Science Fiction und Allgemeinplätze der Erinnerungskultur. Genre-atypische Anspielungen auf den Holocaust in Christopher Nolans Interstellar

Heftige Staubstürme fegen über die Erde. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind zu einem trostlosen Agrarstaat geworden, heimgesucht von einer Plage, die nur noch den spärlichen Anbau von Mais zulässt. Um die von Nahrungsengpässen gequälte Bevölkerung zu ernähren, hat der Staat auf Planwirtschaft umgestellt, und in der Schule wird nur noch das Nötigste unterrichtet. Pionier-Errungenschaften, auf die das alte Amerika so stolz war, werden als Propaganda verleugnet. So zum Beispiel die Mondlandung des Apolloprogramms.

Der verwitwete Farmer Cooper (Matthew McConaughey), einst einer der besten Piloten des Landes, wird durch anormale Erscheinungen im Zimmer seiner Tochter auf die Existenz eines geheimen NASA-Stützpunkts aufmerksam. Im Verborgenen werden hier Missionen zu unbekannten Planeten koordiniert, die den Menschen Zuflucht bieten sollen, wenn in absehbarer Zeit die Erde endgültig unbewohnbar sein wird.

Cooper bekommt die Aufgabe, drei Planeten zu untersuchen. Nach einigen irrwitzigen Drehungen und Wendungen – Vorsicht, Spoiler! – gelangt Cooper in eine fünfdimensionale Sphäre, in der Zeit eine physikalische Eigenschaft ist. Vergangenheit und Zukunft sind variabel, so kann er seiner Tochter Zeichen geben, um mit dem im All erlangten Wissen Raumschiffkolonien zu bauen, die es den Menschen erlauben, die Erde zu verlassen und eine amerikanische Kleinstadtidylle in der Umlaufbahn des Saturn zu reproduzieren.

Christopher Nolans jüngster Film über Zeit und Raum, Liebe und Vergänglichkeit ist ein eindrückliches Kinoerlebnis. Der verdrehte Plot wird durch eine überwältigende Visualisierung unterstützt und ist gespickt mit Film- und Literaturzitaten, beispielsweise zu Kubricks 2001: Odyssee im Weltall oder John Steinbecks Früchte des Zorns.

Sind diese Referenzen in einem dystopischen Science-Fiction-Film erwartbar, so bedient sich Interstellar jedoch einiger Tropen, die sich regelmäßig nur in Repräsentationen des Holocaust wiederfinden. Diese genre-atypischen Anspielungen sind vermutlich nicht bewusst mit dem Holocaust im Hinterkopf in den Film aufgenommen worden, sie zeigen jedoch die wirkungsvoller Referenz, die der Holocaust für die Ästhetik und Narration amerikanischer populärer Filme darstellt.

Zwei Anspielungen fallen hier ins Auge: Zu Beginn des Films werden Ausschnitte von videographierten Zeitzeugeninterviews eingespielt. Diese Oral-History-Interviews ähneln den ikonischen Interviews mit Holocaust-Überlebenden, die systematisch seit den späten 1970er Jahren aufgezeichnet werden und vor allem durch Steven Spielbergs Shoah Foundation einem breiten Publikum bekannt gemacht wurden. Diese Interviews, in denen Zeitzeugen als in Würde gealterte Menschen gezeigt werden, die aus der sicheren Retrospektive ihre schreckliche Vergangenheit bezeugen, sind aus unzähligen Dokumentarfilmen bekannt. Sie werden in Museen und im Schulunterricht eingesetzt und zunehmend über das Internet verbreitet.

Erst zum Ende von Interstellar wird den Zuschauern klar, dass es sich auch in diesem Film tatsächlich um Zeitzeugen-Interviews von Überlebenden handelt, die in einem musealen Kontext gezeigt werden. Auf der Raumschiff-Kolonie wurde Coopers alte Farm als Museum nachgebaut, auf der das Leben vor dem Exodus dargestellt wird. Verschiede Installationen von Zeitzeugen-Interviews markieren diesen Ort erst als historisierendes Konzeptmuseum, wie es beispielsweise das U.S. Holocaust Memorial Museum oder unzählige andere Gedenkstätten und Holocaust-Museen sind. Ähnlich wie in den Holocaust-Interviews reflektieren die Überlebenden der Erde aus einer neuen und besseren Welt den Untergang der alten. Anne Rothe bezeichnete das (videographierte) Zeugnis als „Währung der Überlebenden“.[1] Indem Interstellar die Ikonographie der Holocaust-Zeugnisse kopiert, wird das Leiden der Erdlinge in die Währung des Holocaust umgetauscht.

Es gibt noch eine zweite Anspielung. Zum Ende des Films landet Cooper auf der Exilkolonie. Er hat sich allerdings zu lange in der Nähe des Schwarzen Lochs Gargantua aufgehalten, was zu einer gravitationsbedingten Zeitdilatation (Wikipedia) führte – mit der Auswirkung, dass die Menschen auf der Erde schneller alterten als Cooper und seine Kollegen im All.[2] So kommt es zu der kuriosen Situation, dass er als nur unwesentlich gealterter Mann an das Sterbebett seiner 90-jährigen Tochter gerufen wird. Im Krankenzimmer haben sich seine zahlreiche Nachfahren versammelt, unter denen er einer der Jüngeren ist. Abgesehen von dieser beliebten Konstellation eines Science-Fiction-Films steckt in der Zusammenkunft der Überlebenden mit ihren Nachfahren ein Motiv, das regelmäßig in Holocaust-Repräsentationen aufgegriffen wird. So beispielsweise in Schindlers Liste, wo auf die zahlreichen Nachkommen der von Oskar Schindler geretteten Juden verwiesen wird, oder in Interviews der Shoah Foundation, in denen die Zeitzeugen mit ihren (nachgeborenen) Angehörigen zu einem finalen symbolträchtigen Gruppenbild vereint sind. Insbesondere die Kinder und Enkelkinder der Zeitzeugen können so das positive Vermächtnis des Überlebens visualisieren und der Erzählung ein versöhnliches Ende geben. Das Überleben bekommt über das Zeugnisablegen für die Opfer und den Schrecken hinaus einen Sinn, denn es hinterlässt neues Leben, gründet gewissermaßen eine neue Lineage, die den dauerhaften Sieg des Überlebens über den Völkermord symbolisiert. Das Gruppenbild wurde zu einem Markenzeichen der Shoah Foundation, das in annähernd der Hälfte aller Interviews zu finden ist. Eine ganz ähnliche Funktion erfüllt die Familienzusammenführung in Interstellar. Obwohl die Familie auseinandergerissen wurde, hinterlässt sie eine Abstammungslinie und triumphiert so über den Untergang der alten Heimat.

Motive, die sich zur Darstellung des Holocaust etabliert haben, markieren in diesem fantastischen Untergangsfilm das Überleben. Dies verdeutlicht einmal mehr, wie der Holocaust und seine Überlebenden zu einer Chiffre der Popkultur geworden sind, die ihre Schwere und Wirkung aus dem Wissen um das reale historische Ereignis zieht. Die Überlebenden des Holocaust wie auch der Erde in Interstellar verstärken durch ihre Existenz, vor allem jedoch durch ihre Zeugnisse, den Triumph des Guten über das Böse und negieren so die reale wie auch die fiktive Dystopie.

[1] Anne Rothe, Popular Trauma Culture. Selling the Pain of Others in Mass Media, New Brunswick u.a.: Rutgers 2011, S. 29.

[2] Für eine Diskussion weiterer (logischer) Löcher des Films siehe 21 Things In Interstellar That Don't Make Sense oder ein Interview mit dem Regisseur.

Quelle: http://fyg.hypotheses.org/234

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Robert Siodmak Retrospektive: Kopienrückschau (2): Frankreich

Die im Zeughauskino gezeigten 35mm Kopien der Filme, die in der Zeit von Robert Siodmaks Exil in Frankreich entstanden, stammen aus zwei Quellen: Die Archives françaises du Film du CNC, Bois d’Arcy stellten Kopien der von Siodmaks Cousin Seymour Nebenzahl mit seiner Firma Nero Film produzierten Filme Le sexe faible (1933), La crise est finie! (1934), La vie parisienne (1936) und Le chemin de Rio (1937) zur Verfügung, ebenso die Kopie von Mister Flow  (1936). Die Kopien von Mollenard (1938) und Pièges (1939) stammten aus dem 2002 von Gaumont übernommenen Télédis-Bestand.

Die Qualität der CNC-Kopien ist insgesamt sehr gut. Bei La crise est finie! scheint es sich um eine erst vor kurzem gezogene Kopie zu handeln, mit entsprechend exzellentem Bild und Ton. Auch die Kopien von Le chemin de Rio und La vie parisienne sind und optisch und mechanisch sehr gut; leider ist der Ton der Kopie von La vie parisienne sehr schwankend. Vermutlich durch eine Filterung wurde er zwar von Nebengeräuschen gesäubert, leise Passagen sind dadurch aber kaum noch hörbar, während laute Geräusche und Dialoge einwandfrei, beinahe zu sauber, klingen. Die Kopie von Le sexe faible wurde vom beschädigten Originalnegativ umkopiert. Die Schäden betreffen den Ton stärker als das Bild, vor allem im vierten und fünften Akt gibt es massive Störgeräusche (die mitunter ein wenig an einen kreisenden Helikopter erinnern). Die Kopie von Mr. Flow zeigt ein paar Gebrauchsspuren, war ansonsten aber völlig in Ordnung.

Beide Télédis/Gaumont Kopien sind in akzeptablem Zustand, aber weit entfernt von der optischen und mechanischen Qualität der CNC Kopien. Die Kopie von Mollenard ist auf ORWO (!) Material kopiert und hat schöne schwarz/weiß-Werte, wenn auch etwas körnig. Die Kopie von Pièges dagegen ist relativ hell und wenig kontrastreich.

Eine Schwierigkeit bei allen Filmen besteht darin, dass offenbar keine untertitelten Kopien in der oben beschriebenen Qualität existieren. Eine Live-Untertitelung war zumindest für vier Filme möglich, zu Mollenard und Pièges waren zur Berlinale Retrospektive 2013 digitale englische Untertitel angefertigt worden – die dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt wurden – zu La crise est finie! und Mister Flow wurden von SUBS Hamburg deutsche Untertitel für die Retrospektive im Zeughauskino hergestellt.

Quelle: http://filmeditio.hypotheses.org/422

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Schrift als Akteur – Expressionistische Zwischentitel in „Das Cabinet des Dr. Caligari“


Ein Beitrag von Caroline Lura

 

“Du musst Caligari werden”vier kleine Worte machtvoller Suggestion. Anfang des Jahres 1920 in Berlin konnte man sich ihnen kaum entziehen. An Litfaßsäulen, Reklamewänden, in U-Bahnhöfen – überall lachte sie einem entgegen: diese rätselhaft-mysteriöse Aufforderung in expressiver Gestaltung (Abb. 1).

Abb. 1: Kino-Anzeige (1920) zu “Das Cabinet des Dr. Caligari”
Entwurf v. Otto Arpke u. Erich Ludwig Stahl
Quelle: cinegraph.de

Schrift und Bild gelten ja generell eher als disparate Medien. Schrift fixiert, vornehmlich Sinn. Das Bild dagegen bannt Sinnlichkeit und – insbesondere als Film – Dynamik und Bewegung. Und während die Schrift ins Korsett normierter Buchstaben in ihrer linearen Anordnung geschnürt ist, erscheint das Bild in seinen Ausdrucksformen vollkommen frei.

Im Stummfilm finden sich die scheinbar konträren Medien vereint. In Form von Zwischentiteln tritt Schrift dabei meist sorgfältig getrennt von den bewegten Bildern auf. Als statischer Fremdkörper und Zäsur im Fluss der Bilder. Das Auge stolpert: Von der Verfolgung dynamisch sinnlicher Körper abrupt ins Lesen starrer Zeichenketten. Anders jedoch in „DAS CABINET DES DR. CALIGARI“ (1920, Regie: Robert Wiene). Neu und aufsehenerregend war neben der expressionistischen Gestaltung des Stummfilms vor allem auch sein innovativer Schrifteinsatz. Wie das Plakat zum Film bereits andeutet: Hier wird die Schrift zum Bild und das Bild zum Zeichen.

 

Technischer Vorspann: Zur Restaurierung

Fast 20 Jahre nach der letzten Restaurierung (1984) feiert “DAS CABINET DES DR. CALIGARI“ in der restaurierten Fassung der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung (Wiesbaden) und des Restaurierungslabors L’Immagine Ritrovata (Bologna) auf der BERLINALE 2014 Premiere. Die digitale Restaurierung in 4K-Auflösung greift einerseits auf das Kameranegativ aus dem Bundesarchiv-Filmarchiv in Berlin zurück und zieht andererseits alle erhaltenen historischen Kopien aus Filmarchiven weltweit heran.

Was die Zwischentitel anbetrifft, galt lange die 16-mm-Kopie der Deutschen Kinemathek als die einzige Überlieferungsquelle. Es stellte sich jedoch heraus: Das Kameranegativ enthält die meisten Titel als Blitztitel, was eine wesentlich verbesserte Ausgangslage im Vergleich zu den vorherigen Restaurierungen darstellte. Dem Kameranegativ entnommen, wurden die Blitztitel entsprechend ihrer Länge in der ausgefahrenen 16-mm-Kopie verlängert. Da dabei zunächst ein statisches Einzelbild entstand, wurde die Bewegung eines Filmstreifens, der durch einen Projektor läuft, im Nachhinein digital simuliert. Zudem wurde noch die Kornstruktur des Kameranegativs auf die Titel gelegt, sowie das leichte Dichteflackern.

Dynamisch dramatische Zwischentitel

Zusammen ergeben die Texte aus insgesamt 81 Schrifttafeln in „CALIGARI“ etwa eine viertel Stunde Lesezeit, was gemessen an der Gesamtlänge des Films knapp 20% des Filminhalts ausmacht. Besonders im ersten Teil – in der Entfaltung des Plots – wechseln Zwischentitel und Handlungsszenen einander häufig ab. Die Länge der Zwischentitel reicht von obskur-expressiven Einwortsätzen, wie z.B. „Nacht“, „Warten!!!“ und „Er₋ ₋ ₋“, bis hin zu längeren Texten, die, um sie vollständig lesen zu können, von unten nach oben als Rolltitel über die Leinwand laufen. Inhaltlich lassen sich 3 Arten von Zwischentiteln unterscheiden:

  1. Titel mit struktureller Funktion (z.B. Angaben zur Exposition wie „Nacht“, „Heimweg“, „Nach dem Begräbnis“ etc.),

  2. Titel in Form von Kommentaren (z.B. als narrative Erläuterungen wie „In dieser Nacht geschah das erste einer Kette geheimnisvoller Verbrechen“)

  3. Titel mit Dialogpartien

Die Dialog-Zwischentitel, die mit Abstand den größten Teil ausmachen, zeigen oft ein “verschriftlichtes Sprechen”: Gedankenstriche, angedeutete Sprechpausen (“…”), pseudophonetische Schreibweisen (“Herrrrrreinspaziert!”) – hiermit wird Mündlichkeit imitiert. Nur ein erstes Indiz für die angestrebte “Lebendigkeit” der Schriftzeichen in CALIGARI.

Weiteres Auszeichnungsmerkmal der Zwischentitel ist ihre markante graphische Gestaltung. Die Buchstaben in ihren gezackten, unruhigen Formen greifen den Stil der skurril-expressiven Gesamtgestaltung des Filmes auf: Die schräge, kantige Schrifttype entspricht den schiefen Hausfassaden der Setbauten, den aufgemalten Fluchtlinien und ruckartigen Bewegungsabläufen (Abb. 2).

 

Setbauten

Abb. 2: Cesare entführt Jane, Standfoto
(Quelle: Deutsches Filminstitut – DIF, Frankfurt am Main)

Zwischentitel

Abb. 3: Zwischentitel kurz vor Ende des V. Aktes
(Quelle: Wikimedia Commons)

Neben der expressiven Schrifttype fällt auch der Hintergrund der Texte ins Auge. Oft finden sich hier abstrakte Formelemente, die – dem Designansatz der Buchstaben folgend – die Aufmerksamkeit auf die Materialität der Zwischentitel lenken (Abb. 3). Damit steht dann nicht mehr nur die semantische Funktion, sondern auch die sinnlich-materielle Qualität der Zeichen und Formen im Fokus der Wahrnehmung, sodass es den Zwischentiteln gelingt, auch jenseits der Vorstellungsebene der Wörter eine spannungsgeladene und anregende Stimmung zu vermitteln.

Schrift und Bild konvergieren– zum einen in den Schriftzeichen, die zum expressiven Bild werden, zum anderen indem Hintergrund und Schrifttype miteinander korrespondieren und eine bildhafte Wahrnehmung über den wörtlichen Informationsgehalt hinaus stimulieren.

Hinzu kommt noch ein weiteres, spontan eingesetztes Betonungsmittel: ein Flackern des bemalten Hintergrunds. Vor allem bei längeren Zwischentiteln wird dieser Lichteffekt eingesetzt, um den im Vergleich zum szenischen Bild wenig bewegten Zwischentiteln Dynamik und Dramatik zu verleihen – sprich: den Effekt filmischer Bewegung zu simulieren.

Die Zwischentitel in „CALIGARI“ kommunizieren somit auf allen drei medialen Ebenen: schriftlich, bildlich und bewegt-bildlich (filmisch).

 

“Angehende Schriftzeichen” – Fusion von Text und Filmbild

Höhepunkt der Schrift-Bild-Konvergenz – und mit eine der wichtigsten Szenen im Film – ist die mittels eines „Stopptricks“ realisierte Sequenz, in der der Direktor der Irrenanstalt (a.k.a. Dr. Caligari) von seinen Wahnvorstellungen in Form der Schriftzüge “Du musst Caligari werden” geradezu körperlich verfolgt wird.

 

Video: Du musst Caligari werden – Sequenz

(Quelle: Imaginations – Journal of cross-cultural image studies)

Überall sieht er sie projiziert, und wie die Hebel einer Schreibmaschine fallen die Wörter auf den Direktor ein, treiben ihn vor sich her. „Du musst Caligari werden“ – buchstäbliche Prägung in Form animiert-agierender Schriftzeichen. Zunächst im nächtlichen Himmel, dann auf der Außenwand seiner Villa und der Verästelung des Baumes davor; und schließlich verteilt sich im Vordergrund des Bildes der Name „Caligari“ in einer Art scripturalem Crescendo, an dessem Ende dem Direktor seine neue Identität im wahrsten Sinne des Wortes eingeschrieben wird. Die „Caligariwerdung“ des Anstaltleiters erzeugt eine Fusion von Schrift und Bewegungsbild, die in der Filmgeschichte ihresgleichen sucht.

 

Weiterführende Literatur:

  • Christoph Kleinschmidt: Intermaterialität – Zum Verhältnis von Schrift, Bild, Film und Bühne im Expressionismus, transcript Verlag, Bielefeld, 2012

  • Ulrich Johannes eil: Der caligarische Imperativ. Schrift und Bild im Stummfilm, Pandaemonium ger. no.14 São Paulo 2009, online: http://www.scielo.br/scielo.php?script=sci_arttext&pid=S1982-88372009000100002

  • Rudolf Kurtz: Expressionismus und Film (1926), Nachdruck der Ausgabe hrsg. v Christian Kiening, Ulrich Johannes Beil, Chronos Verlag, Zürich, 2007

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: http://filmeditio.hypotheses.org/211

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Robert Siodmak Retrospektive: Kopienrückschau (1) – Weimarer Republik

Die letzte umfangreiche Robert Siodmak Retrospektive in Deutschland vor der Retrospektive im Zeughauskino im Deutschen Historischen Museum (01. April bis 29. Juni 2014) fand anlässlich der Berlinale 1998 statt. In keiner Werkgruppe sind ihre Nachwirkungen so sichtbar wie bei den Filmen Siodmaks, die in der Weimarer Republik entstandenen sind. Für die Berlinale-Retrospektive wurden mehrere Filme restauriert oder es wurden neue Kopien hergestellt die nun auch im Zeughauskino gezeigt werden konnten:

Menschen am Sonntag: Kopie der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen; 1997/98 restauriert von der Deutschen Kinemathek und dem Nederlands Filmmuseum (heute EYE), auf Basis einer holländischen Nitrokopie und Materialien aus weiteren Archiven; vgl. dazu: MENSCHEN AM SONNTAG (1929/30) – Eine Fallstudie.

Abschied: Kopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung; 1998 neu vom Originalnegativ gezogen.

Jim, der Mann mit der Narbe: Kopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung; 1998 vom Originalnegativ gezogen und ergänzt um den aus einem Dup-Positiv aus den Beständen des Staatlichen Filmarchivs der DDR (SFA) stammenden ersten Akt, der im Originalnegativ nicht überliefert ist.

Stürme der Leidenschaft in der mit Musik unterlegten stummen italienischen Verleihfassung: Kopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung; 1998 von einem Dupnegativ der italienischen Fassung aus dem Bestand der Fondazione Cineteca Italiana gezogen. Von der deutschen Fassung von Stürme der Leidenschaft ist in der Deutschen Kinemathek ein Fragment überliefert, es stammt aus der Sammlung Fidelius und wurde ebenfalls 1998 umkopiert.

Brennendes Geheimnis: Kopie des Bundesarchiv-Filmarchiv; 1998 wurde eine Neukopierung in Auftrag gegeben, auf dem Festival lief aber eine ältere Kopie aus den Beständen des SFA. Im Zeughauskino konnte nun eine sehr schöne und offenbar kaum gespielte Kopie gezeigt werden, vermutlich die 1998 in Auftrag gegebene.

Die Kopien von Quick (DIF) und Voruntersuchung, von denen leider keine restaurierten Fassungen existieren, stachen umso mehr heraus. Vor allem im Fall von Voruntersuchung wäre eine Restaurierung sehr wünschenswert. Ein oberflächlicher Vergleich der Benutzungskopien der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und des Bundesarchiv-Filmarchivs legt nahe, dass beide vom selben schlechten Ausgangsmaterial und nicht allzu sorgfältig umkopiert wurden. Vor allem die Kopie des Bundesarchivs ist teilweise flau, beide haben mitunter einen stark körnigen Dup-Charakter mit einem Hang zum Ausbrennen, wobei die Kopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung noch ein wenig kontrastreicher ist und letztendlich auch im Zeughauskino gespielt wurde.

Mit Kopien in gutem Zustand konnten auch die französischen Sprachversionen von Voruntersuchung (Autour d’une enquête) und von Stürme der Leidenschaft (Tumultes) präsentiert werden.

Autour d’une enquête: Kopie der Archives françaises du film du CNC (Bois d’Arcy), vermutlich in den 1990er Jahren von einem gut erhaltenen Nitromaterial umkopiert.

Tumultes: Sendekopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung; als Vorlage für eine Fernsehausstrahlung wurde die Kopie etwas heller kopiert als gewöhnlich, dafür war sie nahezu ungespielt.

Quelle: http://filmeditio.hypotheses.org/192

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Ein filmographisches Mysterium: Ins Blaue hinein

Das Regiedebüt des Kameramannes Eugen Schüfftan, das Leinwanddebüt von Theo Lingen: Ins Blaue hinein heißt dieser Film. Entstanden ist er wahrscheinlich 1930, doch eigentlich weiß man nahezu nichts. Eine 35minütige Tonfilmskizze im Stil von Menschen am Sonntag (1930) an dem Schüfftan als Kameramann beteiligt gewesen war; wahrscheinlich ebenso wie dieser als privat finanziertes Experiment in Angriff genommen, um zu beweisen, dass sich Tonfilm und Außenaufnahmen nicht ausschließen. Öffentlich aufgeführt wurde Ins Blaue hinein womöglich erst zur Berlinale 1998 – umkopiert von einer Nitrokopie, die ein Schweizer Privatsammler im Centre National de la Cinématographie, Service des Archives du Film, Bois d’Arcy, deponiert hatte. Martin Koerber hatte den Filmtitel dort auf einer Liste ungesicherter Nitromaterialien entdeckt, den Film gesichtet, er „war gleich verliebt – ein kleines, unbekümmert frisches Experiment mit Bildern und Tönen, zugleich ‘Querschnittsfilm’ und Schauspielerübung, musikalische Komödie und Kamera-Manifest“ (Koerber). Recherchen ergaben: nichts. Keine Zensurkarte, kein Hinweis in den Zensurlisten oder der zeitgenössischen Presse. Eine Uraufführung in Deutschland ist nicht nachweisbar. Hinweise zur Entstehung und Geschichte dieses Films werden weiterhin gerne entgegengenommen.

Am Freitag dem 4. April 2014 wird die 35mm Kopie der Deutschen Kinemathek im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums in Berlin gezeigt. Notfalls kann man sich den Film auch auf der bei Criterion erschienenen DVD oder Blu-ray People on Sunday anschauen, der Ins Blaue hinein als Bonusmaterial beiliegt.

Ins Blaue hinein, 1930 (?)

Regie: Eugen Schüfftan, Buch: Dr. Herbert Rona, Kamera: Laszlo Schäffer, Ton: Franz Schröter, Musik: Harry Ralton, Musikalische Leitung: Alfred Strasser, Regieassistenz: Dr. Herbert Rona, Darsteller: Toni van Eyck, Karl Balhaus, Aribert Mog, Theo Lingen, Wolfgang Staudte, Franz Stein, Werner Scharf, Alice Iversen, Helene Roberts, Produktion: Prisma-Produktion, Tonsystem: Lignose-Hörfilm, Tonkopie: Fitiko.

Kopie: Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, 966 m

Quelle: http://filmeditio.hypotheses.org/177

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Die Gstettensaga: The Rise of Echsenfriedl

Könnte spannend werden: Montag, 23:45 sendet ORF III Monochroms Film Die Gstettensaga: The Rise of Echsenfriedl.

Der Programmbeschreibung zufolge handelt es sich um eine Sci-Fi-Fantasy-Horror-Groteske über die Mediensphäre der Nachnachkriegszeit:

Die zunehmenden Spannungen zwischen den beiden letzten Supermächten -- China und Google -- eskalieren im frühen 21. Jahrhundert, und enden in der globalen Feuersbrunst der "Google Wars". Doch ehe man sich versieht, erhebt sich eine durchaus neue Welt aus dem Schutt der alten: Die Megacity Schwechat, der größte Zersiedlungsraum in den Ausläufern dessen, was von den Alpen übriggeblieben ist. Dort leben und arbeiten Fratt Aigner und Alalia Grundschober. Fratt und Alalia kennen sich nicht. Bis zu jenem schicksalsträchtigen Nachmittag im Verlagshaus des Medienmoguls Thurnher von Pjölk. Hier beginnt eine Reise voller Gefahren, Kreaturen und prekärer Arbeitsverhältnisse.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/714907924/

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Der “Marsch der Freiwilligen” 義勇軍進行曲: Vom Titelsong eines Films zur Nationalhymne

Fēngyǔn érnü 風雲兒女 ["Sons and Daughters in a Time of Storm" oder "Children of Troubled Times"] aus dem Jahr 1935 erzählt die Geschichte eines Intellektuellen, der sein eher ‘westliches’ Leben aufgibt, um sich im Kampf gegen Japan zu opfern.  Die Handlung basiert auf einer Geschichte von Tian Han  田漢, der seit Anfang der 1930er Mitglied der Kommunisitischen Partei Chinas war, und der kurz nach der Veröffentlichung dieser Geschichte verhaftet worden war. Das Drehbuch schrieben  Tian Han 田漢 (1868-1968) and Xia Yan 夏衍 (1900-1995). Regisseur dieser Produktion der Diantong Film Company (電通影片公司) war Xu Xingzhi. In den Hauptrollen sind Yuan Muzhi 袁牧之 (1909-1978) und Wang Renmei 王人美 (1914-1987) zu sehen. Die Musik zum Film schreib Nie Er 聶耳 (1912-1935).

Fengyun ernü 風雲兒女 (1935)

Fengyun ernü (1935)
Internet Archive

Der Film wäre nicht weiter bemerkenswert, ähnliche Plots finden sich im linken Film der 1930er häufiger, wäre da nicht der Titelsong, gesungen von Yuan Muzhi und Gu Menghe: Yìyǒngjūn Jìnxíngqǔ 義勇軍進行曲 ["Marsch der Freiwilligen", "March of the Volunteers"]. Das Lied, das  in einem Theaterstück erstmals verwendet wurde und 1935 auf einem Album mit anderen patriotischen Musikstücken und Liedern veröffentlicht erschien, wurde gleichsam zur Hymne des Widerstands gegen die japanische Aggression.[1]

Im Februar 1949, kurz nach der Besetzung Beijings durch kommunistische Truppen erklang der “Marsch der Freiwilligen” als (inoffizielle) Hymne bei einer Konferenz in Prag. Im Sommer 1949 wurde im Zuge der Vorbereitung auf die Gründung der Volksrepublik China ein parteiinterner Ausschuss eingesetzt, um eine Hymne auszuwählen. Unter zahlreichen Vorschlägen fand sich auch der “Marsch der Freiwilligen”. Dieser Vorschlag wurde bei der ersten Plenarsitzung der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (Zhōngguó rénmín zhèngzhì xiéshāng huìyì 中国人民政治协商会议) am 27. September 1949 angenommen.[2]

Der ursprüngliche Text wurde wiederholt verändert, um ihn den politischen Verhältnissen anzupassen. In den ersten Jahren der Kulturrevolution wurde die Hymne nicht verwendet, da Tian Han eines der ersten Opfer der Kulturrevolution geworden inhaftiert worden war.[3]. Ab 1969 wurde der “Marsch der Freiwilligen” wieder als Hymne verwendet, 1978 legte der Fünfte Nationale Volkskongress das Lied wieder als Hymne fest, allerdings mit leicht verändertem Text. Zuletzt hob eine Resolution der 5. Session des Fünften Nationalen Volkskongresses vom 4. Dezember 1982 hob die Änderungen auf[4] und stellte die ursprüngliche Version von Tian Han wieder her.

Seit 2004 ist die Hymne in der Verfassung der Volksrepublik China festgeschrieben:

Article 31 The title of the fourth chapter of the Constitution, which reads “The National Flag, the National Emblem and the Capital”, is revised to read “The National Flag, the National Anthem, the National Emblem and the Capital”. And one paragraph is added to Article 136 of the Constitution as the second paragraph, which reads, “The national anthem of the People’s Republic of China is the March of the Volunteers”.[5]

 

  1. S. Chang-Tai Hung: “The Politics of Songs: Myths and Symbols in the Chinese Communist War Music, 1937-1949″. In: Modern Asian Studies , Vol. 30, No. 4, Special Issue: War in Modern China (Oct., 1996) | DOI: http://dx.doi.org/10.1017/S0026749X00016838, 901-929, hier S. 901-903.
  2. S. “Resolution on the Capital, Calendar, National Anthem and National Flag of the People’s Republic of China”  (1949).
  3. In dieser Zeit wurde Dōngfāng Hóng 東方紅 ["Der Osten ist rot"] als inoffizielle Hymne verwendet.
  4. AsianLII: Resolution of the Fifth Session of the Fifth National People’s Congress on the National Anthem of the People’s Republic of China (Adopted on December 4, 1982).
  5. “Amendments to the Constitution of the People’s Republic of China (Adopted at the Second Session of the Tenth National People’s Congress and promulgated for implementation by the Announcement of the National People’s Congress on March 14, 2004).”

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1269

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Das Leben einer Kaiserin im Film: Wu Zetian 武則天 (1939/1949/1963)

Die Kaiserin Wu – eigentlich  Wǔ Zétiān 武則天 (625-705, Wǔ Zhào 武曌 690-705) ist eine der umstrittenen Persönlichkeiten der chinesischen Geschichte – und eine, die immer wieder in der Literatur und in Filmen thematisiert wird.

Wǔ Mèiniáng 武媚娘 war die Tochter eines Kaufmanns, die 637 als Konkubine an den kaiserlichen Hof des Tang Taizong kam. Sie wurde Konkubine des Kronprinzen, des späteren Tang Gaozong. Durch Intirgen und Mordkomplotte beseitigte sie ihre Gegner, um zur Haupfrau aufzusteigen. Nach dem Tod des Kaisers, den sie selbst über Jahre vergiftet hatte, kam einer ihrer Söhne auf den Thron – denn Frauen können nicht das ‘Mandat des Himmels’ empfangen.
Nach mehreren Revolten, die niedergeschlagen wurden, setzte sie sich 690 mit Hilfe buddhistischer Mönche selbst als Wǔ Zhào 武曌 auf den Thron. Ihre Herrschaft war ein ständiger Kampf gegen mögliche Konkurrenten. Durch Krankheit geschwächt, konnte sie ihre Gegner nicht mehr bekämpfen – und wurde Opfer einer Palastintrige der Ex-Kaiserin Wei, der Ehefrau des Zhongzong). Die Regierung der Wǔ Zhào 武曌 war geprägt von  ausgedehnter territorialer Expansiongroßer territorialer Expansion – einerseits nach Zentralasien, andererseits wurde der nördliche Teil der koreanischen Halbinsel Teil Chinas.

Wǔ Zétiān 武則天 wurde in chinesischen Chroniken in einem stark negativen Licht dargestellt. Jüngere Forschungen zeichnen jedoch ein differenierteres Bild.[1]

Empress Wu (1939)

Empress Wu (1939) | Internet Archive

Das Leben der Wǔ Zétiān 武則天 ist Thema zahlreicher Romane chinesischer und westlicher Autorinnen und Autoren,[2] sowie zahlreicher chinesischer  Fernsehserien und Filme.

Der wohl erste dieser Filme entstand 1939: Wǔ Zétiān 武則天 (1939) von Regisseur Fāng Pèilín 方沛霖 mit Violet Koo (Gù Lánjūn  顾蘭君, 1917–1989) in der Titelrolle.
Der Film zeichnet den Weg der Wǔ Zétiān 武則天 von der Konkubine zur Herrscherin nach. Der Film, der im von Japan besetzten Shanghai entstand, war für das Publikum in den von Japan kontrollierten Teilen Chinas bestimmt.[3]

Süäter entstanden zwei weitere Filme mit dem Titel Wǔ Zétiān 武則天 : 1949 der Streifen Wǔ Zétiān 武則天 ["Empress Wu Zetian" mit  Hung Sau-man [kǒng Xiùyún 孔繡雲]) in der Hauptrolle[4] und 1963 Wǔ Zétiān 武則天 ["The Empress Wu Tse-tien"] aus der Produktion des Shaw Brothers Studio mit Li Li-hua [Lǐ Lìhuá 李麗華] in der Titelrolle[5].

  1. S. Dora Shu-Fang Dien, Empress Wu Zetian in Fiction and in History: Female Defiance in Confucian China. (Hauppauge [NY]: Nova Science Publishers, 2003).
  2. U.a.: José Frèches: L‘impératrice de la soie. I La Toit du Monde, II Les Yeux de Buddha, III: L’Usurpatrice (2003), dt. Die Seidenstraße. I. Die Händlerin, II. Die Färberin, III. Die Herrscherin (2003), Shan Sa, Impératrice (2003),  Lin Yutang: Lady Wu. A true story(1957).
  3. Kinnia Shuk-ting Yau: Japanese and Hong Kong film industries : understanding the origins of East Asian film networks (=  Routledge studies in the modern history of Asia, 57; London/New York, N.Y.: Routledge 2010), 20.
  4. “武則天 (1949)” in der Hong Kong Movie Database.
  5. Wǔ Zétiān 武則天 ["The Empress Wu Tse-tien"] in der Internet Movie Database.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1188

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