Frühneuzeit-Info 2011 erschienen

Die neue Ausgabe der Frühneuzeit-Info ist erschienen und enthält auch eine CD-ROM mit einem PDF des ersten Jahrgangs.

Frühneuzeit-Info, 22.2011, Heft 1+2

THEMA: JÜDISCHE STUDIEN

PETER RAUSCHER UND BARBARA STAUDINGER
Einleitung der Herausgeber

REBEKKA VOSS
Jüdische Irrlehre oder exegetisches Experiment? Die Restitution Israels im Denken christlicher Theologen der Frühneuzeit

GIUSEPPE VELTRI
Economic and Social Arguments and the Doctrine of the Antiperistasis in Simone Luzzatto's Political Thought: Venetian Reverberations of Francis Bacon's Philosophy?

BARBARA STAUDINGER
Grenzüberschreitung im Alltag: das Protokoll der Friedberger Juden aus dem Jahr 1629

VERENA KASPER-MARIENBERG
Der Prozess der Hanle Fulda gegen die Vorsteher der jüdischen Gemeinde Frankfurts. Die Wiener Reichshofratsakten als Quelle zur jüdischen Sozial- und Alltagsgeschichte

REINHARD BUCHBERGER
Die "arme Witwe" im Arrest. Ein Steuerpachtvertrag in Oberungarn (1673) und seine Auswirkungen auf die Familie des jüdischen Pächters Israel Markovics

SVJATOSLAV PACHOLKIV
Die Politik des aufgeklärten Absolutismus und die Judengemeinden Galiziens

SZYMON KAZUSEK
Die Handelsbeziehungen Krakauer Juden mit der Habsburgermonarchie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts


AUFSÄTZE

STEFAN HANSS
Per la Felice Vittoria. Venezianische Reaktionen auf die Seeschlacht von Lepanto (1571)

GÁBOR ALMÁSI UND PAOLA MOLINO
Nikodemismus und Konfessionalisierung am Hofe von Maximilian II.

STEPÁN VÁCHA
Die Adelskapellen in der Marienkirche zu Altbunzlau. Altarausstattung und Stiftungen im 17. Jahrhundert

STEFAN ALBL
Donatellos Sakramentstabernakel in der Schatzkammer von Sankt Peter

ANDREA MAGLIO
Le Guglie. Denkmäler des neapolitanischen Barock zwischen Kunst und Religion

FRANZ MATSCHE
"Le Comte du Luc" und Joseph Emanuel Fischer von Erlach. Zum französischen Kunsttransfer nach Österreich im 18. Jahrhundert


LITERATURBERICHTE

BUCHREZENSIONEN

Gerhard Friedrich Müller: Ethnographische Schriften I. (Kathrin Philipps); Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats, Serie I: Alte Prager Akten, Serie II: Antiqua (Peter Rauscher); Peter Rauscher (Hg.): Kriegführung und Staatsfinanzen. Die Habsburgermonarchie und das Heilige Römische Reich vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Ende des habsburgischen Kaisertums 1740 (Hans Körbl); André Thieme (Hg.): Die Korrespondenz der Herzogin Elisabeth von Sachsen und ergänzende Quellen. Erster Band: Die Jahre 1505 bis 1532 (Harald Kufner); Robert Rebitsch: Matthias Gallas (1588–1647). Generalleutnant des Kaisers zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Eine militärische Biographie (Renate Schreiber); Hans Vlieghe: David Teniers the Younger (1610–1690): A Biography (Renate Schreiber); Holger Zaunstöck (Hg.): Gebaute Utopien. Franckes Schulstadt in der Geschichte europäischer Stadtentwürfe (Jörg Garms)

ROBERT REBITSCH
Der Teutsche Krieg – ein europäischer Konflikt. Neue Literatur zur politischen Geschichte und zu Personen des Dreißigjährigen Krieges

JAN KILIÁN
Der Dreißigjährige Krieg in der tschechischen Geschichtswissenschaft (2000-2010)

FRIEDRICH POLLEROSS
Geistliche Fürstentümer. Neuerscheinungen zur Repräsentation der Fürsterzbischöfe von Salzburg in der Frühen Neuzeit

MARTIN POZSGAI
Zu einigen neueren Publikationen über das Belvedere in Wien


VERANSTALTUNGEN

RONNY KAISER
Buchkulturen des deutschen Humanismus (1430-1530). Netzwerke und Kristallisationspunkte. Tagung des Interdisziplinären Zentrums "Mittelalter - Renaissance - Frühe Neuzeit", Berlin, 9. bis 12. März 2011

ASTRID DRÖSE ET.AL.
Humanistische und vernakulare Kulturen der aemulatio in Text und Bild (1450-1620). Tagung, Ludwig-Maximilians-Universität München, 15. bis 17. April 2010

ROSTISLAV SMÍSEK
Adel in Südwestdeutschland und in Böhmen ca. 1450 bis 1850. Symposium in Sigmaringen, 13. bis 15. Mai 2010

ANNE MARISS
Verflochtene Lebenswelten. Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit, Stuttgart, 4. bis 6. November 2010

GERNOT MAYER
"Bronzino. Pittore e poeta alla corte dei Medici". Ausstellung im Palazzo Strozzi in Florenz, 24. September 2010 bis 23. Jänner 2011

GERNOT MAYER
"L’una delle meraviglie di Roma, e del mondo". Ausstellung "Palazzo Farnese. Dalle collezioni rinascimentali ad Ambasciata di Francia", Rom, 17. Dezember 2010 bis 27. April 2011

MATEUSZ MAYER
Der Bildhauer Lorenzo Mattielli. Kolloquium, Institut für Kunstgeschichte, Wien, 18. bis 20. März 2011

ONDREJ JAKUBEC
The Baroque in Olomouc - Olomouc during the Baroque. Visual Arts and Culture of a Central-European City between 1620 and 1780

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/49589752/

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15 Jahre IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen – Broschürenpräsentation und Fest

Wissen wird gemeinhin als Produktionsfaktor Nummer 1 der Gegenwart und Zukunft hochgelobt. Die damit verbundene Arbeit immer stärker ausgebeutet. Bisher oft als "Geschützter Bereich" im öffentlichen Bewusstsein verankert, greifen heute prekäre Arbeitsverhältnisse in der Wissensarbeit immer mehr um sich. Die Broschüre "Wissensarbeit: Prekär: Organisiert" wählt diese Entwicklung als Ausgangspunkt. Der Titel hat mehrere Lesearten: Wissensarbeit wird zunehmend so organisiert, dass Wissensarbeiter*innen durch flexibilisierte Anstellungsverhältnisse, schwammige Kollektivverträge, Studiengebühren, un(ter)bezahlte Arbeit etc. immer prekärer arbeiten.

Eine andere Leseart: Es formiert sich Widerstand gegen diese Prekarisierung. Die (Selbst-)Organisierungen ist allerdings selbst prekär: In universitären Abhängigkeitsstrukturen und gegenseitiger Konkurrenz um knappe Mittel und Stellen ist solidarisches Verhalten nicht unbedingt angelegt. Organisationen wie die IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen sind auch insofern prekär, dass sie zwar gewerkschaftliche Funktionen übernehmen, von den österreichischen Gewerkschaften jedoch de facto keine Unterstützung erfahren. Organisierung passiert im Feld der Wissensarbeit derzeit meist zwischen gewerkschaftlichem Totalversagen und selbstorgansierter Frustration. Ereignisse wie die Mobilisierungen während der Studierendenproteste 2009 verweisen aber auf Möglichkeiten dieser Falle zu entkommen.

Die Broschüre "Wissensarbeit: Prekär: Organisiert" wird zum 15-jährigen Jubiläum der Interessengemeinschaft LektorInnen und WissensarbeiterInnen von der
Interessensgemeinschaft, dem Linken Hochschulnetz, dem PrekärCafé und den Squatting Teachers herausgegeben.

// Broschürenpräsentation und Diskussion
// Mittwoch, 19. Oktober 2011
// Zeit: 18 bis 19:30 Uhr
// Ort: Grete Rehor–Saal, ÖGB-Catamaran, Johann Böhm Platz 1, 1020 Wien
//
// Die Veranstaltung ist Teil des Camps
// „Soziale Bewegungen und Social Media“
// vom 19. bis 20. Oktober 2011 im ÖGB Catamaran
// http://camp.sozialebewegungen.org

// Fest zu 15 Jahren IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen
// Freitag, 21. Oktober 2011, ab 19 Uhr
// Akademie der bildenden Künste, Sitzungssaal, Schillerplatz, 1010 Wien


Download der Broschüre:
broschuere

IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen / Linkes Hochschulnetz / PrekärCafé / Squatting Teachers: Wissensarbeit : Prekär : Organisiert. 15 Jahre IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen, Oktober 2011 (PDF, 2,5MB)

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/43003661/

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Bibliotheken – Eine Ausstellung über ihre Architektur, Geschichte und Zukunft

Bibliothèque nationale de France, site Richelieu (salle ovale)

Jahrhundertelang waren Bibliotheken und Archive die wichtigsten Speicher des Geschriebenen. Vor allem die Bibliotheken waren die zentralen Sammelpunkte für das abstrakte Wissen und die Kondensate menschlichen Denkens. Doch mit dem Web haben diese Einrichtungen eine Konkurrenz bekommen. Man könnte sagen, die Basiliken der Bücher werden unaufhaltsam vom digitalen Basar abgelöst.

Anlass genug, um über die künftige Rolle von Bibliotheken neu nachzudenken. Da kommt die Münchener Ausstellung  Die Weisheit baut sich ein Haus. Architektur und Geschichte von Bibliotheken gerade recht. Sie widmet sich der Geschichte von Bibliotheken zunächst aus architekturgeschichtlicher Sicht.

Dabei lassen sich auch neue Ideen gewinnen, wie Orte aussehen können, an denen Wissen für alle bereitgestellt werden soll. Und am Ende ging ich mit dem Gedanken hinaus, dass nicht nur das Web die Bibliotheken, sondern auch die Bibliotheken das Web verändern werden.

1. Versuche, die Welt zu ordnen

Diderot - Œuvres complètes, éd. Assézat, XIII - 175

Die schematische Darstellung der menschlichen Wissensgebiete der Enzyklopädisten wurde oft zum Modell einer Bibliotheksordnung erkoren

Die erste Abteilung der Ausstellung macht dem Besucher klar, wie intensiv sich der Architekt (seltener: die Architektin) einer Bibliothek mit der „Ordnung der Dinge“ (Michel Foucault)  auseinandersetzen muss. Natürlich haben die „Baumeister“ der Bibliotheken viele praktische Probleme zu lösen: Licht, Zugänge, Deckenbelastungen. Aber die Architektur der Bibliotheken ist von Beginn an eng mit dem Welt- und Menschenbild der Bauherren und Architekten in ihrer Epoche verzahnt. Das kommt schon in den Raumkonzepten oder in den  Bildprogrammen zum Ausdruck.

Bibliotheken versuchen dabei nicht nur den jeweils aktuellen Kenntnisstand zu erfassen und zu ordnen, sie weisen auch immer über ihre Zeit hinaus. Man könnte sagen, Bibliotheksbau ist immer eine Weltinterpretation oder eine Weltaneignung mit einem Fahrplan wohin die Reise gehen soll und einer Idee, wie diese Reise zu organisieren ist. Der Bibliotheksbau ist ein ganz besonderer Erkenntnisweg für die Beteiligten.  Wenn man beispielsweise als Architekt des 17. Jahrhunderts davon ausgeht, dass die Welt einer göttlichen Ordnung entspricht, dass sie ein „Kosmos“ ist, den es zu entdecken gilt, dann wird der Bau einer Klosterbibliothek zur Gottsuche.

Ich glaube, dass die anhaltende Attraktivität von Bibliotheken – gerade die der modernen und bürgerlichen – viel damit zu tun hat, dass sie verallgemeinerbare Utopien zum Ausdruck bringen. Man findet zumindest in den in Bibliotheken seit dem Mittelalter mehr als nur Wissen. Man muss sich nur umsehen.

In jedem Fall eröffnet sich ein interessantes Forschungsgebiet für diejenigen, der sich ideologiekritisch an das Thema heranwagen. Und dieses Forschungsgebiet ist sogar sehr relevant, weil sich täglich Milliarden von Menschen in der größten Bibliothek der Welt – dem Web – aufhalten. Diese digitale Bibliothek nutzen und ergänzen sie jeden Tag, verändern und ordnen sie; wenn auch nicht mit den Methoden der Bibliothekare der Papier-Bücher. Hier wird jeden Tag konkret bestimmt, was Wissen ist, was wichtig und was aufhebenswert. Dieser Gedanke schwingt bei Blick auf die historischen Bibliotheken in dieser Ausstellung immer mit.

Das Web aktualisiert damit die alte Utopie einer umfasssenden Universalbibliothek. Seit der Bibliothek von Alexandria träumt die Menschheit von einer kompletten Sammlung des Wissens, zumindest träumt sie davon, Zugriff auf dieses Wissen an einem einzigen Ort zu haben. Doch das wurde spätestens mit  Erfindung des Buchdrucks völlig unmöglich. Das rapide Anwachsen des globalen Buchbestands hat noch jeden Versuch, diesen an einem Ort verfügbar zu machen, ad absurdum geführt.

Schon Gottfried Wilhelm Leibniz Leibniz (1646-1716) erwog in der Not die Einrichtung einer „Kernbibliothek“ mit den wichtigsten Werken. Paul Otlet (1868 – 1944) und Henri La Fontaine (1854 – 1943) gründeten 1894 das Mundaneum, das bis 1930 über sechzehn Millionen bibliographische Einträge aufwies. Und auch Vannevar Bush (1890 – 1974) griff mit dem Hypertext-Konzept Memex die Idee auf, dass man den Wissensbestand der Menschheit wenigstens verzettelbar machen könnte.

Und nun scheinen diese Utopien des Vollzugriffs über das Web wirklich erreichbar. Dabei könnte man aus der langen Geschichte der Bibliotheken den Schluss ziehen, sich nicht mit Vollständigkeitsvorstellungen und der Suche nach universalen Ordnungsmustern zu belasten. Es ist einfach sinnvoller, die Wissensproduktion in Bewegung zu denken. In diesem Sinn will die heutige Bibliotheksordnung vor allem „praktisch“ sein. Winfried Nerdinger plädiert in der Aufsatzsammlung zur Ausstellung für eine dynamische, stets in Bewegung befindliche und der Bibliothek angemessene Ordnung (S. 31).

Bei der Betrachtung der dynamischen Wissensproduktion und der Bücherbewegungen sind nicht zuletzt die Lücken interessant. Worüber wird nicht gesprochen? Welches Wissen wird nicht in Büchern festgehalten und bereitgestellt? Welche Disziplinen und Themen treten wann und warum in den Hintergrund? Was ging dabei verloren? Die wissenschaftlichen Ordnungsversuche und Lernprozesse sagen erstaunlich viel über die Gesellschaft, über Kulturen und Klassen einer Epoche aus. Damals wie heute.

2. Weltaneignung und kulturelle Hegemonie


Der zweite Teil der Ausstellung ist sicher der visuell interessanteste. Hier rekonstruieren Baumodelle und erstklassige Aufnahmen die Entwicklungsgeschichte von Bibliotheken seit der Antike. Nur langsam entwickelte sich aus Archiven erste Bibliotheken.

Auch wenn der Fokus der Ausstellung auf der Baugeschichte liegt, erfährt man vor allem in der Aufsatzsammlung immer wieder Interessantes in Nebensätzen. Die Palastbibliothek des Assyrischen Herrschers Assurbarnipal (668-627 v.Chr.) hatte den Zweck, sich die Kultur der unterworfenen Babylonier anzueignen (S. 263). Auch in Rom waren größere Büchersammlungen zuerst Beutestücke aus Kriegen im Osten. Die Geschichte von Bibliotheken erweist sich nicht selten als Geschichte einer Sammlung von Herrschaftswissen, ist Ergebnis von Beutezügen oder Aneignung fremder Kulturgüter – von der Antike bis heute.

Im europäischen Mittelalter waren Bücher vor allem Gebrauchsgegenstände. Sie wurden dort aufgestellt, wo sie täglich benötigt werden. Die Idee, mit Bibliotheken ein kulturelles Gedächtnis zu schaffen, entwickelte sich in der frühen Neuzeit. Es entstanden Kloster-, Universitäts- oder Fürstenbibliotheken. Sie dienten unter anderem der Repräsentation der Auftraggeber, brachten ihren Herrschaftsanspruch und ihre Ordnungsvorstellungen zum Ausdruck.
Bibliothek.Admont gesamt

Das machen nicht zuletzt die barocken Kloster-Bibliotheken deutlich. Sie wurden als palastartige Anlagen geplant und waren im Unterschied zu ihren mittelalterlichen Vorläufern zentrale Gebäude im gesamten Bau-Ensemble.

Heinfried Wischermann meint allerdings in seinem Aufsatz, Barockbibliotheken wären gar keine Demonstration der Macht gewesen. Die Bücherbestände der barocken Klosterbibliotheken hätten einerseits eine praktische Funktion für Studium, Seelsorge, Predigt und Schule gehabt. Sie wurden andererseits als „Heilmittel“ für „Gemüths-Kranckheiten“ und „für die Seele“ betrachtet. (S.113) Ich glaube Wischermann hat recht, wenn er darauf drängt, in der Interpretation nicht zu kurz zu springen. Aber sein Hinweis provoziert gleich weitere Fragen: Heilmitttel wovon? Aus welchen Verhältnissen konnte man dort ausbrechen? Welche Funktion haben Klosterbibliotheken im 18. Jahrhundert? Im Zeitalter von Konfessionskriegen und Aufklärung? Die historischen Gegenbewegungen bleiben wie so oft ausgeblendet.

Es ist eine Schwäche der Ausstellung, dass die sozial- und kulturgeschichtlichen Einordnungen sehr blass bleiben. In der Aufsatzsammlung scheinen zwar Zusammenhänge durch, doch man findet nur wenige Ansatzpunkte, welche Auseinandersetzungen die Geschichte der Bibliotheken vorantrieb und welche Rolle die inhaltlich sehr unterschiedlichen Bibliotheken mit ihren jeweiligen Trägern und spezifischen Sammlungsschwerpunkten darin spielten.

Ist das von einer Ausstellung über Architektur auch zu erwarten? Eigentlich schon. Denn die großen Anstrengungen, Bibliotheken zu bauen und betreiben, erklären sich nicht aus der Zeit heraus („in der Zeit des Humanismus“) oder aus der Laune eines Fürsten. Die Errichtung der Laurenziana in Florenz, der Bibliotheca Apostolica Vaticana in Rom oder des Bibliotheksaals im Escorial waren sehr konkrete Maßnahmen in einer anhaltenden Geschichte des Kampfes um kulturelle Hegemonie und politische Herrschaft.

Annahof corvinus stadtbibliothek allein

Nicht zufällig betrat mit dem Annahof in Augsburg die erste öffentliche kommunale Bibliothek die weltgeschichtliche Szenerie (S. 176ff.). Mit dem städtischen Bürgertum waren in der frühen Neuzeit neue Eliten, Kulturen und Klassen entstanden, die sich aus unterschiedlichen Motiven vom Wissensmonopol der Kirche emanzipierten. So auch in Augsburg. Eigene Bibliotheken ermöglichten diese Emanzipation. (Die Bedeutung der Sammlung des Wissens in Bibliotheken für die Rationalisierung der Herrschaft,  für eine effizientere Verwaltung, Ökonomie und Kriegsführung wäre Mal ein eigenes Thema.)

Die frühneuzeitlichen Bibliotheken popularisierten in jedem Fall den Gedanken, dass Wissen ohne Ständeschranken verfügbar sein sollte. Wissen als etwas „Öffentliches“? Nun meinte öffentlich in der frühen Neuzeit nur für das Bürgertum zugänglich, und es bedeutete schon gar nicht im Besitz der Öffentlichkeit. Dennoch werden die Traditionslinien bis zur heutigen Auseinandersetzungen um „Open Access“ im Web erkennbar: Hier wurde ein Programm formuliert, das bis heute nicht realisiert ist.

Und für das Thema „öffentliches Wissen“ ist der Beitrag über die Pluralisierung des Wissens von Dietrich Erben (S.169ff.), aber auch der Beitrag Wissen für alle: Von der Volksaufklärung zur öffentlichen Bibliothek von heute von Peter Vodosek (S.195ff.) lesenswert. Sie setzen sich mit den Entwicklungen in der Neuzeit und Zeitgeschichte auseinander und lenken den Blick weg von den Bildungseliten. Vodosek erinnert unter anderem daran, dass während der Revolution von 1848/49 erstmals die Forderung nach Volksbibliotheken für die breite Masse erhoben wurde. Die später Bücherhallenbewegung griff den Gedanken auf und erweiterte die Forderung, dass Bibliotheken für alle Stände gleiche Inhalte haben müssten. Sie wandten sich gegen eine Zwei-Klassen-Bildung und die Bevormundung durch eine Bildungselite. Und natürlich gehören auch die Arbeiterbildungsvereine um die Sozialdemokratie in die Geschichte öffentlicher Bibliotheken.

3. Ausblick und Zukunft der Bibliotheken im Web 2.0

IKMZ

Der dritte Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit der Zukunft. Hier setzt das Web die neuen Maßstäbe. Das Web ist der Ort, an dem zuerst recherchiert wird. Und es ist der Ort, an dem zuerst publiziert wird. Inhalte, die dort nicht zu finden und zu lesen sind, haben das Problem, überhaupt noch rezepiert zu werden. Deswegen werden Zeitschriften und Bücher digital zur Verfügung gestellt.

Durch die digitale Erschließung der heutigen Bibliotheken wird das Web inhaltlich reicher. Physikalisch müssen auch die digitalen Bücher irgendwo liegen, aber sie sind an keinen räumlichen Aufstellungsort mehr gebunden. Sie sind potenziell überall verfügbar.  Kategorisierungen und Gewichtungen werden nicht von wenigen Bibliothekaren, sondern über einen größeren Kreis engagierter Nutzer vorgenommen.

Für die Zukunft der Bibliotheken aus Stein und Beton sehen Caroline und Johann Leiß drei Trends:

  • Die extrovertierte Bibliothek. Hier verstehen sich die Bibliotheken als soziale Integrationsorte. Ihre Räume bieten sich etwa mit Cafés auch als Location für kulturelle Veranstaltungen (Lesungen, Konzerte, Workshops) an. Dort ließen sich beispielsweise auch Zukunftswerkstätten organisieren.
  • Die introvertierte Bibliothek. Als Gegenwelt zur Konsumgesellschaft schließt dieser Typus an eine jahrhundertelange Tradition des Umgangs mit dem Buch an. Lesen und stille Beschäftigung mit dem Buch stehen hier im Mittelpunkt. Sich vertiefen zu können, ist hier Luxus oder aber auch Befriedigung eines Bedürfnisses nach Einkehr und Orientierung.
  • Die virtuelle Bibliothek. Die Bibliotheken lösen sich von ihrer Örtlichkeit und werden immer mehr zu virtuellen Dienstleistern. In die Lesesäle ziehen Laptops ein. Print und Digital entwickeln ein produktives Nebeneinander.

Es geht also weiter.

LOC Main Reading Room Highsmith

Aber werden die digitalen und nicht-digitalen Bibliotheken dann warenförmig organisiert? Wird der Leser zum Kunden? Gibt es auch im Netz eine Verwertung des Intellectual Porperties? Das sind die Konflikte von heute. Und deshalb werden aktuell wieder Bibliotheken und Sammlungen errichtet. Digitale und nicht-digitale. Freie und unfreie. Und vielleicht steht am Ende dieses Konflikt ein Wertewandel, dass als intellektuelle Leistung nur etwas wert ist, was über die digitalen Bibliotheken überall verfügbar ist und letztlich allen gehört.

Ausstellung: Die Weisheit baut sich ein Haus. Architektur und Geschichte von Bibliotheken. Ausstellung des Architekturmuseum der TU München in Kooperation mit der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin in der Pinakothek der Moderne. 14. Juli bis 16. Oktober 2011.

Der gleichnamige Tagungsband, hg. v. Winfried Nerdinger, erschien im Prestel-Verlag


Einsortiert unter:Ausstellung

Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/09/03/bibliotheken-eine-ausstellung-zu-ihrer-architektur-geschichte-und-zukunft/

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Zur Geschichte des Arbeitsalltags von HistorikerInnen

Habe ich mit Interesse gelesen:

Lingelbach, Gabriele: Ein Motor der Geschichtswissenschaft? Zusammenhänge zwischen technologischer Entwicklung, Veränderungen des Arbeitsalltags von Historikern und fachlichem Wandel, in: zeitenblicke 10, Nr. 1, [09.08.2011], URL: http://www.zeitenblicke.de/2011/1/Lingelbach/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-30174
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Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/38753282/

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Dissertation zur Entfestigung deutschsprachiger Städte

Mit der "Entfestigung" deutschsprachiger Städte, d.h. dem Abreißen der Stadtmauern beschäftigt sich Yair Mintzkers Dissertation, die online zur Verfügung steht:

Mintzker, Yair: The defortification of the German city, 1689-1866. Stanford University, 2009.
http://gradworks.umi.com/33/64/3364507.html
PDF: http://gradworks.umi.com/3364507.pdf

Abstract: "The Defortification of the German City" tells the story of the metamorphosis of German cities from walled to open places.

Down to the eighteenth century, all German cities were fortified places. Since the city was "a coherent [social] body in a protected place," as Johann Justi, a contemporary jurist, defined it, the urban environment had to be physically separated from the surrounding countryside. This separation was crucial to guaranteeing the city's commercial, political, and legal privileges. Fortifications were consequently the sine qua non for a settlement to be termed a town or a city. "Without them no place can be called a town," Justi wrote, "however large and handsomely built it might be."

From 1689 to 1866, most German city walls were demolished. By following the dramatic defortification stories of German cities, the dissertation demonstrates how most defortifications were not the result of urban expansion, as is so often argued, but of political disputes between princes, generals, bureaucrats, and burghers during Germany's transition to the modern era. The dissertation includes both quantitative and qualitative data integrated into a general narrative. Quantitatively, it maps out the process of the demolition of German city walls by analyzing information about the cases of close to a thousand German cities; qualitatively, it follows several case studies and uncovers a wealth of yet unexplored defortification documents from multiple archives, including state memoranda, city council protocols, diaries, novels, poems, plays, and even music.

The dissertation is divided into seven chapters. The first two, "The City and Its Walls" and "A Changing Habitat, 1689-1789," discuss the number, function, and meaning of city walls in eighteenth-century Germany and the first attempts to defortify them. City walls, these chapters argue, were much more than purely military defenses: they were a fundamental element in the definition of the city, an expression of the urban community's "honor" in the world of the Holy Roman Empire. To understand the first defortification waves in Germany, one therefore has to examine what happened to the Empire's political culture in the eighteenth century and how the Empire's decline affected its cities. Chapters Three, Four, and Five, "The Great Defortification Surge, 1789-1815: General Characteristics," "The Forces Without: Munich, Ehrenbreitstein, and Breslau," and "The Forces Within: Frankfurt am Main and Hamburg," discuss the main defortification wave in the German lands during the Revolutionary and Napoleonic Wars. They explore the general reasons for the defortification surge of 1789-1815 and discuss several case studies that demonstrate how the general political upheaval of the period contributed to the metamorphosis of over half of all German cities into open settlements. Finally, the sixth and seventh chapters of the dissertation, "Restoration's Boundaries, 1815-1848" and "A New City, 1849-1866" discuss the fifty years between the Congress of Vienna and the defeat of the Austrian Army at Königgrätz. These chapters demonstrate how the years immediately after 1815 witnessed an attempt to "turn back the clock" on the developments of the Napoleonic Wars and discuss why these attempts were discarded in the wake of the 1848 revolution.

What is at stake in the description of the defortification of German cities transcends the issue of the city walls themselves. "The Defortification of the German City" is first of all German history told from the bottom up: the stories of countless communities, their invasion by external forces, and their varied reactions to the dramatic events around them, from the rise of great territorial states in the eighteenth century, through the experience of French occupation, to the political culture of restoration and Biedermeier Germany. The dissertation also analyzes a new perception of urban and political "spaces" that emerged during the transition to the modern period in Germany, but which was representative of a much larger development. By closely looking at the German national context, the dissertation demonstrates how our modern conception of boundaries, places, and spaces is at once more uniform and more diverse than earlier ones. More uniform in the sense that older divisions, such as the clear physical division between city and countryside, have lost their salience; more diverse in the way other boundaries became more sharply drawn and new political, social, and cultural divisions became more clearly defined.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/38748630/

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