Klaus Theweleit: “So tun als gäbe es kein Morgen” (Video)

Klaus Theweleit spricht am 22. Juni 2011 auf der Konferenz “PopHistory. Perspektiven einer Zeitgeschichte des Populären” im Roten Salon der Volksbühne am Berliner Rosa Luxemburg-Platz.

Als wir Klaus Theweleit als Keynote-Speaker zur Konferenz PopHistory einluden, bediente er sich eines ungewöhnlichen Verfahrens. In seinem Vortrag mit dem Titel “So tun als gäbe es kein Morgen oder: 2000 Light Years from Home” brachte er Blätter in unterschiedlichen Formaten mit, von denen er Passagen zu Aspekten der Popgeschichte ablas: Songtexten, Sounds, Comics, Sexualität, Fantum. Da diese Passagen aus verschiedenen Veröffentlichungen Theweleits stammten und damit streng genommen keine Neuveröffentlichung sind, haben wir uns entschlossen, die Transkription des Vortrages in Form eines hidden tracks dem Methoden-Band unserer zweibändigen Popgeschichte hinzuzufügen. Die Idee war dabei, den Text als eine Zugabe quasi außer Konkurrenz zu markieren.

Theweleit hat in dem Vortrag seine eigenen Texte in neuer Kombination wie in einem Remix zusammengesetzt. Es handelt sich um die für ihn typische Mischung aus ungeschützt-autobiographischem Schreiben, psychoanalytisch inspirierter Interpretation und politischer Kritik, die Theweleit vielleicht nicht zu einem (Pop-)Historiker macht, aber eindrucksvoll demonstriert, warum er zu den originellsten Denkern unserer Tage gehört. Wir veröffentlichen den ungekürzten Video-Mitschnitt des Vortrags (die Musikbeispiele mussten wir aus urheberrechtlichen Gründen leider herausschneiden) im Blog für alle, die den ganzen Vortrag nachhören möchten:

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/1709

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Das „Heilige Grab“ aus dem Kloster Wienhausen und das Marien-Wappen in Helmstedt – zwei Beispiele aus den Deutschen Inschriften Online

In meinem vorangehenden Blog-Beitrag habe ich die Online-Datenbank der Deutschen Inschriften Online (DIO) vorgestellt. Dabei ging es zunächst einmal um das Projekt selbst und ganz allgemein um die Inhalte, die heraldisch interessierte Nutzer hier finden können. Welche Objekte und Informationen genau man in der Datenbank finden kann und wie sich diese für die heraldische Recherche nutzen lassen, möchte ich im Folgenden an konkreten Beispielen erläutern. Dabei soll auch danach gefragt werden, inwieweit sich die Datenbank für die Suche nach konkreten Wappen und Personen verwenden lässt. Das „Heilige Grab“ aus dem Kloster Wienhausen Das erste Beispiel ist ein Objekt aus dem Kloster Wienhausen bei Hannover. Das „Heilige Grab“ ist eine hausähnliche Darstellung eines Sarkophags aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Es ist geschmückt mit acht großen Wappenträgern in Rüstung, welche die Schriftbänder zu liturgischen Texten und dem Osterfest auf dem Schrein fast in den Hintergrund treten lassen. Der Eintrag in den DIO bietet eine ausführliche Beschreibung, eine Transkription und Übersetzung der Inschriften, eine Aufschlüsselung der Wappen und Fotos des Objektes. In einem Kommentar werden ergänzende Informationen, wie etwa zur Datierung, aufgeführt. Weitere, heraldisch wichtige Informationen (und Vermutungen) finden sich in den abschließenden Anmerkungen. Im Eintrag werden die Figuren als „Grabwächter“ bezeichnet, […]

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/2365

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Das Portal „Deutsche Inschriften Online“ als Hilfsmittel für die heraldische Forschung

Mit über 2000 Wappendarstellungen für die Zeit bis 1650 stellt die Datenbank Deutsche Inschriften Online (DIO) eine wertvolle Hilfe für die heraldische Forschung zur Verfügung. Bei der Verwendung gilt es jedoch einiges zu beachten. So stellt die Online-Version des Editionsprojekts Deutsche Inschriften bislang nur etwa ein Drittel der ca. 90 gedruckten Editionsbände zur Verfügung. Außerdem werden die besonderen Interessen der heraldischen Forschung nur begrenzt berücksichtigt. Hier soll die Plattform speziell für die Forschung zu Wappen vorgestellt werden: In diesem ersten Blogbeitrag soll der Frage nachgegangen werden, wie man das Angebot für heraldische Fragestellungen nutzen kann und wo dessen Grenzen liegen. In einem weiteren Beitrag soll dann exemplarisch dargestellt werden, welche  Informations- und Anschlussmöglichkeiten die DIO im konkreten Anwendungsfall bieten. Inschriften in der heraldischen Forschung Inschriften spielen als Traditionsquellen in vielen Bereichen der historischen Forschung eine bedeutende Rolle. Dies gilt auch für die Heraldik und die Arbeit mit heraldischen Quellen: Neben Wappenbüchern und Siegeln bilden sie eine der wichtigsten Quellengruppen der heraldischen Forschung. Dies scheint seinen Grund hauptsächlich in der Funktion von Inschriften zu haben: Als repräsentative Zeichen können sie etwa auf Stifter verweisen oder an Verstorbene erinnern. Dabei ist die Abbildung der zugehörigen Wappen für die mittelalterliche Gesellschaft von großer […]

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/2354

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Der Aldrevandin Beaker: Drei süddeutsche Wappen in mamlukischem Dekor

Im British Museum wird eine Gruppe von bunt bemalten Glasgefäßen aus dem späten 13. und frühen 14. Jahrhundert aufbewahrt. [1] Hierzu gehört auch ein gut erhaltenes Trinkglas, das um das Jahr 1330 von einem venezianischen Meister gefertigt wurde und im Zentrum der folgenden Betrachtungen stehen soll. Die Emaillierung des Glases zeigt drei Wappen. Während die Wappen eindeutig südwestdeutschen Geschlechtern zugeordnet werden können, gehören die sie umrankenden Blumen- und Pflanzendarstellungen zur typisch islamischen Ikonographie der Zeit. Bei diesem hybriden Erscheinungsbild drängt sich die Frage auf, welche Intention der Gestaltung dieses einfachen Trinkglases zugrunde lag und wie sich die sich hier vorgefundene Wappenkombination in diesen Kontext einordnet. Mamlukische Glaskunst aus Venedig Bis in die 1970er Jahre hielt man an der Vermutung fest, dass dieses Glas als Teil einer „syro-fränkischen“ Gruppe von Glasgefäßen im späten 13. Jahrhundert an der syrischen Küste von einem fränkischen Meister gefertigt worden sei, der von der mamlukischen Glaskunst inspiriert wurde. [2] Erst in jüngster Zeit ist diese Annahme gänzlich verworfen worden, da durch neuere archäologische und elektromikroskopische Untersuchungen die Herstellung des Glases eindeutig auf der venezianischen Insel Murano (Venedig) verortet werden kann, wo sich im 13. Jahrhundert ein überregional bedeutsames Zentrum der Glasmanufaktur entwickelt hatte. [3] Die Inschrift […]

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/1833

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Geschmacksgemeinschaften. Fan-Clubs als Avantgarden (1950er-1980er-Jahre)

Kurzfassung eines Vortrages auf dem 50. Deutschen Historikertag 2014 (Panel Popgeschichte).

Kaum ein Kriegsschiff dürfte in Deutschland nach 1945 mit so großer Spannung erwartet worden sein wie die “USS General Randall”. Als der Truppentransporter am 1. Oktober 1958 in Bremerhaven festmachte, säumten Hundertschaften junger Deutscher die Kaimauern. An Bord befanden sich 1300 Amerikaner, die sich in Brooklyn eingeschifft hatten, um ihren Militärdienst an der Frontlinie des Kalten Krieges abzuleisten. Die ungeteilte Aufmerksamkeit der Massen (und der Medien) galt nur einem von ihnen: dem 23 Jahre alten Rekruten Elvis Presley.

Für manche jungen Deutschen markierte der Landgang des ehemaligen Lastwagenfahrers aus Mississippi, der zu diesem Zeitpunkt bereits Schallplattenmillionär war, eine Zäsur in ihren noch jungen Biographien. “Dieser Tag war der größte Tag meines Lebens”, vertraute die 15-jährige Marion H. ihrem Tagebuch an – obwohl sie und ihre Freundin den King des Rock ‘n’ Roll gar nicht zu Gesicht bekommen hatten: “Ein amerikanischer Soldat gab sich als Elvis aus, nur um die Fans vom Laufsteg abzuhalten. Nur ganz wenige fielen auf diesen Trick herein, und zu diesen gehörten leider Petra und ich.”

Doch nicht alle waren von der friedlichen Landung in Bremerhaven so begeistert wie Marion und ihre Freundin. “Schütze Presley stößt nach Deutschland vor”, meldete militärisch unterkühlt die “Süddeutsche Zeitung” anlässlich der Stationierung, und eine erzürnte Bürgerin schrieb wenig später an die Friedberger Stadtverwaltung, man solle den weiblichen Dauerbelagerern des dort stationierten Soldaten Presley zeigen, dass sie “sehr dumm” seien: “Am besten Sie jagen sie mit der Peitsche davon.”

Der Landgang, man könnte ihn den E-Day nennen, machte in voller Tragweite sichtbar, was in den darauffolgenden Jahren als das “Phänomen Elvis” diskutiert werden sollte. Zur Begrüßung ihres Idols hatten die deutschen Elvis-Fanklubs aufgerufen, die starken Anfeindungen ausgesetzt waren. Der “Spiegel” mokierte sich über Vereinigungen, die sich “der bedingungslosen Verehrung eines Gottes der Halbwüchsigen” gewidmet hätten und die “FAZ” erkannte in den 315 Klubs, die sich zur bundesweiten “Union der Film-Clubs” zusammenschlossen, ein Mittel zur Verehrung “falscher Ideale”.

Mit der Verbreitung neuer Musikstile hatten sich neue Gemeinschaften um das Kulturgut Rockmusik formiert. Gleichwohl sind Fanphänomene keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Schon im 18. und im frühen 19. Jahrhundert waren Musiker wie Franz Liszt umschwärmte und von den Medien hymnisch gefeierte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.

Mit dem phonographischen Verfahren zur Speicherung von Tönen ließen sich die vormals an das Ereignis einer Aufführung gebundenen Klänge erstmalig in reproduzierter Form stückweise handeln und ebenso wie gedruckte Texte in Privathaushalten auf Vorrat halten. Dem Verlust der “Aura” nicht nur des Bild-, sondern auch des Klangkunstwerkes in Zeiten seiner technischen Reproduzierbarkeit begegneten die Produzenten mit neuen Strategien der Re-Auratisierung, die Künstler zu verehrungswürdigen Ausnahmemenschen stilisierte.

Fantum entsteht immer dort, wo sich Menschen auf eine spezifische Auswahl aus dem größeren Spektrum zur Verfügung stehender ästhetischer Reize beschränken. Fans zielen auf die Wiederholung einer einmal gemachten ästhetischen Erfahrung. Dieser Prozess der Kanonisierung dient nicht nur der Geschmacks-, sondern auch der Gruppenbildung. Dabei bedient sie sich sowohl der Inklusion als auch der Exklusion: Während inkorporierte Praxen und Wertstellungen nach innen hin eine Geschmacksgemeinschaft formen, grenzt der Ausschluss von entgegengesetzten Geschmacksmustern (die als hässlich, peinlich oder kitschig bewertet werden) nach außen hin ab. Für diese Formierungsprozesse spielten die an vielen Orten entstehenden Klubs eine wesentliche Rolle.

Viele Klubs formierten sich gewissermaßen “von unten” als Interessengemeinschaften Gleichgesinnter. Die ersten Elvis-Klubs etwa waren in den USA bereits entstanden, als die Karriere des Sängers noch in ihren Anfängen steckte, und blieben zunächst völlig unbemerkt vom Elvis-Management. Den nach eigenen Angaben ersten Klub auf nationaler Ebene gründete eine Schülerin aus Dallas, Texas, die 18-jährige Kay Wheeler. Als Motivation gab Wheeler an, sie habe das Bewusstsein anderer für Elvis wecken und vor allem die Radio-DJs auf den Star aufmerksam machen wollen, da seine Musik im Rundfunk nicht hinreichend repräsentiert gewesen sei.

Sie erhielt Hunderte Briefe mit Beitrittsgesuchen, überwiegend von Mädchen. Diese Nachfrage bediente der Klub, indem er gegen einen Mitgliedsbeitrag von 1,50 Dollar Ausweise in der Lieblingsfarbe des Stars (pink) ausstellte und ein Portfolio mit biographischen Informationen über dessen 23 Jahre kurze Biographie versandte sowie regelmäßige Newsletter und Informationen über Musik, Konzerttermine und das Privatleben des Stars (oder was man dafür ausgab).

Auf Wheelers Anfrage erkannte das Elvis-Management ihren Klub in Dallas als offizielle Fanorganisation an, und so hatte die Schülerin bald das Präsidium eines nationalen Verbandes inne, der binnen kurzem 200.000 Mitglieder umfasste. Als Elvis 1977 starb, hatte sich die Zahl der weltweiten Klubs bereits auf 5000 erhöht. Für das Musikmanagement, entwickelten sich die organisierten Fans schnell zu einer wichtigen Größe.

Eine der wesentlichen Fanpraktiken war das Sammeln starspezifischer Produkte. Die Bühnengarderoben von Stars entwickelten sich daher zu belagerten Zonen, die von Sicherheitskräften vor Fans geschützt werden mussten, die dem Star ein Autogramm abpressen wollten – oder gar ein Kleidungstück vom Leibe reißen. Die massenhafte Sehnsucht nach Originalen war bald kaum mehr zu stillen. Allein der Sänger Peter Kraus brachte es zeitweise auf 116 Fanklubs in der Bundesrepublik. Der amerikanische Schlagersänger Pat Boone bekam rund 4000 Briefe in der Woche von seinen weltweit 300.000 in 3300 Klubs organisierten Fans. Der französische Kinderstar Adamo musste ein eigenes Büro beschäftigen, um seine Post zu beantworten, da er zeitweise bis zu 2000 Briefe bekam – am Tag. Elvis hatte zur Zeit seiner Stationierung in Deutschland Berichten zufolge 25 Angestellte, die nur mit der Beantwortung seiner Fanpost beschäftigt waren. Das Interesse an Elvis-Autogrammen war so überwältigend, dass das Management Stempel des Elvis-Signets herstellte, um die vielen Anfragen nach Autogrammen bewältigen zu können. Ein bezeichnendes Paradoxon, denn hier wird die Aura-Produktion gleichsam re-industrialisiert: Das Individuelle (die Signatur) wird als Stempel wieder seriell.

Es dauerte nicht lange, bis auch die Industrie sich der Klubs bediente. Von den rund zehn Millionen Mark, die deutsche Plattenfirmen und Musikverlage 1974 jährlich für die sogenannte Senderbetreuung ausgaben, sei einiges Geld auch für Portokosten aufgewandt worden, um sowohl Firmenangestellten der Schallplattenverlage als auch den Fanklubs das Porto für Wunschpostkarten zu erstatten, mit denen sie den Programmgestaltern die Beliebtheit bestimmter Schlager suggerierten. Ein Geschäft nahe am Betrug. Brancheninsider vermuteten damals, die geschätzte Investition für eine mehrmalige Nummer-1-Plazierung bei einem großen Sender läge zwischen 1000 und 3000 Mark, prognostizierten aber dramatisch steigende Investitionen.

Auch wenn es immer wieder einmal zur Beeinflussung von Hitparadeergebnissen kam und Fanklubs sich manipulieren ließen, griffe es zu kurz, sie auf die Rolle von Hilfslobbyisten zu reduzieren. In einer Zeit, in der auch im Westen die Anzahl der Jugend- und Popmusikprogramme gering war, fühlten sich insbesondere solche Jugendlichen, deren Musikgeschmack nicht dem der zumeist überdurchschnittlich gebildeten Programmverantwortlichen entsprach, mit ihren Interessen unterrepräsentiert.

In autoritären Staaten war nicht nur die Artikulation eigener kultureller Vorlieben, sondern auch die internationale Vernetzung der Fans ein Problem. In der DDR gerieten sie deswegen ins Visier der Sicherheitsorgane, da deren West-Kontakte teils beträchtliche Ausmaße angenommen hatte: Ein Jugendlicher aus Rostock stand laut Stasi-Akte mit 20 verschiedenen sogenannten Starklubs in West-Deutschland in Verbindung und schrieb mitunter an einem Tag 10 Briefe nach dort. Obgleich Staatsbürger der DDR, wurde er in neun westlichen Klubs als Mitglied aufgenommen, darunter der Conny-Francis-Klub in Bad-Hersfeld, der Elvis-Presley-Klub in Kray, der Rex-Gildo-Klub in Flettenberg und der Freddy-Quinn-Klub in Wien.

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(Dies ist der Auszug eines Vortrages auf dem 50. Deutschen Historikertag in Göttingen in der Sektion “‘The Winner Takes It All’. Popgeschichtliche Narrative des 20. Jahrhunderts zwischen Ausbeutung und Emanzipation”. Vorabgedruckt am 25.9.2014 im Feuilleton der Zeitung “Die Welt”.)

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/1587

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“Ich habe meiner Mutter Löcher in den Bauch gefragt” – 5in10 mit Barbara Pusch

Barbara Pusch ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Orient-Institut Istanbul und arbeitet gegenwärtig zu Transnationaler Migration am Beispiel Deutschland und Türkei. Hierzu hat sie kürzlich auch der NDR in seinem Beitrag “Deutsch-Türken: Einmal Heimat – und zurück?” befragt. Pusch hat über den den Antimodernistischen Umweltdiskurs in der Türkei promoviert und dabei muslimische Intellektuelle und Grüne verglichen.

Was hat Sie als Kind erstaunt? Was wollten Sie schon immer über die Welt wissen?

Barbara Pusch (Foto: privat)

Barbara Pusch (Foto: privat)

Als Kind hat mich eigentlich weniger „die“ Welt interessiert, sondern Menschen in ihren unterschiedlichen Welten. Es hat mich beeindruckt, wie unterschiedlich Menschen denken, wie sie handeln und wie sie ihr Handeln erklären bzw. rechtfertigen. Ich fand es auch immer wieder spannend, worüber sich unterschiedliche Menschen freuen und ärgern. Aus diesem Grund habe ich schon im Grundschulalter liebend gerne meiner Mutter und ihren Bekannten beim Kaffeeklatsch zugehört. Mit Begeisterung habe ich dort gelauscht und aufmerksam verfolgt, wer was zu berichten hatte und wer sich worüber echauffierte… Nach diesen Zusammenkünften habe ich meiner Mutter oft Löcher in den Bauch gefragt, weshalb unterschiedliche Menschen Dinge unterschiedlich interpretieren und wahrnehmen, woran das liegt etc… Mit Alfred Schütz könnte ich heute auch auf „Soziologendeutsch“ sagen, dass mich der „sinnhafte Aufbau der sozialen Welt“ und die verschiedenen menschlichen Lebenswelten fasziniert haben. Dieses Interesse habe ich nie verloren, und es spiegelt sich auch heute noch in meiner Forschungsarbeit.

Wie würden Sie Ihre aktuelle Forschung einem Fremden im Fahrstuhl erklären?

In meinem neuen Forschungsprojekt, dem ich mich seit 1. November 2014 im Rahmen eines Mercator-IPC Fellowships in Istanbul widme, geht es um doppelte Staatsbürgerschaft und unterschiedliche Formen der legalen Mitgliedschaft im transnationalen Raum Deutschland und Türkei. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das, was mich an diesem Thema interessiert, wirklich bei einer Aufzugfahrt erklären könnte. Meine Forschungsfragen basieren nämlich auf rechtlichen Grundlagen, die teilweise hochkompliziert sind und viel Detailwissen erfordern. Hinzukommt, dass ich natürlich erklären müsste, was ich unter transnationalen sozialen Räumen verstehe und aus welchen AkteurInnen der transnationale deutsch-türkische Raum besteht. Gewiss würde ich bei einer kurzen Erläuterung meiner Forschung aber betonen, dass ich mich nicht primär mit den rund drei Millionen Menschen in Deutschland beschäftige, die selbst oder deren Eltern bzw. Großeltern einen türkeistämmigen Hintergrund haben, sondern mit den vielen verschiedenen AkteurInnen auf der türkischen Seite dieses Raums. Diese reichen, wie Sie wissen, von entsandten MitarbeiterInnen deutscher Firmen und ihren Familien, über HeiratsmigrantInnen und ihren Kindern, RentnerInnen, Life-Style-MigrantInnen und sogenannten „Bosporus-Germanen“ bis zu den vielen verschiedenen sogenannten „Re“-MigrantInnen. Ich würde betonen, dass viele dieser Menschen auf sehr verschiedenen Ebenen und in sehr unterschiedlicher Intensität im transnationalen deutsch-türkischen Raum eingebunden sind, dass ihre Möglichkeiten, ein legales Mitglied in diesem Raum zu werden, jedoch stark von der nationalen deutschen und türkischen Gesetzgebung geprägt sind. Ich würde darauf hinweisen, dass es bei diesen Gesetzen sowohl enorme Unterschiede als auch erstaunliche Gemeinsamkeiten gibt und dass sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen zurzeit in beiden „nationalen Containern“ im Wandel befinden. Darüber hinaus würde ich mein allgemeines Forschungsinteresse damit erklären, dass der Fokus bis dato viel zu einseitig auf die deutsche Seite des transnationalen deutsch-türkischen Raums gelegt wurde, und dass ich mich deshalb mit der türkischen Seite beschäftige. Außerdem würde ich darauf aufmerksam machen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen bis dato nicht ausreichend auf ihre praktischen Implikationen in den verschiedenen migrantischen Lebenswelten untersucht wurden.

Welche Stationen Ihrer akademischen Reise haben Sie besonders geprägt?

Zweifellos ist mein beruflicher Werdegang von unterschiedlichen akademischen Stationen geprägt. Mit der Länge der Werdegänge nehmen aber auch diese „prägenden Stationen“ zu. In meinem Fall war sicherlich mein erstes Auslandsstipendium in der Türkei, meine verschiedenen internationalen Forschungsprojekte mit Türkeifokus und meine wissenschaftliche Tätigkeit am Orient-Institut Istanbul sehr prägend. Wenn Sie mich jetzt aber auffordern, meinen akademischen Werdegang Revue passieren zu lassen, dann muss ich jedoch auch betonen, dass mein persönlicher Weg immer aus einer Kombination von privaten, persönlichen und beruflichen Vorlieben, Interessen und Rahmenbedingungen gekennzeichnet war und ist. Ich könnte nicht sagen, dass Station X oder Y für meinen Werdegang wegweisend war. Ich sehe meine „akademische Reise“ vielmehr als Prozess, der sehr eng mit vielen anderen Faktoren in meinem Leben verwoben ist. Diese zu betonen ist einerseits sicherlich „typisch Frau“. Andererseits ist dies gewiss auch durch mein eigenes Migrantinnen-Sein geprägt. Ich glaube aber, dass insbesondere bewegte berufliche Werdegänge immer von einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren geprägt sind. Männer und Nicht-Migranten neigen lediglich dazu ihre Wendepunkte vom Persönlichen, Zufälligen und Privaten zu abstrahieren.

Wie ist es, in der Türkei zu forschen?

Die Türkei ist einerseits ein Paradies für Sozialforscher, denn es gibt hier Themen wie Sand am Meer. Die diversen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen der Türkei haben dieses Land quasi zu einem Labor für Wandelprozesse gemacht. Das gilt auch für die (transnationale) Migrationsforschung mit all ihren Facetten. Schwierig ist jedoch oft die Umsetzung, weil Strukturen und Forschungsmöglichkeiten oft ungenügend sind. Hinzukommt, dass der Zugang zu Daten – und da spreche ich von Basics wie z. B. Einbürgerungsstatistiken, differenzierten Zuwanderungsstatistiken etc. – oft unmöglich ist, weil diese häufig nicht systematisch erhoben bzw. veröffentlicht werden.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich für die Weiterentwicklung Ihres Fachs wünschen?

Für die Weiterentwicklung meines Faches würde ich mir vor allem etwas weniger neo-liberale Wissenschaftspolitik und mehr Forschungsmöglichkeiten /-förderung von Projekten wünschen, die nicht direkt an aktuelle politische Debatten diverser Migrationsdiskurse anschließen. Anders ausgedrückt: Ich würde mir wünschen, dass man sich als SozialwissenschaftlerIn weniger mit der „Verpackung“ seiner Projekte und Tätigkeit beschäftigen muss, sondern einfach seine Arbeit machen kann. Mit anderen Worten: Um fundierte Forschung voranzutreiben, benötigt es mehr Dauerstellen und/oder langfristige Fördermöglichkeiten. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin NICHT gegen die Rückkoppelung von Gesellschaft und Wissenschaft und umgekehrt. Ich beobachte aber, dass das Verhältnis oft nicht stimmt und „die“ Migrationsforschung „dem“ politischen/gesellschaftlichen Diskurs nachlaufen muss, damit sie überhaupt weiter betrieben werden kann. Das führt oft dazu, dass man nicht in die gewünschte Tiefe gehen kann, dass „Modethemen“ überforscht werden und andere Themen unterforscht bleiben. Dies kennzeichnet nicht nur mein persönliches Dilemma, sondern auch das vieler meiner migrations- und/oder sozialwissenschaftlich ausgerichteten KollegInnen.

Quelle: http://trafo.hypotheses.org/1429

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Das Sachsenross im Wappen der Welfen: Das lange Leben einer Legende

Als im Jahre 1995 die Ausstellung „Tapfrer Heinrich, sei willkommen!“ im Herzog-Anton-Ulrich-Museum, Dom und Landesmuseum in Braunschweig eröffnete, schrieb Rolf Michaelis in der Einleitung eines Artikels der Tageszeitung DIE ZEIT (Nº 34/1995) über Heinrich den Löwen und eben jene Ausstellung folgendes: „Verwirrung total. ‚Der Löwe’ ist Ehrenname des Mannes, dessen persönliches Wappentier jedoch ein goldenes Pferd ist (das springende weiße Niedersachsenroß bis heute)“. Es scheint an dieser Stelle, als habe der Autor des Artikels eine Annahme gemacht, die sich seit dem 15. Jahrhundert standhaft hält, historisch aber nicht belegbar ist. Gemeint ist die Aussage, dass Heinrich der Löwe und das gesamte welfische Geschlecht als Träger jenes Wappentiers bezeichnet werden, das wir heute noch aus dem Wappen des Landes Niedersachsen und in abgeänderter Form in vielen weiteren Wappen – nicht nur auf Deutschland begrenzt – finden (u.a. NRW, Kent [UK]). Historische Belege für das Sachsenross – literarische und heraldische Quellen Crantz (1448-1517) schreibt z.B. in seiner Saxonia von ca. 1500, dass Heinrich der Löwe, nach seiner Rückkehr aus England, zwei Löwen im Wappenschild und das Sachsenross in der Helmzier trug[1]. Crantz beschreibt, dass Heinrich die zwei Löwen bevorzugte (praeferere), nachdem er aus dem Exil zurückgekehrt war. Das Sachsenross wurde von ihm […]

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/1396

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Antonioni und die Geschichte der Fotografie: Eine Ausstellung in Wien

Michelangelo Antonionis Film Blow Up gilt als Dokument einer Epoche. Er begründete den Weltruhm des deutschen Models Veruschka von Lehndorff, dem Herbie Hancock seinen Hammond-Groover im Soundtrack widmete, und spricht wie nur wenige andere Filme die Bildsprache der “Swingng Sixties”: Sex, Musik, Drogen, Design und Gegenkultur. Eine atmosphärische Momentaufnahme vom London des Jahres 1966, der “aufregendsten Stadt der Welt”, wie im selben Jahr das amerikanische Magazin Time jubelte. Dass Antonioni sein Porträt der Swinging Sixties weniger als impressionistische Erzählung erfunden als vielmehr sorgfältig recherchiert hatte, enthüllt nun eine Ausstellung, die noch bis Mitte August 2014 in der Wiener Albertina zu sehen ist.

David Hemmings in Blow Up (Regie: Michelangelo Antonioni), 1966. film still. Foto: Arthur Evans, Privatsammlung Wien, Courtesy: Neue Visionen Filmverleih GmbH (Albertina/Wien)

Vordergründig ist Blow Up ein Krimi, und entsprechend dramatisch inszeniert ihn das Museum. Beim Betreten umfängt den Besucher Dunkelheit. Eine eigens in das gold- und stuckverzierte Palais hineingebaute Blackbox (Ausstellungs-Design Walter Kirpicsenko) macht den Film begehbar: Standbilder leuchten aus Dioramen, in überdimensionale Filmstreifen hineinmontierte Ausschnitte teilen den Film thematisch auf. Den Anfang macht die Schlüsselszene im Park: Der von David Hemmings gespielte Protagonist hat ein Liebespaar fotografiert, meint aber beim Entwickeln der Negative im unscharfen Bildhintergrund einen Pistolenschützen zu entdecken. Als er die Fotos immer weiter vergrößert, erscheint eine Leiche, doch die Fotografie bietet keine Eindeutigkeit: Die Figur löst sich zu Pixeln auf.

Don McCullin: Thomas’ blow-ups aus dem Park – Courtesy Philippe Garner © Neue Visionen Filmverleih GmbH/Turner Entertainment Co. – A Warner Bros Entertainment Company. All rights reserved. (Albertina/Wien)

Kapitelweise erkundet die Ausstellung nicht nur Antonionis Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie, sondern auch realhistorische Hintergründe und ästhetische Vorbilder des Filmes. Erstmals zu sehen sind die Fragebögen, die der Regisseur an Londoner Fotografen verschickt hatte. Darin erkundigte er sich nach deren Lebensgewohnheiten: Ob sie bei der Arbeit tränken, mit ihren Models schliefen, sich von Pop- und Op-Art beeinflussen ließen, ihre Autos selbst führen oder Chauffeure beschäftigten. Marotten wie der Rolls-Royce des Protagonisten waren nicht der Fantasie des Regisseurs entsprungen, sondern bei dem Londoner Fotografen Terence Donovan abgeschaut.

Bildsprache von Comics und Film Noir: Das Kino thematisiert die Popkultur

David Bailey photographing Moyra Swan, 1965
© Terry O´Neill – Courtesy Philippe Garner (Albertina)

Gemeinsam mit seinen Kollegen David Bailey und Brian Duffy bildete der Lebemann damals die berüchtigte “Black Trinity”, ein Trio, das die Modefotografie dynamisierte. Statt mit Großbildkamera und Stativ im Studio zu arbeiten, nahmen die drei Fotografen ihre Models mit der handlichen Kleinbildkamera Nikon F auf, die auch in Antonionis Film die eigentliche Hauptrolle spielt. Den Hintergrund bildeten alltägliche Straßenszenen und ungewöhnliche Settings. Mal hängten die Foto-Pioniere ihre weiblichen Models an Fallschirme, mal inszenierten sie Dressmen mit Schusswaffen in erzählerischen Bildsequenzen, die vom Film Noir oder vom Comic inspiriert waren. Antonioni zeigte diese Fotos in Blow Up – und holte deren Bildsprache damit zurück ins Medium Film.

Das ikonische Shooting mit Veruschka hatte er sich ebenfalls von David Bailey abgeguckt. Ein Jahr zuvor hatte dessen Kollege Terry O’Neill seine Arbeitsweise in einer Serie porträtiert, die sich Antonioni zum Vorbild nahm. Um das Medium Fotografie in seinen unterschiedlichen Varianten zu zeigen, wechselte er in Blow Up radikal Setting und Genre: Eben noch erotisierender Mode-Macho, versucht sich sein Protagonist im nächsten Moment im seriösen Genre der Sozialreportage unter Fabrikarbeitern und Obdachlosen.

Die Ausstellung zeigt, wie akribisch Antonioni auch hier arbeitete: Die Bilder, die der fiktive Fotograf im Film seinem Agenten vorlegt, hatte der Regisseur eigens bei dem Reportage-Fotografen Don McCullin in Auftrag gegeben. Die Fotos porträtieren das bettelarme East End der sechziger Jahre und setzen damit einen Kontrapunkt zum hedonistischen Lebensstil der Londoner in-crowd.

Hier weiterlesen (zuerst erschienen in DIE ZEIT Nº 26/2014)

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/1556

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Bilderfahrzeuge

Ein internationaler Forschungsverbund zu Aby Warburg und der Bedeutung seines Erbes für aktuelle Fragen der internationalen Kunst und Kulturwissenschaft Von Tina Rudersdorf Angesichts des letzten großen Projekts des Hamburger Kunst- und Kulturwissenschaftlers Aby Warburg (1866–1929), dem Bilderatlas „Mnemosyne“ (Gedächtnis), mag … Weiterlesen

Quelle: http://iconology.hypotheses.org/478

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