Zwei Sammlungen von China-Karikaturen (1900)

Die militärische Intervention zur Unterdrückung der Yihetuan 義和團-Bewegung (1900/01) war (wie an anderer Stelle ausgeführt) in den Zeitungen Europas das Thema des Sommers  des Jahres 1900, in allgemeinen Zeitungen, aber auch in satirisch-humoristischen Blättern – es ist daher wenig überraschend, dass schon zeitnah Sammlungen von China-Karikaturen erschienen. Zwei dieser Sammlungen sollen in diesem Beitrag vorgestellt werden.

Vermutlich Ende1900 gab der Journalist und Kunsthistoriker John Grand-Carteret (1850-1927) eine Sammlung von China-Karikaturen heraus. Der Titiel – Chinois d’Europe et chinois d’Asie : documents illustrés pour servir à l’histoire des
chinoiseries de la politique européenne de 1842 à 1900. (([John Grand Carteret:] Chinois d’Europe et chinois d’Asie : documents illustrés pour servir à l’histoire des chinoiseries de la politique européenne de 1842 à 1900. Recueillis et mis en ordre par John Grand-Carteret collectionneur ès-chinoiseries. (Paris : Libraire illustrée Montgredien, 1900). – Digitalisat → Bibliotheca Sinica 2.0.)) – erscheint etwas irreführend, denn es handelt sich um eine Sammlung von Karikaturen aus europäischen und amerikanischen Blättern.

Die rund 170 Karikaturen sind etwa 50 verschiedenen Blättern entnommen. Darunter finden sich viele der bekannten Blätter wie Punch (London), Le Charivari (Paris), Simplicissimus[1], Kladderadatsch[2], Puck (New York), Kikeriki[3], Figaro ((Digitalisiert bei ANNO -  S/W und in zum Teil eher schlechter Qualität.)) und Floh[4]. Darunter finden sich aber auch Blätter, die heute zum Teil vergessen sind: Papagallo (Bologna), Pasquino (Torino), Bolond Istök und Borsszem Jankö, El Cardo (Madrid) oder Humoristické listy[5]
Zu jeder Karikatur wird die Quelle – Titel der Zeitschrift und Datum – angegeben, Titel und Texte der einzelnen Karikaturen sind in französischer Übersetzung angeführt – wobei die Übersetzungen in manchen Fällen den ursprünglichen Text verzerren oder gar grob verfälschen …

Die Sammlung beginnt mit einigen französischen Karikaturen aus der Zeit des so genannten Zweiten Opiumkrieges (1856-1860) aus den späten 1850er und frühen 1860er Jahren, mit deutschen Karikaturen zur Reform der chinesischen Armeen aus den 1880er und 1890er Jahren und mit Karikaturen zur Europareise Li Hongzhangs. Der überwiegende Teil der Karikaturen bezieht sich auf die Ereignisse des Sommers 1900.

Ein deutschsprachiges Gegenstück ist das Album “Zopf ab” : die chinesische Affaire im Lichte der europäischen Karikatur[6]

In diesem Band finden sich neben Karikaturen aus satirisch-humoristischen Blättern Europas auch satirische Texte, die diesen Blättern entnommen sind. In der Regel wird nur der Titel des Blattes (häufig in Abkürzung) genannt, das genaue Datum fehlt.

Sammelalben wie die beiden hier vorgestellten zeigen, dass der China-Diskurs in der satirisch-humoristischen Publizistik weit über simple Bildchen von ‘kleinen gelben Männchen mit langem Zopf und komischer Kleidung’ hinausgeht. Texte und Bilder zeugen von Fakten- und Kontextwissen zu den Ereignissen in China, aber auch von Wissen um chinesische Besonderheiten (im weitesten Sinn) beim Publikum, denn kein Karikaturist hätte in seinen Arbeiten Markierungen verwendet, von denen er annehmen musste, dass das Publikum sie nicht spontan erkennt …

  1. Digital: simplicissimus.info.
  2. Digitalisat: UB Heidelberg.
  3. Digitalisiert bei ANNO-  S/W und in zum Teil eher schlechter Qualität
  4. Digitalisiert bei ANNO – der Floh war das erste Wiener Blatt mit farbigem Titelblatt, weshalb hier das (teilweise sehr schlechte)  S/W-Digitalisat kritisch anzumerken ist.
  5. Digitalisat: Ústav pro českou literaturu AV ČR.
  6. “Zopf ab” : die chinesische Affaire im Lichte der europäischen Karikatur (Berlin : Verlag von Dr. Eysler [1900]]. Digitalisat → Bibliotheca Sinica 2.0.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1502

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Ein Bild sagt mehr … (XXII): “The Germans to the Front” in zwei Karikaturen (1900, 1915)

Der Ausspruch “The Germans to the front” wurde im Sommer 1900 dem britischen Admiral Sir Edward Hobart Seymour (1840-1929) zugeschrieben. Seymour hatte im Juni 1900 versucht, von Tianjin aus auf Beijing vorzurücken, um die belagerten Gesandtschaften zu befreien, musste diesen Vorstoß jedoch abbrechen und nach Tianjin zurückkehren. Daraufhin soll er deutsche Soldaten vorgeschickt haben – eben mit der Aufforderung: “The Germans to the front!” Der Ausspruch wurde bald zum geflügelten Wort, Anspielungen darauf finden sich (nicht nur) in satirischen Blättern immer wieder. Zwei Beispiele sollen hier kurz vorgestellt werden.

Im Sommer 1900 dominierte in den österreichisch-ungarischen satirisch-humoristischen Blättern nur ein Thema: die Yihetuan 義和團-Bewegung (der sogenannte ‘Boxeraufstand’) und die militärische Intervention der acht Mächte zu ihrer Unterdrückung. Ein großer Teil von Figaro, Kikeriki, Floh und Humoristischen Blättern ist den Vorgängen in China und den Debatten über die Vorgänge in China in den Parlamenten Europas gewidmet. Obwohl das Deutsche Reich ungleich stärker in die Ereignisse involviert war, beschäftigen sich die großen satirisch-humoristischen Blätter wie Kladderadatsch, Simplicissimus und Der wahre Jakob doch eher verhalten mit dem Thema. Ein Beispiel ist die Titelkarikatur “Gute Freunde” im Beiblatt zum Kladderadatsch vom 12. August 1900.[1].

Kladderadatsch (Beiblatt), 12.8. 1900

Beiblatt zum Kladderadatsch, 12. August 1900 | UB Heidelberg

Das Bild zeigt eine etwas makabere Szene in einer Schlucht. In der Mitte liegen auf einer in den Fels gehauenen Treppe Totenschädel und Skelettteile. Am Kopf der Treppe sitzt ein Drache, der eine Art von Schatz (Kisten und Vasen) zu bewachen scheint.  Auf einer Klippe über der Schlucht kniet “Uncle Sam” und versucht, nach dem Schatz zu angeln. Im Vordergrund – mit dem Rücken zum Betrachter – sind zwei Figuren zu sehen: ein beleibter “John Bull”, der gerade dabei ist, sich anzuziehen – und “Michel”, ein Ritter mit gezücktem Schwert. “John Bull” spricht zum Ritter: “Vorwärts, Michel! Ich komme gleich nach.”

Im März 1915 findet sich im Kikeriki die Karikatur “Die Zukunft Chinas”

Kikeriki (7.3.1915)

Kikeriki (7.3.1915) | Quelle: ANNO

Dargestellt ist ein gefesselter Drache “China”, sein Kopf ist in einen Maulkorb gezwängt, seine Klauen sind an einen vierrdrigen Wagen genagelt, der Schwanz ist verknotet. Am Maulkorb ist mit einem Schloss eine Kette bestigt. Diese Kette hält eine durch Uniform und Gesichtszüge als japanisch markeirte Figur, die mit einer Peitsche auf den Drachen einschlägt. Im Hintergrund steht ‘Uncle Sam’ (erkennbar an Zylinder, Frack, gestreifter Hose und dem typischen Bart) und ‘John Bull’ (erkennnbar an der beleibten Gestalt im knappen Frack und am flachen Hut). Der Text zum Bild:

John Bull: Das dürfen wir uns nicht bieten lassen von Japan; da müssen unbedingt wieder Deutsche an die Front![2]

Der riesige Drache China ist gefesselt und dem kleinen Japan ausgeliefert. Auch hier ergibt sich aus dem Erscheinungsdatum der Kontext: die Verhandlungen über die Einundzwanzig Forderungen, die die japanische Regierung im Januar 1915 an China gerichtet hatte. Diese Forderungen hätten Japan de facto volle Kontrolle über die Mandschurei und über die Wirtschaft Chinas gegeben. Sohl die USA (“Uncle Sam”) als auch Großbritannien (“John Bull”) waren gegen jede Ausweitung des japanischen Einflusses in China.

Auffallend ist, dass im Kladderadatsch die Nationalallegorien “Uncle Sam”, “John Bull” und “Michel” durch Inserts benannt sind. Im Kikeriki ist zwar der Drache mit “China” bezeichnet, “Uncle Sam”/USA, “John Bull”/Großbritannien und Japan sind nur durch Kleidung, Körperform, Gesichtszüge, Haar- und Barttracht markiert. Beide Karikaturen ist eines gemeinsam: Sie funktionieren nur, wenn dem Betrachter der Ausspruch “The Germans to the front!” vertraut ist – im Sommer 1900 ebenso wie im März 1915.

 

 

  1. Beiblatt zum Kladderadatsch Nr. 32 (12. August 1900) [1].
  2. Kikeriki, Nr. 10 (7.3.1915), [8] – Online: ANNO.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1485

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Ein Bild sagt mehr … (XXI): “Das ostasiatische Geschäft” (1914)

Großbritannien und Japan waren seit dem Vertrag von 30.1.1902 Verbündete – und im August 1914 forderte Großbritannien die Hilfe des Verbündeten. Japan trat an der Seite Großbritanniens in den Krieg ein. Das Deutsche Reich wurde per Ultimatum aufgefordert, alle Kriegsschiffe aus chinesischen und japanischen Hoheitsgewässern abzuziehen und die Kontrolle über ‘Tsingtao’ (Qingdao 青島) an Japan zu übergeben. Nach Ablauf des Ultimatus folgte die Kriegserklärung. Qingdao wurde am 7. November 1914 nach drei Monaten Belagerung besetzt.

In der allgemeinen Presse (sowohl in deutschen als auch in österreichisch-ungarischen Blättern) wurden die Ereignisse eher beiläufig geschildert und wenig kommentiert.[1] In den deutschen satirisch-humoristischen Blättern wurde Japan in zum Teil sehr drastischen Bildern (im Wortsinn wie im übertragenen Sinn) als Handlanger der Engländer gezeichnet – ein Beispiel ist das Gedicht “Tsingtau” (Kladderadatsch Nr. 46 (15.11.1914) [S. 2] – oder als Barbar oder Affe verunglimpft, der sich an seiner Beute “erwürgen” soll (s. Die Bombe Nr. 46 (15.11.1914) S. 2.).
In vielen Texten, die sich auf die Ereignisse in Ostasien beziehn, werden Spannungen zwischen den ‘Verbündeten’ voraus – vor allem um die besetzten deutschen Kolonien im Pazifik ‘vorhergesehen’. Der Wahre Jakob bringt in der Nummer vom 28. November 1914[2] den Bilderbogen “Das ostasiatische Geschäft”.

Der Wahre Jakob

Der Wahre Jacob Nr. 740 (28.11.1914) 8524
Quelle: UB Heidelberg

Das ersten drei Bilder zeigen identische Szenen: einen Thronsessel auf einem Podest, im Hintergrund ein Motiv, das an die Kyokujitsuki 旭日旗, die Flagge der aufgehenden Sonne” erinnert. Dargestellt sind drei Personen, zwei sind durch Kleidung, Haar- und Barttracht und Schuhe als ‘japanisch’ markiert, die dritte durch den Tweed-Anzug als ‘britisch’. Der eine der beiden ‘Japaner’ sitzt auf dem Thronsessel, er ist prächtig gekleidet und trägt einen großen Orden um den Hals. Der zweite – etwas schlichter gewandete – steht neben ihm. Der ‘Engländer’ steht auf den Stufen des Podests beziehungsweise vor dem Podest und spricht zu den beiden:

“Wenn Japan unser Bundesgenosse werden will, erhält es Kiautschau[3], die Mariannen [sic!] , und die Karolineninseln[4] —” [Bild oben links]
“— auch auf Deutsch-Ostafrika soll es uns nicht ankommen, wenn Japan uns hilft, Indien und China in Ruhe zu halten!” [Bild oben rechts]

Der auf dem Thron sitzende ‘Japaner’ nimmt den großen Orden, den er um den Hals trägt ab und schickt sich an, diesen dem sich vor ihm verneigenden ‘Engländer’ umzuhängen:

“Dein erhabener König soll an mir einen guten Bundesgenossen haben!” [Bild unten links]

Im letzten Bild wird die weitere Entwicklung skizziert: Aus dem Podest im Thronsaal ist eine lange Treppe geworden, an deren Fuß ‘Engländer’ und einer der ‘Japaner’ derangiert am boden liegen – denn sie wurden von ‘Indien’ und ‘China’ die Treppe hintergeworfen:

“Wie es den braven Bundesgenossen wahrscheinlich ergehen wird.” [Bild unten rechts.]

Es bleibt zunächst offen, wer die dargestellten Personen sind – ob sie für konkrete Personen stehen oder ob sie ‘Typen’ darstellen sollen. Aus dem Text zum Bild links unten wird klar, dass die auf dem Thron sitztende Figur den japanischen Kaiser darstellen soll. Ob das Publikum die auf dem Thron sitzende Figur spontant als den Taishō-tennō 大正天皇 (1879-1926, regierte 1912-1926) identifizieren konnte?

  1. Vgl. dazu “Der Fall von Tsingtau” in Neue Freie Presse (9.11.1914) 3. Online: ANNO.
  2. Der Wahre Jacob Nr. 740 (28.11.1914) – Digitalisat → UB Heidelberg.
  3. Gemeint ist das Pachtgebiet Jiaozhou 膠, das 1898 von China an das Deutsche Reich verpachtet worden war. Hauptort des Pachtgebiets war Tsingtau [Qingdao].
  4. Die Nördlcihen Marianen und die Karolinen waren ebenfalls 1899 durch den Deutshc-Spanischen Vertrag unter die Kontrolle des Deutschen Reichs gekommen.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1450

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China-Comics: Yang, “Boxers” and “Saints”

Gene Luen Yang, der einem breiteren Publikum vor allem durch American Born Chinese bekannt wurde, legt mit Boxers & Saints eine zweibändige/zweiteilige Graphic Novel vor, die sich mit der Situation in China im späten neunzehnten Jahrhundert beschäftigt. Boxers & Saints wurde überwiegend positiv besprochen[1] und ist Anwärter für zahlreiche Preise. Jeder der Bände kann für sich gelesen werden, im Zusammenspiel ergeben sich zahlreiche neue Facetten. – was schon die Einbandgestaltung andeutet: Das Cover von Boxers zeigt im Hintergrund Qin Shihuangdi und die Hälfte des Gesichts von Little Bao, das Cover von Saints zeigt die Hälfte des Gesichts von Four-Girl und im Hintergrund Jeanne d’Arc – legt man die Bände nebeneinander, ergibt sich ein geteiltes ‘chinesisches’ Gesicht. Der Band Boxers erzählt die Geschichte von Little Bao, einem Jungen aus einem kleinen Dorf in “Shan-tung” [Shandong 山東], der ein Anfüher der Yihetuan 義和團 wurde. Der Band Saints erzählt die Geschichte von Four-Girl, einem Mädchen aus demselben dorf, die Christin wird, den Namen ‘Vibiana’ trägt und eine Art Jeanne d’Arc zu werden hofft.

Boxers schildert in Episoden die Zeit zwischen 1894 und 1900 – Kontakte zwischen Landbevölkerung und katholischen Missionaren, die die lokalen Götter zerschlagen, die Übergriffe von ausländischen und mandschurischen Soldaten, das Leben in den von Überschwemmungen und Dürren geplagten Dörfern, das Auftreten der ‘Boxer’ und den Weg von Little Bao in die Bewegung, den Sommer 1900 in Beijing. Eingeschoben sind Szenen mit Figuren aus dem traditionellen chinesischen Singspiel ["Pekingoper"] und imaginierte Dialoge mit Qin Shihuangdi, dem ersten Kaiser von China.

Boxers & Saints. Boxed Set

Quelle: macmillan

Saints beschreibt in Episoden das Leben von Four-Girl von ihrem 8. Lebensjahr bis zum 15. Lebensjahr. Das Mädchen, das keinen Individualnamen hat, sondern, da es das vierte Kind der Familie ist, einfach bei der Nummer genannt wird, ist in der Familie Außenseiterin. Ein eher zufälliges Zusammentreffen mit einem Arzt bringt sie in Kontakt mit dem Christentum und einem katholischen Missionar. Das Mädchen lernt mehr und mehr über die Religion und lässt sich taufen. Als der Missionar versetzt wird, schließt sich Four-Girl/Vibiana ihm an. Wie zahlreiche chinesische Christen wird sie Ziel der Angriffe der ‘Boxer’. So wie Little Bao den ersten Kaiser und die Helden des Musiktheaters sieht, sieht Four-Girl/Vibiana Jeanne d’Arc, die sie quasi leitet.

Der Anspruch des Verfassers, “[to lay] bare the foundations of extremism, rebellion, and faith”((Text auf der Schachtel des “boxed sets”)) erscheint sehr hoch; Boxers & Saints erscheint eher verworren denn vielschichtig. Fiktion und historisch Fassbares wird mit ‘Pekingoper’-Kitsch und weichgezeichneten Kreuzzugs-Szenen vermischt.[2]  ‘Die Chinesen’ sprechen verständlich, der Text in den Sprechblasen ist lesbar, ‘die Ausländer’ bleiben unverständlich – in den Sprechblasen finden sich merkwürdige Krakel, die ihttp://de.wikipedia.org/wiki/Grasschriftrgendwie an Grasschrift erinnern.

Wie Alan Baumler, der Boxers & Saints im Unterricht einsetzte und darüber berichtete[3], anmerkte, sind Kampfszenen – die in Boxers & Saints häufig vorkommen – nicht unbedingt eine Stärke von Gene Luen Yang. Sie wirken schablonenhat und wenig variantenreich, der Funke, der die Handlung vorantreibt, will nicht so recht überspringen.
Yang betreibt Schwarz-Weiß-Malerei. Es bleibt allerdings offen, was/wer ‘schwarz’ (Täter, Aggressor) und was/wer ‘weiß’ (Opfer) ist. Sind ‘die Missionare’, die Götterstatuen zerschlagen, böse? Oder gehören sie, die sich um arme und unterdrückte Chinesen kümmern, zu den ‘Guten’? Sind ‘die chinesischen Christen’ Verräter, die bestraft werden dürfen/müssen – oder sind sie Hoffnung für ein ‘neues’ China? Sind ‘die Mandschu’ böse?

Aber vielleicht geht es nur mir so, weil mir das Thema vertraut ist?[4] Weil ich die Hintergründe kenne? Weil mir Forschungsansätze (1900-2014) geläufig sind? Vielleicht sollte man Graphic Novels anders lesen?

 

Gene Luen Yang/Lark Pien: Boxers & saints : boxed set
(New York : First Second, 2013)
ISBN: 978-1-59643-924-5.

  1. Z.B.: Wesley Yang, “Views of the Rebellions” (The New York Times, Sunday Book Review, October 11, 2013) -  unter “Children’s Books”(!) und in der Washington Post (October 8, 2013).
  2. Die Visionen – sowohl die, in denen Götter und der erste Kaiser auftreten, als auch die, in denen Jeanne d’Arc erscheint – sind farbig gestaltet, der Rest der Bände ist überwiegend schwarz/weiß gehalten.
  3. Alan Baumler: “Boxers and Saints” auf Frog in a Well am 7. Februar 2014. Zu Boxers & Saints gibt es auch einen Teachers’ Guide (oder direkt zum pdf).
  4. Georg Lehner/Monika Lehner: Österreich-Ungarn und der “Boxeraufstand” in China (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 6; Innsbruck : StudienVerlag, 2002.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1417

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Frühe Stimmen über das Chinesische (VI): Orientalisch- und occidentalische[r] Sprachmeister (1748)

In den sogenannten Vaterunser-Sammlungen des 17. und 18. Jahrhunderts wurde versucht,  Versionen des Gebets in möglichst vielen Sprachen zusammenzutragen. Zur Kompilation wurden häufig die von Missionaren gesammelten Sprachproben herangezogen, in einigen Fällen kommen dazu Bemerkungen zu den unterschiedlichsten Sprachen.[1]
Keine Ausnahme bildet dabei der Orientalisch- und occidentalische[r] Sprachmeister[2], in dem 100 Alphabete und das Vaterunser in 200 Sprachen und Dialekten zusammengetragen sind. Die für China angeführten Vaterunser-Versionen (S. 111 f.) sind teilweise der 1710 erschienen Sammlung Oratio dominica …[3] entnommen – inklusive der dort enthaltenen Quellenangaben (S. 6 (Transkription) und S. 11 (Schriftzeichen)).

Doch von den Vaterunser-Auflistungen abgesehen, finden sich im Sprachmeister einige Bildtafeln mit chinesischen Schrfitzeichen (die nur teilweise und mit viel Phantasie zu entziffern sind)

Orientalisch- und occidentalischer Sprachmeister

Orientalisch- und occidentalischer Sprachmeister (1748)
Internet Archive

Im Abschnitt “Das Sinesische Alphabet” (S.102) gibt es  kurze Bemerkungen – allerdings nach einer wenig verheißungsvollen Einleitung:

Sie [d.h. die chinesische Sprache] ist eben nicht nöthig zu lernen [...]
Bey dieser Sprache ist anzumerken, daß in dem weitläuffitigen Sinesischen Reiche selbst 20 Sprachen, welche aber alle voneinander unterschieden, gefunden werden, die Mandarinische aber hat vor andern einen Vorzug, welche in der Zierlichkeit und Gelehrsamkeit im gantzen Reiche gebraucht wird.[4]

Auch hier findet sich der Verweis auf den (vermeintlichen) Mangel and Wörtern und den Monosyllabismus:

Ob gleich die Sprache reich an ·Characteurs·, so leidet sie dennoch grossen Mangel an Wörtern [...]
Denn die Sprache hat kaum 1500 ·Vocabula·, und dieselben sind ·Monosyllaba· (ob gleich zwey oder dreysylbigte Wörter zzu sein scheinen, so sind selbige doch zusammen gesetzt) und endigen sich in einen ·Vocalem· oder in ·m· und ·n· (manchmahl auch ·ng·) niemahls aber anders. Daher denn die ·Homonymia· (vielfältige Bedeutung der Wörter) in der Sprache sehr stark vorhanden, dergestalt daß manchmahl ein Wort wohl 20 bis 30 ·diverse Significationes· in sich enthält und andeutet, welche manchmahl durch die ·Characteurs· und Aussprache ·distinguiret· ewerden. Denn die Sineser erheben bald die Stimme im Reden, bald aber lassen sie solche wieder fallen, und scheinet gleichsam als wenn sie singen. Weil nun sothane ·Pronunciation· denen Redenden nöthig ist, so hat ·P. Jacobus Pautoja· [sic] fünff Merckmahle, so in der Music bekannt sind, ·ut, re, mi, fa, sol,· erdacht, welche er Sinesisiche ·Accente· nennet, mit welchen er die Stimme, und wie der Klang gegeben werden müsse anzeigt, welches ·Kircherus in Chin. Illustr. p. 236·  referiret.[5]))

Hier vermischen sich – wie so oft – Fakten uund Phantasie:

  • “1500 Vocabula”: In der Modernen Chinesischen Hochsprache sind 1338 Sprachtonsilben realisiert (von etwa 1600 theoretisch) möglichen.[6]
  • “dieselben sind ·Monosyllaba·”: Jedes Schriftzeichen entspricht einer Silbe. Aber  – aber nicht jede Silbe ist gleich ein vollständiges Wort, die Zahl der zwei-, drei- und mehrsilbigen Wörter steigt im Laufe der Sprachgeschichte.[7]
  • “und endigen sich in einen ·Vocalem· oder in ·m· und ·n· (manchmahl auch ·ng·) niemahls aber anders”: In der Modernen chinesischen Hochsprache enden Silben auf einen Vokal (oder Diphthong) oder auf -n oder -ng. Endung auf -m existiert in der Modernen chinesischen Hochsprache nicht
  • “manchmahl ein Wort wohl 20 bis 30 ·diverse Significationes· in sich enthält und andeutet”: zu manchen Sprachtonsilben gibt es unzählige Schriftzeichen, die vollkommen unterschiedlich aussehen, vollkommen unterschiedliche Bedeutungen haben – aber eben alle gleich ausgesprochen werden.
  • “Denn die Sineser erheben bald die Stimme im Reden, bald aber lassen sie solche wieder fallen, und scheinet gleichsam als wenn sie singen.”: Die Töne sind bedeutungsdifferenzierend – das klassische Beispiel aus dem Anfängerlehrbuch.
    • 1. Ton: 媽 “Mutter”
    • 2. Ton: 麻 “Hand”
    • 3. Ton: 馬 “Pferd”
    • 4. Ton: mà 罵 “schimpfen”
    • neutraler Ton: ma 嗎 [Partikel zur Bildung von Fragesätzen]
  • “Weil nun sothane ·Pronunciation· denen Redenden nöthig ist, so hat ·P. Jacobus Pautoja· [sic] fünff Merckmahle, so in der Music bekannt sind, ·ut, re, mi, fa, sol,· erdacht, welche er Sinesisiche ·Accente· nennet, mit welchen er die Stimme, und wie der Klang gegeben werden müsse anzeigt,”: Wie oben gesagt, sind die Töne bedeutungsdifferenzieren. In der Transkription werden sie in der Regel durch diakritische Zeichen markiert, mitunter finden sich auch Hochzahlen = ma¹ etc.
  • “welches ·Kircherus in Chin. Illustr. p. 236·  referiret”: Gemeint ist hier Athanasius Kirchers China … illustrata[8] – dort findet sich auf Seite 236 tatsächlich der Hinweis auf die Bezeichnung der Töne wie Musiknoten und mit diakritischen Zeichen – allerdings einem “P.  Jacobus Pantoja” zugeschrieben. Gemeint ist wohl Diego de Pantoja/Diego Pantoja (1571-1618), einer der Begleiter Matteo Riccis[9]

Zum Schluss kommt noch einmal die eingangs geäußerte Skepsis zum Ausdruck, ob es sinnvoll ist, sich dem Studium dieser Sprache zu widmen:

Uebrigens kan kein sonderlicher Nutzen von dieser Sprache erlangt werden, wenn man nicht den Umgang dasigen Ortes mit ihnen hat.[10]

Bisherige Beiträge in der Reihe “Frühe Stimmen über das Chinesische”: I, II, III, IV, V.

  1. Vgl. dazu die Bemerkungen bei Georg Lehner, Der Druck chinesischer Zeichen in Europa. Entwicklungen im 19. Jahrhundert (Wiesbaden: Harrassowitz 2004) 19.
  2. [Johann Friedrich Fritz/Benjamin Schultze:] Orientalisch- und occidentalischer Sprachmeister, welcher nicht allein hundert Alphabete nebst ihrer Aussprache, so bey denen meisten europäisch- asiatisch- africanisch- und americanischen Völckern und Nationen gebräuchlich sind, : auch einigen Tabulis Polyglottis verschiedener Sprachen und Zahlen vor Augen leget, : sondern auch das Gebet des Herrn, in 200 Sprachen und Mund-Arten mit dererselben Characteren und Lesung, nach einer geographischen Ordnung mittheilet. (Leipzig: Gessner 1748) – Digitalisate → Bibliotheca Sinica 2.0.
  3. Oratio dominica … plus centum linguis reddita   d.i. das Gebet des Herrn oder Vater Unser (Augspurg, editio novissima, 1710) VD18 14404427-001, Online: BSB / Google Books. – Die erste Auflage erschien 1700 in London, vgl. Lehner (2004) 19, Fußnote 96.
  4. Orientalisch- und occidentalische[r] Sprachmeister (1748), 101.
  5. ((Orientalisch- und occidentalische[r] Sprachmeister (1748), 102.
  6. Vgl. dazu den Abschnitt “Phonetik und Phonologie” in: Otto Ladstätter: “Sprache”, in Wolfgang Franke (ed.): China Handbuch (Düsseldorf: Bertelsmann 1974), 1274 f.
  7. S. dazu Endymion Wilkinson, Chinese History. A Manual (Harvard-Yenching Monograph Series 35, Cambridge, Mass./London: Harvard University Press 2000) 31 f: “Polysyllabic Words in Classical Chinese”.
  8. Athanasii Kircheri E Soc. Jesu China Monumentis, Qua Sacris quà Profanis, Nec non variis Naturæ & Artis Spectaculis, Aliarumque rerum memorabilium Argumentis Illustrata, auspiciis Leopold Primi, Roman, Imper. semper Augusti, Munificentißimi Mecænatis (Amstelodami : Janssonius a Waesberge ; Weyerstraet, 1667) – Digitalisate → Bibliotheca Sinica 2.0.
  9. Vgl. – auch zu den Transkriptionssystemen zur Zeit Riccis: Otto Zwartjes: Portuguese Missionary Grammars in Asia, Africa and Brazil, 1550-1800 (= Amsterdam studies in the theory and history of linguistic science., Series III,, Studies in the history of the language sciences, v. 117; Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins Publishing, 2011), 287.
  10. Orientalisch- und occidentalische[r] Sprachmeister (1748), 102.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1230

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“Merken der Mandaryns” – Bilder chinesischer Rangabzeichen aus dem 17. Jh.

In der China-Literatur des siebzehnten Jahrhunderts sind Abbildungen selten,  die vorhandenen Illustrationen wurden häufig mehrfach verwendet[1]  – in der Regel ohne Quellenangaben. Manchmal werden Bildelemente aus verschiedenen Abbildungen zu einem neuen Bild kombiniert, manchmal wird 1:1 übernommen. Ein Beispiel dafür ist eine Tafel mit Abbildungen von Standarten, Wimpeln und anderen Gegenständen.

Wohl zum ersten Mal wurde die Abbildung,  in Dappers Gedenkwaerdig bedryf …[2] von 1670 verwendet. Sie gehört (mit drei weiteren Tafeln) zum Abschnitt “Merken der Mandarins of Overheden, en dracht der Sinesen”[3] und es gibt dazu eine kurze Beschreibung der abgebildeten Gegenstände[4].

Dapper: Gedenkwaerdig bedryf (1670)

Dapper: Gedenkwaerdig bedryf (1670) | Internet Archive

Die Tafel zeigt im oberen Teil Wimpel und Standarten – zum Teil geschmückt mit Symbolen und/oder (nicht identifizierbaren) Schriftzeichen -, im unteren Teil Gongs und Schellen sowie in den unteren Ecken Tafeln, die den Würdenträgern vorangetragen wurden. Auf weiteren Abbildungen zu diesem Kapitel ist zu sehen, wie das “in Aktion” bei Prozessionen ausgesehen hat.
In der deutschen Version[5] findet sich die Abbildung (mit einem englischen Paralleltitel am unteren Rand) im Teil “Von den Gastereyen der Chineser [im Göttinger Digitalisat Bild 442], die Erklärung dazu auf Seite 46. In der Ausgabe von 1676 fehlt auf der Abbildung der Titel.

Wagner Das mächtige Kaiserreich China (1688)

Wagner Das mächtige Kaiserreich China (1688) | Google Books

Einige Jahre später taucht die Abbildung – mit niederländischem und englischem Titel – in Das mächtige Kaiserreich China und die asiatische Tartarei von Johann Christoph Wagner auf. Der Band – der vierte Teil der Delineatio Provinciarum Pannoniae Et Imperii Turcici In Oriente – erschien 1688 bei Koppmayer in Augsburg.[6]. Die Beschreibung dazu[7] ist – ohne Angabe der Quelle – aus der deutschen Fassung der Gedenkwürdigen Verrichtung entnommen. Wagner beschränkt sich auf diese eine Tafel, die übrigen, bei Dapper enthaltnen Abbildungen aus dem Abschnitt über chinesische Würdenträger, die weitere Rangzeichen, Kopfbedeckungen und weitere Kleidungsstücke zeigen, werden nicht verwendet …

  1. Vgl. auch den Beitrag Der Kaiser von China – ein Bild aus dem 17. Jahrhundert”.
  2. Olfert Dapper: Gedenkwaerdig bedryf der Nederlandsche Oost-Indische maetschappye, op de kuste en in het keizerrijk van Taising of Sina: behelzende het tweede gezandschap aen den onder-koning Singlamong en veldheer Taising Lipoui; door Jan van Kampen en Konstantyn Nobel. Vervolgt met een verhael van het voorgevallen des jaers zestien hondert drie ein vier en zestig, op de kust van Sina, en ontrent d’eilanden Tayowan, Formosa, Ay en Quemuy, onder ‘t gezag van Balthasar Bort: en het derde gezandschap aen Konchy, Tartarsche keizer van Sina en Oost-Tartarye: onder beleit van Zijne Ed. Pieter van Hoorn. Beneffens een beschryving van geheel Sina. Verciert doorgaens met verscheide kopere platen (Amsterdam: J. van Meurs 1670) – Digitalisate → Bibliotheca Sinica 2.o.
  3. Dapper (1670), 453-466.
  4. Dapper (1670)  459.
  5. Olivier Dapper: Gedenkwürdige Verrichtung der Niederländischen Ost-Indischen Gesellschaft in dem Käiserreich Taising oder Sina durch ihre zweite … als auch die dritte Gesandtschaft etc. Hiebey ist gefüget Eine ausführliche Beschreibung des gantzen Sinischen Reichs etc . (Amsterdam: Jacob von Meurs, 1675) – Digitalisat → Bibliotheca Sinica 2.o.
  6. [Johann Christoph Wagner:] Das mächtige Kayser-Reich Sina, und die Asiatische Tartarey vor Augen gestellet, In außführlicher Beschreibung Der Königreiche, Provinzien, Landschafften, Städte, Flüsse, Berge, Gewächse, Bäume, Früchte, Thiere, Gevögel, Fische, etc. so in diesen weit-entlegenen Welt-Gegenden sich finden : Wie auch solcher Völcker Landes-Regierung, Ehren-Stellen, Götzen-Dienst, ungeheure Götzen-Bilder, prächtige Tempel, Wissenschafften, Künste und Handwercker, Sitten, Gebräuche, letzte Ehren-Dienste, und Leich-Begängnüssen; neben vielen andern wunderseltsamen Merckwürdigkeiten. Samt zweyen nutzlichen Registern. Deme als dem vierdten Theil dieser Orientalischen Länder-Beschreibung, zu Fortsetzung der in vorigen Theilen angefangenen Historie deß annoch währenden Türcken-Kriegs angehänget Eine umständliche Beschreibung der ungemeinen herrlichen Victorien, welche Kayserliche Majestät und dero hohe Alliirte Anno 1686. und 1687. in Ungarn, Pohln, Moscau, Morea und Dalmatien, wider den Erbfeind siegreich erhalten von Johann Christoph Wagnern … Aus den berühmtesten alten und neuen Reiß- und Land-Beschreibern, unterchiedlichen Sprachen, mit Fleiß zusammen gezogen, und gezieret mit accuraten Land-Charten, und wahrhafften Kupffer-Abbildungen … (=  Johann Christoph Wagners Delineatio Provinciarum Pannoniae Et Imperii Turcici In Oriente / und Tartarn/ von ihren grausamen Proceduren/ gegen die Christenheit/ . Deme als dem vierdten Theil dieser Orientalischen Länder-Beschreibung/ zu Fortsetzung der in vorigen Theilen angefangenen Historie deß annoch währenden Türcken-Kriegs angehänget Eine umständliche Beschreibung der ungemeinen herrlichen Victorien/ … Anno 1686. und 1687. in Ungarn/ Pohln/ Moscau/ Morea und Dalmatien/ wider den Erbfeind siegreich erhalten;  Augspurg : Koppmayer, 1688 Augspurg:  Jacob Koppmayer 1688);  VD17 39:133129U – Digitalisat → Bibliotheca Sinica 2.0.
  7. Wagner (188), 137.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1412

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Ein Bild sagt mehr … (XIX): “Die verkehrten Verbeugungen” (1901)

Im Beitrag Sühne wurde eine Karikatur zur so genannten “Sühnegesandtschaft” diskutiert, die die Diskrepanz zwischen den Erwartungen an eine Sühnegesandtschaft und dem tatsächlichen Verlauf thematisierte. Nach dem eigentlichen Sühne-Akt überschlugen sich die Kommentare, wie das Ereigniss einzuschätzen wäre und warum sich wer wann wie verhalten hat. Eine sehr prägnante Interpretation findet sich in der Karikatur “Die verkehrten Verbeugungen.” im Kikeriki vom 15. September 1901:

Kikeriki Nr. 74 (15.9.1901) 1.

Kikeriki Nr. 74 (15.9.1901) 1  | Quelle: ANNO

Die anonyme Karikatur, die knapp die Hälfte der Titelseite der Nummer ausfüllt, zeigt zwei Figuren: Rechts steht hoch erhobenen Hauptes eine männliche, europäisch markierte Figur, die durch die Pickelhaube als Deutscher und durch die Gesichtszüge (und den “Es-ist-erreicht”-Bart) als deutscher Kaiser identifiziert wird. Links steht eine durch Zopf, Kleidung und Kappe mit Pfauenfeder als ‘asiatisch’ markierte Figur. Der Asiate verbeugt sich und reckt dabei dem Deutschen den verlängerten Rücken entgegen, auf dem ein lachendes Gesicht aufgemalt ist.
Darunter eine kurze Zeile:

Wahrscheinlich hat _diese_ Concession den Prinzen Tschun zur Reise nach Berlin bewogen.

Ohne Wissen um den Kontext erscheint das Bild eher banal und nicht besonders originell.
Was ist daran bemerkenswert, dass ein je nach Blickwinkel lächelndes oder hämisch grinsendes) komisches Männchen einer ebenso merkwürdig adjustierten Figur den Allerwertesten entgegenreckt?

Wie aber kommt man (so der Kontext nicht geläufig ist, darauf, was/wer gemeint sein könnte bzw. gemeint ist?
Es empfiehlt sich ein Blick in überregionale Tageszeitungen vom September 1901 nach Berichten über China und das Deutsche Reich und/oder einen Chinesen beim deutschen Kaiser. Für den Anfang sollten einige Berichte  genügen:

  • Neuigkeits-Welt-Blatt Nr. 200 (1.9.1901), 1; Nr. 203 (5.9.1901) 1 f.
  • Neue Freie Presse Nr. 13301 (5.9.1901) 1-3 (mit Abdruck der beim Sühne-Akt gehaltenen Reden)
  • Das Vaterland Nr. 243 (5.9.1901) 1 und 3.
  • Die Arbeiter-Zeitung Nr. 243 (5.9.1901) 1.
  • Pester Lloyd Nr. 212 (5.9.1901) 3.

Im Neuigkeits-Welt-Blatt heißt es am 5. September 1901:

In dem an den seltsamsten Zwischenfällen überreichen Drama des Kreiges mit _China_ darf die jüngste Episode, die famose _Sühn-Expedition_ des Prinzen _Tschun_ als eine der interessantesten erscheinen, wiewohl sie in ihrem Verlaufe nahe daran war, zu einer Farce herabzusinken. [...] Prinz Tschun weigerte sich, die sichere Schweiz zu verlassen, ehe man in Berlin von dem geforderten “Kotau”[1] Abstand nahm.
Diese echt chinesische Zeremonie besteht in einer dreimaligen tiefen Verbeugung des Oberkörpers und einer neunmaligen Rumpfbeuge, und ihre Durchführung erschien dem chinesischen Prinzen, dem Bruder des Kaisers von China, als eine zu große Demüthigung, obgleich sie in China selbst weder unter Prinzen noch unter Mandarinen etwas Seltsames ist.
Nun ist eine Sühneleistung, die nach dem Ausmaß der Verbeugungstiefe berechnet wird, allerdings eine Forderung, der man auch in den Bevölkerungskreisen Deutschlands wenig Geschmack abgewinnen kann, allein es liegt dem Begehren des deutschen Kaisers doch ein tieferer Sinn zu Grunde. In China spielt eben das Zeremoniell in allen Dingen, namentlich aber im Verkehr mit den Vertretern des Auslandes eine große Rolle. Sollten die chinesischen Machthaber den vollen Ernst ihrer Pflicht, für das begangene Verbrechen des Gesandtenmordes Buße zu thun, erkennen, dann müßte dies auch in einer Form geschehen, die ihrem eigenen, dem chinesischen Zeremoniell entspricht und gerade aus der Weigerung des Prinzen Tschun, sich dieser Forderung zu unterwerfen, kann man den Schluß ziehen, daß es den Chinesen noch immer beliebt, Europa mit den gewohnten Ränken zu begegnen.[2]

Und in der sozialdemokratischen Arbeiter-Zeitung vom selben Tag heißt es:

[...] Dem maßlos eitlen Sinn des deutschen Kaisers mag es schmeicheln, die Chinesen einmal so anschnauzen zu dürfen, wie er es sonst nur mit seinen “Unterthanen” wagen dard; aber ob die erlittene Demüthigung den Chinesen imponiren, sie einschütern wird, ist noch sehr die Frage [...][3]

Damit wird klar, was dem zeitgenössischen Leser im September 1901 niemand erklären musste: Die chinesische Seite hat Abbitte geleistet, doch wäre zu bezweifeln, ob das von der chinesischen Seite allerdings tatsächlich ernst genommen wurde.

 

  1. Zum “Kotau” s. den Beitrag Kotau – die chinesische Ehrenbezeugung von Georg Lehner auf De rebus sincis.
  2. Neuig-keits-Welt-Blatt Nr. 203 (5.9.1901) 1 – Online: ANNO.
  3. Arbeiter-Zeitung Nr. 243 (5.9.1901) 1 – Online: ANNO.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1402

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China-News: Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus … (1871)

Die Wiener Weltausstellung 1873 war die erste im deutschsprachigen Raum – und die erste, an der sich China beteiligte. Die Vorbereitungen dafür begannen auf chinesischer Seite wohl unmittelbar nach dem Abschluss des ‘Freundschafts- Handels- und Schifffahrtsvertrags’ am 2.9.1869.  In den Wiener Blättern finden sich immer wieder Notizen zur Weltausstellung, darunter auch  Meldungen über die Vorbereitungen in China. Diese Texte geben Einblick in die Vorbereitungen und machen deutlich, welcher Anstrengungen es bedurfte, beovr am 1. Mai 1873 die Weltausstellung feierlich eröffnet werden konnte.

Einer dieser Texte findet sich fast gleichlautend in mehreren Wiener Blättern[1]. Er gibt Einblick in die Vorbereitungen – und macht deutlich, welcher Anstrengungen es bedurfte, bevor am 1. Mai 1873 die Weltausstellung feierlich eröffnet werden konnte.

Wiener Zeitung, 3.10.1871

Wiener Zeitung, 3.10.1871 (Ausschnitt)
Quelle: ANNO

Heinrich Joseph Aloys von Calice (1831-1912)[2], der in Shanghai 上海 residierte, hatte sich an den zǒnglǐ yámen 總理衙門[3] in Beijing 北京 gewandt und zur Teilnahme an der für 1873 geplanten Ausstellung eingeladen.

Vom Zǒnglǐ Yámen aus ging die Einladung dann über die verschlungenen Wege der chinesischen Bürokratie:
Der Superintendent der Seezölle von Jiangnan 江南 und daotai 道臺 von Suzhou 蘇州, Songjiang 松江 und Taicang 太倉 wurde vom provisorischen Handels-Superintendenten informiert, dass der Zǒnglǐ yámen die Superintendenten des Handels über die Einladung informiert hätte.
Die Zoll-Superintendenten in den offenen Häfen[4] sollten nun dahingehend instruiert werden, dass potentiell an einer Teilnahme interessierten Gruppen diese Einladung zur Kenntnis gebracht werde.
Als ‘incentive’ würden die für die Ausstellung bestimmten Waren in Österreich-Ungarn von Einfuhrzöllen befreit.
Im Gegenzug befreit die chinesische Regierung die für die Ausstellung bestimmten Waren vom Ausfuhrzoll. Davon erfuhr der Vertreter Österreich-Ungarns allerdings nicht direkt, sondern zuerst über den Direktor der Seezollverwaltung, Sir Robert Hart.[5]

Die ersten Aufrufe dürften wenig Resonanz erzeugt haben, denn Die Presse vom 7. März 1872[6] berichtet über die Berichterstattung im in Hongkong erscheindenden Daily Advertiser vom 18.1.1872:

In der Einleitung [...] wird China, das auf den bisherigen Ausstellungen nur schwach vertreten war, aufgefordert, sich lebhaft an der Aussteillung zu betheiligen und besonders die Auswahl solcher Gegenstände zu treffen, welche die Aufmerksamkeit weitester Kreise und die Naturproducte und Bodenschätze des Landes zu lenken geeignet sind. (Die Presse (7.3.1872) 14)

Die Bemühungen, Aussteller aus China zu gewinnen, waren durchaus erfolgreich, denn die Weltausstellungs-Commission schmetterte lauter werdende Kritik an der unzulänglichen Information über die Ausstellung im Inland (!)  damit ab, dass Anmeldungen aus China und Japan eingelaufen wären …[7].

  1. Wiener Zeitung, Morgen-Post, Die Presse vom 3.10.1871.
  2. Calice hatte 1869-1871 als Vertreter des k.u.k. Ministeriums des Äußern und des kaiserlichen Hauses an der ostasiatischen Expedition nach Siam, China und Japan teilgenommen. und war ab 1871 Ministerresident in Shanghai. 1874 kam er nach Bukarest, 1876 nahm er an der Konferenz von Kohenstantinopel teil, 1877-1880 war er im Ministerium des Äußern, 1880-1906 war er Botschafter in Konstantinopel. Kurzbiographie: “Calice, Heinrich Gf. (1831-1912), Diplomat”. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 2, 1954), S. 133,
  3. Der Zǒnglǐ Yámen 總理衙門 (eigentlich: Zǒnglǐ gèguó shìwù yámén 總理衙門 ["Amt für die Belange aller Nationen"]) war das 1861 eingerichtete (Proto-)Außenministerium.
  4. Seit 1841/42 waren Shanghai 上海, Ningbo 寧波, Fuzhou 福州, Xiamen 廈門 und Guangzhou 廣州 offen, ab 1858 Nanjing 南京, Hankou 漢口, Shantou 汕頭 [Swatow], Niuzhuang 牛莊 und Tamsui 淡水sowie ab 1860 Tianjin 天津. Bis ins frühe 20. Jahrhundert wurde die Liste der Vertragshäfen immer länger.
  5. Sir Robert Hart (1835-1911) leitete als Inspector-General von 1863 bis 1911 die Imperial Maritime Custom Service (IMCS). S. Stanley Fowler Wright: Hart and the Chinese customs. (Belfast, Published for the Queen’s University [by] W. Mullan, 1950).
  6. Die Presse  Nr. 66 (7.3.1872) 14. Online: ANNO. Wortident auch in: Neue Freie Presse Nr. 2707 (7.3.1872) 7 (Online: ANNO).
  7. “Agitation für die umfassende Beschickung der Weltausstellung” In: Wiener Weltausstellungs-Zeitung Nr. 50 (15.6.1872) [5] Online: ANNO.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1331

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China-News: Der Tod des Jiaqing-Kaisers (1820) in österreichischen Zeitungen

Die lose Reihe China-News widmet sich Zeitungsmeldungen, die Ereignisse in China behandeln. Am Beispiel der Meldungen über den Tod eines Kaisers in österreichischen Blättern sollen hier gezeigt werden, auf welchen Wegen Nachrichten aus Ostasien nach Wien kamen – und wie lange es dauerte, bis ein Ereignis in den österreichischen Zeitungen auftauchte.

Jiaqing-Kaiser

清 佚名 《清仁宗嘉庆皇帝朝服像. By Annonymous Qing Dynasty Court Painter (Palace Museum, Beijing) [Public domain], via Wikimedia Commons

Am 25. Tag des 7. Monats des Jahres Jiaqing 25 (清仁宗嘉慶25年7月25日), am 2. September 1820 starb der Jiāqìng 嘉慶-Kaiser im kaiserlichen Sommerpalast (Bì Shŭ Shānzhuāng 避暑山庄) in Rèhé 热河.[1] Die konkrete Todesursache ist unbekannt, die Angaben in den Renzong rui huangdi shilu 仁宗睿皇帝實錄  sind kryptisch und gaben später zu zahlreichen Spekulationen Anlass, unter anderem: er wäre vom Blitz erschlagen worden.[2]

Es dauerte, bis die Nachricht vom Tod des Kaisers nach Europa kam, die ersten Meldungen finden sich Ende Dezember, also nach etwa drei Monaten:

Kaiserthum China. Authentischen Nachrichten zufolge ist der Kaiser von China, Kia-Kin, mit Tode abgegangen.
(Der Wanderer Nr. 363 (28.12.1820), 624. Online: ANNO)

Nach sichern Nachrichten aus Kjachta[3] ist der Kaiser von China, Kia – Kin, mit Tod abgegangen.
(Wiener Zeitung Nr. 297 (30.12.1820), 1180. Online: ANNO)

Nach sichern Nachrichten aus Kiachta ist der Kaiser von China, Kia – King [sic!], mit Tod abgegangen.
Österreichischer Beobachter Nr. 365 (30.12.1820), 1687. Online: ANNO

Von Wien ins schlesische Opava [dt. Troppau] brauchte diese Nachricht einige Tage. Am 5.1.1821 bringt die Kaiserliche-Königliche schlesische Troppauer Zeitung mit Angabe der Quelle die Meldung aus dem Österreichischen Beobachter.((Kais. König. Schlesische Troppauer Zeitung Nr. 2 (5.1.1821) 11. Online: ANNO.)).

Einige Monate später, im April 1821, taucht das Thema wieder in den Zeitungen Wiens auf.

Nachrichten aus Canton [Guangzhou 廣州] vom 18. October, in Englischen Blättern, melden, daß der Kaiser von China gestorben sey, zwey seiner Söhne kämpften um die Thronfolge, und einige Provinzen hätten dieß benutzt, um sich gegen die regierende Dynastie zu empören. Dabey richtete die von Bengalen eingebrachte Cholera-Krankheit in China große Verheerungen an.
(Wiener Zeitung Nr. 78 (4.4.1821) 309. Online: ANNO)

Ganz ähnlich die Nachricht in der Lemberger Zeitung:

China. Canton, den 18. October. Wir haben hier die Nachricht von dem erfolgten Tode des Kaisers von China erhalten. Dieser Vorfall hat zu einem Streite zwischen seinen beiden Söhnen die Veranlassung gegeben; beide machen Anspruch auf den Thron. Verschiedene Provinzen des Chinesischen Reiches sollen sich in Folge dieses Streites in einem Insurrections-Zustande befinden. [...] (H.C.)[4]
(Lemberger Zeitung Nr. 45 (13.4.1821) 233 – Online:  ANNO)

Ende April kommen Wiener Zeitungen erneut auf die Vorgänge in China zurück:

China. Aus Batavia vom 26. November enthalten Hamburger Blätter Folgendes: Der Kaiser von China ist am 25sten Tage des siebenten Monaths (nach unserer Zeitrechnung am 2. September) zu Ye-h-kol in der Tatarey (Mongoley ?) plötzlich an demselben Tage, als er dort angekommen war, mit Tode abgegangen. Alle Chinesen haben auf erhaltenen Befehl, auf 100 Tage Trauer angelegt. Der zweyte Sohn des Verstorbenen[5] folgt ihm in der Regierung, da der älteste schon in seiner Kindheit verstorben ist. [...]
(Wiener Zeitung Nr. 98 (28.4.1821) 389 – Online: ANNO)

Weitgehend ident findet sich die Meldung auch im Österreichischen Beobachter vom 28.4.1821.[6] In den Wochen danach finden sich in dien Blättern Meldungen über das “Testament”[7]  des Jiaqing-Kaisers, das dieser am 2. September 1820, dem Tag seines Todes verfasst haben soll. Der Österreichische Beobachter, der sich auf “Londoner Blätter” beruft, bringt nur eine kurze Notiz.[8] Andere Blätter drucken den Text vollständig ab, unter anderem die Wiener Zeitung ((Wiener Zeitung Nr. 104 (5.5.1821), 413 – Online: ANNO.)) und -  nach dem Wanderer – die Klagenfurter Zeitung, dort wird das Datum fehlerhaft (“20. September 1820″ anstatt 2. September 1820) angegeben.[9]

Im Juli 1821 wird der Tod des Jiaqing-Kaisers noch einmal Thema – es gibt die ‘offizielle’ Meldung:

China. [...] Die Pekinger Zeitung [d.i.  Jīng bào 京報 ["Peking Gazette"].)) zeigt den Tod des Kaisers Kea King [d.i. Jiaqing] folgendermaßen an: Am fünfundzwanzigsten Tage des siebenten Mondes traten Se. kaiserliche Majestät in der Stadt Jeho Jhre Reise an, um unter den Unsterblichen zu wandeln.
(Österreichischer Beobachter Nr. 202 (21.7.1821) 931 – Online: ANNO

Wortident findet sich diese Meldung unter anderem in der Wiener Zeitung (26.7.1821)[10], in der Lemberger Zeitung (30.7.1821)[11] und in der Troppauer Zeitung (3.8.1821)[12], die sich auf die Wiener Zeitung beruft.

Die kleine Presseschau zeigt die Wege, auf denen Nachrichten aus Ostasien nach Wien kamen: Auf dem Landweg kamen Meldungen über Russland, in der Regel aus Sankt Petersburg, wohin Nachrichten aus China über Kâhta kamen. Auf dem Seeweg kamen zum einen ‘englische’ Meldungen, die zumeist aus Guangzhou stammten, dem einzigen Platz, wo (nicht-russische) Ausländer Handel treiben konnten, zum anderen Meldungen aus Hamburg, die zumeist über Handelsplätze in Südostasien kamen. Der Landweg dauerte etwa drei Monate, der Seeweg dauerte – vor der Einführung von Clippern[13] – etwa sechs Monate. In Anbetracht der technischen Möglichkeiten der Zeit, und der vielen Stationen, über die eine Nachricht ging, bevor sie in einer Zeitung abgedruckt wurde, erscheint inhaltliche Kohärenz und faktische Richtigkeit der Nachrichten bemerkenswert.

  1. Die Anlagen des Palastes in Rehe, des Bì Shŭ Shānzhuāng 避暑山庄 ["Mountain Villa for Avoiding the Heat"] wurden im 18. Jahrhundert errichtet, die Kaiser verbrachten dort die Sommermonate. Seit 1994 steht das “Mountain Resort and its Outlying Temples, Chengde” auf der UNESCO-Welterbe-Liste.
  2. S. dazu: Fabien Simonis <fabsimonis@yahoo.com>: “Cause of Death of Qing Jiaqing Emperor (response)” In: H-ASIA <h-asia@msu.edu>, 12 March 2007, archived at  h-asia discussion logs for March 2007) <abgerufen am 13.2.2014>.
  3. Der Ort Kâhta [Кяхта] war durch den 1727 geschlossenen Vertrag zwischen China und Russland als Handelsplatz zwischen den beiden Reichen festgelegt worden und war nicht nur Umschlagplatz für Waren, sondern auch für Nachrichten.
  4. “H.C.” steht für Hamburgischer Correspondent.
  5. D.i. der Daoguang-Kaiser [Dàoguāng Dì 道光帝] (17.9.1782-25.2.1850).
  6. Österreichischer Beobachter Nr 118 (28.4.1821) 552 – Online: ANNO.
  7. Gemeint ist damit das yízhào 遺詔, ein vom verstorbenen Kaiser hinterlassenes Schreiben, s. Grand dictionnaire Ricci de la langue chinoise Bd. III, Nr. 4549, S. 434.
  8. Österreichischer Beobachter Nr. 125 (5.5.1821) 588 – Online: ANNO.
  9. Klagenfurter Zeitung Nr. 37 (9.5.1821) 5 – Online: ANNO.
  10. Wiener Zeitung Nr. 170 (26.7.1821), 677 – Online: ANNO.
  11. Lemberger Zeitung Nr. 91 (30.7.1821) 480 – Online: ANNO.
  12. Kais. Königl. Schlesische Troppauer Zeitung Nr 62 (3.8.1821) 549 – Online: ANNO.
  13. Die schnellsten dieser Schiffe, die die jeweils erste Tee-Ernte einer Saison nach Europa brachten, legten in den 1860ern die Strecke von der Mündung des Min-Flusses bei Fuzhou nach London in knapp 4 Monaten zurück, die Taeping, die das legendäre “Great Tea Race of 1866″ gewann, legte die Strecke in 102 Tagen zurück.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1284

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Ein Bild sagt mehr … (XVI): “Gelbe Jacken” (1894)

Eine Karikatur ‘funktioniert’, wenn sie spontan dekodiert werden kann, wenn also der Betrachter die Elemente der satirischen Darstellung mit Fakten- und Kontextwissen zu einem bestimmten Ereignis im Moment des Betrachtens verbindet. Die zeitliche Distanz lässt manche Karikatur kryptisch, mitunter unverständlich erscheinen. Manchmal sind einzelne Elemente nicht zu identifizieren, manchmal bleibt der Kontext (‘das Gemeinte’) unklar, manchmal sind alle Elemente klar, doch der Zusammenhang bleibt offen.  Ein Beispiel, das die Herausforderungen von Karikatur als Quelle deutlich macht,  ist das Blatt “Gelbe Jacken”, die Titelseite des Beiblatts zum Kladderadatsch vom 19. August 1894.

Kladderadatsch 1894

Kladderadatsch Nr. 33 (19.8.1894) | UB Heidelberg

Die beiden Panels zeigen in einem asiatisch angehauchten Ankleidezimmer[1] jeweils vier Figuren. Die größeren Figuren sind durch Porträtköpfe und Tags in der Kleidung identifiziert: Georg Leo Graf von Caprivi de Caprera de Montecuccoli (1831-1899), Reichkanzler 1890-1894[2] (jeweils rechts im Bild) und Johannes Franz Miquel (1828-1901), Finanzminister 1890-1901[3] (jeweils links im Bild). Beide sind in ‘asiatische’ Gewänder gehüllt, Caprivi hängt ein langer Zopf nach vorn über die kahle hohe Stirn, Miquel hängt der Zopf über den Rücken.
Auf dem oberen Bild knöpft Miquel die kurze helle Jacke zu, wobei ihm ein (sehr kleinwüchsiger) asiatischer Diener mit einer Kerze leuchtet. Während Caprivi sich im Spiegel mustert, beschmiert sein Diener mit einem großen Pinsel an einem Bambusstiel Miquels Rücken mit dunkler Farbe.
Auf dem unteren Bild sitzt Miquel am Boden und liest. Captrivi steht vor dem Spiegel und knöpft die Jacke zu, während der Diener Miquels den Rücken Caprivis mit Farbe aus aus demselben Topf mit demselben Pinsel beschmiert.

Der konkrete Anlass/Bezugspunkt dieser Karikatur von Ludwig Stutz (1865-1917) aus der deutschen Innenpolititk soll hier nicht weiter diskuteirt werden.

Spannender ist die Frage nach den im Titel erwähnten “gelben Jacken” …[4]

Im September 1894 findet sich in der Deutschen Rundschau ein Beitrag von M. von Brandt[5] zum Chinesisch-Japanischen Krieg. Der Beitrag Die koreanische Frage” (S. 459-463) skizziert die Lage in Ostasien und kommt zum Schluss auf Li Hongzhang 李鴻章 (1823-1901) zu sprechen. Der Autor will dabei explizit das Bild, das in westlichen Zeitungen gezeichnet wurde, zurechtrücken.

In den Berichten, die über die koreanische Frage einlaufen, wird oft, und stets an erster Stelle, Li Hung Chang erwähnt, und zwar meistens in einer Weise, die weder der Stellung und dem Charakter dieses hervorragendsten aller chinesischen Staatsmänner, noch den Schwierigkeiten, gegen welche er zu kämpfen hat, gerecht wird. (S. 462)

Max von Brandt skizziert kurz die Laufbahn Li Hongzhangs und meint dann:

Wenn der Kaiser Li die gelbe Reitjacke, die höchste militärische Auszeichnung genommen hat, so ist das bis auf Weiteres nur ein Zeichen der kaiserlichen Unzufriedenheit, wie solche unter allen Umständen einen unglücklichen Führer oder Beamten trifft. Es ist sogar nicht ausgeschlossen, daß Li, wie dies sehr häufig geschieht, in dem Bericht über die ersten Vorfülle selbst seine Bestrafung beantragt habe; ein Erfolg würde genügen, ihm die verlorene Auszeichnung wieder zu verschaffen. (S. 463)

Gerüchte, Li hätte seine Asuzeichnungen verloren, hatte es seit der Niederlage bei Asan im Juli 1894 gegeben. Ein Dekret vom 17. September 1894[6] machte die Sache offiziell: Li verlor sowohl die huangmagua 黃馬褂 („Gelbe Reitjacke“)[7], die er 1863 für seine Verdienste im Kampf gegen die Taiping 太平erhalten hatte, als auch die sanyan hualing 三眼花翎 (“dreiäugige Pfauenfeder”)[8], die Li  erst wenige Monate zuvor verliehen worden war.[9]

Die ‘gelbe Jacke’ des Li Hongzhang beschäftigte 1894/95 weltweit die Tages- und Wochenzeitungen ebenso wie satirisch-humoristische Blätter, ob aber jede Leserin und jeder Leser des Kladderadatsch den Gedankensprung des Karikaturisten von Ostasien nach Berlin spontan mitmachte, muss offen bleiben …

  1. Der Bildaufbau erinnert an Motive japanischer Farbholzschnitte wie z.B.  Behind the Screen (c. 1673–81) von Hishikawa Moronobu 菱川 師宣 – der Wandschirm im Farbholzschnitt ist in der Karikatur ein Spiegel, das Fenster im Farbholzschnitt ist in der Karikatur ein Gemälde einer asiatischen Landschaft.
  2. Zur Biographie: Heinrich Otto Meisner: „Caprivi, Georg Leo Graf von“, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), 134 f. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd11851900X.html.
  3. Kurzbiographie: Rita Aldenhoff: „Miquel, Johannes von“, in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), 553 f. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd11873413X.html.
  4. Dass die Jacken, die Caprivi und Miquel über langne Kleidern tragen, gelb sind, ist nur dem Text zu entnehmen. Die Jacken sind kurz und weit geschnitten und vorne einreihig mit großen Knöpfen geschlossen, die Ärmel sind gerade geschnitten, weit und (über-)lang.
  5. Maximilian August Scipio von Brandt (1835-1920), der 1875 bis 1893 Gesandter in China gewesen war, galt als einer der besten Ostasienkenner seiner Zeit. – Kurzbiographie: Wolfgang Franke: „Brandt, Max von“, in: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), 531 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118934759.html.
  6. Text in englischer Übersetzung: United States Department of State: Foreign relations of United States, 1894 (1894) Nr. 52 (S. 60 f.), Mr. Denby, chargé, to Mr. Gresham (Peking, September 18, 1894).
  7. Die huangmagua 黃馬褂 („Gelbe Reitjacke“), eine Auszeichnung für Verdienste um den Staat, häufig für militärische Leistungen. S. dazu: H. S. Brunnert and V. V. Hagelstrom, Present Day Political Organization of China. Revised by N. Th. Kolessoff, Translated from the Russion by A. Beltchenko, E. E. Moran (Foochow: 1911)., p. 497, nr. 947. – Digitalisat > Bibliotheca Sinica 2.0.
  8. )  , war Li Hongzhang 1863 für seine Verdienste im Kampf gegen die  verliehen worden. D. ((ie kongqueling 孔雀翎 [Pfauenfeder] war eine noch bedeutendere Auszeichnung, von der es  mehrere Abstufungen gab. Die höchste war die Sanyanhualing 三眼花翎, die dreiäugige Pfauenfeder, die in der Regel Angehörigem des Kaiserhauses und besonders verdienten Beamten verliehen wurde. S. dazu: H. S. Brunnert and V. V. Hagelstrom, Present Day Political Organization of China. Revised by N. Th. Kolessoff, Translated from the Russion by A. Beltchenko, E. E. Moran (Foochow: 1911) p. 498, nr. 950.
  9. S. C. M. Paine, The Sino-Japanese War of 1894-1985. Perceptions, Power, and Primacy (Cambridge: Cambridge University Press, 2003)., 101 unter Verweis auf den North-China Herald vom 16.2.1894, p. 145.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1288

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