Unter falscher Flagge. Rechte “Identitäre” setzen auf Antiken-Pop. Die Geschichte ihrer Symbole dürfte ihnen kaum gefallen

Arg ramponiert nach missbräuchlicher Verwendung: Relikt der “Metapolitik” .

In der derzeit vieldiskutierten rechtsextremen  Szene fällt eine Gruppe als besonders aggressiv auf. Die übernational organisierte „Identitäre Bewegung“ (IB) agiert als eine Art Agit-Pop-Gruppe der völkischen Szene. Aus einer Nachfolgeorganisation der rechtsterroristischen französischen Unité radicale hervorgegangen, ist sie heute europaweit aktiv, besonders in Österreich. Vielerorts beobachtet sie der Verfassungsschutz. Ihre vergleichsweise schwache Mitgliederzahl versuchen die völkischen Aktivisten durch mediale Inszenierungen auszugleichen: Mit spektakulären “metapolitischen” Symbolhandlungen wie Besetzungen und Blockaden, dem demonstrativen Errichten von Grenzzäunen oder jüngst einem “Mahnmal” vor dem Brandenburger Tor plädieren die rechtsextremen Flash-Mobster für ein eingemauertes Europa und hetzen gegen Schwache, Geflüchtete und politisch Verfolgte. Unter dem Begriff des „Ethnopluralismus“ konstruieren sie unterschiedliche homogene Kulturen, die gegen Einflüsse von außen „verteidigt“ werden müssten, nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten.[1]



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Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/2561

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Plappe Pleiner

Ich war ein großer Fan von Lucky Luke, als ich klein war, und ich bin es bis heute geblieben, obwohl mir die neueren Hefte natürlich nicht so gut gefallen, wie die alten Originale. Zwei meiner Lieblingshefte sind „Die Daltons und der Psychodoc“ und „Ma Dalton“. Warum, kann ich nicht genau sagen, und ich sollte es wohl am besten auch gar nicht versuchen. In einem der Hefte jedoch, und ich muss gestehen, dass ich nicht genau weiß, ob im Psychodog oder in Ma Dalton, gibt es diese lustige Szene, in der Ma Dalton einen Brief an ihre Kinder schreibt, und William oder Jack einen Buchstaben nicht kennen, und sich am Ende darauf einigen, dass es ein „P“ sein muss. Der Brief von Ma Dalton endet darauf ungefähr wie folgt (in der von William oder Jack vorgetragenen Version):

Und grüßt mir auch ganz herzlich Averell, meinen Pleinen, der immer der Liebste von euch war.

Daraufhin gibt es natürlich wieder Streit zwischen den Brüdern, und Ende wird Averell, der sich in der Liebe seiner Mutter genüsslich sonnt, jäh von seinen beiden älteren Brüdern mit einem lautstarken „Plappe Pleiner“ unterbrochen.

Ich kann nicht sagen, warum sich diese Szene mir so eingebrannt hat, und die Tatsache, dass ich sie hier auch nur unvollständig aus meiner Erinnerung wiedergebe, zeigt, dass es sehr lange her ist, dass ich Lucky Luke gelesen habe.

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Quelle: http://wub.hypotheses.org/109

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The Dark Knight Keeps on Returning – Teil 02

  1. Einleitung

„[T]he world only makes sense when you force it to.“1
– Batman

Frank Millers Batman ist ein Übermensch.2 In Batman: The Dark Knight Returns erhebt er sich über die Normalsterblichen, agiert nach einer eigenen höheren Moral und wird entsprechend dargestellt: als hünenhafter, kantiger Koloss, der alles zu überragen scheint. Miller bietet hiermit eine unerhörte, mit den klassischen Superhelden-Konzeptionen brechende Interpretation des ‚Dark Knight‘ und gerade deswegen gilt sein Werk als ein Meilenstein der Comicgeschichte.

Wie Watchmen von Alan Moore und Dave Gibbons ((Moore, Alan; Gibbons, Dave: Watchmen, New York 2008 [1986–1987].)) ist Millers Batman: The Dark Knight Returns im Jahr 1986 entstanden und wird neben diesem als Schlüsselwerk jenes annus mirabilis angesehen: In den Achtziger Jahren vollzog sich ein Umbruch im US-amerikanischen Mainstream-Comic, der 1986 in den genannten Werken kulminierte.

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Quelle: http://comics.hypotheses.org/471

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Die Suche im Comic III: Lost in the Andes von Carl Barks

Im Jahr 1934, nach Fertigstellung der Erzählung Les cigares du pharaon und vor Beginn der Arbeit an der im vorangegangenen Beitrag behandelten Erzählung Le lotus bleu, widmete sich Hergé mit Les aventures de Popol et Virginie au Far West1 dem von Walt Disney begründeten funny animal-Genre. Hergé sah dies als Abwechslung vom Realismusgehalt der Tintin-Erzählungen: „Un peu d’invraisemblance pour me changer de la ‚crédibilité‘ aux lois de laquelle j’étais soumis par Tintin“.2

Doch die Geschichten von Carl Barks (1901–2000), dem Großmeister dieses Genres, entbehren keinesfalls der besagten Glaubwürdigkeit, so phantastisch ihre Inhalte in vielen Fällen auch sein mögen3 – dies zeigt auch die Erzählung Walt Disney’s Donald Duck: Lost in the Andes.4

Zum einen versteht es Barks, stets Elemente des Alltäglichen einzubringen.5Zum anderen ist sein Stil in der Gestaltung der Zeichnung dem von Hergé gar nicht so unähnlich: Auch Barks kombiniert realistische Settings mit stark abstrahierten Figuren,6 die durch ihre fast schon anthropomorphe Tiergestalt eine mindestens genauso intensive Einfühlung und Identifikation zulassen, wie Hergés Protagonist. Die Enten der Familie Duck müssen als Menschen verstanden werden:7„They happened to be humans who looked like ducks”, erklärte Barks selbst.8
Diesen ‚menschlichen Enten‘ widmete Barks 25 Jahre: Im Zeitraum von 1942 bis 1967 verfasste und zeichnete er für Disney bzw.

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Quelle: http://comics.hypotheses.org/303

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Definitionssache I: Scott McClouds Comicbegriff

“Comics are not prose. Comics are not movies. They are not a text-driven medium with added pictures; they’re not the visual equivalent of prose narrative or a static version of a film. They are their own thing: a medium with its own devices, its own innovators, its own clichés, its own genres and traps and liberties. The first step toward attentively reading and fully appreciating comics is acknowledging that.”1

Betrachten wir den Comic als ein eigenständiges Medium, dann stellt sich die Frage, was dieses Medium genau ausmacht. Worin unterscheidet es sich von anderen Medien und Kunstformen? Wie lässt sich der Comic definieren? Diesen Fragen möchte ich in einer Reihe von Beiträgen nachgehen, um zentrale Aspekte des Comics als eigenständiger Kunstform zu erfassen.

Eine umfassende Definition des Mediums Comic wurde bisher noch nicht erbracht und aufgrund der Schwierigkeiten, die diese Fragestellung mit sich bringt, wird mitunter von einer unmöglichen Definition gesprochen.2
Einer der populärsten Definitionsansätze stammt von Scott Mc- Cloud. 1994 veröffentlichte der US-amerikanische Comicautor und -theoretiker mit Understanding Comics. The Invisible Art einen Band, der bis heute eine maßgebliche Referenz auf dem Gebiet der Comicforschung darstellt und jedem, der sich mit dem Medium Comic auseinandersetzen möchte, als Einstiegs- oder auch Vertiefungslektüre anempfohlen sei.3
Basierend auf Will Eisners Ausführungen4 entwickelte McCloud folgende Definition: Comics sind “juxtaposed pictorial and other images in deliberate sequence, intended to convey information and/or to produce an aesthetic response in the viewer”, oder kurz “sequential art”.5 Für McCloud definieren sich Comics folglich durch ihre Sequenzialität, um genauer zu sein, durch die sequenzielle Anordnung, die Aneinanderreihung von zusammengehörigen Bildern bzw. Bildelementen.
Ausgehend von dieser funktionalistischen Definition lassen sich sämtliche Kunstwerke, die in einer Abfolge von Bildern erzählen, unter dem Begriff Comic subsummieren. So z. B. der Teppich von Bayeux, griechische Vasen oder Werke der ägyptischen Malerei.6

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Die Trajanssäule – ein Comic? Aufnahme © Monika Weissenberger 2014.

Gleichzeitig schließt dieselbe Definition einen nicht unerheblichen Teil der Comicproduktion aus: Ein-Bild-Comics, oft auch als Cartoons bezeichnet, bestehen schließlich nicht aus einer Aneinanderreihung von Bildern.7 Serien wie The Family Circus von Bil und Jeff Keane, nichtlustig von Joscha Sauer oder gar Hogan’s Alley von Richard F. Outcault — oft als erster Zeitungs-Comicstrip gehandelt —, dürften demzufolge nicht der Kunstform Comic zugeordnet werden.

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© Keane – King Features 1987.

Andererseits führt McCloud an anderer Stelle8 aus, dass auch innerhalb von Panels, sprich innerhalb eines Einzelbildes eines Comics, Sequenzialität gegeben ist. Er zeigt, dass sich ein einzelnes Panel aufgrund des Nebeneinanders verschiedener Bildelemente und des Nacheinanders verschiedener Handlungselemente, die ja in einer bestimmten Reihenfolge gelesen werden, auch in mehrere Panels unterteilen ließe:

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© McCloud – HarperCollins 1994, S. 95.
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© McCloud – HarperCollins 1994, S. 97.

Warum sollte sich dieses Prinzip auf einzelne Panels, aber nicht auf Ein-Bild-Comics anwenden lassen? In seinem Essay Redefining  Com- ics greift Philosophieprofessor John Holbo diesen Gedanken auf und führt ihn argumentativ fort, wobei er zu dem Schluss kommt, dass letztlich jedes Bild mit narrativen Eigenschaften im engeren oder weiteren Sinne — und dies lässt sich wiederum auf einen großen Teil aller Bildwerke anwenden — die von McCloud angeführte “Lesetätigkeit” erfordert und somit als Comic zu bezeichnen sei. Schließlich erzählen oder implizieren die meisten Bilder eine Geschichte oder geben durch die Darstellung und Anordnung der einzelnen Bildelemente eine Leserichtung vor.9

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© Holbo, Squid and Owl (Blurb 2009), 2012, S. 7.

Demzufolge wären nicht nur die von McCloud ausgeschlossenen Cartoons als Comics zu bezeichnen, sondern auch Da Vincis Letztes Abendmahl, um ein beliebiges Beispiel anzuführen. In Holbos Gedankenspiel mag einiges an Ironie stecken, doch zeigt es, dass McClouds Definition durchaus erweiterungsbedürftig ist.10
Neben diesem Kritikpunkt, dass McClouds Definition im selben Moment sowohl zu weit als auch zu eng gefasst ist, wird häufig angemerkt,11 dass McCloud den Bildern einen höheren Stellenwert einräumt als dem Text: Zwar geht aus seiner Definitionsfindung hervor, dass Worte durch ihren zeichenhaften Charakter unter den Begriff der “images” fallen12 und somit zum Bildrepertoire von Comics zählen können, aber auch, dass er sie nicht als obligatorisch erachtet:13 “If the pictures, independent of the words, are telling the whole story and the words are supplementing that, then that is comics.”14
Es finden sich zwar Beispiele für Comics, die (weitestgehend) auf den Einsatz von Sprechblasen und Erzähltext verzichten — so Arzach von Mœbius (1975/76) und Le Sens von Marc-Antoine Mathieu (2014) — tatsächlich weist der Großteil aller Comics jedoch eine Verknüpfung von Bild und Text auf.

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© Mœbius – Les Humanoïdes Associés 1975/76, S. 39.

McCloud hat mit Understanding Comics eine herausragende Einführung in die Funktionsweise von Comics und in die Erzählmechanismen der sequenziellen Kunst geliefert. Sein Definitionsansatz hat dazu beigetragen, der Betrachtung des Comics als eigenständiger Kunstform näher zu kommen, einen fruchtbaren, bis in die heutigen Tage anhaltenden Diskurs angeregt und ein Fundament gelegt, auf dem weitergebaut werden kann.

Titelbild: © McCloud – HarperCollins 1994, S. 9.

  1. Wolk, Douglas: Reading Comics. How Graphic Novels Work and What They Mean. Boston 2007, S. 14.
  2. Vgl. Schikowski, Klaus: Der Comic. Geschichte, Stile, Künstler, Stuttgart 2014, S. 26 und Groensteen, Thierry: The Impossible Definition, in: Heer, Jeet; Worchester, Kent (Hrsg.): A Comics Studies Reader, Jackson 2009, S. 124—131.
  3. McCloud, Scott: Understanding Comics. The Invisible Art, New York 1994.
  4. Eisner, Will: Comics and Sequential Art, Princeton 1992.
  5. McCloud 1994, S.9
  6. Vgl. ebd., S. 10—19.
  7. Vgl. ebd., S. 21.
  8. Vgl. ebd., S. 94—97.
  9. Vgl. Holbo, John: Redefining Comics, in: Meskin, Aaron; Cook, Roy T. (Hrsg.): The Art of Comics. A Philosophical Approach. Malden (u. a.): 2012, S. 3—14.
  10. Weiterführend hierzu: Meskin, Aaron: Defining Comics?, in: Journal of Aesthetics and Art Criticism 65 (1), 2007, S. 369—379: Meskin vertritt die Position, dass Comics, wenn überhaupt, lediglich aus einem historischen Gesichtspunkt definierbar sind. — Hayman, Greg und Pratt, Henry John: What Are Comics?, in: Goldblatt, David; Brown, Lee B. (Hrsg.): A Reader in Philosophy of the Arts, Upper Saddle River 2005, S. 419—424.
  11. Bspw. bei Wartenberg, Thomas E.: Wordy Pictures: Theorizing the Relationship between Image and Text in Comics, in: Meskin, Aaron; Cook, Roy T. (Hrsg.): The Art of Comics. A Philosophical Approach. Malden (u. a.) 2012, S. 87f.
  12. Vgl. McCloud 1994, S. 8.
  13. Vgl. ebd., S. 21.
  14. McCloud in einem Interview mit Robert Harvey in The Comics Journal 179, 1995, S. 52ff., zitiert bei Holbo 2012, S. 20.

Quelle: http://comics.hypotheses.org/24

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Klaus Theweleit: “So tun als gäbe es kein Morgen” (Video)

Klaus Theweleit spricht am 22. Juni 2011 auf der Konferenz “PopHistory. Perspektiven einer Zeitgeschichte des Populären” im Roten Salon der Volksbühne am Berliner Rosa Luxemburg-Platz.

Als wir Klaus Theweleit als Keynote-Speaker zur Konferenz PopHistory einluden, bediente er sich eines ungewöhnlichen Verfahrens. In seinem Vortrag mit dem Titel “So tun als gäbe es kein Morgen oder: 2000 Light Years from Home” brachte er Blätter in unterschiedlichen Formaten mit, von denen er Passagen zu Aspekten der Popgeschichte ablas: Songtexten, Sounds, Comics, Sexualität, Fantum. Da diese Passagen aus verschiedenen Veröffentlichungen Theweleits stammten und damit streng genommen keine Neuveröffentlichung sind, haben wir uns entschlossen, die Transkription des Vortrages in Form eines hidden tracks dem Methoden-Band unserer zweibändigen Popgeschichte hinzuzufügen. Die Idee war dabei, den Text als eine Zugabe quasi außer Konkurrenz zu markieren.

Theweleit hat in dem Vortrag seine eigenen Texte in neuer Kombination wie in einem Remix zusammengesetzt. Es handelt sich um die für ihn typische Mischung aus ungeschützt-autobiographischem Schreiben, psychoanalytisch inspirierter Interpretation und politischer Kritik, die Theweleit vielleicht nicht zu einem (Pop-)Historiker macht, aber eindrucksvoll demonstriert, warum er zu den originellsten Denkern unserer Tage gehört. Wir veröffentlichen den ungekürzten Video-Mitschnitt des Vortrags (die Musikbeispiele mussten wir aus urheberrechtlichen Gründen leider herausschneiden) im Blog für alle, die den ganzen Vortrag nachhören möchten:

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/1709

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Comics als historische Quelle

Spence, Struwwelhitler

 

Comics begleiten die Menschen weltweit schon seit mehr als 100 Jahren in verschiedensten Formen, sei es als Strip in Zeitungen, als klassisches Comic-Heft, als Album und „graphic novel“ oder nunmehr auch in digitaler Form im Internet. Sie sind nicht nur Unterhaltung, sondern immer auch Spiegel unserer Gesellschaften. Als historische Quelle wurden sie jedoch erst relativ spät entdeckt. Wie mit ihnen als Quelle umgegangen werden kann, wird im folgenden Artikel beleuchtet, indem in chronologischer Folge an ausgewählten Beispielen ihre Potenziale als text-bildliche Quelle vorgestellt werden.

Als der Comic Anfang der 1990er-Jahre als Medium historischen Lernens entdeckt wurde, erschienen auch die ersten Publikationen zum Comic als Quelle.[1] Bis dahin galt er als Teil einer Populärkultur, die zwar für Kinder und Jugendliche gedacht war, aber weder als wertvoll noch als bildungsrelevant angesehen wurde; ganz im Gegenteil galten Comics spätestens seit den Anti-Comic-Kampagnen der 1950er-Jahre als verdummend.[2] Geschichte wurde daher und überwiegend nur thematisiert, wenn es sich bei den Comics um sogenannte Geschichtscomics, also Comics mit historischen Inhalten handelte. Ausgehend von der These, dass gerade Jugendliche schnell und leicht von den bunten Heftchen zu beeinflussen seien, entstand schnell die Vorstellung, dass Generationen von Jungen ihr Mittelalterbild von Serien wie „Sigurd“ oder „Prinz Eisenherz“ erworben hätten. Empirische Studien, die dies be- oder widerlegen, gab und gibt es bis heute jedoch nicht.[3]

Dass der Comic jedoch unabhängig von seinen Inhalten eine wertvolle wissenschaftliche und pädagogische Ressource zur Dekonstruktion gesellschaftlicher Normen und Werte sein kann, zeigte sich deutlich mit dem Erscheinen der ersten wissenschaftlichen Studien über die US-amerikanischen Superheldencomics; sie waren ein Spiegel des gesellschaftlichen Umgangs mit Krisen, Gewalt und Sexualität. Heute sind Comics in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Quelle für die Analyse von (Geschichts-)Kultur. Sie sind ein Zeugnis gesellschaftlicher Werte und Normen, von Geschlechterverständnissen oder Moden; sie spiegeln die Gesellschaft und deren aktuelle Diskurse wider. Als Geschichtscomics stellen sie darüber hinaus einen Teil unserer Erinnerungskultur dar, der gerade im Bereich des historischen Lernens in den letzten Jahren einen immer wichtigeren Platz einnimmt.

Scott McCloud, Comics richtig lesen, S. 76

Abb. 1: Induktion, in: Scott McCloud, Comics richtig lesen, 3. Aufl., Hamburg 1995, S. 76
© Scott McCloud/Carlsen Verlag Hamburg 1995

Das hat mehrere Gründe. Als visuelles Medium zieht der Comic über seinen Bildanteil die Aufmerksamkeit der Lesenden auf sich. Durch die Symbiose von Bild, Text und Symbolen gelingt es dabei guten Comics, die Lesenden an sich zu binden. Das liegt nicht zuletzt an den Funktionsmechanismen des Comics, wie beispielhaft Scott McCloud zeigt:[4] Zwischen den einzelnen Panels (den umrandeten Bildern) eines Comics vergeht Zeit, die die Lesenden selbst per Induktion überbrücken müssen und dabei ihre eigene Imagination einbringen (Abb. 1). Geschickt eingesetzte Symbolismen in Figuren (Stereotypen) und Gegenständen ermöglichen zudem eine schnelle Orientierung in einer Narration (Abb. 2). Unterscheidungen in gut/böse, gefährlich/ungefährlich und Ähnliches gelingen so schnell. Bilden Zeichenstil und erzählte Geschichte eine Einheit, kann der Comic bei den Lesenden zudem synästhetische Effekte auslösen. Denn obwohl beim Lesen nur ein (optischer) Sinn stimuliert wird, werden bei der Verarbeitung der visuellen Informationen mehrere Sinne angesprochen. Comics binden also Lesende in hohem Maße an sich und beeinflussen diese durch die verwendeten Symbolismen und gewählten Stilrichtungen eher unbewusst – und dadurch oftmals besonders effektiv. Sie ermöglichen daher auch eine narrative oder interpretative Lenkung der Lesenden.

Eisner, Grafisches Erzählen, S. 27

Abb. 2: Symbolismus, in: Will Eisner, Grafisches Erzählen. Graphic Storytelling, Wimmelbach 1998, S. 27
© Will Eisner/Comic Press Wimmelbach 1998

 

Populärkultur als Spiegel der Gesellschaft und Teil der Geschichtskultur

Cover: Hergé, Tim im Kongo

Abb. 3: Cover: Hergé, Tim im Kongo, Hamburg 1999

Jeder Comic verfügt über Quellenauthentizität; in ihm spiegeln sich also verschiedenste Einstellungen über die Gesellschaft und Zeit wider, in der er entstanden ist. Das gilt auch für historische Deutungen. Einer der ersten Comics, die in diesem Zusammenhang große Aufmerksamkeit erfahren haben, war Hergés „Tim und Struppi“ („Les aventures de Tintin“). So zeigt zum Beispiel das Album „Tim im Kongo“ deutlich die damals gültigen gesellschaftlichen Normen und Vorstellungen von „rassischen“ Ungleichheiten. Einheimische erschienen als dumm und arbeitsfaul, und erst Tim in der Rolle als Kolonialherr brachte das nötige Maß an Ordnung mit und damit eine funktionierende Gesellschaft.[5] Solche Darstellungen führten jedoch erst im neuen Jahrtausend zu vermehrter Kritik und Fragen, wie gerade die Nachdrucke zu handhaben seien.[6] Heute wird der Comic nur noch mit einem entsprechenden Vermerk gedruckt, der auf die belgische Kolonialzeit verweist.

Comics sind jedoch auch Spiegel politischer Krisen. So kann die Entstehung der Superheldencomics als US-amerikanische Antwort auf die deutsche nationalsozialistische Aggressionspolitik verstanden werden. Sie dienten der moralischen Stütze der amerikanischen Gesellschaft und der Motivation der nach Europa entsandten Soldaten. Obwohl die Charaktere reine Phantasieprodukte waren, so produzierten doch einzelne Künstler immer wieder kurze Sequenzen, in denen Superhelden die größten Feinde der Nation, wie Hitler und Stalin, direkt angriffen. Eines der berühmtesten Beispiele ist „How Superman would end the war“, ein kurzer Strip, der heute auch online zu lesen ist.[7] Auch einer der zurzeit populärsten Helden, „Captain America“, wurde extra für den Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland erschaffen. In seiner der amerikanischen Flagge nachempfundenen Uniform steht er für eine heroische und letztlich siegreiche Nation. Je komplexer die Außenpolitik der USA wurde, desto vielfältiger griffen und greifen die Superheldencomics amerikanische (Außen-)Politik auf.[8]

Spence, Struwwelhitler

Abb. 4: Philip Spence/Robert Spence, Struwwelhitler. A Nazi Story Book by Doktor Schrecklichkeit, London 1941
© The Daily Sketch and Sunday Graphic Ltd./Autorenhaus-Verlag London 1941

Aber nicht nur der etablierte Comicmarkt reagierte auf den Zweiten Weltkrieg. Tatsächlich lassen sich in vielen von den Deutschen besetzten Staaten Untergrundcomics finden, die während des Krieges oder kurz danach veröffentlicht wurden und den Kampf gegen die Besatzer demonstrieren. Berühmte Beispiele sind „Das Biest ist tot. Der Zweite Weltkrieg bei den Tieren“ aus Frankreich oder auch „Struwwelhitler“ aus Großbritannien.[9]

In den 1950er- und 1960er-Jahren spiegelte die deutsche Comiclandschaft als Reaktion auf die weltweiten Anti-Comic-Kampagnen vor allem eine konservative und restriktive Gesellschaft wider, wie Bernd Dolle-Weinkauff in seinem Opus Magnum zur deutschen Comicgeschichte detailreich darstellt.[10] Mit der steigenden Popularität von Comicserien wie „Asterix“ Ende der 1960er-Jahre entdeckten auch politische Aktivisten den Comic für sich. So wurden die Comicfiguren – illegal – genutzt, um zum Beispiel gegen Atomkraftwerke zu mobilisieren.[11]

Selten fanden solche Werke auch den Weg in Archive oder Bibliotheken. In den USA wurden zu dieser Zeit die Undergroundcomics populär, in denen Künstler wie Robert Crumb und Trina Robbins sich provozierend mit gesellschaftlich normierter Sexualität und Rollenbildern auseinandersetzten. Auch Art Spiegelman, der später berühmt gewordene Autor und Zeichner von „Maus. Die Geschichte eines Überlebenden“, publizierte in entsprechenden Comicmagazinen seine ersten Werke.

Comic-Künstler hatten sich bereits schon seit mehreren Dekaden auch mit historischen Inhalten auseinandergesetzt. In der Bundesrepublik waren es Serien wie die „Illustrierten Klassiker“, die auch historische Stoffe in Comicform anboten und damit dem Medium vor dem Hintergrund der immer wieder zitierten Verdummungskampagnen eine seriöse Aura vermitteln sollten.[12] In den 1980er-Jahren erschienen auf dem deutschen Markt immer mehr Comics, die – zumindest oberflächlich – Geschichte zum Inhalt hatten. Es handelte sich dabei vor allem um ein neues Marktsegment: „Comicalben“, die gezielt für ein älteres und damit auch anspruchsvolles und finanzkräftigeres Publikum hergestellt wurden. Besonders populär waren Serien wie „Vae Victis!“ oder „Reisende im Wind“.[13] Diese Abenteuercomics spiegelten wider, wie sich die Comic-Künstler der 1970er- und 1980er-Jahre die Antike oder die Neuzeit vorstellten, und nutzten die Epochen als exotischen Hintergrund vor allem, um möglichst spannende und teilweise auch äußerst gewaltlastige und sexualisierte Plotlinien darzustellen.

Der Blick auf das damit entstehende Genre der Geschichtscomics ist jedoch für die Wahrnehmung von Comics als Quelle essenziell, denn gerade eine Analyse des deutschen Comicmarkts kann für das Verständnis der deutschen (populären) Geschichtskultur äußerst hilfreich sein. So ist in den letzten 25 Jahren eine große Zahl an Comics erschienen, die den Zweiten Weltkrieg und die Shoah thematisieren – dabei handelt es sich in der Masse der Veröffentlichungen nicht um deutsche Produktionen, sondern Übersetzungen aus verschiedensten west- und teilweise auch osteuropäischen Ländern. Die „graphic novel“ als in den 1990er-Jahren entstandene Publikationsform bietet dafür die ideale Plattform.[14] Obwohl die Wortkombination auf Fiktionalität verweist, so erheben doch viele dieser Publikationen den Anspruch auf – zumindest partielle – Authentizität und belegen dies auch ggf. durch Literaturnachweise.

Besonders interessant ist hier das Subgenre des Holocaustcomics. Dass es sich überhaupt erst in Deutschland durchsetzen konnte, ist vor allem den langanhaltenden Diskussionen um Art Spiegelmans „Maus“ zu verdanken.[15] Spiegelman etablierte den Geschichtscomic als seriöses Medium in der deutschen Kulturlandschaft. Damit einher ging ein deutlicher Trend zur Schwarz-Weiß-Zeichnung bei quellenbasierten Geschichtscomics. Diese Art der Simulation von Vergangenheit verweist auf eine Darstellungskonvention unserer Zeit. Beeinflusst durch frühe Fotografien und Filmaufnahmen tendieren wir dazu, Schwarz-Weiß-Bildern Quellenauthentizität zuzuschreiben. Erst in den letzten Jahren nutzen Comic-Künstler wieder vermehrt farbige Darstellungen, um Geschichte(n) über die Shoah zu erzählen. Künstler können auch Authentizität simulieren, in dem sie grafische Stile der dargestellten Zeit aufgreifen, [16] oder aber der Stil verweist auf den Grad der Authentizität. So wählte Joe Kubert für „Yossel, 19 April 1943“ Bleistiftzeichnungen. Diese verweisen auf eine eigentlich unfertige Zeichnung, die üblicherweise noch nachgetuscht wird, und damit auf den Charakter der erzählten Geschichte – eine „was-wäre-wenn“-Narration, in der Kubert fabuliert, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn seine Eltern nicht rechtzeitig aus Polen emigriert wären.

Croci, Auschwitz

Abb. 5: Cover: Pascal Croci, Auschwitz. Eine Graphic Novel, Köln 2005
© Egmont Ehapa Köln 2005

Zwei Publikationsformen haben in den letzten Jahren besondere Aufmerksamkeit erfahren: Auseinandersetzungen der zweiten und dritten Generation mit dem Geschehen in Form von Autobiografien mit biografischen und historischen Rückblicken oder Reportagen. Zweitens spielen Comics, die gezielt für historische Lernprozesse eingesetzt werden, eine wichtige Rolle wie Eric Heuvels „Die Suche“, Pascal Crocis „Auschwitz“ oder auch im US-amerikanischen Raum „X-Men. Magneto Testament“.[17] Bei diesen Publikationen haben interessanterweise biografische oder autobiografische Zeugnisse einen immer geringeren Stellenwert. Ganz bewusst werden also immer mehr fiktionale Elemente eingesetzt, um faktuale Geschichte möglichst umfassend darzustellen.[18]

Schließlich bietet der Comicjournalismus eine weitere, gegenwartsbezogene Möglichkeit des reflektierenden Blicks auf unsere Gesellschaften. Als Hauptbegründer dieses Genres gilt heute Joe Sacco, der mit seinen Arbeiten zu Krisen und Kriegen im ehemaligen Jugoslawien und Israel den Comicjournalismus etablierte.[19] Werke solcher Künstler, die in Krisengebiete reisen und ihre Berichte in Comicform festhalten, bieten gerade durch den Verzicht auf Fotografien und die Transformation des Erlebten in die Comicform teilweise sehr intensive Einblicke in die Generierung von Wissen in unserer heutigen Gesellschaft.

 

Comics als Teil einer Visual History

Um Comics überhaupt erst für eine Visual History nutzbar zu machen, bedarf es der intensiven methodischen Diskussion innerhalb der Fachwissenschaft und Geschichtsdidaktik. Nur mit ausreichender Medienkompetenz lassen sich der Comic und seine hybriden analogen und digitalen Formen analysieren. Je stärker die populäre Geschichtskultur in den Blick der Forschung gerät, desto besser wird unser Verständnis der Bedeutung von Geschichtscomics für unsere Kultur. Ein ebenso großes Problem ist der Quellenzugriff. Gerade jenseits der Comic-Alben und graphic novels sind nur wenige Comics (Hefte, Picolos und andere Formate) systematisch gesammelt und damit in Archiven oder Bibliotheken öffentlich zugänglich. Ebenso schwierig ist es, Rezeptionswege dieser Art der populären Geschichtskultur nachzuzeichnen. Das stellt die geschichtswissenschaftliche Comicforschung heute vor große Herausforderungen, doch das Ergebnis lohnt die Mühe.

 

 

[1] Vgl. Michael F. Scholz, Comics – Eine neue historische Quelle, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 38 (1990), S. 1004-1010.

[2] Vgl. Marc Degens, Wie amerikanische Comic Books die Welt verändert haben, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 56 (2002) H. 9-10, S. 833-839.

[3] Vgl. Christine Gundermann, Jenseits von Asterix. Comics im Geschichtsunterricht, Schwalbach 2007, S. 74.

[4] Scott McCloud, Comics richtig lesen, 3. Aufl., Hamburg 1995.

[5] Vgl. Hergé, Werkausgabe, Bd. 2: Der brave Herr Mops; Tim im Kongo; Tim in Amerika, Hamburg 1999, S. 44.

[6] Vgl. Kolonialismus im Comic. Gericht entscheidet: Tim und Struppi nicht rassistisch, Der Tagesspiegel, 10.2.2012, online unter: http://www.tagesspiegel.de/kultur/comics/kolonialismus-im-comic-gericht-entscheidet-tim-und-struppi-nicht-rassistisch/6197264.html (10.7.2014).

[7] Vgl. How Superman would end the war, online unter http://www.archive.org/stream/HowSupermanWouldEndTheWar/look#page/n1/mode/2up (10.7.2014). Jerry Siegel und Joe Shuster hatten diese Kurzepisode speziell für die Zeitschrift “Look” 1940 geschaffen. „Superman“ war bereits so populär, dass er hier zur Unterhaltung und politischen Mobilisierung einer größeren Leserschaft eingesetzt werden konnte.

[8] Vgl. Stephan Packard, „Whose Side Are You On?” Zur Allegorisierung von 9/11 in Marvels Civil War-Comics, in: Sandra Poppe/Thorsten Schüller/ Sascha Seiler (Hrsg.), 9/11 als kulturelle Zäsur Repräsentationen des 11. September 2001 in kulturellen Diskursen, Literatur und visuellen Medien, Bielefeld 2009, S. 317-336.

[9] Vgl. Edmond-François Calvo/Victor Dancette, Het Beest is dood! De Wereldoorlog bij de dieren, Amsterdam 1977; Philip Spence/Robert Spence, Struwwelhitler. A Nazi Story Book by Doktor Schrecklichkeit, London 1941. Zwei weniger bekannte Beispiele aus den Niederlanden werden vorgestellt in: Christine Gundermann, “Opgepast …de Duitsers”. Geschichtspolitik in niederländischen Comics, in: Ralf Palandt (Hrsg.), Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Comics, Berlin 2011, S. 359-374, hier S. 362.

[10] Vgl. Bernd Dolle-Weinkauff, Comics. Geschichte einer populären Literaturform in Deutschland seit 1945, Weinheim 1990.

[11] Vgl. U. Raub u.a., Asterix und das Atomkraftwerk, o.A. vermutlich 1979 (Raubdruck).

[12] Die „Illustrierten Klassiker“ erschienen von 1956 bis 1972 im Bildschriftenverlag und boten vor allem Literaturklassiker in Comicformat an. Eine Auflistung der Reihe findet sich auf www.comicguide.de.

[13] Vgl. Simon Rocca/Jean-Yves Mitton, Vae Victis!, 15 Bde., Strasbourg 1991-2006; François Bourgeon, Reisende im Wind, 5 Bde., Reinbek bei Hamburg 1981-1987.

[14] Die graphic novel als „gezeichneter Roman“ verweist erst einmal nur auf ein Publikationsformat, bei der eine umfangreiche Geschichte in einem spezifischen individuellen Stil in einem Buch (also nicht in mehreren Bänden) veröffentlicht wird. Auf dem deutschen Comicmarkt wurde der Begriff vor allem genutzt, um Publikationen von klassischen Comic-Alben, also Serienproduktionen, abzugrenzen und Vorurteile von Lesenden gegenüber Comics zu umgehen.

[15] Einführend: Kai-Steffen Schwarz, Vom Aufmucken und Verstummen der Kritiker. Die Diskussion um Art Spiegelmans „Maus“, in: Joachim Kaps (Hrsg.), Comic Almanach 1993, Wimmelbach 1993, S. 107-113.

[16] Ein hervorragendes Beispiel ist „Berlin 1931“ von Felipe H. Cava und Raúl, München 2001.

[17] Vgl. Eric Heuvel u.a., Die Suche, Amsterdam 2007; Pascal Croci, Auschwitz, Köln 2005; Greg Pak/Carmine Di Giandomenico, X-Men. Magneto Testament, New York 2009.

[18] Siehe dazu Christine Gundermann, Geschichtskultur in Sprechblasen: Comics in der politisch-historischen Bildungsarbeit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) 33-34/2014, S. 24-29, online unter http://www.bpb.de/apuz/189530/comics-in-der-politisch-historischen-bildung?p=all.

[19] Vgl. Joe Sacco, Safe Area Goražde, Seattle 2001; Joe Sacco, Palestine, Seattle 2002.

 

Literatur

François Bourgeon, Reisende im Wind, 5 Bde., Reinbek bei Hamburg 1981-1987.

Pascal Croci, Auschwitz. Eine Graphic Novel, Köln 2005.

Felipe H. Cava/Raúl, Berlin 1931, München 2001.

Victor Dancette/Calvo, Het Beest is dood. De Wereldoorlog bij de dieren, Amsterdam 1977.

Marc Degens, Wie amerikanische Comic Books die Welt verändert haben, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 56 (2002), H. 9-10, S. 833-839.

Bernd Dolle-Weinkauff, Comics. Geschichte einer populären Literaturform in Deutschland seit 1945, Weinheim 1990.

Will Eisner, Grafisches Erzählen. Graphic Storytelling, Wimmelbach 1998.

Christine Gundermann, Geschichtskultur in Sprechblasen: Comics in der politisch-historischen Bildungsarbeit, in: APuZ, (2014) H. 33-34, S. 24-29.

Christine Gundermann, Jenseits von Asterix. Comics im Geschichtsunterricht, Schwalbach 2007.

Christine Gundermann, „Opgepast … de Duitsers“. Geschichtspolitik in niederländischen Comics, in: Ralf Palandt (Hrsg.), Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Comics, Berlin 2011, S. 359-374.

Eric Heuvel u.a., Die Suche, Amsterdam 2007.

Scott McCloud, Comics richtig lesen, Hamburg 1995.

Stephan Packard, „Whose Side are You On?” Zur Allegorisierung von 9/11 in Marvels Civil War-Comics, in: Sandra Poppe/Thorsten Schüller/Sascha Seiler (Hrsg.), 9/11 als kulturelle Zäsur Repräsentationen des 11. September 2001 in kulturellen Diskursen, Literatur und visuellen Medien, Bielefeld 2009, S. 317-336.

Greg Pak/ Carmine Di Giandomenico, X-Men. Magneto Testament, New York 2009.

Raub u.a., Asterix und das Atomkraftwerk, o. A. vermutlich 1979.

Simon Rocca/Jean-Yves Mitton, Vae Victis!, 15 Bde., Strasbourg 1991-2006.

Joe Sacco, Palestine, Seattle 2002.

Joe Sacco, Safe Area Goražde, Seattle 2001.

Michael F.Scholz, Comics – Eine neue historische Quelle, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 38 (1990), S. 1004-1010.

Kai-Steffen Schwarz, Vom Aufmucken und Verstummen der Kritiker. Die Diskussion um Art Spiegelmans „Maus“, in: Joachim Kaps (Hrsg.), Comic Almanach 1993, Wimmelbach 1993, S. 107-113.

Philip Spence/Robert Spence, Struwwelhitler. A Nazi Story Book by Doktor Schrecklichkeit, London 1941.

Quelle: http://www.visual-history.de/2015/01/26/comics-als-historische-quelle/

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China-Comics: Yang, “Boxers” and “Saints”

Gene Luen Yang, der einem breiteren Publikum vor allem durch American Born Chinese bekannt wurde, legt mit Boxers & Saints eine zweibändige/zweiteilige Graphic Novel vor, die sich mit der Situation in China im späten neunzehnten Jahrhundert beschäftigt. Boxers & Saints wurde überwiegend positiv besprochen[1] und ist Anwärter für zahlreiche Preise. Jeder der Bände kann für sich gelesen werden, im Zusammenspiel ergeben sich zahlreiche neue Facetten. – was schon die Einbandgestaltung andeutet: Das Cover von Boxers zeigt im Hintergrund Qin Shihuangdi und die Hälfte des Gesichts von Little Bao, das Cover von Saints zeigt die Hälfte des Gesichts von Four-Girl und im Hintergrund Jeanne d’Arc – legt man die Bände nebeneinander, ergibt sich ein geteiltes ‘chinesisches’ Gesicht. Der Band Boxers erzählt die Geschichte von Little Bao, einem Jungen aus einem kleinen Dorf in “Shan-tung” [Shandong 山東], der ein Anfüher der Yihetuan 義和團 wurde. Der Band Saints erzählt die Geschichte von Four-Girl, einem Mädchen aus demselben dorf, die Christin wird, den Namen ‘Vibiana’ trägt und eine Art Jeanne d’Arc zu werden hofft.

Boxers schildert in Episoden die Zeit zwischen 1894 und 1900 – Kontakte zwischen Landbevölkerung und katholischen Missionaren, die die lokalen Götter zerschlagen, die Übergriffe von ausländischen und mandschurischen Soldaten, das Leben in den von Überschwemmungen und Dürren geplagten Dörfern, das Auftreten der ‘Boxer’ und den Weg von Little Bao in die Bewegung, den Sommer 1900 in Beijing. Eingeschoben sind Szenen mit Figuren aus dem traditionellen chinesischen Singspiel ["Pekingoper"] und imaginierte Dialoge mit Qin Shihuangdi, dem ersten Kaiser von China.

Boxers & Saints. Boxed Set

Quelle: macmillan

Saints beschreibt in Episoden das Leben von Four-Girl von ihrem 8. Lebensjahr bis zum 15. Lebensjahr. Das Mädchen, das keinen Individualnamen hat, sondern, da es das vierte Kind der Familie ist, einfach bei der Nummer genannt wird, ist in der Familie Außenseiterin. Ein eher zufälliges Zusammentreffen mit einem Arzt bringt sie in Kontakt mit dem Christentum und einem katholischen Missionar. Das Mädchen lernt mehr und mehr über die Religion und lässt sich taufen. Als der Missionar versetzt wird, schließt sich Four-Girl/Vibiana ihm an. Wie zahlreiche chinesische Christen wird sie Ziel der Angriffe der ‘Boxer’. So wie Little Bao den ersten Kaiser und die Helden des Musiktheaters sieht, sieht Four-Girl/Vibiana Jeanne d’Arc, die sie quasi leitet.

Der Anspruch des Verfassers, “[to lay] bare the foundations of extremism, rebellion, and faith”((Text auf der Schachtel des “boxed sets”)) erscheint sehr hoch; Boxers & Saints erscheint eher verworren denn vielschichtig. Fiktion und historisch Fassbares wird mit ‘Pekingoper’-Kitsch und weichgezeichneten Kreuzzugs-Szenen vermischt.[2]  ‘Die Chinesen’ sprechen verständlich, der Text in den Sprechblasen ist lesbar, ‘die Ausländer’ bleiben unverständlich – in den Sprechblasen finden sich merkwürdige Krakel, die ihttp://de.wikipedia.org/wiki/Grasschriftrgendwie an Grasschrift erinnern.

Wie Alan Baumler, der Boxers & Saints im Unterricht einsetzte und darüber berichtete[3], anmerkte, sind Kampfszenen – die in Boxers & Saints häufig vorkommen – nicht unbedingt eine Stärke von Gene Luen Yang. Sie wirken schablonenhat und wenig variantenreich, der Funke, der die Handlung vorantreibt, will nicht so recht überspringen.
Yang betreibt Schwarz-Weiß-Malerei. Es bleibt allerdings offen, was/wer ‘schwarz’ (Täter, Aggressor) und was/wer ‘weiß’ (Opfer) ist. Sind ‘die Missionare’, die Götterstatuen zerschlagen, böse? Oder gehören sie, die sich um arme und unterdrückte Chinesen kümmern, zu den ‘Guten’? Sind ‘die chinesischen Christen’ Verräter, die bestraft werden dürfen/müssen – oder sind sie Hoffnung für ein ‘neues’ China? Sind ‘die Mandschu’ böse?

Aber vielleicht geht es nur mir so, weil mir das Thema vertraut ist?[4] Weil ich die Hintergründe kenne? Weil mir Forschungsansätze (1900-2014) geläufig sind? Vielleicht sollte man Graphic Novels anders lesen?

 

Gene Luen Yang/Lark Pien: Boxers & saints : boxed set
(New York : First Second, 2013)
ISBN: 978-1-59643-924-5.

  1. Z.B.: Wesley Yang, “Views of the Rebellions” (The New York Times, Sunday Book Review, October 11, 2013) -  unter “Children’s Books”(!) und in der Washington Post (October 8, 2013).
  2. Die Visionen – sowohl die, in denen Götter und der erste Kaiser auftreten, als auch die, in denen Jeanne d’Arc erscheint – sind farbig gestaltet, der Rest der Bände ist überwiegend schwarz/weiß gehalten.
  3. Alan Baumler: “Boxers and Saints” auf Frog in a Well am 7. Februar 2014. Zu Boxers & Saints gibt es auch einen Teachers’ Guide (oder direkt zum pdf).
  4. Georg Lehner/Monika Lehner: Österreich-Ungarn und der “Boxeraufstand” in China (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 6; Innsbruck : StudienVerlag, 2002.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1417

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Ausstellung: Geschichte und Politik zwischen 1914 und 1989 in DDR-Comics

In der DDR kannte sie jeder: die Comiczeitschriften ATZE und MOSAIK. Mit monatlichen Auflagen in Millionenhöhe gehörten sie zum Alltag von Generationen. Von 1955 bis 1975 zogen die MOSAIK-Helden der Digedags, später dann die Abrafaxe in jahrmarktsbudenbunten Abenteuern durch die Zeitalter und Kontinente. Dabei folgten ihre Schöpfer nicht nur der eigenen künstlerischen Fantasie, sondern waren einem erstaunlich bildungsbürgerlichen Anspruch verpflichtet. Das von 1955 bis 1991 erschienene Magazin ATZE hingenen wurde von Comics mit politischem Hintergrund dominiert.

aus: Atze 6/1988

Die Ausstellung im Kunstverein Tiergarten Berlin zeigt, wie Geschichte und gesellschaftliche Entwicklung in einem für kommunistische Diktaturen ungewöhnlichem Medium interpretiert wurden. Erstmals überhaupt wurde das Prinzip der angestrebten kompletten „Durchherrschung“ aller Lebensbereiche am Beispiel der kulturellen Sphäre diskutiert: Text und Bild der Comics hatten mit der Darstellung geschichtlicher oder zeithistorischer Ereignisse in allen anderen DDR-Medien übereinzustimmen. Entsprechend entfaltet sich anhand von Bildern, Objekten und Fotografien vor dem Besucher die Ikonografie des Sozialismus.

aus: ATZE 7/1977, S. 5

In der Ausstellung werden Motive aus den Comics neben die medialen Vorlagen der Grafiker gestellt. Im Fall von ATZE adaptierte man z.B. sowjetische Filme oder DEFA-Produktionen mit politischen Inhalten wie der Oktoberrevolution, führenden Politikern wie Ernst Thälmann oder historischen Ereignissen wie dem Mauerbau. Lebensgroße Figuren wie z.B. von DDR-Präsident Wilhelm Pieck machen die Orientierung an Heiligendarstellungen und religiöser Ikonografie deutlich.

Das „MOSAIK-Kollektiv“ orientierte sich dagegen vorwiegend an populärwissenschaftlichen Werken und Bildbänden beispielsweise zur Erdgeschichte, Geographie, Technik- und Industrieentwicklung. 1959/60 erleben die Digedags Abenteuer auf dem erdähnlichen Planeten Neos. Dort ist die schöne neue Zukunftswelt nach der Vollendung von Walter Ulbrichts ehrgeizigem Wirtschaftsprogramm bereits Wirklichkeit geworden.

aus: ATZE 12/1975, S. 5

Großformatige Comicpanels stehen in der Ausstellung in Korrespondenz zu Modellen ihrer prägnantesten Motive: Dazu gehören das erste und einzige in der DDR entwickelte Düsenpassagierflugzeug oder das ehrgeizige Projekt einer Einschienenbahn, das am Beispiel eines PIKO-Spielzeugmodells vorgestellt wird. Auch die doppelseitige Comic-Zukunftsphantasie des Flughafens Berlin-Schönefeld vom Februar 1960 wird manchen Besucher von heute nachdenklich stimmen.

Nach offizieller Kritik an zuviel Klamauk wandte sich MOSAIK der Technikgeschichte zu, wobei insbesondere die akribische Transformation historischer Bildvorlagen aus Geschichte und Kunst, z.B. nach Georgius Agricola oder William Hogarth, in ein zeitgenössisches Bildvokabular besticht. Auf vielfältige Weise öffnet die Ausstellung ein Panorama von historischen, kunstgeschichtlichen und wissenschaftlichen Referenzen und verdeutlicht, wie zentral auch die zunächst sich an junge Menschen richtenden Publikationen der DDR-Comics ATZE und MOSAIK im Kontext politischer Programmatik und Propaganda zu begreifen sind.

Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus und der Galerie der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und wurde kuratiert von Dr. Thomas Kramer (Berlin). Sie wurde ermöglicht aus Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Eröffnung:
Galerie Nord, Turmstraße 75, 10551 Berlin am 28. Februar um 19 Uhr.

Es sprechen:
Dr. Ralf F. Hartmann, Kunstverein Tiergarten
Dr. Matthias Rößler, Präsident des Sächsischen Landtags
Rainer Eppelmann, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Dr. Thomas Kramer, Kurator

Ausstellung: 29.2. – 29.3.2014, Di – Sa, 13-19 Uhr

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/1175

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