Wenn ich Sie frage, was für Sie Glück ist, was würden Sie dann antworten? Sich den Pulli um die Schultern binden, in St. Tropez flanieren und wenn die Hermès Tasche zu schwer wird, sie einfach kurz auf die Yacht legen? Fünfzig Euro an der Kaffeetheke für Kleingeld halten und dabei über die Schulter lachen? Für David Guetta auch mal ein wenig Grand Cuvée über die Tanzfläche schütten? Oder würden Sie antworten, Glück ist es, in Lotto zu gewinnen, den King of Pop einmal live erlebt zu haben oder einen Tag Privatfernsehen überlebt zu haben? Oder vielleicht ist Glück für Sie auch einfach zufrieden zu sein? Jedenfalls scheint Glück ja irgendwie viele Facetten zu haben und sich von Mensch zu Mensch zu unterscheiden. Aber Talente und persönliche Präferenzen könnten dabei tonangebend sein. Für mich beispielsweise wäre Glück dann natürlich, diesen Blog zu schreiben.
Bevor ich Sie aber mit dem Fundus platonischer Ansichten konfrontiere, muss ich Ihnen eine Klarstellung liefern: Glück hat im Deutschen zwei Bedeutungen: Den glücklichen Zufall einerseits und andererseits einen positiven emotionalen Zustand. – Im Griechischen behandeln die Philosophen nicht dieses „Glück“ sondern sie suchen die „Eudaimonia“, was häufig mit Glückseligkeit übersetzt wird, aber in meinen Ohren irgendwie verklärt klingt – „Glückseligkeit“. Was sie damals interessierte, war niemals der Zufall, und auch nicht der emotionale Status des Menschen, sondern eben etwas anderes, umfassenderes, das objektive „glückselige Leben“ in seiner Gesamtheit. Zufallsglück ist uninteressant, da es nicht von uns beeinflusst werden kann. Es ist einfach Zufall, ob wir Klaus Kleber treffen oder nicht (in Philosophensprache heißt das „es ist kontingent“). Und außerdem kann es schlecht sein, ihn zu treffen, wie es auch schlecht sein könnte, eine Million Euro in Lotto zu gewinnen: Neid, Dekadenz und daraus folgende Inkompetenz etc. sind ja mögliche Folgen. Vielleicht hat also ein solcher glücklicher Zufall eine schlechte Konsequenz. Glück wäre in diesem Fall schlecht, was ein offensichtlicher Widerspruch wäre: „Hey, Glück gehabt, du hast dir nicht nur das Bein, sondern auch den Arm gebrochen.“ Zufallsglück interessiert uns also nicht. Aber auch der emotionale Status ist für uns zweitrangig, da es ja auch Menschen gibt, die bei schlechten Taten einen positiven emotionalen Staus haben. So jemanden glücklich zu nennen, ist ebenso falsch: „Der Karlheiz, der ist so ein glückliches Kind, wenn er zündelt.“ Nein: Uns interessiert viel mehr, was objektive Kriterien eines glücklichen Lebens sind und darauf hat uns Platon einige Antworten geliefert.
Für Platon ist die Gerechtigkeit das zentrale Moment eines glücklichen Lebens. Gerecht zu sein, ist eine Eigenschaft der Seele, die wir uns anerziehen können, wenn wir die Ordnung der Ideen einsehen. Die Ideen sind die unwandelbaren perfekten Vorbilder für die sinnliche Welt, die wir sinnlich wahrnehmen und fühlen. Vielleicht erinnern Sie sich an das Beispiel mit dem Kreis? Wenn wir einen Kreis zeichnen, wissen wird, was wir tun müssten, um ihn perfekter zu zeichnen, weil die Idee des Kreises uns immer Vorbild dafür ist. Das Bild, das wir zeichnen richtet sich nach einer Idee, die perfekter ist, als das Bild. Dasselbe Spiel wird mit allen Dingen gespielt, die es in der Welt gibt. Aber warum werden wir durch die Einsicht dieser Ideen gerecht? – Dafür wird ein zweiter Punkt wichtig, nämlich der des Strebens nach etwas: Wir wollen Gesundheit, Ansehen, Klugheit? Und wir wären glücklich, wenn wir diese Güter erlangen würden? Klar, aber wenn wir einerseits wissen, dass jedes dieser Güter als Idee vollkommener ist, warum sollen wir dann nicht die Idee dieser Güter anstreben? – Und noch ein Schritt ist notwendig: Alle vier Güter haben nämlich einen gemeinsamen Kern, denn alle beinhalten eben „das Gute“, das sie ausmacht und verbindet. Wären Gesundheit, Ansehen und Klugheit nicht „gut“, dann wollten wir sie ja überhaupt nicht. Platon sagt also: Leute, konzentriert euch auf das Wesentliche und zwar auf das, was allen Gütern gemeinsam ist, was alle überhaupt als Güter klassifiziert: nämlich die Idee des Guten, die in allem ist. – Der finale Schritt der Argumentation sagt nun, dass man nichts mehr hinter diesem Guten finden kann, das irgendwie all den Dingen zukommt, die wir als Güter klassifizieren. Es gibt nichts allgemeineres, das noch erstrebenswerter ist als die Idee des Guten. Wenn wir die Idee des Guten eingesehen haben, dann kommt unser Streben an ein Ende, das vollkommener ist als wenn die beispielsweise das Gut „Ansehen“ erreicht haben. Warum? Wenn wir Ansehen haben, können wir immer noch fragen, was dieses Ansehen eigentlich so erstrebenswert macht. Wenn wir die Idee des guten eingesehen und damit erreicht haben, stellt sich diese Frage nicht mehr. Es gibt ja nichts besseres, das wir weiterhin erstreben könnten als diesen Kern eines jeden Gutes. Und wer das Beste hat, wird eben glücklich genannt.
Wieso wird er aber jetzt auch gerecht genannt? Derjenige, der die Idee des Guten eingesehen hat, hat es geschafft, seine Seele zu ordnen: Er läuft nicht mehr den sinnlichen Abbildern der Ideen hinterher, will heute Geld, morgen Ansehen, sondern benutzt seinen Kopf, um den gemeinsamen Kern aller Güter ausfindig zu machen und diesen zu erstreben. Er hat es nämlich geschafft, der Vernunft den Vorrang vor den Sinnen und den wandelbaren Leidenschaften zu geben. Gerecht zu sein bedeutet für Platon also also nicht in erster Linie, den Kuchen richtig aufzuteilen. Das wäre nur eine Konsequenz. Sondern seine Seele auf die Weise richtig geordnet zu haben, dass die Vernunft die anderen Seelenteile, die begehren oder sich aufregen, anleitet.
Glücklich ist also nach Platon derjenige, der mit der Vernunft dasjenige anschaut, was allen Gütern gemeinsam ist. Derjenige, der durch die Güter hindurch die Idee des Guten durch Verständnis erlangt. Wenn er diese Idee erreicht hat, will er nichts mehr, da es nichts gibt, das größer, besser oder erstrebenswerter als diese ist. Eine Konsequenz dieser gerechten Anordnung der Seele mit der Erkenntnis der Idee des Guten ist übrigens auch eine intellektuelle Lust, die sich von der sinnlichen Lust aber unterscheidet.
Wenn es Sie interessiert, mehr darüber zu erfahren und den platonischen Ideen näher zu kommen, nehmen Sie doch einmal das Buch zur Hand, das ich für diese Darstellung benutzt habe: Horn, Christoph (1998): Antike Lebenskunst. Glück und Moral von Sokrates bis zu den Neuplatonikern. München.
Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/120