Ein Bild sagt mehr … (XV): En Chine (1898)

En Chine” aus Le Petit Journal Nr. 374 vom 16. Januar 1898 ist ein Klassiker der China-Karikaturen des 19. Jahrhunderts[1] – Symbol für das Agieren der Mächte auf dem Höhepunkt des “Scramble for concessions”, des Wettlaufs um Konzessionen (und Einfluss) in China.

Le Petit Journal Numéro 374 (16.1.1898) | gallica / BnF

Le Petit Journal Numéro 374 (16.1.1898) | gallica / BnF

Das Bild zeigt einen verweifelten Chinesen, der bei der Teilung Chinas, des “gâteau des Rois”, durch die Mächte zusieht:

  • Großbritannien – verkörpert durch Königin Victoria
  • das Deutsche Reich – verkörpert durch Kaiser Wilhelm II.
  • Frankreich – verkörpert durch die Figur der Marianne
  • Russland – verkörpert durch Zar Nikolaus II.
  • Japan – verkörpert durch eine Art ‘Samurai’

Der ‘gateau des rois’ ist nicht bloß der ‘Kuchen der Könige’, sondern eine (zugegeben, ziemlich flache und eher schlichte) Galette des Rois, ein Kuchen, in dem ‘la fève’ versteckt. Der Kuchen wird traditionell geteilt; der Finder der ‘fève’ ist KönigIn für einen Tag. Der Kuchen, der hier geteilt wird, ist China – und einige Teile sind schon reserviert. China kann nur händeringend zusehen und protestieren.

Victoria scheint ein Viertel des Kuchens für sich reserviert zu haben, Wilhelm II hat das Messer in den Kuchen (und in der Hitze des Gefechts gleich in die Tischplatte) gerammt, um das Stück “Kiao-Tchéou” [Jiaozhou 膠州] herauszuschneiden. Nikolaus II. hat die Hand auf einem Stück “Port-Arthur”), Marianne hat die Hand auf seine Schulter gelegt. Nur der Samurai überlegt noch, welches Stück er herausschneiden soll. Die Konstellationen sind eindeutig: Großbritannien und das Deutsche Reich nahe nebeneinander, Frankreich unterstützt Russland, Japan sitzt mit am Tisch, ist aber isoliert.

Betrachtet man die Figuren genauer, zeigen sich zeittypische Muster mit einigen Auffälligkeiten.

  • Nikolaus II. (in Uniform) und Marianne sind in der Darstellung wenig überraschend, die Gesichtszüge sind entspannt und nicht verzerrt.
  • Wilhelm II. (in Uniform mit Pickelhaube) wirkt angespannt/aggressiv, die Stirn ist in Zornesfalten gelegt.
  • China ist zeittypisch markiert: ‘chinesische’ Gewänder (über einem gelben Kleid ein roter, gemusterter Mantel), Kappe mit Pfauenfeder (die Feder ist eher aufgesteckt als am Rangknopf befestigt), langer, dicker Zopf, dünner Bart und lange Fingernägel an beiden Händen
  • Etwas eigenartig ist die Darstellung der Victoria. Kopf und Schleier sind einschlägigen Fotografien/Karten[2] nachgebildet, die Augenbrauen sind hochgezogen. Der auffällige Schmuck und das Kleid mit tiefem Ausschnitt passen nicht so recht, denn Victoria hatte seit dem Tod ihres Ehemannes im Dezember 1861 nur Witwentracht getragen.
  • Japan wird durch eine Art ‘Samurai’ verkörpert: Die Figur trägt eine weiche rote Jacke mit weißem Kragenbeleg, die weiten Ärmel sind hochgeschoben. Die Frisur erinnert an  den Edo-zeitlichen chonmage 丁髷, die traditionelle Frisur der Samurai, die seit August 1871/Meiji 4 durch Haarschneide-Edikte[3] verboten war.[4]

  1. Dazu trägt auch die Verwendung auf Wikipedia in zahlreichen Artikeln zu China, Imperialismus, Ungleichen Verträgen etc. bei. Die Google-Bildersuche liefert etwa 1,7 Millionen Treffer.
  2. Z.B.  NPG x13844: “Queen Victoria” by Alexander Bassano, carbon cabinet card, 1887 (1882).
  3. danpatsurei 断髪令, “Cropped Hair Edict” – vgl. dazu Florian Coulmas: Die Kultur Japans: Tradition und Moderne (Beck’sche Reihe; München: C. H. Beck 2009), 215.
  4. Zum ambivalenten Verhältnis ‘moderner’ JapanerInnen des 19. Jahrhunderts zu traditioneller Kleidung s. das Kapitel “Embodying Japan” in: Christine Guth: Longfellow’s Tattoos: Tourism, Collecting, and Japan (University of Washington Press, 2004), pp. 121-166.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1261

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Frühe & neue(re) China-Bilder – oder: Wo ist das 18. Jahrhundert?

Seit November 2012 sind auf  mind the gap(s) etwa 60 Beiträge entstanden, die sich vor allem mit (sehr) frühen China-Bildern und -texten oder mit Bildern des 19., 20. und 21. Jahrhunderts beschäftigen. Nur das 18. Jahrhundert erscheint weitgehend als ‘schwarzes Loch’. Es scheint an der Zeit, dem  “warum” nachzugehen …

Auf den ersten Blick erscheint es paradox, dass mind the gaps(s) gerade das Jahrhundert, in dem die europäische Beschäftigung mit China bis dahin nicht gekannte Dimensionen erreichte, ausgeklammert wird, zumal allein die ‘Klassiker’ wie die Description von Du Halde[1] und die in den Mémoires des Chinois (1776-1814)[2] gesammelten Briefe von Jesuitenmissionaren ein fast unterschöpfliches Feld und auch leicht erklärbares Forschungsthema wären – auf ausgetretenen Pfaden kann es bisweilen schneller vorangehen.

Adels-Spiegel (1591)

C. Spangenberg: Adels-Spiegel (Schmalkalden 1591) | Google Books

Der China-Hype des 18. Jahrhunderts wäre ohne die vielen kleinen Bausteine, die im 16. und 17. Jahrhundert entstanden, undenkbar – doch die waren und sind mit konventionellen bibliographischen Hilfsmitteln schwer erschließbar. Cordiers monumentale (und immer noch unverzichtbare) Bibliotheca Sinica ([3]) – bildet die Situation gut ab: Der Großteil der erfassten Titel sind aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die Zeit davor liegt weitgehend im Dunkeln. Ausstellungen zu den Anfängen europäischer Beschäftigung mit China sind Wiederholungen eines Kanons, der seit China illustrata (1987)[4]  geradezu festgeschrieben scheint.

Aber was ist jenseits des Altbekannten und/oder Offensichtlichen (also der Texte, die China, Sina, Cathay etc. explizit im Titel haben)?
Welchen Unterschied macht es, ob ein Autor die lateinische Fassung eines Textes verwendet oder die (alt-)französische oder eine deutsche?[5]
Welches Bild ergibt sich aus (Mikro-)Fragmenten europäischen Wissens (Beispiel u.a. hier) über China?
Was steht über China in Kosmographien, Weltbüchern, Universalgeographien?  Woher kommen die Nachrichten?
Wie lange ‘leben’ Bilder (im Wortsinn wie im übertragenen Sinn)?

Genau diesen Fragen, die sich vielleicht/hoffentlich/möglicherweise unter Verwendung aller technischen Möglichkeiten beantworten lassen, wird sich mind the gap(s) weiterhin widmen …

I took the one less traveled by,
And that has made all the difference.[6]

  1. Jean-Baptiste Du Halde:  Description géographique, historique, chronologique, politique et physique de l’empire de la Chine et de la Tartarie chinoise (Paris: P.G. Lemercier 1735), Digitalisate (mehrere Ausgaben, Übersetzungen) → Bibliotheca Sinica 2.0 ; Zum Werk: Isabelle Landry-Deron: La preuve par la Chine. La “Description” de J.-B. du Halde, Jésuite, 1735 (Civilisations et sociétés ; 110; Paris: Éds. de l’École des Hautes Études en Sciences Sociales, 2002) .
  2. Mémoires concernant l’histoire, les sciences, les arts, les mœurs, les usages, & c. des Chinois: Par les Missionnaires de Pékin (Paris: Nyon, 1776-1814); Digitalisate → Bibliotheca Sinica 2.0.
  3. Henri Cordier:  Bibliotheca sinica. Dictionnaire bibliographique des ouvrages relatifs à l’Empire chinois (1. Aufl.: Paris: E. Leroux 1878-1895, 2. Aufl. 1904-1908.) Digitalisate → Bibliotheca Sinica 2.0.
  4. Hartmut Walravens (ed.): China illustrata. Das europäische Chinaverständnis im Spiegel des 16. bis 18. Jahrhunderts [Ausstellung im Zeughaus der Herzog-August-Bibliothek vom 21. März - 23. August 1987] (Weinheim: Acta Humaniora 1987).
  5. Ein drastisches Beispiel – allerdings aus dem 18. Jahrhundert: Du Haldes Description im französischen Original (1735) und in der deutschen Version (1747-1749).
  6. Robert FrostVie: “The Road Not Taken.” In: Robert Frost: Mountain Interval (New York: H. Holt & Company 1916), 9.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1129

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Street Angel 馬路天使 (1937)

Mǎlù tiānshǐ 馬路天使 (“Street Angel”, 1937) ist ein Klassiker des ‘linken’ Films der 1930er Jahre.  Der Film von Regisseur  Yuan Muzhi (1909-1978)  erscheint als Mischung aus Komödie und Melodram und erinnert an Hollywood-Tragikomödien der 1930er, zeichnet allerdings ein sehr pessimistisches Bild der Gesellschaft vor dem Krieg.[1].

Street Angel (1937)

Street Angel (1937)

Die Schwestern Xiao Hong und Xiao Yun waren auf der Flucht vor dem Krieg im Nordosten Chinas im Herbst 1935 nach Shanghai gekommen, wo sie von einem skrupellosen Paar ‘adoptiert’ wurden – de facto aber an das Paar, einen Musiker und seine spielsüchtige Frau, verkauft worden waren. Sie leben in einer heruntergekommenen Gegend, wo sich Xiao Hong, die in einem Teehaus arbeitet, in den armen Trompeter Xiao Chen verliebt, der in derselben Straße wohnt. Die ältere der Schwestern, Xiao Yun, die zur Prostitution gezwungen wurde, freundete sich dem Zeitungsverkäufer Lao Wang, dem besten Freund des Trompeters, an.
Bei einem Auftritt im Teehaus weckt Xiao Hong das Interesse des Kriminellen Gu, der sie den ‘Adoptiveltern’ abkaufen möchte, um sie zu seiner Konkubine zu machen. Die Schwestern hören zufällig von dem Plan und suchen Hilfe bei ihren Freunden. Da Sie sich keinen Anwalt leisten können, fliehen Xiao Hong und Xiao Chen in ein anderes Stadtviertel, wo auch Xiao Yun zuflucht sucht. Ihre Flucht währt nur kurz, denn der ‘Adoptivvater’ sieht die Mädchen auf der Straße, folgt ihnen und gibt dem Kriminellen Gu einen Tipp. In der folgenden Auseinandersetzung wird Xiao Yun niedergestochen. Sie stirbt, denn kein Arzt ist bereit zu kommen, wenn er nicht bezahlt wird.[2]

Der Film lebt vom innovativen Einsatz der Filmmusik, wobei einige Nummern – im Film gesungen von Zhou Xuan – zu epochenprägenden Titeln wurden, die noch heute bekannt sind, vor allem  Sì jì gē 四季歌 ["Song of the Four Seasons"] und Tiānyá gēnǚ 天涯歌女 ["The Wandering Songstress"],  beide komponiert von He Lüting賀綠汀 (1903-1999) mit Texten von Tian Han  田漢 (1898-1968).
Tiānyá gēnǚ ((Im Film heißt der Song Tianya Ge 天涯歌 ["The Wandering Song"].)) wurde zu einem der bekanntesten Songs aus den 1930ern und 1940ern und ist in China ähnlich bekannt wie im Westen “As time goes by” aus “Casablanca” (1942)[3] Gesungen wird das Lied von Zhou Xuan 周璇 (1918 oder 1920-1957), einer der berühmtesten Sängerinnen/Schauspielerinnen des chinesischen Tonfilms der 1930er und 1940er.[4]

Eine englische Fassung des Filmskripts (übersetzt von Andrew F. Jones) gibt es im MCLC Resource Center.

  1. Stefan Kramer: Geschichte des chinesischen Films (Stuttgart/Wimar: J. B. Metzler 1997) 29.
  2. “Street Angel” in A Brief History of Chinese Film/Ohio-State.edu <abgerufen am 26.9.2013>.
  3. Der Song wurde wiederholt in den Soundtracks von chinesischen und westlichen Filmen verwendet, unter anderem in Lust, Caution (Regie: Ang Lee, 2007), in  Paris, je t’aime (2006) und in New York, I love you (2009).
  4. Kurzbiographie und Filmographie → Internet Movie Database.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/995

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Ein Bild sagt mehr … (XII): Die Revolution in China (1911)

Später als die meisten anderen satirisch-humoristischen Periodika Europas thematisiert Der wahre Jacob[1] die Xinhai辛亥-Revolution, die im Oktober 1991 das Ende der Qing-Dynastie einleitete und an deren Ende die Gründung der Republik China 1912 stand.

Am 4. November 1911 heißt es zur “Revolution in China”:

Das chinesische Volk sollte bisher nur “erwacht” sein; man sieht aber, daß es bereits “ganze Arbeit” macht.

Einst hieß es: der chinesische Teekessel wird seien Wände sprengen! Jetzt ist statt dessen nur der monarchische Topfdeckel in die Luft geflogen.

Die Chinesen gelten für die “umständlichste Nation des Erdballs”. Trotzdem machen sie jetzt mit ihrem historischen Gerümpel die allerwenigsten Umstände.

China ist wirklich ein sehr gelehriger Schüler Europas: sein früherer Meister kann heute schon allerlei von ihm lernen![2]

In der folgenden Nummer folgt das Thema auf dem Titel – mit einer Variation des Motivs ‘Völker Europas …‘, einer Karikatur von M(aximilian) Vanselow.

Der Wahre Jakob (18.11.1911)
Quelle: UB Heidelberg

Im Hintergrund brennt eine chinesische Stadt, die ersten Türme/Pagoden stürzen um. Über den Flammen schwebt eine durch Bart und Kleidung asiatisch markierte Figur mit roter Jakobinermütze auf dem Kopf, die eine große dreieckige rote Fahne schwenkt. Auf der Klippe im Mittelgrund der Erzengel Michael und allegorische Figuren, die die Mächte darstellen. Der Engel hält eine Feuerspritze in der Hand, hinter ihm eine Figur mit Pickelhaube an einer Wasserpumpe, doch aus dem Schlauch kommen nur wenige Trupfen. Unterhalb der Klippe sind die Dächer Berlins zu sehen (der Turm deutet das Rote Rathaus an, daneben ist ein Gebäude mit “Alexanderpl[atz]” beschriftet).  Die Bildunterschrift lautet: “Der heilige Michael erblaßt! Wer konnte auch voraussehen, daß die gelbe Gefahr einmal – rot werden könnte.”[3]

Die Karikatur lässt viel Raum für Interpretationen:

  • Beginnen die Löschversuche gerade oder wurden die Löschversuche aufgegeben?
  • Steht (der Erzengel) Michael für (den deutschen) Michel?
  • Und warum hält der Beobachter im Vordergrund das Fernrohr verkehrt herum?

  1. Der Wahre Jacob, der 1879 in Hamburg gegründet worden war, ab 1884 in Stuttgart verlegt wurde und – mit Unterbrechungen – bis 1933 erschien, war eine vielgelesene Zeitschrift im Umfeld der SPD. Seit 1891 dominierte eine vierfarbig gedruckte Karikatur das Titelblatt. Zur Geschichte des Blattes: Konrad Ege: Karikatur und Bildsatire im Deutschen Reich: Der ‘Wahre Jacob’, Hamburg 1879/80, Stuttgart 1884-1914; Mediengeschichte, Mitarbeiter, Chefredakteure, Grafik (=Form & Interesse; 44; Münster/Hamburg: Lit 1992); Der Wahre Jacob – Digital: UB Heidelberg.
  2. Der Wahre Jacob Nr. 660 (4.11.1911) 7262;  online: UB Heidelberg.
  3. Der Wahre Jakob Nr. 661 (18.11.1911), [1] – Online: UB Heidelberg.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/971

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Ein Bild sagt mehr … (XI): Les mandarins lettrés (1844)

Am 24. Oktober 1844 unterzeichneten Théodor de Lagrené (1800-1862)[1] und Qiying 耆英 (1787-1858)[2] den Vertrag von Huangpu [auch "Vertrag von Whampoa", Huángpǔ tiáoyuē 黃埔條約][3], der Frankreich all das zubilligte, was im Vertrag von Nanging Großbritannien zugestanden worden war: die Öffnung von Guangzhou 廣州, Fuzhou 福州, Ningbo 寧波, Shanghai 上海 und Xiamen 廈門 für den Handel, Extraterritorialität für französische Staatsangehörige, fixe Zolltarife und das Recht, Konsulate einzurichten. Die Vertragsverhandlungen, bei denen  Joseph-Marie Callery (1810-1862) als Übersetzer fungiert hatte, hatten in Macau (Aomen 澳門) stattgefunden, die Unterzeichnung erfolgte an Bord des Dampfer L’Archimède, der im Perlflussdelta auf der Höhe der Insel Huangpu vor Anker lag.

Les mandarins lettrés (1844)

Honoré Daumier: Les mandarins lettrés (1844)
[University of Kansas Luna Insight Image Collection]

China war seit im Kontext des so genannten “Ersten Opiumkriegs” in das Blickfeld der europäischen Politik gerückt, das ‘exotische’ China faszinierte ein breites Publikum. Der wohl bedeutendste Karikaturist Frankreichs dieser Zeit konnte an der Chiffre ‘China’ nicht vorbei gehen:  Honoré Daumier produzierte zwischen Dezember 1843 und Juni 1845 “Voyage en Chine”, eine Serie von 32 Lithographien, die in Le Charivari erschienen. Die einzelnen Blätter der Serie projizierten französische Alltagsszenen in eine exotische Umgebung – und bilden so beißende Kommentare zu den Vorgängen in Frankreich. Das Spektrum der dabei behandelten Themen ist breit gefächert, es geht unter anderem um Zölle/Zollkontrollen, Musik, Tanz, Bildung und Erziehung, Eheschließung, Krieg und Politik.

Am 7. Dezember 1844 erschien in Le Charivari das Blatt “Les mandarins lettrés”[4]. Es zeigt einige ‘asiatisch’ gekleidete Männer, die um einen Tisch sitzen, auf dem einige Bücher liegen. Einer manikürt seine Fingernägel, die anderen scheinen zu schlafen. Der Text erklärt die Szene:

Il existe à Pékin une célèbre institution littéraire nommée A-KA-DE-MIE, les quarante membres de ce corps assistent une fois par an à une grande séance publique où l’on baille, et une fois par mois à une petite séance particulière où l’on dort. Il est vrai que ces personnages s’excusent en disant qu’ils rèvent au dictionnaire de la langue Chinoise, dictionnaire qu’ils sont en train de rédiger depuis cent cinquante ans; mais ils ne se pressent pas, sous le prétexte qu’ils ont tout le temps de travailler, puisqu’ils sont immortels.

Daumier zielt auf die Académie française, die 1635 auf Betreiben Richelieus von Louis XIII. gegründete Gelehrtengesellschaft, deren offizielle Aufgabe die Vereinheitlichung und Pflege der französischen Sprache war und ist.  Die Akademie hat 40 auf Lebenszeit berufene Mitglieder, “les immortels”/”die Unsterblichen” – nach dem Motto der Akademie.[5]

1637 hatte die  Académie française begonnen, an einem normativen Wörterbuch zu arbeiten. Die erste Auflage des Dictionnaire de l’Académie[6] erschien 1694 – also 150 Jahre vor Daumiers Karikatur. Bis 1844 waren 5 Ausgaben erschienen, die letzte vollständige Ausgabe ist die 8. Ausgabe (1932-1935) mit ca. 35 000 Wörtern. Seit 1986 wird an der neunten Auflage gearbeitet, deren erster Band erschien 1992, der zweite Band folgte 2000.

Das ‘Chinesische’ in Daumiers Karikatur beschränkt sich auf ‘asiatische’ Kleidung, die Zöpfe der ‘Unsterblichen’ und auf die Schreibung “A-KA-DE-MIE”, die den Monosyllabismus aufgreift, den man seit dem 17. Jahrhundert dem Chinesischen nachgesagt hatte.[7]

BTW … Schon die klassischen einsprachigen  chinesischen Wörterbücher (Lexika, Zeichen- und Reimwörterbücher) übertrafen den Umfang des Dictionnaire de l’Académie françoise spielend:

  • Im Kangxi zidian 康熙字典 (1716[8] finden sich 47035 Schriftzeichen (von denen etwa 20000 Varianten sind).
  • 1711 wurde das Peiwen yunfu 佩文韻府[9]  [wörtlich: “Reimsammlung des kaiserlichen Studierzimmers”[10] präsentiert,  Es enthält mehr als 500.000 Einträge unter ca. 10.000 Lemmata – angeordnet nach 106 Reimgruppen.[11]

  1. Biographie in der Base de données des députés français depuis 1789.
  2. Fang Chao-ying, “Ch’i-ying (Kiying),” in A. W. Hummel, ed.: Eminent Chinese of the Ch’ing Period (1644-1912). (Washington: United States Government Printing Office, 1943), Vol I, pp. 131-134. Online: Qing Studies Workshop.
  3. S. Treaties, conventions, etc., between China and foreign states. 2d ed. Published by order of the Inspector General of Customs, Vol. 1 (Shanghai: Published at the Statistical Dept. of the Inspectorate General of Customs; and sold by Kelly & Walsh, 1917), 771-813.
  4. Voyage en Chine 18. Daumier Register Nr. 1206.
  5. S. http://www.academie-francaise.fr/les-immortels/les-quarante-aujourdhui.
  6. Académie française: Le dictionnaire de l’Académie françoise, dédié au Roy.  (Paris: Vve J. B. Coignard et J. B. Coignard 1694); Digitalisate (gallica): t. 1, t. 2.
  7. S. Gustav Ineichen: “Historisches zum Begriff des Monosyllabismus im Chinesischen”, In: Historiographia Linguistica, Volume 14 (1987),Number 3, 265-282.
  8. Zhang Yushu 張玉樹 et al.: Kangxi zidian 康熙字典 (1716). – Online: http://www.kangxizidian.com/.  Vgl. Endymion Wilkinson: Chinese History. A Manual. Revised and Enlarged (Harvard-Yenching Institute Monograph Series; Cambridge, Mass./London 2000), 64.
  9. Zhang Yushu 張玉樹 et. al.: Peiwen yunfu 佩文韻府 (1711, Supplement 1720). Vgl. Endymion Wilkinson: Chinese History. A Manual. Revised and Enlarged (Harvard-Yenching Institute Monograph Series; Cambridge, Mass./London 2000), 64.
  10. Helwig Schmidt-Glintzer: Geschichte der chinesischen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart (München: C.H. Beck; 2. Auflage 1999), 247.
  11. Christoph Kaderas: Die Leishu der imperialen Bibliothek des Kaisers Qianlong. (Asien- und Afrika-Studien der Humboldt-Universität zu Berlin 4, Wiesbaden: Harrassowitz 1998), 236-240.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/953

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Queen of Sports 体育皇后 (1934)

In 体育皇后 Tǐyù huánghòu (“Queen of Sports”) aus dem Jahr 1934 erzält Regisseur Sun Yu 孫瑜 (1900-1990) die Geschichte der Sprinterin Li Ying zwischen sportlichen Erfolgen und der Oberflächlichkeit der ‘besseren Gesellschaft’ Shanghais.

体育皇后 Queen of Sports (China, 1934)

体育皇后 Queen of Sports (China, 1934).

Sun Yu [1] gehörte zu den führenden linken Filmregisseuren Shanghais der 1930er Jahre. Er hatte in Beijing und in den USA studiert und war einer der wichtigsten Regisseure der  Lianhua Film Company (Liánhuá yǐngyè gōngsī 聯華影業公司), der sich mit sozialkritischen Dramen einen Namen gemacht hatte. “Queen of Sports”, der den Durchbruch für Lí Lìlì 黎莉莉 (eigentlich Qián Zhēnzhēn 錢蓁蓁, 1915-2005), zeichnet ein positives Bild der modernen chinesischen Frau – losgelöst von der üblichen Darstellung der ‘Heldinnen’ im chinesischen Film.

Lin Yin (dargestellt von Li Lili), reist nach Shanghai, um sich dort an einem College einzuschreiben. Mit großer Disziplin erarbeitet sie sich sportliche Erfolge – bis hin zu nationalen Meisterschaften. Durch ihre sportlichen Erfolge wird sie zu einer Berühmtheit und findet Zugang zu den ‘oberen 10.000′ – doch dadurch vergisst sie die wahren Ideale des Sports. Der Film, dessen Buch Sun 1933 schrieb, ist von sowjetischen Filmen stark beeinflusst – er erzählt eine Geschichte von sportlichem Erfolg und den Versuchungen, denen sich ‘Stars’ ausgesetzt sehen.

  1. Zur Biographie: Li Cheuk-To: “A Gentle Discourse on a Genius: Sun Yu”, in: Cinemaya: The Asian Film Magazine, Vol. II (1991), 53-63, Zhang  Yingjin/Xiao Zhiwei. “Sun Yu”, in Encyclopedia of Chinese Film (1998), 324f

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/843

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China-News: Eine Zeitungsmeldung vom 28. April 1734

Welche Meldungen aus/über China finden sich in den Zeitungen Europas? ‘Sensationen’ oder ‘Merkwürdigkeiten’? Nachrichten über Naturkatastrophen? Über Erfahrungen von Europäern in China? Die Suche nach diesen Nachrichten, die häufig eher Kürzestmeldungen sind, gleicht der Suche nach der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen. Aber … seit einigen Wochen bietet ANNO (Austrian Newspapers Online) die Möglichkeit der Volltextsuche in ausgewählten Titeln. Die Volltextsuche ist im Beta-Stadium, derzeit sind “knapp 200.000 Zeitungsausgaben mit knapp 2 Millionen Seiten von 1704-1872″ [1] durchsuchbar.  Zur Qualität heißt es:

Der Volltext basiert auf OCR-gelesenen Daten. Bei OCR (Optical Character Recognition) handelt es sich um ein automatisiertes Verfahren, weshalb es in manchen Texten zu einer sehr hohen Fehlerdichte kommen kann. Die Suche gestaltet sich oft etwas anders als etwa bei manuell abgetippten Texten. [...].[2]

Wienerisches Diarium 28.4.1734

Wienerisches Diarium 28.4.1734 | ANNO

Das lädt zum Experimentieren ein – denn unterschiedlichen Transkriptionen (wie etwa ‘Pecking’ oder ‘Pekin’ neben ‘Peking’ für Beijing 北京), sind bei der Arbeit mit Texten, die vor dem Zweiten Weltkrieg publiziert wurden, selbstverständlich. Aber Versuche (oder eher Spielereien – denn mehr ist es noch nicht – mit “ſ” (langem ‘s’)/”f” oder “ß”/”B” oder “C”/”S” etc. sind viel spannender, denn: Afien ift fuper.[3] ”

Sucht man “Chinese”, so ist der erste Treffer 1734 – April – 28: Wienerisches Diarium[4] – Seite 4.

Werfen wir einen Blick auf den Text – ein Klick auf das entsprechende Icon rechts oben zeigt den OCR-Text((Wienerisches Diarium Num. 34 (28.4.1734), 3f. Online: ANNO)).

Die kurze Meldung ist nicht besonders spannend – sie bringt zwei unterschiedliche Themen: Erdbeben in Beijing 1733 (und in den 3 Jahren davor) und den Krieg gegen die ‘Tartar(e)n’.

Zu den Erdbeben: Der Catalog of Damaging Earthquakes in the World (Through 2010) des International Institute of Seismology and Earthquake Engineering, Building Research Institute listet für die Zeit zwischen 1730 und 1733 eine Reihe von Erdbeben in China, darunter auch das Dongchuan 東川-Beben (Prov. Yunnan) vom 2.8.1733 (Stärke 7.8), aber nur wenige für den Raum Beijing.

  • 1730 Winter: China: Shandong – Stärke 5
  • 1730.09.30: China: Beijing – Stärke 6.5
  • 1731.11.30: China: Beijing – Stärke ? – 100000 Tote

Das Beben von 1730 hatte  schwere Schäden verursacht, das vom 30.11.1731 wohl 100000 Todesopfer gefordert.

Mit dem ‘Krieg gegen die Tartar(e)n’ ist wohl der Feldzug gegen die Dzungaren in der Yongzheng 雍正-Ära (1722-1735 ((Der Yongzheng 雍正-Kaiser Yinzhen  (1678-1735, regierte 1722-1735) hatte – wie schon sein Vater, der Kangxi-康熙-Kaiser Xuanye 玄燁 (1654-1722, regierte 1661-1722) vor ihm – versucht, die Position Chinas in der Äußeren Mongolei mit militärischen Mitteln zu sichern. Trotz der drückenden Übermacht der Qing-Streitkräfte konnten sich die zwar kleinen, aber sehr mobilen Verbände der Dzungaren zunächst behaupten, es gelang ihnen sogar, die Qing an den Rand der Niederlage zu bringen. Erst ein ‘Überläufer’, der sich auf die Seite der Qing-Dynastie geschlagen hatte, besiegte die Dszungaren.

Aber das ist hier eigentlich nebensächlich – es geht um Digitalisate und Volltext(e).

 OCR-Text Transkription
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[S. 4] Haupt, stadt in China / unter dem -offen
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[S. 3] Man hat hier briefe aus Pecking / der 
[S.4] Haupt=stadt in China / unter dem 20sten 
Martii des vorigen 1733. jahres des in-
halts / wie man 4. jahre nach einander heft
ige erdbeben daselbst verspühret hätte / da 
dann die anzahl deren dabey auf mancher
ley art umgekommenen personen sich gegen 
2. millionen beliefe. Der krieg gegen die 
Tartarn w[ue]rde in dortigen gegenden auch 
noch immer fortgesetzet / doch es hatten 
sich 300. Tartarn / unter allerhand vor
wande / mit ihren gantzen Familien an die 
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hatten in einer nacht / alle Chinesische 
schild=wachten listiger weise ermordet / und 
dadurch die gantze Chinesische Armee ei
ner unternehmung deren Tartaren ausge
setzet. Das darauf vorgefallene Treffen 
war so hitzig / und so blutig gewesen / der
gleichen niemals in dortigen Landen gese
hen worden / 50000. Chineser waren da
bey umgekommen / und ein General / 
welcher denen Tartarn in die H[ae]nde ge
fallen / war sogelich j[ae]mmerlich in Stücken 
zerhauen worden.

Das blaßorange markierte Wort ‘Chinese’ liefert den Treffer in der Volltextsuche, das blaßblau markierte ‘Chinesern’ wird nicht erkannt, denn da steht im OCR-Text ‘Chineftw’. Gleiche Typen auf einer Seite (also demselben Papier) knapp untereinander, kein Schatten (wie das in der jeweils inneren Spalte im Bereich des Möglichen wäre). Der Befund überrascht wenig – und es ließen sich vermutlich zahllose ähnliche Beispiele finden BTW: Das blassgrün markierte ‘Pecking’ wird bei einer Suche nach ‘Peking’ ebenfalls nicht gefunden, ein Blick in den OCR-Text zeigt warum: Dort steht ‘Ptckng’.

Big Data zum Greifen nahe?
Oder doch nicht?

  1. S. ANNO Suchhilfe
  2. S. ANNO Suchhilfe <abgerufen am 8.7.2013.>
  3. S. auch: Im Netz der (un)begrenzten Möglichkeiten.
  4. Das Wienerische Diarium war quasi der Vorgänger der Wiener Zeitung, es erschien 1703 bis 1779, ab 1780 erscheint das Blatt als Wiener Zeitung.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/796

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China-News: Eine Zeitungsmeldung vom 28. April 1734

Welche Meldungen aus/über China finden sich in den Zeitungen Europas? ‘Sensationen’ oder ‘Merkwürdigkeiten’? Nachrichten über Naturkatastrophen? Über Erfahrungen von Europäern in China? Die Suche nach diesen Nachrichten, die häufig eher Kürzestmeldungen sind, gleicht der Suche nach der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen. Aber … seit einigen Wochen bietet ANNO (Austrian Newspapers Online) die Möglichkeit der Volltextsuche in ausgewählten Titeln. Die Volltextsuche ist im Beta-Stadium, derzeit sind “knapp 200.000 Zeitungsausgaben mit knapp 2 Millionen Seiten von 1704-1872″ [1] durchsuchbar.  Zur Qualität heißt es:

Der Volltext basiert auf OCR-gelesenen Daten. Bei OCR (Optical Character Recognition) handelt es sich um ein automatisiertes Verfahren, weshalb es in manchen Texten zu einer sehr hohen Fehlerdichte kommen kann. Die Suche gestaltet sich oft etwas anders als etwa bei manuell abgetippten Texten. [...].[2]

Wienerisches Diarium 28.4.1734

Wienerisches Diarium 28.4.1734 | ANNO

Das lädt zum Experimentieren ein – denn unterschiedlichen Transkriptionen (wie etwa ‘Pecking’ oder ‘Pekin’ neben ‘Peking’ für Beijing 北京), sind bei der Arbeit mit Texten, die vor dem Zweiten Weltkrieg publiziert wurden, selbstverständlich. Aber Versuche (oder eher Spielereien – denn mehr ist es noch nicht – mit “ſ” (langem ‘s’)/”f” oder “ß”/”B” oder “C”/”S” etc. sind viel spannender, denn: Afien ift fuper.[3] ”

Sucht man “Chinese”, so ist der erste Treffer 1734 – April – 28: Wienerisches Diarium[4] – Seite 4.

Werfen wir einen Blick auf den Text – ein Klick auf das entsprechende Icon rechts oben zeigt den OCR-Text((Wienerisches Diarium Num. 34 (28.4.1734), 3f. Online: ANNO)).

Die kurze Meldung ist nicht besonders spannend – sie bringt zwei unterschiedliche Themen: Erdbeben in Beijing 1733 (und in den 3 Jahren davor) und den Krieg gegen die ‘Tartar(e)n’.

Zu den Erdbeben: Der Catalog of Damaging Earthquakes in the World (Through 2010) des International Institute of Seismology and Earthquake Engineering, Building Research Institute listet für die Zeit zwischen 1730 und 1733 eine Reihe von Erdbeben in China, darunter auch das Dongchuan 東川-Beben (Prov. Yunnan) vom 2.8.1733 (Stärke 7.8), aber nur wenige für den Raum Beijing.

  • 1730 Winter: China: Shandong – Stärke 5
  • 1730.09.30: China: Beijing – Stärke 6.5
  • 1731.11.30: China: Beijing – Stärke ? – 100000 Tote

Das Beben von 1730 hatte  schwere Schäden verursacht, das vom 30.11.1731 wohl 100000 Todesopfer gefordert.

Mit dem ‘Krieg gegen die Tartar(e)n’ ist wohl der Feldzug gegen die Dzungaren in der Yongzheng 雍正-Ära (1722-1735 ((Der Yongzheng 雍正-Kaiser Yinzhen  (1678-1735, regierte 1722-1735) hatte – wie schon sein Vater, der Kangxi-康熙-Kaiser Xuanye 玄燁 (1654-1722, regierte 1661-1722) vor ihm – versucht, die Position Chinas in der Äußeren Mongolei mit militärischen Mitteln zu sichern. Trotz der drückenden Übermacht der Qing-Streitkräfte konnten sich die zwar kleinen, aber sehr mobilen Verbände der Dzungaren zunächst behaupten, es gelang ihnen sogar, die Qing an den Rand der Niederlage zu bringen. Erst ein ‘Überläufer’, der sich auf die Seite der Qing-Dynastie geschlagen hatte, besiegte die Dszungaren.

Aber das ist hier eigentlich nebensächlich – es geht um Digitalisate und Volltext(e).

 OCR-Text Transkription
[S.3] Mm »st hier bmft «tK Ptckng / des )( » haupv 
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[S. 3] Man hat hier briefe aus Pecking / der 
[S.4] Haupt=stadt in China / unter dem 20sten 
Martii des vorigen 1733. jahres des in-
halts / wie man 4. jahre nach einander heft
ige erdbeben daselbst verspühret hätte / da 
dann die anzahl deren dabey auf mancher
ley art umgekommenen personen sich gegen 
2. millionen beliefe. Der krieg gegen die 
Tartarn w[ue]rde in dortigen gegenden auch 
noch immer fortgesetzet / doch es hatten 
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wande / mit ihren gantzen Familien an die 
seite deren Chinesern gezogen / und diese 
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schild=wachten listiger weise ermordet / und 
dadurch die gantze Chinesische Armee ei
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setzet. Das darauf vorgefallene Treffen 
war so hitzig / und so blutig gewesen / der
gleichen niemals in dortigen Landen gese
hen worden / 50000. Chineser waren da
bey umgekommen / und ein General / 
welcher denen Tartarn in die H[ae]nde ge
fallen / war sogelich j[ae]mmerlich in Stücken 
zerhauen worden.

Das blaßorange markierte Wort ‘Chinese’ liefert den Treffer in der Volltextsuche, das blaßblau markierte ‘Chinesern’ wird nicht erkannt, denn da steht im OCR-Text ‘Chineftw’. Gleiche Typen auf einer Seite (also demselben Papier) knapp untereinander, kein Schatten (wie das in der jeweils inneren Spalte im Bereich des Möglichen wäre). Der Befund überrascht wenig – und es ließen sich vermutlich zahllose ähnliche Beispiele finden BTW: Das blassgrün markierte ‘Pecking’ wird bei einer Suche nach ‘Peking’ ebenfalls nicht gefunden, ein Blick in den OCR-Text zeigt warum: Dort steht ‘Ptckng’.

Big Data zum Greifen nahe?
Oder doch nicht?

  1. S. ANNO Suchhilfe
  2. S. ANNO Suchhilfe <abgerufen am 8.7.2013.>
  3. S. auch: Im Netz der (un)begrenzten Möglichkeiten.
  4. Das Wienerische Diarium war quasi der Vorgänger der Wiener Zeitung, es erschien 1703 bis 1779, ab 1780 erscheint das Blatt als Wiener Zeitung.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/796

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Frühe Stimmen über die chinesische Schrift (I)

Kaum etwas hat die Phantasie der Europäer so nachhaltig beflügelt wie Überlegungen zur chinesischen Schrift: Mutmaßungen zu ihrem Ursprung und zur  Anzahl der Schriftzeichen finden sich dabei ebenso wie die Frage, ob die ‘Charaktere’ nun ‘Bilder’ im Wortsinn oder ‘Symbole’ wären.[1]  Das Thema taucht in den meisten Texten auf, die sich mit China beschäftigen, die Erklärungen sind zum Teil faszinierend bis abstrus, zum Teil aber auch sehr (zu)treffend. In loser Folge hält die Serie ‘Frühe Stimmen’ Notizen bei der Lektüre von Texten über China aus dem 16.-18. Jh. fest.

In der ersten deutschen Übersetzung von  González de Mendozas Historia, die Johann Kellner 1589 unter dem Titel Ein Neuwe/ Kurtze/ doch warhafftige Beschreibung deß gar Großmächtigen weitbegriffenen/ bißhero vnbekandten Königreichs China, seiner fünffzehen gewaltigen Prouincien, vnsäglicher grosser vnd vieler Stätt, Fruchtbarkeit, … grossen Reichthumbs … Kriegsmacht … dergleichen in keiner Histoiren … in der weiten Welt jemals befunden veröffentlichte[2] heißt es im Kapitel “Von den Buchstaben vnd Charactern / welche die in China gebrauchen [...]” (p. 125-129):

Zukommen nun auff den ersten Puncten / sage ich / wiewol jhrer wenig seind / die nicht schreiben vnd lesen vnter jhnen können / so haben sie doch kein A b c oder Alphabet von Buchstaben / wie wir haben / sondern schreiben alle Ding mit Figuren / die sie in langer Zeit lernen mit grosser M[ue]he / dann es hat ein jedes Wort sein eygen Zeichen. [...] (p. 125)


Ein Neuwe/ Kurtze/ doch warhafftige Beschreibung deß gar Großmächtigen weitbegriffenen/ bißhero vnbekandten Königreichs China (1589) [Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, urn:nbn:de:hbz:061:1-8774]

Hier wird der sogenannte ‘Monosyllabismus’ des Chinesischen beschrieben, dessen Ursprung Gustav Ineichen auf die Schriften der Jesuiten im 16. Jahrhundert zurückgeführt hat.[3]. Tatsächlich gilt im Chinesischen die Regel ein Schriftzeichen = eine Silbe, aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass es nur einsilbige Wörter gibt …

Zur Anzahl der Schriftzeichen heißt es:

[...] Figuren / deren seind mehr dann sechstausend alle vnterschiedlich / vnd k[oe]nnen sie aber behende schreiben / wie man auß der Erfahrung gesehen hat / bey vielen dieser Nation / die t[ae]glich in dei Insuln Philippinas kommen / vnnd sich daselbst verhalten. (p. 125)

Wie der Verfasser auf die Zahl 6000 kommt ist, bleibt offen – denn schon das älteste Zeichenwörterbuch, das Shuōwén jiězì 說文解字 (um 1)00 n. Chr.)[4] enthält 9.353 Schriftzeichen (plus 1163 Varianten), das Kāngxī zìdiǎn 康熙字典 (1716)[5] – das zweite große Zeichenlexikon – enthält insgesamt rund 47.000 Schriftzeichen, das derzeit umfangreichste gedruckte Zeichenlexikon, das Zhōnghuá zìhǎi 中华字海 (1994), enthält rund 87.000 verschiedene Schriftzeichen und Varianten.[6]

Zur Schreibrichtung heißt es:

Sie schreiben anders / da[nn] wir im Brauch hab[en]/ dann sie schreiben die Zeilen von oben herab vnter sich sehr gleich vnd strack / vnd heben widerwertig an / nemlich von der Rechten zur Linken. (p. 126)

Bis ins frühe 20. Jahrhundert -war die Schreibrichtung in der Regel senkrecht von oben nach unten, die Zeilen (oder eher Spalten)  waren von rechts nach links angeordnet.

Zu Beschreibstoffen und Schreibwerkzeug heißt es:

Sie hab[en] grosse Meng Papier / welches leichtlich gemacht ist auß Tuch von Rohrn / das ist wolfeiles Kauffs / gleich wie auch die getruckten B[ue]cher / man kan aber nur auff einer Seit[en] darauff schreiben / da[nn] es gar d[uenn]e und rein ist. Sie brauch[en] der Federn zum schreib[en] nit wie wir thun / sonder etlich Rohr mit einem klein[en] Federlein an der Spitzen. (p.127)

Chinesische (Schreib-)Papiere waren überwiegend leicht (verglichen mit den in Europa verbreiteten Büttenpapieren. Da bei dem dünnen Papier Tusche und Druckerschwärze durchschlugen, wurden die Blätter einseitig beschrieben und bedruckt. Für Bücher wurden die bedruckten Blätter so gefaltet, dass die unbeschriebene Seite innen liegt, die gefalteten Blätter wurden gestapelt und auf der offenen Seite zusammengenäht.[7]

Chinesische Schreibpinsel (máobǐ 毛笔) haben meist einen Griff aus Bambus und einen kleinen Pinselkopf. Diese Pinsel sind sind deutlich elastischer als die im Westen gebräuchlichen Malerpinsel. Damit der Pinsel in einer haarfeinen Spitze ausläuft, die sich bei jedem Anheben neu bildet,  wird Haar von Ziege oder Hase um einen Kern aus Wieselhaar gebunden. Über die Art, wie der Pinsel geführt wird, äußert sich der Verfasser nicht[8] …

BTW: Georg Lehner hat auf De rebus sinicis hat eine Serie zu den Vier Schätze des Studierzimmers (I) begonnen – dort findet sich auch ein Bild dieser ‘vier Schätze’.))

  1. Zu satirischen Auswüchsen vgl. das Beispiel im Beitrag Fachchinesisch.
  2. Digitalisate → Bibliotheca Sinica 2.0.
  3. Gustav Ineichen: “Historisches Zum Begriff des Monosyllabismus im Chinesischen”. In: Historiographia Linguistica, Vol. 14, Number 3 (1987), pp. 265-282.
  4. Chinese Text Project: 《說文解字 – Shuo Wen Jie Zi》.
  5. Online-Version: http://www.kangxizidian.com/.
  6. Vgl. Endymion Wilkinson: Chinese History. A Manual. Revised and Enlarged. (Harvard-Yenching Institute Monograph Series, 52; Cambridge, Mass/London: Harvard University Asia Center 2000 p. 46.
  7. In europäischen Bibliotheken wurden Bücher oft neu gebunden, wobei die traditonelle Bindung abgeschnitten wurde – und mitunter die Falze geöffnet wurden.
  8. Vgl. dazu die Bemerkungen zum Porträt des Alvaro Semedo.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/716

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Geschichte Chinas im Bild: Fotosammlungen im Netz (I)

Die ersten Fotografen in China kamen im frühen 19. Jahrhundert nach Macau (Aomen 澳門). Um die Mitte des 19.Jahrhunderts gründeten westliche Fotografen erste Studios in den Vertragshäfen, ihre ( chinesischen) Assistenten machten ihnen bald Konkurrenz und brachten die Fotografie in alle Teile des Landes. Am Ende des 19. Jahrhunderts gab es in den meisten größeren Städten Fotostudies, wo sich chinesische Familien zu ‘besonderen Anlässen’ proträtieren ließen. Westliche und chinesische Fotografen dokumentierten den Alltag (z.B. Aufnahmen von John Thomson. s.u.), bewaffnete Konflikte (z.B. die Aufnahmen von Felice Beato) und porträtierte führende Persönlichkeiten der chinesischen Politik.[1]

In den letzten Jahren wurden einige Sammlungen erschlossen und (zumindest teilweise) digitalisiert, wenngleich noch viele verborgene Schätze in Bibliotheken und Archiven auf Bearbeitung und Erschließung warten[2] ).

Nota bene: Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und wird nach und nach ergänzt und erweitert.

Belvedere of the God of Literature, Summer Palace

Felice Beato: Belvedere of the God of Literature, Summer Palace (1860) [Public domain], via Wikimedia Commons

  • Robert Capa: China. 1938. Sino-Japanese War. (© International Center of Photography) Magnum Photos
  • University of Southern California Digital Library International Mission Photography Archive (IMPA) – Fotos (ca 1860 – ca. 1960) aus Sammlungen katholischer und protestantischer Missionen/Missionsgesellschaften in Deutschland, Frankreich Großbritannien, Norwegen, der Schweiz und den Vereinigten Staaten – aus verschiedenen Regionen, darunter China
  • LIFE photo archive (hostet by Google) – Schwerpunkt auf Pressefotos aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Fortsetzung folgt …

  1. Zur Geschichte der Fotografie in China u.a. Jeffrey W. Cody (ed.)/Frances Terpak (ed.): Brush and Shutter: Early Photography in China [Katalog zur Ausstellung "Brush & Shutter: Early Photography in China",  J. Paul Getty Museum, February 8–May 1, 2011] (Getty Publications; Getty Research Institute 2011), zur Arbeit mit frühen Aufnahmen aus China u.a. Regine Thiriez, ‘Creating a user’s guide on early photography in China’, p. 6 <http://pnclink.org/annual/annual1999/1999pdf/thiriez.pdf> [Zugriff: 10.5.2013]; Régine Thiriez: Barbarian Lens: Western Photographers of the Qianlong Emperor’s European Palaces. (London: Routledge 1998).
  2. Das Presbyterian Church Archives Research Centre, New Zealand, hat eine Sammlung von rund 120.000 Fotos ab 1861 – bisher teilweise katalogisiert, leider noch nicht digitalisiert.
  3. Thomson selbst veröffentlichte 200 seiner Aufnahmen aus China u.a. in Illustrations of China and Its People (4 Bände, London 1873-1874) und Through China with a Camera (1898).

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/633

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