Orientierung ohne Hausnummern: Aus den Memoiren eines Hofnarren

Peter Prosch war Hofnarr von Profession; seine erstmals 1789 veröffentlichten Memoiren legen Zeugnis ab von seinem abwechslungsreichem Leben und berichten auch über eine frühe Episode, in der er über die Donau nach Wien reiste. Aus der entsprechenden Passage geht hervor, dass die traditionellen Methoden des Zurechtfindens und Auffindens einer Kontaktperson – nämlich schlicht und einfach Menschen danach zu fragen – nicht mehr funktionierten und dass zugleich eine anonyme, moderne Form der Orientierung des Mangels an Hausnummern halber (diese wurden in Wien erst 1770 eingeführt) noch nicht möglich war:

Wir kamen Anno 1757. im Monat September zu Wien an, und in der Rossau auf dem Schänzl landeten wir an; (…) Ich hatte wohl zwei Briefe bei mir, einen vom Graf Künigl an seinen Hrn. Vater, Obersthofmeister, und einen von dem Prälaten von Wildau an seinen Bruder, Hrn. v. Spers. Allein man kann sich leicht einbilden, wie es sowohl von Wägen als Menschen in Wien wimmelt, und wann ich jemand fragte, bekam ich allemal nur kurze Antworten.
Ich sah auch, daß allda die gemeinen Leute nach Herrschaften nicht viel fragten, weil man nicht weiß, wer beisammen in einem Hause wohnet; ich glaubte aber, es wäre wie bei uns im Tyrol, wo ganze Gemeinden aneinander bekannt sind, und sodann, wenn man den Ort weiß, auch das Haus, und den Menschen, den man verlangt, leicht erfragen kann.
Da aber, wenn man das Numero, oder das Haus nicht weiß, erfragte man auch manchesmal nicht einmal den Papsten, voraus, weil mich niemand recht verstunde.

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Quelle: http://nummer.hypotheses.org/174

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Archivfundstück: „Soldatengrab vor Crone“. Eine PK-Fotografie „Für den Pressegebrauch!“

Beim vorliegenden Objekt handelt es sich um eine der wenigen überlieferten Presseausfertigung einer Fotografie der Propagandakompanien (PK). Dieser Abzug wurde nach der positiven Zensur von Aufnahme und Bildtext im Auftrag des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) an Presse- und Bildagenturen abgegeben und durfte entsprechend der allgemeinen Vorschriften veröffentlicht werden. Bei der Analyse von analogen Fotografien spielt die Materialität des Artefakts mitunter eine sehr große Rolle. Neben dem visuellen Bildinhalt sind äußere Merkmale wie Format, Papier, Stempel, Aufschriften, Gebrauchsspuren usw. immer mitzuberücksichtigen.1 Im Folgenden soll beispielhaft gezeigt werden, welche interessanten Erkenntnisse schon bei einer flüchtigen Betrachtung der Fotorückseite im Zusammenspiel mit der Fotovorderseite möglich sind.

[Abbildung der Rückseite von Foto Bild 183-2008-0415-507] Prop.Kp.Nr. 689 Archiv-Nr.: B49/7a.3a vor Crone 6.9.1939 Soldatengrab vor Crone. Eines der ersten Opfer des deutschen Vormarsches in Polen. Am Wegesrand liegt das Grab eines deutschen Pioniers, der am 2. September für Führer und Volks sein Leben liess. Bildberichter: Boesig Fr. OKW Freigegeben Hauptreferat Bildpresse

Bild: Bundesarchiv, Bild 183-2008-0415-507-RS / CC-BY-SA-3.0-DE
/ [Abbildung der Rückseite von Foto Bild 183-2008-0415-507]

Zunächst fällt der große sog.

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Quelle: http://2wkvisuell.hypotheses.org/633

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Niederländische Kriegsartikel, I

Wie organisiert man eigentlich einen Krieg – und vor allem die Truppen selbst? Einen Söldnerhaufen in Zaum zu halten, war eine stete Herausforderung für alle Kriegsparteien in dieser Zeit. Wichtige Voraussetzung, um unter den Söldnern Ordnung halten zu können, war ein Regelwerk, das üblicherweise in sog. Kriegsartikeln zusammengefaßt wurde. Die Kriegsknechte wurden auf diese Artikel verpflichtet. Daß solche Regelwerke in Zeiten des Kriegs eine besondere Konjunktur hatten, leuchtet ein. Im Folgenden soll es um die Kriegsordnung – so der hier verwandte Begriff – gehen, die bei den „Herrn Staden“, den Generalstaaten also, in Gebrauch war. Dazu gibt es einen Druck, der 1625 in Rinteln verlegt wurde: „Kurtzer Begrieff/ Der Kriegs Ordnung/ So unter den Herrn Staden und sonsten anderer Orthen mehr gehalten wird“ (zu dieser Ausgabe gab es auch noch einen alternativen Druck).Kriegsordnung_1625_Titel

Zunächst einmal fällt auf, daß es sich um keinen anonymen Druck handelt.

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Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/782

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P wie Provenienzforschung


Wie kann ein Museum oder eine Sammlung eigentlich entscheiden, ob bestimmte Objekte oder Sammlungsteile sensibel sind?

An anderer Stelle habe ich bereits festgestellt, dass die Sensibilität von Objekten in erster Linie von ihrer Beziehung zu Menschen außerhalb der Sammlung abhängt. In manchen Fällen mögen diese Beziehung und damit vielleicht auch der angemessene Umgang offensichtlich sein, in den meisten ist dafür jedoch ein umfassenderes Wissen um die Sammlungsumstände erforderlich, dass leider in vielen Sammlungen nicht auf Anhieb vorhanden ist. Zum einen ist die tatsächliche Information nicht vorhanden, zum anderen fehlt es häufig an entsprechendem Kontextwissen um vorliegende Informationen entsprechend interpretieren zu können. Bei menschlichen Überresten müsste beispielsweise zunächst die Frage beantwortet werden: Woher stammen die Überreste überhaupt? Wer hat sie gesammelt? Warum? Wo und unter welchen Umständen? Und wer war der Tote? Hat er der Sammlung zugestimmt – oder kann man zumindest implizit davon ausgehen, dass er gegen die Aufbewahrung im Museum nichts einzuwenden hatte?

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Quelle: http://sensmus.hypotheses.org/152

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Zur Sprachpsychologie der Denkstile

Ludwik Fleck (2012:130) bestimmt den von ihm herausgearbeiteten Begriff des Denkstilsals gerichtetes Wahrnehmen, mit entsprechendem gedanklichen und sachlichen Verarbeiten des Wahrgenommenen“.  Als unvermeidlich soziales Phänomen ist ein bestimmter Denkstil immer an eine Gemeinschaft, an ein Denkkollektiv, gebunden. Will man den etwas schillernden Begriff des Denkstils etwas detaillierter fassen1, ist es sinnvoll sich genauer dem zu widmen, was Fleck (ebd.:132) die aktiven und „passiven Koppelungen in den wissenschaftlichen Sätzen“ nennt. Doch scheint die Aktivitätsmetapher, die Fleck hier heranzieht, in ihrer Passgenauigkeit mehr zu verwischen, als zu klären. Nichtsdestotrotz kann die Unterscheidung herangezogen werden, um auf Aspekte der Sprachgebundenheit von Wissenschaft hinzuweisen.

Fleck (ebd.:124) beschreibt die Entstehung einer wissenschaftlichen Erkenntnis, einer Tatsache, als phasiert:

 „So entsteht die Tatsache: zuerst ein Widerstandsaviso im chaotischen anfänglichen Denken, dann ein bestimmter Denkzwang, schließlich eine unmittelbar wahrzunehmende Gestalt.

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Quelle: https://metablock.hypotheses.org/1084

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Drei Fragen an Jörg Leonhard, Autor von „Die Büchse der Pandora“ (2014) von Stefan Schubert

Mit unserem Projekt „Die Höhe 108 bei Berry-au-Bac: Kriegs- und Heimatfront zwischen Nationalgeschichte und europäischer Erinnerung“ sind wir nicht nur daran interessiert, den Ersten Weltkrieg aus einer vergleichenden, grenzübergreifenden Perspektive auf lokaler Ebene zu erforschen. Wir möchten diesen interessierten Leserinnen und Lesern auch auf andere Arten näherbringen – wie beispielsweise indem Einblicke in die aktuelle Forschungslandschaft beider Länder gegeben werden. Dazu wurden Bruno Cabanes[i] (Ohio State University) und Jörn Leonhard[ii] (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.) interviewt, die beide erfolgreiche Bücher über den Ersten Weltkrieg verfasst haben.

J. Leonhard

Jörn Leonhard ist seit 2006 Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte des Romanischen Westeuropa der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. Nach seiner Promotion 1998 war er in verschiedenen Positionen an der University of Oxford tätig, bis er, nach einem kurzen Aufenthalt an der Universität Jena, im Jahr 2006 den Ruf der Universität Freiburg annahm.

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Quelle: http://hoehe108.hypotheses.org/124

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Was haben Karlheinz Stockhausen und Elvis Presley gemeinsam?

Hinter dieser etwas salopp formulierten Frage verbirgt sich Folgendes: Zu meiner Dissertation, die sich mit dem Fortschrittsdenken der 1950er Jahre befasst, habe ich schon mehrfach die gleiche Frage gestellt bekommen: Warum wurden in den 1950er Jahren die seriell denkenden Komponisten wie Stockhausen und Boulez als musikalisch fortschrittlich angesehen, nicht jedoch Elvis Presley? Eine berechtigte Frage, zu der ich nun ein paar Gedanken ausführen möchte.

Da ich in meiner Arbeit nicht einen Meta-Standpunkt einnehme, von dem aus ich urteile, was fortschrittlich ist oder nicht, sondern das Fortschrittsdenken der Zeit untersuche, kann ich der Frage freilich sinnvoll nur von einer spezifischen Fortschrittsposition aus nachgehen – etwa aus der Perspektive Heinz Klaus Metzgers, dessen prominente geschichtsphilosophische Deutung der Avantgarde (im Ausgang von Hegel, Marx und Adorno) in vielen seiner Schriften aus den 1950er Jahren artikuliert wird. Metzger geht davon aus, dass sich der Fortschritt in der Musik durch musikalische Revolutionen vollziehe, die sozusagen »objektiv« und notwendigerweise in der Entwicklung der Musik auftreten.1

Ein Beispiel für eine solche Revolution wäre um 1910 das Entstehen der atonalen Musik, die das bisher gültige Ordnungssystem der Tonalität auflöse. Oder aber die serielle Kompositionstechnik, die sich in Ablehnung der Unstimmigkeiten der Zwölftontechnik (die Tonhöhen sind in Reihen organisiert, nicht aber die Tondauer, die Dynamik etc.) entwickle. Dass Metzger hier von Revolutionen spricht, ist kein Zufall.

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Quelle: https://avantmusic.hypotheses.org/325

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Geschlechtswechsel als Prodigien: Das sechzehnte Jahrhundert und die Folgen

Heute (na, schon wieder gestern) ist mir in der Lehre wieder einmal bewusst geworden, wie grotesk ungleichmäßig sowohl die Quellenlage als auch die Literatur zu “Geschlechtswechseln” und hermaphroditischen Geburten in der Vormoderne ist. Vieles davon hat…

Quelle: http://intersex.hypotheses.org/1348

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Zwischen Trümmern, Feldbetten und Kontroversen – Der Umzug der Adolf-Reichwein-Schule in das Osnabrücker Schloss 1953

(Ein Gastbeitrag von Martin Schürrer) Nur durch einen Zufall habe Prof. Hans Bohnenkamp als Hochschuldirektor der Adolf-Reichwein-Schule von den Plänen erfahren, die Pädagogische Hochschule von Celle nach Osnabrück zu verlegen. So soll ihm auf der Straße ein bekannter Schulrat die … Weiterlesen

Quelle: http://reichwein.hypotheses.org/1056

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Ben Vautiers Banane – oder: Ist alles Kunst?

Nach unten gekrümmt, nach oben gebogen, gerade gereckt: Die Rede ist von Ben Vautiers “Bananen”. Ein ganzer Raum wurde im Museum Tinguely mit diesen aus den Jahren 1958/59 stammenden Werken des französisch-schweizerischen Künstlers ausgestattet. Keines der Bilder…

Quelle: https://musermeku.hypotheses.org/5104

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