Gelesen: Als die Karpfen fliegen lernten (2015)

Mitte der 1980er Jahre war Als hundert Blumen blühen sollten von Yue Daiyun [Yuè Dàiyún 乐黛云][1] eine Sensation: Eine Chinesin schildert  offen ihr Leben in der Volksrepublik China – von ihrer Verurteilung während der Kampagne gegen Rechtsabweichler[2] über die Kulturrevolution  bis zur Rehabilitierung in den 1980ern. Trotz allem, was Yuè durchgemacht hatte[3] bleibt sie der Partei gegenüber loyal:

Ich würde mich am Neuaufbau der Partei beteiligen, denn ich war überzeugt, daß nur sie, welche Fehler sie auch immer begangen haben mochte, China vorwärts bringen konnte […][4]

Während Yuè ungebrochen an der Partei festhält, entstehen die  meisten der seit den späten 1980er Jahren erschienen Autobiographien und Familienbiographien (und romanhaften (Auto-)biographien) von Chinesinnen und Chinesen, nachdem die Autorinnen und Autoren China verlassen haben. In den 1990er und frühen 2000er Jahren wurde eine Vielzahl derartiger Texte veröffentlicht.  Während das Interesse im angloamerikanischen Raum anzuhalten scheint, hat es im deutschen Sprachraum etwas nachgelassen.

Das bekannteste Beispiel ist Wilde Schwäne (1991) von Jung Chang [Zhāng Róng 張戎][5].  Weitere Beispiele (nota bene ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

  • Anchee Min [Mín Ānqí  閔安琪]: Rote Azalee (1994).

    [...]

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/2168

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Ein Bild sagt mehr …: Das “Alte Observatorium von Beijing” vom 17. Jh. bis ins 21. Jh.

Der aktuelle Header von mind the gap(s) basiert auf einem Foto, das im September 2011 in Beijing entstand:

Beijing, September 2011

Beijing, September 2011 | © Georg Lehner

Das Bild blickt vom Straßenniveau hinauf auf das Běijīng gǔ guānxiàngtái 北京古觀象台, auf das “Alte Observatorium von Beijing”, genauer: zu den Instrumenten auf dem Beobachtungsturm dieses Observatoriums. Dieser Beobachtungsturm  stammt aus der Ming明-Dynastie 1442, doch schon in der Yuan 元-Zeit befande sich in dem Bereich ein Observatorium.

Das Observatorium wurde laufend erneuert und seine Ausstattung verbessert, zuletzt im siebtzehnten und achtzehnten Jahrhundert durch Jesuitenmissionare, die für die Berechnung des Kalenders zuständig waren. Nach der Unterdrückung der Yihetuan 義和團-Bewegung wurde das Observatorium von den Alliierten Truppen geplündert.[1] Die Beutestücke wurden von Frankreich 1902 zurückgegeben, von Deutschland 1921.[2]

Heute befinden sich auf der Plattform acht Instrumente aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert:

  • die Neue Armillarsphäre (1744)
  • ein Quadrant (1673)
  • ein Himmelsglobus (1673)
  • eine  ekliptische Armillarsphäre (1673)
  • ein Altazimut-Instrument (1673)
  • ein Azimutal-Theodolit (1715)
  • ein Sextant (1673)
  • eine äquatoriale Armillarsphäre (1673)

Die Instrumente aus dem 17. Jahrhundert stammen von Ferdinand Verbiest, S.J., der 1669 die Leitung des kaiserlichen Kalenderamtes übernommen hatte und 1673 einige der Instrumente erneuerte (Altazimut, Himmelsglobus, ekliptische Armillarsphäre, äquatoriale Armillarsphäre, Quadrant und Sextant), der Azimutal-Theodolit von Kilian Stumpf (1655-1720) und die Neue Armillarsphäre von Ignaz Koegler, S.J. (1680-1746) und Augustin Hallerstein, S.J. (1703-1774).

Das Bild im Header zeigt Teile von drei Instrumenten: (von links:) der äquatorialen Armillarsphäre[3], des Altazimut-Instruments[4] und des Azimuth-Theodoliten[5].

Die äquatoriale Armillarsphäre und das Altazimut-Instrument sind in einigen von Ferdinand Verbiests Werken abgebildet, unter anderem im  新製儀象圖 [Xinzhi yixiang tu[6], und im Compendium proponens XII posteriores figuras Libri observationum, nec non priores VIII figuras Libri organici. Astronomia europaea sub imperatore Cám Hý ex umbra in lucem revocata][7], s. äquitoriale Armillarsphäre 赤道經緯儀 [chìdào jīngwěiyíund Altazimut-Instrument  地平經儀 [dìpíngjīngyí].

Einen Gesamteindruck von der Situation 1673 gibt Verbiest mit einer Abbildung der Beobachtungsplattform:.

新製儀象圖 Xin zhi yi xiang tu. Liber organicus Astronomię Europęę apud Sinas

新製儀象圖 Xin zhi yi xiang tu. Liber organicus Astronomię Europęę apud Sinas (1668) | Quelle: gallica[8]

Im Atlas général de la Chine, de la Tartarie chinoise, et du Tibet (1790 ?)[9], einer um einige Tafeln ergänzten Neuauflage des Nouvel atlas de la Chine, de la Tartarie chinoise, et du Thibet (1737)[10],  findet sich eine Abbildung des “Observatoire de Peking” … allerdings seitenverkehrt:

Jean-Baptiste Bourguignon d’Anville: Observatoire de Peking. Via Wikimedia Commons.

Im 19. Jahrhundert machten einige der ersten Photographen, die in China arbeiteten, Aufnahmen vom Observatorium, darunter: John Thomson (1837-1921) “Peking Observatory.” (1874), Thomas Child (1841-1898): “Bronze armillary, Peking Observatory, 1875″ (1875) und “Some instruments on top of the observatory (Pekin).” (1890). Damals ragte der Beobachtungsturm über die Umgebung hinaus, während dermächtige Bau heute neben Stadtautobahnen und Hochhäusern fast unscheinbar wirkt und sich erst auf den zweiten Blick (und nach dem Aufstieg über eine steile Treppe) erschließt.

  1. Eine englische Aufnahme gibt einen Eindruck vom Observatorium vor der Plünderung: National Archives, Image ID 26564: Astronomical instruments in the Imperial Observatory on the city wall, Peking (1900).
  2. Vgl. die kurzen Anmerkungen bei Joseph Needham, Science and Civilisation in China: Volume 3, Mathematics and the Sciences of the Heavens and the Earth (Cambrige et al., Cambridge University Press 1959) p. 451 n. g. Zu der Debatte um die Rückgabe der Instrumente in den 1910er Jahren s. W. W. Campbell: “Kaiser Wilhelm as a Pillager in Boxer Days; He Refused to Return China’s Astronomical Instruments, Though France Set an Example, and Used Them to Ornament Potsdam Palace Grounds”. New York Times, January 06, 1918, , Section The New York Times Magazine, Page 71. Zu den Instrumenten in Potsdam s. Rolf Müller: “Die astronomischen Instrumente des Kaisers von China in Potsdam”, in: Atlantis, Heft 2 (Februar 1931), S. 120 f.
  3. S. dazu: Marilyn Shea: Equatorial Armilla – 1673 – 赤道经纬仪 <zuletzt abgerufen am 28.6.2014>.
  4. S. dazu: Marilyn Shea: Altazimuth – 地平经仪 <zuletzt abgerufen am 28.6.2014>.
  5. Marilyn Shea: Azimuth Theodolite 地平经纬仪 <zuletzt abgerufen am 28.6.2014>.
  6. 新製儀象圖 Xin zhi yi xiang tu. Liber organicus Astronomię Europęę apud Sinas Restitutę sub Imperatore Sino-Tartarico Cām-Hȳ appellato Auctore P. Ferdinando Verbiest Flandro-Belga Brugensi E Societate Jesu Academię Astronomicę In Regia Pekinensi Pręfecto Anno Salutis MDCLXVIII ([Beijing] [1674] – Digitalisat: gallica. Digitalisate aller Drucke: Museum of the History of Science [in sehr guter Qualität].
  7. Ferdinand Verbiest: Compendium proponens XII posteriores figuras Libri observationum, nec non priores VIII figuras Libri organici. Astronomia europaea sub imperatore Cám Hý ex umbra in lucem revocata (Pekini: [s.n.] 1678) – Digitalisate: gallica, [relativ bescheidene Bildqualität] Universiteit Antwerpen, Erfgoedbibliotheek Hendrik Conscience [gute Bildqualität].
  8. Diese Abbildung findet sich auch im [Compendium proponens XII posteriores figuras Libri observationum, nec non priores VIII figuras Libri organici. Astronomia europaea sub imperatore Cám Hý ex umbra in lucem revocata].
  9. Jean Baptiste Bourguignon d’Anville: Atlas général de la Chine, de la Tartarie chinoise, et du Tibet : pour servir aux différentes descriptions et histoires de cet empire  (Paris : Dezauche [1790?].
  10. Jean-Baptiste Bourguignon Anville:  Nouvel atlas de la Chine, de la Tartarie chinoise et du Thibet (La Haye: Scherleer 1737) – Digitalisate → Bibliotheca Sinica 2.0.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1581

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千里之行,始於足下。10 Jahre ‘Wiener Chinabibliographie (1477-1939)’

“Eine tausend Meilen weite Reise beginnt vor deinen Füßen.”[1]

Im April 2004 ging die “Wiener Chinabibliographie: Bücher über China in Wiener Bibliotheken (1477-1939)” online, im Dezember 2009 wurde daraus die Bibliotheca Sinica 2.0 – Zeit für einen Rückblick, eine Zwischenbilanz und einen Ausblick.

Wie alles begann …

Über die Jahre hatten sich – zuerst auf Notizzetteln und in Notizbüchern, später in Dateien auf vielen, vielen Disketten, in Text-Dateien und Excel-Tabellen bibliographische Daten angesammelt – Notizen und Anmerkungen noch aus Studienzeiten und aus ersten Forschungsarbeiten. Dazu kam irgendwann eine Kopie des “Chronologische[n] Titelregister[s]” aus dem Ausstellungskatalog China illustrata[2].

Logo der Wiener Chinabibliographie

Erstes Logo

Dazu kam  ein Verzeichnis der Titel in der Sammlung Western Books on China published up to 1850[3]die 1990 als Microfiche-Ausgabe bei Brill erschien[4] und die es seit 2008 als Online-Angebot gibt. Beides wurde im Lauf der Zeit ‘annotiert’ – mit den Signaturen der aufgelisteten Bücher in den Katalogen der Universitätsbibliothek Wien und/oder der Österreichischen Nationalbibliothek.

Irgendwann wurde aus den verteilten Notizen eine einzige Tabelle:

  • Autor
  • Titel
  • Erscheinungsort
  • Verlag
  • Erscheinungjahr
  • Signatur(en)
  • Anmerkungen

Die Tabelle wuchs, es kamen neue alte Bücher dazu, es kamen mehr Spalten dazu:

  • VD16, VD17, VD18 Nummern
  • Ist das Buch in gängigen Bibliographien verzeichnet?
    • Wo steht das Buch in der Bibliotheca Sinica von Cordier?
    • Wo steht das Buch im Katalog von Lust?

Aus der Sammlung der Fragmente wurde ein systematischeres Suchen – mit den jeweils zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln, also Zettel- und Bandkatalogen und den ersten Online-Katalogen, die Lichtjahre von ‘One-Stop-Lösungen’ entfernt waren …

Die ersten Schritte …

In den Wiener Bibliotheken gab (und gibt es) die ‘Western Books on China published up to 1850′ nicht – aber der Zugang zu den Originalen war (und ist) relativ einfach. Dieser paradiesische Zustand war uns – Georg Lehner und mir – nicht wirklich bewusst, es war eine Selbstverständlichkeit. Bei Konferenzen tauchte immer wieder die Frage auf: Und wo hast Du/haben Sie das Buch gesehen? Die Antwort – in der Bibliothek bestellt und noch am selben Tag eingesehen – löste vielfach ungläubiges Staunen aus, kaum jemand wusste, welche Schätze in den Depots der Universitätsbibliothek Wien und der Österreichischen Nationalbibliothek schlummern: die ‘Highlights’ der frühen China-Literatur, häufig in mehreren Ausgaben und/oder diversen Übersetzungen.[5]

Die Entscheidung, die Bibliographie der ‘Wiener’ China-Bücher, die zwischen 1477 und 1939 erschienen, online zu stellen, war  (angestachelt durch ein bisschen Frust und eine gehörige Portion Ärger) ziemlich spontan. Content-Management-Systeme gab es noch nicht (zumindest nicht für Normalverbraucher), also entstand wurden aus der Tabelle statische Webseiten – einfache Listen, alphabetisch sortiert, nach Erscheinungsdatum jahrhunderteweise gruppiert … Am Layout wurde ein bisschen gebastelt, die Seiten wurden hübscher, die Tabellen wurden durch CSS-Gestaltung ersetzt. Die Aktualisierung war (und blieb) mühsam.

Neue Tools …

Während man in Wien von Microfiche-Ausgaben träumte, tauchten in den Trefferlisten der Suchmaschinen die ersten Digitalisate auf, da waren plötzlich Dinge wie das Internet Archive (ab 1996),  gallica (ab 1997) – mit zum Teil bescheidener Qualität, wenn Mikrofilme eingescannt wurden, Google Books (ab 2005) und HATHI Trust (ab 2008) – für Europäer wegen der nicht immer nachvollziehbaren Zugriffssperren mitunter frustrierend[6] Dazu kamen (mitunter gut versteckte) Digitalisierungsprojekte in Bibliotheken in aller Welt … Die Tabelle wurde erweitert, es kamen Spalten für URLs von Digitalisaten dazu und diese Spalten füllten sich. Und es entstand eine zweite Tabelle für die Titel, die es in Wien nicht gab, die aber Klassiker/Meilensteine/Fixsterne der frühen Chinaliteratur waren.
Es war illusorisch, die Links in die statischen Seiten einzupflegen. Es musste eine andere Lösung her …

Die neue Lösung war ein Blog mit Platz für die Bibliographie der in Wien physich vorhandenen Büchern und mit Platz für Links zu Digitalisaten. Und das Ding brauchte einen neuen Namen, denn es ging nicht mehr nur um die Wiener China-Bücher. Aus der “Wiener China-Bibliographie (1477-1939) wurde die Bibliotheca Sinica 2.0. Der neue Name sollte und soll Programm sein.

Bibliotheca Sinica 2.0 [Screenshot]

Bibliotheca Sinica 2.0 [Screenshot]

Die Bibliotheca Sinica 2.0 ist eine kuratierte Sammlung, die langsam, aber konsequent wächst. Der aktuelle Stand (27.4.2014): In der Bibliographie finden sich 3500 Titel (aus den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek, der Universitätsbibliothek Wien, der Bibliothek des Österreichischen Staatsarchivs), im Blog gibt es zur Zeit mehr als 2800 Beiträge. Jeder dieser Beiträge enthält zumindest einen Titel mit Link zu einem Digitalisat. Die Mehrzahl der Beiträge enthält mehrere Ausgaben eines Titels und/oder Übersetzungen. (Fast) jeder Beitrag enthält eine bibliographische Notiz zu einschlägigen Fachbibliographien oder Verzeichnissen, einige der Beiträge enthalten weitere Anmerkungen zum Titel. Wenn der Titel in Wien vorhanden (und in der Bibliographie verzeichnet) ist, gibt es einen Link zum Eintrag in der Bibliographie und von der Bibliographie zu dem Blogartikel mit Link(s) zum Digitalisat. Die verlinkten Digitalisate finden sich in rund 130 ‘Repositories’, von ‘Riesen’ mit mehreren hundert Titeln wie gallica, HATHI Trust, Internet Archive und Google Books bis zu ganz kleinen mit einem einzigen Titel wie etwa die Bibliothèque Universitaire Moretus Plantin (Namur). Die Titel sind nicht nach Richtlinien wie RAK-WB aufgenommen – sondern so, dass sie möglichst gefunden werden können, manchmal unter dem Namen eines Bearbeiters oder des viertletzten Autors auf dem Titelblatt oder mit einem mehr oder weniger verballhornten Titel, der in der Literatur gängig erscheint. ‘Neue’ Titel kommen laufend dazu, ältere Beiträge werden ergänzt und erweitert und  (wenn nötig) korrigiert.

Ein Ausblick …

Das Projekt bietet curated content zu einem klar definierten Thema. Die Bibliotheca Sinica 2.0 sammelt mit einem klaren Fokus: Literatur über China, die zwischen 1477[7] und 1939 veröffentlicht wurde mit Links zu (ohne technische Spielereien) frei zugänglichen Digitalisaten.

千里之行,始於足下。
“Eine tausend Meilen weite Reise beginnt vor deinen Füßen.”

  1. Original: 千里之行,始於足下。 Qiān lǐ zhī xíng, shǐ yú zúxià. [Wörtlich: Eine Reise von tausend Meilen beginnt unter deinem Fuß]. Übersetzung: Laotse: Tao te king. Das Buch vom Sinn und Leben. Übersetzt und mit einem Kommentar von Richard Wilhelm. (= Diederichs Gelbe Reihe: China, 19; München: Eugen Diederichs 1988)  Kapitel 64 (S. 107).
  2. Hartmut Walravens: China illustrata. Das europäische Chinaverständnis im Spiegel des 16. bis 18. Jahrhunderts. [Ausstellung im Zeughaus der Herzog-August-Bibliothek vom 21. März - 23. August 1987] (= Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek ; 55; Weinheim: Acta Humaniora, VCH 1987), 286-290
  3. Die Sammlung basiert auf John Lust, Western books on China published up to 1850 in the Library of the School of Oriental and African Studies, University of London : a descriptive catalogue (London: Bamboo Publishing 1987).
  4. Das Verzeichnis (pdf) sieht auch 2014 noch so aus wie damals.
  5. ‘Lücken’ gibt es vor allem bei Literatur in englischer Sprache, was allerdings aus der Geschichte der Sammlungen erklärbar ist.
  6. Die Hürde ist aber überwindbar.
  7. In diesem Jahr erschien die erste gedruckte Ausgabe des Berichts von Marco Polo – s. Bibliotheca Sinica 2.0.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1454

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China-Bilder im Oktober 2013: “Die chinesische Prinzessin”

Der WDR-Tatort “Die chinesische Prinzession” (Erstausstrahlung: Das Erste, 20.10.2013, 20:15) trug ziemlich dick auf. Im Drehbuch von Orkun Ertener werden viele Handlungsstränge miteinander verquickt. Der Münster-Tatort stellt die Protagonisten, Hauptkommisar Thiel (Axel Prahl) und Gerichtsmediziner Börne (Jan Josef Liefers) vor ganz neue Herausforderungen, die mit dem sonst für das Münsteraner Duo üblichen Slapstick-Akzenten, die sich aus der Gegensätzlichkeit des Duos ergeben, wenig zu tun haben; Die chinesische Künstlerin Songma stellt ihre Werke im Westfälischen Landesmuseum aus – und Börne ist begeistert. Am Morgen nach der Vernissage ist die Künstlerin tot – und Börne steht unter dringedem Tatverdacht …

In die ca. 80 Minuten von der Auffindung der Leiche bis zur Lösung des Falles sind viele Themen gepfercht:

  • eine ‘chinesische Prinzession’ – und “Nessun dorma” aus Puccinis Turandot
  • China und Chinesisches als ‘das Andere’ und ‘das Fremde’ schlechthin
  • chinesische Kunst – hier Installationen von Bergen roter Lampions und Kissen und Wäldern aus grünen Bambusstangen[1] – als dissidente Stimme
  • Kunsttransporte als Möglichkeit, Dokumente über Landesgrenzen zu bringen
  • Triaden, die ihre dunklen Geschäfte unter dem Deckmantel des Export/Import-Unternehmens “Long” betreiben
  • undurchsichtige chinesische Diplomaten und die Aktivitäten des chinesischen Geheimdiensts
  • Amerikas Krieg gegen Terror  (ein nach jahrelanger Inhaftierung in Guantanamo freigelassener Uigure mit einem Pass der Palau taucht in Münster auf, wo er ermordet wird)[2]
  • Uiguren und ihre bedrohte kulturelle Identität

Trotz (oder wegen) des an sich ambitionierten Stoffes bleiben die ‘chinesischen’ Akteure stereotyp/schablonenhaft:
Die ‘chinesische Prinzessin’, die Künstlerin Songma (dargestellt von der in Taiwan geborenen, in Kaohsiung 高雄市 und Madrid ausgebildeten Huichi Chiu 邱惠祺) ist laut Drehbuch eine Nachfahrin des chinesischen Kaisers und der “Kaiserinnenwitwe”[3] und damit genau genommen eine mandschurische Prinzessin.[4] Ihre Aufmachung entspricht dem Abziehbild einer asiatischen Schönheit: tiefroten Lippen, sanft geschwungene tiefschwarze Brauen, das weiße Gesicht von tiefschwarzem Haar gerahmt.
Die Schläger des Triaden-Bosses sind großflächig tätowiert und besonders grausam gegen ‘Verräter’.
Die Diplomaten sind undurchsichtung und missbrauchen die diplomatische Immunität, um Regimegegner auszuschalten.
Die Verfolgten, wie z.B. die Assistentin der Künstlerin und ein Uigure, der ermordet wird, sind besonders bemitleidenswert.
Die Lösung hat – soviel sei angedeutet[5] – mit den ‘großen’ Themen wenig zu tun …

Last, but not least: Auch in diesem Setting bleiben die Gegensätze zwischen dem kultivierten Gerichtsmediziner  Prof. Börne und dem eher hemdsärmeligen Kommissar Thiel bestehen: Börne zeigt – vor allem in den ersten Minuten des Films – seine Begeisterung für die chinesische Kunst, er spricht die Künstlerin in chinesischer Sprache an. Thiel hingegen hat Probleme, sich die Namen der Chinesinnen und Chinesen zu merken, zunehmend genervt nennt er sie dann nicht mehr beim Namen, sondern spricht von  “Miau” oder “Tsching-Tschang-Tschung”.

China-Bilder im Herbst 2013 …

 

 

 

  1. Die grünen Stangen erinnern an Szenen aus Shí miàn mái fú 十面埋伏 (“House of Flying Daggers”) von Zhang Yimou aus dem Jahr 2004.
  2. “Palau to take Guantanamo Uighurs”. BBC News. 2009-06-10 <abgerufen am 23.10.2013>.
  3. “Die chinesische Prinzession” <abgerufen am 23.10.2013>.
  4. Dazu auch Holger Gertz: Münster-Tatort “Die chinesische Prinzessin” Großzügig aufgetragen (sueddeutsche.de 20. Oktober 2013 12:28).
  5. Die Folge ist noch bis Ende der Woche in der ARD-Mediathek abrufbar.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1078

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