Die Fragen mehr schätzen als die Antworten │ Ein Dissertations-Rückblick

18. Mai 2016, 19 Uhr. Auf diesen Termin habe ich die automatische Veröffentlichung des Beitrags voreingestellt. Wenn Sie jetzt also diese Zeilen lesen und nichts Schwerwiegendes dazwischengekommen ist, sollte ich…

Quelle: http://grammata.hypotheses.org/2179

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Information vs. Erkenntnis und Erfahrung

In Rückblick auf die letzte Woche, die für mich durch dialektische Wortpaare wie Digitalisierungswahn vs. Informationsgesellschaft, Aura vs. Reproduktion, Original vs. Digitalisat geprägt war, bildet sich in meinem Kopf eine einfach Frage: Welche Rolle können wir als Wissenschaftler und Kulturproduzenten in diesem Prozess spielen? Und die Antwort ist vielleicht so banal wie einfach: Kritisch reflektieren und vermitteln. Denn – die reine Verfügbarkeit der Information macht noch keine Erkenntnis.

Daran erinnert mich der Philosoph Byung-Chul Han in “Duft der Zeit: Ein philosophischer Essay zur Kunst des Verweilens” von 2009: “Die Erkenntnis ist genauso zeitintensiv wie die Erfahrung. Sie zieht ihr Kraft sowohl aus dem Gewesenen als auch aus dem Zukünftigen. Erst in dieser Verschränkung von Zeithorizonten verdichtet sich die Kenntnis zur Erkenntnis. Diese temporale Verdichtung unterscheidet die Erkenntnis auch von der Information, die gleichsam zeitleer oder zeitlos im privaten Sinne ist. Aufgrund dieser temporalen Neutralität lassen sich Informationen abspeichern und beliebig abrufen. Wird den Dingen das Gedächtnis genommen, werden sie zu Informationen oder auch zu Waren.”

Mit diesen Worten im Kopf wird mir auch deutlich, was mich an den mit Gegenständen aus verschiedensten Sammlungen in den bisher unbeschrifteten Vitrinen im Collegium Bohemicum genaus irritiert wie der Kommentar einer Mitarbeiterin der SLUB in der Digitaliserungsabteilung zu der Eintönigkeit und der zum Teil körperlichen Anstrengung beim Digitalisierungsprozess: ” Wir können nur hoffen, dass es irgendjemandem nutzt.” – Das Ding selbst bleibt genauso leer in seiner Bedeutung wie das reine Digitalisat. Erst seine Kontextualsierung, seine (soziale) Einordnung generiert Sinnhaftigkeit. Wie können wir diese Kontextualisierung sicherstellen? Wie verhindern wir, das im Zuge einer Idee der totalen Transparenz kulturelles Gedächtnis nicht der Logik der universalen Verfügbarkeit im Geiste des Neoliberalismus unterworfen wird?

Mir fällt nur eins ein: Dem Erkenntnisprozess wieder Zeit und Raum einräumen, die Institutionen in ihrer Funktion als Diskursräume wiederbeleben. Oder anders ausgedrückt: Der Weg vom Container für Bücher (Informationen) zum Container für Menschen (Austausch), führt für mich wieder aus dem Ort des Digitalisats (Internet) zum Ort des zwischenmenschlichen Austauschs. Und das macht uns zu Kuratoren (im alten Wortsinne des Behütens und Pflegens) von temporären aber auch institutionaliserten Orten der gemeinsamen Erkenntnisgewinnung und Erfahrung. Was wir dabei vermitteln müssen, ist weniger die Information, sondern die Lust, sich dieser mit Muße gemeinsam zu widmen.

 

Quelle: http://dss.hypotheses.org/623

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