Häuptling Spotted Elk tot am Wounded Knee, 1890 |
Von Pocken infizierte Nahua (Azteken) |
Sioux-Häuptling Sitting Bull |
Ernte in einem Reservat, 1936 |
Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/05/war-das-ende-der-amerikanischen.html
Geschichtswissenschaftliche Blogs auf einen Blick
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Die Austritte von Renée Schröder und Gunther Tichy aus der Österreichischen Akademie der Wissenschaften haben in der Alpenrepublik eine Diskussion um die politische Ausrichtung dieser Forschungseinrichtung losgetreten. Anton Tantner hat dazu eine historische Notiz geschrieben, in der er die Akademie als “Sturmgeschütz der Reaktion” bezeichnet. Die Gründungsziele dieser Akademien sollte man sich vielleicht einmal genauer ansehen.
Ergänzung: Und in der aktuellen wissenschaftsinternen Debatte geht es um Mitbestimmung und transparente Mittelverteilung. Dabei wird kritisiert, dass ein Großteil der Akademiemitglieder dem Österreichischen Cartellverband angehören. Es werden also sehr konservative Seilschaften bedient. Außerdem sind jüngere Disziplinen strukturell benachteiligt. Eine Renée Schröder meint dann, der Gelehrtengesellschaft der ÖAW gehe es weder um die Förderung von Exzellenz noch um wissenschaftliche Erkenntnisse. Bei allem Respekt, aber ich persönlich habe ja dieses Exzellenz-Gerede echt über. Die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ich kenne, haben keinen elitären Dünkel. Diese Akademien fördern aber genau das und gehören aus meiner völlig aufgelöst. Wir brauchen keine neuen “Exzellenzen”, sondern gar keine.
Für die Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts bedeutete die Korrektion dennoch ein Segen.1 Aus der Sicht Alexa Geisthövels löste sie aber langfristig gravierende Umweltschäden aus.2 In Beiträgen der Landesanstalt für Naturschutz Baden- Württemberg wird die drastische Umgestaltung der Landschaftsstruktur und Naturhaushalt seit Tulla ersichtlich.3 Aus der früheren Wildstromlandschaft ist durch die starke Absenkung des Grundwasserspiegels die „Steppe am Oberrhein“ geworden.4 „Großflächig und dauerhaft breiteten sich Trockenstandorte aus.“5 Stehende Gewässer trockneten aus.6 85% der feuchten Oberrheinauen verschwanden.7 Schon im 19. Jahrhundert wurden große Flächen trocken gelegt und einer landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt.8 Mit dem Verlust an Auenwald, Sümpfen und Feuchtwiesen reduzierte sich auch die Anzahl der Pflanzen- und Tierarten, deren Platz oftmals von „eingeschleppten Arten“ übernommen wurde.9
Eine weitere Denaturierung der Rheinufer erfolgte durch den Bau der Rheintalautobahn, von Kiesgruben und einer Kreismülldeponie.10 Große Industriekomplexe sowie ein Kernkraftwerk auf elsässischer Seite vervollständigen das Bild des modernen südlichen Oberrheins.11 Im ehemaligen Überflutungsraum liegen heute etliche Gemeinden, Industrie- und Verkehrsanlagen oder Abraumhalden.12 Bei Basel und mit seinen Chemiekonzernen beginnt die Verschmutzung des Rheins, die sich mit den elsässischen Industriekomplexen, einschließlich Chemischer Großindustrie und Müllverbrennungsanlagen bei Straßburg/Kehl, fortsetzt.13
Charakteristisch für das deutsche Ufer sind seine großen Wein-, Mais- und Weizenanbauflächen.14 Blackbourn schildert die heutige Oberrheinebene als „blühender Garten“ mit reich kultivierten Feldern. 15 Er sieht aber auch, dass Düngemittel als Abfallsprodukt des „blühenden Gartens“ den Fluss zusätzlich verunreinigten.16 Die winzigen Überreste der alten Auenwälder hingegen verzaubern ihn.17
Die kultivierte Agrarlandschaft der südlichen Oberrheinebene bewegt viele deutsche Autoren zu einem wehmütigen Rückblick in die Zeit vor den Korrektionen des 19. Jahrhunderts.18 Das Gemälde Peter Birmanns gehört hierbei zum Standard jeder Oberrheinauen Beschreibung.19
Es waren aber die Eingriffe des 20. Jahrhunderts, die dem Oberrhein erst endgültig seinen Wildstromcharakter nahmen und einen enormen Verlust an Auenfläche zur Folge hatten.20
Tullas Nachfolger erreichten, dass bis Ende des 20. Jahrhunderts die Nebenarme des alten Rheins fast vollständig gesperrt waren, so dass kein Wasser in den Rhein mehr einfließen konnte.21 Zudem bauten sie die Deiche kontinuierlich aus.22 Vor allem bei der Rheinregulierung nach den Plänen Honsells wurde der Strom noch einmal eingeengt um durch eine erhöhte Fließgeschwindigkeit und Tiefenerosion eine größere Fahrtiefe zu erhalten.23 Durch so genannte Querbauten suchte man eine bestimmte Mindestbreite und –tiefe des Fahrwassers sicherzustellen.24
Die natürlichen Kräfte des Ökosystems hätten aber trotz der Eingriffe durch Tullas Korrektion und Honsells Niederwasserregulierung ein bedingt ökologisches Gleichgewicht wiederherstellen können, „was der Landschaft aber in den letzten 60 Jahren angetan worden ist, stellt das Vorhergegangene in den Schatten und hat die natürliche Landschaft zerstört.“25
Der Bau und Ausbau des „Grand Canal d’ Alsace“ als geschlossenen Rheinseitenkanal erfolgte zwischen 1928 und 1955.26 Um Elektrizität zu gewinnen, wird das Wasser aus dem Rhein in diese „Betonrinne“ geleitet und Flusskraftwerken zugeführt.27 „Der „Canal d’Alsace“ hat dem Rhein das Wesen genommen. Aus dem reißenden Strom ist ein müder Fluss geworden.“28 „Die Schalthebel der Wehre entscheiden, ob der Rhein ein Fluss, ein Bach oder ein Rinnsal ist.“29 Das ökologische Ergebnis aller Ausbaumaßnahmen ist die heutige Trockenaue.30 Das ökonomische Ergebnis ist die sehr teure Nachschüttung von Kies, die so genannte „Geschiebezugabe“, um die schon kurz nach Tullas Tod überschrittene optimale Tiefenmarke der Sohlenerosion zu stoppen, die die Fundamente der Ufer- und Strombauwerke, die Häfen sowie Land- und Forstwirtschaft gefährden.31
Weitere Bauten von Kraftwerksstaustufen nach dem Zweiten Weltkrieg im seitlich betonierten Kanal und im alten Rheinbett beschleunigten die Austrocknung des Oberrheingebiets.32 All diese „Nach- Tulla- Arbeiten“ erhöhten aber die Gefahr eines Katastrophenhochwassers am Mittel- und Niederrheingebiet um ein Vielfaches, da der Fluss am Oberrhein bei Hochwasser nicht mehr ausufern kann und das Wasser in seiner schmalen, geraden „Rinne“ eine enorme Beschleunigung erfährt, dessen Auswirkungen die Städte flussabwärts, vor allem Mannheim und Köln, vermehrt zu spüren bekommen.33
Um dem Hochwasser am Mittel- und Niederrhein beizukommen, legte das Land Baden- Württemberg im Jahr 1988 sein „Integriertes Rheinprogramm“ (IRP) vor.34 In diesem Programm wurden zwei Ziele festgelegt: 1. Die Widerherstellung des Hochwasserschutzes und 2. Die Erhaltung und Renaturierung der Auenlandschaft am Oberrhein.35 Im Jahr 1997 beschlossen die verschiedenen Landesanstalten eine Tieferlegung von Vorlandflächen auf einem ca. 90 Meter breiten Streifen um Hochwasserrückhaltebecken (so genannte Polder) zu gewinnen, und eine Auenrenaturierung voranzutreiben.36
Bei allem Enthusiasmus vieler Autoren für eine Renaturierung der feuchten Auen darf man nicht vergessen, dass nennenswerte Flächenanteile von Trockenstandorten in der Wildstromaue auch schon in der „Vor-Tulla-Zeit“ vorhanden waren und der Artenbestand in der Trockenaue trotz der Ausbaumaßnahmen weitestgehend ursprünglich geblieben ist.37 Viele Schriftsteller schwärmen in ihren Darstellungen bevorzugt von den feuchten Auenbereichen vor den großen Ausbaumaßnahmen, übersehen dabei aber häufig den überragenden Wert der Flora und Fauna der trockengefallenen Rheinauen am südlichen Oberrhein, einem der wärmsten Gebiete Deutschlands.38 Die Beiträge der Landesanstalt für Umweltschutz sprechen von einem in Deutschland einmaligen Landschaftraumsraum, „der auf großer Fläche höchst seltene und wertvolle Biotypen […] und eine Fülle bemerkenswerterte Tier- und Pflanzenarten“ aufweist.39
Wertvolle Trockenbiotope sollten aus Sicht heutiger Umweltschützer nicht einfach durch Auenbiotope ersetzt werden.40 Der Schutz und die Entwicklung nicht beanspruchter Trockenauenbereiche und die Generation von Feuchtauenbiotopen müssen gleichzeitig gefördert werden.[41.Vgl. Meineke. S. 487.]
Tullas Oberrheinkorrektion kann nicht allein mit heutigen Maßstäben bewertet werden. Sein Traum war eine verbesserte Lebensbedingung der Oberrheinanwohner. Zwar haben schon einige Zeitgenossen vor den kommenden negativen Auswirkungen gewarnt, für die Menschen des 19. Jahrhunderts aber war sein Großprojekt ein Segen in schwierigen Zeiten. Unter den damaligen Bedingungen war eine umfassende Lösung „alternativlos“, ansonsten hätte man die Rheinauen als Siedlungsgebiet aufgeben müssen.
Tullas Großprojekt half außerdem mit den neuen badischen Staat entlang seiner Hauptschlagader zu integrieren. Welch ökologische Spätfolgen seine „Rectification“ mit sich brachte, konnte er zum einen noch nicht vollständig vorhersehen, zum anderen waren es erst die Ausbaumaßnahmen seiner Nachfolger und die Bauarbeiten des 20. Jahrhunderts, die den Oberrhein in einen Kanal und somit in eine Bedrohung für die stromabwärts gelegenen Städte verwandelte. Für die „Versteppung“ des Oberrheingebiets zeichnet sich Tulla ebenso nicht allein verantwortlich.
Die Kultivierung und industrielle Erschließung des Oberrheinraumes ist zudem nicht per se ein negatives Faktum. Sie ermöglichen nicht nur eine gute Versorgung mit landwirtschaftlichen Produkten, sondern schufen auch eine Vielzahl an Arbeitsplätzen. Mit der „Zivilisation“ begann zwar auch die Verschmutzung des Oberrheingebiets, aber auch die Erschließung des Verkehrswegs Fluss. Am Anfang war Tullas Idee, aber erst die weitreichenden folgenden Ausbaumaßnahmen ermöglichten die Schiffbarkeit und die Industrialisierung des Rheins mit all seinen negativen und positiven Folgen. Mit dem Ende alter Lebenswelten beginnt aber auch immer etwas Neues. Tullas Traum stand also am Anfang eines langen Prozesses der Kultivierung des Gebietes und der Kanalisierung des Rheins. Mit Tulla änderten sich Denkhorizonte. Seine „Nachfolger“ im Wasserbau setzten da an, wo Tulla aufgehört hatte. Was vorher unmöglich erschien, war denkbar geworden. Dies ist sein Verdienst aber auch die Hauptkritik an seinem Schaffen.
Empfohlene Zitierweise:Dembek, Christoph (2012): Wilde Flusslandschaft oder wertvolle Kulturlandschaft? Über die Begradigung des Oberrheins (IV). In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]
Bibliographie:
In den letzten Jahren des Heiligen Römischen Reiches wurde die Möglichkeit einer umfassenden Lösung des Überschwemmungsproblems am Oberrhein zwar erörtert, scheiterte aber an den unterschiedlichen Interessen der vielen unabhängigen Fürstentümer, Bistümer und Reichsritterschaften am südwestlichen Rand des Reiches.1 Erst das Ende des alten Reiches und das Verschwinden der zahlreichen territorialen Gerichtshoheiten entlang des Oberrheins , herbeigeführt durch die Armeen Napoleons, schufen die Grundlagen für eine Gesamtlösung.2 Die kleine Markgrafschaft Baden war einer der großen Gewinner dieser napoleonischen Umwälzungen.3 Tullas Heimatland und Arbeitgeber eignete sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts zahlreiche Territorien rechts des Hoch- und Oberrheins an.4 Die Fläche Badens wuchs um das Vierfache und nahm nun die gesamte Flussstrecke von Konstanz bis Mannheim ein.5 Der neue Staat war ein Geschöpf Napoleons, dessen Armeen das linksrheinische Gebiet annektierten.6
Für Tulla und die Befürworter der Korrektion bedeutete die territoriale Neuordnung deshalb ein günstiger Zeitpunkt zur Verwirklichung ihres Bauvorhabens, da außenpolitische Verträge nur noch zwischen Frankreich und Baden abgeschlossen werden mussten.7
Sie erkannten aber auch die gesellschaftspolitischen Möglichkeiten, welche Arbeiten an der nun badischen Lebensader bargen. 8 Aus dem vormals kleinen Baden war zwar ein deutscher Mittelstaat geworden, doch fehlte es seiner um das Fünffache gewachsenen Bevölkerung noch an einer gemeinsamen badischen Identität.9 Dieses heterogene Kunstgebilde musste erst noch zusammenwachsen.10 Der Regierung in Karlsruhe konnte deshalb an integrativen Maßnahmen nur gelegen sein um ihre neuen Untertanen in ihrem nun entstandenen einheitlichen Territorialstaat zu integrieren.11
Im Verlauf der Rektifikation des Rheins zeigte sich, „dass die verschiedenen Beamtenapparate zusammengefasst und zentralisiert, Informationen über die neu gewonnenen Territorien gesammelt, neue Karten gezeichnet, Rechts- und Steuersysteme sowie Maß- und Gewichtseinheiten vereinheitlicht wurden.“12 Zudem warf die Flussregulierung verschiedenste finanzielle und verwaltungstechnische Fragen auf, die den gesamten neuen Staatsapparat mobilisierte.13 Die aktive Beteiligung unterschiedlichster Ministerien, Direktionen und Kammern an diesem Unternehmen förderte zusätzlich den Prozess der Staatsbildung.14
Zudem beendete die Korrektion bisherige Zwistigkeiten unter den links- und rechtsrheinischen Gemeinden. Bisher änderte der Rhein seinen Lauf fast jedes Jahr, nun bestanden sichere und stabile Verhältnisse in Gemarkungsfragen und bei Hochwassersicherungsmaßnahmen. 15 Frankreich und Baden einte zudem der Wunsch nach einem unveränderlichen und somit korrigierten Flussverlauf um ihre Grenze zu konsolidieren.16 Aus Sicht eines Straßburgers begünstigten die „staatenlosen“ Rheininseln und ihre Bewohner auch „Störungen aller Art“, welche Tulla durch seine Rektifikation „löste“.17
Der Zusammenbruch des Napoleonischen Reiches 1814 machte aber bisherige Vereinbarungen gegenstandslos, da Frankreich abgesehen vom Elsass vom linken Rheinufer zurückgedrängt wurde.18 Verhandlungen mussten jetzt mit Bayern stattfinden, dem jetzt die Pfalz auf dem linken Rheinufer gehörte.19 1817 und 1825 kam es zum Abschluss von Verträgen, in denen zusammen zwanzig Durchstiche an der badisch-bayrischen Rheingrenze vereinbart wurden.20 Es folgten weitere Abkommen zwischen den Oberrheinstaaten Baden, Hessen und Bayern.21 Erst 1840 kam es zu einem Grenzvertrag zwischen Baden und Frankreich, der unter anderem die Begradigung des Rheins zwischen Baden und dem Elsass vorsah.22 Tullas Traum des „rectificirten“ Rheins erfüllte sich zwar erst Jahrzehnte nach seinem Tod, in den Jahren als Bismarck sein neues Reich schmiedete, doch das Ergebnis spricht für seine gewaltige Dimension: Insgesamt wurde der Rhein zwischen Basel und Worms um fast ein Viertel seiner Länge, von 345 auf 273 Kilometer gekürzt; über 2200 Inseln und Halbinseln mit einer Fläche von über 1000 km² wurden abgetragen und 240 km Hauptdeiche errichtet.23 „Es war das größte Bauvorhaben, das jemals in Deutschland in Angriff genommen wurde.“24
Im 19. Jahrhundert machten sich die positiven Auswirkungen der Korrektion recht schnell bemerkbar.25 Durch die Tiefenerosion und das schnellere Abfließen des Wassers hörten Überschwemmungen und Versumpfungen im Oberrheingebiet auf.26 Die Niederungen wurden zuverlässig entwässert und das Grundwasser sank in eine für die Landwirtschaft günstige Lage.27 In diesen Jahren konnten gute Ernten erzielt werden.28 Die Entwässerung der Oberrheinauen sorgte verknüpft mit einer besseren medizinischen Versorgung auch dafür, dass die Häufigkeit der Malariafälle zurückging und das in den Rheinorten endemische Wechselfieber, Ruhr und Typhus verschwanden.29 „Die Besiedelung bisher als feucht- und gesundheitsschädlich gemiedener Flächen war möglich geworden.“30 „Die Verwirklichung von Tullas Plan brachte (also) neue Sicherheit und neues Land.“ 31 Der intensiven Besiedelung folgten mittelbar der Ackerbau sowie der Anbau von Feldfrüchten.32 Die Rückeroberung und Kultivierung der Rheinauen war umso wichtiger als steigende Bevölkerungszahlen und Landhunger, vor allem in der Pfalz, zu großen Auswanderungswellen in die USA oder nach Ungarn und Preußen führten.33 Die Kosten der Rheinkorrektion beliefen sich bis 1884 allein auf badischer Seite auf rund 30 Millionen Mark.34 Der Wertzuwachs des rechtrheinisch gewonnenen Kulturlandes bezifferte Max Honsell, der Nachfolger Tullas als Leiter der Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaus, jedoch auf 40 Millionen Mark. 35 Die Sicherung und Neugewinnung landwirtschaftlicher Nutzflächen, worauf die Korrektion vorrangig zielte, war demnach zufrieden stellend erreicht.36 Den Zeitgenossen half sie jedenfalls verbessert zu leben und zu überleben.37 Die Einwohner einer rechtsrheinischen Gemeinde lobpreisten Tulla in einer Zeremonie überschwänglich, dass er „ dem Rhein einen Panzer […] angelegt [habe], dass er nicht mehr- wie schon lange Zeit- nicht nur unser Allmend-Land, sondern so gar manchem Bürger sein sauer erworbenes Guth hinweg rafte.“38
In der „Vor- Tulla- Zeit“ litt die Schifffahrt am südlichen Oberrhein an Uferabbrüchen, die das Anlegen und die Benutzung von Treidelpfäden oft vereitelten.39 Ständige Richtungsänderungen des Flusses erschwerten die zu dieser Zeit übliche Segelschifffahrt.40
Rheinabwärts von Basel entlang der badisch- französischen Grenze konnten zudem nur wenige Schiffe, rheinaufwärts aber gar keine fahren.41 Die Schifffbarkeit des südlichen Oberrheins war also Anfang des 19. Jahrhunderts sehr beschränkt.42 Am Oberrhein benötigte man des seichten Wassers wegen Segelschiffe mit besonders flachen Böden.43 Die Strecke Mainz- Straßburg auf dem nördlichen Oberrhein verschlang aufgrund der vielen Rheinschlingen dennoch zwanzig bis dreißig Tage.44
Tulla ging es zwar nicht vorrangig um die Schifffahrt, sondern um den Hochwasserschutz und um eine verbesserte Lebensgrundlage der Rheinanwohner.45 Sein Projekt erschwerte sogar zunächst die Segelschifffahrt, da die Boote bei Niedrigwasser nicht in Ufernähe gezogen werden konnten, weil der Rhein die Fläche zwischen den Ufern nicht ausfüllte.46 Eine gesicherte Fahrrinne und eine einheitliche Wassertiefe waren zudem noch nicht vorhanden. 47
Die Arbeiten nach Tullas Plänen schufen aber erst die Voraussetzungen für den Ausbau des Oberrheins, die so genannte Rheinregulierung zwischen 1907 und 1936.48 Die Schiffbarmachung der Hauptrinne ermöglichte nun die ganzjährige Schifffahrt von Basel bis Mannheim, das bisher der südliche Endpunkt der Rheinschifffahrt war, da die Fahrrinne südlich von Mannheim der Kiesablagerungen und Untiefen wegen bisher schlecht passierbar war. 49 Sie beschleunigte dadurch die Erschließung der Uferlandschaften, den Bau von Häfen und die Förderung von Handel und Industrie.50Die Neuhäfen Breisach und Basel konnten 1930 beziehungsweise 1936 in Betrieb gehen. 51 Tullas Werk muss auch direkt die Dampfschifffahrt erleichtert haben, da sie seit 1824 stellenweise für den Oberrhein eingeplant wurde.52 Korrektion und Regulierung erleichterten also den Einzug der Dampfschifffahrt auf dem Oberrhein, da sie den Fluss in eine schnelle und tiefere Wasserstraße verwandelten.53
Schleppdampfer ersetzten das als kostspielig, langsam und unterbrechungsanfällig geltende Schleppen der Schiffe mittels Pferde.54 Vielen Händlern und Gewerbetreibenden waren Pferde und Taue schlicht zu teuer geworden.55 Der Beginn der Dampfschifffahrt bedeutete einerseits das Ende der Segelschifffahrt und des Treidelns samt ihren Berufszweigen, förderte aber zugleich neue Arbeitsplätze auf den Dampfbooten, auf denen man nun technische Spezialisten wie Mechaniker benötigte.56 Auch viele andere alte Lebenswelten am Oberrhein gingen verloren.57 Mit dem Ende der alten Flusslandschaft verschwand auch das Fördern des Rheingolds und mit ihm der Berufszweig des Goldwäschers.58 Die Kanalisierung des Rheins ermöglichte den Bau von Brücken und großen städtischen Mühlen, die die Fährschifffahrt und Schiffsmühlen verdrängten.59 Mit den alten Tier- und Pflanzenarten verschwanden auch ältere Nutzungsformen des Schwemmlandes wie das Schilfrohrschneiden und das Vogelstellen60 Wiesen- und Felderwirtschaft verdrängt diese Erwerbsformen.61 Die Ausbaumaßnahmen und die einsetzende Industrialisierung bereiteten dem Fischreichtum am Oberrhein ein schleichendes Ende, so dass die ursprünglich erwerbsrelevante Rheinfischerei, vor allem die Lachsfischerei, verloren ging.62
Karl Marx 1875 |
Marx 1882 |
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Viele Siedlungen zu beiden Seiten des Oberrheins waren jedoch zu Nahe am Wasser gebaut.1 Ihre große Vertrautheit mit den Gewohnheiten des Stromes und ihre Kenntnisse im Wasserbau schützten die Rheinanwohner mit Beginn der Frühen Neuzeit nicht mehr vor dessen Naturgewalten.2 Im 16., 17., und 18. Jahrhundert kam es zum Untergang von ganzen Ansiedlungen durch unverhältnismäßig heftige Überschwemmungen am Oberrhein.3 Vor allem in der Mäanderzone zwischen Karlsruhe und Speyer bedrohte das viele Wasser zunehmend das menschliche Leben am Fluss.4 Aber auch weiter stromaufwärts mussten einige Dörfer und sogar Handelsstädte, wie Neuenburg am Ende des 15. und Rheinau im 16. Jahrhundert, aufgegeben werden.5 Zudem waren große Flächen fruchtbaren Bodens versumpft, der Verkehr mit den Rheinorten war durch die ständigen Überschwemmungen erschwert und die Bewohner litten fast überall unter Fieberkrankheiten wie Malaria, Ruhr und Typhus.6 Versumpfungen und Überflutungen hatten also neben wirtschaftlichen, hygienischen auch ernste gesundheitliche Folgen, ausgelöst vor allem durch „Insektenplagen“.7 Selbst Johann Wolfgang von Goethe soll beim Anblick dieser Schnakenschwärme in den Rheinauen an der Gütigkeit und Weisheit Gottes gezweifelt haben.8
Die Menschen am Oberrhein kannten Hochwassersicherungs- und Landgewinnungsmaßnahmen schon vor dem 19. Jahrhundert.9 Schon seit dem hohen Mittelalter befestigten sie Dämme mit Weidenfaschinen um Rheinaltarme abzuschnüren und Rheininseln zu verbinden und legten Deiche und Gräben zur Umleitung des Wassers an.10 „Auf großer Fläche konnte der Wildstrom jedoch nicht gezähmt werden“.11 Der Fluss stellte seit Beginn des 18. Jahrhunderts eine mit herkömmlichen Mitteln kaum mehr abzuwendende Bedrohung dar.12 Eine Hauptursache hierfür war eine „Kleine Eiszeit“ zwischen 1550 und 1850.13 Die Ursache hierfür ist strittig, jedenfalls erlebte Mitteleuropa kältere Winter mit mehr Schneefall sowie niederschlagsreichere Sommer.14 In den Jahrzehnten nach 1735 führten größere Mengen der Schneeschmelze und schwere Regenfälle zu ungewöhnlich starken Hochwassern und zu einem Anstieg des Flusswasserpegels.15 Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts traten alle drei Jahre, zwischen 1799 und 1808 sogar jährlich, die Ufer über.16 Gerade während die Bevölkerungszahlen im 18. Jahrhundert rapid stiegen, mussten oftmals ganze Dörfer umgesiedelt werden.17
Die großflächige Übernutzung der Auenwälder in Form zunehmenden Kahlschlags begünstigte weitere Hochwasserkatastrophen, weil die Fluten immer mehr Angriffsflächen fanden.18 Der Auenwald lieferte den Rheinbewohnern wichtige Bau- und Brennstoffe.19 Anfälliges Weide- und Ackerland verdrängte zunehmend wasserabsorbierende Waldgebiete und resistentes Unterholz.20 Schon Forstwissenschaftler des 18. Jahrhunderts kritisierten die planlose Waldnutzung in Deutschland, die sich in Form gravierender Abholzungen und Umforstungen bemerkbar machte.21 Die Situation verschärfte sich noch als die jährlichen Hochwasser zu einer Anhebung des Flussbettes führten, da Sediment und Geschiebe vom Hochrhein flussaufwärts transportiert wurde und sich am Oberrhein ablagerten.22 Infolgedessen verbreiterten sich die überfluteten Gebiete immer mehr.23 Betrachtet man alle Faktoren ist es nicht verwunderlich, dass der Fluss in diesen Jahren 300 km² Auengebiete überschwemmte. 24
Die Bewohner des Oberrheins versuchten dem Hochwasser zu begegnen indem sie ständig versuchten die Wälle zu erhöhen und neue Uferabschnitte einzudeichen um damit den Rhein in ein schmaleres Bett zu zwingen.25 Das erhöhte aber nur das Zerstörungspotenzial des Hochwassers, da das Wasser bei einem Deichbruch nicht mehr so schnell abfließen konnte.26 Allein in den Jahren 1801 und 1802 brachen zwischen Kehl und Philippsburg sechsundzwanzig Dämme.27 Von den Rheinanwohnern durchgeführte Durchstiche einzelner Flussschlingen, die den Zweck hatten den Druck an einer Stelle zu verhindern, erhöhten nur die Hochwassergefahr an einer anderen Stelle.28 Beispielsweise unternahm die Gemeinde Hördt Mitte des 18. Jahrhunderts einen Durchstich, der bewirkte, dass die Felder des auf der anderen Rheinseite gelegenen Dorfes Dettenheim überflutet wurden und der folglich den Niedergang Dettenheims bedeutete.29 Blackbourn schließt sich Tullas zeitgenössischem Standpunkt an, dass die lokalen Bemühungen um die Zähmung des Flusses planlos, wirkungslos und oft kontraproduktiv waren.30
Die Lage war Anfang des 19. Jahrhunderts jedenfalls unhaltbar geworden, viele Landschaften versumpften und Ortschaften mussten aufgegeben und verlegt werden.31 Besonders in den Jahrzehnten nach 1740 geriet fast jedes Dorf in der Mäanderzone mindestens einmal in große Gefahr vom Hochwasser verschluckt zu werden.32 Die großen Überschwemmungen und Zerstörungen 1816 und 1817 beschleunigten sodann die Umsetzung der Arbeiten nach Tullas Plänen, die mit dem ersten Durchstich bei Neupfotz 1817 begannen.33 Nach Meinung Tümmers war die Stunde Tullas gekommen, weil man schlicht vor der Wahl stand, ob „man entweder die Auen als Kulturlandschaft aufgab und sie wieder dem Rhein überließ, oder aber es musste eine tiefgreifende Verbesserung der Lage am Oberrhein eintreten“.34
Ein 1822 formulierter Leitgedanke zeigt, wie Tulla sich den zukünftigen Wasserbau und die Gestalt der Flusslandschaften in Deutschland vorstellte: „In der Regel sollten in kultivierten Ländern die Bäche, Flüsse und Ströme Kanäle sein und die Leitung der Gewässer in der Gewalt der Bewohner sein.“35 Eine ungebändigte natürliche Flusslandschaft hatte nach den Vorstellungen Tullas im fortschrittsliebenden Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts nichts mehr verloren, und die deutschen Gewässer sollten keinen Naturgewalten mehr unterworfen sein. In einem „Zwischenspiel“ in der Schweiz 1809 verstärkte er den Wunsch in großem Maßstab zudenken, und erarbeitete erstmals einen Entwurf einer durchgehenden „Rektifikation“ des ungebärdigen Rheins.36
Das technische Wissen der deutschen Wasserbauingenieure war zu diesem Zeitpunkt bereits auf einem sehr hohen Stand.37 Schon vor Tullas großen Plänen hatte man erfolgreich Flüsse der Norddeutschen Tiefebene, die Oder und Warte sowie Teile des Niederrheins mit seinen Nebenflüssen verkürzt, umgelenkt oder durch Schleusen unterbrochen.38 Ab dem 19. Jahrhundert konnten deutsche Fachleute ohne Hilfe holländischer Spezialisten diese Arbeiten verrichten, was sich beispielhaft an der Regulierung der Elbe unter der Mitwirkung Reinhard Woltmanns, den Tulla in Hamburg kennen lernte, zeigte.39 Norddeutschland war führend auf dem Gebiet des Wasserbaus, dennoch hatte man auch schon in Baden seit Jahrhunderten Deiche gebaut, Ufer befestigt und Durchstiche an Rhein und Murg vollzogen.40 „Viele der Durchstiche in Tullas letztendlicher Rektifikation des Rheins waren (bereits) früher als Einzelmaßnahmen vorgeschlagen worden“.41 Doch mit Tulla erstarkte das Bewusstsein das weitere und weitreichende Verbesserungen nötig waren und damit eine ganzheitliche Begradigung dieses Rheinabschnitts.42 „Es war (also) ihr Umfang und nicht diese oder jene besondere Neuerung die Tullas Pläne zu etwas Außergewöhnlichem, ja Aufsehen erregendem machte.“43
Tulla verfasste 1812 eine Denkschrift, in der er generalsplanmäßig „die Grundsätze nach welchen die Rheinbauarbeiten künftig zu führen seyn möchten“ festlegte.44 Die darin enthaltenen Ziele liefen auf eine völlige Neugestaltung des Flussverlaufes hinaus.45 Tulla plante eine Korrektion des gesamten Oberrheins, der sich von Basel bis zur hessischen Grenze bei Worms auf 354 Kilometern erstreckt.46 Der Strom sollte nun in einem ungeteilten, zwischen 200 und 250 Metern gleichmäßig breiten Bett fließen.47 Das Flussbett würde mittels Durchstiche begradigt und durch Seitendämme derart eingeengt werden, so dass ein verkürzter und schneller fließender Strom sich selbst ein tieferes Bett graben würde.48 Die Tiefenerosion sollte den Grundwasserspiegel senken und somit die Oberrheinniederungen entwässern.49 Tullas Wunsch war es auf diese Weise die Rheinufergemeinden vor Überschwemmungen zu schützen, allgemein die Bewohnbarkeit des Rheintales zu sichern und zu verbessern und aus bisherigem Sumpfland wertvolles Kulturland zu gewinnen.50
Befürchtungen und Widerstände Preußens und der Niederlande, Länder mit großen Erfahrungen im Wasserbau, verwarf Tulla ebenso wie die Bedenken badischer Abgeordneter und anderer Fachleute.51 Ein zeitgenössischer Kritiker sprach von einem „gewagten Plan“, der „Katastrophen herbeiführen“ werde, als er auf die Gefahr schwerer Überschwemmungen an Mittel- und Niederrhein als Folgeerscheinung der Oberrheinkorrektion hinwies.52
Tulla verteidigte seine Rektifikation als „das einzige Rettungsmittel für die Rheinuferbewohner“. 53 Seine Kritiker waren „nicht vom Fach“, hatten „beschränkte Ansichten“ und einer war darunter „welcher vom Strombau nichts versteht“. 54 Einige Gemeinden am Rhein widersetzten sich dem Projekt in seinen Anfangsjahren, da sie befürchteten in Zeiten häufiger Missernten wertvolle Acker- und Waldflächen zu verlieren, so dass die Baumaßnahmen durch Soldaten geschützt werden mussten.55 Tulla warf den Verweigerern Ignoranz und engstirniges Eigeninteresse vor.56
Empfohlene Zitierweise:
Dembek, Christoph (2012): Wilde Flusslandschaft oder wertvolle Kulturlandschaft? Über die Begradigung des Oberrheins (II). In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]
Nachweis:
Bildquelle: Johann Gottfried Tulla, in: Der Große Herder, Band 11, 1931 und auf Wikipedia
Bildquelle: Skizze vom Plan der Rheinbegradigung im 19. Jhr., auf Wikipedia
Bibliographie:
Dieser Artikel widmet sich der Frage, in welchem Maße menschliche Eingriffe in vormals natürliche Flusslandschaften positive Auswirkungen aber langfristig auch negative Begleiterscheinungen hervorgerufen haben. Schon im 18. und 19. Jahrhundert fochten deutsche Wasserbauingenieure ihren Kampf um die Umsetzung ihrer Großprojekte und schon zu ihren Lebzeiten hatten sie mit Widerständen zu rechnen. Die Kritik an solchen Baumaßnahmen ist kein ein modernes Phänomen.
So diskutieren Wissenschaftler unterschiedlichster Fachrichtungen auch noch heutzutage über die Vor- und Nachteile eines schon lange umgesetzten Wasserbauprojekts, der so genannten Oberrheinkorrektion, die im 19. Jahrhundert nach den Plänen und durch die Tatkraft des badischen Wasserbauingenieurs Johann Gottfried Tulla1 erfolgte und die den Flusslauf und damit auch die Oberrheinlandschaft nachhaltig veränderte. Der Wunsch aller Kritiker an diesem Großprojekt läuft auf eine Umkehrung der damals begonnen Prozesse hinaus. Horst Tümmers vermerkt hierzu in seinem Buch „Der Rhein. Ein europäischer Fluss und seine Geschichte“: „Die Lage, die ‚vor Tulla’ bestand, die Tulla hatte bessern wollen, sucht den Oberrhein‚ nach Tulla’ wieder heim.“2 Es ist das Ziel dieses Artikels zu überprüfen, ob und inwieweit diese Kritik gerechtfertigt ist.
Erste Schritte einer „Renaturierung“ sind zwar bereits erfolgt, doch die Meinungen differieren bei den Fragen, inwieweit diese Korrektion wieder rückgängig gemacht und welche Folgeerscheinungen mit welchen Mitteln korrigiert werden sollten. Der Artikel beschäftigt sich dennoch nicht nur mit den zahlreichen Kritikpunkten am Werk Tullas, sondern auch mit den sich aus der Oberrheinbegradigung ergebenen Möglichkeiten und Errungenschaften. Sein Großprojekt soll vor dem Hintergrund weiterer Ausbaumaßnahmen und langfristiger Veränderungen der oberrheinischen Kulturlandschaft bewertet werden.
Ein Zitat Friedrich Schillers aus dem Jahre 1801 belegt, dass Deutsche schon in Zeiten vor Tullas Oberrheinkorrektion die Schönheit einer natürlichen Landschaft preisen, wohingegen eine gezähmte, der Natur entrissene Landschaft jedenfalls von Schiller als geistlos und trostlos beschrieben wird:
Wer verweilt nicht lieber bei der geistreichen Unordnung einer natürlichen Landschaft als bei der geistlosen Regelmäßigkeit eines französischen Gartens? Wer bestaunt nicht lieber den wunderbaren Kampf zwischen Fruchtbarkeit und Zerstörung in Siciliens Fluren, weidet sein Auge nicht lieber an Schottlands wilden Katarakten und Nebelgebirgen […] als dass er in dem schnurgerechten Holland den sauren Sieg der Geduld über das trotzigste der Elemente bewundert?3
Besonders die Kultivierung der vormals „wildschönen“ holländischen Wasser- und Sumpflandschaften scheint Schiller gestört zu haben. Negative Bemerkungen über menschliche Eingriffe in ein natürliches Ökosystem lassen sich also schon Jahrzehnte vor der Begradigung des südlichen Rheins feststellen. Aber die unberührte Schönheit ihrer Rheinniederungen kann nicht das Hauptanliegen der Oberrheinbewohner des 19. Jahrhunderts gewesen sein.
Bis zur Bändigung durch Tulla floss der Oberrhein nicht durch ein einziges, festgelegtes Bett.4 Der südliche Teil der Oberrheinebene, der Abschnitt von Basel bis nach Straßburg, bildete aufgrund seiner mehrfachen Gabelung und des verästelten Flusslaufs eine Furkationszone.5 Ein Hauptarm des Flusses ist nicht zu erkennen.6 Hier grub sich der Fluss unzählige Rinnen, die durch Kies- und Sandbänke voneinander abgetrennt waren. 7 Ein Zyklus von Hoch- und Niedrigwasser schuf in Jahrtausenden ein Labyrinth von Wasserarmen und bewaldeten Inseln. 8 Insgesamt befanden sich im heutigen badischen Rheinabschnitt 2200 Inseln, die große Mehrheit zwischen Basel und Straßburg.9 Der Rhein des frühen 19. Jahrhunderts erinnert Blackbourn beim Betrachten des zeitgenössischen Gemäldes von Peter Birmann „Blick vom Isteiner Klotz rheinaufwärts gegen Basel“ an „eine Serie von Lagunen, eine ausgedehnte, verwirrende Wasserlandschaft“.10
Zwischen Straßburg und Karlsruhe ging die Furkationszone des Oberrheins langsam in eine Mäanderzone über, in der der Fluss sich in großen Schlingen und Schleifen gemächlich durch seine Ebene wand.11 „Er floss hier (zwischen Karlsruhe und Speyer) wie ein einziger Strom, doch immer noch nicht in einem einzigen Bett.“12 Sein Hauptbett wurde von beiden Seiten von den Windungen früherer Hauptrinnen flankiert, den so genannten Altwassern oder Altrheinarmen.13 Blackbourn erinnert dieses Panorama an das „wilde Haupt der Medusa“.14 An manchen Stellen und zu manchen Zeiten erstreckte sich das Flusstal in einer Breite von bis zu 40 Kilometern.15
Das Oberrheingebiet war vor den Eingriffen im 19. Jahrhundert in seinen Flussniederungen eine feuchte Auenlandschaft. 16 Diese Auen wurden periodisch überschwemmt, waren aber erfüllt von einer Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten. 17 Die Auen wiesen Wasser-, Wald- und Sumpfgebiete auf, in denen üppig wuchernde Schlinggewächse, etliche Baumsorten, eine reiche Vogelwelt und großer Fischreichtum das Bild bestimmten.18 „Zur Besiedelung taugte das Gebiert der Rheinniederungen, der periodischen, weiträumigen Überschwemmungen wegen, (eigentlich) wenig.“19Tümmers führt kritisch an, dass der Mensch den Lebensbedingungen an den Flussniederungen eigentlich nicht gewachsen ist und trockene Standorte besiedeln sollte.20 „Solange er sich diesen Gesetzen fügte (bis zur Verwirklichung von Tullas Rheinkorrektion), blieb die Natur im Gleichgewicht und beschenkte ihn mit ihrem Reichtum“.[21.Vgl. Tümmers: Der Rhein, S. 155-156.] Aber der vom Rheinschlick bedeckte Boden ist sehr fruchtbar, und sein Fischreichtum und sein reiches Schwemmland verlockte Menschen immer wieder dazu diesen Landstreifen zu besiedeln.21 Besonders im Hochmittelalter kam es zu einer zunehmenden Besiedlung der Rheinauen.22 Die Bevölkerungszahlen stiegen, die Siedlungsdichte nahm zu und Rodungen verschafften zusätzliches Kulturland.23 Aus kleineren Hauen- und Straßendörfern entwickelten sich Mittel- und Kleinstädte wie Breisach und Neuenburg, die sich in unmittelbarer Nähe zum Fluss befanden.24 Bedeutende mittelalterliche Städte wie Basel, Straßburg, Speyer, Worms oder Mainz liegen am Oberrhein.25 Das oberrheinische Tiefland profitierte von seiner günstigen Lage inmitten der großen Handelsströme des Hoch- und Spätmittelalters.26 Rheinschiffer, Fuhrleute sowie die aufstrebenden Handelsstädte waren die großen Gewinner dieser Entwicklungen.27
Empfohlene Zitierweise:
Dembek, Christoph (2012): Wilde Flusslandschaft oder wertvolle Kulturlandschaft? Über die Begradigung des Oberrheins (I). In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]
Nachweis:
Bildquelle: Die Karte wurde erstellt von Daniel Ullrich (Threedots) und ist auf Wikipedia zu finden.
Bibliographie: