Im Handgemenge der Vergangenheit: Ellen Meiksins Wood

Ellen Meiksins Wood

Bereits vor einem Jahr erschien die deutsche Ausgabe von Ellen Meiksins Wood Democracy against Capitalism. Renewing historical materialism. Um es vorweg zu nehmen: Das Buch enthält mit dem Beitrag Klasse als Prozess und Verhältnis einen elementaren methodischen Text für Sozialwissenschaftler(innen) im allgemeinen und Historiker(innen) im Besonderen – nicht zuletzt weil darin der Ansatz des Historikers E. P. Thompson erläutert und weitergeführt wird.

Doch zuvor ein paar Zeilen zum Buch selbst. Das Original erschien 1995 und war schon damals eine Zusammenfassung verschiedener Essays, die Wood zwischen 1981 und 1994 publiziert hatte. Insofern überrascht es nicht, dass die Texte in Democracy against Capitalism ein Zeugnis bereits zurückliegender innermarxistischer Debatte sind.

Deshalb wirkt das Buch zumindest aus heutiger Sicht etwas oldfashioned und ist es zum Teil auch. Wood arbeitet sich an Louis Althusser, Max Weber und anderen alten Männern der Sozialtheorien ab. Das erscheint streckenweise weniger als Erneuerung des historischen Materialismus, denn als Wiederaufnahme alter Schlachten. Im Nachhinein betrachtet wäre es schon in den 1980ern produktiver gewesen, frisch an das Thema heranzugehen und den alten Granden nicht soviel Raum zu geben. Vor allem, wenn man sich von ihnen distanzieren will. Aber die Herren waren damals wohl zu dominant.

Probleme des ahistorischen strukturalistischen Marxismus

Die deutsche Ausgabe lohnt sich aber schon wegen dem Beitrag Klasse als Prozess und Verhältnis. Ellen Meiksins Wood versucht darin, aus dem Werk E.P.Thompsons eine Klassentheorie herauszufiltern. Und sie stellt dabei Thompsons Ansatz dem strukturalistischen Marxismus gegenüber. Wood nimmt Thompson gegenüber Althusser und seinen Verteidigern in der New Left  in Schutz. Ihre intellektuellen Opponenten haben klingende Namen wie Stuart Hall, Perry Anderson oder Nikos Poulantzas.

Dem strukturalistischen Marxismus wirft sie vor, dass er in seinen abstrakt-formalen Analysen voraussetzt, was eigentlich erst entsteht. Schon in der Einleitung des Bandes schreibt sie:

Die Fragen, um die es hier geht, sind sowohl historisch wie auch theoretisch. Das historische Hauptproblem ist jene in nicht-marxistischen Darstellungen kapitalistischer Entwicklung fast universell verbreitete und von manchen Spielarten des Marxismus geteilte Tendenz, kapitalistische Prinzipien und Bewegungsgesetze in die Geschichte hineinzulesen und den Aufstieg des modernen  Kapitalismus zu erklären, indem man gerade das, was zu erklären wäre, bereits voraussetzt. Das Gegenmittel gegen dieses wesentlich teleologische Vorgehen ist, Geschichte anstelle der Teleologie zu setzen. (20)

Und man kann sagen, Wood insistiert hier auf den klassischeren Ansatz: Das Werk von Marx und Engels besteht zu großen Teilen aus realsoziologischen, (zeit-)historischen Ausführungen. Doch sowohl der Leninismus als auch der westliche Marxismus messen dem eine untergeordnete Bedeutung bei. So kann Wood zu Recht sagen, dass lediglich E.P. Thompson diese klassische Tradition fortgeführt und weiterentwickelt hat. Leo Kofler, Wolfgang Abendroth, Dipesh Chakrbarty und viele andere wären vielleicht auch zu nennen, aber Thompson ist natürlich der einflussreichste und wichtigste.

Ich will es etwas zuspitzen: Für den strukturalistischen Marxismus hat die real-historische Analyse eigentlich nur die Rolle eines schmückenden Beiwerks. Denn innerhalb der strukturalistischen Denkgebäude scheint völlig klar, wie die Geschichte laufen musste. Für Subjekte und Alternativen ist dort wenig Raum. Und als E.P. Thompson auf der Basis seiner historischen Forschungen diesen Ansatz in Frage stellte, wurde ihm postwendend Relativismus vorgeworfen. Er vernachlässige die ökonomischen Zwänge und anderes mehr.

Wood kontert, Thompson habe nicht vor, diese Zwänge der Subjektivität und historischen Kontingenz unterzuordnen.

Ihm geht es vielmehr darum, dieser Art von umgekehrten Subjektivismus, Voluntarismus und Idealismus, die sich in die Analyse einschleicht, denen eine historische und soziologische Basis fehlt, die historische Untersuchung entgegenzusetzen. (106)

Die Gefahr des Voluntarismus sieht sie eher bei einer von jeder konkreten Forschung abgehobenen Theorie gegeben. Wood macht in einem anderen Artikel anhand der Staatsanalyse von Nikos Poulantzas die Gefahren plastisch:

So beschreibt Poulantzas im Grunde auch den europäischen Absolutismus. Der absolutistische Staat wird als kapitalistischer Staatstyp bezeichnet, nicht weil ein tatsächlicher Bezug zur kapitalistischen Produktionsweise vorliegen würde (Poulantzas gibt sich Mühe zu betonen, dass kapitalistische Verhältnisse in diesem Stadium rudimentär waren), sondern weil er bestimmte formale Strukturmerkmale aufweist, die er mehr oder weniger willkürlich als in der Theorie mit der kapitalistschen Produktionsweise übereinstimmend eingeführt hat.

In diesen theoretischen Überlegungen findet sich gleichermaßen ein Übermaß an rigidem Determinismus wie an Willkürlichkeit und Kontingenz – zuviel abstrakt-theoretische, geradezu idealistische Determination und zuwenig historische Kausalität [...] Im Grunde wurde theoretischen Übereinstimmungen a priori Vorrang vor realen historischen Verhältnissen eingeräumt. (63f)

In diesem Blog haben wir übrigens ein weiteres Beispiel, das zeigt, wie wichtig es ist, analytisch zuerst die konkreten gesellschaftlichen Kämpfe in den Blick zu nehmen: Der bürgerliche Staat – Thesen zur historischen Entwicklung

Klasse als Verhältnis und Prozess: Der Ansatz von E.P. Thompson

Man könnte auch sagen, die Tradition, für die E.P. Thompson steht, arbeitet in erster Linie mit der Analyse von Bewegungen, sozialen Kämpfen, Klassenkämpfen. Und dann gibt es natürlich ein Definitionsproblem: Wann ist eine Klasse eine Klasse? Wann ist sie „an sich“ da und wann hat sie das „für sich“ festgestellt?

Wood weist alle Klassenbegriffe zurück, die sich auf eine soziale Lokalisierung beschränken:  Klasse als eine bestimmte Schicht oder eine bestimmte soziale Lage. Auch das Verhältnis zu den Produktionsmitteln reicht ihr als Kriterium nicht aus. Für eine Analyse sind ihr diese Zugriffe zu statisch. Und sie verweist auf E. P. Thompsons Klassenbegriff, der Klasse als Prozess und Verhältnis begreift. Damit sei er in der Lage, „klassenspezifisches Handeln bei fehlendem Klassenbewusstsein erkennen und darstellen zu können“. (85) Denn:

Die Hauptaufgabe marxistischer Klassentheorie ist weniger die Erklärung von Klassen“positionen“ als die Erklärung von Prozessen der Klassenbildung – das ist der springende Punkt (87)

Thompson nehme die Prinzipien des historischen Materialismus und dessen Auffassung von materiell strukturierten historischen Prozessen ernst und behandle den Prozess der Klassenbildung als einen historischen Prozess, der durch die „Logik“ materieller Determinationen genormt werde.

Klasse ist mit anderen Worten, ein Phänomen, das nur im Prozess sichtbar wird. (88)

Die Auseinandersetzung mit Ellen Meiksins Wood lohnt sich also, wobei man ihre Texte manchmal sehr genau lesen muss. Wood bleibt im theoretischen Handgemenge und das macht es manchmal schwer, ihr zu folgen. Thompson selbst ging da weit weniger theoretisch heran. Er sagte, die Basis- und Überbau-Theorie ist nicht zu retten und zeigte mit The Making of the English Working Class (1963) konkret warum.

Ingrid Scherf und Christoph Jünke haben übrigens Woods Texte ins Deutsche übersetzt. Vielen Dank dafür.

Ellen Meiksins Wood (2010): Demokratie contra Kapitalismus. Beiträge zur Erneuerung des historischen Materialismus. Aus dem Englischen von Ingrid Scherf und Christoph Jünke, Neuer ISP Verlag, Köln/Karlsruhe.


Einsortiert unter:Literatur, Methodik

Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/07/31/im-handgemenge-der-vergangenheit-ellen-meiksins-wood/

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Blockbuster, E-Books und der Herbst 1989 – der Verleger Christoph Links im Gespräch

MONTAGSRADIO, Ausgabe 1/2011. Gast: Christoph Links, Gründer und Leiter des Ch. Links Verlags, Berlin.

Die Verlagsbranche boomt. Jährlich erscheinen 90.000 neue Buchtitel – 30.000 mehr als noch vor 10 Jahren. Zudem sind im Buchhandel insgesamt ca. 1,2 Mio Titel lieferbar. Trotz des digitalen Zeitalters konnte sich das E-Book anscheinend noch nicht gegenüber dem Printmedium “Buch” auf dem Markt durchsetzen.
Christoph Links gründete am 1. Dezember 1989 – knapp einen Monat nach dem Fall der Mauer – mit dem Ch.Links-Verlag den ersten eigenständigen ostdeutschen Verlag. Ein vorangegangener Gründungsantrag Anfang 1989 wurde seitens des DDR-Kultusministeriums mit der Begründung abgelehnt, die sozialistische Planwirtschaft sei mit seinen 78 Verlagen voll ausgelastet.

Christoph Links spricht mit uns über das Internet und seine Auswirkungen auf die Verlage, seine Erinnerungen an den Herbst ’89 und den Vergleich des damalgen Umbruchs mit den aktuellen Revolutionen im arabischen Raum. Dazu sprechen wir mit ihm über die Herausforderung, ein atraktives und wirtschaftlich tragbares Verlagsprogramm zu konzipieren. Und natürlich bearbeitet er auch den MONTAGSRADIO-Fragebogen.

Die Moderatoren sind Kaja Wesner, Jochen Thermann und Markus Heidmeier. Und hier noch die Timeline für Ungeduldige:

- (01:25 min) Veränderungen und Herausforderungen für Verlage durch das Internet und digitale Medien
- (13:15 min) Die wirtschaftliche Situation der Verlage in Deutschland
- (15:55 min) Das Verlags-Programm des Ch. Links Verlages – Ideensetzung und Planungsprozess
- (25:10 min) Besonderheiten einer ostdeutschen Verlagsgründung kurz nach dem Fall der Mauer im Dezember 1989
- (34:14 min) Differenzen zwischen Ost und West – Leseverhalten und Kaufkraft
- (39:20 min) Christoph Links bespricht in der (ostdeutschen) Oberschule Revolutionskonzepte mit Radioredakteuren
- (45:10 min) Demonstration in Buenos Aires mit den Müttern der Plaza de Mayo
- (47:00 min) Die Rettung der Banken mit Steuergeldern ist empörend
- (52:16 min) Die Wiedervereinigung nach westdeutschen Regeln wird Folgen haben
- (59:20 min) Die Herausbildung differenzierter Weltbilder ist notwendig

Gesamtdauer ca. 60 Minuten – und natürlich lohnt auch das komplette Gespräch. Das Gespräch wurde am 10. Februar 2011 aufgezeichnet. Das Audio als MP3-Download gibt es hier. Zum SoundCloud-Player geht es hier lang. Den Player kann mal auf der jeweils eigenen Seite embedden.

Quelle: http://www.montagsradio.de/2011/02/21/blockbuster-e-books-und-der-herbst-1989-%E2%80%93-der-verleger-christoph-links-im-gesprach/

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Aus dem Archiv: Die erste Ausgabe des Montagsradios 2009…

“Ausblick auf 2009″ das war der Titel der ersten Ausgabe des Montagsradios. Im März 2009 starteten wir. 41 Ausgben folgten bis zum Herbst 2010. Das Montagsradio war konstituierendes Element des Onlineportals RevolutionundEinheit.de. Das Portal hatte die Aufgabe, die Diskurse und Debatten der Gedenkjahre 2009 und 2010 zu dokumentieren und einzuordnen. Der Erfolg des Montagsradios führte zur Neuauflage des Formats. Um das Archiv auch hier zugänglich zu machen, werden wir in den kommenden Tagen auch auf Montagsradio.de alle Ausgaben zur Verfügung stellen.

In der ersten Ausgabe vom 22. März 2009 sprachen wir mit dem Botschafter Polens, Marek Prawda über seine Erwartungen an das damals gerade startende Supergedenkjahr. Mit Peter Lange, langjähriger Politikjournalist und heutiger Chefredakteur von Deutschlandradio Kultur, sprachen wir in der gleichen Sendung über die Schwierigkeiten der Medien, historische Jahrestage adäquat abzubilden.


Quelle: http://www.montagsradio.de/2011/01/23/hallo-welt/

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Archiv: Wer war Ibrahim Böhme?

Montagsradio, Ausgabe 34 – Gespräch mit Christiane Baumann

Manfred “Ibrahim” Böhme war 1990 der Spitzenkandidat der SPD bei der ersten und einzigen freien Volkskammerwahl der DDR am 18. März. Nur eine Woche danach veröffentlichte der Spiegel Vorwürfe, Böhme sei jahrelang Spitzel für die Staatssicherheit gewesen. Aufklärung über die verworrenen Details seiner Lebensgeschichte ließen lange auf sich warten. Seine Biographie blieb voller selbstgestrickter Legenden und Lügengeschichten. Die Autorin Christiane Baumann hat Böhmes Biographie rekonstruiert.

2009 erschien von Christiane Baumann die Biographie über Manfred Böhme.

Christiane Baumann: Manfred “Ibrahim” Böhme. Ein rekonstruierter Lebenslauf. Biographische Studie, erschienen, Berlin 2009, 193 Seiten, Fotos u. Faksimiles, Broschur, Preis: 10,00 EUR. Schriftenreihe der Robert-Havemann-Gesellschaft, Band 15, ISBN: 978-3-938857-08-3.
Das Gespräch führte Jochen Thermann.

Quelle: http://www.montagsradio.de/2010/03/16/wer-war-ibrahim-bohme/

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Neues Subject Repositories

Am letzen Donnerstag wurde anlässlich der im Konferenzzentrum der British Library, London, abgehaltenen Tagung zum Thema Subject Repositories, ein neues themenbasiertes Repositorium online zugänglich gemacht. Es handelt sich hierbei um Economists Online, dessen Aufbau massgeblich durch die EU sowie eine Reihe namhafter Universitätsbibliotheken im Bereich Ökonomie finanziert und realisiert wurde. Die Daten bezieht Economists Online in erster Linie von den angeschlossenen institutionellen Repositorien.

Quelle: http://www.infoclio.ch/de/node/13488

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