Die Ursprünge der Mystik – eine Einführung

Der Begriff Mystik (griechisch: mystikós: „geheimnisvoll“) findet seine erste Verwendung in der griechischen Philosophie und Religion in der Antike. Die Stationen der weiteren Entwicklungen der antiken Mystik reichten von der platonischen theoria über die Mysterienkulte und der philosophischen Mystik des Plotin bis hin zum antiken Christentum.1

Die sogenannte Christliche Mystik hatte vermutlich im 4. Jhr. n. Chr. ihren Ursprung. Vermutlich wurde von den Kirchenvätern, wegen der wachsenden Anzahl der Heidenchristen in den Kirchen, in der Theologie und Spiritualität nach „neuen und fruchtbaren Wegen zu Gott gesucht“.2 Im Kern ist die Christliche Mystik als christliche Spiritualität mit Konzentration auf die Gotteserfahrung zu beschreiben. Durch die auf Theorien und Lehren basierenden Praktiken sollen die Erfahrung und das Erlebnis der innerlichen Einswerdung mit Gott und seiner unergründlichen Unendlichkeit für den Mystiker möglich werden.3 Die sogenannte unio mystica ist eine religiös-spirituelle Erfahrung und spielt in der christlichen Mystik die zentrale Rolle. Ursprünglich wurde der Begriff unio mystica von Dionysius Areopagita um 500 n. Chr. als mystiké henôsis geprägt und wurde dann als lateinischer Begriff unio mystica (zunächst auch als Mystische Theologie übersetzt) ab dem 13. Jhr. eingeführt, um sich dann ab dem 15./16. Jhr. fest im Sprachgebrauch zu etablieren.4

Die Christliche Mystik lässt sich auch als eine Fortführung von der im Alten Bund praktizierten Prophetie und von der im Neuen Bund unter den Aposteln erlebten Charismatik  auffassen.5 Diese Fortführung, aber auch die Adaption der mystischen Lehren aus der griechischen Religion und Philosophie, wurde von den Kirchenvätern wie Aurelius Augustinus, Ambrosius und Gregor der Große in der Spätantike durch ihre Schriften und Lehren initiiert und mit der von Mönchen entwickelten monastischen Mystik im Mittelalter übernommen.6 Sieht man von Johannes Scottus Eriugenas erfolglosen Bemühungen aus dem 9. Jhr. ab, die philosophische Mystik mit der Theologie zu vereinen, so war der Zeitpunkt für den Aufbruch einer neuen Mystik das Jahr 1200.7

Noch im 12. Jhr. wurde die Christliche Mystik von den klösterlichen Schriften der Zisterzienser und Viktorianer geprägt, untern ihnen führend der Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux, der die persönliche Gotteserfahrung zu einem ähnlich wichtigen Bestandteil geistliches Lebens erhob, wie die eigentliche Beschäftigung mit der Heiligen Schrift.8 Frühe mittelalterliche Mystik bestand bis zum 13. Jhr. vor allem darin, sich von der Welt zurückzuziehen und sich einer geistlich-privilegierten Gemeinschaft im Kloster anzuschließen.9 Neue Formen religiösen Lebens entstanden ab 1200 mit den städtisch ansässigen Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner sowie den Beginen. Mit ihrem Wirken in den Städten und der Verbreitung der Lehren der Armutsmystik sowie der vita apostolica schwand auch allmählich die Überzeugung von der Notwendigkeit der Weltflucht und dem Rückzug in ein geistlich-abgeschiedenes Leben: Eine Erfahrung von Gottes Gegenwart konnte nunmehr jedem Menschen widerfahren, egal an welchem Ort, denn sie war nicht mehr nur geistlich Privilegierten vorbehalten.10

Gegen Ende des 12. Jhr. erreichte die monastische Mystik ihren Höhepunkt und mit dem Jahr 1200 ging ihre Relevanz mit der Neuentstehung der scholastischen Theologie, die an den neu entstehenden Universitäten gelehrt wurde, zurück.11 Die mittelalterliche Theologie setzte sich nun aus der monastischen, der scholastischen und der volkssprachlichen Theologie zusammen.12 Durch die Bemühungen der Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner im 12. und 13. Jhr. wurde ab dem 14. Jhr. auch im geistlich-theologischen Bereich statt Latein vorwiegend die deutsche Volkssprache praktiziert.13 Zudem entstand etwa ab der Mitte des 12. Jhr. eine Frauenmystik, deren Anhängerinnen eine fromme und enthaltsame Lebensweise in religiösen Gemeinschaften führten.14

Eine der hauptsächlichen Ausprägungen der Christlichen Mystik im späten Mittelalter war die Deutsche Mystik, die mit Beginn des 14. Jhr vor allem in den südlichen Gebieten Deutschlands ihren Anfang als Bewegung von verschiedenen Mystikern nahm. Die Schriften und Lehren der Deutschen Mystik wurden größtenteils in der zeitgenössischen deutschen Sprache angefertigt.15 Auch die Frauenmystik entwickelte sich im 14. Jhr. zu einem immens wichtigen Bestandteil der Deutschen Mystik weiter.16 In der Deutschen Mystik wurde nicht nur die altchristliche Mystik aufgegriffen, sondern es wurden auch Lehren aus der heidnisch-griechischen Welt aufgegriffen.17 Die Literatur der Deutschen Mystik bestand vor allem aus „Traktaten, Schriftkommentaren, Briefen, Predigten und Autobiographien“.18

 

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2012): Die Ursprünge der Mystik – eine Einführung. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 


Bibliographie:

  1. Dinzelbacher, Peter: Christliche Mystik im Abendland. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters. Paderborn u.a. 1994. S. 35-41 ; Langer, Otto: Christliche Mystik im Mittelalter : Mystik und Rationalisierung – Stationen eines Konflikts. Darmstadt 2004. S. 51-69.
  2. Haas, Alois: Mystik im Kontext. München 2004. S. 50 ; Langer 2004. S. 80.
  3. Haas, Alois M.: Sermo mysticus: Studien zu Theologie und Sprache der deutschen Mystik. Fribourg 1979. S. 256.
  4. Haas 2004, S. 53-62
  5. Haas 1979, S. 257 ; Langer 2004, S. 80ff..
  6. McGinn, Bernard: The Flowering of mysticism: men and women in the new mysticism, 1200-1350. New York 1998. S. 2 u. 12 ; McGinn, Bernard: The Changing Shape of Late Medieval Mysticism. In: Church History, Vol. 65, No. 2 (Jun., 1996). S. 198.
  7. Langer 2004, S. 131ff..
  8. McGinn 1996, S. 197.
  9. Haas 1979, S. 259 ; McGinn 1996, S. 198.
  10. McGinn 1996, S. 198 ; Langer 2004, S. 211-218.
  11. McGinn 1998, S. 3 ; Langer 2004, S. 152.
  12. McGinn 1998, S. 19.
  13. McGinn 1998, S. 22ff. ; Haas 1979, S. 258f..
  14. Langer 2004, S. 227 ; Dinzelbacher 1994, S. 194.
  15. McGinn 1998, S. 21 ; Haas 1979, S. 255.
  16. McGinn 1998, S. 15 ; Haas 1979, S. 260.
  17. Haas 1979, S. 258.
  18. Haas 1979, S. 255.

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Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/08/die-ursprunge-der-mystik-eine-einfuhrung/

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Geschichtstourismus in Schweden – die Mittelalterwoche auf Gotland


Das Mittelalter als bzw. im Spiegel unserer Zeit...Flickr, CC-BY-NC-SA arkland_swe

Jedes Jahr im August, immer in der Kalenderwoche 32, machen sich zehntausende von Besuchern auf den Weg zur schwedischen Insel Gotland und – ins Mittelalter. Ein regelrechter Mittelalterwahn:  Hier treffen sich Eskapismus und Geschichtsverklärung, weidlich ausgeschlachtet von der Tourismusbranche.

Letzte Woche war es wieder soweit, und Tausende hatten sich wieder vor allem in der Inselhauptstadt Visby eingefunden, um sich inmitten der historischen Kulisse, welche die in weiten Teilen erhaltene Altstadt samt ihrer mittelalterlichen Stadtmauer bietet, dieser historischen Inszenierung hinzugeben. Von ihren bescheidenen Anfängen 1984 ist diese Veranstaltung zu einem Massenspektakel und Besuchermagnet mit an die 40.000 Besuchern jährlich geworden. Das in großen Teilen erhaltene mittelalterliche Stadtbild ist das eine, das für viele obligatorische Einkleiden in mittelalterlich anmutende Kleidung (oder was man dafür hält) ist das andere. Die Mittelalterwoche ähnelt in ihrem Programm und den angebotenen Aktivitäten vielem, was man in deutschen Breiten auf entsprechenden Veranstaltungen wiederfindet: angefangen beim Turnier über einen Markt mit Handwerk und Speisen bis hin zu diversen Theater- und Musikaufführungen – ein facettenreiches Enactment-Event und Geschichtsspektakel, und das eine ganze Woche lang, von Sonntag bis Sonntag.

Carl Gustaf Hellquist: Valdemar Atterdag brandskattar Visby (1882)Quelle: Wikimedia Commons

Den historischen Hintergrund bildet die Eroberung der Insel durch den dänischen König Valdemar Atterdag 1361 und die anschließende Brandschatzung Visbys – in gewisser Weise ein Kuriosum, da man sich auf eine für die Insel eher unerfreuliche Begebenheit bezieht. Dieses Ereignis ist für viele Schweden in Form des der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts zuzuordnenden Bildes von Carl Gustaf Hellquist durchaus präsent. Das nachfolgende Filmchen auf Vimeo zeigt eine Amateuraufnahme von 2009 vom alljährlich nachgestellten Einzug Atterdags in die Stadt. Kleine Bemerkung am Rande: Kurios ist das Bemühen, die Aufnahme durch die Nachbearbeitung als historisch anmutenden Schwarzweißfilm aus der Frühzeit des Kinos daherkommen zu lassen, sozusagen um “noch mehr historische Authentizität” zu erreichen.

“Jung und alt begeben sich 1000 Jahre in der Zeit zurück und leben während einer Woche auf Gotland im Mittelalter. Ist das Interesse für diese entlegene Zeit wirklich seriös oder haben wir einen Wunsch, für eine Weile aus unserer eigenen Zeit zu flüchten, uns als jemand Fremdes und Anderes zu verkleiden? Eine andere Person werden zu können und in der Fantasie nachspüren, wie sich das Dasein für Menschen in unterschiedlichen Situationen, Tätigkeiten und sozialen Zusammenhängen gestalten könnte.”

So schreiben die Organisatoren auf der Homepage der Mittelalterwoche und lassen erkennen, dass auch für sie die Inszenierung, die sie betreiben, ihre Grenzen hat. Während des Ereignisses ist man jedenfalls in vielerlei Hinsicht sehr bemüht, eine Illusion von Mittelalter zu kreieren – soweit das in der heutigen Zeit natürlich überhaupt möglich ist. Es gibt ein weitgehendes Autoverbot in der Visbyer Innenstadt, man versucht, Verkehrsschilder und andere moderne Symbole zu verdecken und es werden detaillierte Anweisungen an die mitwirkenden Akteure ausgegeben.

Frauen bitte mit Kopfbedeckung!Flickr, CC-BY-NC-SA jonas_evertsson

So werden für den Markt, den die Organisatoren als Herzstück der Mittelalterwoche begreifen, klare Regeln vorgegeben: Es sollen mittelaltertypische Waren und Mahlzeiten angeboten werden, die Marktstände müssen aus Holz und mittelalterlicher  Bauart  sein. Moderne Ausstattungs- und Gebrauchsgegenstände sollen vermieden oder camoufliert werden. Schilder mit Text sind weniger erwünscht als Symbole, Zunftabzeichen und das mündliche Anpreisen der Waren. Moderne Auszeichnungen der Waren werden vom Organisationsteam nicht zugelassen. Natürlich sind auch hinsichtlich der Kleidung Vorgaben zu beachten: “Verkäufer und andere, die sich am Stand aufhalten, sollen mittelalterlich gekleidet sein. Denk auch an die Schuhe. Ein Sack oder eine Tunika über moderner Kleidung sehen nicht gut aus. Frauen sollen eine Kopfbedeckung tragen. Mädchen dürfen jedoch das Haar offen tragen.”

Die Gesamtheit eines Marktstandes (Verkaufspersonal, Stand und Waren) soll dabei helfen, die Illusion eines mittelalterlichen Marktes zu erwecken. Mit der Unterschrift auf dem Pachtvertrag verpflichtet man sich als Markthändler, die Regeln der Organisatoren verbindlich einzuhalten. Alle Waren und Angebote müssen vom Organisationskomitee genehmigt werden: “Die Mittelalterwoche akzeptiert Produkte und Material, das es im Mittelalter gegeben haben kann, d.h. Produkte, die entweder mittelalterlichen Charakters und Eindrucks sind oder vom Mittelalter inspiriert sind oder aus Material, dass es im Mittelalter gab oder mit mittelalterlicher Technik hergestellt sind.” Auf dem Markt herrscht nicht nur Rauch-, sondern auch Kaffee-, Softdrink- und Mobiltelefonverbot. Wem das alles noch nicht genug ist, der kann sich noch in eines der Mittelalterlager begeben, in dem man seine Reise in die Vergangenheit rund um die Uhr betreiben kann. Sehr aktiv ist dabei eine sog. Gesellschaft für kreativen Anachronismus (das Organisationskomitee sollte vielleicht anfragen, ob man diesen Namen nicht übernehmen könnte…). Man kann also, wenn man möchte, mit Haut und Haaren, mit allen Sinnen in eine andere Zeit eintauchen. “Bei allem geht es natürlich darum, zu versuchen, lebendig zu machen, wie Menschen im Mittelalter lebten. Das beinhaltet alles, angefangen dabei, wie man sich kleidete, was man aß, was die Kinder spielten, wie man Dinge herstellte, welche Berufe man hatte, wie man hieß, bis hin wie man redete. Das ist es, worum es bei der Mittelalterwoche geht. Sowie Spaß zu haben!”

Mittelalterliche Stadtmauer von Visby (gemeinfrei)Quelle: Wikimedia Commons

Darüber hinaus geht es bei der Mittelalterwoche noch um handfeste wirtschaftliche Interessen. Gotland ist eine strukturschwache Region, deren Haupterwerbszweige der Tourismus und die Landwirtschaft darstellen. Von den Zeiten früherer Größe als Knotenpunkt im Ostseehandel und als Hansestadt ist wirtschaftlich gesehen nichts mehr übrig. Immerhin kann Schwedens “Sonneninsel” im Sommer beachtliche Zahlen an Touristen empfangen, primär aus Schweden selbst, aber auch aus anderen Ländern. Der Zeitpunkt Anfang August wurde bewusst gewählt, weil das Mittelalterspektakel so einen saisonverlängernden Effekt hat und Touristen auf der Insel hält oder zu einem Zeitpunkt auf die Insel bringt, wenn das Sommergeschäft sich langsam schon dem Ende zuneigt. Die Wahl des Themas ist auch recht vielsagend, fiel die Eroberung durch Valdemar doch in eine Zeit, in der Gotland nur schwache Bindungen an das schwedische Königreich besaß und eher eine Art Inselrepublik darstellte, die allerdings mit der zunehmenden Expansion der dänischen und schwedischen Herrschaftsbereiche und mit den Entwicklungen in der Seefahrt bereits dabei war, an wirtschaftlicher Bedeutung zu verlieren. Jedenfalls verweisen die Begebenheiten von 1361 auf eine Zeit, in der Gotland noch stärkere Distanz zu Schweden hatte – und das passt angesichts der gerne gepflegten regionalen Identität sehr gut.

Das Geschichtsevent trägt allerdings auch zu einer Engführung des gotländischen Geschichtsbildes auf das Mittelalter bei, eine Fixierung, die ohnehin schon stark ist. Über Gotlands Bedeutung als “Horchposten der NATO” in der Ostsee im Kalten Krieg und als strategischer Punkt in militärischen Planungen in den Konflikten und Kriegen des 19. und 20. Jahrhunderts etwas zu erfahren, ist ungleich schwerer, als über Gotlands Blüte in der Hansezeit. Zu Recht ist man auf die Stellung der Visbyer Altstadt als Teil des UNESCO-Welterbes stolz und bezeichnet sich auch als “Hansestadt Visby” [Hansestaden Visby]. Doch steht vieles andere im Schatten, das hat sich mir auch vor gut einem Jahr in Zusammenhang mit einer Lehrveranstaltung (die mit einer einwöchigen Exkursion nach Gotland verbunden war) gezeigt: Die Forschungsliteratur zu Hansezeit und Mittelalter Gotlands ist ungleich reichhaltiger als zu anderen Epochen.

Es gibt mittlerweile eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, welche die Medeltidsveckan als geschichtskulturelles Phänomen unter die Lupe genommen haben. Im Zentrum stehen dabei Fragen der Aneignung von Geschichte und Geschichtsbildern, die Authentizität der mittelalterlichen Inszenierung in den Augen der Besucher und ihre Bedeutung als Flucht vor und zugleich Spiegel der Gegenwart. Hinsichtlich der Erwartungen an den authentischen Charakter der Mittelalterwoche – angesichts des weiter oben beschriebenen Aufwandes, der für die Inszenierung betrieben wird – verweist Sandström darauf, dass gerade Besucher mit guter historischer Vorbildung um Brüche und Unzulänglichkeiten in der Inszenierung nur zu gut wissen, sich aber dennoch auf das Spiel mit der Vergangenheit einlassen. Intellekt und Gefühl gingen eben nicht immer Hand in Hand: “Wir sind nicht dort, um mittelalterlich korrekt zu sein, wir sind dort, um Spaß zu haben.” sagen Besucher der Mittelalterwoche. Genau darum gehe es nämlich, auch der Titel des Buchs von Gustafsson verweist auf Spiele mit Zeit, Raum und Identität.

Man könnte gar die These aufstellen, dass man desto weniger im Mittelalter leben möchte, je mehr Wissen man sich über diese Zeit aneignet. Eine Kapitelüberschrift bei Sandström lautet “Das Mittelalter war eine Zeit ohne Zahnpasta”, und es wird anhand Befragungen von Besuchern der Mittelalterwoche deren oft sehr hoher Grad an Bewusstsein darüber aufgezeigt, dass sie sich immer nur in einem Ausschnitt oder in einer bestimmten Vorstellung von Mittelalter bewegen. Abends legt man sich ins Hotelbett oder in eine der Wohnungen, welche die Einwohner Visbys für teures Geld während der Woche vermieten, morgens ist man sein modernes Frühstück und schlüpft dann in die weichgespülte Version von Mittelalter ohne Unrat in den Straßen, ohne Dreck und Krankheiten. Aber kann man den begeisterten Besuchern deswegen Vorwürfe machen? Ist es nicht zu begrüßen, dass sich die Menschen wie bei kaum einer anderen Epoche mit Alltagsgeschichte und dem Leben der einfachen Leute auseinandersetzen? Was nämlich bei aller Kritik an Geschichtskonstruktionen und Eskapismus hinzukommt: Die Mittelalterwoche wird durch zahlreiche Bildungsangebote wie Stadtrundgänge, Vorträge und Museumsführungen bereichert und siedelt diesen Charakter als durch wissenschaftliche Erkenntnisse fundierte Bildungsveranstaltung relativ hoch an. So kann man das eigene “Nachleben” von Geschichte um fachlich kompetenten Input bereichern und das Ganze auch eher als Bildungsreise in die Vergangenheit mit verschiedenen Facetten auffassen. Von daher wird für einen nicht zu unterschätzenden Anteil der Besucherschar von den Living-History-Anteilen und dem Reenactment-Charakter der Veranstaltung eine Brücke hin zu historischer Bildung gebaut. Zumindest möchte ich mit der leisen Hoffnung, das dem so ist, diesen Beitrag beschließen.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/138

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mediaevum.net: The Franciscan Archive. A WWW Resource on St. Francis and Franciscanism

www.franciscan-archive.org Das Franciscan Archive bietet ein Sammelsurium an Informationen, Verweisen und Material rund um den Franziskanerorden, seine Geschichte, Gegenwart und Schlüsselfiguren. Besonders hilfreich ist das Angebot an relevanten historischen Dokumenten, deren maßgebliche Editionen in der Regel nicht online oder nicht frei zugänglich sind. Leider fehlt der Seite ein Impressum; angegeben ist wenigstens eine Kontaktadresse: The [...]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2012/08/3112/

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aussichten Nr. 26 [31.07.2012]: Neue Einträge bei aussichten-online.net; Digest 01.06.2012-31.07.2012

rücksichten Nr. 7 [17.06.2012]: Das Klebeband, das den Präsidenten stürzte. 40 Jahre Watergate-Affäre http://www.aussichten-online.net/2012/06/2815/ http://www.tagesschau.de/ausland/watergate102.html “Am 17. Juni 1972 entdeckte ein Wachmann im Watergate-Gebäude ein Stück Klebeband – und löste so den größten Regierungsskandal der US-Geschichte aus. Systematisch hatte der damalige US-Präsident Nixon seine Gegner abhören lassen. Dazu kamen Regierungslügen, Einbrüche und geheime Konten.”[1] [1] [...]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2012/07/3087/

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Einblicke in die Strafvollzugsgeschichte

So lange es Verbrechen gibt, so lange gibt es auch Gefängnisse. Weit gefehlt! Das Gefängniswesen so wie wir es in unserer heutigen Zeit kennen, ist relativ neu. Gewisse Ansätze des Gefängniswesens sind zwar schon in der Antike bekannt: Zum Beispiel wird in der Bibel von mehreren Gefängnissaufenthalten von Paulus gesprochen, jedoch waren das keine Freiheitsstrafen, die vom Staat vollzogen wurden. Solche Haftaufenthalte dienten vielmehr zur Aufbewahrung des Täters bis zur Aburteilung oder Hinrichtung.1

Auch im Mittelalter wurden keine Freiheitsstrafen durchgesetzt, denn das Strafsystem sah ausschließlich sogenannte Leib- und Lebensstrafen (Prügel- und Todesstrafe) vor. Auch den heutigen Grundgedanken der Besserung und Wiedereingliederung von Straftätern gab es nicht. Zwar gab es Gefängnisse in Klöstern, aber  auch diese dienten keiner Besserung, sondern allein der Sanktion durch Umkehr und Buße von Nonnen und Mönchen. Weiterhin dienten andere Gefängnisse allein zu Folter- oder Hinrichtungszwecken.

Erst im späten 16. Jahrhundert entstanden in vielen europäischen Ländern Arbeits- und Zuchthäuser, in denen unter anderem Bettler und Landstreicher eingesperrt wurden. Eines der ersten und „modernen“ Zuchthäuser war das Amsterdamer Tuchthuis von 1596, welches das Gefängniswesen revolutionierte. Hier traf zum ersten Mal die Besserung der Straftäter in den Vordergrund und verdrängte den Vergeltungsgedanken.2Durch harte Arbeit sollten die Gefangenen an ein anständiges Leben in Freiheit gewöhnt werden. Des Weiteren erteilte man den Gefangenen Unterricht um ihre Chancen auf ein späteres gesellschaftlich-angesehenes Leben zu erhöhen. Die Ursache für diese Entwicklung „war im Wesentlichen die soziale, religiöse und  wirtschaftliche Situation. Die stetig wachsende Kleinkriminalität konnte nicht mehr nur durch die Vollstreckung von Leibesstrafen begegnet werden – gefordert war eine andere Reaktionsform“3.

Um 1790 entstand in den Vereinigten Staaten ein neues Gefängnissystem: Das Pennsylvanisches System oder auch „Separate System“ genannt. Dies bedeutete für alle Insassen strenge Einzelhaft, ohne Möglichkeit zu arbeiten. Es wurde daraufhin auch das „solitary-system“ genannt.4 Jeder Häftling war komplett abgeschottet und getrennt von anderen Insassen. (Architektonisch stand dieses Modell konträr zum Modell des Panoptikums, bei dem der Wärter aus der Mitte des kreisförmigen Gefängnisbaus Augenkontakt zu jedem der Häftlinge hatte, weil die Zellen sich im Kreis um den Wärterposten formierten). Weiterhin hatten im Pennsylvanischem System  die einzelnen Insassen nur Kontakt zu den Wärtern, mit denen es jedoch verboten war zu reden. Insgesamt hatten die Insassen immer zu schweigen. Die Wärter kannten auch weder die Namen noch die verübten Straftaten der Insassen. In den Zellen gab es jeweils nur die Bibel zu lesen (andere Bücher waren verboten). So sollte den Insassen zur inneren Einkehr geholfen werden. Allerdings wurde damit oftmals das Gegenteil erreicht: Viele Insassen wurden apathisch und psychisch krank und versuchten Suizid zu verüben. Dieses System wurde später von ca. 300 anderen Gefängnissen weltweit nachgeahmt, jedoch musste es im Laufe der Jahre modifiziert werden, da es dem Staat zu teuer wurde Insassen in Einzelhaft ihre Strafe abbüßen zu lassen.

Eine Modifizierung dessen ist das sogenannte „Auburn System“: Es folgte eine gemeinsam verrichtete Arbeit mit Schweigegebot,5  bei sonstiger Isolation. Diese Methode wurde auch das „silent system“6 genannt. Nicht die Stille und die Einsamkeit sollen den Straftäter zur Einkehr bewegen, sondern die schwere Arbeit.  Zwei weitere Merkmale des Systems waren die einheitlichen Uniformen, die jeder Häftling tragen musste und der „Lockstep“, das bedeutet, dass die Füße der Häftlinge mit seinen vorderen und hinteren Nachbarn verbunden wurden und sie sich nur im Gleichschritt fortbewegen konnten.

Doch auch dieses System wurde als unmenschlich angesehen und zum Ende des 19. Jahrhunderts in den USA fast vollständig abgeschafft. Eine neue Art des Gefängniswesens brachte der „Stufenstrafvollzug“ oder auch „Englisches Progressivprogramm“ genannt. Dieser sah drei Stufen für den Häftling vor. Als erstes neun Monate Einzelhaft mit harter Arbeit, aber auch Unterricht und Zuspruch. Bei guter Führung kam der Häftling in die Gemeinschaftshaft, auch dort musste er weiterhin Arbeit verrichten. Zudem konnte er durch ein „Mark-System“ sich weitere Marken verdienen oder sie wurden ihm bei schlechtem Benehmen entzogen, das heißt dass er auch wieder in die unterste Stufe degradiert werden konnte. Die dritte Stufe sah eine frühzeitige Entlassung vor. In Deutschland wurde der Stufenstrafvollzug aufgrund der Machtübernahme Hitlers nicht mehr eingeführt.7

Heutzutage wird in den meisten westlichen Ländern der „Individualvollzug“ durchgeführt, der im Gegensatz zum Stufenmodell noch variabler ist und auf jeden einzelnen Gefangenen genau abgezielt werden kann, zumindest in der Theorie.

Was aus der sogenannten früheren Zeit der Strafvollzugsgeschichte geblieben ist, ist die Tatsache, dass das Gefängnis auch heute noch als Hinrichtungsort dient.

Insgesamt erkennt man die sich ständig veränderte Funktion des Gefängnisses. Zunächst als Ort der Verwahrung vor der Verhandlung oder Hinrichtung entwickelte sie sich zum zentralen Strafinstrument. Dies geschah oftmals aus gesellschaftlichen und ökonomischen Gründen. Erst relativ spät setzte die Entwicklung hin zum Resozialisierungsvollzug ein. Auch heute noch wird die Institution Strafvollzug modernisiert und entwickelt. In Deutschland wurde 2007 in Hessen das erste Gefängnis (teil-)privatisiert8. Was in den Vereinigten Staaten völlig normal scheint, ist in Deutschland umstritten. Natürlich wirft diese Entwicklung der Privatisierung von Gefängnissen viele Fragen auf. Allen voran jedoch die Frage danach inwieweit dadurch der Grundgedanke der Besserung und Wiedereingliederung für die Produktivität und Effizienz der Gefängnisanstalten aufgehoben werden soll?

Exkurs: Eine Welt ohne Gefängnisse?

Aktuell gibt es auch einige Befürworter der Abschaffung der Gefängnisse.  In der Sozialkriminologie nennt man diesen theoretischen Ansatz Abolitionismus (lat. für Abschaffung). Damit ist der absolute Verzicht auf Gefängnisse und totale Institutionen gemeint. Des Weiteren wird auch die Abschaffung des Strafrechts gefordert. Zu ihren bedeutendsten Vertretern gehören u.a der deutsche Kriminologe Sebastian Scheerer sowie der niederländische Soziologe Louk Hulsman.

Als totale Institution definiert Erving Goffman eine Anstalt in der alle Lebensäußerungen eines Menschen von außen geregelt und zu kontrolliert werden. Als Beispiel nennt er dabei Klöster oder eben Gefängnisse.

Der Mensch wird in der Institution für eine bestimmte Zeit isoliert und muss somit mit seiner früheren sozialen Rolle brechen.

Eine Totale Institution weist nach Goffman folgende Merkmale auf9:

  • Eine Totale Institutionen umfasst das ganze Leben des sozialen Akteurs. Das bedeutet, dass das Leben aller Mitglieder ausschließlich an einem Ort stattfindet und ist einer einzigen zentralen Autorität unterworfen ist.
  • Alle Mitglieder der Institution führen ihre alltägliche Arbeit mit anderen Schicksalsgefährten aus.
  • Alle Tätigkeiten und sonstigen Lebensäußerungen sind exakt geplant und vorgeschrieben.
  • Die verschiedenen Tätigkeiten und Lebensäußerungen werden beobachtet und überwacht dienen dazu offizielle Ziele der Institution zu erreichen.

Weitere Kritiker sind natürlich Michel Foucault mit seinem Werk „Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses.“ Hierbei wird in Gefängnissen durch Wärter (am effektivsten durch die Organisation wie im Panoptikum10) Wissen produziert , welches als Machtinstrumentarium gegen den Gefangenen angewendet werden kann. Das Panoptikum in dem der Wärter jeden Gefangenen immer und von überall überwachen und beobachten kann, kann laut Foucault auch auf weitere, aktuellere Gesellschaftsformen angewendet werden. Genau diese subtilen Machtmechanismen sind eine Bedrohung für andere Gesellschaftsformen, wie zum Beispiel die Disziplinargesellschaft11.

Auch der französische Soziologe  Loïc Wacquant steht dem Gefängniswesen kritisch gegenüber. Laut Wacquant werden (vornehmlich in US-Gefängnissen) keine Kriminellen eingeschlossen, um zu verwahren und Gerechtigkeit zu erlangen, sondern aus vollkommen anderen Gründen:

„Wir müssen daher die Funktionen des Gefängnisses in den Blick nehmen, die mit Bestrafen und Kontrolle von Kriminalität nichts zu tun haben. Das Gefängnis dient nicht dazu, Verbrechen zu bekämpfen, sondern dazu, die Armen zu regulieren, soziale Unruhen einzudämmen und diejenigen zu verwahren, die durch die neue gesellschaftliche Arbeitsteilung, den technologischen Wandel und die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse überflüssig gemacht worden sind. Darüber hinaus hat das Gefängnis den Nutzen, die Souveränität und Autorität des Staates zur Schau zu stellen“12.

 

 

Weitere interessante Literatur unter:

http://www.falk-bretschneider.eu/biblio/biblio-index.htm

 

Empfohlene Zitierweise: Goździelewska, Agnieszka (2012): Einblicke in die Strafvollzugsgeschichte. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 


Bibliographie:

  1. Rössner, Dieter: Geschichte des Strafvollzugs, Vorlesung Strafvollzug – Sommersemester 2008 am Institut für Kriminalwissenschaften der Philipps-Universität Marburg, S. 1. http://www.uni-marburg.de/fb01/lehrstuehle/strafrecht/roessner/roessner_vermat/roessner_archiv/ss08-0110400064vl/strafv_mat02 (Abrufdatum: 12.07.2012)
  2. Weitere Informationen unter: http://www.gr.ch/DE/institutionen/verwaltung/djsg/ajv/dienstleistungen/JVASennhof/Geschichtliches/Seiten/EntwicklungimStrafvollzug.aspx (Abrufdatum: 11.07.2012).
  3. Rössner, Dieter: Geschichte des Strafvollzugs, Vorlesung Strafvollzug – Sommersemester 2008 am Institut für Kriminalwissenschaften der Philipps-Universität Marburg, S. 2. http://www.uni-marburg.de/fb01/lehrstuehle/strafrecht/roessner/roessner_vermat/roessner_archiv/ss08-0110400064vl/strafv_mat02 (Abrufdatum: 12.07.2012).
  4. Laubenthal, Klaus: Strafvollzug, Springer-Verlag Berlin 2011, S. 55.
  5. Anm.: Dem Separate System wurde immer angekreidet, dass es zu einfach wäre in Einzelhaft zu schweigen. In Gruppen sei dies logischerweise schwieriger.
  6. Laubenthal, Klaus: Strafvollzug, Springer-Verlag Berlin 2011, S. 55.
  7. Laubenthal, Klaus: Strafvollzug, Springer-Verlag Berlin 2011, S. 56f.
  8. Reißman, Oliver: Die ziehen die Schrauben ganz schön an, Artikel vom 31.01.2007, Spiegel-Online unter: http://www.spiegel.de/wirtschaft/private-gefaengnisse-die-ziehen-die-schrauben-ganz-schoen-an-a-463009.html (Abrufdatum: 11.07.2012).
  9. Erving Goffman: Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1973, S. 15f.
  10. Siehe dazu:  Bentham, Jeremy: Panopticon; Or, The Inspection-House: London 1791.
  11. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994, S. 39 ff.
  12. Zitiert aus Heigl, Richard: Geschichte des Gefängnisses: Eine Bibliographie und eine aktuelle Diskussion, vom 31.10.2009 http://kritischegeschichte.wordpress.com/2009/10/31/geschichte-des-gefangnisses-eine-bibliographie/ (Abrufdatum: 12.07.2012).

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Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/07/einblicke-in-die-strafvollzugsgeschichte/

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mediaevum.net: Findbuch zum Nachlass Friedrich Bock

www.mgh.de/archiv/nachlass-friedrich-bock “Das Findbuch zum Nachlass Friedrich Bock (1890-1963) wurde jetzt als PDF-Datei eingestellt. Der Nachlass ist ein Depositum des Vatikanischen Archivs, dem Bock seine schriftliche Hinterlassenschaft testamentarisch vermachte. In jahrelanger Kleinarbeit wurde diese wichtige Bestand erschlossen. Er enthält intensive Vorarbeiten zu einem Urkundenbuch Ludwig des Bayern und zur Wissenschaftsgeschichte des III. Reiches.” Unveränd. Zweitpubl. v. http://www.mediaevum.leilabargmann.de [04.02.2012]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2012/07/3048/

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Die Kriegsführung des Deutschen Ordens in der Älteren Hochmeisterchronik (I)

Anlehnend an den Artikel: Die Kriegsführung des Deutschen Ordens im Baltikum, soll nun ausgehend von den Darstellungen der Älteren Hochmeisterchronik sowie dem in der Chronik behandelten Zeitraum und den Orten folgende Fragestellungen bearbeitet werden:

 Auf welche Art und Weise führte der Deutsche Orden Kriegshandlungen aus bzw. wie kämpften die Ritter des Deutschen Ordens gegen die Prußen, Polen, Liven und Litauer? Weiterhin soll danach gefragt werden, wofür die Ritter des Deutschen Ordens laut den Darstellungen der Chronik kämpften bzw. welche Zielsetzung sie bei ihren Kampfhandlungen verfolgten.

Vorgehen

Die Fragestellungen wurden für die Sichtung des Quellenmaterials als Auswahlraster verwendet. Aus den relevanten Textpassagen ergeben sich drei thematisch-variierende Gruppen:

 

1. Befestigungsanlagen

2. Heroisierung/ Religiöse Aspekte der Kriegsführung

3. Art und Zielsetzung der Kriegsführung

 

Diese lassen sich in weitere Teilaspekte untergliedern. Im Folgenden sollen aus diesen Gruppen repräsentative Beispiele ausgewählt und einer genaueren Quellenanalyse unterzogen werden.

Allgemeines zur Älteren Hochmeisterchronik

In der Älteren Hochmeisterchronik wird die Geschichte des Deutschen Ordens im Baltikum von 1190-1433 überblicksartig aufgeführt und dabei werden neben politischen Ereignissen und Kriegshandlungen vor allem „menschliches Verhalten und dessen Folgen“1 beschrieben. Für die Erzählweise der Älteren Hochmeisterchronik ist nicht nur charakteristisch,  dass Ereignisse knapp und überblicksartig dargestellt werden, sondern auch, dass der Chronist sich bemühte, die Ereignisse weitestgehend chronologisch zu berichten und mit Jahreszahlen zu versehen. Die Frage nach der Verfasserschaft der Chronik drängt sich auf, weil in der Chronik selbst kein Name genannt wird. Obwohl Chroniken „nicht selten Auftragswerke […] und mit bestimmten Absichten“2 verfasst seien, deutet die Haltung des Chronisten gegenüber dem Deutschen Orden nach genauerer Betrachtung auf einen „überzeugten, wenn auch keineswegs unkritischen Anhänger des Ordens.“3 Die Chronik wurde in zeitgenössischem Deutsch und in einer Prosafassung angefertigt, was der Chronik zur Zeit der Abfassung4 einen größeren Leserkreis ermöglichte. Die Chronik besteht aus einem größeren, sogenannten unselbstständigen Teil, dessen Schilderungen auf anderen Chroniken basieren und einem zweiten selbstständigen Teil.5 Zweifelhaft ist, ob der Bericht über den Hussitenkrieg ursprünglich zu der Chronik gehörte, vielleicht wurde er als Anhang der Chronik hinzugefügt. Der Chronist verwendet als Grundlage für seine Darstellungen Materialien aus der Ordenskanzlei, verschiedene andere Chroniken und verarbeitet sicherlich auch mündliche Überlieferungen sowie Selbsterlebtes.6 Eine nähere Untersuchung der Chronik wurde bisher in der Forschung weitestgehend vernachlässigt.

Die Befestigungsanlagen des Deutschen Ordens

Im ersten ausgewählten Beispiel, dem Kapitel 40 der Chronik, kommen gleich mehrere inhaltliche Aspekte zum Tragen, die für die Bearbeitung der Fragestellungen relevant sind: Der erste wichtige Aspekt ist für die 1. Thematische Gruppe: Befestigungsanlagen relevant: Um 1253 wurde direkt an der Memelmündung die Memelburg durch einige Ordensbrüder errichtet. Ursprünglich wurden diese Ordensbrüder, unter der Leitung von Eberhard von Sayn, vom Hochmeister aus Preußen nach Livland entsandt. Eberhard von Sayn sollte wegen der Erkrankung des Meisters Andreas neuer Hochmeister von Livland werden. Auf dem Weg nach Kurland entlang der Memel ließ Eberhard von Sayn diese Burg im Land der heidnischen Samaiten errichten und mit Brüdern und Bewaffneten besetzen, um  anschließend mit seinem Heer das Land wieder zu verlassen.7 Dass man mit der Errichtung einer befestigten Burg auf feindlichem Gebiet Herrschaftsansprüche anmeldete und gleichzeitig Widerstände seitens der Einheimischen provozierte, liegt auf der Hand. Es darf daher nicht verwundern, dass die Chronik schon kurz darauf davon berichtet, dass die Samaiten davon erfuhren, „daz dy Dutschyn zcur Memel eyn burg hattin gebuwet.“ 8 Nach dem Auskundschaften der Burg erhielten die samaitischen Truppen den Befehl ihres Ältesten, „daz yr zcur Memel vart mit schilde und spere, und brecht daz hus zcu cleynen stucken.“9 Der Angriff der Samaiten auf die Burg erfolgte, laut der Chronik, von vielen Schiffen aus, die von der Ostsee und dem Frischen Haff aus direkt zur Memel steuerten, von wo die Truppen über eine Brücke schließlich zur Burg gelangten. Die in der Chronik geschilderten Verteidigungsanstrengungen der Burgbesatzung müssen vor dem Hintergrund gesehen werden, dass Eberhard von Sayn samt Heer außer Landes geritten war und nur eine einfache Burgbesatzung zurückgeblieben war, die vermutlich nur Verteidigungszwecken diente. Die nur mit Schildern und Speeren bewaffneten  Samaiten  konnten  jedoch von der Burgbesatzung zurückgeschlagen werden: „Abyr dy brudyr wurfin und schossin yr also vil tod, daz sy hüfficht um dy burg lagin. Czu leczt wichin sy von der burg, und warn betrubit, um dy sy hattin verlorn.“10 Ausgehend von dieser Beschreibung war der Grund für die erfolgreiche Verteidigung der Burg offensichtlich die bessere Kriegsausrüstung der Ordensbrüder, mit Sicherheit lag es nicht an der größeren Truppenstärke. Die Beschreibung der Chronik, dass die Samaiten „czo vil“ 11 ihre Schiffe auf die Memel setzten, deutet ebenfalls darauf hin, dass die Samaiten in der Mehrzahl waren. Die erfolgreiche Verteidigung einer Burg aus der 1. Thematischen Gruppe: Befestigungsanlagen findet an vielen Stellen der Chronik Erwähnung, dabei werden auch Hinweise gegeben, weshalb die Ordensbrüder erfolgreich verteidigen konnten. Manch erfolgreiche Verteidigung kann auch mit in die 2. Gruppe Heroisierung/religiöse Aspekte einbezogen werden und soll im weiteren Verlauf dieser Untersuchung näher erläutert werden.

Die Art der Kriegsführung und die Zielsetzungen

 Ein dritter Aspekt, der in diesem Kapitel erwähnt wird, ist die Reaktion auf den eben geschilderten Angriff seitens des Hochmeisters Poppo von Osterna: „Do dis dem meystir wart gesayt, her besamte yn czorne eyn mechtig heer, und czog obyr den strand uf Czameland.“12 Das Entsenden von Truppen gegen Feinde als Reaktion auf einen vorhergegangenen Angriff stellt in den Beschreibungen der Chronik keine Seltenheit dar (Zuordnung: 3. Thematische Gruppe: Art der Kriegsführung und die Zielsetzungen): Man benötigte einen Anlass und eine Legitimation für die Durchführung der Feldzüge. Die jeweiligen Anlässe für die Durchführung der Feldzüge konnten gleichzeitig auch die bei den Feldzügen verfolgten Zielsetzungen sein. Es gab Rache- und Vergeltungsfeldzüge, die sich von der Art der Durchführung her nicht sonderlich von den ursprünglichen Feldzügen unterschieden, bei denen als Zielsetzung die Christianisierung der Heiden bzw. der Heidenkampf im Vordergrund stand. Bei der eben erläuterten Begebenheit fiel der Hochmeister Poppo von Osterna, nachdem die Ordensbrüder einen Wall am Frischen Haff zerstört hatten, mit seinen Truppen raubend und brandschatzend in das Land der Samaiten ein und erschlug viele aus dem samaitischen Volk („Do sprengtyn sy yns land mit robe und brande und slugin vil volkis“ 13). Schließlich lieferte man sich beim zerstörten Wall noch eine weitere Schlacht.
Die hier dargelegte Art und Weise der Kriegsführung des Deutschen Ordens ist mit der in der heutigen Forschung bekannten und bereits erläuterten Kriegsführung der „Verbrannten Erde“ zu beschreiben. Man wollte nicht nur in einer Art Rachefeldzug einen Ausgleich für die entstandenen Beschädigungen an der Burg schaffen, sondern den Gegner militärisch aber auch vor allem infrastrukturell nachhaltig schwächen. Man zerstörte nicht nur, sondern raubte verwendbare Ressourcen und nahm Geiseln, um das Restliche, was den Feinden nach der Zerstörung übrig bleiben könnte, zu entwenden und zum eigenen Nutzen zu gebrauchen. Auch zog man nach der Strategie der „Verbrannten Erde“ präventiv gegen den Feind ins Feld.14

Die nächsten beiden Kapitel 106 und 107 der Älteren Hochmeisterchronik enthalten mehrere Aspekte, die für die 3. Thematische Gruppe: Art und Zielsetzung der Kriegsführung des Deutschen Ordens charakteristisch sind: Um 1283 zog Konrad von Thierberg (der Jüngere) als Landmeister von Preußen mit einem Heer vom Samland nach Sudauen.15 Als er dem Land nahe kam, traf er auf den Bruder Ludwig von Libencillin und Kanthegirt, den Ältesten der Sudauer, der Ludwig gefangen hielt. Dazu saßen weitere sechzehn Männer und Frauen im Gefängnis, die Ludwig alle zum Glauben bekehrt hatte. Konrad befahl Ludwig die Befreiten in das Samland zu führen. Für die in diesem Kapitel dargestellte Befreiung der Gefangenen bzw. des Ordensbruders Ludwig finden sich in der Chronik viele weitere Beispiele, was darauf schließen lässt, dass es bei der Kriegsführung des Deutschen Ordens auch eine Zielsetzung war, Gefangene zu befreien.16

Weiterhin „[…] sprengte her [Konrad von Thierberg]den andern morgen in Sawdawen, und belag eyne burg Kymenowe gnant mit storme so hart, das sy burgleuthe sich abdyngeten, und globten, sy welden sich lassen touffen und den cristen globen entphan.“17 Die Absicht Konrads, in das feindliche Gebiet der Sudauer einzufallen, mag vor allem darin begründet liegen, dass er die Feldzüge seines älteren Bruders (Konrad von Thierberg der Ältere) gegen die Sudauer fortsetzen und damit die Erschließung des Preußenlandes durch den Deutschen Orden zu einem Ende führen wollte.18 Doch natürlich gab es auch hier die Absicht, die Heiden zu christianisieren, jedoch nicht mehr durch friedliche Missionierung, sondern durch Gewaltanwendung. Die in diesem Kapitel angegriffenen Sudauer kannten bereits aus vorhergegangenen Kämpfen die Zielsetzung der Kriegsführung des Deutschen Ordens, nämlich den Herrschaftsanspruch über Preußen und die Christianisierung der Heiden. Um weiteres Leid abzuwenden, gelobten die Burgleute von Kymenowe, sich taufen zu lassen und den christlichen Glauben anzunehmen. Genauere Angaben zum Ablauf der Belagerung und zur Erstürmung der Burg sind nicht wiedergegeben, jedoch muss das Ausmaß („mit storme so hart“) unerträglich für die Sudauer gewesen sein. Mit dem Erreichen der einen Zielsetzung ihrer Kriegsführung, nämlich der Christianisierung der Sudauer, war Konrad zufriedengestellt und er vertraute die vermeintlich christianisierten Sudauer einem „leitzcman“ an, mit dem sie ins Samland gehen sollten. Diese Sudauer überwältigten auf ihrem Weg ins Samland den „leitzcman“, stachen ihm die Augen aus und flohen nach Litauen. In Sudauen hingegen wandte sich ein edler und mächtiger Sudauer mit seinem Gefolge an die Brüder und ließ sich taufen. Ihr Hauptmann Seurde verweigerte aber die Taufe und zog mit anderen Sudauern nach Litauen. Das Kapitel endet mit der Angabe, dass das Land wüst blieb, was bedeuten kann, dass ohne den Hauptmann Seurde der letzte Widerstand der Sudauer gebrochen war und somit das Vorhaben des Deutschen Ordens erfolgreich war.

Das darauffolgende Kapitel 107  beginnt mit der Angabe, dass um 1283 „[…] dy bruder dy Prewszen alle betwungen und zcum globen brachten, do griffen sy dy Littawen an.“19 So ist in diesem Kapitel die Rede von zwei Feldzügen, die im Winter 1283 und 1284 unter der Leitung von Konrad von Thierberg (der Jüngere) gegen die Litauer durchgeführt wurden. Obwohl die Littauerreisen und der damit einhergehende Heidenkampf an den Grenzen Livlands, laut dem heutigen Forschungsstand, erst ab 1302/1304 durchgeführt wurden,20 weisen die in diesem Kapitel beschriebenen Raubzüge in der Art ihrer Durchführung durchaus Ähnlichkeiten mit den späteren „Littauerreisen“ auf. Auffällig an der Beschreibung des Kapitels 107 sind auch die häufigen Bezeichnungen der Litauer als Heiden und der Ordensbrüder als Christen. Diese vermutlich absichtlich vorgenommene Kontrastierung des Chronisten deutet darauf hin, dass bereits dieser Feldzug als religiös-begründet, angesehen werden sollte. Eine mögliche Absicht des zweiten Feldzuges konnte ein Racheakt an einem Barten sein, der zwei Komture des Ordens hatte gefangen nehmen lassen und einen Kaplan erhängt hatte. Die Art der Durchführung der beiden Feldzüge kann ebenfalls mit den gängigen Praktiken des Plünderns, Raubens und der Gefangennahme beschrieben werden. Hinsichtlich des Umgangs mit der eroberten Burganlage wird in diesem, wie auch in den anderen Kapiteln der Chronik beschrieben, dass die Burganlage, nachdem sie eingenommen wurde, verbrannt bzw. zerstört wurde. Auch wurde in Kapitel 21 die gezielte Verbrennung des Vorlandes geschildert. Demnach gab es laut den Darstellungen der Chronik eine durchgängige Praxis der Zerstörung im Umgang mit eroberten Burganlagen.

Weitere repräsentative Beispiele der 3. Thematischen Gruppe: Art und Zielsetzung der Kriegsführung sind in den Kapiteln 187, 41, 119 und 58 enthalten. Eine in der Chronik häufig erwähnte Strategie der Kriegsführung des Ordens war es, das Heer an geo-strategisch wichtigen Punkten zu sammeln oder eine Burg zu bemannen21.“ Kapitel 187, S. 621: „Czu hant reit em entkegen der kompthur vom Elwinge in eyne lantwer.“], um den Gegner abzuschrecken oder auf den Angriff einer bestimmten Region schnell reagieren zu können. Um die Schritte des Gegners im Voraus zu bemerken und  sich auf einen Angriff vorbereiten zu können, ließ man, wie z.B. im Kapitel 41 beschrieben, Wege überwachen: „Meyster Werner leyte uf alle wege hute, dy zcu Littawen geen, uf daz her seyn land bewerte.“22 Wie aus den Darstellungen des Kapitels 119 überaus deutlich wird, wurde man auch durch Boten und Verbündete vor Angriffen und Hinterhalten gewarnt. Zudem sandte man Kundschafter voraus, die wie im Kapitel 58 berichtet, die Schritte der in der Nähe weilenden feindlichen Truppen in Erfahrung bringen sollten: „Dy brudyr rittin ym mit truwen, daz her [Graf von Julich] boten sente zcu vorn uf dy strasszen, ab ym dy Prusen icht hetten dy wege vorleit.“23

 

weiter zu Teil II

 

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2012): Die Kriegsführung des Deutschen Ordens in der Älteren Hochmeisterchronik (I). In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 


Bibliographie:

  1. Forey, Alan: The military orders: from the twelfth to the early fourteenth centuries. Basingstoke 1992.  S. 190.
  2. Siehe Goetz, Hans-Werner: Proseminar Geschichte: Mittelalter. Stuttgart 2006. S. 111.
  3. Siehe Vollmann-Profe, Gisela: Textfeld 3: Das ausgehende 14. und die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Feistner, Edith / Neecke, Michael / Vollmann-Profe, Gisela: Krieg im Visier. Bibelepik und Chronistik im Deutschen Orden als Modell korporativer Identitätsbildung. Tübingen 2007. (Hermaea. Germanistische Forschungen. Neue Folge, Bd. 114). S. 189.
  4. Anm.: Der Großteil der Handschriften stammt aus dem 15./16. Jhr., jedoch gibt es auch Handschriften, die zu einem früheren Zeitpunkt angefertigt wurden. Vgl. Hirsch, Theodor / Töppen, Max / Strehlke, Ernst: Scriptores rerum Prussicarum : die Geschichtsquellen der preussischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft. Band 3. Leipzig 1866. S. 519.
  5. Vgl. Vollmann-Profe 2007. S. 188.
  6. Vgl. Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 530f. ; Vollmann-Profe 2007. S. 190-194.
  7. Vgl. Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 556.
  8. Vgl. Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 556.
  9. Vgl. Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 556.
  10. Vgl. Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 556.
  11. Vgl. Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 556.
  12. Vgl. Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 556.
  13. Vgl. Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 556.
  14. Vgl. Hruschka, Constantin: Kriegsführung und Geschichtsschreibung im Spätmittelalter: eine Untersuchung zur Chronistik der Konzilszeit. Köln 2001. S. 108.
  15. Vgl. Lohmeyer, Karl: Thierberg, Konrad von (der Ältere), in: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Allgemeine Deutsche Biographie. Band 38. München 1894. S. 2-3.
  16. Vgl. im Kapitel 187, S. 621: „Der meister lis sy vil beten, das sy weder geben, das sie des orden leuthen genomen hetten. Des wolden sie nicht thun. Dorumb besamelte sich der voyt von der leype mit dem colmischen lande, und czoch in der meynunge uff Dabryn, weder zcu vordern, was des orden lewte in dem here were.“
  17. Vgl. Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 579.
  18. Vgl. Lohmeyer 1894. S. 2-3.
  19. Siehe Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S.579.
  20. Vgl. Paravicini, Werner, s.v. Preußenreise, in: LMA VII. S. 197 ; Boockmann, Hartmut: s.v. Preußenreise, in LMA III. S. 774 ; Militzer 2005. S. 117 ; Hruschka, Constantin: Kriegsführung und Geschichtsschreibung im Spätmittelalter : eine Untersuchung zur Chronistik der Konzilszeit. Köln 2001. S. 98-99 ; Boockmann 1981. S. 160 ; Ziegler, Uwe: Kreuz und Schwert. Köln 2003. 144-148..
  21. Vgl.: Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. Kapitel 41, S. 557: „Unterirdes samethe der meyster eyn gros heer,und wold dy Russen bestreyten […
  22. Siehe Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 557.
  23. Siehe Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 564.

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Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/06/quellenuntersuchung-die-kriegsfuhrung-des-deutschen-ordens-in-der-alteren-hochmeisterchronik-i/

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Die Kriegsführung des Deutschen Ordens in der Älteren Hochmeisterchronik (II)

Die Heroisierung und die religiösen Aspekte der Kriegsführung

Vor diesem Ereignis berichtet der Chronist im Kapitel 58 von einer Notlage der Brüder in Preußen, die beklagten, dass sie zwei Jahre viel untereinander gestritten hätten und allezeit den Preußen in Kämpfen unterlegen gewesen wären und befürchteten, dass Gott auf sie zornig wäre und er sich mit seiner Gnade von ihnen abgewandt hätte: „Dorumme schregin sy yinnielich zcu gote, daz her en hulfe sente. Unszer hirre horte yr gebethe, und sante yn czweyer hirren mut, von Marche und von Julich. Dy quamen ken Prusen mit groszer Macht.“1 Für die Beschreibung der göttlichen Hilfe und von Gott gegebene Stärke im Kampf finden sich mehrere Beispiele in der Chronik. Im Zusammenhang mit der mittelalterlichen Kreuzzugsidee war die Verquickung von Militär und Religion für Kreuzzugsfahrer und insbesondere für die geistlichen Ritterorden geradezu notwendig. Im Sinne des durch Gott und die Kirche legitimierten Glaubenskampfes sollten „alle militärischen Aktivitäten bei der Verwirklichung der Gottesmission auf Erden“2 eingesetzt werden. Wie in diesem Kapitel der Chronik deutlich wird, wurden  Missgeschick im Kampf oder Niederlagen als Zeichen für den möglichen Verlust der Gunst Gottes gedeutet.

Ein weiterer Aspekt der Religiosität ist im Kapitel 53 der Chronik aufgeführt, in dem die Himmelsfahrt der im Kampfe gefallenen Brüder geschildert wird: In einem Kloster sah die Schwester des Hochmeisters Konrad von Feuchtwangens in einer Vision den Tod einiger Ordensbrüder: „Sy sach yn eynem gesichte, wy dy brudyr mit eren luten streten wedyr dy hediin und wurdin alle von den heidin gevelt. Och sach sy dy engel gotis dy czelen vuren zcu hymmelrich.“3 Außerdem wird im Kapitel 68 davon berichtet, dass auf einem Schlachtfeld, auf dem die Prußen und Ordensbrüder kämpften, sich ein Einsiedler niederließ und bei Nacht sah, wie „vil kerczin burnen uf dem velde, do dy cristin lagin yrslayn. Daz waz yo eyn czeichin, daz dy zelen, dy durch got hy ledin peyn, dort von ym yr lon mit dem martyrer entphangin han.“4 Auch hier wird das Kriegswesen mit religiösen Elementen verknüpft. Die gefallenen Brüder werden zu Märtyrern erhoben und ihrem Tod wird eine übernatürliche Sinnhaftigkeit zugesprochen, die mit einer Heroisierung ihrer Taten im Krieg einhergeht. Die hier beispielhaft vorgestellten Passagen der Chronik verdeutlichen, welch einflussreiche Komponente die Religiosität  (2. Thematische Gruppe: Heroisierung/ Religiöse Aspekte der Kriegsführung) bei den Feldzügen des Deutschen Ordens gespielt haben muss.

Wie eng aber Religiosität mit der Heroisierung von kämpfenden Ordensbrüdern einhergeht, zeigt ebenfalls das Kapitel 53, in dem die Nonne in einer zweiten Vision sieht, wie ein gottesfürchtiger Pruße zu seinem Gesinde sagt: „ Ey seth yr nicht, wy gar menlich dy brudyr unszer hirren streiten kegin dy heidin? Seth, wy dy Prusen und Liflendyr  von en  vliehen, und dy brudyr mit wenig getruwer man sten yn groszer noth! O we, leydyr ich sehe, daz man sy alle dyrncdyr sleth tod. Ich sehe och Marien, dy muter gotis, sschon ere czelen uf zcu hymmel vuren.“5 Deutlich wird in dieser Passage, wie wichtig es war, den gefallenen Ordensbrüdern in der Öffentlichkeit eine Funktion zuzuweisen und ihre Himmelsfahrt oder gar ihre Erhebung zu Märtyrern literarisch aufzugreifen. Die sogenannte göttliche Mission war mit großen persönlichen Opfern verbunden, bis hin zu Menschen die ihr Leben für die Mission ließen. Diese Opfer wurden jedoch erst durch die Verheißung der Seligkeit und des erlangten Märtyrertums sinnvoll.

Untersucht man die Chronik auf treffende Beispiele für die Heroisierung der kämpfenden Ordensbrüder, so wird man wie im zuvor erwähnten Kapitel 53 auf Beschreibungen wie z.B. „männliche“ Verteidigung oder „männlichen“ Kampf treffen.6  Man kann annehmen, dass mit der Heroisierung der gefallenen und aber auch der überlebenden Ordensbrüder der Nachwelt die Tapferkeit und „Männlichkeit“ der Kämpfenden vor Augen geführt werden sollte. Deutlich wird diese Heroisierung auch, wenn bei der Beschreibung von Kampfhandlungen einzelne Ordensbrüder und ihre Taten besonders hervorgehoben werden. So wurden im Kapitel 121 die Ordensbrüder vom Komptur von Ragnith, Konrad von Stange, durch eine Rede „männlich“ getröstet und ermuntert, trotz ihrer Unterlegenheit,  die litauische Burg Junygede anzugreifen: „Got hat ufte dy seneym awsz noten irlust, dy em getrawen. Wir sein alle umb senen willen herkomen, das wir dy heiden zcum globen wellen brengen, addir sie vortilgen; dorumb lasse wir unser vorchte seny, und getrawen em gantcz. […] Czu hant sprengten sy an dy viude und slugen ir anc czal dirtedir, das ander teil quam fluchtig von dannen.“7 In der Chronik werden auch zahlreiche Beispiele genannt, wonach der Ausgang eines Kampfes nur durch die Tapferkeit und das Geschick eines einzelnen Ordensbruders entschieden wurde. So werden auch in dem Bericht von Kapitel  99 und 100 ausdrücklich die Tapferkeit des Bruder Merten von Golyn mit seinen Führungsqualitäten sowie sein Geschick im Kampf gerühmt. Bezeichnend ist aber auch der Anfang des Kapitels 99, der verdeutlicht, dass ganz bewusst heroische Erzählungen für die Nachwelt in literarischer Form bewahrt wurden: „Wunderliche abentewre sint vor jaren gescheen den cristen strutern. Der was eyner Marten von Golyn, der ander Conrad Tewfel, Stöbemel der dritte, Kudar der virde, Nakaym der fünfte. Disze helden haben bey iren czeiten vele menlicher taten begangen, das ich ir aller nicht beschreben kann.“8 Allgemein erscheint der Grund für die Aufnahme der heroischen Erzählungen in die Chronik recht simpel: Die Kriegsführung des Deutschen Ordens im Baltikum wurde von den Taten und Geschicken einzelner kämpfender Ordensbrüder bestimmt. Doch natürlich wurde die Kriegsführung des Deutschen Ordens auch durch das Missgeschick Einzelner bestimmt. So lassen sich kontrastierend zu den heroischen Darstellungen der Chronik und der erfolgreichen Verteidigung einer Burganlage in der Chronik auch Gegenbeispiele finden: Im Kapitel 57 ist die Rede davon, dass „dy brudyr zcu Resel hortin, daz dy drey burge [Braunsberg, Christburg und Königsberg]warn belegin, sy yrschrakyn sere und suchtin machin rath, waz en zcu thun were daz beste. Zcu letczt vorbrantin sy dy burg und entwichin weg durch dy wiltnys.“9 Dass die Beschreibung des Aufgebens und Verbrennens der Burg sowie die Darstellung der Ordensbrüder von Reszel als erschrocken, ratsuchend und flüchtend vor den Feinden in die Erzählungen der Chronik eingegangen sind, liefert zur Charakterisierung des Chronisten als einem mitunter auch kritischen Betrachter des Ordens einen wichtigen Beitrag.

Fazit

Abschließend ist festzuhalten, dass die Art und Weise der Kriegsführung des Deutschen Ordens sowie die bei den Kampfhandlungen verfolgten Zielsetzungen sich anhand des vorliegenden Quellenmaterials problemlos charakterisieren lassen. Die ausgewählten Passagen aus der Chronik lassen sich zudem mithilfe der Fachliteratur in den historischen Kontext einordnen. Zudem können anhand der Ergebnisse der Quellenuntersuchung die Motive des Chronisten näher betrachtet werden, der einerseits heroische Erzählungen wiedergibt, aber auch mit deutlich erkennbarer Absicht ordenskritische Bemerkungen macht und Niederlagen und Momente des Versagens der Ordensbrüder mit in seine Erzählungen einbezieht.

Mit der Kenntnis des im Artikel Die Kriegsführung des Deutschen Ordens im Baltikum erarbeiteten historischen Kontextes ist zunächst festzustellen, dass die ausgewählten repräsentativen Beispiele aus der Chronik in ihrem Inhalt und der geschichtlichen Wirklichkeit, die sie transportieren, als durchaus repräsentativ für die Geschehnisse im Baltikum vom 12.-15. Jhr. gelten können. Die ausgewählten Passagen aus der Chronik lassen sich zudem mithilfe der Fachliteratur in den historischen Kontext einordnen. Zudem können anhand der Ergebnisse der Quellenuntersuchung die Motive des Chronisten näher betrachtet werden, der einerseits heroische Erzählungen wiedergibt, aber auch mit deutlich erkennbarer Absicht ordenskritische Bemerkungen macht und Niederlagen und Momente des Versagens der Ordensbrüder mit in seine Erzählungen einbezieht.

Die Erzählweise der Chronik ist zumeist sehr knapp gehalten, was manch wissenswerte Hintergründe und Details im Dunkeln lässt. Die Chronik erscheint dem heutigen Leser wie ein überblicksartiges Werk, das seine gute Lesbarkeit durch die Kürze der Beschreibung der einzelnen Begebenheiten erhält.

Der Charakter der Kriegsführung des Deutschen Ordens im Baltikum ist laut der Chronik so zu beschreiben: Der Schauplatz vieler Kampfhandlungen waren die Burgbefestigungen, die als strategisch wichtige Stützpunkte, häufiges Angriffsziel des Ordens, aber auch seiner Gegner waren. Die Art der Kriegsführung ist mit der hinlänglich bekannten Strategie der „Verbrannten Erde“ zu beschreiben, die in den Darstellungen der Chronik durch die zahlreichen heroischen und religiösen Erzählungen mitunter glorifiziert wird. Um letztendlich die Oberherrschaft über die baltischen Regionen zu erlangen und die Christianisierung der heidnischen Völker zu bewirken, schien der Deutsche Orden, laut den Darstellungen der Chronik, bei seiner Kriegsführung die Zielsetzung zu verfolgen, den Gegner nachhaltig seiner Ressourcen, Infrastruktur und seiner religiösen Gebräuche zu berauben.

 

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2012): Die Kriegsführung des Deutschen Ordens in der Älteren Hochmeisterchronik (II). In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 


Bibliographie:

  1. Siehe Hirsch, Theodor / Töppen, Max / Strehlke, Ernst: Scriptores rerum Prussicarum : die Geschichtsquellen der preussischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft. Band 3. Leipzig 1866. S. 564
  2. Siehe Kwiatkowski, Stefan: Der Deutsche Orden im Streit mit Polen-Litauen. Eine theologische Kontroverse über Krieg und Frieden auf dem Konzil von Konstanz (1414-1418). Stuttgart 2000. S. 27.
  3. Siehe Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 562.
  4. Siehe Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 568.
  5. Siehe Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 563.
  6. Vgl. Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 563. Kapitel 55 „Do wedyr wertin sich dy geste mit den brudirn menlich, sundirlich eyn rittyr her Schenkel von Byntheym aus Westvalerland, der durch reit mit seyme sper der vinde heer, daz ym der Prusyn zcu beydin seyten vil tod blebin, und do her sich umme wante und mittene yn daz heer quam, do wart der gotis rittyr och yrslayn.“
  7. Siehe Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 583.
  8. Siehe Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 577.
  9. Siehe Hirsch / Töppen / Strehlke 1866. S. 564.

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Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/06/quellenuntersuchung-die-kriegsfuhrung-des-deutschen-ordens-in-der-alteren-hochmeisterchronik-ii/

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mediaevum.net: monumenta.ch

www.monumenta.ch Praktische Zusammenstellung von Handwerkzeug bestehend aus e-codices und Texteditionen, eingebettet in eine Arbeitsumgebung mit lexikalischem Nachschlagewerk und WordPro. Scheinbar kann das Material zudem für Online-Editionsprojekte herangezogen werden (vgl. Infos auf der Seite; vgl. auch Bsp.-Projekt). (+) e-codices unterschiedlichster Provenienz ( -) Textausgaben nach MPL – nicht in jedem Fall zeitgemäß Unveränd. Zweitpubl. v. http://www.mediaevum.leilabargmann.de [21.02.2012]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2012/06/2915/

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mediaevum.net: Digitised Manuscripts der British Library

www.bl.uk/manuscripts Digitalisierte Handschriften-Faksimiles aus diversen Sammlungen der Londoner British Library. Die Datensätze enthalten neben den Abbildungen und technischen Angaben jeweils eine kurze Beschreibung und Bibliographie. Für News, Feedback und Austausch steht unter britishlibrary.typepad.co.uk/digitisedmanuscripts ein Blogbereich zur Verfügung. Unveränd. Zweitpubl. v. http://www.mediaevum.leilabargmann.de [30.01.2012]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2012/05/2838/

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