Die Fallstricke des kunsthistorischen Publizierens. Was kostet eine Architekturzeichnung? #1

Aus aktuellem Anlass, der bevorstehenden Publikation meiner Dissertationsschrift, bin ich mit der Frage konfrontiert, was eigentlich eine Architekturzeichnung kostet, sofern man diese publizieren möchte. Im Laufe meiner Rechrechen hatte ich mit bundesweiten Archiven, Graphischen Sammlungen und Bibliotheken zu tun. Dabei … Continue reading

Quelle: http://archidrawing.hypotheses.org/345

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Abstract zum Vortrag: Haben die Preußen die Revolution niedergeschlagen? (Klaus Seidl)

Zur Erinnerung: Am 13. Mai 2014 ab 18.15 findet im Rahmen des Kolloquiums am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Eichstätt (Prof. Dr. Stefan Grüner) der hier bereits früher angekündigte Vortrag von Klaus Seidl statt. Das Plakat zu dieser Veranstaltung gibt es hier als PDF-Dokument.

Klaus Seidl hat uns das nachstehende Abstract zu seinem Vortrag zur Verfügung gestellt:

Haben die Preußen die Revolution niedergeschlagen? Eine Neuinterpretation der Reichsverfassungskampagne von 1849

Seit den 1970er Jahren hat sich die Revolutionsforschung zunehmend von langlebigen Mythen und Erklärungsmustern verabschiedet, die bis dahin scheinbar untrennbar mit dem Bild von 1848/49 verbunden waren. So ist kaum etwas von der einst prägenden Vorstellung übriggeblieben, 1848 habe eine gescheiterte „bürgerliche“ Revolution einen verhängnisvollen Scheidepunkt zum deutschen Sonderweg markiert. Anstelle derart eindimensionaler Erklärungen öffnete sich vielmehr der Blick auf die charakteristische „Komplexität von 1848“.

Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass in den meisten Überblickswerken die Reichsverfassungskampagne im Frühjahr 1849 vor allem an der militärischen Überlegenheit Preußens scheiterte. Tatsächlich reproduziert diese Interpretation jedoch unbewusst die preußische Selbststilisierung als „Drachentöter“ der Revolution und erschwert somit eine differenzierte Analyse des Revolutionsfinales. Demgegenüber liegt der Fokus des Vortrags nicht auf der militärischen Auseinandersetzung an sich, sondern auf den Bedingungen und Begründungen, die den „Kampf gegen die Revolution“ erst ermöglichten. Dadurch rückt zum einen die bislang weitgehend übersehene gesellschaftliche Basis der Gegenrevolution in den Blick. Zum anderen gewinnt aus dieser Perspektive auch die häufig unterschätzte Politik des Reichsverwesers und der Provisorischen Zentralgewalt an Kontur. Insgesamt soll dabei problematisiert werden, inwiefern oft implizite Vorannahmen unser Revolutionsverständnis noch immer bestimmen.

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/568

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Mario Glauert, Ausblick

Das Video zum Vortrag von Mario Glauert ist jetzt online!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

zum Schluss unserer Tagung nun keine „Twomplet“ (wie sie uns Alexander Ebel vorgestellt hat), sondern der Versuch eines kurzen Resümees und eines Ausblicks. Bei 25 Vorträgen aus 7 Ländern an zwei Tagen fällt es allerdings nicht leicht, einen roten Faden zu finden, zumal die Organisatoren bei der Planung eher eine rote Linie im Kopf haben mussten, da sie nicht alle Themen und Vorträge in das Programm aufnehmen konnten.

Mit dem Blick zurück auf die Tagung Offene Archive 2.0 im November 2012 in Speyer kann man wohl sagen, dass das Thema nun endgültig in der Community angekommen ist. Wir können es also mit Ingmar Koch halten, der im Twitterinterview vorab auf die Frage, ob das Web 2.0 Fluch oder Segen sei, antwortete: „Es ist egal, es ist da“.

Die großen Landesarchive haben sich des Themas ebenso angenommen, wie der „Archivar“ oder die BKK (wie von Ulrich Nieß gehört), die großen Portale vom Archivportal Europa (Silke Jagodzinski) bis zu Europeana (Neil Bates) oder das DFG-Pilotprojekt zur Digitalisierung (Teilprojekt des Landesarchivs Baden-Württemberg).

Die Verteidigungshaltung ist gewichen, Twitterer sind nicht mehr die „Angry Birds“ in den Archiven. Das Bewusstsein, dass sich die Archive in einem neuen Businessmodell (Kate Theimer) bewegen, hat sich in der Community etabliert, auch wenn Bastian Gillner uns wieder einmal gezeigt hat, dass sich in vielen Archiven die Arbeitsabläufe in den letzten 50 Jahren kaum verändert haben.

Das Thema Social Media ist in der Community angekommen. Aber ist es auch schon bei unseren Nutzern angekommen?

„Merken Sie eigentlich, dass Sie sich nur mit sich selbst unterhalten?“, hat uns Christoph Deeg gewohnt lebendig gefragt. Diese Frage ist nicht ganz unberechtigt. Ob wir uns untereinander Blogstöckchen zuwerfen (Tanja Praske) oder über offene Archive in geschlossenen Facebook-Gruppen (Angela Stilwell) diskutieren – schaut man sich die Blogs und Facebookauftritte an, gewinnt man schon den Eindruck, als ob wir uns dort vielfach tatsächlich vornehmlich mit Kolleginnen und Kollegen austauschen, viel weniger mit unseren Nutzern. Überhaupt finden sich zumeist wenig Kommentare oder Diskussionen, wie viele Referenten beklagt haben.

Das Thema ist in der Community angekommen und prompt war in den letzten beiden Tagen wiederholt der Ruf nach einer Strategie zu hören. Den Archiven fehlt zumeist eine digitale Gesamtstrategie, in der Social Media ein Baustein ist, aber sicher nicht der Einzige und vielleicht auch nicht der Erste. Wozu, so hat Bastian Gillner gefragt, dienen Social Media strategisch und festgestellt: „Neue Mediennutzung und Arbeitspraxis fremdeln noch miteinander“.

Die Frage des archivischen Nutzens rückte zunehmend nach vorn, die Frage vom Mehrwert der Mehrarbeit, die Social Media mit sich bringen. Es wurde gewissenhaft geprüft, welche Programme sich für welche Zwecke am besten eignen, und vor allem: Mit welchem Programm man die beste Wirkung erreicht: „It´s not about traffic, but it´s about reach“, hat uns Neil Bates erklärt. Die Maßstäbe für die Messung solcher Wirkungen wären aber wohl erst noch gemeinsam zu finden und abzustimmen.

Neben den beeindruckenden Vorstellungen der vielfältigen Social-Media-Aktivitäten aus Wien (Christoph Sonnlechner), Bilbao (Anabella Arahuentes Barroso) oder Polen (Anna Sobczak) war Crowdsourcing das beherrschende Thema unseres zweiten Tages, mit beachtlichen Ergebnissen auch aus Dänemark (Nanna Floor Clausen) und der Schweiz (Nicole Graf). „Think, think, think Images“ war hier der Appell von Neil Bates, wobei die vorgestellten Gaming-Elemente die Motivation zum Mitmachen sicher deutlich erhöhen können.

Aber Crowdsourcing oder auch „Adressed Sourcing“ (Karsten Kühnel) erfordert wie jede kollaborative Erschließung, das ist wohl ziemlich deutlich geworden, vor allem abgestimmte Normen und Standards. Ohne Editionsrichtlinien geht es nicht, denn es geht immer um Daten, die anschließend nachgenutzt, ausgewertet und geteilt werden sollen. TEI, Linked Open Data und Ontologien waren Begriffe, die in diesem Zusammenhang gefallen sind und die viele vorher vielleicht nicht kannten oder wohl nicht zuerst mit archivischen Social Media Projekten in Verbindung gebracht hätten. Es sind Begriffe aus der Dokumentations- und Informationswissenschaft und vielleicht gerät es nun zum Nachteil, dass die Archive diesen wichtigen Bereich ihres Faches lange aus dem Blick verloren hatten.

Auch für Twitter, Facebook und Co. sind Guidelines wichtig, interne Regeln für die externe Kommunikation. Und in vielen Verwaltungen endet das Archiv 2.0 noch an der Pressestelle 1.0. Und schließlich scheinen auch die rechtlichen Fragen der Nachnutzung von nutzergenierten Metadaten noch längst nicht ausreichend geklärt zu sein.

Das Bild, das mich in den beiden Tagen aber am nachdenklichsten gestimmt hat, waren die bunten Schlafsäcke in der ehrwürdigen Rotunde der US National Archives. Dieses Beispiel von Kate Theimer für die neue Mission der Archive hat mir noch einmal bewusst gemacht, dass die Offenen Archive unseres Tagungsbanners vor allem Archive der offenen Türen sein müssen. Das Offene Archiv 2.0 macht nicht nur seine Arbeitsweise über Facebook und Twitter sichtbar oder gibt seine Daten frei für semantische Verknüpfungen – es öffnet vor allem seine wirklichen Türen, agiert zuerst in der analogen Welt offen und einladend – und darf sich keinesfalls hinter Posts und Tweets verstecken.

Von Köln vielleicht einmal abgesehen, werden Archive in Deutschland auf längere Zeit vor allem noch analoge Archive sein, keine digitalen. Bitte lassen Sie uns daher bei aller Begeisterung für die Sozialen Medien nicht vergessen, dass die Kommunikation mit dem Nutzer auch, immer und zuerst im persönlichen Gespräch stattfinden muss.

Ich freue mich nun auf die Schlussdiskussion.

 

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/1663

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Schrift als Akteur – Expressionistische Zwischentitel in „Das Cabinet des Dr. Caligari“


Ein Beitrag von Caroline Lura

 

“Du musst Caligari werden”vier kleine Worte machtvoller Suggestion. Anfang des Jahres 1920 in Berlin konnte man sich ihnen kaum entziehen. An Litfaßsäulen, Reklamewänden, in U-Bahnhöfen – überall lachte sie einem entgegen: diese rätselhaft-mysteriöse Aufforderung in expressiver Gestaltung (Abb. 1).

Abb. 1: Kino-Anzeige (1920) zu “Das Cabinet des Dr. Caligari”
Entwurf v. Otto Arpke u. Erich Ludwig Stahl
Quelle: cinegraph.de

Schrift und Bild gelten ja generell eher als disparate Medien. Schrift fixiert, vornehmlich Sinn. Das Bild dagegen bannt Sinnlichkeit und – insbesondere als Film – Dynamik und Bewegung. Und während die Schrift ins Korsett normierter Buchstaben in ihrer linearen Anordnung geschnürt ist, erscheint das Bild in seinen Ausdrucksformen vollkommen frei.

Im Stummfilm finden sich die scheinbar konträren Medien vereint. In Form von Zwischentiteln tritt Schrift dabei meist sorgfältig getrennt von den bewegten Bildern auf. Als statischer Fremdkörper und Zäsur im Fluss der Bilder. Das Auge stolpert: Von der Verfolgung dynamisch sinnlicher Körper abrupt ins Lesen starrer Zeichenketten. Anders jedoch in „DAS CABINET DES DR. CALIGARI“ (1920, Regie: Robert Wiene). Neu und aufsehenerregend war neben der expressionistischen Gestaltung des Stummfilms vor allem auch sein innovativer Schrifteinsatz. Wie das Plakat zum Film bereits andeutet: Hier wird die Schrift zum Bild und das Bild zum Zeichen.

 

Technischer Vorspann: Zur Restaurierung

Fast 20 Jahre nach der letzten Restaurierung (1984) feiert “DAS CABINET DES DR. CALIGARI“ in der restaurierten Fassung der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung (Wiesbaden) und des Restaurierungslabors L’Immagine Ritrovata (Bologna) auf der BERLINALE 2014 Premiere. Die digitale Restaurierung in 4K-Auflösung greift einerseits auf das Kameranegativ aus dem Bundesarchiv-Filmarchiv in Berlin zurück und zieht andererseits alle erhaltenen historischen Kopien aus Filmarchiven weltweit heran.

Was die Zwischentitel anbetrifft, galt lange die 16-mm-Kopie der Deutschen Kinemathek als die einzige Überlieferungsquelle. Es stellte sich jedoch heraus: Das Kameranegativ enthält die meisten Titel als Blitztitel, was eine wesentlich verbesserte Ausgangslage im Vergleich zu den vorherigen Restaurierungen darstellte. Dem Kameranegativ entnommen, wurden die Blitztitel entsprechend ihrer Länge in der ausgefahrenen 16-mm-Kopie verlängert. Da dabei zunächst ein statisches Einzelbild entstand, wurde die Bewegung eines Filmstreifens, der durch einen Projektor läuft, im Nachhinein digital simuliert. Zudem wurde noch die Kornstruktur des Kameranegativs auf die Titel gelegt, sowie das leichte Dichteflackern.

Dynamisch dramatische Zwischentitel

Zusammen ergeben die Texte aus insgesamt 81 Schrifttafeln in „CALIGARI“ etwa eine viertel Stunde Lesezeit, was gemessen an der Gesamtlänge des Films knapp 20% des Filminhalts ausmacht. Besonders im ersten Teil – in der Entfaltung des Plots – wechseln Zwischentitel und Handlungsszenen einander häufig ab. Die Länge der Zwischentitel reicht von obskur-expressiven Einwortsätzen, wie z.B. „Nacht“, „Warten!!!“ und „Er₋ ₋ ₋“, bis hin zu längeren Texten, die, um sie vollständig lesen zu können, von unten nach oben als Rolltitel über die Leinwand laufen. Inhaltlich lassen sich 3 Arten von Zwischentiteln unterscheiden:

  1. Titel mit struktureller Funktion (z.B. Angaben zur Exposition wie „Nacht“, „Heimweg“, „Nach dem Begräbnis“ etc.),

  2. Titel in Form von Kommentaren (z.B. als narrative Erläuterungen wie „In dieser Nacht geschah das erste einer Kette geheimnisvoller Verbrechen“)

  3. Titel mit Dialogpartien

Die Dialog-Zwischentitel, die mit Abstand den größten Teil ausmachen, zeigen oft ein “verschriftlichtes Sprechen”: Gedankenstriche, angedeutete Sprechpausen (“…”), pseudophonetische Schreibweisen (“Herrrrrreinspaziert!”) – hiermit wird Mündlichkeit imitiert. Nur ein erstes Indiz für die angestrebte “Lebendigkeit” der Schriftzeichen in CALIGARI.

Weiteres Auszeichnungsmerkmal der Zwischentitel ist ihre markante graphische Gestaltung. Die Buchstaben in ihren gezackten, unruhigen Formen greifen den Stil der skurril-expressiven Gesamtgestaltung des Filmes auf: Die schräge, kantige Schrifttype entspricht den schiefen Hausfassaden der Setbauten, den aufgemalten Fluchtlinien und ruckartigen Bewegungsabläufen (Abb. 2).

 

Setbauten

Abb. 2: Cesare entführt Jane, Standfoto
(Quelle: Deutsches Filminstitut – DIF, Frankfurt am Main)

Zwischentitel

Abb. 3: Zwischentitel kurz vor Ende des V. Aktes
(Quelle: Wikimedia Commons)

Neben der expressiven Schrifttype fällt auch der Hintergrund der Texte ins Auge. Oft finden sich hier abstrakte Formelemente, die – dem Designansatz der Buchstaben folgend – die Aufmerksamkeit auf die Materialität der Zwischentitel lenken (Abb. 3). Damit steht dann nicht mehr nur die semantische Funktion, sondern auch die sinnlich-materielle Qualität der Zeichen und Formen im Fokus der Wahrnehmung, sodass es den Zwischentiteln gelingt, auch jenseits der Vorstellungsebene der Wörter eine spannungsgeladene und anregende Stimmung zu vermitteln.

Schrift und Bild konvergieren– zum einen in den Schriftzeichen, die zum expressiven Bild werden, zum anderen indem Hintergrund und Schrifttype miteinander korrespondieren und eine bildhafte Wahrnehmung über den wörtlichen Informationsgehalt hinaus stimulieren.

Hinzu kommt noch ein weiteres, spontan eingesetztes Betonungsmittel: ein Flackern des bemalten Hintergrunds. Vor allem bei längeren Zwischentiteln wird dieser Lichteffekt eingesetzt, um den im Vergleich zum szenischen Bild wenig bewegten Zwischentiteln Dynamik und Dramatik zu verleihen – sprich: den Effekt filmischer Bewegung zu simulieren.

Die Zwischentitel in „CALIGARI“ kommunizieren somit auf allen drei medialen Ebenen: schriftlich, bildlich und bewegt-bildlich (filmisch).

 

“Angehende Schriftzeichen” – Fusion von Text und Filmbild

Höhepunkt der Schrift-Bild-Konvergenz – und mit eine der wichtigsten Szenen im Film – ist die mittels eines „Stopptricks“ realisierte Sequenz, in der der Direktor der Irrenanstalt (a.k.a. Dr. Caligari) von seinen Wahnvorstellungen in Form der Schriftzüge “Du musst Caligari werden” geradezu körperlich verfolgt wird.

 

Video: Du musst Caligari werden – Sequenz

(Quelle: Imaginations – Journal of cross-cultural image studies)

Überall sieht er sie projiziert, und wie die Hebel einer Schreibmaschine fallen die Wörter auf den Direktor ein, treiben ihn vor sich her. „Du musst Caligari werden“ – buchstäbliche Prägung in Form animiert-agierender Schriftzeichen. Zunächst im nächtlichen Himmel, dann auf der Außenwand seiner Villa und der Verästelung des Baumes davor; und schließlich verteilt sich im Vordergrund des Bildes der Name „Caligari“ in einer Art scripturalem Crescendo, an dessem Ende dem Direktor seine neue Identität im wahrsten Sinne des Wortes eingeschrieben wird. Die „Caligariwerdung“ des Anstaltleiters erzeugt eine Fusion von Schrift und Bewegungsbild, die in der Filmgeschichte ihresgleichen sucht.

 

Weiterführende Literatur:

  • Christoph Kleinschmidt: Intermaterialität – Zum Verhältnis von Schrift, Bild, Film und Bühne im Expressionismus, transcript Verlag, Bielefeld, 2012

  • Ulrich Johannes eil: Der caligarische Imperativ. Schrift und Bild im Stummfilm, Pandaemonium ger. no.14 São Paulo 2009, online: http://www.scielo.br/scielo.php?script=sci_arttext&pid=S1982-88372009000100002

  • Rudolf Kurtz: Expressionismus und Film (1926), Nachdruck der Ausgabe hrsg. v Christian Kiening, Ulrich Johannes Beil, Chronos Verlag, Zürich, 2007

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: http://filmeditio.hypotheses.org/211

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Dissonanzenjäger früher und heute: Warum die Neue Musik nicht gut ankommt

Es ist eine 100 Jahre alte Frage, die man auch heute noch bei den Pausengesprächen der Abonnement-Konzerte hören kann: Ist die verbreitete ablehnende Haltung gegenüber Neuer Musik grundsätzlich nichts anderes als etwa die Ablehnung von Beethovens späten Werken durch seine Zeitgenossen oder haben wir es mit einer wesentlich anderen Form der Unverständlichkeit zu tun? Wenn Mathias Spahlinger bei der Uraufführung seines Cellokonzertes im Münchner Herkulessaal (im Januar 2013) ausgebuht wird, müssen wir dann an Richard Wagner denken, wie er 1861 für seinen Tannhäuser in Paris ausgepfiffen wurde, der heute auf den Spielplänen nicht mehr wegzudenken ist?

Es ist eine schwierige und komplexe Frage, die auch in der Nachkriegszeit aktuell war. Nach 1945 musste das Musikleben der Bundesrepublik neu gestaltet werden. Die Musik der österreichisch-deutschen Tradition war politisch belastet, die Neue Musik war von den Nazis als entartet gebrandmarkt und von den Konzertprogrammen verbannt worden. Viele bezeichneten die Neue Musik auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges als inhuman und „biologisch minderwertig“ (siehe Blogpost vom 22. April 2014), andere sahen in ihr den einzig möglichen künstlerischen Anknüpfungspunkt nach der Katastrophe. Im Folgenden möchte ich zwei unterschiedliche Antworten auf die oben gestellte Frage aus den 1950er Jahren vorstellen: die erste von Hans Heinz Stuckenschmidt (1952), einem der bedeutendsten Musikkritiker des 20. Jahrhunderts, die zweite von Julius Ahlhorn (1950).

Hans Heinz Stuckenschmidt erklärt, dass die Argumente, die gegen die Neue Musik ins Feld geführt werden, historisch vor die Moderne zurückreichen. Er stellt fest, „daß Melodielosigkeit zu seinen Lebzeiten auch Mozart vorgeworfen wurde, daß man Beethoven als Dissonanzenjäger und nach der Uraufführung der Siebenten Symphonie als reif fürs Irrenhaus hinstellte, daß Wagners Musik als unlogisch, spannungslos und formzersetzend, die Brahmssche als depressiv und konstruiert galt.“1 Stuckenschmidt versucht, die Begründungen der Gegner der Neuen Musik zu schwächen, indem er zeigt, dass eben diese Argumente schon gegen die großen Komponisten der abendländischen Tradition verwendet wurden. Die Neue Musik, so wird stillschweigend impliziert, führe diese große Tradition fort. Dass die Zahl der Befürworter der zeitgenössischen Musik im Vergleich zu früheren Zeiten geschrumpft ist, verweise auf ein außermusikalisches Problem: „Sie [die Klage um den Hörerverlust] hat einen tiefen Sinn, denn sie öffnet den Blick auf eines der ernstesten Probleme der Gegenwart überhaupt. Auf die zunehmende Isolierung und Entfremdung des Spezialisten in der modernen Gesellschaft […].“2 Ähnlich wie Theodor W. Adorno sieht Stuckenschmidt die Kunst als ein Medium an, in dem sich Probleme der Gesellschaft ausdrücken und widerspiegeln.

Julius Ahlhorn würde Stuckenschmidt in einem wesentlichen Punkt widersprechen: Es seien bloß Ausnahmen gewesen, wenn im 19. Jahrhundert Werke von Zeitgenossen als zu neu und unschön verworfen wurden. „Nie aber – und das ist nun das Entscheidende – lehnte man sich gegen eine Musik auf, weil sie modern‘, ‚zeitgenössisch‘ war, niemals hat es einen Gegensatz gegeben wie den uns so geläufigen zwischen sogenannter ‚klassischer‘ und sogenannter ‚moderner‘ Musik. Es ist unschwer zu erkennen, wie schief das Argument von der zeitgenössischen Musik, die zu allen Zeiten zunächst auf Ablehnung gestoßen sei, im Lichte der Tatsachen erscheint.“3 Dass es sich um ein Novum handelt, so Ahlhorn, sei sichtbar in der heutigen, zuvor nie dagewesenen „Kampfstellung“4 zwischen Vertretern der klassischen und der modernen Musik.

Ein Blick auf die (deutsche) Musikforschung – ich erlaube mir diese Bemerkung – bestätigt den von Ahlhorn beschriebenen Gegensatz. Es gibt einige Musikwissenschaftler, die sich mit Enthusiasmus mit zeitgenössischer Musik beschäftigen (ebenso wie mit der Musik anderer Jahrhunderte). Es gibt aber auch eine Gruppe von Forschern, die eine ablehnende Haltung gegenüber Neuer und zeitgenössischer Musik pflegen – oft ohne sich zuvor wissenschaftlich-objektiv mit ihr auseinandergesetzt zu haben. Hier zementieren Wissenschaftler eine Spaltung zwischen Musik, die heute entsteht, und Musik der Vergangenheit: eine Spaltung, die durchaus hinterfragt werden kann (und sollte) und beispielsweise in der Verwertung durch die Populärkultur weniger strikt besteht (ich denke hier an Filmmusik).

Wie erklärt Julius Ahlhorn nun die Ablehnung gegenüber Neuer Musik? Ausgehend davon, dass Kunst immer „lebendiger Ausdruck ihrer Zeit“ sei, kommt er zu dem Schluss: „[...] die neue Musik wird deshalb vom breiten, aber sogenannten gebildeten Publikum abgelehnt, weil es Angst vor dem Leben hat, Angst vor unserer heutigen Zeit und ihren bestürzenden Erscheinungen, Angst vor dem Untergang eines Zeitalters, das man das gutbürgerliche nennen könnte.“5 – Ist es ein Sich-nicht-einlassen-können auf die zeitgenössische Kultur, das Vorurteile und Ablehnung gegenüber moderner Musik evoziert? Wie dem auch sein mag, in einer Sache stimme ich Ahlhorn zu: Die heute entstehende Musik ist lebendiger Ausdruck unserer Zeit. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihr verrät uns nicht nur viel über die heutige Kunstproduktion, sondern auch über den heutigen Menschen und sein Verhältnis zu unserer Gesellschaft.

1Hans Heinz Stuckenschmidt, „Die unbedeutende Minderheit“, in: Melos 19 (1952), S. 130.

2Ebd., S. 134.

3Julius Ahlhorn, „Angst vor dem Leben – Angst vor moderner Musik“, in: Melos 17 (1950), S. 274.

4Ebd.

5Ebd., S. 275.

Quelle: http://avantmusic.hypotheses.org/90

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Es lebt sich so schön fremdbestimmt

malewitsch-suprematismusEin Beitrag zur Blogparade „Human Resources / Fremd- Selbstbestimmung in unserer Arbeitswelt“ des Lenbachhauses.

Leben Sie selbstbestimmt? Oder würden Sie Ihr Leben und Arbeiten als fremdbestimmt bezeichnen?

Für alle, die Selbstbestimmung für sich in Anspruch nehmen, wage ich zu behaupten, dass ihr Leben und ihre Arbeit zu einem unvermutet großen Teil fremdbestimmt sind. Wie das?

Thomas Sattelberger, Arbeitsexperte, sagt in einem sehr aufschlussreichen und sehr lesenswerten Interview: „Wenn heutzutage über Mitarbeiter in Unternehmen geredet wird, wird immer noch von „Personalkörper“ gesprochen, von „Belegschaften“ oder „Beschäftigten“, allesamt so schreckliche Passivkonstruktionen…“.

Er gibt zu bedenken, dass wir an Formulierungen wie „er wird beschäftigt“ oder „ er nimmt sich Arbeit“ gewöhnt sind. Dabei sollten wir doch einmal darüber nachdenken, dass der Mensch seine Arbeitskraft gibt. Sein Wissen zur Verfügung stellt. Das ist eine weitaus aktivere Sichtweise auf Mitarbeiter.

Hier möchte ich auf die Individualpsychologie nach Alfred Adler hinweisen. Für Adler ist der Menschen ein Individuum und unteilbares Ganzes. Er sieht Denken, Fühlen und Handeln als Einheit (im Gegensatz zu Freud, bei dem sich Teile der Persönlichkeit eines Menschen gegenseitig bekämpfen). Ganz zentral ist bei Adler die Aussage, dass ich als Mensch für mein Handeln eigenverantwortlich bin. Ich kann mein Denken, Fühlen und Handeln ändern. Ich muss mich nicht als Spielball fühlen. Ich muss nicht unter ungünstigen Arbeitsbedingungen leiden. Ich muss nicht meine Kinder schlagen. Ich muss nicht meine Mitarbeiter zusammenbrüllen. Ich muss nicht unter einem neurotischen Chef leiden. Ich muss nicht stehlen….

„Was??“ fragen Sie vielleicht. „Aber die äußeren Umstände! In dieser Situation kann man nicht anders!“

Wirklich nicht?

Es ist doch sehr leicht, Verantwortung auf andere zu schieben: „Sie reizen mich…sie sind dumm … die anderen haben Schuld“. Argumentationen dieser Art sind uns so vertraut, dass wir sie nicht anzweifeln, sondern schon eher den Gedanken ungeheuerlich finden, wonach wir selbst verantwortlich für unser Denken, Fühlen und Handeln sind: für unseren Ärger, Wut, Verzweiflung, Angst, Einsamkeit, Hilflosigkeit usw.

Da kommen ein paar Prinzipien sehr gelegen: „… das ist halt so…das wurde schon immer so gemacht“. Aber wer darin denkt, „wird gedacht“. Da sind wir wieder im Passiv. Aktiv wäre: etwas zu hinterfragen oder in Zweifel zu ziehen. Selbst denken: Da beginnen Selbstverantwortung und Selbstbestimmung. Da beginnt Veränderung. Da beginnt Sinn.

Und wo Sinn ist, haben Chaos und Irritation, Auslöser für psychische Probleme und Burnout, keinen Platz. Unter diesen Auswirkungen leiden die Menschen zunehmend und besonders der Begriff des Burnouts ist in letzter Zeit häufig in den Medien zu finden. Wie bereits erwähnt: dem ist niemand ausgeliefert. Selbst denken und für sich Verantwortung zu übernehmen sind wichtige Schritte für ein selbstbestimmtes Leben und Arbeiten. Die Kernaussage meines Beitrags zu dieser Blogparade möchte ich in dem Satz zusammenfassen:

„Ich bin selbstverantwortlich für ein selbstbestimmtes Leben und Arbeiten.“

 

Bild: “Suprematismus”, von Kasimir Malewitsch, 1915, St. Petersburg / Russisches Museum. Digitale Quelle: www.artigo.org

Quelle: http://games.hypotheses.org/1643

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Bücher reisen.

Handschrift.schäfer.2

Vor einiger Zeit drückte mir ein Kollege zwei in Leder gebundene alte Oktavs in die Hand. Etwas für die Bibliothek? Keine Ahnung, keine Stempel, keine Besitzervermerke. Woher stammen die Stücke? Aus einem Karton neben der Sporthalle, ich habe aufgeräumt. – Gymnasialbibliotheken sind Teil der Schule. Was tun mit solchen Gaben? Anschauen und recherchieren.

Das eine Bändchen enthält ein Traktat des Augustinus von Hippo (354-430) in der Fassung von Justus Baronius (geboren um 1570), herausgegeben vom Neffen und Protegé des Fürstbischofs  Emmerich von Breidbach zu Bürresheim (1707-1774), Karl Wilhelm Joseph von Breidbach zu Bürresheim, gedruckt in Mainz 1764. Das andere enthält die Handschrift eines Benediktiners “di San Benedetto su’l monte di San Pietro”, eine Sammlung von Gebeten und frommen Sentenzen in italienischer und lateinischer Sprache, “a’o 1717 ai vinti tre da Agosto”, vom 23. August 1717.

Handschrift.schäfer.3

Das lateinische Traktat “D. Aurelii Augustini”  mit der gewaltigen Editorennotiz des Fürstbischofsneffen fand ich langweilig. Interessanter war die Handschrift des italienischen Benediktiners, denn sie enthält Einträge. Auf dem vorderen Einbandspiegel und auf dem eng beschriebenen vorderen Vorsatz ist eine Reihe von Ortsnamen eingetragen, die sich durch einen schmalen, hinten angebundenen und nicht datierten Druck erklären, ein “Verzeichnüß der Posten und Botten/wann solche in Nürnberg/Franckfurt am Mayn und Leipzig ankommen/und ablauffen” – einen Fahrplan für Reisende und Postwillige. Nimmt man die handschriftlichen Einträge im vorderen Einbandspiegel und auf dem Vorsatz für wahr, ist der italienische Benediktiner, wer immer er war, ganz schön weit herumgekommen, aus welchem Grund auch immer; er wird seine persönlichen “Litaniae” wohl häufiger hat wiederholen müssen. In den Einbandspiegel des Rückdeckels zeichnete der Reisende einen Herrn in flotter Uniform.

Ich stempelte die beiden Bändchen nicht, sondern schickte eine Mail mit einem Scan an meinen Vorgänger. Er schlug umgehend Alarm: nicht stempeln! Die beiden Stücke, so mein Vorgänger, gehörten einem unterdessen pensionierten Kollegen, der sie privat erworben, ihm dermaleinst zur Begutachtung vorgelegt und die er längst zurückgegeben habe. Ich leite die Bibliothek seit 2004. Welche Reise die beiden Bändchen im Laufe von zehn Jahren in der Anstalt vollzogen haben mögen, kann mir vielleicht ihr Besitzer erhellen, wenn ich ihm die Exemplare demnächst zurückgeben werde.

Bücher reisen. Nicht nur provinziell-dörflich wie in meiner Anstalt, sondern auch großräumig-global, zum Beispiel durch Erbschaften und Verkäufe derselben. Provenienz- und Einbandforschung können die Wege nachweisen. Die Wege sind aber nur dann nachvollziehbar, wenn die Bücher einen Ort haben. Das ist wie im Leben, das ebenso fragil und flüchtig ist wie eine liebevoll betitelte Reisezehrung fürs Seelenheil eines unbekannten italienischen Benediktiners zu Beginn des 18. Jahrhunderts, der sich die ulkige Uniform des winkenden Zeitgenossen in die Erinnerung zeichnete.

Quelle: http://histgymbib.hypotheses.org/106

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Neuerscheinung: Melk in der barocken Gelehrtenrepublik

Als zweiter Band in der von P. Gottfried Glaßner für das Stift Melk herausgegebenen Reihe „Thesaurus Mellicensis“, die der wissenschaftlichen Publikation von Quellen und Forschungsergebnissen aus den reichen Bibliotheks- und Archivbeständen des Klosters gewidmet ist, liegt nun vor: Melk in der barocken Gelehrtenrepublik. Die Brüder Bernhard und Hieronymus Pez, ihre Forschungen und Netzwerke, hg. von Cornelia FAUSTMANN–Gottfried GLASSNER–Thomas WALLNIG (Thesaurus Mellicensis 2, Melk 2014). Die MitarbeiterInnen des Wiener START-Projekts „Monastische Aufklärung und die benediktinische Gelehrtenrepublik“ sowie weitere ForscherInnen bieten hier in kurzen Beiträgen, von […]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/7072

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“In dem Moment, in dem sich Botschaften und Botschaftler in die sozialen Netzwerke begeben, verändert sich ihre Rolle.”

Drei Science Reporter, Luisa Pischtschan, Helena Kaschel und Michael Schmalenstroer, haben unser Weber World Café begleitet.

In seinem Blogbeitrag zum World Café setzt sich Michael Schmalenstroer mit der Problematik des Astroturfings und der Bedeutung des Zugangs zu einem öffentlichen und wirklich freien Meinungsdiskurs in sozialen Netzwerken auseinander. Den vollständigen Artikel finden Sie hier.

Die Beiträge der anderen Science Reporter folgen bald.

Quelle: http://wwc.hypotheses.org/137

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Offene Archive – Offene Archivare?

Am 3. und 4. April 2014 fand im Hauptstaatsarchiv Stuttgart die Tagung „Offene Archive 2.1 – Social media im deutschen Sprachraum und im internationalen Kontext“ statt. Doch eigentlich begann die Tagung schon früher. Auf dem (nicht nur) Tagungsblog http://archive20.hypotheses.org wurden vorab einige Abstracts der einzelnen Vorträge sowie einige Lebensläufe der Referenten bereitgestellt. Begleitend wurden über Twitter Interviews mit einigen der Referenten geführt.

Ein großes Dankeschön gilt dem Organisationsteam: Dr. Andreas Neuburger und Christina Wolf (Landesarchiv Baden-Württemberg), Dr. Joachim Kemper und Elisabeth Steiger (Stadtarchiv Speyer/ICARUS) und Thomas Wolf (Kreisarchiv Siegen-Wittgenstein).

Ca. 120 Teilnehmer waren nach Stuttgart gekommen. Doch es gab auch Teilnehmer, die nicht vor Ort waren. Sämtliche Vorträge und die sich anschließenden Diskussionen wurden per Livestream übertragen. Die im Tagungsraum installierte Twitterwall ermöglichte es den Teilnehmern vor Ort und zu Hause Gedanken mit einzubringen und sich parallel zu den Vorträgen auszutauschen. Smartphone und Netbook waren dementsprechend nicht nur geduldet, sondern auch willkommen. Das zu diesem Zwecke angebotene WLAN funktionierte allerdings nur bedingt.

Offen für Nutzer

Die Keynote hielt Kate Theimer. Das alte Modell, in dem Wissenschaftler das Archiv zwangsläufig aufsuchten und diese von Archivarinnen und Archivaren als primäre – ja wenn nicht gar einzig relevante – Nutzergruppe betrachtet wurden, trüge nicht mehr. Archive stünden zunehmend in einem gewissen Wettbewerb mit anderen Einrichtungen. Charakteristisch sei dabei – überspitzt formuliert – der Gedanke „If it’s not online I’m going to write about something else.“ Gewissermaßen unbeachtet blieben andere Nutzergruppen. Auch und gerade um diese sollten sich Archive bemühen. Theimers Gedanke eines „business model of archives“ stellt nicht mehr die Akten und die Informationen in den Mittelpunkt, sondern die Nutzer. Sich auf die Interessen und Fragestellungen einer breiten Nutzergruppe einzustellen und diese zu bedienen, ja die Nutzer förmlich auf das Archiv als Quelle zu stoßen sei der Weg, den es zu beschreiten gelte.

Doch Theimer blieb bei ihren Ausführungen über ein offenes Archiv nicht in der digitalen Welt hängen. Dass Archive auch analog und im direkten persönlichen Kontakt offen sein sollten und vor allem auch sein können, illustrierte Theimer durch ein Foto einer Art Pyjama-Party im Archiv.

Offen für Anregungen

Die Nachmittagssektion des ersten Tages bot den Tagungsteilnehmern vor allem Anregungen aus Bereichen, die (noch) nicht zwingend auf Anhieb mit der Archivwelt assoziiert werden. Gerade auf diesen Punkt machte Christoph Deeg aufmerksam. Deeg, der sich auf erfrischende Art und Weise für das Thema Gaming bzw. Gamification stark machte, wies deutlich darauf hin, dass eine Tagung, auf der nur Archivare mit Archivaren sprächen, wenig förderlich sei. Wir brauchen Einflüsse und Anregungen von außen. Nicht zuletzt auch von unsern Nutzern und potentiellen Nutzern. Provokant forderte Deeg auf, den nächsten Archivtag nicht zu besuchen, sollten dort keine Spielekonsolen aufgestellt werden. Käme die Archivwelt diesem Zuruf nach, so wäre der nächste Deutsche Archivtag sicherlich eine übersichtliche Veranstaltung.

Die Vorträge von Christoph Deeg und Marcus Bösch plädierten für die Nutzung des Spieltriebs. Das heißt nicht anderes als – um es mit Eugen Oker zu sagen – dem homo ludens eine Gasse direkt ins Archiv zu schlagen. Spielerische Elemente könnten nicht nur ein Motivator zur Archivnutzung sein, sondern auch die Einbindung der Nutzer in archvarische Tätigkeiten fördern, wie z.B. im Bereich Crowdsourcing.

Dass Archive in der Nutzung von Web2.0-Plattformen und -Möglichkeiten hinter anderen Bereichen bisher zurück bleiben zeigten die Beiträge von Tanja Praske und Alexander Ebel. Praske konnte aufzeigen, dass der Blog als wichtiges Kommunikationsmittel für Museen durchweg eine Erfolgsgeschichte ist. Ebel hingegen stellte die Nutzung von social media in der kirchlichen Arbeit vor: Von der digitalen Begleitung des Konfirmandenunterrichts über gemeinsame Gebete auf Twitter bis hin zu einer Twitterwall im Gottesdienst. Wenn die Museen ihre Arbeit und ihre Themen transparent via Blog präsentieren, warum dann nicht auch Archive? Wenn sogar im Gottesdienst eine Twitterwall steht und Konfirmaden mit Flickr arbeiten, warum dann nicht auch Archive?

Offen für Versuche

Dass solche Anregungen wertvoll und nötig sind, zeigte besonders deutlich Bastian Gillner. Er führte den Teilnehmern vor Augen, dass sich die konkreten archivarischen Arbeitsabläufe in den letzten Jahrzehnten kaum bis gar nicht verändert hätten und dies trotz völlig anderer Vorzeichen und Bedingungen. Zu diesen gehöre auch das Web2.0. Der Diskurs sei noch nicht wirklich in der Fachdiskussion angekommen, so Gillner. Einen goldenen Weg gibt es (noch?) nicht. Web2.0 lernt man nur durch Nutzung von Web2.0. Dazu gehört das Experimentieren; mit Erfolgen als auch mit Sackgassen als Ergebnis.

Offen für Vorbilder

Der zweite Tagungstag wurde eingeleitet durch Vorträge von Kolleginnen und Kollegen aus unseren Nachbarländern. Dabei stellte sich heraus, dass die Diskussion, wie sie im deutschen Archivwesen langsam zunehmend geführt wird, insbesondere in den Niederlanden und Dänemark etwas auf Unverständnis stößt. Die Vorbehalte und Bedenken bezüglich des Einsatzes von social media, die auch in den Diskussionen auf der Tagung hervortraten, scheinen bei unseren Nachbarn nur eine geringe Rolle zu spielen. Die Präsenz von Archiven und Archivmitarbeitern auf Plattformen wie Facebook, Twitter, Flickr oder Pinterest ist stärker und selbstverständlicher als Deutschland der Fall. Eben diese Selbstverständlichkeit fehlt im deutschen Archivwesen.

Offen für die Crowd

Das Thema Crowdsourcing nahm einen Großteil der Tagung ein. Die Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Archivsparten stellten dabei ihre Projekte vor. Bei diesen werden Nutzer vor allem in die Erschließungsarbeit mit einbezogen. So können sie beispielsweise helfen Fotos zu identifizieren und Texte zu transkribieren. Zwei Arbeitsfelder für die den Archiven zum einen oft die Gelder und zum anderen oft das Knowhow fehlen. Archive profitieren dabei jedoch nicht nur vom Input der Nutzer. Verwenden Archive hierfür u.a. stark frequentierte social media Plattformen, so ziehen sie auch ein erhebliches Maß an Aufmerksamkeit auf sich.

Offene Archivare

Dass das Web2.0 und insbesondere social media fester Bestandteil der Kommunikations- und Informationskultur unserer Zeit sind, blieb unbestritten. Allerdings gab es Vorbehalte ob der Sorge, dass nun alles ins Digitale dränge und dabei alles Analoge und Persönliche nun abgeschrieben werden solle. Mehrfach wurde jedoch darauf hingewiesen, dass der Weg in das Web2.0 eine Ergänzung, keine Ablösung sei.

Noch immer gibt es auf diesem Weg einige Hindernisse, auch wenn schon ein gutes Stück des Weges gemacht ist. Noch immer halten sich insbesondere gegenüber social media Vorurteile: Zu viel Zeitaufwand, zu wenig Resonanz, zu viel unwichtige Informationen. Dem gegenüber stehen jedoch die entsprechenden Erfahrungswerte, die zeigen, dass der Einsatz von social media mit einem überschaubaren Zeitaufwand durchaus Früchte trägt. Voraussetzung dafür ist zweifelsohne das Begreifen von social media als Kommunikationsform und das beinhaltet auch „Belanglosigkeiten“ gewissermaßen als Trägermaße für die Information, die Botschaft. Social media ist vor allem eine Frage der Einstellung.

Die Evaluierung ist jedoch nicht leicht. Zwar gibt es unzählige Möglichkeiten des Monitorings, doch lässt sich mit solchen Tools die Frage, ob beispielsweise eine Archiv-Facebook-Seite an sich erfolgreich ist, kaum beantworten. Erfolg bemisst sich nicht nur an Followern und Kommentaren. Wie Neil Bates in seinem Vortrag sagte: „It’s not about traffic. It’s about reach.“

Der Schwarze Peter darf jedoch nicht einfach den Archiven, die in diesem Feld nicht aktiv sind zu geschoben werden. Mehrere Teilnehmer vor Ort und über Twitter wiesen auf die Schwierigkeiten hin, ein entsprechendes Engagement innerhalb der Verwaltung durchzusetzen. Die sich hier anschließenden Fragen und Lösungswege wurden leider nicht erörtert.

Offen in die Zukunft

Folgende Ergebnisse der Tagung haben sich m.E. herauskristallisiert:

  • Archivarinnen und Archivare sollten den Nutzer in den Mittelpunkt stellen.
  • Archivarinnen und Archivare sollten den Dialog mit dem Nutzer suchen.
  • Archivarinnen und Archivare sollten den Dialog auch mit Kreisen außerhalb des Archivwesens suchen.
  • Archivarinnen und Archivare sollten ihre Archive öffnen; analog wie digital, wobei keines der beiden das jeweils andere ausschließt.
  • Archivarinnen und Archivare sollten sich trauen social media zu nutzen und damit zu experimentieren.

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/1658

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