Antonioni und die Geschichte der Fotografie: Eine Ausstellung in Wien

Michelangelo Antonionis Film Blow Up gilt als Dokument einer Epoche. Er begründete den Weltruhm des deutschen Models Veruschka von Lehndorff, dem Herbie Hancock seinen Hammond-Groover im Soundtrack widmete, und spricht wie nur wenige andere Filme die Bildsprache der “Swingng Sixties”: Sex, Musik, Drogen, Design und Gegenkultur. Eine atmosphärische Momentaufnahme vom London des Jahres 1966, der “aufregendsten Stadt der Welt”, wie im selben Jahr das amerikanische Magazin Time jubelte. Dass Antonioni sein Porträt der Swinging Sixties weniger als impressionistische Erzählung erfunden als vielmehr sorgfältig recherchiert hatte, enthüllt nun eine Ausstellung, die noch bis Mitte August 2014 in der Wiener Albertina zu sehen ist.

David Hemmings in Blow Up (Regie: Michelangelo Antonioni), 1966. film still. Foto: Arthur Evans, Privatsammlung Wien, Courtesy: Neue Visionen Filmverleih GmbH (Albertina/Wien)

Vordergründig ist Blow Up ein Krimi, und entsprechend dramatisch inszeniert ihn das Museum. Beim Betreten umfängt den Besucher Dunkelheit. Eine eigens in das gold- und stuckverzierte Palais hineingebaute Blackbox (Ausstellungs-Design Walter Kirpicsenko) macht den Film begehbar: Standbilder leuchten aus Dioramen, in überdimensionale Filmstreifen hineinmontierte Ausschnitte teilen den Film thematisch auf. Den Anfang macht die Schlüsselszene im Park: Der von David Hemmings gespielte Protagonist hat ein Liebespaar fotografiert, meint aber beim Entwickeln der Negative im unscharfen Bildhintergrund einen Pistolenschützen zu entdecken. Als er die Fotos immer weiter vergrößert, erscheint eine Leiche, doch die Fotografie bietet keine Eindeutigkeit: Die Figur löst sich zu Pixeln auf.

Don McCullin: Thomas’ blow-ups aus dem Park – Courtesy Philippe Garner © Neue Visionen Filmverleih GmbH/Turner Entertainment Co. – A Warner Bros Entertainment Company. All rights reserved. (Albertina/Wien)

Kapitelweise erkundet die Ausstellung nicht nur Antonionis Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie, sondern auch realhistorische Hintergründe und ästhetische Vorbilder des Filmes. Erstmals zu sehen sind die Fragebögen, die der Regisseur an Londoner Fotografen verschickt hatte. Darin erkundigte er sich nach deren Lebensgewohnheiten: Ob sie bei der Arbeit tränken, mit ihren Models schliefen, sich von Pop- und Op-Art beeinflussen ließen, ihre Autos selbst führen oder Chauffeure beschäftigten. Marotten wie der Rolls-Royce des Protagonisten waren nicht der Fantasie des Regisseurs entsprungen, sondern bei dem Londoner Fotografen Terence Donovan abgeschaut.

Bildsprache von Comics und Film Noir: Das Kino thematisiert die Popkultur

David Bailey photographing Moyra Swan, 1965
© Terry O´Neill – Courtesy Philippe Garner (Albertina)

Gemeinsam mit seinen Kollegen David Bailey und Brian Duffy bildete der Lebemann damals die berüchtigte “Black Trinity”, ein Trio, das die Modefotografie dynamisierte. Statt mit Großbildkamera und Stativ im Studio zu arbeiten, nahmen die drei Fotografen ihre Models mit der handlichen Kleinbildkamera Nikon F auf, die auch in Antonionis Film die eigentliche Hauptrolle spielt. Den Hintergrund bildeten alltägliche Straßenszenen und ungewöhnliche Settings. Mal hängten die Foto-Pioniere ihre weiblichen Models an Fallschirme, mal inszenierten sie Dressmen mit Schusswaffen in erzählerischen Bildsequenzen, die vom Film Noir oder vom Comic inspiriert waren. Antonioni zeigte diese Fotos in Blow Up – und holte deren Bildsprache damit zurück ins Medium Film.

Das ikonische Shooting mit Veruschka hatte er sich ebenfalls von David Bailey abgeguckt. Ein Jahr zuvor hatte dessen Kollege Terry O’Neill seine Arbeitsweise in einer Serie porträtiert, die sich Antonioni zum Vorbild nahm. Um das Medium Fotografie in seinen unterschiedlichen Varianten zu zeigen, wechselte er in Blow Up radikal Setting und Genre: Eben noch erotisierender Mode-Macho, versucht sich sein Protagonist im nächsten Moment im seriösen Genre der Sozialreportage unter Fabrikarbeitern und Obdachlosen.

Die Ausstellung zeigt, wie akribisch Antonioni auch hier arbeitete: Die Bilder, die der fiktive Fotograf im Film seinem Agenten vorlegt, hatte der Regisseur eigens bei dem Reportage-Fotografen Don McCullin in Auftrag gegeben. Die Fotos porträtieren das bettelarme East End der sechziger Jahre und setzen damit einen Kontrapunkt zum hedonistischen Lebensstil der Londoner in-crowd.

Hier weiterlesen (zuerst erschienen in DIE ZEIT Nº 26/2014)

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/1556

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Die Spur der Steine: 1965 drohte ein Beat-Verbot im Westen

Heute kehren die Rolling Stones auf die Berliner Waldbühne zurück. Hier spielten sie vor knapp 50 Jahren ihr legendäres Konzert, das in Ausschreitungen endete und in Deutschland einen Kulturkampf um die Beat-Musik entfachte. Eine Polizeiakte verrät, wie verhärtet die Fronten damals waren.

Bis zum Abend lief alles ganz normal. Um 15.45 Uhr des 15. September 1965 war eine Maschine der Air France auf dem West-Berliner Flughafen Tegel gelandet. Unter den Passagieren befanden sich die Mitglieder der Band, die in jenen Jahren die öffentliche Meinung spaltete wie keine andere. Ihre harten R&B-Rhythmen und Liedtexte provozierten schon, bevor sie “Sympathy for the Devil” und für harte Drogen bekundeten. Die Rolling Stones waren angereist, um auf einem von der deutschen Jugendzeitschrift “Bravo” mitorganisierten Beat-Konzert aufzutreten.

Die Fahrt durch Berlin lief noch nach Plan und bis zum Abend lief auch der Zustrom von Fans zur Charlottenburger Waldbühne weitgehend ungestört. Das Motto des Konzerts lautete “Heißer geht’s nicht mehr” – im Nachhinein sollte es vielen als selbst erfüllende Prophezeiung erscheinen. Es war eines der größten Rockkonzerte, die es bis dato in Deutschland gegeben hatte, und auch die internationale Tournee war noch ein junges Format, mit dem man wenig Erfahrung hatte. Rund 21.000 Menschen befanden sich in der Freiluftbühne, vor den Toren noch weitere tausend Fans, die keine der mit 20 Mark sehr teuren Karten mehr bekommen hatten. Pünktlich traten nacheinander deutsche Vor-Bands auf, darunter die Racketts sowie Didi und die ABC-Boys. Der britische Haupt-Act war für 21.30 Uhr vorgesehen und sollte um 22 Uhr enden. Als aber vorzeitig das Licht erlosch, brach das los, was ein Kommentator später mit einem “Inferno” vergleichen sollte. Was war geschehen?

Die Antwort findet sich in einem nüchternen Leitz-Ordner mit vergilbtem Etikett, der heute in einem Stahlschrank der polizeihistorischen Sammlung am Flughafen Tempelhof steht. Verglichen mit anderen dort befindlichen Exponaten der Berliner Kriminalgeschichte, mit Fingerabdruckkarten, Projektilen und Mordwaffen, nehmen sich die 400 überwiegend maschinenschriftlichen Blätter unspektakulär aus. Doch die Funksprüche und Protokolle der “Aktion Steinschlag”, wie die Medien den Polizeieinsatz vom Herbst 1965 tauften, sind ein Stück deutscher Kulturgeschichte. Anhand dieser Akten lässt sich nicht nur minutiös nachvollziehen, was aus Perspektive der Berliner Polizei in der Waldbühne geschah, sondern auch das politische Nachbeben ablesen.

Der obenauf abgeheftete Einsatzbefehl S 1-524/65 formuliert in klarem Amtsdeutsch, was sich die Polizei vorgenommen hatte: “Durchführen der erforderlichen verkehrspolizeilichen Maßnahmen”, “Verhinderungen von Ordnungsstörungen”, “Unterbinden strafbarer Handlungen”. Prophylaktisch hatte die Polizei Greiftrupps und “starke Eingreifreserven in der Nähe der Bühne” zur Festnahme von Straftätern und Fototrupps in Zivil aufgestellt. Auch eine eigene Sammelstelle für Festnahmen in einem Polizeigefängnis wurde eingerichtet. Dass es zu solchen kommen könnte, hatten zahlreiche Zeitungsartikel nahegelegt, die das Konzert schon im Vorfeld zum Beat-Krawall hochstilisiert hatten, obwohl der letzte Großkrawall auf einem Rockkonzert Bill Haleys im Sportpalast schon sieben Jahre zurücklag. Mit allzu schweren Ausschreitungen rechnete man aber offenkundig nicht, denn als Ausrüstung waren nur “Dienstanzug, Plastikmütze, Polizeiknüppel” angeordnet worden.

Dass das nicht reichen würde, deutet sich schon gegen 21.10 Uhr an, als laut Protokoll vor der Bühne die ersten Flaschenwürfe gemeldet wurden. Schon vorher ist es vereinzelt zum “Polizeiknüppelgebrauch” durch Beamte der Reserve gegen Jugendliche gekommen, die Absperrungen überklettern wollten. Ein Jugendlicher erlitt Bisswunden durch einen Polizeihund. Als daraufhin mehrere Autos umgeworfen wurden, kam auch der Wasserwerfer zum Einsatz und größere Gruppen von Jugendlichen wurden zu den Häftlingssammelstellen transportiert. Auch die Ereignisse in der Bühne selbst sind minutiös dokumentiert. Ab 20.10 gilt die Stimmung als “angeheizt”, Feuerwerkskörper werden abgebrannt, vereinzelt fliegen Gegenstände über die Köpfe: Grasnaben, Schuhe, Flaschen. Die Ordner haben nun “Schwierigkeiten, die Bühne freizuhalten”. Um 21.31 Uhr eskaliert schließlich die Lage:

Die Absperrung vor der Bühne wird jetzt von stärkeren Gruppen durchbrochen, Polizisten knüppeln die Bühne wieder frei. Nach kurzer Unterbrechung setzen die Stones das Konzert fort, doch das Werfen mit Gegenständen und Zünden von Feuerwerkskörpern nimmt zu. Als das Konzert nach nur wenigen Songs schließlich abgebrochen wird, macht das Management einen schweren Fehler: Es lässt die grellen Scheinwerfer ausschalten, weil sich die Fans davon provoziert gefühlt hatten. Für die Dauer von 15 Minuten liegt die Arena in völliger Dunkelheit. Einige geraten in Panik. Unterdessen spricht sich herum, dass die Band nach dem nur 20-minütigen Auftritt nicht wieder auf die Bühne kommen wird. Wut greift um sich, auf die Veranstalter, auf die Stones, auf die Polizei. Hunderte versuchen, die Bühne zu stürmen. Zur Vermeidung weiterer Zerstörungen beginnt nun das, was im Polizeiprotokoll “Räumung der Waldbühne unter Anwendung des Polizeiknüppels” heißt.

Der Rundfunkreporter Matthias Walden, der auf der Presse-Tribüne dem Spektakel beiwohnt, schreibt seine Beobachtungen in der Sprache eines Kriegsberichterstatters nieder. “Ich sah das Wogen und Zucken der 20.000 in der Waldbühne, sah nicht mehr Wald, sah kaum noch Bühne”, hebt er an. “Jugendliche Leiber, bewegt wie von verschluckten Pressluftbohrern, sich selbst mit den Fäusten auf die Köpfe schlagend, blicklos aufgerissene Augen, stampfende Füße, schleudernde Arme.” Dann ertönt ein anderes Konzert, “das harte Geräusch, das beim Zertrümmern der Sitzbänke entsteht, das Jaulen und Bellen der Polizeihunde, das Johlen und Pfeifen der Masse, Hilferufe nach Sanitätern, Scherbenklirren.” Einige Sitzreihen brennen, andere sind zertreten, ein Absperrgitter wird auf die Tobenden geworfen. Räumketten der Polizei rücken gegen die Bühne vor.

Die Bilanz des Polizeiberichts addiert nüchterne Zahlen, von denen später einige nach oben korrigiert werden müssen: 89 vorläufige Festnahmen, 61 Fälle von erster Hilfe, 28 ambulant in Krankenhäusern behandelte, 26 verletzte Polizisten, von denen sechs in Krankenhäusern behandelt werden müssen, ein verletztes Polizeipferd, ein demolierter S-Bahnzug und 300.000 DM Sachschaden an der Waldbühne. Die Holzbretter der Sitzbänke sind zu achtzig Prozent beschädigt, die Holzzäune zu 90 Prozent. Der Wiederaufbau wird sich noch Jahre hinziehen, denn die Versicherung deckt nur einen Teil der Kosten.

Am Morgen des 16. Septembers liegt nicht nur die Waldbühne in Trümmern. Ernstlich beschädigt ist auch das Ansehen der noch jungen angloamerikanischen Beat-Musik – und abermals das eines Teils der deutschen Jugend. Auch die Polizei und der Veranstalter stehen in der Kritik. Der Kommandeur der Berliner Schutzpolizei fordert umgehend das Verbot von Beat-Konzerten. Nicht nur in Berlin, auch in der Bundesrepublik debattiert man nun öffentlich über Kulturverbote.

Hier weiterlesen (erschienen im Feuilleton der WAMS vom 8. Juni 2014).

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/1498

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