Politik und Agitation im Film: The Big Road 大路 (1934)

Dàlù 大路 ['The Big Road", "Breiter Weg"] von Sun Yu 孫瑜 entstand 1934, in der ersten Phase des Krieges gegen Japan.Der Film, in dem  Jin Yan and Li Lili die Hauptrollen spielen, verbindet lyrische Darstellung mit sozialen und politischen Themen. Der Film kommt ohne Dialoge aus, doch die Akteure singen bei der Arbeit am Straßenbau. Die besonderen Bildsprache soll in einer Zeit, in der der Krieg immer größere Teile Chinas erfasst, Mut machen und den Glauben an die Zukunft festigen[1].

The Big Road (1934)

The Big Road (1934)
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Der Kampf gegen den Feind führt sechs junge Arbeiter, die ihre Arbeit in Shanghai verloren hatten, und zwei junge Frauen aus dem Dorf zusammen Die sechs Arbeiter, die an einer strategisch wichtigen Autobahn arbeiten, stammen aus unterschiedlichen sozialen Schichten: Zhang ist eher melancholisch und einzelgängerisch, Luo ein Träumer, Jin trotz seiner schwierigen Kindheit Optimist, Zhangda ist körperlich stark, Xiaoliu war ein Kleinkrimineller, der zur Vernunft gebracht wurde, und Zheng war Student, bevor er vor den Japanern aus der Mandschurei fliehen musste. Moli, die ambitioniertere der beiden jungen Frauen, begegnet den sechs auf freundschaftlicher Ebene, während sich Dingxiang, die ehr schüchtern ist, in den Träumer Luo verliebt.
Als die Japaner immer näher an das Dorf herankommen, versucht ein Verräter, die Arbeit an der Straße zu behindern. Die sechs Arbeiter leisten Widerstand, werden aber gefangen gesetzt und gefoltert.
Mit Hilfe der beiden Frauen können die sechs entkommen und weiterarbeiten. Nach der Fertigstellung der Swiedertraße kommen die sechs Arbeiter und Moli bei einem Bombenangriff um. Nur Dingxiang überlebt, sie träumt, dass ihre Freunde wiederaufstehen und China in eine neue Zukunft führen.

Dàlù gehört zu den bedeutendsten Filmen der 1930er[2] und wurde 2004 unter bei den 24. Hong Kong Film Awards in der Liste der 100 besten chinesischen Filme auf Platz 30 gereiht.

  1. Vgl. dazu Stefan Kramer: Geschichte des chinesischen Films (Stuttgart/Weimar: Metzler 1997)  27 f.
  2. S. auch “Retro Review: 《The Big Road》(1935[sic!] in: The Chinese Mirror. A Journal of Chinese Film HistoryA <Abgerufen am 30.11.2013>.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1177

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Glanz und Elend im Shanghai der 1930er: “Daybreak” 天明 (1933)

Der Stummfilm “Daybreak” – Tiānmíng 天明 (1933) ist ein typisches Beispiel für die sozialkritischen Filme der  Liánhuá yǐngyè gōngsī 聯華影業公司 [Lianhua Film Company].

Daybreak (1933)

Daybreak (1933) | Internet Archive

Ling Ling (dargestellt von Li Lili 黎莉莉 (1915–2005) kommt mit ihrem Freund (dargestellt von Gao Zhanfei 高佔非) aus einem vom Krieg zerstörten Fischerdorf auf der Suche nach einem besseren Leben in die Metropole Shanghai. Weitab vom Glanz am Bund, den sie anfangs staunend besichtigt, erleben sie schnell die weniger glamourösen Seiten. Während er in revolutionäre Kreise gerät, landet sie als Arbeiterin in einer Fabrik. Nach einer Vergewaltigung sucht Ling Ling Hilfe bei einem Fremden, der sie allerdings in die Prostitution verkauft. Sie steigt von der einfachen Prostitutierten bald zum gesuchten Call Girl auf und verkehrt dadurch in höheren Kreisen. Mit dem so verdienten Geld unterstützt sie ihre früheren Kollegen aus der Fabrik.
Schließlich verhilft sie ihrem frühren Freund, dem Revolutionär, zur Flucht – wird aber selbst gefangengenommen, zum Tod verurteilt und  hingerichtet.

Regisseur Sun Yu 孫瑜 (1900-1990) kontrastiert idyllische Bilder aus dem Fischerdorf vor dem Krieg und die tristen Verhältnisse in Shanghai. Damit drückt er die Sehnsucht nach im Shanghai der 1930er Jahre verlorenen Werten aus – und die Hoffnung auf eine Erneuerung.[1]

D

  1. Zum Film (und zu Tiyu huanghou/Queen of Sports)  s. Victor Fan: “The Cinema of Sun Yu: Ice Cream for the Eye . . . But with a Homo Sacer.” In:  Journal of Chinese Cinemas 5, 3 (Nov. 2011): 219-52. DOI: http://dx.doi.org/10.1386/jcc.5.3.219_1.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1115

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Ein Zeitdokument der ‘Bewegung Neues Leben’: “National Customs” 國風 (1935)

Die ‘Bewegung Neues Leben’ (Xīnshēnghuó yùndòng 新生活運動), die 1934 initiiert wurde, war ein Versuch der Guomindang 國民黨-Regierung sollte ein Gegengewicht zur kommunistischen Ideologie bilden. Das Programm erscheint als (mitunter bizarr anmutende) Mischung aus Konfuzianismus, christlichem Gedankengut, Nationalismus und Autoritarismus. Demokratie und Individualismus werden ins negative Licht gerückt, Sozialismus und Kommunismus scharf abgelehnt. Die Bewegung betonte moralische Werte und sollte Korruption und Opiummissbrauch bekämpfen.

Guo feng (1935)

Guo feng (1935)
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Vor dem Hintergrund dieser ‘Bewegung’ ist der Stummfilm  Guófēng 國風  (“National Customs”, 1935) von Luo Mingyou 羅明佑 und Zhu Shilin 朱石麟 (1899- 1867) zu sehen. Der Film war der letzte, in dem  Ruan Lingyu spielte, die sich kurz nach Abschluss der Dreharbeiten das Leben nahm.

Im Film spielen Li Lili und Ruan Lingyu die Schwestern Zhang Tao und Zhang Lan, die nach dem Abschluss der Mittelschule über ihren weiteren Weg nachdenken. Sie landen in Shanghai, wo sich Zhang Lan (dargestellt von Ruan Lingyu) sich auf ihre Studien konzentriert. Zhang Tao entdeckt das moderne Gesicht der Stadt und will ‘modern sein’, sie trägt ‘moderne’ Kleidung und ‘modernes’ Make-up – und wird zunehmend freier im Umgang mit Männern. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Schwestern sind Spiegel der Auseinadersetzungen zwischen ‘Tradition’ und ‘Moderne’ im Shanghai der 1930er Jahre.

Der Film, der bei seiner Präsentation kein besonderer Publikumserfolg war, ist als Zeitdokument wesentlich bedeutender denn als Film[1],

  1. S. Jubin Hu: Projecting a Nation: Chinese National Cinema Before 1949 (Hong Kong: Hong Kong University Press 2003) 107 f.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/912

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Street Angel 馬路天使 (1937)

Mǎlù tiānshǐ 馬路天使 (“Street Angel”, 1937) ist ein Klassiker des ‘linken’ Films der 1930er Jahre.  Der Film von Regisseur  Yuan Muzhi (1909-1978)  erscheint als Mischung aus Komödie und Melodram und erinnert an Hollywood-Tragikomödien der 1930er, zeichnet allerdings ein sehr pessimistisches Bild der Gesellschaft vor dem Krieg.[1].

Street Angel (1937)

Street Angel (1937)

Die Schwestern Xiao Hong und Xiao Yun waren auf der Flucht vor dem Krieg im Nordosten Chinas im Herbst 1935 nach Shanghai gekommen, wo sie von einem skrupellosen Paar ‘adoptiert’ wurden – de facto aber an das Paar, einen Musiker und seine spielsüchtige Frau, verkauft worden waren. Sie leben in einer heruntergekommenen Gegend, wo sich Xiao Hong, die in einem Teehaus arbeitet, in den armen Trompeter Xiao Chen verliebt, der in derselben Straße wohnt. Die ältere der Schwestern, Xiao Yun, die zur Prostitution gezwungen wurde, freundete sich dem Zeitungsverkäufer Lao Wang, dem besten Freund des Trompeters, an.
Bei einem Auftritt im Teehaus weckt Xiao Hong das Interesse des Kriminellen Gu, der sie den ‘Adoptiveltern’ abkaufen möchte, um sie zu seiner Konkubine zu machen. Die Schwestern hören zufällig von dem Plan und suchen Hilfe bei ihren Freunden. Da Sie sich keinen Anwalt leisten können, fliehen Xiao Hong und Xiao Chen in ein anderes Stadtviertel, wo auch Xiao Yun zuflucht sucht. Ihre Flucht währt nur kurz, denn der ‘Adoptivvater’ sieht die Mädchen auf der Straße, folgt ihnen und gibt dem Kriminellen Gu einen Tipp. In der folgenden Auseinandersetzung wird Xiao Yun niedergestochen. Sie stirbt, denn kein Arzt ist bereit zu kommen, wenn er nicht bezahlt wird.[2]

Der Film lebt vom innovativen Einsatz der Filmmusik, wobei einige Nummern – im Film gesungen von Zhou Xuan – zu epochenprägenden Titeln wurden, die noch heute bekannt sind, vor allem  Sì jì gē 四季歌 ["Song of the Four Seasons"] und Tiānyá gēnǚ 天涯歌女 ["The Wandering Songstress"],  beide komponiert von He Lüting賀綠汀 (1903-1999) mit Texten von Tian Han  田漢 (1898-1968).
Tiānyá gēnǚ ((Im Film heißt der Song Tianya Ge 天涯歌 ["The Wandering Song"].)) wurde zu einem der bekanntesten Songs aus den 1930ern und 1940ern und ist in China ähnlich bekannt wie im Westen “As time goes by” aus “Casablanca” (1942)[3] Gesungen wird das Lied von Zhou Xuan 周璇 (1918 oder 1920-1957), einer der berühmtesten Sängerinnen/Schauspielerinnen des chinesischen Tonfilms der 1930er und 1940er.[4]

Eine englische Fassung des Filmskripts (übersetzt von Andrew F. Jones) gibt es im MCLC Resource Center.

  1. Stefan Kramer: Geschichte des chinesischen Films (Stuttgart/Wimar: J. B. Metzler 1997) 29.
  2. “Street Angel” in A Brief History of Chinese Film/Ohio-State.edu <abgerufen am 26.9.2013>.
  3. Der Song wurde wiederholt in den Soundtracks von chinesischen und westlichen Filmen verwendet, unter anderem in Lust, Caution (Regie: Ang Lee, 2007), in  Paris, je t’aime (2006) und in New York, I love you (2009).
  4. Kurzbiographie und Filmographie → Internet Movie Database.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/995

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Plunder of Peach and Plum 桃李劫 (1934)

“Plunder of Peach and Plum” (桃李劫 Táolǐ jié)[1] von Regisseur Ying Yunwei (1904-1967) aus dem Jahr 1934 war einer der ersten abendfüllenden Tonfilme Chinas  Der Film wurde bei der Viennale 1991 in der Reihe “Filmland China” gezeigt und war Teil der Retrospektive The Secret History of Asian Cinema” bei den 62. Filmfestspielen in Venedig (2005).

Ein Schulleiter liest in der Zeitung das Todesurteil über einen seiner früheren Lieblingsschüler. Er besucht ihn in der Todeszelle, wo Tao Jianping auf seine Hinrichtung wartet. Tao erzählt, was schief gelaufen ist – angefangen vom Tag seines Abschlusses.

Plunder of Peach and Plum (1934)

Plunder of Peach and Plum (1934)
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Tao  hatte Li Lilin geheiratet und begonnen, bei einer Spedition zu arbeiten. Er verlor seinen Job, weil er zu ehrlich war, um die ständigen Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen hinzunehmen. Während er – zunehmend verzweifelt – nach neuen Jobs sucht, beginnt Li, als Sekretärin zu arbeiten.  Die Lage der beiden bessert sich, als Tao einen Job bei einem Bauunternehmen findet. Diese Entspannung währt nur kurz, denn Tao verliert auch diesen Job, weil er sich weigert, gegen Sicherheitsbestimmungen zu verstoßen. Wenig später wird Li von ihrem Vorgesetzten sexuell belästigt. Sie kann im letzten Moment entkommen – doch der Vorfall treibt einen Keil zwischen das Paar.

Tao muss Arbeiten im Niedriglohnbereich annehmen, das Paar muss immer wieder umziehen, weil die Wohnungne zu teuer werden. Nach der Geburt ihres Kindes stürzt Li über eine Treppe und bleibt schwer verletzt liegen. Um für ihre Versorgung aufkommen zu können, bitte Tao um einen Vorschuss, der ihm verweigert wird. Tao stiehlt das Geld, doch Li stirbt wenig später. Nach ihrem Tod rutscht Tao immer weiter ab. Er kann das Kind nicht mehr versorgen und gibt es in einem Waisenhaus ab. Bei seiner Rückkehr nach Hause wird er von der Polizei erwartet, die ihn wegen des Diebstahls festsetzen will. Er versucht zu fliehen, bei der Verfolgungsjagd kommt ein Polizist ums Leben – wofür Tao auch zur Verantwortung gezogen wird. Er wird zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Der Film endet mit dem “Graduation Song” [biye ge 畢業歌], dessen Text[2] von Tian Han 田漢 (1898-1968) geschrieben wurde, die Musik ist von Nie Er 聶耳 (1912-1935). Das Lied ermutigt die Studierenden, die Elite der Gesellschaft zu werden – aber auch als ironischer Kommentar zu Taos Schicksal gelesen werden kann.[3].

Der Titel des Films - 桃李劫 Táolǐ jié – spielt mit Mehrdeutigkeiten, denn táo 桃 (auch: Pfirsich) und   李 (auch: Pflaume) sind die Familiennamen der beiden Hauptfiguren. Zusammen gelesen, steht táolǐ 桃李劫 für besonders begabte Schüler.[4]

  1. Auch: The Fate of the GraduatesLes Malheurs de la jeunesse.
  2. Chinesischer Text: 《毕业歌》, englische Übersetzung: Laikwan Pang: Building a New China in Cinema: The Chinese Left-wing Cinema Movement, 1932-1937 (London etc.: Rowman & Littlefield 2002), 81.
  3. Zum Film u. a.: Laikwan Pang: Building a New China in Cinema: The Chinese Left-wing Cinema Movement, 1932-1937 (London etc.: Rowman & Littlefield 2002), 80 f.; Tan Ye/Yun Zhu: Historical Dictionary of Chinese Cinema (Plymouth: Scarecrow Press 2012), 124 f.
  4. “[...] (fig.) disciples méritants, distignués, qui répondent aux soins dont ils sont l’objet, proposés pour les charges publiques. Disciples; élèves. [...] (Grand Dictionnaire Ricci de la lange chinoise, Bd. V, S. 868 (Nr. 10548).)

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/902

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Queen of Sports 体育皇后 (1934)

In 体育皇后 Tǐyù huánghòu (“Queen of Sports”) aus dem Jahr 1934 erzält Regisseur Sun Yu 孫瑜 (1900-1990) die Geschichte der Sprinterin Li Ying zwischen sportlichen Erfolgen und der Oberflächlichkeit der ‘besseren Gesellschaft’ Shanghais.

体育皇后 Queen of Sports (China, 1934)

体育皇后 Queen of Sports (China, 1934).

Sun Yu [1] gehörte zu den führenden linken Filmregisseuren Shanghais der 1930er Jahre. Er hatte in Beijing und in den USA studiert und war einer der wichtigsten Regisseure der  Lianhua Film Company (Liánhuá yǐngyè gōngsī 聯華影業公司), der sich mit sozialkritischen Dramen einen Namen gemacht hatte. “Queen of Sports”, der den Durchbruch für Lí Lìlì 黎莉莉 (eigentlich Qián Zhēnzhēn 錢蓁蓁, 1915-2005), zeichnet ein positives Bild der modernen chinesischen Frau – losgelöst von der üblichen Darstellung der ‘Heldinnen’ im chinesischen Film.

Lin Yin (dargestellt von Li Lili), reist nach Shanghai, um sich dort an einem College einzuschreiben. Mit großer Disziplin erarbeitet sie sich sportliche Erfolge – bis hin zu nationalen Meisterschaften. Durch ihre sportlichen Erfolge wird sie zu einer Berühmtheit und findet Zugang zu den ‘oberen 10.000′ – doch dadurch vergisst sie die wahren Ideale des Sports. Der Film, dessen Buch Sun 1933 schrieb, ist von sowjetischen Filmen stark beeinflusst – er erzählt eine Geschichte von sportlichem Erfolg und den Versuchungen, denen sich ‘Stars’ ausgesetzt sehen.

  1. Zur Biographie: Li Cheuk-To: “A Gentle Discourse on a Genius: Sun Yu”, in: Cinemaya: The Asian Film Magazine, Vol. II (1991), 53-63, Zhang  Yingjin/Xiao Zhiwei. “Sun Yu”, in Encyclopedia of Chinese Film (1998), 324f

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/843

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Wanderstudent – studentisches Filmprojekt auf Spuren des vorchristlichen Norwegens

Heute soll hier auf ein studentisches Projekt ganz besonderer Art aufmerksam gemacht werden. Unter der Überschrift Wanderstudent hat sich eine Gruppe junger Skandinavistik-Studierender aus Berlin gefunden, um der Frage nachzugehen, welche Spuren der vorchristlichen, “heidnischen” Zeit heute noch in Norwegen zu finden sind. Die Studierenden haben sich das Thema eigenständig gesucht und ein privates Tutorium aufgezogen, um sich den Stoff zu erarbeiten. Seit Mitte Juli sind sie nun in Norwegen unterwegs und wandern den alten Pilgerweg nach Nidaros (heute: Trondheim), um ihrem faszinierenden Thema auf eigenen Füßen nachzuspüren.  Einen Eindruck von der Idee hinter dem Projekt liefert der selbstproduzierte Imagefilm (etwas lang für einen Trailer vielleicht, aber schön gemacht!) auf dem YouTube-Kanal des Vorhabens:

Es geht neben der wissenschaftlichen Thematik bei dem Filmprojekt auch um die Selbsterfahrung, und ich muss zugeben, über diesen Aspekt bin ich mindestens genauso gespannt wie über den rein inhaltlichen. Nach einem Jahr Vorbereitung und intensiven Wandertraining in den letzten Monaten ist die Truppe jetzt irgendwo in der norwegischen Natur und haben auf dem Projektblog bisher auch einen Zwischenstandsbericht hinterlassen. Häufigere Statusmeldungen gibt es auf der projekteigenen Facebook-Präsenz. Dank der großzügigen Hilfe durch den Computer- und Medienservice der Humboldt-Universität ist die Truppe mit guten Kameras ausgestattet und wird auch in der Postproduktionsphase die Schnittplätze und weiteres Gerät nutzen können. Die verschiedenen Dozenten unseres Instituts stehen den Studierenden mit Rat und Tat zur Seite und es gibt jede Menge logistischer Unterstützung.

Ich finde, sich seit dem 2. Semester im B.A.-Studium einem solch ambitionierten und komplexen Gebiet zu widmen und dann auch noch das Wagnis einzugehen, ohne viel vorherige Erfahrung einen Dokumentarfilm über diese Forschungsreise zu drehen, nötigt einem Respekt ab! Wer das auch findet und den ein oder anderen Euro übrig hat, kann das Projekt auf einer eigenen Crowdfunding-Seite finanziell unterstützen. Ich bin schon mal gespannt auf die Erlebnisse der Gruppe und wie der Film am Ende sein wird! Als einer der Mentoren der Gruppe werde ich auch hier gelegentlich über Fortschritte dieses Projekts berichten.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1668

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“Blonde Venus” auf Chinesisch? Shennü 神女 [The Goddess] (1934)

Shénnǚ 神女 (The Goddess”/”Göttinnen”) aus dem Jahr 1934 gehört zu den bedeutensten Filmen Chinas seiner Zeit. Der Film war einer der ersten von Regisseur Wu Yonggang  吳永剛 (1907-1982) – und einer der letzten der Hauptdarstellerin Ruan Lingyu  阮玲玉 (1910-1935).

Shennü 神女 | The Goddess (1934)

Shennü 神女 | The Goddess
(Regie: Wu Yonggang, 1934)

Shénnǚ 神女 proträtiert eine junge Frau (dargestelllt von Ruan Lingyu) im Shanghai der 1930er. Sie muss sich selbst und ihren Sohn Shuiping durchbringen und verdingt sich als Sexarbeiterin. Eines Nachts flieht sie vor der Polizei und landet eher zufällig bei einem Spieler (dargestellt von Zhang Zhizhi 章志直 (1901-1970)), der sie versteckt und fortan als sein Eigentum betrachtet. Er droht damit, ihr ihren Sohn wegzunehmen, wenn sie nicht ihr Geld abliefert. Es gelingt ihr jedoch, Geld hinter einem losen Ziegelstein zu verstecken.

Als ihr Sohn etwa 6 Jahre alt ist, meldet sie ihn in einer Schule an. Die Eltern der anderen Kinder finden bald heraus, dass sie Sexarbeiterin ist. Sie beschweren sich und verlangen, dass Shuiping der Schule verwiesen wird. Der Schulleiter besucht die Mutter und erkennt, beeindruckt von ihrer Entschlossenheit, dem Sohn um jeden Preis ein besseres Leben zu ermöglichen, dass er Shuiping nicht für die unglückliche Lage der Mutter bestrafen kann. Die Schule ist damit nicht einverstanden, deshalb tritt der Schulleiter zurück und Shuiping wird der Schule verwiesen.

Die Mutter entscheidet sich, mit Shuiping zu fliehen und an einem Ort zu gehen, wo niemand die Vergangenheit kennt, neu anzufangen. Sie nimmt den Ziegel aus der Wand und will das Geld nehmen, doch der bösartige Spieler hatte ihr Versteck entdeckt und das Geld gestohlen. Sie verlangt ihr Geld, was er verweigert. Sie schlägt ihn im Streit mit einer Flasche und tötet ihn. Dafür wird sie zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Der Schulleiter besucht sie und verspricht ihr, sich um Shuiping zu kümmern. Sie bittet ihn, ihrem Sohn zu sagen, seine Mutter wäre tot, um ihm die Schande zu ersparen. Der Film endet damit, dass das Leben des Sohnes vor dem geistigen Auge der Mutter abläuft.

Shénnǚ gilt als chinesische Fassung von Josef von Sternbergs Blonde Venus (1932) mit Marlene Dietrich in der Hauptrolle. Doch anders als bei Sternberg steht im chinesischen Streifen nicht die Selbsverwirklichung der Frau im Vordergrund. Shénnǚ stellt die Liebe einer Mutter für ihren Sohn in den Vordergrund. Sie opfert sich auf, verdingt sich gar als Sexarbeiterin und nimmt ihr Schicksal hin, in der Hoffnung, dem Sohn ein besseres Leben zu ermöglichen.

Der Film besticht durch die Darstellungskraft von Ruan Lingyu  阮玲玉 (1910-1935), einer der herausragenden Schauspielerinnen ihrer Zeit.[1] Ruan hatte sich kurz nach der Veröffentlichung von Shénnǚ 神女 das Leben genommen – und wurde so “zu einer Repräsentantin der unterdrückten Frauen und Vrkämpferin für mehr Menschlichkeit und ein gerechteres Gesellschaftssystem [...]”[2] Ihr Leben erzählt der Film Ruǎn Língyù 阮玲玉 (“Centre Stage”, Hong Kong 1992[3] ) von Stanley Kwan. Maggie Cheung [張曼玉 [Cheung Man-Yuk/Zhāng Mànyù] wurde für ihre Darstellung der Ruan Lingyu bei der Berlinale 1992 mit dem Silbernen Bären als Beste Darstellerin ausgezeichnet.

  1. Zur Biographie: Richard J. Meyer: Ruan Ling-Yu: The goddess of Shanghai. (Hong Kong: Hong Kong University Press 2005).
  2. Stefan Kramer: Geshcichte des chinesischen Films (Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler 1997) 27.
  3. Ruan Lingyu in der IMDb

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/849

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06. Benjamin und das Ereignis im Zeitalter seiner technischen Multiplizierbarkeit

Per Fingerdruck in die Ewigkeit

Neulich im Zoo, Abteilung für Fische, Reptilien, Amphibien und ähnliches: Menschen, die vor Aquarien und Terrarien stehen, ohne auf die Tiere selbst oder wenigstens auf die sie einsperrende Glasscheibe zu sehen, sondern beständig den Bildschirm ihres Smartphones anstarren und ein Foto nach dem anderen schießen, möglicherweise auch den einen oder anderen Kurzfilm drehen. Ich erwische mich bei einer viel zu naheliegenden kulturpessimistischen Reaktion: Warum, um Himmels willen, muss man bei einem Zoobesuch Zierfische, Stabschrecken oder Tiefseequallen fotografieren, anstatt sie einfach nur anzusehen? Was macht man zu Hause mit diesen Dutzenden von Bildern – außer löschen, um danach neue unsinnige Bilder zu knipsen?

Bevor mich die nicht mehr ganz frische Überzeugung vom Untergang des Abendlandes endgültig in ihre Krallen bekommt, fällt mir dankenswerterweise noch ein, dass ein anderer Beobachter sich hätte fragen können, warum man sich als halbwegs reflektierter Mensch in eine Institution namens „Zoologischer Garten“ begibt, um dort in naturidentischen Mikrobiotopen Tiere zu betrachten, die in diesem Gefängnis nun wirklich nichts verloren haben. Mein Verhalten gibt also nicht minder Anlass zu Stirnrunzeln und Kopfschütteln.

Um hier aber nicht in thematisch unüberschaubare Gefilde wie Mensch-Tier-Beziehungen zu geraten, bleiben wir zunächst bei den Alltags- und Alles-Fotografen. Die Existenz dieses Phänotypus ist nun alles andere als eine aufregende Beobachtung, schließlich haben entsprechende Bildgebungstechniken schon ein paar Jährchen auf dem Buckel. Womit wir es aber in der jüngeren Vergangenheit zu tun haben, ist das exponentielle Wachstum der fotografischen Bildproduktion durch die Unabhängigkeit vom Fotoapparat. Man muss schon seit einer kleinen Weile keine unhandliche Kamera mehr mit sich herumschleppen, man kann einfach den Apparat zücken, der früher vor allem ein Telefon war, um das gewünschte Foto zu machen. Die beständige Verfügbarkeit – lediglich gebremst durch die Akkulaufzeit – lädt ein zum Dauerknipsen. Die Frage, die mich dabei interessiert, kann man in gut Benjaminscher Manier stellen: Welche Rückwirkungen hat diese Vervielfältigung der Möglichkeiten bildlicher Dokumentation auf unser Verständnis von Geschichte und ihren Ereignissen (S. 12)?

Abgesehen von der Frage, wie sehr wir uns auf ein Leben vor und durch den Bildschirm einlassen wollen, muss ich wohl neidlos anerkennen, dass all die Fotografierer und Videografierer, all die Dokumentaristen ihres eigenen Alltags ein wesentlich tiefer gehendes Verständnis von Geschichte haben als ich. Sie arbeiten nämlich mit Hochdruck am Projekt der Auto-Historisierung, der durchgehenden und umfassenden Überlieferung ihres eigenen Lebens – das höchstwahrscheinlich nichts „Historisches“ (im Sinne von „Außergewöhnliches“) aufzuweisen haben wird, außer der Überlieferung selbst. Unzählig viele Menschen sind genau in diesem Moment dabei, an ihrer eigenen Unsterblichkeit zu basteln, indem sie ihr Dasein bildlich fixieren. Auch das hat schon Walter Benjamin in seiner eigenen Gegenwart beobachtet: Man kann sich mit einem Fingerdruck in die Ewigkeit katapultieren (S. 131). Die Kamera im Mobiltelefon potenziert diese Möglichkeiten nochmals um ein Vielfaches, weil sich der Weg zwischen Objektsichtung, Aufnahme und Veröffentlichung auf ein Minimum reduziert hat.

Sofern sich das Problem der dauerhaften Datensicherung halbwegs in den Griff bekommen lässt – schließlich sind elektronische Speichermedien für eine längerfristige Archivierung denkbar ungeeignet –, werden zukünftige Historiker/innen in einem unüberschaubaren Ozean umfassend dokumentierter Lebensläufe baden können. Hier entsteht eine eigene Parallelüberlieferung zur offiziösen und institutionell kontrollierten Geschichtsschreibung der Mächtigen. Die Geschichte des Alltags könnte in gänzlich neue Dimensionen vorstoßen, weil die Vielen eben nicht mehr nur stumme Objekte der Historiographierung derjenigen sind, die sich (auch überlieferungstechnisch) besser organisieren können, sondern die technischen Möglichkeiten ihnen eigene Stimmen und Perspektiven verschaffen. „Jeder heutige Mensch kann einen Anspruch vorbringen, gefilmt zu werden.“ (S. 32) Und sei es auch nur beim Bestaunen von Zierfischen.

Nachgemachte Ereignisse

Ebenso dürften künftige Historiker/innen bei der Sichtung dieses Materials aber feststellen, dass sich in den autobiographischen Bilderstrecken von der Wiege bis zur Bahre nicht nur der widerständige Eigensinn eingenistet hat, sondern dass hier zugleich machtgesättigte Diskurse für ihre eigene Reproduktion und Multiplikation sorgten. Und da kann ich den Kulturpessimisten in mir nicht ganz zum Schweigen bringen. Denn werden nicht massenhaft diejenigen Ereignisse als Ereignisse festgehalten, die zuvor schon als Ereignisse apostrophiert und inszeniert wurden? Was sieht man denn inzwischen bei Krönungsfeierlichkeiten, Staatshäupterbegegnungen, Sportwettkämpfen oder Prominentenauftritten außer einem Wald von hochgereckten Handys? Die Zuschauerschar wird nachdrücklich auf die „historische“ Ereignishaftigkeit eines Geschehens hingewiesen, um es dann brav für den privaten Rahmen zu reproduzieren und im Netz zu multiplizieren. Was als nächstes geschehen wird, ist immer schon längst geschehen, weil in hinreichendem Maß durch eine ausgefeilte Inszenierung geplant. Ereignisse werden gemacht – und nachgemacht. Der große historische Auftritt, minutiös im Vorhinein einstudiert, wird tausendfach aus jeweils individuellen, zugleich gänzlich stromlinienförmigen Blickwinkeln festgehalten. Ereignisse werden (und sind) damit in einem kaum noch steigerbaren Maß selbstreferentiell, weil in den Medien vorkommt, was in den Medien vorkommt.

Bei Ereignissen, denen die Menschen nur noch durch ihre Handy-Kameras beiwohnen, ohne das Geschehen selbst zu betrachten, ist diese Aufmerksamkeit für die Notwendigkeit der historischen Archivierung mit Händen zu greifen: Hier bestätigt sich die Bekanntheit des Bekannten, hier öffnet sich das Fenster zur öffentlichen Multiplizierbarkeit. Im Moment, in dem „es“ geschieht (was immer „es“ auch ist), sieht man „es“ schon durch die mediale und damit auch historische Bedeutsamkeit suggerierende Vermittlung des eigenen kleinen Taschenbildschirms: Mama, wir sind im Fernsehen!

Die Körnung der Ereignisse

Aber wie schon Benjamin wusste: „Die Ausrichtung der Realität auf die Massen und der Massen auf sie ist ein Vorgang von unbegrenzter Tragweite sowohl für das Denken wie für die Anschauung.“ (S. 17) Es sind mithin nicht nur die inszenierten Ereignisse, die auf ihre Multiplikatoren wirken, sondern es sind ebenso die Multiplikatoren, die nun Ereignisse erzeugen – und nicht selten völlig ungeahnte.

Die Vervielfältigung der Möglichkeiten bildlicher Dokumentation demokratisiert das historische Ereignis. Es lässt sich nicht mehr absehen und nicht mehr kontrollieren, wann ein Ereignis zu einem solchen wird. Und unerwünschte Ereignisse lassen sich inzwischen auch schwerer unterdrücken. Die Planbarkeit von Historischem entzieht sich zumindest teilweise dem Zugriff der Machthaber. Die allzeit bereiten Bildaufzeichnungsgeräte, die im Stile eines fotografierenden Revolverhelden in Sekundenschnelle gezückt werden können, sind auch überall dort, wo eigentlich nichts passieren sollte. Ereignisse lassen sich von unten machen. Das mag gänzlich Unspektakuläres betreffen, wenn private Videos via Youtube eine Aufmerksamkeit erhalten, die sie überhaupt erst zu Ereignissen machen. Das betrifft aber auch gravierendere Geschehnisse wie Demonstrationen, Proteste, Aufstände oder Kriege – man sehe sich nur die Dokumentation des arabischen Frühlings an –, wenn das Fehlen anderer Beobachter die Handy-Kamera zur dokumentarischen Macht werden lässt.

Mit Blick auf die Presse im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts hat Benjamin davon gesprochen, dass immer mehr Lesende inzwischen zu Schreibenden werden (S. 32f.). Aufs Historische übertragen, kann man feststellen, dass immer mehr Ereignisrezipienten zu Ereignisproduzenten werden. Die fernsehbebilderten Abendnachrichten sind deutlich geprägt durch das Informationsmaterial von (nicht selten unfreiwilligen) Amateurkorrespondenten. Es vergeht kaum eine Sendung, in der nicht ein privates Foto oder ein verwackelter Videomitschnitt Verwendung finden. Naturkatastrophen, Unfälle oder Anschläge – mit anderen Worten, all die plötzlich eintretenden Dinge, die nicht schon als pünktlich terminierte Ereignisse angekündigt und vorbereitet worden waren, werden zum Tummelfeld der Knipser und Filmer. Diese Bilder in eher schlechter Auflösung und mit zu geringer Pixelzahl, diese verwackelten Videos, bei denen man zuweilen vor allem sieht, dass man nichts sieht, außer plötzlich explodierenden Farben, kombiniert mit einem wilden Stimmengewirr auf der Tonspur, können dem Geschehen wieder etwas Anarchisches zurückgeben. Auch wenn es sich zumeist um wenig erfreuliche Vorgänge handelt, um Tod und Zerstörung, so halten diese Bilder doch auch eine historische Lehre parat: Die Körnung der Bilder verweist auf die Körnung der Ereignisse. Sie zeigen uns die Unschärfe des Plötzlichen.

[Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Kommentar v. Detlev Schöttker, 3. Aufl. Frankfurt a.M. 2012]


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Quelle: https://achimlandwehr.wordpress.com/2013/05/05/06-benjamin-und-das-ereignis-im-zeitalter-seiner-technischen-multiplizierbarkeit/

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