Ein Bild sagt mehr … (V): Confucius Sinarum Philosophus

Confucius sinarum philosophus, sive, Scientia sinensis latine exposit (1687) ist eine annotierte Übersetzung von drei der Vier Bücher (sishu 四書) ins Lateinische. Der Band fasst die Arbeiten zahlreicher europäischer China-Missionare zusammen, die zum Teil in separaten Ausgaben erschienen waren; das Vorwort ist von Philippe Couplet (1623-1693) unterschrieben, stammt allerdings zumindest teilweise aus der Hand von Prospero Intorcetta (1626–1696), die Übersetzungen sind unter anderem von Christian Wolfgang Herdtrich (1625–1684) und François de Rougemont (1624-1676). [1]

Der Band enthält

Confucius Sinarum Philosophus

Confucius sinarum philosophus, sive, Scientia sinensis latine exposita (1687)
Internet Archive

  • eine Widmung an Ludwig XIV in Briefform
  • eine Karte von China (die 15 Provinzen der Ming-Zeit)
  • eine umfangreiche Einleitung, die Angaben zur Entstehung des Werkes enthält
  • eine Vita des Kong Qiu 孔丘 (vermutlich  551-479 v. Chr.) der Meister Kong (Kongzi 孔子) genannt wurde – woraus im Westen Konfuzius/Confucius wurde
  • die Übersetzungen von drei der “Vier Bücher”
    • eine Übersetzung von Daxue 大學 (“Das große Lernen”)
    • eine Übersetzung der Lunyu 論語 (“Gespräche”)
    • eine Übersetzung von Zhongyong 中庸 (“Mitte und Maß”)[2]
  • Couplets Tabulae Chronologicae Monarchiae Sinicae, eine tabellarische Geschichte Chinas in 2 Teilen, Teil 1 von 2952 v. Chr. bis zur Zeitenwende, Teill 2 bis ins Jahr 1683.

Der Vita des Kong Qiu ist eine Illustration vorangestellt, die zum Archetyp westlicher ‘Konfuzius’-Abbildungen wurde. Die Darstellung zeigt eine überlebensgroße stehende Figur in Frontalansicht vor einer Bibliothek.

Die Figur wird durch die Legende unterhalb des Bildes als “孔伕子 CVM FU TSE” identifiziert – und für den des Chinesischen kundigen durch die Schriftzeichen an der Rückwand (s.u.). Sie ist in wallende Gewänder mit fast bis zum Boden reichenden Ärmeln gehüllt und hält in den Händen Hand ein hu 笏 (auch huban 笏板 oder shouban 手板), eine lange, schmale Bambustafel, die von Beamten bei Audienzen benutzt wurde. Die Gesichtszüge sind wenig asiatisch, besonders auffällig ist der üppige Vollbart.

Die Bibliothek entspricht der in Europa vertrauten Form, die dargestellten Bücher sind dicke, auf Bünde geheftete, in Leder gebundene Folianten, die teils in den Regalen stehen, teils liegen. Chinesische Bücher wirken auf den europäischen Betrachter weniger beeindruckend und wenig repräsentativ – es sind überwiegend kleinere Formate/Hefte in der seit dem 16. Jh. verwendeten sog. “Japanbindung” (xianzhuang 綫裝). Da die Hefte weiche Einbände haben, werden werden mehrere Hefte in einem steifen Umschlag (einfacher Wickel-Umschlag oder Schachteln – jeweils mit Knebelverschlüssen) zusammengefasst.

Auf dem Giebel wird diese Bibliothek bezeichnet – in Schriftzeichen 國學, mit Transkription ‘qúĕ hiŏ’ (guoxue) und Übersetzung “Gymnasium Imperii”. Hinter der Figur des Kong Qiu sind an einem langen Tisch Schreiber an der Arbeit. Einzelne Regalböden sind beschriftet, auf den Brettern in Transkription, über den Büchern ‘schweben’ Schriftzeichen.

Links von oben nach unten:

  • 書經 Xu-Kim  (Shūjīng - “Buch der Urkunden”)
  • 春秋 Chun Cieu (Chūnqiū – “Frühlings- und Herbst-Annalen)
  • 大學 ta hio (Dàxué – “Das große Lernen”)
  • 中庸 chum yum (Zhōngyóng – “Mitte und Map”)
  • 論語 Lun yu (Lùnyǔ – “Gespräche”)

Rechts von oben nach unten:

  • 禮記 Li Ki (Lǐjì – “Aufzeichnungen über die Riten”)
  • 易經 Ye Kim (Yìjīng – “Buch der Wandlungen”)
  • 繋辭  Hi Cu (Xici – “Abhandlungen zu den Urteilen”)
  • 詩經 Xi Kim (Shījīng – “Buch der Lieder”)
  • 孟子 mem cu (Mèngzǐ – “Menzius”)

Von dem erst in der Han-Zeit entstandenen Xici abgesehen, sind das die Sìshū Wŭjīng 四書五經, die “Vier Bücher und Fünf Klassiker”, vor 300 v. Chr. entstandenen Texte, die den konfuzianischen Kanon bilden.[3]

Unterhalb der Bücherregale stehen jeweils neun dreieckige Gedenktafeln (páiwèi 神位) mit den Großjährigkeitsnamen (zi 字) von einigen Schülern des Kongzi[4], die teilweise in den Schraffuren fast untergehen – zu erkennen sind u.a. links (von vorne): 子魯 Zilu (i.e. Ran Ru 冉孺), 孟子 Mengzi, 子貢 Zigong (i.e.  Duanmu Ci 端木賜) und 子遲 Zichi (i.e. Fan Xu 樊須).

An der Rückwand, die zu einem Garten geöffnet scheint, stehen große Schrifzeichen, die – zusammen gelesen – einen Hinweis auf den Dargestellten geben: 仲尼天下先師 Zhong Ni, tianxia xianshi (“Zhongni, der erste Lehrer der Welt”). Zhongni 仲尼 war der Großjährigkeitsname (zi) des Kong Qiu, xianshi 先師 “erster Lehrer” ist eine häufige Bezeichnung für ihn.[5]

Statue des Kong Qiu im Beijing Kongmiao 北京孔庙 Foto: Georg Lehner 2011

Statue des Kong Qiu im Beijing Kongmiao  北京孔庙 (2011)
Foto: © Georg Lehner

Von den Schriftzeichen abgesehen, hat die Darstellung wenig ‘Chinesisches’ – und doch ähnelt diese wohl früheste Darstellung des ‘Konfuzius’ der auch heute noch in China vertrauten Darstellung des Kong Qiu.

 

  1. Zum Entstehungskontext und zur Veröffentlichung vgl. das Kapitel “Printing Confucius in Paris” in: Nicholas Dew: Orientalism in Louis XIV’s France (Oxford: Oxford University Press 2009) 205-233. Digitalisate von Confucius Sinarum Philosophus → Bibliotheca Sinica 2.0
  2. Es fehlt somit das vierte der Vier Bücher,  Mengzi 孟子 (“Mencius”) – die Übersetzung von Mengzi erschien 1711 in den Sinensis Imperii Libri Classici Sex des François Noël. Dazu David E. Mungello: “The First Complete Translation of the Confucian Four Books in the West”. In: International Symposium on Chines e-Western Interchange in Commemoration of the 400th Anniversary of the Arrival of Matteo Ricci, S.J. in China (Taipei 515-1983), vgl. Werner Lühmann, Konfuzius in Eutin. Confucius Sinarum Philosophus – Die früheste lateinsiche Übersetzung chinesischer Klassiker in der Eutiner Landesbibliothek (=Eutiner Bibliothekshefte 7, Eutin: Eutiner Landesbibliothek 2003) 45 f.
  3. Vier Bücher: Daxue 大學 (“Das große Lernen”), Lunyu 論語 (“Gespräche”), Zhongyong 中庸 (“Mitte und Maß”),  Mengzi 孟子 (“Mencius”); Fünf Klassiker: Shijing 詩經 (“Buch der Lieder”), Shujing 書經 (“Buch der Urkunden”), Liji  禮記 (“Aufzeichnungen über die Riten), Yijing 易經 (“Buch der Wandlungen”), Chunqiu 春秋 (“Frühlings- und Herbstannalen”).
  4. Nach Sima Qian hatte Kongzi Tausende von Schülern, doch nur 77 meisterten die Lehren, einige dieser Schüler werden in den Lunyu genannt.
  5. Lühmann (2003) 35 übersetzt “Der mittlere Ni”.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/607

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Ein Frontispiz sagt mehr als … (IV): Martino Martini, Novus Atlas Sinensis (1655)

Ferdinand Freiherr von Richthofen (1833–1905)[1] war voll des Lobes über Martino Martini, SJ (1614-1661)[2]:

In der That hat die ganze chinesische Missionsgeschichte des siebzehnten Jahrhunderts unter ihren hunderten von Sendboten einen einzigen Geographen aufzuweisen. Dies war Martin Martini, und er ist selbst während des achtzehnten Jahrhunderts nicht überboten, kaum erreicht worden. Nicht ein einziger Missionar vor und nach ihm hat so geflissentlich seine Zeit auf die Kenntnis des Landes verwendet, wie er.”[3]

Matini veröffentlichte 1655 seinen Novus Atlas Sinensis ((Zu den zahlreichen Ausgaben/Übersetzungen des Novus Atlas Sinensis s.  [Peter van der Krogt/Cornelis Koeman:]  Koeman’s atlantes Neerlandici. 2. The folio atlases published by Willem Jansz. Blaeu and Joan Blaeu. New ed., comp. by Peter van der Krogt   (‘t-Goy-Houten : HES Publ. 2000) pp. 295-315. Links zu einigen Digitalisaten → Bibliotheca Sinica 2.0.)). Das Werk enthält 17 Karten[4]und etwa 170 Seiten Beschreibungen. Richthofen meinte dazu:

Es ist die vollständigste geographische Originalbeschreibung von China, welche wir besitzen. Die Nachwelt hat wol über einzelne Gegenden sehr viel Besseres geliefert und auf compilatorischem Weg ist in unserer Zeit weit Vollständigeres über das ganze Land geschrieben worden; aber niemand hat Aehnliches in solcher Ausdehnung auf Grund eigener Beobachtungen gegeben, nicht weil es an reisenden Missionaren, sondern weil es unter denen, welche das Land in grösserem Umfang sahen, stets an Beobachtern der Natur gefehlt hat. Ueber die Beschreibung hinausgehend war Martini der erste, welcher nicht nur eine eingermassen correcte Gesammtkarte von China, sondern einen Atlas von Provincialkarten veröffentlicht hat.  Allerdings sind sie nicht das Resultat eigener Aufnahmen, sondern beruhen, wie Martini offen zugesteht, auf chinesischen Originalen. Aber auch diese waren längst den Missionaren zugänglich gewesen, jedoch nicht von ihnen benutzt worden, und Martini ist der Vater der geographischen Kenntnisse von China geworden, indem er den Atlas herausgab. Auch wäre wol dazu kaum ein Anderer fähig gewesen; denn man musste die chinesischen Karten verstehen, um sie in geeigneter Weise verwerthen und berichtigen zu können, und dazu wiederum in erster Linie Geograph sein und das Land aus eigener Anschauung kennen.[5]

Martini: Novus Atlas Sinensis

Novus Atlas Sinensis. By Martino Martini [Public domain], via Wikimedia Commons Ttitelversion 2:26B

Martini benutzte für seinen Atlas chinesisch Quellen, darunter eine Kopie eines (Manuskript)Atlas des Zhu Siben 朱思本 (kompiliert 1311/12) mit Anmerkungen aus dem Guangyutu 廣與圖 des Luo Hongxian 羅洪先 von 1555. Der Atlas, der bei Blaeu in fünf Sprachen – Latein, Französisch, Niederländisch, Deutsch und Spanischj – erschien, enthielt:

  • ein Vorwort mit Erläuterungen Martinis zur Arbeit mit den chinesischen Quellen
  • eine Karte von China (in den Grenzen der Ming-Zeit)
  • Beschreibungen jeder der 15 Provinzen, jeweils mit einer Karte der jeweiligen Provinz)
  • eine Beschreibung von Japan mit einer Karte
  • einen “Catalogus Longitudinum ec Latitudinum” (Liste von Orten mit geographischen Koordinaten)
  • ein Supplement “De Regno Catayo Additamentum Iacobus Golius Lectori”
  • “De Bello Tartarico Historia”, die Beschreibung der Eroberung Chinas durch die Mandschuren, die zuerst 1654 in Antwerpen erschienen war, ergänzt durch einen Brief von Francisco Brancaro, datiert Shanghai, 14.11.1651.

UB Heidelberg

Blaeu, Willem Janszoon; Blaeu, Joan ; Blaeu, Joan [Hrsg.]; Martini, Martino [Hrsg.]; Golius, Jacobus [Hrsg.]: Novvs Atlas, Das ist, Weltbeschreibung: Mit schönen newen außführlichen Land-Taffeln in Kupffer gestochen, vnd an den Tag gegeben: Novus Atlas Sinensis Das ist ausfuhrliche Beschreibung des grossen Reichs Sina ([Amsterdam], [1655])
UB Heidelberg (Lizenz: Creative Commons-Lizenz cc-BY-NC-SA) | Titelversion 2:26A

 

 

Er erschien separat und wurde als sechster Band dem Theatrum Orbis Terrarum beigefügt, unterschieden nur durch den Titelkupfer. Später wurde der Novus Atlas Sinensis mit anderen Texten und Karten zu Asien zu Band 10 des Atlas Maior verbunden.

Die einzelnen Ausgaben[6] unterscheiden sich in der Aufmachung , in vielen Fällen fehlt ein Titelblatt i.e.S. und es gibt ‘nur’ einen Titelkupfer in zwei Variationen. Die Version 2:26A hat ein leeres Feld für den (Reihen-)Titel, die Version 2:26B ist ein ‘typischer’ Titel der jesuitischen China-Literatur.[7]

Gemeinsam ist beiden Versionen, dass auf dem Titel wenig Chinesisches zu sehen ist: Die Putti im Vordergrund halten eine Karte von China hoch, der Globus, mit dem die Gruppe im Vordergrund in der Mitte spielt, zeigt ganz Ostasien.

Titel und Widmung sind in die geöffnete Tür rechts im Bild eingefügt – wobei unklar bleibt, auf welcher Seite dieser Tür zu China sich der Betrachter befindet …

  1. Zur Biographie: Uta Lindgren: „Richthofen, Ferdinand Paul Wilhelm Dieprand Freiherr von“, in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 543-544 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118745085.html.
  2. “Martin Martini” in: Louis Pfister: Notices biographiques et bibliographiques sur les jésuites de l’ancienne mission de Chine (1552-1773) Tome I, XVIe et XVIIe siècles (Shanghaï: Impr. de la Mission catholique 1932) 256-262.
  3. Ferdinand Richthofen: China. Ergebnisse eigener Reisen und darauf gegründeter Studien. Bd. 1 (Berlin: Reimer 1877) 674
  4. Scans: National Library of Australia
  5. Ferdinand Richthofen: China. Ergebnisse eigener Reisen und darauf gegründeter Studien. Bd. 1 (Berlin: Reimer 1877) 676
  6. Übersicht: [Peter van der Krogt/Cornelis Koeman:]  Koeman’s atlantes Neerlandici. 2. The folio atlases published by Willem Jansz. Blaeu and Joan Blaeu. New ed., comp. by Peter van der Krogt   (‘t-Goy-Houten : HESPubl. 2000) pp. 295-315.
  7. Zu den Versionen: Koeman, Atlantes Neerlandici. 2, 296.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/448

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Vom Entdecken – Zu einer Kulturgeschichte der europäischen Expansion (1450-1700)

Im Rahmen der am Institut für Geschichte der Universität Wien in jedem Sommersemester anzubietenden Kulturgeschichte-Ringvorlesung  beschäftigte sich die Vorlesung am 16.4. mit der Kulturgeschichte der europäischen Expansion (1450-1700) – 90 Minuten für weltumspannende 250 Jahre … Um nicht bei einer chronologischen Aufzählung von ‘Entdeckungen’ zu bleiben, stand im Zentrum eine  spezielle Form der europäischen Expansion: die Konfrontation mit dem Anderen über die Rezeption und Distribution des sich erweiternden Wissens über andere Teile der Welt – exemplarisch am Beispiel der europäischen Beschäftigung mit China abgehandelt.

Für Guillaume-Thomas Raynal war die Einordnung von Endeckungen einfach:

Il n’y a point eu d‘événement aussi intéressant pour l’espece humaine en general & pour les peuples de l’Europe en particulier, que la découverte du nouveau monde & le passage aux Indes par le Cap de Bonne-Espérance. Alors a commencé une révolution dans le commerce, das la puissance des nation, dans les mœurs, l’industrie & le gouvernement de tous les peuples.[1]

Ganz ähnlich äußert sich wenige Jahre später Adam Smith:

The discovery of America, and that of the passage to the East Indies by the Cape of Good Hope, are the two greatest and most important events recorded in the history of mankind. Their consequences have already been very great: but, in the short period of between two and three centuries which has elapsed since these discoveries were made, it is impossible that the whole extent of their consequences can have been seen. What benefits, or what misfortunes to mankind may hereafter result from those great events to human wisdom can forsee.[2]

Der Fokus auf Ereignisse und Schlüsseljahre verleitet zur irrigen Annahme, dass das ‘Zeitalter der Entdeckungen’ spontan beginnt, das irgendwann zum Zeitpunkt X Entdecker auf große Fahrt gehen – wohl weniger in Star Trek-Manier “to boldly go where no man has gone before”, sondern auf der Suche nach Reichtümern. Am Ende des 15. Jahrhunderts glaubte niemand ernsthaft, dass man hinter dem Horizont quasi ins Nichts stürzt.[3]

Michael Giesecke hat in Mythen der Buchkultur drei Arten des Endeckens beschrieben:

  • Entdecken1 – Wahrnehmen und Beschreiben neuer Umweltausschnitte mit bekannten Programmen
  • Entdecken2 – Einsatz neuer Programme zur Wahrnehmung und Beschreibung der Umwelt
  • Entdecken3 – Warnehmen und Orden von durch Entdecken1 und Entdecken2 gewonnenen Informationen[4]

Typus cosmographicus universalis [1532]

Typus cosmographicus universalis [1532] Biblioteca Nacional Digital do Brasil



Die Beschäftigung mit der europäischen Expansion muss über das Erfassen, Auflisten und Verifizieren/Falsifizieren von Entdecken1 hinausgehen – sonst bleibt es bei Dichtomien wie Richtig-Falsch oder Zutreffend-Verzerrt, wobei der Entstehungskontext weitgehend ausgeklammert wird. Als Beispiel mag eine Weltkarte von 1532 dienen. Sie ist Novus orbis regionum ac insularum veteribus incognitarum [...] (Basel 1532)[5], einer Sammlung von Reiseberichten und Briefen über Reisen nach Asien und Amerika, beigefügt.  Mehr als 150 Jahre nach dem Atlas catalan, 40 Jahre nach Columbus, 35 Jahre nach Vasco da Gama, 30 Jahre nach der Cantino-Planisphäre und 10 Jahre nach der ersten Weltumsegelug zeigt eine mit Typus cosmographicus universalis[6] überschriebene Karte ein dem heutigen Betrachter total verzerrt erscheinendes Bild der Welt: Nordamerika erstreckt sich in der Darstellung über nur etwa 10 Längengrade, Indien ist quasi ‘abgeschnitten’, Taprobane/Sri Lanka übergroß, Südostasien wirkt verzerrt, die malaische Halbinsel und Indochina erscheinen übergroß und Zipangri (Japan) erscheint am linken Rand der Karte, der Westküste Nordamerikas vorgelagert. Das verzerrte Bild dieser weit entfernten Regionen relativiert sich, wenn man die Darstellung Europas mit Zoom genauer betrachtet ….

Die Karte ist (inkl. der Legenden und Illustrationen im Rahmen[7] ) ein Versuch, neues Wissen mit bekannten Programmen zu beschreiben …

Aber kommt die Beschäftigung mit der europäischen Expansion mit den genannten drei Arten des Entdeckens aus? Oder braucht es – um die Phasen der Rezeption von Berichten über ferne (und weniger ferne) Weltregionen zu beschreiben – inzwischen Entdecken4 für die Be- und Verarbeitung dieser Texte in späteren Jahren/Jahrhunderten? Und Entdecken5 für das, was Digital Humanities und Konezpte der interkulturellen bzw. interinterkulturellen Kommunikation diesen Texten und Bildern entlocken?[8]

  1. Guillaume-Thomas Raynal: Histoire philosophique et politique des établissemens & du commerce des européens dans les deux Indes.  t. 1 (Amsterdam 1770) S. 1. – In der zeitgenössischen deutschen Fassung lautet die Stelle:

    “Keine Begebenheit ist für das menschliche Geschlecht überhaupt, und insbesondre für die Völker Europens so wichtig gewesen, als die Entdeckung der neuen Welt und die Fahrt nach Indien um das Vorgebirge der guten Hoffnung. Sie ist der Anfang einer Hauptveränderung im Handel, in der Macht der Nationen, in den Sitten, in der Industrie und der Regierungsform aller Völker. In dem Augenblick wars daß die Menschen der entferntesten Länder einander nothwendig wurden.”

    (G. T. F. Raynal: Philosophische und politische Geschichte der europäischen Handlung und Pflanzörter in beyden Indien. Bd. 1 (Kopenhagen/Leipzig: Faber 1774) 1.)
  2. Adam Smith: An Inquiry Into The Nature and Causes Of The Wealth Of Nations : In Two Volumes.  (London: Strahan; London: Cadell, 1776), Vol. II, p. 235.
  3. Dass dieses ‘Märchen’ vor allem seit dem 19. Jh. immer wieder aufgewärmt wurde – möglichst noch mit Flammarions ‘Au pelerin’/’Wanderer am Weltenrand’ (der dabei völlig aus dem Zusammenhang gerissen wurde) illustriert, soll nur am Rande erwähnt werden.  Dazu: Georg Peez: Ein vermeintlich mittelalterlicher Holzschnitt zur Darstellung pädagogischer und kunstpädagogischer Grenz- und Erfahrungsphänomene. http://www.georgpeez.de/texte/flamm.htm Zuletzt geändert am 20.04.2002 <Letzter Zugriff: 16.4.2013>.
  4. Michael Giesecke: Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft (Frankfurt/M.: Suhrkamp 2002) 109-114.
  5. Zu anderen Ausgaben, bei denen die Karte fehlt bzw. durch eine andere ersetzt wurde → Bibliotheca Sinica 2.0.
  6. MUNSTER, Sebastian. Typus cosmographicus universalis. Basileae [Suiça]: I. Hervagium, [1532]. 1 mapa, 36 x 55,5cm em f. 42 x 61,5. Disponível em: <http://objdigital.bn.br/acervo_digital/div_cartografia/cart225747.htm>. Acesso em: 17 abr 2013.
  7. Im Rahmen finden sich  Elemente, die später in der Cosmographia des Sebastian Münster wieder auftauchen, z.B. die Kannibalen – auf der Weltkarte links unten – der blutrünstigste Teil findet sich in der ersten Ausgabe der Cosmographia (1544) auf Seite dcxxix) – Digitalisate unterschiedlicher Ausgaben von Münsters Kosmographie → Bibliotheca Sinica 2.0.
  8. Vgl. dazu: Johannes Schnurr: “Das Daumenkino des Mittelalters”, 28. August 2004, Universität Heidelberg/Pressemeldung <Zugriff: 16.4.2013>/ Johannes Schnorr: Daumenkino des Mittelalters. DIE ZEIT 07.04.2004 Nr.16 http://www.zeit.de/2004/16/A_Daumenkino.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/539

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Ein Frontispiz sagt mehr als 1000 Worte (III): Olfert Dapper: Gedenkwaerdig bedryf … (1670)

Nachdem die erste Gesandtschaft der Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) 1655-1657 gescheitert war und Formosa/Taiwan 1661 an Zheng Chenggong 鄭成功 (1624-1662) [1] gefallen war, wurde 1666 eine zweite Gesandtschaft an den Hof des Kaisers von China ausgerüstet, die der VOC endlich einen Zugang zum chinesischen Markt eröffnen sollte. Die Gesandtschaft wurde von Pieter van Hoorn (als Gesandtem der VOC) und Constantijn Nobel (als Kaufmann) umfasste etwa 23 Personen [2], darunter Pieter van Hoorns Sohn Joan. Die Schiffe verließen am 3.7.1666 Batavia und erreichte Fuzhou 福州 am 5.8.1666. Am 20. 1. 1667 brach die Gruppe auf und reiste – teils auf Flussschiffen, teils über Land – nach Beijing, wo man am 20.6.1667 eintraf. Der  Kaiser empfing die Gesandtschaft am 7.7.1667 in Audienz, in den Wochen danach wurde die Gruppe durch Bankette unterhalten. Am 5.8.1667 verließ die Gesandtschaft die Hauptstadt, am 29.11.1667 verließen die Schiffe Fuzhou und erreichten am 9.1.1668 Batavia. [3]

Nur fünf Jahre nach Johan Nieuhofs Gezandtschap der Neêrlandtsche Oost-Indische Compagnie, aan den grooten Tartarischen Cham erschien im selben Verlag eine Beschreibung der nchsten Versuche der VOC in China. Der Verfasser dieser Beschreibung war Olfert Dapper (1636–1689) [4]. Er hatte in Utrecht studiert, sich dann aber als sehr produktiver Autor einen Namen gemacht – beginnend mit einer fünfbändigen Historische Beschrijving der Stadt Amsterdam (1663). Zwischen 1668 und 1688 erschienen Reisebeschreibungen über Afrika, Südasien, China und das Mittelmeer, die rasch in andere europäische Sprachen übersetzt wurden. Dapper hat keine der Gegenden, die er beschrieb, selbst besucht; er arbeitete mit Material, das ihm zur Verfügung gestellt wurde.

Olfert Dapper: Gedenkwaerdig bedryf  (1670)

Olfert Dapper: Gedenkwaerdig bedryf [...]
(Amsterdam : J. van Meurs 1670) | Internet Archive

 Olfert Dappers Gedenkwaerdig bedryf der Nederlandsche Oost-Indische maetschappye, op de kuste en in het keizerrijk van Taising of Sina: behelzende het tweede gezandschap aen den onder-koning Singlamong en veldheer Taising Lipoui; door Jan van Kampen en Konstantyn Nobel. Vervolgt met een verhael van het voorgevallen des jaers zestien hondert drie ein vier en zestig, op de kust van Sina, en ontrent d’eilanden Tayowan, Formosa, Ay en Quemuy, onder ‘t gezag van Balthasar Bort: en het derde gezandschap aen Konchy, Tartarsche keizer van Sina en Oost-Tartarye: onder beleit van Zijne Ed. Pieter van Hoorn. Beneffens een beschryving van geheel Sina. Verciert doorgaens met verscheide kopere platen (Amsterdam: J. van Meurs 1670) enthält

  • die Beschreibung der Gesandtschaft unter Jan van Kampen und Constantijn Nobel zum Gouverneur von Fujian 1662-1663 (die Dapper als “Zweite Gesandtschaft” bezeichnet)
  • eine Beschreibung der Operationen Balthasar Borts an der Küste von China und auf Taiwan 1663/1664
  • die Beschreibung der Gesandtschaft unter Pieter van Hoorn und Constantijn Nobel nach Beijing 1666-1667 (die Dapper als “Dritte Gesandtschaft” bezeichnet)
  • eine Beschreibung von ganz China

Eine englische Version erschien 1671 in London, eine deutsche Fassung 1675 in Amsterdam bei Meurs. [5]

Die Frontispize der drei Versionen sind weitgehend identisch -  eine Collage aus Elementen,  die in den Illustrationen bei Nieuhof; Martini und anderen enthalten waren, kombiniert mit pseudo-asiatischen und/oder preudo-orientalischen Elemente.

Der Titel nimmt die Mitte der Darstellung ein – quasi als Inschrift des Sockels/Unterbaus eines Podests, auf dem unter einem Baldachin ein Mann mit untergeschlagenen Beinen sitzt. Auf ihn ist die Szene ausgerichet, die meisten anderen Figuren wenden sich ihm zu. Die Figuren rund um den Thron sind vornehm gekleidet, die Frauen mit Schmuck im Haar – die Dame links neben dem Titelschild schreibt mit einer Vogelfeder in ihr Notizbuch.

Im Vordergrund spielen sich brutale Szenen ab: Links hat ein Mann, dessen Haar zum Zopf gebunden ist, einen anderen am Haar gepackt und schickt sich an, diesem mit einer großen Schere das lange Haar zu schneiden.

Rechts stehen zwei Figuren trumphierend über zwei am Boden liegenden Gestalten. Diese Figuren sind deutlich als Chinesen – genauer als Anhänger der gerade abgelösten Ming-Dynastie  markiert: dünnen Bärte, Kleidung und Kopfbedeckungen, aber auc die langen spitzen Fingernägel, die schon bei Gonzalez de Mendoza erwähnt wurden.

Der Herrscher/Würdenträger auf dem Podest weist große Ähnlichkeiten mit Nieuhofs “‘t Conterfeytsel vande oude onder-koning” (Nieuhof, nl. Ausg. 1665 p.  53, dt. Ausgabe 1666 p. 64.), der dann auch im Thesaurus exoticorum (1688) von E.W. Happel als “ein alter Vice-Roy von einem sinesischen Königreich” auftaucht (p. 25).Das Äffchen, das neben dem Vogelkäfig am Rand des Podests sitzt, erinnert an das in Kirchers China illustrata (p. 233)

Im Kontext China wirkt der Morgenstern/Streitflegel, auf den sich die Figur rechts im Vordergrund stützt (und der mitten in den Titel hineinragt) doch verwunderlich, denn die Waffe war in der Form in China unbekannt … [6]

Auch bei Dapper erscheint die Darstellung (ähnlich wie bei Nieuhof) gleichsam als Programm, das die Linie vorgibt: China wird nun von ‘Barbaren’ beherrscht, die das ‘Reich der Mitte’ überrannt hatten und sich nun kultiviert geben – und mit denen will man jetzt Geschäfte machen.

[1] Zheng Chenggong 鄭成功 (1624-1662) wird in europäischen Texten des 17. und 18. Jahrhunderts meist als Coxinga/Koxinga (Guoxingye 國姓爺 “der mit dem Kaiserlichen Familiennamen”) bezeichnet. Er hatte in den Wirren des Untergangs der Ming-Dynastie gegen die Qing-Dynastie gekämpft und mit seinen Piratenschiffen entlang der Küsten Fujians operiert. 1661 landete Coxinga bei  Lu’ermen, um die niederländischen Kolonien auf Taiwan anzugreifen. Am 1.2.1662 kapitulierte Gouverneur Frederik Coyett und übergab Fort Zeelandia an Coxinga. Dazu zuletzt: Tonio Andrade: Lost Colony: The Untold Story of China’s First Great Victory over the West (Princeton NJ:[] Princeton University Press 2011).

[2] J. van der Chijs (ed.): Dagh-register gehouden int casteel Batavia vant passerende daer ter plaetse als over geheel Nederlandts-India 1666-1667 (Batavia 1895), S. 78 f., vgl. Friederike Ulrichs: Johan Nieuhofs Blick auf China (1655-1657). Die Kupferstiche in seinem Chinabuch und ihre Wirkung auf den Verleger Jacob van Meurs (Wiesbanden: Harrassowitz 2003) 107 Fn. 334.

[3] Friederike Ulrichs: Johan Nieuhofs Blick auf China (1655-1657). Die Kupferstiche in seinem Chinabuch und ihre Wirkung auf den Verleger Jacob van Meurs (Wiesbanden: Harrassowitz 2003) 107, dazu J. van der Chijs (ed.): Dagh-register gehouden int casteel Batavia vant passerende daer ter plaetse als over geheel Nederlandts-India 1668-1669 (Batavia 1895), S. 2.

[4] Kurzbiographie, Bibliographie der Werke Dappers und der wichtigsten Titel über ihn:  “141 Dapper, Olfert” in:  E.O.G. Haitsma Mulier/G.A.C. van der Lem (ed.): Repertorium van geschiedschrijvers in Nederland 1500-1800. (Den Haag: Nederlands Historisch Genootschap 1990) 114-117. (Online: dbnl).

[5] Digitalisate der niederländischen und der deutschen Version: Bibliotheca Sinica 2.0, bibliographische Daten zur englischen Version: English Short Title Catalogue Reference Number R5629; Frontispiz und einige Abbildungen: Folger Shakespear Library.

[6] Das Prinzip der an einer Kette befestigten Kugel findet sich im Meteorhammer (liúxīng chuí 流星錘), einer Waffe, die aus zwei durch eine Kette verbundenen Metallkugeln besteht.

 

 

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/445

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Ein Frontispiz sagt mehr als 1000 Worte (II): Kircher, China monumentis … illustrata (1667)

Athanasius Kircher SJ (1602–1680) war Universalgelehrter und Vielschreiber.  Er hatte Interesse signalisiert, in die China-Mission zu gehen, dazu kam es allerdings nicht, er verbrachte den Großteil seines Lebens am Collegium Romanum und veröffentlichte ausführliche Werke zu einem breiten Spektrum an Themen. [1] Eines dieser Werke ist ein früher Klassiker über China: China monumentis, qua sacris qua profanis, nec non variis natrae et artis spectaculis, aliarumque rerum memorabilium argumentis illustrata.

Dafür, dass es “ein[es] der meistegelesenen Chinabücher der frühen Neuzeit”[2] war, gibt es nur wenige Ausgaben:

Die Ausgaben unterscheiden sich zum Teil beträchtlich voneinander – die Meurs-Ausgabe ist leicht gekürzt, die französische Ausgabe enthält am Ende des Buches einen “Dictionaire chinois & françois ” (324-267), ein Wörterverzeichnis ohne Schriftzeichen.

Dieser “Meilenstein in der europäischen Chinakenntnis” [4] basiert auf den Berichten und Briefen von Missionaren in Indien, Japan und China. Etwa zwei Drittel des Bandes ist der Nestorianerstele (“Pars I., Monumenti Syro-Sinici Interpretatio,” pp. 2-45), der Ausgabe Amsterdam, Janssonius à Waesberge 1667), dem Vordringen des Christentums in Asien (“Pars II., De Variis Itineribus In Chinam Susceptis,” pp. 46-128) und den Religionen Asiens (“Pars III., De Idololatria Ex Occidente primum in Persidem, Indiam, ac deindè in ultimas Orientis, Tartariae, Chinae, Japoniae Regiones successivâ propagatione introducta,” pp. 129-163)  gewidmet. Danach kommt ein Überblick zu Pflanzen und Tieren Chinas (“Pars IV., China Curiosis Naturae & Artis miraculis illustrata,” pp. 164-211), kurze Bemerkungen zur Architektur (“Pars V., De Architectonica, Caeterisque Mechanicis Artibus Sinensium,” 212-224) und abschließend ein Abschnitt zur chinesischen Sprache und Schrift (“Pars VI., De Sinensium Literatura, pp. 225-238).

Kircher: China illustrata (1667) | © Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel <http://diglib.hab.de/drucke/gv-2f-5/start.htm>

Kircher: China illustrata (1667) | © Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.
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Der Inhalt – und die Frage, ob China illustrata tatsächlich ein Meilenstein ist – wird noch ausführlicher zu besprechen sein, hier soll zunächst nur ein Blick auf das Frontispiz.

Auf den ersten Blick ist hier nur wenig Chinesisches, das Sujet ist rein europäisch – nnd arbeitet so die Rolle der Societas Jesu in China heraus.

Neben zahlreichen Putten sind vier männliche fiugren abgebildet, die zum Teil durch Attribute, zum Teil aus dem Text des Bandes identifizierbar werden:

Ricci und Schall von Bell werden von Strahlen aus dem Strahlenkranz um das Christusmonogramm IHS be/erleuchtet. Auf einem Podest stehen links und rechts Säulenhallen, der Blick auf die Landschaft im Hintergrund wird von der China-Karte verdeckt, im Vordergrund links liegen astronomische Werkzeuge und Geräte, darunter Zirkel,  Kompass, Armillarsphäre und Winkelmaß. Auf den Setzstufen des Podests finden sich der Name des Verfassers und der (Kurz-)Titel.

Chinesisches bzw. direkte Bezüge auf China beschränken sich auf die Umrißkarte im Zentrum des Bildes (die Ricci, Schall von Bell und ein schwebender Putto hochhalten) und die Kleidung der beiden Missionare. Die Darstellungen sind vereinfachte (verkleinerte und spiegelverkehrte) Varianten von ganzseitigen Abbildungen von Ricci und Schall von Bell m Buchinneren. Ricci erscheint schlicht gewandet wie ein konfuzianischer Gelehrter, Schall von Bell im zeremoniellen Gewand eines Mandarins dargestellt, komplett mit Mandarin-Tuch (bŭzi 補子 [11]) und Hut.

Das Frontispiz hat wenig Bezug zum Inhalt des Werks, es handelt sich vielmehr um eine Glorifizierung des Wirkens der Societas Jesu in China.

[1] Kurzbiographie: Fritz Krafft: „Kircher, Athanasius“. In: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 641-645 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118562347.html, Werk und Literaturverzeichnis: Gerhard Dünnhaupt: Athanasius Kircher S.J. (1602–1680). In: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. Bd 3 (Stuttgart: Hiersemann 1991) 2326–2350.

[2] Hartmut Walravens: China illustrata. Das europäische Chinaverständnis im Spiegel des 16. bis 18. Jh. (=Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 55; Weinheim 1987) 96 f.

[3] Links zu Digitalisaten : Bibliotheca Sinica 2.0.

[4] Hartmut Walravens: China illustrata. Das europäische Chinaverständnis im Spiegel des 16. bis 18. Jh. (=Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 55; Weinheim 1987) 96 f.

[5] Zur Biographie: Cándido de Dalmases SJ, Ignatius von Loyola; Versuch einer Gesamtbiographie (München: Neue Stadt 2006).

[6] Kurzbiographie: Claudia von Collani: “Franz Xaver”. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), Bd. 14 (Herzberg: Bautz 1998) Sp. 269–272.

[7] Liam Matthew Brockey: Journey to the East. The Jesuit Mission to China 1579-1724. (Cambridge, MA/London: Harvard University Press 2008) 32 f.

[8]Kurzbiographie: Walter Demel: “Matteo Ricci”. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Bd. 8 (Herzberg Bautz 1994), Sp. 181–185.

[9] Zur Praxis des lingchi: Timothy Brook/Jérôme Bourgon/Gregory Blue: Death by a Thousand Cuts (Harvard University Press 2008).

[10]  Zur Biographie: Claudia von Collani: SCHALL, Johann Adam S. von Bell. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL) Bd. 8 (Herberg: Bautz 1994) Sp. 1575–1582; Hartmut Walravens: „Schall von Bell, Johann Adam“. In: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 551-552 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118606387.html

[11] Dazu: Schuyler Cammann: “The Development of the Mandarin Square”. In: Harvard Journal of Asiatic Studies Vol. 8, No. 2 (August 1944), pp. 71-130.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/455

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Ein Streifzug durch die China-Blogosphäre – und der Versuch einer Positionierung

Angeregt durch Mareike Königs Anregungen aus der französischen Wissenschafts-Blogosphäre und die Notizen zum 1. Geburtstag von de.hypotheses stellt sich einmal mehr die Frage, was mind the gap(s) sein soll/will/kann? Wie sieht das Feld der China-Blogs aus – und wo steht dieses Blog?

Die China-Blogosphäre

Nachdem The China Beat mit dem 1000. Post im Juni 2012 eingestellt wurde (aber weiter twittert) und zahlreiche Old China Hands 2011/2012 China verlassen und ihre Blogs eingestellt haben [1], ist die China-Blogosphäre in einer Umbruchsphase. Die Mehrzahl aller China-Blogs widmet sich dem ‘aktuellen’ China, dem Tagesgeschehen im weitesten Sinn: dem Markt China (und ‘Anleitungen, um auf diesem Markt zu reüssieren [3]), der politischen Lage, der Menschenrechtssituation – oder generell dem ‘China-watching’.

Es lassen sich grob Gruppen unterscheiden (wobei die Übergänge fließend sind): ChinaBlogs

Die deutschsprachige China-Blogosphäre erscheint sehr überschaubar:

Einige dieser Blogs sind sehr aktiv und bringen regelmäßig neueBeiträge, andere sind ständig in Gefahr, bei der nächsten RSS-Feed-Entrümpelung gelöscht zu werden, weil nur sehr unregelmäßig Neues kommt. Viele der ‘aktiven’ Blogs haben ihren Schwerpunkt in Veranstaltungsankündigungen und/oder Verweisen auf Neuerscheinungen (und wären IMHO bei Twitter wesentlich besser aufgehoben).

Was bedeutet das für mind the gap(s)?

Das Blog ist als ‘carnet de recherche’ intendiert:

  • als Raum, Themen auszuprobieren und anzudenken
  • als Ort, Trouvaillen festzuhalten, die zu neuen Themen werden könnten
  • als Notizbuch, Überlegungen zu laufendenProjekten festzuhalten

Im Raum steht auch das Abwägen, ob es nicht sinnvoller wäre, in (oder auch in) englischer Sprache zu bloggen. [4] Strategisch wäre das mittel- bis langfristig sicher sinnvoll – der Kreis potentieller LeserInnen würde sich dadurch massiv erweitern. mind the gap(s) will nicht ‘China erklären’, sondern Überlegungen aus dem Forschungsalltag festhalten.  Obwohl Mareike König die zögernde Haltung in den Geisteswissenschaften zur Popularisierung kritisch anmerkt, zieht mind the gap(s) eine klare Grenze: Popularisierung mag sein, Trivialisierung auf keinen Fall. Das Blog setzt bewusst einen Kontrapunkt zu ‘Sunzi für EinsteigerInnen’, ‘Wie viel yin ist in 100g Gurke?’, ‘Fengshui beim Entrümpeln’ etc. [5] Der Reiz des Exotischen und die Faszination eines ‘rätselhaften’ Orients inkl. vermeintlicher Sensationen bleibt ebenso wie das Sich-Weiden am Ungewöhnlichen anderen überlassen. Es wird daher keine ‘einfachen’ oder vereinfachenden Erklärungen komplexer Sachverhalte geben.

Two roads diverged in a wood, and I—

I took the one less traveled by,

And that has made all the difference. (Robert Frost)

[1] Beispiele: Will Moss/ImageThief, Mark Kitto (der seine Beweggründe in You’ll Never be Chinese dargelegt hat) oder C. Custer/ChinaGeeks (s. Why I am m leaving China) – und zahlreiche andere, deren China-Experten-Status zum Teil sehr kontrovers diskutiert und kommentiert wurde.

[2] Vergleicht man Artikel zum Handel in/mit China aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oder den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts mit aktuellen Meldungen, so müsste man eigentlich nur Wortung und Orthographie ein bisschen modernisieren, der Inhalt ist weitgehend deckungsgleich.

[3] Die Auswahl ist willkürlich, erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und stellt keine explizite Unterstützung/Billigung der in den genannten Blogs dar.

[4] Ein Plug-in, das mehrsprachige Varianten erlaubt, steht auf der Wunschliste für hypotheses.org ganz weit oben.

[5] Ein Blick in die Buchläden zeigt allerdings, dass es für derartige Titel einen Markt zu geben scheint – aber das wäre ein anderes Thema (dazu demnächst mehr). 

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/406

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Der Telegraph als Synonym für Fortschritt und Modernisierung?

De rebus sinicis notiert in Ein Telefon im Kaiserpalast, dass ein landesweites Telefonnetz erst in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts eingerichtet wurde und kurz vor dem Ende der Qing-Dynastie auch den Kaiserpalast erreichte. Schon lange vorher war der Telegraph in China eingeführt worden. [1] Der Telegraph, der als ein Element der Modernisierung gesehen wurde, war auch Thema im Zusammenhang mit der Reise, die Li Hongzhang 李鴻章 1896 durch mehrere europäische Staaten und die USA führte. Li hatte zwar nach der Niederlage Chinas im Chinesisch-Japanischen Krieg 1894/1895 vorübergehend seinen Einfluss bei Hof verloren (was seine Reise kaschieren sollte), galt aber im Westen als verlässlicher Ansprechpartner und als Befürworter der Modernisierung, worunter weniger eine Modernisierung des politischen Systems als die Öffnung Chinas für westliche Technologien geehen wurde. Dies zeigt sich im Reiseprogramm: Li Hongzhang traf nicht nur mit Staatsmännern und Herrschern zusammen, sondern besuchte auch zahlreiche Industriebetriebe und Infrastruktureinrichtungen: Fabriken, Werften, Rüstungsbetriebe und Telegraphenämter.

"Früchte von Li Hung-Tschang's Reise" (Kikeriki 23.7.1896)

Kikeriki 23.7.1896, S. 2. Quelle: ANNO

Eine kleine Karikatur im Kikeriki [2] vom 23.7.1896, S. 2 greift das Thema auf: “Früchte von Li-Hung-Tschang’s Reise” – “Li-Hung-Tschang: Ganz Europa ist mit einem Netz von Telegraphen überzogen. Gut, das wollen wir auch bald haben, und besser als die Barbaren.”

Das Bild zeigt einen durch Bart und Zopf als ‘chinesisch’ markierten Mann (durch die Überschrift als Li Hongzhang identifiziert), der in einem Pavillon mit Glaswänden sitzt. Von dem Pavillon führen in alle Himmelsrichtungen Reihen von (durch Zopf und Kleidung) als ‘chinesisch’ markierten Figuren weg. Jeweils zwei Personen stehen Nase, sie sind durch einen breiten Gürtel aneinandergebunden. Über die verknoteten Enden der Zöpfe sind die Paare jeweils mit den banchbarten Paaren verbunden. Der Zopf der Figur, die dem Pavillon jeweils am nächsten steht, hängt durch ein Loch im Fenster in den Pavillon. Die Figur in der Mitte ‘telegraphiert’, indem an einem der Zöpfe gezogen wird und so das Signal bis in die fernsten Ecken Chinas geleitet wird …

Die Karikatur erweckt den Eindruck, der Telegraph wäre in China in den 1890ern weitgehend unbekannt gewesen. Die Great Northern Telegraph Company (大北電報公司 Dabei Dianbao Gongsi), eine dänisch-chinesische Initiative,  hatte Anfang der 1870er Jahre die Telegraphie in China eingeführt. [3], die neue Technologie verbreitete sich rasch und wurde an das Sprachumfeld angepasst. Um die Schrifzeichen via Telegraph zu übernmitteln, entwickelte der däänische Astronom Hans Carl Frederik Christian Schjellerup den ersten Telegraphencode, der bald  von einer verbesserten Version von S. A. Viguier abgelöst wurde. [4] /und später kontinuierlich erweitert/verbessert wurde. Eine chinesische Telegraphenveraltung gab es seit 1882 – zunächst als guandu shangban-Unternehmen [ein Unternehmen, das von Kaufleuten geführt, aber von Beamten kontrolliert wurde], das 1908 vom Verkehrsministerium übernommen wurde …

[1] Zum Telegraphen in China (und zur Rolle Dänemarks) im 19. Jahrhundert: Erik Baark: Lightning Wires: The Telegraph and China’s Technological Modernization, 1860–1890. (Westport, CT: Greenwood Press 1997). Erik Baark: Catalogue of Chinese Manuscripts in Danish Archives (= Studies on Asian Topics No. 2, London/Malmö: Curzon Press 1980) verzeichnet eine Reihe von Korrespondenzen zwischen den chinesischen Behöreden und den Vertretern Dänemarks im Zusammenhang mit der Great Northern Telegraph Company.

[2] Der Kikeriki, der sich als “humoristisches Volksblatt” sah, erschien zwischen 1861 und 1933 war eine der einflussreichsten satirisch-humoristischen Zeitungen Wiens.

[3] Zur Great Northern Telegraph Compnay: Erik Baark: “Wires, codes, and people: The Great Northern Telegraph Company in China.” In: China and Denmark: Relations Since 1674, edited by Kjeld Erik Brødsgaard and Mads Kirkebæk (Nordic Institute of Asian Studies 2001) pp. 119–152. 

[4] S. A. Viguier((威基謁 Waijiye): Dianbao xinshu 電報新書 [New numbercode for the telegraph in Chinese made by S. A. Viguier in 1871 based on the first invented code made by the Dane H.C.F.C Schjellerup from 1871] (Published in Shanghai in theTongzhi shiyi year = 1872) [→ Digital version]. 

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/330

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Li Hongzhang in New York: Meeting the “The Yellow Kid” (1896)

Li Hongzhang 李鴻章  (1823-1901), einer der bedeutensten Staatsmänner der späten Qing-Zeit, nahm 1896 an der Krönung von Zar Nikolaus II. teil und reiste dann durch mehrere europäische Staaten – unter anderem besuchte er Bismarck in Friedrichsruh – und in die USA. Alle Phasen dieser Reise wurde von den Medien genauestens beobachtet, jeder Schritt des Gastes aus China wurde ausführlich beschrieben, manche sonderbar wirkenden Elemente dem Publikum erläutert. Die Zeitungen waren voll mit Berichten und Analysen; und auch in satirischen Blättern und Comic Strips taucht der Besuch aus China immer wieder auf. Auf 井底之蛙 erinnert Alan Baumler in dem Beitrag Yellow Kid an einen Comic von Richard F. Outcault (1863-1928) aus dem Jahr 1896.

Li Hung-Chang Visits Hogan's Alley

Li Hung Chang Visits Hogan’s Alley (6.9.1896)  [Quelle: SFCGA - San Francisco Academy of Comic Art Collection, The Ohio State University Billy Ireland Cartoon Library & Museum]

Der one-pager “Li Hung Chang Visits Hogan’s Alley” (6.9.1896 | → full size/zoomable image) gehört zu den bekanntesten Yellow-Kid-Seiten [1] und taucht in den unterschiedlichsten Kontexten auf. In Darstellungen zur Comic-Geschichte im Zusammenhang mit Copyright-Fragen. Baumler findet die Qualität der Schrifzeichen beachtenswert. Wolfgang Höhne [2] sieht das Bild als Beispiel für “die Welt vor 1945″ und sieht “eines der vielen ärmlichen Einwandererviertel mit seinen viergeschossigen Backsteinbauten und den offenbar schon damals obligatirischen [sic!] Feuerleitern.” [3]Dabei unterbleibt eine Auseinandersetzung mit dem Entstehungskontext und die sich daraus ergebende Deutung – der Witz geht damit verloren …

Li Hongzhang kam Ende August nach New York, er reiste nach Philadelphia und Washington und traf mit dem US-Präsidenten Stephen Grover Cleveland (1837-1908, Präsident 1885-1889 und 1893-1897). Die New York Times berichtete im August 1896 ausführlich über die Vorbereitungen und dann Ende August und Anfang September ausführlich über den Verlauf des Besuchs. Am 28. August 1896 wurde ausführlich über die Vorbereitungen für den Empfang und das Programm des Besuchs in New York berichtet: “Awaiting the Viceroy [...] ‘Chinatown’ to Celebrate with Fireworks. [4] Genauso ausführlich wurde über Lis Besuch am Grab von Gen. Grant (31.8.1896) [5] und Lis andere Aktivitäten berichtet. Der Besuch wurde in mehreren Filmen dokumentiert. [6]

Richard Felton Outcault (1863-1928) gilt mit Hogan’s Alley als ‘Erfinder’ des modernen Comic Strips. Seine Arbeiten erschienen in den Sonntagsbeilagen großer Tageszeitungen The Yellow Kid ist eine Schlüsselfigur in Hogan’s Alley, einer Seire, die zwischen 1895 und 1898 (zunächst in der New York World, später im New York Journal) erschien. Die one-pager greifen in der Regel aktuelle Themen der vergangenen Woche auf und bewegen sich an der Grenze zwischen Comic und Karikatur – so auch “Li Hung Chang Visits Hogan’s Alley” (New York World, 6. September 1896):

Das Bild zeigt die typische Straßen-Szene der Hogan’s Alley, die – dem Anlass entsprechend – mit zahlreichen chinesischen Lampions geschmückt ist. Die explodierende Feuerwerkskörper erleuchten die Szenerie. Im Zentrum des Bildes sitzt eine männliche, als Chinese markierte Gestalt auf einem etwas merkwürdigen Karren, der von einem Ziegenbock gezogen wird. Der Bock wird vom Yellow Kid am Bart geführt. Wie in jedem Yellow Kid-Comic erzählt der (wie üblich mit zahlreichen orthographischen Fehlern behaftete) Text auf dem gelben Kleid die Geschichte: “Me & LI has made a big hit with each oter. Say! He tinks I’m a Chinaman – don’t say a woid. I’m goin ter give a yellow tea fer him – I know my Q.”
Rechts spielen “The Hogan’s Alley Guards” für den Gast, links und im Hintergrund sieht man zahlreiches Publikum – mit Lampions an Stangen, Klapp- und Faltfächern, mit Stars & Stripes und einer “chinesischen” Fahne
[7]- eine eigentlich recht idyllische Szene …

Liest man die Texte auf Plakaten, Fächern, Wimpeln, Transparenten etc., ergibt sich ein ganz anderes Bild.

  • Einer der Sänger, die vor der Kapelle marschieren singt nach anderen Noten
  • An dem Bretterzaun hängt ein Plakat “The new song / Did you  ever get the money that you loaned? / Or / Where are all your Friends? – A Park Row Ballad.”
  • Das Mädchen vorne links trägt einen Blattfächer mit der Aufschrift: “HURRAH! FER LIE-HANG-CHUNK.
  • Darüber sieht man ein großes Plakat “Quiet Corner Club Picnic fer Li-Hung-Chang in Ryan’s Vacant Lot next Thursday – Gents 50 cents, Ladies 25 [cents], real Ladies free”, in der Ecke das Schriftzeichen 李 [Li].
  • Der Hund im Vordergrund rechts balanciert auf seinem Schwanz, am Halsband ein Etikett “I am leading an upright life. We are all at our best Today”
  • Links vorne steht ein “gepinseltes” Banner: “Bee Gee!” Nothing so much fun as lots of noise”
  • Rechts vorne: “Quit yer kiiddiin.”

Die dargestellte Szene mit all ihren Widersprüchlichkeiten lässt sich durch die Sprechblase bei der kleinen Ziege am Dach des Hauses deuten: “They are giving him some genuine Chinese music.”

In die Neugierde, mit der man dem seltenen Gast begegnete, mischen sich gängige Klischees und Vorurteile und Anspielungen auf die aktuelle politische Lage – u.a. die schwierige finanzielle Lage Chinas, der Umgang mit chinesischen MigrantInnen in den USA (der Chinese Exclusion Act von 1882, der 1892 erneuert worden war, beschränkte deren Einwanderung) massiv. Lampions, Feuerwerke und (dissonante) Musik evozieren das Leben in den Chinatowns – obwohl auf dem Bild außer Li niemand als Chinese oder Chinesin markiert ist.

Li Hongzhang (der durch die Überschrift und den Text auf dem gelben Kleid zusätzlich identifiziert wird) selbst ist eine Mischung aus Fakt und Phantasie, aber durchaus erkennbar, wie ein Vergleich mit einer Photographie aus dem Jahr 1896 zeigt. Zwei Elemente erscheinen merkwürdig: die gelbe Kleidung – die im Qing-zeitlichen China den Angehörigen des Kaiserhauses vorbehalten war – und die Pfauenfedern, die an Lis Hut steil hochstehen. Diese Pfauenfedern sind ein Element, das in Karikaturen mit China-Bezug häufig auftaucht, aber nur selten so, wie sie tatsächlich getragen wurden: Die Federn – Auszeichnungen, die Beamten für ihre Verdienste verliehen werden konnten (lingzhi 翎枝) – wurden tatsächlich mit einer Öse am Rangsknopf befestigt und hingen nach unten. [8]

Yellow Kid gilt zwar als Urform des modernen Comic Stips, steht aber in Form und Inhalt an William Hogarths Beer Street and Gin Lane (1751) [9], wo sich hinter einer vordergründig heiteren Szene beißende Ironie und Satire verbergen, die dem oberflächlichen Betrachter verborgen bleiben …

[1] Zu “The Yellow Kid” vgl. Mary Wood: The Yellow Kid on the Paper Stage.

[2] So u.a. bei Wolfgang Höhne: Technikdarstellung im Comic. Der Comic als Spiegel technischer Wünsche und Utopien der modernen Industriegesellschaft [online] (Diss, Univ. Karlsruhe 2003).

[3] Wolfgang Höhne: Technikdarstellungen im Comic (2003) – Bildteil online: http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/volltexte/2003/geist-soz/1/html-1/3-welt/fr-w-02.html.

[4] U.a.:  The Arrival of Li Huang Chang (imdb), Li Hung Chang Driving Through 4th St. and Broadway(imdb), und Li Hung Chang at Grants Tomb (imdb).

[5] New York Times, 28. Augst 1896.

[6] New York Times, 31. August 1896.

[7] Die “chinesische” Fahne ist hier dreieckig mit gezacktem/geflammtem Rand. Sie zeigt eine art von Drachen oder Fabelwesen und erinnert an die dreieckige Variante der “Gelbe-Drachen-Flagge” [huanglongqi 黃龍旗], die zwischen 1862 und 1889 von der Marine und von “offiziellen” Schiffen verwendet worden war, bevor die viereckige Form in Gebrauch kam.

[8] Zu den Abstufungen: Present day political organization of China. By H.S. Brunnert and V.V. Hagelstrom; rev. by N. Th. Kolessoff ; tr. from the Russian by A. Beltchenko and E.E. Moran (New York : Paragon [s. d., Foreword dated Foochow, 1911] Nr. 950 (p. 498).

[9] William Hogarth, Beer Street and Gin Lane (1751) – Kurzbeschreibung und kurze Erläuterung → The British Museum.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/270

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Transfer und Dissemination von Wissen im 17. Jahrhundert

Erasmus Finx, genannt Erasmus Francisci (1627–1694) war ein überaus produktiver – und zu seiner Zeit viel gelesener – Autor, der als Polyhistor betrachtet wurde [1] Der Vielschreiber wurde im 19. Jahrhundert eher kritisch gesehen, wie die Kurzcharakterisierung von Jakob Franck in der Allgemeinen Deutschen Biographie zeigt:

[Francisci] war der erste deutsche Büchermacher von Profession, aber so wie seine Schriften meist an der Tagesordnung waren, so sind sie jetzt fast alle vergessen und verschollen, weil er eben nur darauf ausging, Bücher zu machen und dabei vor allem darauf bedacht war, der neugierigen Menge zu gefallen, für sie Merkwürdigkeiten aus allen Weltgegenden zusammen zu schleppen und diese geschmacklos durch breite moralische Gespräche oder einen fortlaufenden Geschichtsfaden, so gut es eben gehen wollte, mit einander zu verbinden. [2]

Einer der umfangreichsten Texte war Franciscis Ost- und West-Indischer wie auch Sinesischer Lust- und Stats-Garten(1668), [3] In Form von Gesprächen, die sich über mehrere Tage hinziehen, werden “die Wunder der neuen Welt, die tropische Natur und alle Märchen [...] die damals über sie im Schwange gingen” [4] abgehandelt – und mit mehr als 60 Tafeln illustriert. Darin findet sich Alltägliches, Überraschendes, Skurriles und Phantastisches in einer nachgerade überwältigenden Fülle, die schon der vollständige Titel des Werks andeutet (s. Abb.):

Erasmus Francisci: Ost- und West-Indianischer wie auch Sinesischer Lust- und Stats-Garten

Erasmus Francisci: Ost- und West-Indianischer wie auch Sinesischer Lust- und Stats-Garten (1668)

Erasmi Francisici Ost- und West-Indischer wie auch Sinesischer Lust- und Stats-Garten. Mit einem Vorgespräch Von mancherley lustigen Discursen ; In Drey Haupt-Theile unterschieden.
Der Erste Theil Begreifft in sich die edelsten Blumen/ Kräuter/ Bäume/ Meel- Wasser- Wein- Artzney- und Gifft-gebende Wurtzeln/ Früchte/ Gewürtze/ und Specereyen/ in Ost-Indien/ Sina und America:
Der Ander Theil Das Temperament der Lufft und Landschafften daselbst ; die Beschaffenheit der Felder / Wälder / Wüsteneyen; die berühmten natür- und Künstliche Berge / Thäler / Hölen; imgleichen die innerlichen Schätze der Erden und Gewässer; als Mineralien / Bergwercke / Metallen / Edelgesteine / Perlen und Perl-Fischereyen; folgends unterschiedliche wundersame Brunnen / Flüsse / Bäche / lust-reiche Seen / schau-würdige Brücken; allerley Meer-Wasser / abentherliche Meer-Wunder; Luft- Spatzier- Zier- Kauff- und Kriegs-Schiffe:
Der Dritte Theil Das Stats-Wesen/ Policey-Ordnungen/ Hofstäte/ Paläse / denckwürdige Kriege / Belägerungen/ Feldschalchten / fröliche und klägliche Fälle / Geist- und weltliche Ceremonien / merckwürdige Thaten und Reden der Könige und Republicken daselbst. Wobey auch sont viel leswürdige Geschichte / sinnreiche Erfindungen / verwunderliche Thiere / Vögel und Fische / hin und wieder mit eingeführet werden.
Aus den fürnemsten / alten und neuen / Indianischen Geschicht- Land- und Reisbeschreibungen / mit Fleiß zusammengezogen / und auf annehmliche Unterredungs-Art eingerichtet.

Sieht man über die dem Leser des 21. Jahrhunderts doch sehr fremde Sprache  hinweg und ignoriert die im Gespräch immer wieder erhobenen Zeigefinger, so schnell klar, dass der Lust- und Stats-Garten eine bisher kaum beachtete Fundgrube ist, wenn es darum geht, (Wissens-)Transferprozesse näher zu beleuchten. Francisci schöpft aus einer Fülle von Material, das er, wohl um die Verlässlichkeit seiner Ausführungen zu untermauern, dem Leser vorstellt. Das Literaturverzeichnis überschreibt er mit:

“Was für ·Authores· bey diesem Werkce angezogen seyn / weiset nachgesetzter ·Catalogus· Darinn auch / denen zu Liebe / die eines oder andres irgend nachzushclagen begehrten / die ·Editio·nen (etliche wenige ausgenommen) beygefüget worden.” [5]

Der “Catalogus” enthält rund 270 Titel, die zwischen der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts und 1668, dem Jahr, in dem der Stats-Garten erschien, veröffentlicht worden waren. Bei etwa 60 Prozent der Titel wird das Erscheinungsjahr genannt, beim Rest fehlt das Datum. Das älteste der aufgelisteten Werke ist aus dem Jahr 1524 [6]); das jüngste Georg Horns Orbis Imperans … aus dem Jahr 1668 [7].

Beschränkt man sich auf die Literatur, die Francisci heranzieht, um über China und ‘Chinesisches’ im weitesten Sinne zu berichten, gewinnt man den Eindruck, er habe stets die ‘aktuellsten’ Titel benützt – von Mendoza abgesehen, finden sich vor allem Titel aus den 1650er und 1660er Jahren. Doch dieser Schluss ist vorschnell, betrachtet man den “Catalogus” genauer, wird erkennbar, dass Francisci Zugriff auf eine gut bestückte Bibliothek gehabt haben dürfte – ob die vorhandene Ausgabe die jeweils aktuellste war, spielte dabei keine Rolle …

Die derzeit in Arbeit befindliche Auswertung des “Catalogus” verspricht interessante Einblicke in Prozesse der Wissensdissemination – wird im Stats-Garten doch der Versuch unternommen, Wissen, das bis dahin (aus einer Reihe von Gründen) der res publica literaria vorbehalten war, einem interessierten allgemeineren Publikum zugänglich zu machen.

[1] Zur Biographie: Friedrich Wilhelm Bautz: Finx, Erasmus, genannt Francisci. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Band 2. (Hamm: Bautz 1990) Sp. 35 f.; Gerhard Dünnhaupt: “Erasmus Francisci.” In: Philobiblon 19 (1975), 272-303; zum Werk: Gerhard Dünnhaupt: “Erasmus Francisci.” In: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. Band 2. (Stuttgart: Hiersemann1990) 1514–1549.

[2] Franck, Jakob, „Francisci, Erasmus“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 7 (1878), 207 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118534629.html?anchor=adb.

[3] Bibliographische Daten: VD 17 23:231724G.

[4] Franck, Jakob, „Francisci, Erasmus“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 7 (1878), 207 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118534629.html?anchor=adb.

[5] Francisci, Stats-Garten (1668) Catalogus [unpaginiert]

[6] Hernán Cortés: Praeclara de nova maris Oceani Hyspania narratio, Carolo Romanorum imperatori anno D. 1520. transmissa etc. per Petrum Savorgnanum ex hyspano idiomate in latinum versa (Norimbergae: Frideribus Peypus 1524), bibliographische Daten: VD16 C 5309 / VD16 A 2839

[7] Bibliographische Daten: VD17 3:308871V.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/234

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Fachchinesisch?

In einem “Belehrende[n] Stammtischvortrag” eines (imaginären) “Original-Geographen”) im Kikeriki vom 16.11.1911 findet sich eine kurze Passage zur Chinesishcen Schrift:

[… ] Das Allerkurioseste ist die chinesische Schrift. Ein Baum zum Beispiel heißt Tam. Will man das schreiben, zeichnet man einen Baum auf. Zwei Bäume heißen Tam=Tam, da zeichnet man zwei Bäume, und der Wald heißt Tam tatatam tatatam Tam=Tam; da muß man also eine ganze Seite voller Bäume zeichnen. […] (Kikeriki Nr. 92, 16.11.1911, S. 2).

Der “Original-Geograph” kombiniert Fakten-Wissen zur Schrift, das in Büchern über China wiederholt präsentiert wurde, und Phantasien zur Wortbildung in exotischen Sprachen. Das Bedeutungsspektrum Holz – Baum – Wald ergibt sich tatsächlich durch Wiederholung, allerdings nicht in der Aussprache, sondern durch Wiederholung eines Elements im Schriftzeichen: Das Schriftzeichen 木 [shu], das einen stilisierten Baum darstellt, bedeutet „Holz, Baum, hölzern (im Sinne von: aus Holz gemacht)“. Wird dieses Element zweimal nebeneinander gestellt zu  林 [lin], bedeutet das Schriftzeichen „Wald, Hain“ (es gibt im Chinesischen keinen Dual). Wird 木dreimal genommen und zu 森 [sen] arrangiert, bedeutet dieses Zeichen „Wald, Forst“, aber auch „dicht (bewachsen), üppig“.

So sehr die chinesische Schrift die ‘Außenwelt’ fasziniert hat, so sehr stellte und stellt der Druck nichtlateinischer Schriften im allgemeinen und chinesischer Zeichen im Speziellen Buchgestalter und Buchdrucker vor immer neue Herausforderungen. Auch vielfältige technische Neuerungen scheinen daran nur wenig geändert zu haben …

Wie es begann

Einer der ersten China-Bestseller war die Historia de las cosas mas notables, ritos y costumbres del gran reyno de la China… des Juan González de Mendoza (um 1540–1617) , die 1585 in Rom bei Grassi erschien. Mendozas Beschreibung des Landes und seiner Bewohner verbreitete sich durch Übersetzungen ins Italienische, Deutsche, Französische, Englische und Lateinische innerhab weniger Jahre in ganz Europa [1] In den Ausgaben, die bei Andrea Muschio (fl. nach 1560) [2] gedruckt wurden, finden sich auf den Seiten 114 und 115 – in den Fließtext eingefügt – drei Zeichen:

Das dürften die wohl ersten in Europa gedruckten chinesischen Schriftzeichen sein [3]. In den Jahrhunderten danach wetteiferten europäische Druckereien um die ‘schönsten’ (d.h. ästhetisch ansprechendsten) Schriftzeichen, die Leistungsfähigkeit der Druckereien erreichte – wie Georg Lehner (2004) gezeigt hat, ein sehr hohes Niveau.

Neue Anläufe (?)

Die Beschäftigung mit chinesischen Typen und der Typographie des Chinesischen blieb ein Randthema der Typographie, der Satz chinesischer Zeichen ein ewiger Knackpunkt … bis sich Susanne Zippel 2011 des Themas annahm.[4] – als Hilfsmittel, den boomenden Markt China zu erobern [Rückentext]. Das Buch soll die modernen Klassikern der Typographie im Verlagsprogramm ergänzen: Die Lesetypografie von Willberg/Forssman [5] und die Detailtypografie von Forssman/De Jong [6]. Der Anspruch, der erhoben wird, ist hoch:

“Eine solide Einführung in die Welt der chinesischen (sowie der japanischen und koreanischen) Schriftsysteme, eine analytische Gegenüberstellung des lateinischen und des CJK-Schriftsystems” [Zippel (2011) Rückentext].

Der Titel wurde in Typografie- und Grafik-Kreisen bejubelt [7] und in eine Reihe mit Anatomie der Buchstaben von Karen Chang [8] und Decode Unicode [9] gestellt. Das passt vielleicht für die Ausstattung, die – Halbleineneinband, Folienprägung, zwei Lesebändchen. zahlreiche Abbildungen, amgenehme Haptik – so ist, wie vom Hermann-Schmidt-Verlag erwartet werden darf. Inhalt und Buchgestaltung kommen da nicht heran.

Am Beginn steht ein “Auftakt” (S. 1-17), der vier Beispiele multilingualer Unternehmenskommunikation vorstellt und so einen Problemaufriss gibt. Die ersten drei Kapitel sind eine tour de force durch die Geschichte der chinesischen Schrift (“Funktion und Geschichte”, S. 18-97), die Unterschiede zwischen (lateinischem) Alphabet und Schriftzeichen (“Buchstaben und Schrifzeichen”, S. 98-133) und Anforderungen an Zeichensätze und Fonts, Schriftfamilien und Schriftgeschichte (“Zeichensatz und Font”, S. 134-177).  Diese Abschnitte sind quasi Vorbereitung zum umfangreichsten Kapitel, das Empfehlungen zur CJK-Typografie und zur multilinguale Typografie gibt (“Typografie – aber wie?”, S. 178-277).

Die erste Karte – “Die chinesischen Sprachen oder Dialektbünde und ihre Ausdehnung in China” (S. 28 f.) nährt erste Bedenken. Auf einer Karte mit vegleichsweise wenig Text finden sich zahlreiche Transkriptionsfehler bei chinesischen Toponymen, u.a. “Shaangxi” [i.e. Shǎnxī 陕西 bzw. Shaanxi], “Shangxi” [i.e. Shānxī  山西],”Shangdong”  [i.e. Shāndōng 山東], “Jiling” [i.e. Jílín 吉林], “Tianjing” [i.e. Tiānjīn 天津]; Peking, Hongkong und Macao sind nicht der Pinyin-Transkription angepasst, für koreanische und japanische Toponyme wird keines der üblichen Transkriptionssysteme verwendet.

Beim ersten Reinlesen stößt der mit dem Chinesischen vertraute Leser auf einige irritierende Eigenheiten und vermeintliche Kleinigkeiten, die sich schnell summieren: Schriftzeichen im Fließtext sind rot gesetzt – wohl damit sie sich vom Rest schön abheben und ihre Exotik unterstrichen wird. Zu jedem Schrifzeichen wird die Transkription (die konsequent als “Umschreibung” bezeichnet wird) angegeben, die Regeln für die Pinyin-Transkription [10] werden nicht eingehalten: Transkribierten Wörter sind in Kapitälchen oder kursiven Kapitälchen gesetzt.

Ziel der ersten beiden Kapitel dürfte es sein, dem mit dem Chinesischen (und – in kleinerem Umfang – dem Japanischen und dem Koreanischen) nicht vertrauten Publikum dessen Mysterien näherzubringen. Im Text gibt es keine Angaben, woher Informationen bezogen wurden – die Auflistung im Quellenverzeichnis (S. 280 f.) wirkt eher beliebig. Mitunter scheinen Informationen einfach aus Wikipedia übernommen zu sein, so u.a. “Die Völker der Volksrepublik China” (S. 30), die die “Liste der 70 als Nationalitäten anerkannten Völker der VR China” mit der Auflistung “List of ethnic groups inChina” oder die Aufstellung “Die Dialekte der ethnischen Han-Chinesen” (S. 31), die die “Liste der chinesischen Dialekte” übernimmt (weshalb hier die Markierung der Töne fehlt, deren (ansonsten außer in Lehrbüchern übliches) Fehlen die Autorin als “Manko” empfindet [S.7]). Die verwendete (?) Literatur ist eher älteren Datums, einschlägige aktuelle Titel zur chinesischen Schrift fehlen.

Insgesamt hinterlassen die ersten beiden Kapitel einen zwiespältigen Eindruck.Die gegebenen Erklärungen reichen nicht aus, dem Laien das jeweils beschriebene Phänomen der chinesischen Sprache oder der chinesischen Schrift verständlich zu machen – trotz vieler Abbildungen, Übersichten und Tabellen. Diese bringen für den, der sich mit der chinesischen Sprache beschäftigt hat, wenig Neues.Es darf bezweifelt werden, ob mit der Anleiung (S. 132 f.) ein unbekanntes Schriftzeichen in einem Wörterbuch gefunden werden kann. Die Beispiele, die das Chinesische charakterisieren sollen, geistern zum Teil seit Jahrhunderten durch die Literatur. Schon Athanasius Kircher brachte in China monumentis illustrata(S. 233 f.) die Reihe [一] 十 土 王 玉 als Beispiel dafür, dass es auf jeden Strich ankommt – ohne das ins Lächerliche zu ziehen (“Pünktchen, Pünktchen, Komma …” [Zippel, S. 116]).

Die Kapitel zur Typographie wiederholen zunächst in Kurzfassung die Grundgesetze der Typographie, die in den oben angeführten Werken wesentlich ausführlicher und präziser abgehandelt werden. Sie scheinen dann den Versuch zu machen, Chinesisches an europäische Seh- und Lesegewohnheiten anzupassen – anders sind manche Vorschläge/Regeln nicht zu verstehen. Die Kritik, die an chinesischen typographischen Konventionen geübt wird, zeugt von wenig Verständnis für Kulturspezifisches  (Beispiel: Zwei-Geviert-Einzug am Beginn eines Absatzes (S. 239)). Viele der technischen Angaben zu bestimmten Software-Produkten sind für den, der damit arbeitet, vermutlich selbstverständlich. Als Referenz zum schnellen Nachschlagen ist Fachchinesisch wohl nicht gedacht, die spärlichen Praxistipps sind gut versteckt.

Wozu also das Ganze? Ist es ein Katalog mehr oder weniger ‘schöner’ oder ‘brauchbarer’ CJK-Fonts (die Satzmuster ziehen sich durch den ganzen Band)? Eine bebilderte Einführung ins Chinesische? Oder doch eher gut platzierte Self-PR? Dass sich ein renommierter Verlag für diese wenig verschleierte Marketing-Aktion hergibt, wirkt denn doch befremdlich.


[1] Vgl. den Beitrag zur Historia des González de Mendoza in der Bibliotheca Sinica 2.0.

[2] Ennio Sandal: MUSCHIO, Andrea. In: Dizionario Biografico degli Italiani – Volume 77 (2012) | (Online-Version)

[3] Georg Lehner: Der Druck chinesischer Zeichen in Europa. Entwicklungen im 19. Jahrhundert (Wiesbaden Harrassowitz 2004) 13.

[4] Susanne Zippel: 中日韩字体编排指南 Fachchinesisch Typografie. Chinesische Schrift verstehen und anwenden. Grundlagen multilingualen Erfolges in den Märkten des Fernen Ostens. Mit einem Vorwort von Frank Sieren (Mainz: Verlag Hermann Schmidt Mainz 2011)

[5] Hans Peter Willberg/Friedrich Forssman: Lesetypografie (5., revidierte Aufl.; Mainz. Verlag Hermann Schmidt Mainz 2010)

[6] Friedrich Forssman/Ralf De Jong: Detailtypografie. Nachschlagewerk für alle Fragen zu Schrift und Satz. Vierte, wiederum verb. Auflage (Mainz: Hermann Schmidt Verlag 2008)

[7] Rezensionen u.a.: Fontblog (Sabine Gruppe, 6.9.2011), Linotype Blog (6.10.2011), DesignerBusiness (Joachim Kobus, Mai 2012), Margrit Manz: “Chinesich – Magic Cube der Sprachen” (2012) [auch über typografie.de].

[8] Karen Cheng/Hennig Krause (Übers.): Anatomie der Buchstaben. Basiswissen für Schriftgestalter. Designing Type. (Mainz: Hermann Schmidt Verlag 2006)

[9] Johannes Bergerhausen/Siri Poarangan: Decodeunicode (Mainz: Hermann Schmidt Verlag 2012).

[10] GB/T 16159-1996 – National Standard of the People’s Republic of China (ICS 01.140.10). Approved and issued by the State Technology Supervision Bureau on January 22, 1996; effective on July 1, 1996.|《中文拼音正词法基本规则》 中华人民共和国国家标准GB/T 16159—1996 中文拼音正词法基本规则 1996-01-22发布 1996-07-01实施 国家技术监督局发布 (pinyin.info)

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/159

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