Am 25. und 26. April findet im Rahmen der Tagung #gld14 | Geschichte Lernen digital | Geschichtsdidaktische Medienverständnisse die Podiumsdiskussion Medialität der Geschichtsdidaktik – Wie hält der digitale Wandel Einzug in Geschichtsmedien und Schulbücher? statt. Die dreiteilige Serie Medienwandel | Perspektiven für den Geschichtsunterricht beschäftigt sich mit Lernmedien für den Geschichtsunterricht nach dem gedruckten Schulbuch.

Der Medienwandel an den Schulen kommt. Klassenzimmer sind bislang eines der letzten (zumindest vorwiegend) „analog“ arbeitenden Biotope einer sich im digitalen Wandel tiefgreifend verändernden Gesellschaft. Obwohl seit langem über Lernen mit digitalen Medien gestritten wird, hat sich das Lernen mit dem gedruckten Schulbuch oder Arbeitsblättern bis heute weitgehend behauptet – noch.
Das kann sich ändern, wenn in absehbarer Zeit alle Schüler/innen statt mit einem Stapel Schulbücher mit einem mobilen digitalen Gerät (möglichst mit großem Display und Tastatur) in die Schulen kommen. [1] Bei der Umstellung auf „digital“ geht es aber nicht vorrangig darum, dass bisher gedruckte Schulbücher in digitalisierter Form gelesen werden. Der technisch bedingte (und zunächst gar nicht didaktisch begründete[2]) Wandel stellt Unterricht besonders dann vor neue Herausforderungen, wenn Schüler/innen in Zukunft im Klassenzimmer immer online sein können. Die sich im Netz darbietenden realitätsnahen, entgrenzten, offenen – aber (nach Stand der Dinge) zugleich auch unüberschaubaren – Lernräume eignen sich gut für exploratives Lernen.
Die meisten Lehrer/innen halten solche Vorstellungen für gewöhnungsbedürftig. Sie schätzen das praxistaugliche „Leitmedium“ Schulbuch mit seinen linearen, kohärenten und auf Lernprogressionen aufbauenden Lernarragements. Und tatsächlich finden sich vergleichbar strukturierte Lernangebote im Internet bislang nur selten.
Deshalb stellt der Medienwandel die einzelnen Schulfächer und Fachdidaktiken vor zwei Fragen: Was kann mittels digitaler Netzmedien in Zukunft wie – und anders – gelernt werden? Und: Wie können die Eigen- und Errungenschaften des „Leitmediums“ Schulbuch ins digitale Zeitalter übersetzt werden? Dieser (als Serie angelegte) Beitrag will Perspektiven für den Geschichtsunterricht aufzeigen.
Schreibmaschine, Münztelefone, Quelle-Katalog oder Schallplattenspieler – die Rote Liste vom Aussterben bedrohter „analoger Arten“ ist in den letzten Jahren länger geworden. Zugleich wird heute mehr getippt, telefoniert, bestellt und Musik gehört denn je. Digitale Geräte und das Internet werden vor allem dort genutzt, wo Alltagspraktiken vereinfacht, verbilligt und verbessert werden. Im digitalen Wandel wird auch mehr gelesen und geschrieben. Studien zur Mediennutzung machen zwar deutlich, dass die Nutzung klassischer Printmedien wie Buch oder Zeitung rückläufig ist. Durchschnittlich aber verbrachten die Bundesbürger 2013 knapp drei Stunden im Internet, die 14-29jährigen sogar fast vier Stunden. Zugleich geht der Fernsehkonsum in dieser Altersgruppe deutlich zurück. Die häufigsten Anwendungen im Netz sind (weit vor Online-Spielen oder dem Abruf von Videos) Lese- und Schreibtätigkeiten.[3] Lesen und Schreiben verändern sich dabei funktional und die rezipierten und selbst produzierten Texte, besonders in den Kommunikationsformaten der Social Media, werden kürzer. Wenngleich die Qualität der Inhalte von Texten in digitalen Formaten hinter gedruckten Texten tendenziell zurücksteht, so gehen Forschungen zum Leseverhalten dennoch davon aus, dass der digitale Wandel die allgemeine Lesekompetenz eher fördern hilft.[4]
Für schulischen Unterricht stellt sich die entsprechende Frage: Kann – wenn Schüler/innen Zugriff auf ein digitales Gerät und das Internet haben – besser gelernt werden? Während Bücher und Zeitschriften wohl noch lange nicht aussterben, haben sich erste Printformate bereits überlebt: nicht nur der Fahrplan der Bundesbahn, sondern z.B. einst hoch angesehene Institutionen wie der Brockhaus. Ob das gedruckte Schulbuch mittelfristig ein Kandidat für die analoge Rote Liste wird, entscheidet sich weniger darüber, ob bisher gedruckte Lehrwerke auf einem Display gelesen werden, denn darin liegt (bis auf die Einbindung verstärkt multimedialer Anwendungen) kein nennenswerter Vorteil.
Das Internet bietet – und hier sind digitale Geräte den analogen Lernmedien überlegen – eine Vielzahl neuer Möglichkeiten zur Recherche und z.B. für kooperatives und kollaboratives Lernen (hierzu demnächst Teil 3 über die neuen Potenziale des Geschichtslernens mit digitalen Geräten und dem Internet). Allerdings sollte der Stab über die „alte Dame“[5] des gedruckten Schulbuches nicht zu schnell gebrochen werden. Gelegentlich werden gedruckte Lehrwerke hier, digitale Medien dort gegeneinander ausgespielt, quasi als ob jeder Griff zum Buch rückwärtsgewandte Didaktik bedeutet bzw. umgekehrt „moderner“ Unterricht nur noch digital gehe. Gute Schulbücher, die sich seit dem 18. Jahrhundert entwickelt haben, sind eine bildungsgeschichtliche Errungenschaft und spiegeln jeweils aktuelle fachdidaktische Standards wider. tbc.
demnächst: Teil 2 über das „Leitmedium“ Schulbuch, seine Bedeutung für den Geschichtsunterricht und das Geschichtslernen sowie die Frage, was es braucht, die Funktionen des Schulbuchs in digitale Lernräume zu übersetzen
[1] Fragen, wie eine solche Ausstattung finanziert werden kann (etwa durch eine Umwidmung von Lernmitteletats), ob z.B. BYOD-Konzepte („Bring Your own Device“) einen geeigneten Lösungsansatz darstellen oder wie soziale Benachteiligungen aufgefangen werden können, sollen hier nicht im Mittelpunkt stehen. Allerdings ist erstens darauf hinzuweisen, dass erstens digitale Geräte immer erschwinglicher geworden sind und dass zweitens (etwa seitens der EU) diese Ausstattung in stärkerem Maße politisch gewollt und gefördert wird. Drittens ist darauf hinzuweisen ist, dass sich eine digitale Ausstattung beispielsweise an den Hochschulen als Standard längst durchgesetzt hat (wobei die Studierenden gemäß des BYOD-Ansatzes die Geräte i. d. R. selbst anschaffen, die Hochschulen insbesondere WLAN und Beamer als digitale Infrastruktur bereit halten). Zuletzt: Auch große Schulbuchverlage setzen inzwischen darauf, dass gedruckte Schulbücher zugunsten digitaler Formate ersetzt werden.
[2] Wenn Didaktiker gerne darauf hinweisen, dass Lernen sich über den didaktischen Sinn und nicht über die Frage etwa der technischen Ausstattung mit Geräten begründen müsse, soll hier die Prämisse verschoben werden. Der digitale Wandel drängt in die Schulen und es ist absehbar, dass die Ausstattung mit einem digitalen Gerät pro Schüler mittelfristig kommen wird (Im Grunde sind die Geräte sogar schon längst da, seitdem Schüler/innen der Sekundarstufen fast flächendeckend über Smartphones und damit „Hosentascheninternet“ verfügen; dieses Potenzial bleibt meist ungenutzt).
[4] Simone C. Ehmig, Lukas Heymann: Die Zukunft des Lesens, In: Christine Grond-Rigler, Wolfgang Straub (Hg.): Literatur und Digitalisierung, Berlin 2013, S. 251-264.
[5] Saskia Handro, Bernd Schönemann: Zur Einleitung. In: dies. (Hg.): Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung, Berlin 22011, S. 3-12, hier S. 4.
empfohlene Zitierweise Pallaske, Christoph (2014): Medienwandel | Perspektiven für den Geschichtsunterricht | Teil 1 | Das Schulbuch auf der Roten Liste analoger Arten? In: Historisch denken | Geschichte machen | Blog von Christoph Pallaske, vom 1.4.2014. Abrufbar unter URL: http://historischdenken.hypotheses.org/2494, vom [Datum des Abrufs].
Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/2494