Du musst Caligari finden!

Ein Interview mit Werner Sudendorf zu einem der wohl berühmtesten expressionistischen Stummfilme der 1920er Jahre: Das Cabinet des Dr. Caligari

Interview bearbeitet von Diana Kühndel

Werner Sudendorf ist Sammlungsleiter der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen Berlin. Anlässlich der Wiederaufführung des expressionistischen Stummfilms „Das Cabinet des Dr. Caligari“ 2014 bei der Berlinale wurde er von Studentinnen des Seminars Filmedition der Freien Universität Berlin interviewt. Das Seminar Filmedition im Masterstudiengang Editionswissenschaft an der FU Berlin wurde von Dr. Anna Bohn geleitet.

 

Herr Sudendorf, erst einmal vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, für ein Gespräch über die Sammlung in der Kinemathek und natürlich über „Caligari“ zur Verfügung zu stehen. Wie und was sammelt man denn hier überhaupt?

Was gesammelt wird, das bestimmen zum einen Angebot und Nachfrage. Das heißt, es gibt Leute, die uns anrufen und sagen, wir haben das und das und möchten Sie das haben? Das ist sehr viel mehr geworden seit dem Umzug der Deutschen Kinemathek an den Potsdamer Platz im Jahr 2000. Uns [die Deutsche Kinemathek, Anm. D.K.] gibt es ja seit 50 Jahren, ich bin hier seit 32 Jahren. Das ist sehr viel mehr geworden, seitdem das Filmmuseum im Jahr 2000 eröffnet wurde. Dann gibt es Leute, die z.B. die Illustrierten Filmkuriere bzw. die Illustrierte Filmbühne gesammelt haben und das wird dann hier abgegeben, damit das auch in Zukunft seinen Wert behält. Von diesen Programmserien haben wir sehr viele Nummern. Es gibt auch Leute, die uns Fotos bringen, einfach Personen, die mit Nachlässen zu tun haben von Vater, Großvater oder wem auch immer, und dafür einen sicheren Platz suchen. Das sind die kulturell interessierte Menschen, die uns auch als Hilfestellung brauchen. So entscheiden wir manchmal, wenn uns eine Person interessiert, von der wir wissen, die hat im Film lange Zeit gearbeitet oder sehr erfolgreich gearbeitet, ob wir Hilfe bei der Bewältigung des Nachlasses anbieten. Viele sind mit der Hinterlassenschaft ihrer Verwandten überfordert und freuen sich, wenn sich ein Museum dafür interessiert.

Manchmal wird aber auch eine Ausstellung – wie aktuell zu Friedrich Wilhelm Murnau (1888-1931), dessen Geburtstag sich zum 125. Mal jährt – ausgearbeitet, und dazu wird dann recherchiert und vorhandenes Material ausgewertet[& Publikation von Sudendorf u.a.]. Man muss auch stets recherchieren, wer die Rechte z.B. an Bildmaterial, das gezeigt werden soll, verfügt. Die Kinemathek hat ein sehr umfangreiches Fotoarchiv und erweitert stets die Sammlung, was als Institution leichter fällt als wenn man ein Privatsammler wäre. Im Grunde aber ist die Erwerbungspolitik nach zwei einfachen Prinzipien aufgebaut: Interesse (das heißt, wir interessieren uns für eine bestimmte Zeit, ein Thema, eine Person) und Recherche. Wer nicht recherchiert, wer nicht fleißig ist, dem kommt das Glück auch nicht zur Hilfe – ganz einfach. Und auch das Glück – oder nennen wir es den Zufall – ist ein sehr verlässlicher Partner.

Drittens haben wir noch die Langzeitperspektive. Das heißt, Sachen, die ich vor zehn Jahren oder noch länger begonnen habe, kommen jetzt langsam zur Reife. Zum Teil tauchen auch bei verschiedenen Auktionen immer wieder einmal interessante Materialien oder Nachlässe auf, aber zum Ankauf fehlt uns [der Deutschen Kinemathek, Anm. D.K.] meistens das Geld. Die Eigentümer von filmrelevanten Unterlagen wollen „umworben“ und in ihrer Person wahrgenommen werden.

Häufig ist es aber zunächst ein Hinweis, dem man nachgeht und manchmal kommen dann tatsächlich neue Dokumente zum Vorschein.

Und wie war es bei „Caligari“? Wie wurde das Drehbuch gefunden?

Das ist eine ganz lange Geschichte. Also, sie beginnt zu der Zeit, als ich in Paris lebte, irgendwann in den 1970erJahren, und dort in einer Buchhandlung ganz viele Jahresbände der Tageszeitschrift „Filmkurier“ sah. Diese Tageszeitschrift war die wichtigste deutsche Filmzeitschrift von 1919 bis 1945. Gero Gandert war immer hinterher, diese Zeitschrift zu kaufen. Gero Gandert ist der Seniorkurator hier. Ich habe ihn angerufen und mitgeteilt: „Diese Zeitschrift gibt es hier, kostet so und so viel“, und er ist nach Paris gekommen. Als er ankam und wir in diese Buchhandlung gingen, war die Zeitschrift weg, weil die Verkäufer nicht wollten, dass Deutsche das kaufen –  nehme ich an. Das war natürlich eine herbe Enttäuschung. Unter anderem haben wir dann Lotte Eisner, die französische Filmkritikerin und Filmhistorikerin, besucht. Gero Gandert sprach mit ihr über seine Passion, Drehbücher zu sammeln und fragte sie, „Wissen Sie vielleicht, wo das Drehbuch von Caligari ist?“ Und sie sagte: „Ja, nach meiner Information müsste das bei Werner Krauß am Mondsee sein.“ Das hat sie auch schon immer in den sechziger Jahren gesagt. Dann ist Gandert wieder zurückgekommen, hat Frau Krauß angerufen und tatsächlich, das Drehbuch war da. Nach eingehenden Gesprächen mit Frau Krauß ist das Drehbuch nach Berlin gekommen (Abb. 1). Der Zustand des Drehbuchs war in Ordnung, also das war nicht irgendwie zerfleddert oder sowas, es war auch nicht bestückt, also es war nicht mit Eintragungen usw., was man sonst gern hätte.

Das Drehbuch zu „Das Cabinet des Dr. Caligari“ Foto: Teja Häuser, Quelle: Schriftgutarchiv Deutsche Kinemathek Berlin, Archivsignatur: SDK 9245

Abb. 1: Das Drehbuch zu „Das Cabinet des Dr. Caligari“
Foto: Teja Häuser, Quelle: Schriftgutarchiv Deutsche Kinemathek Berlin, Archivsignatur: SDK 9245

Quelle: http://filmeditio.hypotheses.org/335

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Robert Siodmak Retrospektive: Kopienrückschau (1) – Weimarer Republik

Die letzte umfangreiche Robert Siodmak Retrospektive in Deutschland vor der Retrospektive im Zeughauskino im Deutschen Historischen Museum (01. April bis 29. Juni 2014) fand anlässlich der Berlinale 1998 statt. In keiner Werkgruppe sind ihre Nachwirkungen so sichtbar wie bei den Filmen Siodmaks, die in der Weimarer Republik entstandenen sind. Für die Berlinale-Retrospektive wurden mehrere Filme restauriert oder es wurden neue Kopien hergestellt die nun auch im Zeughauskino gezeigt werden konnten:

Menschen am Sonntag: Kopie der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen; 1997/98 restauriert von der Deutschen Kinemathek und dem Nederlands Filmmuseum (heute EYE), auf Basis einer holländischen Nitrokopie und Materialien aus weiteren Archiven; vgl. dazu: MENSCHEN AM SONNTAG (1929/30) – Eine Fallstudie.

Abschied: Kopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung; 1998 neu vom Originalnegativ gezogen.

Jim, der Mann mit der Narbe: Kopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung; 1998 vom Originalnegativ gezogen und ergänzt um den aus einem Dup-Positiv aus den Beständen des Staatlichen Filmarchivs der DDR (SFA) stammenden ersten Akt, der im Originalnegativ nicht überliefert ist.

Stürme der Leidenschaft in der mit Musik unterlegten stummen italienischen Verleihfassung: Kopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung; 1998 von einem Dupnegativ der italienischen Fassung aus dem Bestand der Fondazione Cineteca Italiana gezogen. Von der deutschen Fassung von Stürme der Leidenschaft ist in der Deutschen Kinemathek ein Fragment überliefert, es stammt aus der Sammlung Fidelius und wurde ebenfalls 1998 umkopiert.

Brennendes Geheimnis: Kopie des Bundesarchiv-Filmarchiv; 1998 wurde eine Neukopierung in Auftrag gegeben, auf dem Festival lief aber eine ältere Kopie aus den Beständen des SFA. Im Zeughauskino konnte nun eine sehr schöne und offenbar kaum gespielte Kopie gezeigt werden, vermutlich die 1998 in Auftrag gegebene.

Die Kopien von Quick (DIF) und Voruntersuchung, von denen leider keine restaurierten Fassungen existieren, stachen umso mehr heraus. Vor allem im Fall von Voruntersuchung wäre eine Restaurierung sehr wünschenswert. Ein oberflächlicher Vergleich der Benutzungskopien der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und des Bundesarchiv-Filmarchivs legt nahe, dass beide vom selben schlechten Ausgangsmaterial und nicht allzu sorgfältig umkopiert wurden. Vor allem die Kopie des Bundesarchivs ist teilweise flau, beide haben mitunter einen stark körnigen Dup-Charakter mit einem Hang zum Ausbrennen, wobei die Kopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung noch ein wenig kontrastreicher ist und letztendlich auch im Zeughauskino gespielt wurde.

Mit Kopien in gutem Zustand konnten auch die französischen Sprachversionen von Voruntersuchung (Autour d’une enquête) und von Stürme der Leidenschaft (Tumultes) präsentiert werden.

Autour d’une enquête: Kopie der Archives françaises du film du CNC (Bois d’Arcy), vermutlich in den 1990er Jahren von einem gut erhaltenen Nitromaterial umkopiert.

Tumultes: Sendekopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung; als Vorlage für eine Fernsehausstrahlung wurde die Kopie etwas heller kopiert als gewöhnlich, dafür war sie nahezu ungespielt.

Quelle: http://filmeditio.hypotheses.org/192

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