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Nur kurz fand im August 2014 der Verkauf der Schlossbibliothek Tegernsee Aufmerksamkeit der Öff…
Der Wissenschaftsblog ist tot. Es lebe der Wissenschaftsblog. #wbhyp
Diesen Text können Sie leider wegen des enthaltenen Videos nicht ausdrucken.
Blogger, insbesondere Wissenschaftsblogger, haben oft mit Vorurteilen zu kämpfen. Da stehe ich also vor Wissenschaftlern und erzähle etwas vom „wissenschaftlichen Bloggen“ während ich hochzuckende graue Augenbrauen vor mir sehe, vor deren innerem Auge aus Zeitungen aufgelesene Schreckensbilder von Katzen, Mittagsessensbildern und sonstigen Belanglosigkeiten des Alltagslebens von Schmalspurdenkern aufblitzen:
„Aha. ‚Wissenschaftsblogs‘!“
Der Begriff des Wissenschaftsblogs löst bei Ihnen eine Form von innerer Abscheu verbunden mit einer verdrängten Angst aus, so als würde man das Dschungelcamp als Bildungsfernsehen bezeichnen und die ehrenhafte Muse Clio und ihre schönen Schwestern mit ironiegetränkten Maden bewerfen.
Nur noch schlimmer finde ich eine andere Reaktion: die der geübten Ignoranz, die man sich anlernt, wenn man Jahrzehnte bei Kommissionen, oder neudeutsch „Meetings“ und anderen langweiligen Vorträgen gesessen hat, weil man musste; weil derjenige, der länger starr sitzen bleibt, das letzte Wort behält:
„Wissenschaftsblogs? Is that thing still around?“
Vielleicht empfindet der Zuhörer noch eine sanfte Sympathie mit dem voller Idealismus und darüber hinaus vor Dummheit strotzenden Vortragenden, der aber schon noch am Leben lernen wird, das solche Moden wie Blogs recht bald wieder vorbei sind, wenn man nur lange genug wartet und sitzt.
Liebe Leserin, lieber Leser, verzeihe man mir diese emotionalen Worte, die in einem sogenannten Wissenschaftsblog zu lesen sind, in einem aufgewühlten Artikel über das wissenschaftliche Bloggen. Es ist der Frust einiger Jahre Diskussionen zu diesem Thema, der sich in diesem Text Ausdruck verschaffen will, Ausdruck verschaffen muss. Wenn ich Nachwuchswissenschaftler/innen lese (bleiben wir nicht alle Nachwuchs?), die sich quasi dafür entschuldigen, dass sie tun, was sie tun, wenn sie „bloggen“, oder es tun, aber deswegen nicht mehr in der Wissenschaft sein können, oder Angst haben, dass sie sich wegen des Bloggens ihre Karriere verbauen, dann wünsche ich mir eines: Wissenschaftsblogs sollen sterben. Niemand braucht so etwas. Niemand hat das verdient.
Ich versetze mich in die Haut eines dem Wissenschaftsbloggen gegenüber kritisch eingestellten Zuhörers, der aus einer Welt ohne Blogs und ohne Internet stammt. Wie war das eigentlich früher?…
„Der Wissenschaftsblog ist tot.“
Gut. Jetzt wo Blogs tot sind (dieses Internet haben wir zur Sicherheit gleich miterledigt), kann ich wieder ruhig schlafen. Alles ist, wie früher, ganz friedlich: ich sitze in der Bibliothek, suche im Zettelkasten die Bibliographie, exzerpiere Stichworte auf vergilbte Notizkarten, sinniere Pfeife rauchend bei einem Spaziergang am Rhein, schreibe auf meiner Schreibmaschine oder mit dem Füllfederhalter, korrigiere in rot, zitiere in den Fußnoten, schreibe neu, bis mein Werk vollendet ist. Dann verabrede ich mich mit dem Vertreter eines namhaften Verlags auf einen Tee oder bei einer Konferenz, überzeuge ihn von meinem Werk, er verkauft es zu einem utopischen Preis an die notorisch klammen und von Schließung bedrohten Bibliotheken, wo andere es dann rezipieren und zitieren können und ich kehre glücklich über den erreichten wissenschaftlichen Fortschritt zurück in mein Heim vor den Kamin und lese meine Monographie voller Selbstzufriedenheit noch mal durch – denn wahrscheinlich bin ich der einzige Leser dieses Meisterwerks, dass auf säurefreiem Papier von nachhaltig angepflanzten Bäumen gedruckt und beim ehrenvollen Verlag „Dreimalklug“ publiziert wurde.
Aus unerfindlichen Gründen fängt meine Magensäure so langsam zu steigen an. Ich versuche mich und meinen Magen mit einem Schwarzweißfilm zu beruhigen, das klappt so gut, dass ich mitten im Film einschlafe und wild träume.
„Wat isn‘ Wissenschaftsblog? Da stellen wir uns mal janz dumm und stellen uns vor, ein Wissenschaftsblog, wäre ein langes, dünnes Kabel, dat hat zwei Enden. Dat eine Ende, da kommen de Daten rein und das andere Ende, dat erkläre ich später!“
Ich bin in meinem Alptraum vor einem flimmernden 17-Zoll-Monitor gefesselt und fange an wie ferngesteuert die Maus zu schieben und zu recherchieren:
- Das Internet: vernetzte Computer an denen (meist) Menschen sitzen. Ermöglicht rasanten Informationsaustausch fast ohne Grenzen. Dieser Informationsaustausch wird begrenzt durch Verfügbarkeit eines Endgeräts (z. B. Computer oder auch Smartphones), Anbindung an das Internet via Funk oder Kabel und die Geschwindigkeit dieser Verbindung. Dieser Informationsaustausch wird künstlich begrenzt durch „paywalls“ und das (Noch-)Nicht-Digital-Vorhanden-Sein von Informationen. Dieser Informationsaustausch wird (entgegen mancher Vorurteile) nicht begrenzt durch mangelnden Speicherplatz (zumindest niemals einen, der für Geisteswissenschaftler relevant sein könnte). Die Informationen lassen sich nicht durch stärkere Begrenzung der Zugriffe besser aufbewahren und archivieren, geschweige denn Wissen in die Gehirne bringen, sondern vor allem durch das möglichst unkontrollierte und häufige Kopieren auf möglichst viele Festplatten, möglichst viele Medien und an möglichst viele Speicherorte, beispielsweise soziale Medien, Repositorien, usw.
- WordPress: quelloffenes Content-Management-System auf der Basis von PHP (Programmiersprache) und MySQL (Datenbanksystem).[1] Über ein benutzerfreundliches Webinterface lässt sich mit Hilfe von WordPress „Content“, also Texte, Bilder, Videos, Tabellen und eine fast beliebig große Anzahl von in Nullen und Einsen vorhandenen Informationen, eingeben, verwalten, darstellen und abrufen. Durch die Anbindung an das Internet lässt sich der Content mit jedem beliebigen Browser abrufen. WordPress ist quelloffen, womit also der Quellcode kostenlos und barrierarm gelesen, bearbeiten, kopiert, angepasst und erweitert werden kann. WordPress ist das am häufigsten genutzte Content-Management-System der Welt, direkt nach Papier.
- Wissenschaft:…
Der Monitor wird grellblau, der Rechner stürzt ab und ich wache schweißgebadet und verwirrt aus dieser Gehirnwäsche auf.
„Es lebe der (oder das?) Wissenschaftsblog!“
Empört stehe ich auf. Papier, das ist doch jedem bekannt, da kann ja jeder alles drauf schreiben: Einkaufszettel, Tagebücher, Liebesbriefe, all dieser unwissenschaftliche Kram. Auf Papier, da kritzeln Kinder vielleicht darauf herum, aber doch niemals würde irgendein/e namhaft/e Wissenschaftler/in auf die jämmerliche Idee kommen, auf Papier wissenschaftliche Ergebnisse festhalten zu wollen. Papier kann daher auch nicht zitierfähig sein, oder hat ein Stück Papier schon mal mit Ihnen gesprochen und Ihnen etwas Kluges gesagt? Überhaupt, Bäume fällen, das ist doch ein Unding in unserer Zeit, da müssten doch Umweltschützer auf die Barrikade gehen, dass ganze Wälder kleingehackt werden um sie mit in Buchstabenform geschmierte Tinte in dunkle Keller abzustellen, wo kein Mensch dran kommt. Und dafür muss ich auch noch teuer verdientes Geld bezahlen, wo man mir selbst nur halbe Stellen für volle Arbeit geben möchte? Eine Frechheit! Andere können wohl auch noch mit Bleistift ihre Kommentare danebenkritzeln. Behalten Sie Ihr wissenschaftliches Papier für sich!
Und liebe NachwuchswissenschaftlerInnen! Nehmen Sie sich kein Vorbild an diesen sogenannten Wissenschaftlern! Sie werden Ihrer Karriere schaden, wenn sie nur ein Papier anfassen, ja niemals ernst genommen werden, wenn sie auf Papier wissenschaftlich publizieren wollen. Seien Sie kein Lemming! Warten Sie lieber, bis Sie jemand an die Hand nimmt, Ihnen den richtigen Weg zeigt und Ihnen einen Blog-Workshop anbietet.
Manchmal frage ich mich, ob ich wach bin oder träume.
Zitierweise: Sascha Foerster: „Der Wissenschaftsblog ist tot. Es lebe der Wissenschaftsblog. #wbhyp“, in: gab_log (11. Februar 2015) http://gab.hypotheses.org/1679.
- Ich sage hier bewusst nicht Blog!
Quelle: http://gab.hypotheses.org/1679
Der Wissenschaftsblog ist tot. Es lebe der Wissenschaftsblog. #wbhyp
Diesen Text können Sie leider wegen des enthaltenen Videos nicht ausdrucken.
Blogger, insbesondere Wissenschaftsblogger, haben oft mit Vorurteilen zu kämpfen. Da stehe ich also vor Wissenschaftlern und erzähle etwas vom „wissenschaftlichen Bloggen“ während ich hochzuckende graue Augenbrauen vor mir sehe, vor deren innerem Auge aus Zeitungen aufgelesene Schreckensbilder von Katzen, Mittagsessensbildern und sonstigen Belanglosigkeiten des Alltagslebens von Schmalspurdenkern aufblitzen:
„Aha. ‚Wissenschaftsblogs‘!“
Der Begriff des Wissenschaftsblogs löst bei Ihnen eine Form von innerer Abscheu verbunden mit einer verdrängten Angst aus, so als würde man das Dschungelcamp als Bildungsfernsehen bezeichnen und die ehrenhafte Muse Clio und ihre schönen Schwestern mit ironiegetränkten Maden bewerfen.
Nur noch schlimmer finde ich eine andere Reaktion: die der geübten Ignoranz, die man sich anlernt, wenn man Jahrzehnte bei Kommissionen, oder neudeutsch „Meetings“ und anderen langweiligen Vorträgen gesessen hat, weil man musste; weil derjenige, der länger starr sitzen bleibt, das letzte Wort behält:
„Wissenschaftsblogs? Is that thing still around?“
Vielleicht empfindet der Zuhörer noch eine sanfte Sympathie mit dem voller Idealismus und darüber hinaus vor Dummheit strotzenden Vortragenden, der aber schon noch am Leben lernen wird, das solche Moden wie Blogs recht bald wieder vorbei sind, wenn man nur lange genug wartet und sitzt.
Liebe Leserin, lieber Leser, verzeihe man mir diese emotionalen Worte, die in einem sogenannten Wissenschaftsblog zu lesen sind, in einem aufgewühlten Artikel über das wissenschaftliche Bloggen. Es ist der Frust einiger Jahre Diskussionen zu diesem Thema, der sich in diesem Text Ausdruck verschaffen will, Ausdruck verschaffen muss. Wenn ich Nachwuchswissenschaftler/innen lese (bleiben wir nicht alle Nachwuchs?), die sich quasi dafür entschuldigen, dass sie tun, was sie tun, wenn sie „bloggen“, oder es tun, aber deswegen nicht mehr in der Wissenschaft sein können, oder Angst haben, dass sie sich wegen des Bloggens ihre Karriere verbauen, dann wünsche ich mir eines: Wissenschaftsblogs sollen sterben. Niemand braucht so etwas. Niemand hat das verdient.
Ich versetze mich in die Haut eines dem Wissenschaftsbloggen gegenüber kritisch eingestellten Zuhörers, der aus einer Welt ohne Blogs und ohne Internet stammt. Wie war das eigentlich früher?…
„Der Wissenschaftsblog ist tot.“
Gut. Jetzt wo Blogs tot sind (dieses Internet haben wir zur Sicherheit gleich miterledigt), kann ich wieder ruhig schlafen. Alles ist, wie früher, ganz friedlich: ich sitze in der Bibliothek, suche im Zettelkasten die Bibliographie, exzerpiere Stichworte auf vergilbte Notizkarten, sinniere Pfeife rauchend bei einem Spaziergang am Rhein, schreibe auf meiner Schreibmaschine oder mit dem Füllfederhalter, korrigiere in rot, zitiere in den Fußnoten, schreibe neu, bis mein Werk vollendet ist. Dann verabrede ich mich mit dem Vertreter eines namhaften Verlags auf einen Tee oder bei einer Konferenz, überzeuge ihn von meinem Werk, er verkauft es zu einem utopischen Preis an die notorisch klammen und von Schließung bedrohten Bibliotheken, wo andere es dann rezipieren und zitieren können und ich kehre glücklich über den erreichten wissenschaftlichen Fortschritt zurück in mein Heim vor den Kamin und lese meine Monographie voller Selbstzufriedenheit noch mal durch – denn wahrscheinlich bin ich der einzige Leser dieses Meisterwerks, dass auf säurefreiem Papier von nachhaltig angepflanzten Bäumen gedruckt und beim ehrenvollen Verlag „Dreimalklug“ publiziert wurde.
Aus unerfindlichen Gründen fängt meine Magensäure so langsam zu steigen an. Ich versuche mich und meinen Magen mit einem Schwarzweißfilm zu beruhigen, das klappt so gut, dass ich mitten im Film einschlafe und wild träume.
„Wat isn‘ Wissenschaftsblog? Da stellen wir uns mal janz dumm und stellen uns vor, ein Wissenschaftsblog, wäre ein langes, dünnes Kabel, dat hat zwei Enden. Dat eine Ende, da kommen de Daten rein und das andere Ende, dat erkläre ich später!“
Ich bin in meinem Alptraum vor einem flimmernden 17-Zoll-Monitor gefesselt und fange an wie ferngesteuert die Maus zu schieben und zu recherchieren:
- Das Internet: vernetzte Computer an denen (meist) Menschen sitzen. Ermöglicht rasanten Informationsaustausch fast ohne Grenzen. Dieser Informationsaustausch wird begrenzt durch Verfügbarkeit eines Endgeräts (z. B. Computer oder auch Smartphones), Anbindung an das Internet via Funk oder Kabel und die Geschwindigkeit dieser Verbindung. Dieser Informationsaustausch wird künstlich begrenzt durch „paywalls“ und das (Noch-)Nicht-Digital-Vorhanden-Sein von Informationen. Dieser Informationsaustausch wird (entgegen mancher Vorurteile) nicht begrenzt durch mangelnden Speicherplatz (zumindest niemals einen, der für Geisteswissenschaftler relevant sein könnte). Die Informationen lassen sich nicht durch stärkere Begrenzung der Zugriffe besser aufbewahren und archivieren, geschweige denn Wissen in die Gehirne bringen, sondern vor allem durch das möglichst unkontrollierte und häufige Kopieren auf möglichst viele Festplatten, möglichst viele Medien und an möglichst viele Speicherorte, beispielsweise soziale Medien, Repositorien, usw.
- WordPress: quelloffenes Content-Management-System auf der Basis von PHP (Programmiersprache) und MySQL (Datenbanksystem).[1] Über ein benutzerfreundliches Webinterface lässt sich mit Hilfe von WordPress „Content“, also Texte, Bilder, Videos, Tabellen und eine fast beliebig große Anzahl von in Nullen und Einsen vorhandenen Informationen, eingeben, verwalten, darstellen und abrufen. Durch die Anbindung an das Internet lässt sich der Content mit jedem beliebigen Browser abrufen. WordPress ist quelloffen, womit also der Quellcode kostenlos und barrierarm gelesen, bearbeiten, kopiert, angepasst und erweitert werden kann. WordPress ist das am häufigsten genutzte Content-Management-System der Welt, direkt nach Papier.
- Wissenschaft:…
Der Monitor wird grellblau, der Rechner stürzt ab und ich wache schweißgebadet und verwirrt aus dieser Gehirnwäsche auf.
„Es lebe der (oder das?) Wissenschaftsblog!“
Empört stehe ich auf. Papier, das ist doch jedem bekannt, da kann ja jeder alles drauf schreiben: Einkaufszettel, Tagebücher, Liebesbriefe, all dieser unwissenschaftliche Kram. Auf Papier, da kritzeln Kinder vielleicht darauf herum, aber doch niemals würde irgendein/e namhaft/e Wissenschaftler/in auf die jämmerliche Idee kommen, auf Papier wissenschaftliche Ergebnisse festhalten zu wollen. Papier kann daher auch nicht zitierfähig sein, oder hat ein Stück Papier schon mal mit Ihnen gesprochen und Ihnen etwas Kluges gesagt? Überhaupt, Bäume fällen, das ist doch ein Unding in unserer Zeit, da müssten doch Umweltschützer auf die Barrikade gehen, dass ganze Wälder kleingehackt werden um sie mit in Buchstabenform geschmierte Tinte in dunkle Keller abzustellen, wo kein Mensch dran kommt. Und dafür muss ich auch noch teuer verdientes Geld bezahlen, wo man mir selbst nur halbe Stellen für volle Arbeit geben möchte? Eine Frechheit! Andere können wohl auch noch mit Bleistift ihre Kommentare danebenkritzeln. Behalten Sie Ihr wissenschaftliches Papier für sich!
Und liebe NachwuchswissenschaftlerInnen! Nehmen Sie sich kein Vorbild an diesen sogenannten Wissenschaftlern! Sie werden Ihrer Karriere schaden, wenn sie nur ein Papier anfassen, ja niemals ernst genommen werden, wenn sie auf Papier wissenschaftlich publizieren wollen. Seien Sie kein Lemming! Warten Sie lieber, bis Sie jemand an die Hand nimmt, Ihnen den richtigen Weg zeigt und Ihnen einen Blog-Workshop anbietet.
Manchmal frage ich mich, ob ich wach bin oder träume.
Zitierweise: Sascha Foerster: „Der Wissenschaftsblog ist tot. Es lebe der Wissenschaftsblog. #wbhyp“, in: gab_log (11. Februar 2015) http://gab.hypotheses.org/1679.
- Ich sage hier bewusst nicht Blog!
Quelle: http://gab.hypotheses.org/1679
Zensierte Zwitter. Über zensierte Ausgaben und Übersetzungen historischer Quellentexte
Wer sich mit der Geschichte uneindeutiger Körper beschäftigt, wird schnell mit Zensur-Phänomenen konfrontiert. Das betrifft insbesondere auch Textausgaben und Übersetzungen historischer Quellen, die zwischen der Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts erschienen sind. Als Einstieg drei Beispiele:
1. Der Chronist Matthäus Paris (gest. 1259) berichtet in seiner Chronica maior von „Androgynen“ in Lincoln: Eine „unheilverkündende und unerhörte“ Begebenheit habe sich dort im Jahre 1246 zugetragen. Eine adelige Frau, verheiratet und Mutter mehrerer Kinder, habe eine andere adelige Frau geschwängert, und zwar „in einer neuen und wundersamen Weise“. Um dieses Wunder zu erklären, verweist der Chronist auf die gelehrte Auslegung des Schöpfungsberichts: Dort heiße es, dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen habe (Gen. 1, 27), die Glosse (gemeint ist ein Werk von Petrus Cantor) aber bemerke zu dieser Stelle, dass es auch androgyne Menschen gebe, die zeugen und empfangen könnten. Letztlich sind es also Berichte über das Wundervolk der Hermaphroditen, wie sie seit der Antike und bis weit in die Neuzeit tradiert wurden, auf die der Chronist sich hier beruft.
Das wäre nicht weiter erstaunlich – viel interessanter ist, wie im 19. Jahrhundert mit diesem Text umgegangen wurde.
Aufgrund ihrer Bedeutung v.a. für die englische Geschichte wurde die Chronik schon im 19. Jahrhundert ins Englische und (teilweise) ins Deutsche übersetzt, keine Selbstverständlichkeit für eine mittelalterliche Chronik. Die deutsche Übersetzung von 1896 erwähnt die „Androgynen“ nicht, was nicht viel bedeuten muss, da es sich um eine Auswahlübersetzung handelt. Die englische Übersetzung von 1853 hingegen ist eine vollständige Übersetzung - verzichtet ausgerechnet auf die oben zitierte Episode, und beruft sich (Bd. 2, S. 166, online hier) auf ihre angebliche Unübersetzbarkeit: "The contents of this chapter being untranslatable, we give the Latin text, which is as follows: "Sub ejusdem anni curriculo, …"
2. Die Konstanzer Chronik (14./15. Jh.) berichtet zum Jahr 1388 von einem Mensch, der doppelte Geschlechtsorgane hatte, in zeitgenössischen Begriffen also ebenfalls ein „Hermaphrodit“. Anders als der gelehrte, auf Latein schreibende Matthew Paris verwendet der Konstanzer Chronist aber nicht diesen gelehrten Begriff; „hat ain zagel, hat ein fud“, schreibt er schlicht und deutlich, um die doppelten Geschlechtsorgane (Penis und Vulva) zu benennen. Eines aber hat er mit Mathew Paris gemeinsam – in den Druckausgaben wurde die Passage zensiert. Die erste Ausgabe der Konstanzer Chronik (durch Mone, hier online), obwohl sonst vollständig, ließ die Passage kommentarlos weg, die zweite (Ruppert) ersetzte sie immer noch durch eine Fußnote mit einer knappen (inhaltlich durchaus zutreffenden) Paraphrase.
3. Ein Kapitel des Paedagogos des Clemens von Alexandrien (gest. um 215), in dem es um Zwitter geht (mehr dazu hier), wird in der weit verbreiteten englischen Übersetzung (Schaff; hier online) stark gekürzt, ohne dass dies im Vorwort erwähnt würde. Erst eine Fußnote zur Kapitelüberschrift erläutert: "For obvious reasons, we have given the greater part of this chapter in the Latin version. [...]." Aus „offensichtlichen“ Gründen „muss“ der griechische Text des Originals auf Latein anstatt auf Englisch wiedergegeben werden – welche offensichtlichen Gründe dies sind, wird nicht gesagt. Immerhin wird die Zensur, bei aller sprachlichen Verschleierung, hier als solche erkennbar. In der deutschen Clemens-Übersetzung in der „Bibliothek der Kirchenväter“ (hier) ist nicht einmal das der Fall - hier wird ein noch kleinerer Teil des Paedagogos-Kapitels übersetzt – und der Rest fehlt ganz, ohne jeden Hinweis darauf, dass hier etwas fehlte!
Mit solchen zensierenden Eingriffen, Nicht-Übersetzungen, Verschleierungen rechnet man bei Textausgaben des 19. und 20. Jahrhunderts bei erotischen und allgemein sexuellen Themen, vor allem, wenn es um homosexuelle Akte und Beziehungen geht – zum Beispiel die berüchtigte Martial-Ausgabe der Loeb Classical Library: Bis zur Neuausgabe 1993 bot sie „einschlägige“ Verse anstatt in englischer in italienischer Übersetzung, die übrigens auch nicht vom Übersetzer selbst stammte, sondern einer Übertragung des 18. Jahrhunderts entnommen war. (Näheres kann man in der klugen Rezension Howells in der Classical Review, siehe hier, nachlesen.)
Die hier zitierten Zensur-Beispiele fallen aber auf dem ersten Blick nicht in dieses Muster: Der „Hermaphrodit von Lincoln“ begeht zwar Ehebruch, aber Matthew Paris berichtet denkbar knapp darüber und in irgendeiner Weise anstössig zu sein. Der Mensch mit doppelten Genitalien, der in der Konstanzer Chronik erwähnt wird, führt ein geordnetes Eheleben: Aufgewachsen als Katharina, nannte er sich später Hans, heiratete eine Frau, und das Konstanzer Gericht bestätigt die Gültigkeit ebendieser Ehe; alles recht langweilig. Erst recht ist Clemens von Alexandrien ziemlich unverdächtig: Die imkriminierten Passagen leugnen die Existenz von „echten“ Hermaphroditen und diskutieren dann angebliche „hermaphroditische“ Tiere wie die Hyäne und den Hasen, um die entsprechenden Speiseverbote des Alten Testamentes (und des sog. Barnabasbriefes) zu deuten. Dogmatisch nicht ganz jedermanns Tasse Tee, aber moralisch jedenfalls unverdächtigt.
Nicht die Darstellung sexueller Handlungen, erst recht nicht moralische Wertungen, sondern allein die Erwähnung von „Hermaphroditen“ ist es offenbar, die bei Herausgebern und Übersetzern des 19./20. Jahrhunderts als problematisch gesehen wurde. Gerade weil antike und mittelalterliche Texte für die meisten Leser wenn überhaupt, dann nur in Übersetzungen zugänglich sind, dürften die oben zitierten Beispiele nicht ohne Wirkung sein. Teilweise gibt es neuere Übersetzungen (z.B. von Clemens), aber gerade dank Google books und Co. erleben die alten, oft gemeinfreien Übersetzungen derzeit eine regelrechte Renaissance. Umso wichtiger ist es, dass man damit zu rechnen lernt, dass Hinweise auf Menschen zwischen den Geschlechtern in diesen Ausgaben gezielt eliminiert wurden.
Zensierte Zwitter. Über zensierte Ausgaben und Übersetzungen historischer Quellentexte
Wer sich mit der Geschichte uneindeutiger Körper beschäftigt, wird schnell mit Zensur-Phänomenen konfrontiert. Das betrifft insbesondere auch Textausgaben und Übersetzungen historischer Quellen, die zwischen der Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts erschienen sind. Als Einstieg drei Beispiele: 1. Der Chronist Matthäus Paris (gest. 1259) berichtet in seiner Chronica maior von „Androgynen“ in Lincoln: Eine „unheilverkündende und unerhörte“ Begebenheit habe sich dort im Jahre 1246 zugetragen. Eine adelige Frau, verheiratet und Mutter mehrerer Kinder, habe eine andere adelige Frau geschwängert, und zwar „in […]
„‚Das hat nichts mit dem Islam zu tun.‘ Doch!“ Oder?

„Das hat doch nichts mit dem Islam zu tun“
„Das hat nichts mit dem Islam zu tun“ zitierte der Focus vor kurzem auf seinem Titelbild. Das Zitat sollte dabei wohl eher eine allgemeine Grundhaltung ausdrücken, der gleichzeitig mit einem fetten roten „Doch!“ widersprochen wurde. Was soll denn nun eigentlich nichts mit dem Islam zu tun haben, oder eben doch? Das beantwortete der Focus anschaulich mit der Abbildung eines Maschinengewehrs: Die Gewalt natürlich, der Krieg und der Terror.
Es ist eine Debatte im Gange, die deutlich größer ist als der provokative Titel des Focus. Norbert Lammert sagt dazu: „Die gutgemeinte Erklärung, man dürfe den Islam nicht mit dem Islamismus verwechseln, der religiös begründete Terrorismus habe mit dem Islam nichts zu tun, reicht nicht aus – und sie ist auch nicht wahr“. Aber er sagt auch: „… ebenso wenig wie die beschwichtigende Behauptung, die Kreuzzüge hätten nichts mit dem Christentum zu tun und die Inquisition auch nicht und die Hexenverbrennung natürlich auch nicht.“
Das Anliegen, Gewalt und Islam trennen zu wollen, ist erst einmal nachvollziehbar: Wenn Gewalt und Terror mit dem Islam zu tun hätten, wären dann nicht auch die Muslime verdächtig, die sich nicht gewalttätig verhalten? Die Aussage, der Terror habe nichts mit dem Islam zu tun, entspringt damit der gleichen Idee, die Islam und Islamismus unterscheidet: Gegen den Islam an sich hat man nichts, nur der Islamismus als politisierter, gewalttätiger Auswuchs des Islam ist ein Problem.
Die Idee ist nachvollziehbar, aber kann ich als Religionswissenschaftler sie unterschreiben? Wenn ich das nicht kann, ihr sogar widerspreche, befeuere ich damit nicht die Positionen derer, die den Islam für inkompatibel mit der westlichen Demokratie halten? Würde ich das wiederum wollen?
Das Problem liegt dabei in dem – häufig unausgesprochenen – „an sich“. Was ist denn der Islam an sich, der mit Gewalt nichts zu tun hat? Oder der Islam an sich, der mit Demokratie unvereinbar ist? Hinter beiden Gedanken steckt die Idee eines unveränderlichen Wesenskerns der unterschiedlichen Religionen. Leider ist diese Idee auch in der Religionswissenschaft nicht unbekannt, wenn man etwa Max Webers Ausführungen zu den Weltreligionen liest, nach denen der Buddhismus die Religion „weltablehnende[r] Bettelmönche“, der Islam aber die Religion „welterobernder Krieger“ war.1
Wenn der Islam also in seinem Wesen kriegerisch wäre, dann könnte er nur oberflächlich gegen seine Natur befriedet werden. Wenn er aber seinem Wesen nach friedlich wäre – und auch dafür gibt es ja Stimmen –, dann wäre die Gewalt der Islamisten gegen seine Natur, und damit ein Missbrauch der Religion für politische Zwecke.
Nun ist das mit der Natur einer Religion an sich so eine Sache: Clifford Geertz zum Beispiel hat den Islam in Indonesien und Marokko studiert, und ist zu der Erkenntnis gelangt, dass die Religion zugleich die größte Gemeinsamkeit der beiden Länder ist und ihr größter Unterschied – so verschieden ist der Islam, den er vorgefunden hat.2 Für Geertz ist Religion ein soziales, kulturelles und psychologischen Phänomen.3Den Islam an sich gibt es nicht, es gibt nur das, was Menschen daraus machen. Der Islam ist sowohl gewalttätig als auch friedlich, ebenso wie das Christentum. Das Christentum ist sowohl Jorge Mario Bergoglio als auch Franz-Peter Tebartz-van Elst. Der Hinduismus ist sowohl Lal Krishna Advani als auch Mohandas Karamchand Gandhi.
Aus diesem Grund kann ich als Religionswissenschaftler auch nicht sagen, dass Gewalt nichts mit dem Islam zu tun hat. Mit dem Islam von Saïd und Chérif Kouachi hat sie schon etwas zu tun. Aber ebenso kann Ahmad Mansour feststellen: „Mein Islam ist ein anderer als der Islam der Hassprediger …“4
Als Religionswissenschaftler bringt mich das gelegentlich in eine schwierige Lage. Wenn jemand sagt: „Ich weiß, das hat mit dem Islam nichts zu tun“, dann müsste ich widersprechen. Im besten Falle könnte man zu einer Debatte kommen, welche historischen und sozialen Gründe dazu geführt haben, das in bestimmten Regionen und bestimmten Milieus ein Islam entstanden ist, zu dem Gewalt und Krieg eben doch gehören. Denn es ist ja richtig, dass darüber diskutiert werden muss. Und auch darüber, ob es Traditionen im Islam gibt, die militante Strömungen vielleicht nicht aktiv fördern, aber doch dulden. Im besten Falle würde man darüber ins Gespräch kommen. Aber im schlimmsten Fall bleibt nur der viel einfachere Gedanke zurück, dass die Gewalt eben doch etwas mit dem Islam zu tun hat. Und deshalb schweige ich manchmal.
fe
- Weber, Max: „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Vergleichende religionssoziologische Versuche. Einleitung“, Max Weber Gesamtausgabe, Bd. 19, Tübingen: Mohr Siebeck 1989, S. 83–127, hier S. 86f.
- Geertz, Clifford: Islam Observed: Religious Development in Morocco and Indonesia, University of Chicago Press 1971, S. 4.
- Ebd., S. viii.
- Mansour, Ahmad: „Jetzt mal unter uns“, Der Spiegel 4 (2015), S. 132–135, hier S. 135.
„‚Das hat nichts mit dem Islam zu tun.‘ Doch!“ Oder?

„Das hat doch nichts mit dem Islam zu tun“
„Das hat nichts mit dem Islam zu tun“ zitierte der Focus vor kurzem auf seinem Titelbild. Das Zitat sollte dabei wohl eher eine allgemeine Grundhaltung ausdrücken, der gleichzeitig mit einem fetten roten „Doch!“ widersprochen wurde. Was soll denn nun eigentlich nichts mit dem Islam zu tun haben, oder eben doch? Das beantwortete der Focus anschaulich mit der Abbildung eines Maschinengewehrs: Die Gewalt natürlich, der Krieg und der Terror.
Es ist eine Debatte im Gange, die deutlich größer ist als der provokative Titel des Focus. Norbert Lammert sagt dazu: „Die gutgemeinte Erklärung, man dürfe den Islam nicht mit dem Islamismus verwechseln, der religiös begründete Terrorismus habe mit dem Islam nichts zu tun, reicht nicht aus – und sie ist auch nicht wahr“. Aber er sagt auch: „… ebenso wenig wie die beschwichtigende Behauptung, die Kreuzzüge hätten nichts mit dem Christentum zu tun und die Inquisition auch nicht und die Hexenverbrennung natürlich auch nicht.“
Das Anliegen, Gewalt und Islam trennen zu wollen, ist erst einmal nachvollziehbar: Wenn Gewalt und Terror mit dem Islam zu tun hätten, wären dann nicht auch die Muslime verdächtig, die sich nicht gewalttätig verhalten? Die Aussage, der Terror habe nichts mit dem Islam zu tun, entspringt damit der gleichen Idee, die Islam und Islamismus unterscheidet: Gegen den Islam an sich hat man nichts, nur der Islamismus als politisierter, gewalttätiger Auswuchs des Islam ist ein Problem.
Die Idee ist nachvollziehbar, aber kann ich als Religionswissenschaftler sie unterschreiben? Wenn ich das nicht kann, ihr sogar widerspreche, befeuere ich damit nicht die Positionen derer, die den Islam für inkompatibel mit der westlichen Demokratie halten? Würde ich das wiederum wollen?
Das Problem liegt dabei in dem – häufig unausgesprochenen – „an sich“. Was ist denn der Islam an sich, der mit Gewalt nichts zu tun hat? Oder der Islam an sich, der mit Demokratie unvereinbar ist? Hinter beiden Gedanken steckt die Idee eines unveränderlichen Wesenskerns der unterschiedlichen Religionen. Leider ist diese Idee auch in der Religionswissenschaft nicht unbekannt, wenn man etwa Max Webers Ausführungen zu den Weltreligionen liest, nach denen der Buddhismus die Religion „weltablehnende[r] Bettelmönche“, der Islam aber die Religion „welterobernder Krieger“ war.1
Wenn der Islam also in seinem Wesen kriegerisch wäre, dann könnte er nur oberflächlich gegen seine Natur befriedet werden. Wenn er aber seinem Wesen nach friedlich wäre – und auch dafür gibt es ja Stimmen –, dann wäre die Gewalt der Islamisten gegen seine Natur, und damit ein Missbrauch der Religion für politische Zwecke.
Nun ist das mit der Natur einer Religion an sich so eine Sache: Clifford Geertz zum Beispiel hat den Islam in Indonesien und Marokko studiert, und ist zu der Erkenntnis gelangt, dass die Religion zugleich die größte Gemeinsamkeit der beiden Länder ist und ihr größter Unterschied – so verschieden ist der Islam, den er vorgefunden hat.2 Für Geertz ist Religion ein soziales, kulturelles und psychologischen Phänomen.3Den Islam an sich gibt es nicht, es gibt nur das, was Menschen daraus machen. Der Islam ist sowohl gewalttätig als auch friedlich, ebenso wie das Christentum. Das Christentum ist sowohl Jorge Mario Bergoglio als auch Franz-Peter Tebartz-van Elst. Der Hinduismus ist sowohl Lal Krishna Advani als auch Mohandas Karamchand Gandhi.
Aus diesem Grund kann ich als Religionswissenschaftler auch nicht sagen, dass Gewalt nichts mit dem Islam zu tun hat. Mit dem Islam von Saïd und Chérif Kouachi hat sie schon etwas zu tun. Aber ebenso kann Ahmad Mansour feststellen: „Mein Islam ist ein anderer als der Islam der Hassprediger …“4
Als Religionswissenschaftler bringt mich das gelegentlich in eine schwierige Lage. Wenn jemand sagt: „Ich weiß, das hat mit dem Islam nichts zu tun“, dann müsste ich widersprechen. Im besten Falle könnte man zu einer Debatte kommen, welche historischen und sozialen Gründe dazu geführt haben, das in bestimmten Regionen und bestimmten Milieus ein Islam entstanden ist, zu dem Gewalt und Krieg eben doch gehören. Denn es ist ja richtig, dass darüber diskutiert werden muss. Und auch darüber, ob es Traditionen im Islam gibt, die militante Strömungen vielleicht nicht aktiv fördern, aber doch dulden. Im besten Falle würde man darüber ins Gespräch kommen. Aber im schlimmsten Fall bleibt nur der viel einfachere Gedanke zurück, dass die Gewalt eben doch etwas mit dem Islam zu tun hat. Und deshalb schweige ich manchmal.
fe
- Weber, Max: „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Vergleichende religionssoziologische Versuche. Einleitung“, Max Weber Gesamtausgabe, Bd. 19, Tübingen: Mohr Siebeck 1989, S. 83–127, hier S. 86f.
- Geertz, Clifford: Islam Observed: Religious Development in Morocco and Indonesia, University of Chicago Press 1971, S. 4.
- Ebd., S. viii.
- Mansour, Ahmad: „Jetzt mal unter uns“, Der Spiegel 4 (2015), S. 132–135, hier S. 135.
Exkursionsbericht Griechenland 2014 Alte Geschichte
Griechenland - Auf den Spuren der Götter (Bericht von Theresa Dorsam und Dimitros Adamopoulos)
Unter diesem Motto stand die Exkursion der Alten Geschichte vom 01. bis 12. Oktober 2014 nach Athen und auf die Peloponnes. Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Quellentexten - von Aischylos bis Platon - aus und über diese Regionen im vorausgegangenen Sommersemester 2014 freuten wir uns auf die Reise und waren bereit für die Spurensuche.
Mittwoch, 01.10.2014: Unsere erste Spur führte uns von Frankfurt/Main über den Flughafen Wien nach Athen, wo wir von der griechischen Sonne empfangen wurden. Weitere griechische Besonderheiten wie der Ouzo und die berühmte Landesküche sollten am selbigen Abend noch folgen. Nach der Ankunft im Hotel fuhren wir nämlich zum Einstieg gemeinsam in den Athener Stadtteil ,,Plaka“, wo wir unter der Akropolis dinierten. Der Anblick des beleuchteten Parthenons ließ schon erahnen, was uns am nächsten Tag erwarten sollte.
Donnerstag, 02.10.2014: Voller Tatendrang erreichten wir am frühen Vormittag des ersten wirklichen Exkursionstages das Wahrzeichen der griechischen Landeshauptstadt: die Akropolis. Nachdem uns die beeindruckenden aber mit Menschenmassen überfüllten Propyläen näher erläutert worden waren, liefen wir am berühmten Nike-Tempel vorbei in Richtung Erechteion. Dann endlich fanden wir eine wichtige und langersehnte Spur unserer Exkursion: den Parthenon. An Ort und Stelle spürten wir die 2500 Jahre alte Geschichte dieses architektonischen Meisterwerkes – und diese Geschichte ist noch lange nicht beendet, denn wir konnten live miterleben, wie der Tempel der Göttin Athene, der nach dem Sieg über die Perser errichtet und Ende des 17. Jahrhunderts schwer beschädigt wurde, in mühevoller Kleinstarbeit wieder aufgebaut wird. Im neuen, modernen Akropolis-Museum konnten wir viele archäologische Schätze wie z. B. die Koren des Erechteions bewundern. Danach ging es über die Überreste des Dionysos-Theaters und über das Odeon des Perikles zur Agora. Manch einer bekam eine Gänsehaut, als er erfuhr, dass genau an diesem Platz die Wurzeln der Demokratie liegen. Etwas enttäuschend war freilich der schlechte Erhaltungszustand der Agora. Dennoch halfen uns Rekonstruktionszeichnungen, Stück für Stück die Spuren auf der Agora zusammenzufügen.
Freitag, 03.10.2014: Nach einem langen Weg durch zahlreiche von der Wirtschaftskrise sichtlich getroffene Stadtteile trafen wir im griechischen Nationalmuseum in Athen ein. Dort wurden wir von der goldenen ‚Maske des Agamemnon’, die von Heinrich Schliemann 1876 in Mykene gefunden wurde, begrüßt. Wir haben diese, wie auch zahlreiche andere Ausstellungsstücke des Museums, kritisch betrachtet und hinterfragt. Tatsächlich ist es umstritten, ob es sich wirklich um die Maske des Agamemnon handelt. Insgesamt gingen wir mit vielen neuen Eindrücken - auch aus der archaischen Zeit - aus dem Museum. Der Tag hatte damit aber nur angefangen, denn unsere Reise führte uns weiter in das Theater von Thorikos, welches zu den ältesten Theater Griechenlands zählt. Hier suchten wir gemeinsam mit unseren Dozenten nach den Überresten von Silber und Blei, die hier bereits in der Archaik abgebaut wurden. Danach hatten wir uns einer besonderen Herausforderung zu stellen: dem windigen Poseidon-Tempel in Sunion. Hier mussten wir alle gegen Poseidons Winde kämpfen. Scheinbar war der Meeresgott uns gegenüber mürrisch gestimmt, denn er machte uns die Spurensuche nicht einfach. Die atemberaubende Aussicht an der südlichen Küste Attikas ließ uns den anstrengenden Aufstieg dann allerdings vergessen.
Samstag, 04.10.2014: Nach einem dreitägigen Aufenthalt in Athen brachen wir in Richtung Tolo auf der Peloponnes auf. Die 25 Kilometer lange heilige Straße führte uns zunächst zum Grabungsgelände in Eleusis. Nach einem kurzen Aufenthalt und der Besichtigung des Telesterions ging es über den Isthmus von Korinth. In der antiken Ausgrabungsstätte von Korinth begegneten wir schließlich dem nächsten Gott, Apollon, und dessen beeindruckenden Tempel. Nach einem anschaulichen Gang durch die Stadtanlage Korinths machten wir einen Zwischenstopp in Nemea. Die Besichtigung hier stellte sich als schwierig heraus, da das Grabungsgelände aufgrund der Winteröffnungszeiten geschlossen war und wir die Größe des Zeus-Tempels nur vom Zaun aus erahnen konnten. Danach fuhren wir nach Tolo, wo wir in einem kleinen Hotel, das von einer netten griechischen Familie geleitet wurde, direkt am Meer untergebracht waren.
Sonntag, 05.10.2014: Am nächsten Morgen begaben wir uns auf eine weitere wichtige Spurensuche in Mykene. Beim Erblicken der riesigen Felsblöcke in den mykenischen Mauern und des Löwentors, kamen wir ins Staunen und konnten Aischylos‘ Tragödie Agamemnon, welche wir im Vorbereitungsseminar gelesen und nachgespielt hatten, vor Ort nachempfinden. Das Megaron und die Gräber auf dem Grabungsgelände von Mykene ließen uns die prächtige mykenische Kultur, welche ca. vom 16. bis ins 12. Jahrhundert v. Chr. bestand, erahnen. Nach einem kurzen Zwischenstopp am ‚Schatzhaus des Atreus’, einem Tholosbau aus dem 13. Jahrhundert v. Chr., fuhren wir weiter zum Heraion von Argos. Dieses Hera-Heiligtum zählte seit früharchaischer Zeit zu den ehrwürdigsten Heiligtümern Griechenlands und hatte seine größte Blüte im 5. Jahrhundert v. Chr. Da nur die Grundmauern der Tempelanlagen erhalten waren, wurde uns auch hier die Spurensuche nicht einfach gemacht. Dennoch durchforsteten wir mit offenem und mittlerweile geschultem Auge die Überreste des Heiligtums. Gegen Mittag machten wir in Argos Rast, wo wir das hellenistische Theater, welches knapp 20.000 Zuschauer fasste, erklommen. Unsere letzte Spur an diesem Tag führte uns zu dem Grabungsgelände der Burg von Tiryns. Diese antike Stadt erlebte ihre Hochphase im 3. Jahrtausend v. Chr. Trotz guter Ausrüstung konnten wir dem aufkommenden Regenschauer nicht Stand halten, sodass ein Teil die Besichtigung leider relativ schnell abbrechen musste.
Montag, 06.10.2014: Heute stand Epidauros auf unserem Plan. Dort fanden wir das imposante und beeindruckende Theater aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. vor, welches am Hang gebaut wurde und bis zu 14.000 Personen Platz bot. Wir konnten es uns nicht verkneifen, die einzigartige Akustik im Theater zu testen und genossen den weitläufigen Ausblick auf die Landschaft. Danach erkundeten wir das Asklepios-Heiligtum von Epidauros, welches in seiner Bedeutung keinesfalls im Schatten des berühmten Theaters stehen sollte. Hier wurde seit dem Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. ein umfassender Kult- und Heilbetrieb im Zeichen des Halbgottes und Wunderheilers Asklepios und seiner Tochter Hygieia praktiziert. Auf dem teilweise nur mäßig gut erschlossenen Grabungsgelände begaben wir uns auf Spurensuche von Asklepios.
Der Nachmittag stand zur freien Verfügung. Viele Exkursionsteilnehmer, die von der teils anstrengenden Spurensuche etwas mitgenommen waren, nutzten die Zeit zur Erholung. Einige andere erkundeten die idyllische Gegend rund um Tolo auf dem Wasser. Da unser Boot eher antiken Standards glich und mit der rauen See zu kämpfen hatte, machte so manch ein Grieche auf unsrer kleinen Bootstour schlapp. Dennoch konnten wir alle wieder gut erholt den Tag in geselliger Runde ausklingen lassen.
Dienstag, 07.10.2014: Am nächsten Tag verließen wir Tolo und brachen in Richtung Sparta auf. Nach einem spontanen Zwischenstopp in der prähistorischen Siedlung von Lerna hielten wir bei dem Kloster Moni Loukous aus dem 12. Jahrhundert an. Die kleine Zentralbasilika, in dessen Mauern so manche antike Spolien verbaut sind, befand sich inmitten eines zauberhaften Klostergartens. Nach höflichem Anklopfen durften wir eintreten und wurden von gastfreundlichen Nonnen anschließend mit leckerem griechischen Kaffee versorgt. Danach begaben wir uns einige Meter weiter auf Erkundungstour durchs Gebüsch, um die Villa des römischen Redners und Politikers Herodes Atticus zu erkunden.Unser weiterer Weg führte nach Tegea. Da uns auch hier wieder ein starker Regenschauer heimsuchte, konnten wir den Athena-Tempel nur vom Bus aus bestaunen und unsere Phantasie im kleinen, aber gut ausgestatteten Museum anregen lassen. Gegen Abend kamen wir schließlich in Sparta an. Nachdem wir erkannten, dass unsere Hotelzimmer dem entsprachen, was man im Volksmund mit ‚spartanischen Verhältnisse’ umschreibt, beendeten wir den Tag gemeinsam in einem Restaurant vis-à-vis des modernen Leonidas-Denkmals.
Mittwoch, 08.10.2014: Da Historiker stets nicht nur einer Spur folgen sollten, besuchten wir an diesem Tag die Klosterkirchen der byzantinischen Stadt Mystra aus dem 15. Jahrhundert. Auch an diesem Tag regnete es leider, was uns aber nicht davon abhielt, den Klosterberg zu erklimmen und die Geheimnisse der zahlreichen Kirchen und Kloster zu erkunden.
Da jeder der Exkursionsteilnehmer den Film ‚300’ gesehen hatte, hatte die Mehrheit hohe Ansprüche an Sparta. In der Stadt Sparta – heute eher eine Kleinstadt – besichtigten wir das Museum.
Dabei stach die Statue eines spartanischen Kriegers aus dem Jahre 490 v. Chr. ins Auge. Der Krieger – manche denken, es sei Leonidas persönlich – trägt einen Helm mit großem Kamm und schweren Wangenpanzern. Was genau auf den Wangenpanzern zu sehen ist, führte zu hitzigen Diskussionen in der Gruppe. Doch letztlich konnten wir klären, dass es sich um Widderhörner handelte. Als wir das Museum in Sparta verließen, merkte einer der Detektive, dass der Eingang des Museums dem Nike-Tempel ähnelt. Ein Tourist, der neben unserer Gruppe stand, hörte dies und rief ihm auf deutsch ,,Streber“ zu, was zu Gelächter führte. Insgesamt wurde uns erklärt, dass es nur wenige Zeugnisse aus der Vergangenheit Spartas gibt. Die Ausgrabungsstätten in Sparta waren auch nicht gerade ansehnlich und die hohen Erwartungen wurden nicht erfüllt. Unvergesslich wird dennoch das Taygetos-Gebirge rund um Sparta bleiben, das nicht nur bei den Feinden des antiken Spartas einen mächtigen Eindruck hinterlassen hat.
Donnerstag, 09.10.2014: Von Sparta fuhren wir nach Messene, wo wir das weitläufige Grabungsgelände erkunden konnten. Die beeindruckende Stadtmauer verführte manch einen, an ihr hochzuklettern, was manchen unserer Dozenten gelegentlich das Herz stehenbleiben ließ.
Das Stadion war sehr gut erhalten, sodass auch die brühende Hitze die Detektive nicht davon abschreckte, Beweisfotos zu schießen. Als kleine Entschädigung für das schlechte Wetter in Sparta fuhren wir ins sonnige Pylos, wo wir in einem netten Hotel an einem kleinen Hafen übernachteten. Die Schlacht von Pylos (425 v. Chr.) Krieg und die Schlacht von Navarino (1827 n. Chr.) waren zwei wichtige Ereignisse der Region, jedoch mit gravierendem Einfluss auf die gesamte griechische Geschichte. Und neben allem Schlachtenruhm bot Pylos dann auch die ersehnte Möglichkeit, schwimmen zu gehen und sich ein wenig zu erholen. Den Abend verbrachte die Gruppe gemeinsam direkt am wunderschönen Hafen, wo gelacht, getrunken und gespielt wurde. Man lernte sich untereinander besser kennen und auch unsere Dozenten waren stets Teil unserer gemütlichen Runden, die während dieser Exkursion häufig zusammenfanden.
Freitag, 10.10.2014: Eine lange und schwierige Fahrt war die zum Apollon-Tempel in Bassae, der sich auf 1150 Meter Höhe befindet. Unser Busfahrer Georgos (von uns liebevoll ,,Schosch“ genannt) meisterte die kurvenreiche Straße auf den Berg souverän. Als der Bus plötzlich vor einem großen Straßenkrater stehen blieb, dachten wir schon, dass wir umkehren müssten, doch Georgos füllte den Krater mit zwei Felsbrocken, was dazu führte, dass die eine oder andere Exkursionsteilnehmerin bei diesem Anblick dahinschmolz. Iktinos, der Architekt des Parthenon, wurde auch für den Bauherr des Apollon-Tempels gehalten, dieser verwendete korinthische und ionische Elemente und kombinierte diese mit sechs Meter hohen dorischen Säulen. Die korinthische Ordnung findet sich in diesem Tempel zum ersten Mal. Solche Fakten und die Tatsache, einen derart hervorragend erhaltenen Tempel (zugleich auch UNESCO-Weltkulturerbe) sehen zu können, erstaunten viele.
Samstag, 11.10.2014: Am vorletzten Tag der Exkursion besuchten wir Olympia. Sowohl das Grabungsgelände als auch das Museum waren beeindruckend. Dieses Heiligtum des Zeus war der Austragungsort der Olympischen Spiele. Obwohl der Zeus-Tempel heute rekonstruiert werden muss, wurde uns allen klar, dass der etwa 64 Meter lange, 28 Meter breite und 20 Meter hohe Tempel zu den bedeutendsten Bauwerken der frühklassischen Architektur zählt und wir konnten uns damit auch erklären, warum die Athleten während der Olympischen Spiele in Richtung des Zeus-Tempels starteten. Der plastische Schmuck, d.h. die Giebelskulpturen und die Metopen sind im Museum in Olympia zu bestaunen. Die Giebelfelder waren mit Skulpturen aus parsischem Marmor ausgestattet, die Geschichten aus der Mythologie erzählten. Auf den Metopen wurden die zwölf Taten Herakles' dargestellt. Im Zeus-Tempel befand sich auch eines der Sieben Weltwunder der Antike: die Zeus-Statue des Phidias, die leider nicht mehr erhalten ist. Erhalten dagegen sind aber etwa das Philippeion, ein Teil der Schatzhäuser, der Eingang zum Stadion, das Stadion selbst sowie Teile der Palästra. Die Länge der Laufbahn betrug – und beträgt heute noch – 192,28 Meter. Als die Exkursionsteilnehmer in das Stadion eintraten, überfiel sie der olympische Geist und es kam spontan zu einem Wettlauf unter den Männern (da Frauen am antiken Wettlauf in Olympia nicht teilnehmen durften und die Gruppe dieses Gesetz respektierte). Nach diesen tollen Eindrücken in Olympia fuhren wir zurück nach Athen, wo wir unsere Spurensuche gemeinsam mit Pita Gyros abschlossen.
Sonntag, 12.10.2014: Am nächsten Tag traten wir die Rückreise nach Frankfurt an. Am Flughafen gab es letzte, unangekündigte ‚Tests’, aber da die Exkursionsteilnehmer die gefragten Fachbegriffe für die ‚Rillen’ in den Säulen (Kanneluren) natürlich kannten, konnten unsere Dozenten fröhlich gestimmt werden und sich dann sogar mehreren Zaubertricks der Exkursionsteilnehmer widmen.
Insgesamt hat die Exkursionsgruppe zahlreiche Spuren der Götter auffinden, analysieren und deuten können. Ihr Anliegen, sich auf dem Gebiet der griechischen Antike und Archäologie praxisnah weiterzubilden und auf den Spuren der Götter zu wandeln, konnte mit viel Begeisterung, Freude und (Tat-) Kraft gelingen.
Den Exkursionsbericht mit Bildern finden Sie auch auf der Homepage der Alten Geschichte.
Quelle: http://mgtud.hypotheses.org/207
Exkursionsbericht Griechenland 2014 Alte Geschichte
Griechenland – Auf den Spuren der Götter (Bericht von Theresa Dorsam und Dimitros Adamopoulos)
Unter diesem Motto stand die Exkursion der Alten Geschichte vom 01. bis 12. Oktober 2014 nach Athen und auf die Peloponnes. Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Quellentexten – von Aischylos bis Platon – aus und über diese Regionen im vorausgegangenen Sommersemester 2014 freuten wir uns auf die Reise und waren bereit für die Spurensuche.
Mittwoch, 01.10.2014: Unsere erste Spur führte uns von Frankfurt/Main über den Flughafen Wien nach Athen, wo wir von der griechischen Sonne empfangen wurden. Weitere griechische Besonderheiten wie der Ouzo und die berühmte Landesküche sollten am selbigen Abend noch folgen. Nach der Ankunft im Hotel fuhren wir nämlich zum Einstieg gemeinsam in den Athener Stadtteil ,,Plaka“, wo wir unter der Akropolis dinierten. Der Anblick des beleuchteten Parthenons ließ schon erahnen, was uns am nächsten Tag erwarten sollte.
Donnerstag, 02.10.2014: Voller Tatendrang erreichten wir am frühen Vormittag des ersten wirklichen Exkursionstages das Wahrzeichen der griechischen Landeshauptstadt: die Akropolis. Nachdem uns die beeindruckenden aber mit Menschenmassen überfüllten Propyläen näher erläutert worden waren, liefen wir am berühmten Nike-Tempel vorbei in Richtung Erechteion. Dann endlich fanden wir eine wichtige und langersehnte Spur unserer Exkursion: den Parthenon. An Ort und Stelle spürten wir die 2500 Jahre alte Geschichte dieses architektonischen Meisterwerkes – und diese Geschichte ist noch lange nicht beendet, denn wir konnten live miterleben, wie der Tempel der Göttin Athene, der nach dem Sieg über die Perser errichtet und Ende des 17. Jahrhunderts schwer beschädigt wurde, in mühevoller Kleinstarbeit wieder aufgebaut wird. Im neuen, modernen Akropolis-Museum konnten wir viele archäologische Schätze wie z. B. die Koren des Erechteions bewundern. Danach ging es über die Überreste des Dionysos-Theaters und über das Odeon des Perikles zur Agora. Manch einer bekam eine Gänsehaut, als er erfuhr, dass genau an diesem Platz die Wurzeln der Demokratie liegen. Etwas enttäuschend war freilich der schlechte Erhaltungszustand der Agora. Dennoch halfen uns Rekonstruktionszeichnungen, Stück für Stück die Spuren auf der Agora zusammenzufügen.
Freitag, 03.10.2014: Nach einem langen Weg durch zahlreiche von der Wirtschaftskrise sichtlich getroffene Stadtteile trafen wir im griechischen Nationalmuseum in Athen ein. Dort wurden wir von der goldenen ‚Maske des Agamemnon’, die von Heinrich Schliemann 1876 in Mykene gefunden wurde, begrüßt. Wir haben diese, wie auch zahlreiche andere Ausstellungsstücke des Museums, kritisch betrachtet und hinterfragt. Tatsächlich ist es umstritten, ob es sich wirklich um die Maske des Agamemnon handelt. Insgesamt gingen wir mit vielen neuen Eindrücken – auch aus der archaischen Zeit – aus dem Museum. Der Tag hatte damit aber nur angefangen, denn unsere Reise führte uns weiter in das Theater von Thorikos, welches zu den ältesten Theater Griechenlands zählt. Hier suchten wir gemeinsam mit unseren Dozenten nach den Überresten von Silber und Blei, die hier bereits in der Archaik abgebaut wurden. Danach hatten wir uns einer besonderen Herausforderung zu stellen: dem windigen Poseidon-Tempel in Sunion. Hier mussten wir alle gegen Poseidons Winde kämpfen. Scheinbar war der Meeresgott uns gegenüber mürrisch gestimmt, denn er machte uns die Spurensuche nicht einfach. Die atemberaubende Aussicht an der südlichen Küste Attikas ließ uns den anstrengenden Aufstieg dann allerdings vergessen.
Samstag, 04.10.2014: Nach einem dreitägigen Aufenthalt in Athen brachen wir in Richtung Tolo auf der Peloponnes auf. Die 25 Kilometer lange heilige Straße führte uns zunächst zum Grabungsgelände in Eleusis. Nach einem kurzen Aufenthalt und der Besichtigung des Telesterions ging es über den Isthmus von Korinth. In der antiken Ausgrabungsstätte von Korinth begegneten wir schließlich dem nächsten Gott, Apollon, und dessen beeindruckenden Tempel. Nach einem anschaulichen Gang durch die Stadtanlage Korinths machten wir einen Zwischenstopp in Nemea. Die Besichtigung hier stellte sich als schwierig heraus, da das Grabungsgelände aufgrund der Winteröffnungszeiten geschlossen war und wir die Größe des Zeus-Tempels nur vom Zaun aus erahnen konnten. Danach fuhren wir nach Tolo, wo wir in einem kleinen Hotel, das von einer netten griechischen Familie geleitet wurde, direkt am Meer untergebracht waren.
Sonntag, 05.10.2014: Am nächsten Morgen begaben wir uns auf eine weitere wichtige Spurensuche in Mykene. Beim Erblicken der riesigen Felsblöcke in den mykenischen Mauern und des Löwentors, kamen wir ins Staunen und konnten Aischylos‘ Tragödie Agamemnon, welche wir im Vorbereitungsseminar gelesen und nachgespielt hatten, vor Ort nachempfinden. Das Megaron und die Gräber auf dem Grabungsgelände von Mykene ließen uns die prächtige mykenische Kultur, welche ca. vom 16. bis ins 12. Jahrhundert v. Chr. bestand, erahnen. Nach einem kurzen Zwischenstopp am ‚Schatzhaus des Atreus’, einem Tholosbau aus dem 13. Jahrhundert v. Chr., fuhren wir weiter zum Heraion von Argos. Dieses Hera-Heiligtum zählte seit früharchaischer Zeit zu den ehrwürdigsten Heiligtümern Griechenlands und hatte seine größte Blüte im 5. Jahrhundert v. Chr. Da nur die Grundmauern der Tempelanlagen erhalten waren, wurde uns auch hier die Spurensuche nicht einfach gemacht. Dennoch durchforsteten wir mit offenem und mittlerweile geschultem Auge die Überreste des Heiligtums. Gegen Mittag machten wir in Argos Rast, wo wir das hellenistische Theater, welches knapp 20.000 Zuschauer fasste, erklommen. Unsere letzte Spur an diesem Tag führte uns zu dem Grabungsgelände der Burg von Tiryns. Diese antike Stadt erlebte ihre Hochphase im 3. Jahrtausend v. Chr. Trotz guter Ausrüstung konnten wir dem aufkommenden Regenschauer nicht Stand halten, sodass ein Teil die Besichtigung leider relativ schnell abbrechen musste.
Montag, 06.10.2014: Heute stand Epidauros auf unserem Plan. Dort fanden wir das imposante und beeindruckende Theater aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. vor, welches am Hang gebaut wurde und bis zu 14.000 Personen Platz bot. Wir konnten es uns nicht verkneifen, die einzigartige Akustik im Theater zu testen und genossen den weitläufigen Ausblick auf die Landschaft. Danach erkundeten wir das Asklepios-Heiligtum von Epidauros, welches in seiner Bedeutung keinesfalls im Schatten des berühmten Theaters stehen sollte. Hier wurde seit dem Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. ein umfassender Kult- und Heilbetrieb im Zeichen des Halbgottes und Wunderheilers Asklepios und seiner Tochter Hygieia praktiziert. Auf dem teilweise nur mäßig gut erschlossenen Grabungsgelände begaben wir uns auf Spurensuche von Asklepios.
Der Nachmittag stand zur freien Verfügung. Viele Exkursionsteilnehmer, die von der teils anstrengenden Spurensuche etwas mitgenommen waren, nutzten die Zeit zur Erholung. Einige andere erkundeten die idyllische Gegend rund um Tolo auf dem Wasser. Da unser Boot eher antiken Standards glich und mit der rauen See zu kämpfen hatte, machte so manch ein Grieche auf unsrer kleinen Bootstour schlapp. Dennoch konnten wir alle wieder gut erholt den Tag in geselliger Runde ausklingen lassen.
Dienstag, 07.10.2014: Am nächsten Tag verließen wir Tolo und brachen in Richtung Sparta auf. Nach einem spontanen Zwischenstopp in der prähistorischen Siedlung von Lerna hielten wir bei dem Kloster Moni Loukous aus dem 12. Jahrhundert an. Die kleine Zentralbasilika, in dessen Mauern so manche antike Spolien verbaut sind, befand sich inmitten eines zauberhaften Klostergartens. Nach höflichem Anklopfen durften wir eintreten und wurden von gastfreundlichen Nonnen anschließend mit leckerem griechischen Kaffee versorgt. Danach begaben wir uns einige Meter weiter auf Erkundungstour durchs Gebüsch, um die Villa des römischen Redners und Politikers Herodes Atticus zu erkunden.Unser weiterer Weg führte nach Tegea. Da uns auch hier wieder ein starker Regenschauer heimsuchte, konnten wir den Athena-Tempel nur vom Bus aus bestaunen und unsere Phantasie im kleinen, aber gut ausgestatteten Museum anregen lassen. Gegen Abend kamen wir schließlich in Sparta an. Nachdem wir erkannten, dass unsere Hotelzimmer dem entsprachen, was man im Volksmund mit ‚spartanischen Verhältnisse’ umschreibt, beendeten wir den Tag gemeinsam in einem Restaurant vis-à-vis des modernen Leonidas-Denkmals.
Mittwoch, 08.10.2014: Da Historiker stets nicht nur einer Spur folgen sollten, besuchten wir an diesem Tag die Klosterkirchen der byzantinischen Stadt Mystra aus dem 15. Jahrhundert. Auch an diesem Tag regnete es leider, was uns aber nicht davon abhielt, den Klosterberg zu erklimmen und die Geheimnisse der zahlreichen Kirchen und Kloster zu erkunden.
Da jeder der Exkursionsteilnehmer den Film ‚300’ gesehen hatte, hatte die Mehrheit hohe Ansprüche an Sparta. In der Stadt Sparta – heute eher eine Kleinstadt – besichtigten wir das Museum.
Dabei stach die Statue eines spartanischen Kriegers aus dem Jahre 490 v. Chr. ins Auge. Der Krieger – manche denken, es sei Leonidas persönlich – trägt einen Helm mit großem Kamm und schweren Wangenpanzern. Was genau auf den Wangenpanzern zu sehen ist, führte zu hitzigen Diskussionen in der Gruppe. Doch letztlich konnten wir klären, dass es sich um Widderhörner handelte. Als wir das Museum in Sparta verließen, merkte einer der Detektive, dass der Eingang des Museums dem Nike-Tempel ähnelt. Ein Tourist, der neben unserer Gruppe stand, hörte dies und rief ihm auf deutsch ,,Streber“ zu, was zu Gelächter führte. Insgesamt wurde uns erklärt, dass es nur wenige Zeugnisse aus der Vergangenheit Spartas gibt. Die Ausgrabungsstätten in Sparta waren auch nicht gerade ansehnlich und die hohen Erwartungen wurden nicht erfüllt. Unvergesslich wird dennoch das Taygetos-Gebirge rund um Sparta bleiben, das nicht nur bei den Feinden des antiken Spartas einen mächtigen Eindruck hinterlassen hat.
Donnerstag, 09.10.2014: Von Sparta fuhren wir nach Messene, wo wir das weitläufige Grabungsgelände erkunden konnten. Die beeindruckende Stadtmauer verführte manch einen, an ihr hochzuklettern, was manchen unserer Dozenten gelegentlich das Herz stehenbleiben ließ.
Das Stadion war sehr gut erhalten, sodass auch die brühende Hitze die Detektive nicht davon abschreckte, Beweisfotos zu schießen. Als kleine Entschädigung für das schlechte Wetter in Sparta fuhren wir ins sonnige Pylos, wo wir in einem netten Hotel an einem kleinen Hafen übernachteten. Die Schlacht von Pylos (425 v. Chr.) Krieg und die Schlacht von Navarino (1827 n. Chr.) waren zwei wichtige Ereignisse der Region, jedoch mit gravierendem Einfluss auf die gesamte griechische Geschichte. Und neben allem Schlachtenruhm bot Pylos dann auch die ersehnte Möglichkeit, schwimmen zu gehen und sich ein wenig zu erholen. Den Abend verbrachte die Gruppe gemeinsam direkt am wunderschönen Hafen, wo gelacht, getrunken und gespielt wurde. Man lernte sich untereinander besser kennen und auch unsere Dozenten waren stets Teil unserer gemütlichen Runden, die während dieser Exkursion häufig zusammenfanden.
Freitag, 10.10.2014: Eine lange und schwierige Fahrt war die zum Apollon-Tempel in Bassae, der sich auf 1150 Meter Höhe befindet. Unser Busfahrer Georgos (von uns liebevoll ,,Schosch“ genannt) meisterte die kurvenreiche Straße auf den Berg souverän. Als der Bus plötzlich vor einem großen Straßenkrater stehen blieb, dachten wir schon, dass wir umkehren müssten, doch Georgos füllte den Krater mit zwei Felsbrocken, was dazu führte, dass die eine oder andere Exkursionsteilnehmerin bei diesem Anblick dahinschmolz. Iktinos, der Architekt des Parthenon, wurde auch für den Bauherr des Apollon-Tempels gehalten, dieser verwendete korinthische und ionische Elemente und kombinierte diese mit sechs Meter hohen dorischen Säulen. Die korinthische Ordnung findet sich in diesem Tempel zum ersten Mal. Solche Fakten und die Tatsache, einen derart hervorragend erhaltenen Tempel (zugleich auch UNESCO-Weltkulturerbe) sehen zu können, erstaunten viele.
Samstag, 11.10.2014: Am vorletzten Tag der Exkursion besuchten wir Olympia. Sowohl das Grabungsgelände als auch das Museum waren beeindruckend. Dieses Heiligtum des Zeus war der Austragungsort der Olympischen Spiele. Obwohl der Zeus-Tempel heute rekonstruiert werden muss, wurde uns allen klar, dass der etwa 64 Meter lange, 28 Meter breite und 20 Meter hohe Tempel zu den bedeutendsten Bauwerken der frühklassischen Architektur zählt und wir konnten uns damit auch erklären, warum die Athleten während der Olympischen Spiele in Richtung des Zeus-Tempels starteten. Der plastische Schmuck, d.h. die Giebelskulpturen und die Metopen sind im Museum in Olympia zu bestaunen. Die Giebelfelder waren mit Skulpturen aus parsischem Marmor ausgestattet, die Geschichten aus der Mythologie erzählten. Auf den Metopen wurden die zwölf Taten Herakles’ dargestellt. Im Zeus-Tempel befand sich auch eines der Sieben Weltwunder der Antike: die Zeus-Statue des Phidias, die leider nicht mehr erhalten ist. Erhalten dagegen sind aber etwa das Philippeion, ein Teil der Schatzhäuser, der Eingang zum Stadion, das Stadion selbst sowie Teile der Palästra. Die Länge der Laufbahn betrug – und beträgt heute noch – 192,28 Meter. Als die Exkursionsteilnehmer in das Stadion eintraten, überfiel sie der olympische Geist und es kam spontan zu einem Wettlauf unter den Männern (da Frauen am antiken Wettlauf in Olympia nicht teilnehmen durften und die Gruppe dieses Gesetz respektierte). Nach diesen tollen Eindrücken in Olympia fuhren wir zurück nach Athen, wo wir unsere Spurensuche gemeinsam mit Pita Gyros abschlossen.
Sonntag, 12.10.2014: Am nächsten Tag traten wir die Rückreise nach Frankfurt an. Am Flughafen gab es letzte, unangekündigte ‚Tests’, aber da die Exkursionsteilnehmer die gefragten Fachbegriffe für die ‚Rillen’ in den Säulen (Kanneluren) natürlich kannten, konnten unsere Dozenten fröhlich gestimmt werden und sich dann sogar mehreren Zaubertricks der Exkursionsteilnehmer widmen.
Insgesamt hat die Exkursionsgruppe zahlreiche Spuren der Götter auffinden, analysieren und deuten können. Ihr Anliegen, sich auf dem Gebiet der griechischen Antike und Archäologie praxisnah weiterzubilden und auf den Spuren der Götter zu wandeln, konnte mit viel Begeisterung, Freude und (Tat-) Kraft gelingen.
Den Exkursionsbericht mit Bildern finden Sie auch auf der Homepage der Alten Geschichte.
Quelle: http://mgtud.hypotheses.org/207
„So etwas wie ein bezahlter Freundschaftsdienst“. Emotionsarbeit in der persönlichen Assistenz. Eine Annäherung (Teil 1) – von Bastian Schenker
Mit ihrem Konzept der Emotionsarbeit lieferte die US-amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild Anfang der 1980er Jahre die theoretische Grundlage für einen neuen Blick auf personenbezogene Dienstleistungsberufe. Die persönliche Assistenz als besonders intime Form organisierter Behindertenhilfe blieb jedoch davon bislang weitestgehend … Continue reading →