Anlehnend an den Artikel: Die Kriegsführung des Deutschen Ordens im Baltikum, soll nun ausgehend von den Darstellungen der Älteren Hochmeisterchronik sowie dem in der Chronik behandelten Zeitraum und den Orten folgende Fragestellungen bearbeitet werden:
Auf welche Art und Weise führte der Deutsche Orden Kriegshandlungen aus bzw. wie kämpften die Ritter des Deutschen Ordens gegen die Prußen, Polen, Liven und Litauer? Weiterhin soll danach gefragt werden, wofür die Ritter des Deutschen Ordens laut den Darstellungen der Chronik kämpften bzw. welche Zielsetzung sie bei ihren Kampfhandlungen verfolgten.
Vorgehen
Die Fragestellungen wurden für die Sichtung des Quellenmaterials als Auswahlraster verwendet. Aus den relevanten Textpassagen ergeben sich drei thematisch-variierende Gruppen:
1. Befestigungsanlagen
2. Heroisierung/ Religiöse Aspekte der Kriegsführung
3. Art und Zielsetzung der Kriegsführung
Diese lassen sich in weitere Teilaspekte untergliedern. Im Folgenden sollen aus diesen Gruppen repräsentative Beispiele ausgewählt und einer genaueren Quellenanalyse unterzogen werden.
Allgemeines zur Älteren Hochmeisterchronik
In der Älteren Hochmeisterchronik wird die Geschichte des Deutschen Ordens im Baltikum von 1190-1433 überblicksartig aufgeführt und dabei werden neben politischen Ereignissen und Kriegshandlungen vor allem „menschliches Verhalten und dessen Folgen“ beschrieben. Für die Erzählweise der Älteren Hochmeisterchronik ist nicht nur charakteristisch, dass Ereignisse knapp und überblicksartig dargestellt werden, sondern auch, dass der Chronist sich bemühte, die Ereignisse weitestgehend chronologisch zu berichten und mit Jahreszahlen zu versehen. Die Frage nach der Verfasserschaft der Chronik drängt sich auf, weil in der Chronik selbst kein Name genannt wird. Obwohl Chroniken „nicht selten Auftragswerke […] und mit bestimmten Absichten“ verfasst seien, deutet die Haltung des Chronisten gegenüber dem Deutschen Orden nach genauerer Betrachtung auf einen „überzeugten, wenn auch keineswegs unkritischen Anhänger des Ordens.“ Die Chronik wurde in zeitgenössischem Deutsch und in einer Prosafassung angefertigt, was der Chronik zur Zeit der Abfassung einen größeren Leserkreis ermöglichte. Die Chronik besteht aus einem größeren, sogenannten unselbstständigen Teil, dessen Schilderungen auf anderen Chroniken basieren und einem zweiten selbstständigen Teil. Zweifelhaft ist, ob der Bericht über den Hussitenkrieg ursprünglich zu der Chronik gehörte, vielleicht wurde er als Anhang der Chronik hinzugefügt. Der Chronist verwendet als Grundlage für seine Darstellungen Materialien aus der Ordenskanzlei, verschiedene andere Chroniken und verarbeitet sicherlich auch mündliche Überlieferungen sowie Selbsterlebtes. Eine nähere Untersuchung der Chronik wurde bisher in der Forschung weitestgehend vernachlässigt.
Die Befestigungsanlagen des Deutschen Ordens
Im ersten ausgewählten Beispiel, dem Kapitel 40 der Chronik, kommen gleich mehrere inhaltliche Aspekte zum Tragen, die für die Bearbeitung der Fragestellungen relevant sind: Der erste wichtige Aspekt ist für die 1. Thematische Gruppe: Befestigungsanlagen relevant: Um 1253 wurde direkt an der Memelmündung die Memelburg durch einige Ordensbrüder errichtet. Ursprünglich wurden diese Ordensbrüder, unter der Leitung von Eberhard von Sayn, vom Hochmeister aus Preußen nach Livland entsandt. Eberhard von Sayn sollte wegen der Erkrankung des Meisters Andreas neuer Hochmeister von Livland werden. Auf dem Weg nach Kurland entlang der Memel ließ Eberhard von Sayn diese Burg im Land der heidnischen Samaiten errichten und mit Brüdern und Bewaffneten besetzen, um anschließend mit seinem Heer das Land wieder zu verlassen. Dass man mit der Errichtung einer befestigten Burg auf feindlichem Gebiet Herrschaftsansprüche anmeldete und gleichzeitig Widerstände seitens der Einheimischen provozierte, liegt auf der Hand. Es darf daher nicht verwundern, dass die Chronik schon kurz darauf davon berichtet, dass die Samaiten davon erfuhren, „daz dy Dutschyn zcur Memel eyn burg hattin gebuwet.“ Nach dem Auskundschaften der Burg erhielten die samaitischen Truppen den Befehl ihres Ältesten, „daz yr zcur Memel vart mit schilde und spere, und brecht daz hus zcu cleynen stucken.“ Der Angriff der Samaiten auf die Burg erfolgte, laut der Chronik, von vielen Schiffen aus, die von der Ostsee und dem Frischen Haff aus direkt zur Memel steuerten, von wo die Truppen über eine Brücke schließlich zur Burg gelangten. Die in der Chronik geschilderten Verteidigungsanstrengungen der Burgbesatzung müssen vor dem Hintergrund gesehen werden, dass Eberhard von Sayn samt Heer außer Landes geritten war und nur eine einfache Burgbesatzung zurückgeblieben war, die vermutlich nur Verteidigungszwecken diente. Die nur mit Schildern und Speeren bewaffneten Samaiten konnten jedoch von der Burgbesatzung zurückgeschlagen werden: „Abyr dy brudyr wurfin und schossin yr also vil tod, daz sy hüfficht um dy burg lagin. Czu leczt wichin sy von der burg, und warn betrubit, um dy sy hattin verlorn.“ Ausgehend von dieser Beschreibung war der Grund für die erfolgreiche Verteidigung der Burg offensichtlich die bessere Kriegsausrüstung der Ordensbrüder, mit Sicherheit lag es nicht an der größeren Truppenstärke. Die Beschreibung der Chronik, dass die Samaiten „czo vil“ ihre Schiffe auf die Memel setzten, deutet ebenfalls darauf hin, dass die Samaiten in der Mehrzahl waren. Die erfolgreiche Verteidigung einer Burg aus der 1. Thematischen Gruppe: Befestigungsanlagen findet an vielen Stellen der Chronik Erwähnung, dabei werden auch Hinweise gegeben, weshalb die Ordensbrüder erfolgreich verteidigen konnten. Manch erfolgreiche Verteidigung kann auch mit in die 2. Gruppe Heroisierung/religiöse Aspekte einbezogen werden und soll im weiteren Verlauf dieser Untersuchung näher erläutert werden.
Die Art der Kriegsführung und die Zielsetzungen
Ein dritter Aspekt, der in diesem Kapitel erwähnt wird, ist die Reaktion auf den eben geschilderten Angriff seitens des Hochmeisters Poppo von Osterna: „Do dis dem meystir wart gesayt, her besamte yn czorne eyn mechtig heer, und czog obyr den strand uf Czameland.“ Das Entsenden von Truppen gegen Feinde als Reaktion auf einen vorhergegangenen Angriff stellt in den Beschreibungen der Chronik keine Seltenheit dar (Zuordnung: 3. Thematische Gruppe: Art der Kriegsführung und die Zielsetzungen): Man benötigte einen Anlass und eine Legitimation für die Durchführung der Feldzüge. Die jeweiligen Anlässe für die Durchführung der Feldzüge konnten gleichzeitig auch die bei den Feldzügen verfolgten Zielsetzungen sein. Es gab Rache- und Vergeltungsfeldzüge, die sich von der Art der Durchführung her nicht sonderlich von den ursprünglichen Feldzügen unterschieden, bei denen als Zielsetzung die Christianisierung der Heiden bzw. der Heidenkampf im Vordergrund stand. Bei der eben erläuterten Begebenheit fiel der Hochmeister Poppo von Osterna, nachdem die Ordensbrüder einen Wall am Frischen Haff zerstört hatten, mit seinen Truppen raubend und brandschatzend in das Land der Samaiten ein und erschlug viele aus dem samaitischen Volk („Do sprengtyn sy yns land mit robe und brande und slugin vil volkis“ ). Schließlich lieferte man sich beim zerstörten Wall noch eine weitere Schlacht.
Die hier dargelegte Art und Weise der Kriegsführung des Deutschen Ordens ist mit der in der heutigen Forschung bekannten und bereits erläuterten Kriegsführung der „Verbrannten Erde“ zu beschreiben. Man wollte nicht nur in einer Art Rachefeldzug einen Ausgleich für die entstandenen Beschädigungen an der Burg schaffen, sondern den Gegner militärisch aber auch vor allem infrastrukturell nachhaltig schwächen. Man zerstörte nicht nur, sondern raubte verwendbare Ressourcen und nahm Geiseln, um das Restliche, was den Feinden nach der Zerstörung übrig bleiben könnte, zu entwenden und zum eigenen Nutzen zu gebrauchen. Auch zog man nach der Strategie der „Verbrannten Erde“ präventiv gegen den Feind ins Feld.
Die nächsten beiden Kapitel 106 und 107 der Älteren Hochmeisterchronik enthalten mehrere Aspekte, die für die 3. Thematische Gruppe: Art und Zielsetzung der Kriegsführung des Deutschen Ordens charakteristisch sind: Um 1283 zog Konrad von Thierberg (der Jüngere) als Landmeister von Preußen mit einem Heer vom Samland nach Sudauen. Als er dem Land nahe kam, traf er auf den Bruder Ludwig von Libencillin und Kanthegirt, den Ältesten der Sudauer, der Ludwig gefangen hielt. Dazu saßen weitere sechzehn Männer und Frauen im Gefängnis, die Ludwig alle zum Glauben bekehrt hatte. Konrad befahl Ludwig die Befreiten in das Samland zu führen. Für die in diesem Kapitel dargestellte Befreiung der Gefangenen bzw. des Ordensbruders Ludwig finden sich in der Chronik viele weitere Beispiele, was darauf schließen lässt, dass es bei der Kriegsführung des Deutschen Ordens auch eine Zielsetzung war, Gefangene zu befreien.
Weiterhin „[…] sprengte her [Konrad von Thierberg]den andern morgen in Sawdawen, und belag eyne burg Kymenowe gnant mit storme so hart, das sy burgleuthe sich abdyngeten, und globten, sy welden sich lassen touffen und den cristen globen entphan.“ Die Absicht Konrads, in das feindliche Gebiet der Sudauer einzufallen, mag vor allem darin begründet liegen, dass er die Feldzüge seines älteren Bruders (Konrad von Thierberg der Ältere) gegen die Sudauer fortsetzen und damit die Erschließung des Preußenlandes durch den Deutschen Orden zu einem Ende führen wollte. Doch natürlich gab es auch hier die Absicht, die Heiden zu christianisieren, jedoch nicht mehr durch friedliche Missionierung, sondern durch Gewaltanwendung. Die in diesem Kapitel angegriffenen Sudauer kannten bereits aus vorhergegangenen Kämpfen die Zielsetzung der Kriegsführung des Deutschen Ordens, nämlich den Herrschaftsanspruch über Preußen und die Christianisierung der Heiden. Um weiteres Leid abzuwenden, gelobten die Burgleute von Kymenowe, sich taufen zu lassen und den christlichen Glauben anzunehmen. Genauere Angaben zum Ablauf der Belagerung und zur Erstürmung der Burg sind nicht wiedergegeben, jedoch muss das Ausmaß („mit storme so hart“) unerträglich für die Sudauer gewesen sein. Mit dem Erreichen der einen Zielsetzung ihrer Kriegsführung, nämlich der Christianisierung der Sudauer, war Konrad zufriedengestellt und er vertraute die vermeintlich christianisierten Sudauer einem „leitzcman“ an, mit dem sie ins Samland gehen sollten. Diese Sudauer überwältigten auf ihrem Weg ins Samland den „leitzcman“, stachen ihm die Augen aus und flohen nach Litauen. In Sudauen hingegen wandte sich ein edler und mächtiger Sudauer mit seinem Gefolge an die Brüder und ließ sich taufen. Ihr Hauptmann Seurde verweigerte aber die Taufe und zog mit anderen Sudauern nach Litauen. Das Kapitel endet mit der Angabe, dass das Land wüst blieb, was bedeuten kann, dass ohne den Hauptmann Seurde der letzte Widerstand der Sudauer gebrochen war und somit das Vorhaben des Deutschen Ordens erfolgreich war.
Das darauffolgende Kapitel 107 beginnt mit der Angabe, dass um 1283 „[…] dy bruder dy Prewszen alle betwungen und zcum globen brachten, do griffen sy dy Littawen an.“ So ist in diesem Kapitel die Rede von zwei Feldzügen, die im Winter 1283 und 1284 unter der Leitung von Konrad von Thierberg (der Jüngere) gegen die Litauer durchgeführt wurden. Obwohl die Littauerreisen und der damit einhergehende Heidenkampf an den Grenzen Livlands, laut dem heutigen Forschungsstand, erst ab 1302/1304 durchgeführt wurden, weisen die in diesem Kapitel beschriebenen Raubzüge in der Art ihrer Durchführung durchaus Ähnlichkeiten mit den späteren „Littauerreisen“ auf. Auffällig an der Beschreibung des Kapitels 107 sind auch die häufigen Bezeichnungen der Litauer als Heiden und der Ordensbrüder als Christen. Diese vermutlich absichtlich vorgenommene Kontrastierung des Chronisten deutet darauf hin, dass bereits dieser Feldzug als religiös-begründet, angesehen werden sollte. Eine mögliche Absicht des zweiten Feldzuges konnte ein Racheakt an einem Barten sein, der zwei Komture des Ordens hatte gefangen nehmen lassen und einen Kaplan erhängt hatte. Die Art der Durchführung der beiden Feldzüge kann ebenfalls mit den gängigen Praktiken des Plünderns, Raubens und der Gefangennahme beschrieben werden. Hinsichtlich des Umgangs mit der eroberten Burganlage wird in diesem, wie auch in den anderen Kapiteln der Chronik beschrieben, dass die Burganlage, nachdem sie eingenommen wurde, verbrannt bzw. zerstört wurde. Auch wurde in Kapitel 21 die gezielte Verbrennung des Vorlandes geschildert. Demnach gab es laut den Darstellungen der Chronik eine durchgängige Praxis der Zerstörung im Umgang mit eroberten Burganlagen.
Weitere repräsentative Beispiele der 3. Thematischen Gruppe: Art und Zielsetzung der Kriegsführung sind in den Kapiteln 187, 41, 119 und 58 enthalten. Eine in der Chronik häufig erwähnte Strategie der Kriegsführung des Ordens war es, das Heer an geo-strategisch wichtigen Punkten zu sammeln oder eine Burg zu bemannen.“ Kapitel 187, S. 621: „Czu hant reit em entkegen der kompthur vom Elwinge in eyne lantwer.“], um den Gegner abzuschrecken oder auf den Angriff einer bestimmten Region schnell reagieren zu können. Um die Schritte des Gegners im Voraus zu bemerken und sich auf einen Angriff vorbereiten zu können, ließ man, wie z.B. im Kapitel 41 beschrieben, Wege überwachen: „Meyster Werner leyte uf alle wege hute, dy zcu Littawen geen, uf daz her seyn land bewerte.“ Wie aus den Darstellungen des Kapitels 119 überaus deutlich wird, wurde man auch durch Boten und Verbündete vor Angriffen und Hinterhalten gewarnt. Zudem sandte man Kundschafter voraus, die wie im Kapitel 58 berichtet, die Schritte der in der Nähe weilenden feindlichen Truppen in Erfahrung bringen sollten: „Dy brudyr rittin ym mit truwen, daz her [Graf von Julich] boten sente zcu vorn uf dy strasszen, ab ym dy Prusen icht hetten dy wege vorleit.“
weiter zu Teil II
Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2012): Die Kriegsführung des Deutschen Ordens in der Älteren Hochmeisterchronik (I). In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]
Bibliographie:
Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/06/quellenuntersuchung-die-kriegsfuhrung-des-deutschen-ordens-in-der-alteren-hochmeisterchronik-i/