Thomas Maissen (Paris), Die Bedeutung der christlichen Bildsprache für die Legitimation frühneuzeitlicher Staatlichkeit

Introduction

Die Entwicklung des Toleranzkonzepts und die Ausbreitung der Religionsfreiheit erfolgten im Rahmen des modernen Staats und als eine seiner Hauptleistungen: der Schutz individueller Rechte gegen kollektive Überzeugungen, selbst wenn es diejenigen der staatstragenden Bevölkerungsmehrheit sind. Um dies zu gewährleisten, mussten sich unterschiedliche Punktionssysteme herausdifferenzieren, Religion und Politik. Wohl konzentrierte Letztere einerseits die Gestaltungsvollmacht für die Rechtsordnung exklusiv
bei Staatsdienern, die sich aber – andererseits – idealerweise Unparteilichkeit in der religiösen Sphäre auferlegten. Diese etwa in Lackes Epistola de tolerantia (1689) greifbare Trennung der Zuständigkeiten und der damit postulierte konfessionsneutrale Staat selbst waren allerdings ihrerseits auch erst das Ergebnis eines längeren Prozesses. An dessen Anfang stand dieselbe enge Verschränkung von spirituellen und politischen Gewalten und Funktionen, wie sie weltweit für vormoderne Zivilisationen typisch war, in denen das Wort «Religion» erst als missionarischer Import ein nur durch diese Begriffssetzung definiertes Funktionssystem eigener Qualität schuf.

Dieses folgende Kapitel beschreibt die  frühneuzeitliche Transformation des Politischen als Herausbildung des staatlichen Gewaltmonopols und insbesondere dessen Erörterung und Legitimation in den zeitgenössischen Bildmedien. An diesen wird illustriert, wie der Bruch mit der  bestehenden politischen Semantik, selbst wenn er in den Konsequenzen radikal war, sich der herkömmlichen (Bild-)Sprache bediente, um plausibel vermittelt und legitimiert zu werden. In der vormodernen Konstellation war dies die christliche Sprache und Symbolik.

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Quelle: https://vwm.hypotheses.org/491

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“Ordonnance du Roi, concernant les Gardes Nationales du Royaume” (16.7.1814): die Reform der französischen Nationalgarde durch Ludwig XVIII.

Archives nationales, F9 359 (affaires militaires, garde nationale : Première Restauration), 16.7.1814:

« Ordonnance du Roi, concernant les Gardes Nationales du Royaume:

Louis, par la grâce de Dieu, Roi de France et de Navarre, à tous ceux qui ces présente verront, Salut:
Sur le rapport de Notre Ministre Secrétaire d’Etat au Département de l’Intérieur;
De l’avis de Notre bien-aimé Frère MONSIEUR, Comte d’Artois, Colonel-Général des Gardes nationales du Royaume;
Vu l’arrêté du gouvernement provisoire du 4 avril, et notre Ordonnance du 31 mai, qui licencient les levées en masse, les bataillons de nouvelles levées et les compagnies de réserve départementale;
Vu les dispositions des lois et décrets en vigueur sur les Gardes nationales;

Nous avons ordonné et ordonnons ce qui suit:

Art. 1er. Les Gardes nationales du Royaume sont toutes sédentaires et divisées en Gardes urbaines et rurales, composées, les premières, des cohortes formées dans les villes ; les secondes, des cohortes formées dans les campagnes. Aucune Garde urbaine ne pourra être déplacée de la ville, et aucune Garde rurale ne pourra être déplacée du canton, que pour les cas et dans les formes qui seront déterminés par une loi.

Art. 2. Les Gardes nationales, en ce qui concerne la simple exécution des lois et réglemens [sic] sur le personnel, le service ordinaire, l’instruction et la discipline dans le service, ressortiront à notre bien-aimé Frère, MONSIEUR, Comte d’Artois, Colonel-Général, qui statuera sur les objets autres que ceux qui exigent notre décision, et qui continueront de nous être soumis par lui, ou, d’après ses ordres, par le Ministre d’Etat Major, Général.

Art. 3. Les Gardes nationales, en ce qui concerne la simple exécution des lois sur la formation des listes, la comptabilité, et sur les réquisitions de service extraordinaire, en cas de trouble ou à défaut de garnisons, continueront de ressortir aux Maires, Sous-Préfets et Préfets, et à Notre Ministre Secrétaire d’Etat au Département de l’Intérieur, sauf communication au Ministre d’Etat Major-Général.

Art. 4. Les projets de lois, d’ordonnances et de réglemens [sic] généraux seront préparés par le Ministre d’Etat Major-Général, soumis à l’acceptation du Prince Colonel-Général, et remis à Notre Ministre Secrétaire d’Etat au Département de l’Intérieur, pour être, s’il y a lieu et suivant leur nature, approuvés par Nous en notre Conseil, ou présentés au Corps Législatif.
Les projets sur lesquels Notre Ministre Secrétaire d’Etat au Département de l’Intérieur aurait cru devoir prendre l’initiative, seront, par lui, communiqués au Ministre d’Etat Major-Général, qui les soumettra au Prince Colonel-Général, et les remettra à Notre dit Ministre avec ses observations.

Art. 5. Notre Ministre Secrétaire d’Etat au Département de l’Intérieur est chargé de l’exécution des présentes.

Paris, le 16 juillet 1814,

Signé Louis. »

 

Zur Quelle:

Die Quelle stellt eine königliche Verordnung Ludwigs XVIII. vom 16.7.1814 zur Organisation der französischen Nationalgarde dar. Sie ist Teil eines umfangreichen Bestimmungswerkes, mit der der König die französische Nationalgarde zu reformieren gedachte. Eine frühere Verordnung vom 5.4.1814 ordnete die Aufstellung der Nationalgarde an. Am 15.5.1814 wurde der Bruder des Königs, der Comte d’Artois (in der Quelle als „Monsieur“ geführt) zum Generaloberst der Nationalgarden im gesamten Königreich ernannt. Am 20.8.1814 und 1.10.1814 folgten weitere Verordnungen des Generalstabs der Nationalgarde, welche die Organisation noch verfeinerten.

Die vorliegende Verordnung hielt das Gesetz zur Nationalgarde von 1791 und zentrale Bestimmungen des Kaiserreichs mit dem Verweis auf die neue Charte Constitutionnelle und der darin verankerten Garantie bestehender Gesetze aufrecht. Somit war der Rahmen vorgegeben, in dem Ludwig 1814 die Reorganisation der Nationalgarde unternahm. So legte Artikel 1 der vorliegenden Verordnung fest, dass jede Nationalgarde im Königreich ortsgebunden sein sollte. Das bedeutete, dass ein Einsatz der Garde außerhalb der jeweiligen Stadt oder des jeweiligen Kantons nur in Ausnahmefällen möglich war. Diese Bestimmung stellte eine Ergänzung zur Auflösung der sogenannten „garde nationale mobile“ dar, die Napoleon während der Vorbereitungen zum Russlandfeldzug als gigantisches Reservoir zur Aushebung neuer Rekruten gedient hatte.

Die Verwaltung der „Garde nationale sédentaire“ beruhte derweil auf vier Instanzen. So legte Artikel 2 der vorliegenden Verordnung fest, dass die Bestimmungen zur Ausbildung, zur Disziplin sowie zum regulären Dienst in das Aufgabengebiet des Generalobersts in der Person des Comte d’Artois fielen. Den Präfekten, Vize-Präfekten und Bürgermeistern sollte gemäß Artikel 3 die Aufstellung der Rekrutierungslisten, die Buchhaltung und das Recht zur Mobilisierung der Nationalgarde in Ausnahmefällen zukommen. Der Generalstab von Artois war derweil nach Artikel 4 für die Erarbeitung von Gesetzesvorschlägen und Verordnungen zuständig, für deren Ausführung wiederum der Innenminister verantwortlich war. Damit rief die Verordnung ein eigenständiges Ministerium für die Nationalgarde ins Leben, das gegenüber dem Innenministerium zu einer Doppelstruktur führte. War die Aufrechterhaltung und Garantie der öffentlichen Ordnung vor allem ein Hoheitsgebiet des Innenministers (und Kriegsministers), wurde ihm mit dem Stab Artois‘ ein Exekutivorgan zur Seite gestellt.

Damit war dem Comte d’Artois das gelungen, was Lafayette als Kommandant der Pariser Nationalgarde zwischen 1789 und 1792 nicht gelungen war: den Oberbefehl über sämtliche Nationalgarden im Königreich in einem Ministerium und in einer Hand zu vereinen. Dieser Vorgang ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zunächst stellte die vorliegende Verordnung ein klares Bekenntnis Ludwigs XVIII. zur Nationalgarde dar. Diese war während der Revolution in Paris spontan entstanden, ihre Mitglieder waren Angehörige der mittleren und gehobenen Bourgeoisie, die ein Ausufern der Revolution befürchteten. Ihre Sorge galt aber nicht nur der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz ihres Eigentums, ihrer Geschäfte und Läden. Das Auftreten der Nationalgarde wurde auch als Teil der politischen Emanzipation des dritten Standes wahrgenommen, der sich hier das Recht auf Teilhabe am Gewaltmonopol aneignete. Die Verfassunggebende Versammlung sorgte mit dem Gesetz zur Nationalgarde von 1791 für die soziale Einhegung der Institution, indem allein sogenannte „citoyens actifs“ in die Nationalgarde aufgenommen wurden. Diese Regelung fand in Lafayette einen prominenten Fürsprecher, wurde aber von Seiten der Jakobiner und insbesondere von Robespierre vehement kritisiert.

Deutlich wird, dass die Nationalgarde bei der Rückkehr der Bourbonen nach Frankreich eine progressive, revolutionäre Institution darstellte, die mit der vorliegenden Verordnung sanktioniert und in das institutionelle Gefüge der neuen Monarchie integriert wurde. Dies entsprach dem Geist der von Ludwig oktroyierten Charte und dem Charakter der französischen Restauration. Die Charte garantierte den Fortbestand bestehender Gesetze (das bedeutet auch jener Gesetze und Institutionen, die aus der Revolution und dem Kaiserreich stammten). Zugleich wurde deutlich, dass die Restauration trotz des dynastischen Anspruchs Ludwigs nicht hinter die Revolution würde zurückgreifen können. Mochte sich Ludwig auch als Nachfahre Ludwigs XVI. und als von Gottes Gnaden bestellter Thronfolger betrachten, konnte er die politische Legitimität doch nur durch die Anerkennung zentraler Prinzipien der Revolution erlangen.

Sicherlich war die Beibehaltung der Nationalgarde auch dem Umstand geschuldet, dass Ludwig nach der Auflösung der Armee Napoleons, deren Reformierung erst langsam anlief und durch die Hundert Tage verzögert wurde, auf die Nationalgarde als bewaffneter Ordnungstruppe angewiesen war. Doch bleibt es bemerkenswert, dass mit dem comte d‘Artois ausgerechnet ein Protagonist des Regimewechsels vom reaktionären Ende des politischen Spektrums Generaloberst der Nationalgarde wurde. Der spätere Karl X. verstand es in den ersten Jahren des Regimes Ludwigs XVIII. ausgezeichnet, die Angehörigen der Nationalgarde von sich zu überzeugen. Schon während seines Einzuges in Paris am 12.4.1814 hatte er die Uniform der Nationalgarde angelegt, was viele Zeitgenossen als einen Grund für den Sturm der Begeisterung nannten, den Artois bei seiner Ankunft in der Stadt unter den Parisern auslöste. Das künftige Regime fand so innerhalb eines besonders einflussreichen Milieus der französischen Gesellschaft einen starken Rückhalt. Anhand der Nomenklatura der Befehlshaber der 13 Legionen der Pariser Nationalgarde lässt sich das Gewicht ihrer Akteure ablesen. Zu ihnen gehörten die wichtigsten Notabeln in Paris, wie etwa der Großindustrielle Terneaux, der spätere Innenminister Lainé oder der Abgeordnete Sosthène de la Rochefoucauld.

 

Zur weiteren Lektüre:

Georges Carrot: La Garde nationale (1789 – 1871). Une force publique ambiguë, Paris 2001

Roger Dupuy: La Garde nationale, 1789-1872, Paris 2010

Louis Girard: La Garde Nationale 1814-1871, Paris 1964

Wolfgang Kruse: Die Erfindung des modernen Militarismus. Krieg, Militär und bürgerliche Gesellschaft im politischen Diskurs der Französischen Revolution 1789 – 1799, München 2003

Volker Sellin: Die geraubte Revolution. Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Göttingen 2001

 

Quelle: http://19jhdhip.hypotheses.org/1375

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