"Zurück in die Zukunft". Das Motto der Blogparade zum Wissenschaftsbloggen ist für 2015 trefflich gewählt. Hoverboards wie im gleichnamigen Film (2. Teil) wird es in diesem Jahr wohl nicht geben (die bisher entwickelten Modelle kommen dem "Original" aus dem Film bisher nicht sehr nah), von einem fliegenden DeLorean ganz zu schweigen, aber auch ein geisteswissenschaftliches Blogportal und die Publikation von wissenschaftlichen Artikeln im großen Stil im Internet war 1985, dem Ausgangsjahr der Zeitreisen von Emmett L. Brown und Marty McFly, bzw. 1989, dem Erscheinungsjahr vom 2. Filmteil, Utopie.
Der Start von de.hypotheses vor bald drei Jahren hat irgendwann auch dezidiert mediävistische Wissenschaftsblogs auf den Plan gerufen. Die Umstände waren günstig und wir nutzten im Dezember 2012 schließlich diese Gunst der Stunde und gründeten das Mittelalterblog, das wir von Beginn an mit thematisch wie teilepochal übergreifendem und interdisziplinärem Anspruch betreiben, auch wenn wir besonders letzteren natürlich erst nach und nach einlösen. Und wir sind absolut nicht die Einzigen in der mediävistischen Blogsphäre: Selbst wenn wir den Blick auf den deutschen Sprachraum eingrenzen und erfolgreiche Blogs wie das seit 2008 bestehende kanadisch-britische medievalists.net ausblenden, macht die Vielfalt mediävistischer Unternehmungen in der "Blogosphäre" Hoffnung: "Heraldica Nova", das Freiburger Blog zum "Mittelalter am Oberrhein" und das Seminarblog "Mediävistik auf dem Ameisenpfad" sind nur drei Beispiele für (vorwiegend) mediävistisch ausgerichtete Blogs, die neben dem Mittelalterblog in den letzten drei Jahren entstanden sind.
Um zwei der vorgeschlagenen Punkte aus dem Aufruf zur Blogparade aufzugreifen: Wie schaut es inzwischen mit der Anerkennung in "unserem" Fach aus, was hat sich getan? Ist Qualitätssicherung der Schlüssel zur Anerkennung und, wenn ja, wie weit sollte sie gehen, wo sollte sie - beim Bloggen und vielleicht auch nicht nur dort - aufhören?
Mareike König machte den Anfang bei der Blogparade #wbhyp: "Wissenschaftsbloggen - quo vadis? Vier Aufrufe und zwei Lösungen". Ihr Aufruf Nummer 2 lautet: "Vergesst die wissenschaftliche Anerkennung von Blogs!" Gemeint sind an dieser Stelle vor allem Blogs, auf denen einzelne Wissenschaftler, zumeist aus dem akademischen Nachwuchs, selbst publizieren, denn das dürfte die Mehrzahl der Blogs auf de.hypotheses betreffen. Dies hat Christoph Schöch zu einem überaus positiven Erfahrungsbericht über die "Anerkennung fürs Bloggen? Eine Geschichte über die Eigendynamik des Digitalen" bewegt, der Anne Baillots beinahe resignierenden Beitrag "Auf einer Skala von 1 bis 10, so naja" schön kontrastiert. Anerkennung von Selbstpublikationen kann also durchaus erfolgen. Und ist es wirklich etwas völlig Anderes, wenn ein etablierter Wissenschaftler nur mit akademisch kreditwürdigem Namen und guten Kontakten bewaffnet beschließt, ein Buch zu schreiben, das dann von einem Verlag bei entsprechendem Druckkostenzuschuss auch ohne peer review veröffentlicht wird? Warum sollte die Anerkennung gefährdet sein, wenn nicht bei einem Verlag, sondern in einem eigenen Blog publiziert wird – bei fachwissenschaftlicher Expertise? Per se erfolgt Anerkennung doch erst nach erbrachter Leistung, also in der Rezension der schon gedruckten oder im Peer Review der zur Veröffentlichung eingereichten wissenschaftlichen Arbeit. Das Problem scheint eher zu sein, dass i.d.R. nur auf monographischer Ebene rezensiert wird, einzelnen Aufsätzen widmen sich Rezensenten üblicherweise nur in Sammelbänden, aber auch dort nur kurz und die Besprechung eines Blogartikels ist bisher für viele herkömmliche Rezensionsorgane, gedruckt wie online, undenkbar (es gibt mindestens eine Ausnahme, s.u.). Die Alternative zur klassischen Rezension bieten übrigens die Blogs selbst: mit der Kommentarfunktion!
Doch dies nur am Rande. Wie steht es um die Anerkennung von Wissenschaftsblogs in der Mediävistik jenseits der besprochenen Selbstpublikationen? Nicht schlecht, wahrlich nicht schlecht! Die eingangs genannte Vielfalt ist symptomatisch: es gibt inzwischen eine ganze Reihe Blogs und auf diesen naturgemäß noch viel mehr Wissenschaftler/innen, die sich dort online mit dem Mittelalter und seiner Rezeptionsgeschichte befassen. Und hinter nicht wenigen Blogs steckt eine einschlägige Institution, nicht wenige der Blogger/innen – denn genau das sind die Fachleute dann nämlich auch –, sind bei einer anerkannten Institution (MGH, RI, DIO) angestellt oder im Fach fraglos etabliert (z. B. Werner Paravicini, Martin Bertram, Anette Löffler). Man verstehe das bitte nicht falsch: wir halten solch einen Background keineswegs für notwendig. Aber das Phänomen zeigt, dass Fachvertreter mit verschiedenstem akademischen Hintergrund und unterschiedlichster Position sich vor dem Wissenschaftsbloggen nicht scheuen. Sei es zur Kommunikation, sei es zur Publikation. Das ist de facto eine Form von Anerkennung im Fach, meinen wir.
Doch da ist mehr. So konnte etwa Evina Steinova, die sich auf dem Mittelalterblog schon mehrfach karolingerzeitlichen Handschriften im Detail widmete, den ersten ihrer "Carolingian Critters" in der Zeitschrift Anglo-Saxon England in erweiterter Form veröffentlichen und ihr früherer Blogpost wird demnächst im „Deutschen Archiv“ angezeigt. Ferner bekundete eine bekannte Reihe bei unserer Übersetzerin Christina Franke Interesse an der Publikation ihrer Übertragung der Historia Occidentalis Jakobs von Vitry, die wir seit November 2013 kapitelweise auf dem Blog veröffentlichen.
Vergessen sollte man hier auch nicht, dass sich die Betreiber des RI-Opac entschlossen haben, auch wissenschaftliche Blogartikel für DIE mediävistische Online-Bibliographie zu katalogisieren; dass sich ein Deutsches Historisches Institut in Rom dazu bewegen ließ, einen Workshop zu "Blogs und Social Media für Mediävisten" auch noch unter dem provokativen Titel "Neues Werkzeug des Historikers" (Eine ernste Frage: Was hätte Ahasver von Brandt wohl von Wissenschaftsblogs gehalten?) zu finanzieren; und dass schließlich hinter dem Portal de.hypotheses, auf dem die Mehrzahl der mediävistischen Blogs im deutschen Sprachraum zu Hause ist, eine staatliche Wissenschaftsstiftung steckt, die "das ganze Elend" überhaupt erst ermöglicht hat!
Zu solchen, messbaren Fakten kommt die eigene Einschätzung. Wir haben den ganz persönlichen Eindruck, dass die Akzeptanz von Wissenschaftsblogs im Fach stark zugenommen hat, seit wir uns damit beschäftigen. Man liest uns und man liest die anderen, weit mehr, als wir das noch vor zwei Jahren behaupten konnten. Die kontinuierlich gestiegenen Zugriffszahlen dürften diesen Befund stützen.
Noch ein paar Worte zur Qualitätskontrolle wissenschaftlicher Artikel: Wie von Christoph Schöch in seinem Beitrag zur Blogparade, sei auch hier das von Clay Shirky stammende und u.a. von Hubertus Kohle mehrfach aufgenommene Motto "Publish first - filter later" stark gemacht, ebenso wie Klaus Grafs "Qualität wird überschätzt". Wir denken ebenfalls, dass am Ende der Rezipient, zumal der wissenschaftlich ausgebildete, selbst in der Lage ist, das Filtern zu übernehmen und dass er sowohl den Mut als auch das Recht haben sollte, dies zu tun. Mit der entsprechenden Ausbildung oder Erfahrung lässt sich auch aus "schlechten" Arbeiten Gewinn ziehen. Deshalb braucht es unserer Meinung nach keinen strengen (= blind, double blind) Peer Review. Und wir denken, dass der Anteil wirklich freier Publikationen, die nicht nur im #OpenAccess (dass wir den Gedanken des freien Zugangs zu wissenschaftlichen Publikationen nachdrücklich befürworten, müssen wir hoffentlich nicht eigens betonen), sondern auch möglichst ohne Schranken für die wissenschaftlichen Autor/innen erscheinen können, zunehmen wird, auch wenn es vielleicht noch längere Zeit dauern wird, ehe sich dieses Modell am Ende durchsetzt.
Das Gros aller Publikationen wird ohnehin korrekturgelesen, bevor es zur Veröffentlichung kommt. Von Freunden, von Kollegen, von Redakteuren. In der Rolle der zuletzt genannten, konkret der wissenschaftlichen Redakteure, sehen wir auch die Betreiber von Wissenschaftsblogs und es ist genau diese Funktion, die wir auf dem Mittelalterblog wahrnehmen.
Wenn uns ein neuer Beitrag erreicht – ob nun von uns angefragt oder uns eigenständig angeboten –, liest ihn mindestens eine/r von uns Korrektur, entfernt dabei 1. offensichtliche Tippfehler stillschweigend, verbessert 2. bei aktivierter Änderungsnachverfolgung grammatikalische, orthographische und Interpunktionsfehler, schlägt 3. bei inhaltlichen, d.h. von uns als solchen wahrgenommenen Ungereimtheiten Änderungen, Ergänzungen oder Kürzungen vor. Sollten wir uns in der einen oder anderen Sache selbst völlig unsicher sein, kann notfalls ein/e fachlich entsprechend versierte/r Kollegin/Kollege hinzugezogen werden.
Bisher ist nur einmal der Fall eingetreten, dass wir einen Artikel komplett ablehnen mussten – allerdings nicht auf Grund wissenschaftlicher Bedenken – und wir hatten sonst bisher niemals das Gefühl, gravierend eingreifen und massive Änderungswünsche äußern zu müssen: wir hatten keinen Grund zur Sorge um ein Mindestmaß an wissenschaftlicher Qualität. Wir sind weit entfernt vom klassischen peer review und finden die intensive Arbeit MIT den Autorinnen und Autoren an ihrem Text ohnehin spannender und fruchtbarer.
Fassen wir zusammen und nehmen wir den Aufruf "Vergesst die wissenschaftliche Anerkennung von Blogs!" noch einmal auf: Wir vergessen sie nicht! Denn sie ist längst da und sie wächst. Und das alles ohne wirklichen Peer Review, oh weh!