glückliches Kind, wenn er zündelt.“ Nein: Uns interessiert viel mehr, was objektive Kriterien eines glücklichen Lebens sind und darauf hat uns Platon einige Antworten geliefert.

Für Platon ist die Gerechtigkeit das zentrale Moment eines glücklichen Lebens. Gerecht zu sein, ist eine Eigenschaft der Seele, die wir uns anerziehen können, wenn wir die Ordnung der Ideen einsehen. Die Ideen sind die unwandelbaren perfekten Vorbilder für die sinnliche Welt, die wir sinnlich wahrnehmen und fühlen. Vielleicht erinnern Sie sich an das Beispiel mit dem Kreis? Wenn wir einen Kreis zeichnen, wissen wird, was wir tun müssten, um ihn perfekter zu zeichnen, weil die Idee des Kreises uns immer Vorbild dafür ist. Das Bild, das wir zeichnen richtet sich nach einer Idee, die perfekter ist, als das Bild. Dasselbe Spiel wird mit allen Dingen gespielt, die es in der Welt gibt. Aber warum werden wir durch die Einsicht dieser Ideen gerecht? – Dafür wird ein zweiter Punkt wichtig, nämlich der des Strebens nach etwas: Wir wollen Gesundheit, Ansehen, Klugheit? Und wir wären glücklich, wenn wir diese Güter erlangen würden? Klar, aber wenn wir einerseits wissen, dass jedes dieser Güter als Idee vollkommener ist, warum sollen wir dann nicht die Idee dieser Güter anstreben? – Und noch ein Schritt ist notwendig: Alle vier Güter haben nämlich einen gemeinsamen Kern, denn alle beinhalten eben „das Gute“, das sie ausmacht und verbindet. Wären Gesundheit, Ansehen und Klugheit nicht „gut“, dann wollten wir sie ja überhaupt nicht. Platon sagt also: Leute, konzentriert euch auf das Wesentliche und zwar auf das, was allen Gütern gemeinsam ist, was alle überhaupt als Güter klassifiziert: nämlich die Idee des Guten, die in allem ist. – Der finale Schritt der Argumentation sagt nun, dass man nichts mehr hinter diesem Guten finden kann, das irgendwie all den Dingen zukommt, die wir als Güter klassifizieren. Es gibt nichts allgemeineres, das noch erstrebenswerter ist als die Idee des Guten. Wenn wir die Idee des Guten eingesehen haben, dann kommt unser Streben an ein Ende, das vollkommener ist als wenn die beispielsweise das Gut „Ansehen“ erreicht haben. Warum? Wenn wir Ansehen haben, können wir immer noch fragen, was dieses Ansehen eigentlich so erstrebenswert macht. Wenn wir die Idee des guten eingesehen und damit erreicht haben, stellt sich diese Frage nicht mehr. Es gibt ja nichts besseres, das wir weiterhin erstreben könnten als diesen Kern eines jeden Gutes. Und wer das Beste hat, wird eben glücklich genannt.

Wieso wird er aber jetzt auch gerecht genannt? Derjenige, der die Idee des Guten eingesehen hat, hat es geschafft, seine Seele zu ordnen: Er läuft nicht mehr den sinnlichen Abbildern der Ideen hinterher, will heute Geld, morgen Ansehen, sondern benutzt seinen Kopf, um den gemeinsamen Kern aller Güter ausfindig zu machen und diesen zu erstreben. Er hat es nämlich geschafft, der Vernunft den Vorrang vor den Sinnen und den wandelbaren Leidenschaften zu geben. Gerecht zu sein bedeutet für Platon also also nicht in erster Linie, den Kuchen richtig aufzuteilen. Das wäre nur eine Konsequenz. Sondern seine Seele auf die Weise richtig geordnet zu haben, dass die Vernunft die anderen Seelenteile, die begehren oder sich aufregen, anleitet.

Glücklich ist also nach Platon derjenige, der mit der Vernunft dasjenige anschaut, was allen Gütern gemeinsam ist. Derjenige, der durch die Güter hindurch die Idee des Guten durch Verständnis erlangt. Wenn er diese Idee erreicht hat, will er nichts mehr, da es nichts gibt, das größer, besser oder erstrebenswerter als diese ist. Eine Konsequenz dieser gerechten Anordnung der Seele mit der Erkenntnis der Idee des Guten ist übrigens auch eine intellektuelle Lust, die sich von der sinnlichen Lust aber unterscheidet.

Wenn es Sie interessiert, mehr darüber zu erfahren und den platonischen Ideen näher zu kommen, nehmen Sie doch einmal das Buch zur Hand, das ich für diese Darstellung benutzt habe: Horn, Christoph (1998): Antike Lebenskunst. Glück und Moral von Sokrates bis zu den Neuplatonikern. München.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/120

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6. Generalismus vs. Partikularismus

„Guten Tag, Herr Philosoph. Schön, dass Sie Zeit gefunden haben. Die Welt und der Präsident brauchen ihre Hilfe (Jubel im Hintergrund). In dieser schwierigen Zeit können wir nur mit einem Generalisten weiterkommen.“ – „Oh entschuldigen Sie, da muss ein Missverständnis vorliegen: Ich bin moralischer Generalist.“ So oder anders könnte das Bewerbungsgespräch eines Philosophieabsolventen ablaufen. Kaum hat man fünf oder optional mehr Jahre studiert, schon wird man mit allen möglichen Vorurteilen konfrontiert, die man sich so vorstellen kann. „Was können Sie eigentlich?“, „Was heißt, ‘was mit Texten und so’?“, „Können Sie als Generalist alles oder nichts?“.

Schwierige Fragen.

Generalisten sind eigentlich Leute, die nichts können, sich aber hinter Zitaten und Weingläsern verstecken. Spezialisten hingegen sind die Leute der Zeit. Sie können eine einzige Sache unglaublich gut und Kisuaheli. Alles andere drum herum ist „nicht in ihrem Kompetenzbereich“. Das Problem unseres obigen Philosophen ist aber ein anderes. Er vertritt einen moralischen Generalismus, der nicht mit der allgemeinen Bedeutung von Generalismus verwechselt werden darf, wie es der Präsident tat und das Wohl der Welt aufs Spiel setzte. Moralische Generalisten glauben, es gebe moralische Prinzipien, die immer Geltung haben, wie z.B. das Lügenverbot. Ihre Erzfeinde sind die moralischen Partikularisten. Sie sind kleinlich. Diese glauben, dass Handlungssituationen nie unter ein Prinzip subsumiert werden können. Sie sagen, dass man anders zu entscheiden habe, ob eine Lüge angebracht sei oder nicht, beispielsweise situationsabhängig. Diese partikularistische Ansicht ist aber keine, die eine Ausnahme von einem generalistischen Prinzip formuliert. Sehen Sie, denn dann müsste man das Prinzip ja annehmen und ein weiteres hinzufügen, das die Ausnahme rechtfertigte. Damit wäre man immer noch Generalist. Partikularisten sagen beispielsweise, dass die Klugheit uns zeigt, was am besten in einer spezifischen Situation zu tun sei. Es sei klug, nicht einen Philosophen, sondern MacGyver zu rufen, wenn die Welt in Gefahr wäre. MacGyver ist selbst vermutlich auch kein Generalist. Und Universalist ist er auch nicht. Universalisten haben andere Probleme als Generalisten und Partikularisten. Sie kämpfen einen anderen Kampf. Ihr Anliegen war es immer, dafür zu argumentieren, dass allgemeine Begriffe wie „der Mensch“ Existenz haben. Also nicht nur Sophie und Max haben Existenz, sondern außerdem auch der Gattungsbegriff Mensch. Das kann man so verstehen, wie eine platonische Idee. Die eigentlichen Gegner der Universalisten sind die Nominalisten. Ich glaube, wenn es hart auf hart käme, dann würden die Universalisten eher zu den Generalisten halten. Aber wie gesagt, es handelt sich um andere Konfliktlinien.

Und wie steht es mit Ihnen, sind Sie eher Generalist oder Partikularist? Was finden Sie überzeugender? Philosoph oder MacGyver? Sagen Sie jetzt nicht eine Mischung. Das geht nämlich nicht. Wenn Sie sich noch einmal einen Überblick verschaffen wollen, bevor Sie antworten: Hoffmann, Magdalena (2010): Der Standard des Guten bei Aristoteles: Regularität im Unbestimmten: Aristoteles’ Nikomachische Ethik als Gegenstand der Partikularismus-Generalismus-Debatte.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/97

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5. Wie wird philosophisch geschrieben?

Scheitel, Krawatte, Hemd – Mist. Scheitel, Hemd, Krawatte, Hose, Flipflops, Schreibblockade. Willkommen in der Realität meines dieswöchentlichen Doktoranden-Dienstages. Was sollte ein Philosoph machen, wenn er nicht schreiben kann? „Zurück in die Tonne!“. Contenance bitte.

Ich könnte beispielsweise über Analytiker lästern. Analytiker sind nämlich die Borg unter den Philosophen. Oder ich könnte mich in einem Moment melancholischer Reflexion fragen, ob mein letzter Eintrag über Sextus (nicht lachen) Empiricus und Descartes gut genug geschrieben war. Aber die faltige Stirn unserer Schelling-Büste im Übungsraum unseres Institutes heißt mich, nun keine Witze mehr zu machen. Philosophie ist Ernst. Ernst. Alsoe eine kleine Darstellung philosophischer Schreibweisen.

Platon. Der guckt mich zwar auch an, aber irgendwie ist er heute in seiner eigenen Ideenwelt. Ich weiß aber, dass Platon das mit dem Ernst nicht ganz so sah. (Und der imaginäre Ellbogen seiner Büste pikst den mahnenden Schelling in die Rippe.) Denn laut Vlastos, einem berühmten Platon Interpreten, ist die Ironie ein häufiges Mittel in Platons Dialogen (vgl. für das Folgende Vlastos, Gregory (1987): Socratic irony. In: The Classical Quarterly 37 (1), S. 79–96.). Vlastos begibt sich in seinem Artikel auf die Suche nach dem Charakter der platonischen Ironie und versucht zu entdecken, ob sie dieselbe Bedeutung haben kann, wie unser heutiges Verständnis. „Das da wäre?“. Etwas sagen, etwas anderes meinen. Aber darum geht es nicht. Worum es geht, ist, dass es also eine Vielzahl von Weisen gibt, Philosophie zu betreiben. Deshalb auch eine Vielzahl philosophischer Schreibweisen und Textarten. So wollte Aristoteles gerne sehr klar sein. Er hatte die Dinge wohl beim Namen genannt. Platon schrieb eben in Dialogformen, die Teilweise als Erzählungen von jemandem eingeführt werden, der wohl etwas vor langer Zeit irgendwo gehört hatte oder die aporetisch enden. Gregor von Nazianz schrieb Reden auf. Synesios von Kyrene Briefe, Marc Aurel an sich selbst. Und Nietzsche, den gibt es auch noch. Jede dieser Textarten birgt eigene Schwierigkeiten der Auslegung, jede hat eigene Wendungen und eigene Vorteile. Platon beispielsweise regt stark zum Denken an, weil die Ergebnisse eben nicht gleich präsentiert werden. Manche Schriften sind dunkel also, andere lustig. Was unterscheidet philosophische Texte aber dann von anderen? Warum wird Dumas’ Graf von Monte Christo beispielsweise nicht als philosophisches Werk gelesen? Es gibt Schicksale, Emotionen, Ungerechtigkeiten, Rache. Warum ist Dumas kein Philosoph? Oder ist es er? Ich meine „er es“? Nein, ist er nicht: Es gibt keinen Hinweis auf eine Theoretisierung seiner Beschreibungen. Es gibt auch keine Andeutung auf Definitionen oder ein Prinzip, das die Emotionen oder das Schicksal oder etwas anderes erklären könnte, keine Abwägung. Er vertritt weder eine Theorie ethischer Handlungen, noch will er erklären, warum etwas ist. „Machiavelli mach das auch nicht!“ Ja, aber der kritisiert andere Konzeptionen, die sehr wohl philosophisch sind. Die ethischen Ansichten mittelalterlicher Fürstenspiegel beispielsweise stellt er seinen eigenen Erfahrungen gegenüber. Diesen Anspruch an Philosophie gab es aber nicht immer. Spätantike Philosophen begannen, die archaischen Texte von Homer philosophisch zu interpretieren. Odysseus Heimkehr wurde als verschleierte Wahrheit des Polymathen mit göttlichem Wissen Homers gedeutet. Andere Passagen wurden ebenfalls allegorisch gelesen. Es wurden Inhalte der eigenen Ansichten “hinein gedeutet”. Das könnten Sie selbstverständlich auch mit Dumas’ Werk machen. Aber dafür brauchen Sie selbst zunächst ein ausgefeiltes philosophisches System, das sie dann aus diesem wider heraus lesen können. Vielleicht lohnt sich das nicht beim Grafen von Monte Christo. Sie brauchen eine heute allgemein akzeptierte Autorität, der man zutrauen könnte, einen tiefen Einblick in philosophische Wahrheiten zu haben. Wie wäre es daher mit “Guardiola: Der Fußball-Philosoph” (Schulze-Marmeling (2013): Guardiola: Der Fußball-Philosoph).

“Noch einmal ganz kurz zurück zum Wesentlichen: Flipflops im Regen? Wirklich?”

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/83

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4. Descartes dekantiert

„Descartes hatte einen Bart.“ Sie denken, das sei trivial? Moi aussi. Berühmte Aussagen müssen aber derart gestaltet sein, dass Bonvivants beispielsweise französischer Salons sie stets zwischen Austern und Champagner auf den Lippen halten können. Sie müssen im Gespräch bleiben wie ein guter Werbeslogan. René Descartes hat dies ebenso verstanden wie David Richard Precht; Jener hat seine Salonerfahrung mit der Philosophie gekreuzt und heraus kam nach jahrelanger Meditation: „Ego cogito, ergo sum“. Dieser hat seine Medienerfahrung mit dem Salon gekreuzt und heraus kam nach jahrelanger Konzentration: „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ (Precht, Richard David (2007): Wer bin ich – und wenn ja wie viele? Eine philosophische Reise). Descartes aber war ab dem Zeitpunkt seiner Aussage in aller Munde und hat dort sehr wahrscheinlich auch die eine oder andere Auster verdrängt. Sein Ziel sei es gewesen, (jetzt endlich mal) einen archimedischen Punkt, also einen unbeweglich festen Standpunkt für die Philosophie, zu entdecken, von dem aus man mit absoluter Sicherheit anfangen könne, zu argumentieren. Keine merkwürdigen ontologischen Annahmen, keine verträumte Spekulation. Dass die Tatsache, ich müsse existieren, wenn ich denke, die einzige sei, die absolute Geltung beanspruche und nicht bezweifelt werden könne, scheint auf den ersten Blick tatsächlich einleuchtend. Aber so pointiert seine Weisheit ist, so schwer ist sie zu erklären (Trommelwirbel für Blogeintrag Nr. 1 „Erkenntnis“). Warum? Na klarerweise wegen Precht: Wer bin ich – und wenn ja, wieviele? ist nämlich eine Frage, die bereits in der Spätantike gegen die Selbsterkenntnis hervorgebracht wurde. Sextus Empiricus, der alte Skeptiker, oder man könnte vielleicht sagen der Precht jener Zeit, sagte (vgl. für das Folgende Meixner, U.; Newen, A. (Hg.) (2003): Seele, Denken und Bewusstsein: zur Geschichte der Philosophie des Geistes, S. 71): Entweder ist es der ganze Mensch, der erkennt. Oder aber es ist der ganze Mensch, der erkannt wird. Oder ein Teil des Menschen erkennt, ein anderer wird erkannt. Meixner sagt, dass im erste Falle nichts übrigbliebe, was erkannt werden könne, dass im zweiten Fall nichts übrigbliebe, das erkennen könnte und dass im dritten Fall Erkennendes und Erkanntes sowieso nie dasselbe sei. Was genau also meinte Descartes? Wer bin ich – und wenn ja wie viele? verkorkt dessen Argument jedenfalls gewaltig. Finden Sie nicht? Bon appétit et au revoir.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/62

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